Jean Paul
Siebenkäs
Jean Paul

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Siebentes Kapitel

Das Vogelschießen – das Schwenkschießen – Rosas Herbst-Feldzug – Betrachtungen über Flüche, Küsse und Landmilizen

Nichts tut mir bei dieser an sich schönen Historie mehr Schaden, als daß ich mir vorgenommen, sie in vier Alphabete zusammenzudrängen; ich habe mir dadurch selber allen Platz geraubt, auszuschweifen. Ich gerate hier metaphorisch in den Fall, worin ich einmal ohne Metapher war, als ich den Durchmesser und den Umkreis der Stadt Hof ausmessen wollte. Ich hatte nämlich den Catelschen Schrittzähler mit einem Haken rechts an den Hosenbund und die am Schenkel niederlaufende Seiden-Schnur unten am Knie an eine krumme Stahlspitze angemacht, und die drei Weiser auf einer Scheibe – denn der erste Weiser zeigt 100, der zweite 1000 Schritte, der dritte bis 20000 – liefen ordentlich wie ich selber, als ein Frauenzimmer kam, das ich nach Hause führen sollte. Ich bat sie, mich zu entschuldigen, da ich den Catelschen Schrittzähler angetan und nun in der Längenmessung von Hof schon so viele Schritte gemacht: »Sie sehen offenbar«, setzt' ich dazu, »daß der Schrittzähler, wie ein Gewissen, jeden Schritt aufschreibt – und mit einem Frauenzimmer muß ich noch dazu kleinere Schritte machen und tausend in die Quere und rückwärts; das rechnen die drei Weiser aber alles zum Durchmesser – es geht gar nicht, Vortreffliche!« Jetzo sollt' es eben deswegen gehen, und man lachte mich aus. Ich schraubte mich aber fest ein und schritt nicht vor. Zuletzt versprach ich doch, daß ich sie mit meinem Schrittzähler heimfahren wollte, wenn sie – denn ich konnte mich nicht niederkrempen bis auf die Hüfte – zweimal nach meinen Weisern sehen und mir sie ablesen würde, das erstemal jetzo, das zweitemal in ihrem Hause, damit ich die Schritte, die ich mit besagtem Frauenzimmer täte, von der Größe Hofs subtrahieren könnte. – – Der Vertrag wurde redlich genug gehalten. Dieser kleine Bericht soll mir einmal Nutzen schaffen, falls mein perspektivischer Abriß von der Stadt Hof – die Hoffnung dazu will ich nicht genommen haben – wirklich ans Licht träte, und falls Höfer, die mich mit dem Frauenzimmer und mit dem nachschleifenden Zähler am Knie gesehen, mir vorwürfen, es hinke alles und neben einem Frauenzimmer könne man kaum seine Schritte abmessen, geschweige die einer Stadt. – –

Der Andreastag war schön und hell und nicht sehr windig; es war ordentlich warm und nicht so viel Schnee in den Furchen, daß man damit eine Nußschale voll Wein abkühlen oder einen Kolibri hätt' erwerfen können. Dienstags vorher hatte Siebenkäs mit hinaufgeschauet, als die Vogelstange ihren majestätischen Bogen beschrieb und niederging, um den schwarzen Gold-Adler mit seinem offnen Flugwerk aufzuspießen und mit ihm in die Höhe zurückzusteigen. Er wurde bewegt, da er dachte: der Raubvogel droben hält und verteilt in seinen Fängen die ängstlichen oder die heitern Wochen deiner Lenette, und unsere Fortuna hat sich in diese schwarze Gestalt zusammengezogen und verwandelt und nur die Flügel und die Kugel behalten. –

Als er am Andreasmorgen in seinen abgekürzten, mit Galoschen besetzten Stiefeln von Lenetten mit Küssen schied, sagte sie: »Unser Herrgott gebe dir Glück und Stern – und bewahre dich, daß du mit dem Gewehre kein Unglück anrichtest.« – Sie fragte noch etliche Male, ob er nichts vergessen habe – das Augenglas – oder das Schnupftuch – oder den Beutel. »Überwirf dich ja nicht (bat sie noch zuletzt) draußen mit dem Hrn. v. Meyern!« – Und noch zuletzt, als vor dem Rathause schon einige Probedonnerschläge der Trommel fielen, setzte sie ängstlich hinzu: »Erschieße dich um Gottes willen nicht selber – es wird mir den ganzen Vormittag eiskalt über den Leib laufen, sooft ein Schuß geschieht.«

Endlich wickelte der zusammengeringelte Schützenknäul sich in langen Fäden ab, und der wallende Zug schlug, wie eine lange Riesenschlange, unter Trommetenschall und Trommelknall laufende Wellen, und jeder Schütze war ein Schlangenbuckel. – Eine Fahne, gleichsam der Kamm der Schlange, war auch dabei, und unter ihr war ein Fahnenträger angebracht, der seinen Rock als die tiefere Fahne trug. – Die Stadt-Soldateska, die mehr durch Gehalt als Anzahl glänzte, durchschoß mit weißen Rockblättern den gefleckten Kalender der Schützengesellschaft. – Der versteigernde Haarkräusler tanzte als der einzige gepuderte gemeine Mann mit der bleichen Hutgriffspitze daher, in der gehörigen Entfernung von den vornehmen ledernen Zöpfen, die er heute angebunden und gepudert hatte. – Die Menge fühlte, was wahre Hoheit sei, als sie gebückt hinaufsah zum Schützendirektor, zum Hrn. Heimlicher von Blaise, der mitzog als die Aorte des ganzen Schlagadersystems, als das Elementarfeuer aller dieser Irrlichter und Zündpulver und, kurz zu reden, als schottischer Meister der Schützenloge. – Glücklich war die Frau, die herausguckte und vor welcher der Mann vorbeizog als Schützenglied – glücklich war Lenette, denn ihr Mann war mit dabei und sah höflich hinauf, und die kurzen Stiefeln standen ihm recht gut, die im alten und neuen Stil zugleich gearbeitet waren und wie Menschen an den alten Adam den kurzen neuen angezogen hatten.

Ich wünschte, der Schulrat Stiefel hätte etwas nach dem Andreasschießen gefragt und herausgesehen nach seinem Orest; aber er rezensierte fort. –

Als nun diese Prozessionraupen auf der Vogelwiese des Schießgrabens wie auf einem Blatte wieder aneinanderkrochen – als der Adler im Horste des Himmels wie das Wappentier der Zukunft hing – als die Blasinstrumente, die bisher die wandelnde musikalische Truppe nicht fest genug am Mund ansetzen konnte, jetzt geradeaus schrieen an den Lippen der stehenden – und als der Zug, laut trabend und die Gewehre auf den Boden stauchend, ins leere hallende Schießhaus rauschte: so war, genau genommen, kein Mensch mehr recht bei Sinnen, sondern jeder seelenbetrunken; und doch war noch nicht einmal geloset, geschweige geschossen. Siebenkäs sagte sich selber: »Es ist nur eine Lumperei, aber seht, wie wir alle taumeln, wie bloß eine welke ununterbrochne, zehnmal ums Herz herumgeführte Blumenkette von süßen Kleinigkeiten es halb erstickt und halb verfinstert.« Unser saugendes Herz ist aus durstiger Brauseerde gemacht, die ein warmer Regen aufbläht und die dann im Schwellen und Steigen allen Pflanzen in ihr die Wurzeln entzweireißet.

Nun ließ Hr. v. Blaise, der in einem fort meinen Helden anlächelte und die andern anfuhr mit der Grobheit der Herrschsucht, die Lose ziehen, welche die Ahnenfolge der Schützen ordneten und entschieden. Die Leser können dem Zufalle nicht ansinnen, daß er das Glückrad halte und hineingreife und hinter seiner Binde unter 70 Nummern gerade die erste für den Advokaten herausfühle und fange; indessen zog er doch die 12te für ihn. – Endlich gaben die tapfern Deutschen und Reichsstädter auf den römischen Adler Büchsenfeuer. Zuerst trachtete man ihm nach der Krone. Der Eifer und das Zielen der Kronwerber war der Wichtigkeit der Sache angemessen: waren nicht mit diesem goldnen Wetterdache, wenn die Kugel es herabstieß, die Kroneinkünfte von 6 fl. frk. verbunden, wobei ich beträchtliche Kronengüter nicht einmal anschlage, die in drei Pfund Werg und in einem zinnernen Barbierbecken bestehen? – Die Menschen taten was sie konnten; aber das Schießgewehr setzte die Krone des Adlers leider nicht unserem Helden, sondern Nro. 11, seinem Vormann, dem hektischen Sachsen, auf. Der Mann braucht' es, da er wie der Prinz von Wallis die Kronschulden noch eher hatte als die Krone selber.

Nichts wendet bei einem solchen Vogelschießen alle Langweile mehr ab als die gute Einrichtung, daß dazwischen ein Schwenkschießen eingeschoben wird; ein Mann, der auf das langsame Viertelausschlagen von 69 Schüssen mit seinen eignen warten muß, hat Kurzweile genug, wenn er unterdessen seine Büchse für niedrigere Dinge laden kann, z.B. für einen Kapuzinergeneral. Das Schwenkschießen in Kuhschnappel ist nämlich von dem an andern Orten eingeführten nicht verschieden, sondern eine Leinwand rutschet hin und her, auf der die gemalten Eßwaren wie auf einem Tischtuch stehen, die man durchlöchern muß, um die Originale davon einzuernten, wie die Kronprinzen die Konterfeien ihrer Bräute und dadurch diese selber erheben, oder wie Hexen bloß das Abbild zerstechen, um das Urbild zu treffen. Die Kuhschnappler schossen diesesmal nach einem auf die Geh-Leinwand gefärbten Kniestück, von dem recht viele behaupteten, es repräsentiere einen Kapuzinergeneral. Es ist mir bekannt, daß einige sich mehr an den roten Hut, den das Stück aufhatte, hielten und es darum gar für einen Kardinal ausgaben oder für einen Kardinalprotektor; aber diese habens offenbar erst mit denen auszufechten, die beiden Sekten widersprechen und sagen, es stelle nur die babylonische Hure vor, nämlich eine europäische. Aus diesem mag man ungefähr schließen, was an einem andern Gerüchte sein mag, dem ich in der ersten Stunde widersprach, daß nämlich die Augsburger sich an dieses effigie-Arkebusieren gestoßen und daher wirklich dem Reichsfiskal schriftlich vorgestellet hätten, sie fänden sich beschwert und die eine Konfession litte darunter, sobald im Hl. Röm. Reich nur ein Ordengeneral und nicht zugleich ein lutherischer Generalsuperintendent abgeschossen würde. Ich hätte gewiß mehr davon vernommen, wär's nicht bloßer Wind. Ja ich mutmaße sogar, daß dieses Märchen weiter nichts sei als eine falsche Tradition von einem andern Märchen, das mir neulich ein Wiener von Geburt über dem Essen vorlog: es hätten sich nämlich in den ansehnlichen Reichsstädten, worin die Nivellierwaage des Religionfriedens ein schönes Gleichgewicht der Papisten und Lutheristen festgestellt, viele lutherischerseits geregt und beschwert, daß, ob darin gleich Nachtwächter und Zensores, d.i. transzendente Nachtwächter, Wirte und Bücherverleiher in gleicher Zahl vorhanden wären, doch stets ein zahlreicheres papistisches Personale gehangen würde, so daß recht klar, es sei nun mit oder ohne Jesuiten, ein so wichtiger und hoher Posten im Staate, als der Galgen sei, gar nicht nach jener reichsgesetzlichen Parität wie das Reichs-Kammergericht, sondern mit einiger Parteilichkeit für Katholiken besetzet worden. – Ich wollte neulich im Dezember der Literaturzeitung öffentlich gegen die Sage aufstehen; aber das Reich wollte die Einrückgebühren nicht auf sich nehmen.

Ob man gleich aus dem Schießstand nur auf einen Kapuziner hielt: so war doch das Schwenkschießen in seiner Art so wichtig als das stehende. Ich muß sagen, es waren Eß-Prämien auf die verschiedenen Gliedmaßen des Ordengenerals gesetzt, die anlockend waren für Schützen, die dachten. Ein ganzes böheimisches Schwein wurde als Pürschgeld für das Herz des gedachten Kapuziner-Peischwas gegeben, welches man aber nur durch einen einzigen Ruß-Klecks, nicht größer als eine Schmink-Musche, angedeutet hatte, um den Schützen den Treffdank mit Fleiß recht sauer zu machen. Der Kardinalhut war leichter zu bekommen, daher war er nur mit zwei Flußhechten besetzt. Der Zierdank eines Okulisten, der den zwei Augäpfeln des Protektors neue aus Kugeln einsetzte, bestand in ebensoviel Gänsen. Da er mitten im Gebet gemalet war: so verlohnt' es wohl der Mühe, durch seine gefalteten zweischürigen zweimännischen Hände eine Kugel zu treiben, weils nicht weniger war, als schoß man einem rennenden geräucherten Schweine die zwei Vorderschinken unter dem Leibe hinweg. Jeder Fuß aber war gar auf einen Hinterschinken fundiert. Ich mache mir nichts daraus, es auf Kosten des Reichsflecken öffentlich zu erklären, daß nichts am ganzen Protektor schlechter – mit einem schmälern Mahlschatz und Treffer – salariert war als der Nabel; denn es war nichts aus ihm mit der besten Kugel zu holen als eine Bologneser Wurst.


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