Jean Paul
Siebenkäs
Jean Paul

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In allen diesen Blättern standen die Parallelstellen:
 

»Nachdem Hoseas Heinrich Leibgeber, jetzo in seinem 29. Jahre stehend, anno 1774 sich auf die Akademie Leipzig begeben, seit diesem Zeitraum aber nicht das geringste von sich hören lassen: also wird auf Ansuchen seines Vetters, des Hrn. Heimlichers v. Blaise, ihm das unter seiner vormundschaftlichen Verwaltung stehende Vermögen, bestehend in 1200fl. rhnl., da die Verschollzeit verloffen, auszuantworten und zu übergeben, besagter Hoseas Heinrich Leibgeber dergestalt edictaliter zitiert und vorgeladen, daß er oder seine rechtmäßigen Leibeserben von dato in 6 Monaten, wovon 2 Monat für den ersten, 2 Monat für den zweiten und 2 Monat für den letzten peremtorischen Termin anberaumet worden, sich bei hiesiger Erbschaftskammer zu melden, hinlänglich zu legitimieren und das Vermögen in Empfang zu nehmen oder widrigenfalls zu gewärtigen habe, daß solches in Gemäßheit des Ratsdekrets vom 24. Jul. de anno 1699, das jeden 10 Jahre Abwesenden pro mortuo erkläret, dessen erwähntem Vetter und Vormunde Hrn. von Blaise verabfolget und zugeteilet werde. Kuhschnappel in Schwaben, den 20. August 1785 –

Erbschaftskammer der unmittelbaren
Reichsstadt Kuhschnappel.«

Ich brauche dem juristischen Leser nicht zu sagen, daß das Ratsdekret nicht mit dem Gerichtgebrauch von Böhmen, allwo 31 Jahre zur Verschollzeit nötig sind, sondern mit dem vorigen in Frankreich harmoniere, wo 10 Jahre hinreichten. – Und als der Advokat die letzte Zeile hinaus hatte und sie unbeweglich anstarrte: so nahm sein Seelenbruder freundschaftlich-zitternd seine Hand und sagte: »Du Lieber, ach, daran bin ich schuld durchs Namentauschen.« – »Du? o du? – Bloß der Teufel. – Aber der Brief muß sich finden«, sagte er; und sie wiederholten beide die Haussuchung aller Brief-Behausungen. – Nach einer Stunde stöberte Leibgeber ein mit dem zerbröckelten Siegel des Vormunds überpichtes Schreiben aus, dessen grobes Papier und breiter bescheid-mäßiger Bruch ohne Umschlag verriet, daß es keine Frau, kein Hof- und kein Kaufmann, sondern ein Kiel von einem ganz andern Feder-Vieh überschrieben habe. Gleichwohl stand auf dem Briefe nichts als Siebenkäsens Name von Siebenkäsens Hand – weiter stand außen und innen kein Wort. Ganz natürlich; denn der Advokat hatte den Schreibfehler an sich, auf den Umschlägen der Briefe seine Feder und seine Hand zu prüfen und eine fremde und seinen Namen nachzuzirkeln.

Auch der innere Brief war sonst beschrieben gewesen; aber der Heimlicher Blasius hatte, um das unglaublich verschwendete Papier zu schonen, seine Anerkennung des eingetauschten Namens mit einer Dinte geschrieben, welche von selber wieder den Papierbogen verläßt und durch Verfliegen ihn gleichsam weiß wiederherstellt und rehabilitiert in integrum.

Ich tue vielleicht manchen Personen aus den höhern Ständen, welche jetzo mehr als je Wechselbriefe und andere Verbriefungen zu schreiben haben, einen zufälligen Dienst, wenn ich hier das Rezept zu dieser Dinte, die nach der Vertrocknung verfliegt, getreu aus einem bewährten WerkeSpielerleben etc. etc. Gotha 1813. mitteile: Der Mann von Rang schabe von einem schwarzen feinen Tuche, wie er es etwa am Hofe trägt, die Oberfläche ab – reibe das Abschabsel noch klarer auf Marmor zusammen – schlemme den zarten Tuchstaub mehrmals mit Wasser ab – dann mache er ihn mit diesem an und schreibe damit seinen Wechselbrief, so wird er finden, daß, sobald die Feuchtigkeit weggedunstet, auch jeder Buchstabe des Wechsels als Staub nachgeflogen ist; – der weiße Stern hält gleichsam seinen Austritt aus der Finsternis der Dinte.

Aber auch Inhabern und Präsentanten solcher Wechsel glaub' ich vielleicht ebensosehr als den Ausstellern gedient zu haben, indem sie künftig eine Verschreibung nicht eher sicher anzunehmen haben, als bis sie eine Zeitlang an der Sonne gelegen.

Früher hatt' ich in diesem Werke die tuchene Dinte ganz mit der sympathetischen verwechselt, welche auch nach kurzer Zeit verbleicht und verschwindet und gewöhnlich bei den Präliminar- sowohl als Hauptrezessen der Fürsten verschrieben wird, die aber rot aussieht. Einen Friedenschluß, der drei Jahr alt ist, kann ein Mann in seinen besten Jahren nicht mehr lesen, weil die rote Dinte – das encaustum, womit sonst nur die römischen Kaiser schreiben durften – zu leicht blaß wird, wenn nicht Menschen genug, woraus man jene wie die Koschenillefarbe aus den Schildläusen zubereitet, aus unnützem Geize mit solchen Farbenmaterialien dazu genommen worden; daher oft der Traktat wieder mit guten Instrumenten, den sogenannten Frieden-Instrumenten, vorn am Schießgewehr in die Länder eingegraben und ausgestochen werden muß. – –

Beide Freunde verschwiegen der freudigen jungen Frau den ersten Schlag des Gewitters, das über ihre Ehe aufzog. Am Sonntag vormittags unter der Kirche wollten beide den Heimlicher freundschaftlich besuchen – er war leider darin. Nachmittags dachten sie ihm die unterhaltende Visite zu – er machte selber eine in der Waisenhauskirche, nachdem vorher die ganze verwaisete Blütenlese von Knaben und Mädchen eine bei ihm abgelegt, um von ihm als Waisenhausaufseher zum Handkuß gelassen zu werden; denn das Waisenhausinspektorat war, wie er wahr, aber bescheiden sagte, seinen unwürdigen Händen anvertrauet worden. – Nach der Vesperpredigt hielt er seine eigene; kurz, dreifache geistliche Altargeländer schnitten die beiden Advokaten von ihm ab. Schön handelte er, daß er seine Hausgenossen an demselben Tische mit sich zwar nicht essen, aber doch beten ließ. Er verbrachte lieber den Sonntag als einen Werkeltag singend mit ihnen, weil er sie von der Sabbatschänderei, die in Arbeiten für ihre eigne Rechnung, in Nähen, Flicken etc. bestand, am besten durch Andacht abzog; und überhaupt wurde so der Tag am besten in einem Rüst- und Exerziertag der ganzen Woche verlebt, wie auch auf die Sonntage die Komödianten an den Orten, wo sie nicht spielen dürfen, die Komödienproben verlegen.

Inzwischen rat' ich Kränklichen, nicht an solche schöne himmelblaue Gewächse nahe zu treten oder zu riechen, die der Weinberg der Kirche nur zur Zierde hat, wie ein englischer Garten sich mit dem schönen Napellus (aconitum Nap.) und mit seinem himmel- oder jesuiter-blauenHimmelblau ist die Ordenfarbe der Jesuiten, wie des indischen Krischna und des Zorns. Die Hypothese des Physikers Marat, daß Blau und Rot das Schwarze geben, sollte man untersuchen, indem man dem Jesuiterblau das Kardinalrot zusetzte. Er selber brachte später in der Revolution aus Blau und Rot und Weiß das schönste Elfenbeinschwarz heraus oder den chinesischen Tusch, womit später Napoleon zeichnete. mannshoch und pyramidalisch aufsteigenden giftigen Blumen putzt. Solche Leute wie Blaise besteigen nicht nur den Sinai und die Schädelstätte, um gleich den Ziegen unter dem Steigen zu weiden: sondern sie suchen die heiligen Höhen, um von da Angriffe herab zu tun, wie gute Generale die Höhen, besonders die Galgenstätten besetzen. Der Heimlicher erhebt sich öfter, obwohl aus gleichen Absichten, von der Erde in den Himmel als Blanchard, ja er ist imstande, halbe Tage lang seine Seele in jenem Fluge zu erhalten – worin ers doch dem fliegenden Drachen des Königs von Siam nicht nachtut, welchen Mandarinen zwei Monate lang oben in der Höhe abwechselnd zu erhalten wissen –; aber er steigt nicht wie die Lerche, um droben zu musizieren, sondern wie der edle Falke, um auf etwas zu stoßen. Seh' ich ihn auf einem Ölberg beten, so will er eine Ölmühle droben bauen; oder weinet er am Bache Kidron, so will er drinnen krebsen oder einen hineinwerfen. Er betet, um die Irrwische der Sünden an sich zu locken – er liegt auf dem Kniee, aber wie das erste Glied, um auf den, der gegenübersteht, Feuer zu geben – er streckt freundschaftlich und warm die Arme aus, um jemand, z.B. einen Mündel, in die heißesten zu nehmen, aber nur wie der geheizte Moloch, um die Inlage zu Pulver zu brennen – oder er faltet die betenden Arme andächtig übereinander, wie es auch die sogenannten eisernen Jungfern tun, zum Zerschneiden. – –

Endlich sahen die unruhigen Freunde, daß man, gleich Dieben, am ersten bei gewissen Leuten vorkomme, wenn man sich nicht melden lässet: noch Sonntags abends um 8 Uhr schritten sie sans façon in das Haus des Herrn v. Blaise (oder deutsch: Blasius) hinein. Alles war still und öde: sie gingen über einen leeren Hausplatz in einen leeren Gesellschaftsaal, dessen halboffne Flügeltüre in die Hauskapelle sehen ließ. Sie erblickten durch die Fuge bloß sechs Stühle, auf deren jedem ein aufgeschlagenes umgestürztes Gesangbuch lag, und einen wachstuchenen Tisch mit Müllers »Himmlischem Seelenkuß« und Schlichthabers »Fünffachen Dispositionen auf alle Sonn- und Festtage«. Sie drückten sich durch die lange Ritze, und siehe, oben an der Tafel saß einsam der Heimlicher und setzte schlafend seine Andacht fort, mit der Federmütze unter dem Arm. Seine Haus- und Kirchendiener hatten ihm nämlich (und das geschah sonntäglich) so lange vorgelesen, bis ihn der Schlaf zu einem Petrefakt oder einer Salzsäule gehärtet hatte, weil ihm sowohl die gegessene als die getrunkene und die geistige Nahrung die Augen so schwer machte als den Kopf – oder auch, weil er wie alle Zuhörer unter dem Anwurf des göttlichen Samens gern die Augen zumachte, wie Leute, die sich pudern lassen – oder weil Hauskapellen und Hauptkirchen noch den alten Tempeln gleichen, worin man die Orakel-Belehrungen schlafend empfing. Alsdann lasen die Bedienten immer leiser, um ihn allmählich an das Verstummen zu gewöhnen. Dann ließ ihn die andächtige Dienerschaft in seiner betenden Richtung bis um 10 Uhr auf dem Stuhlbette angelehnt, und alles wanderte leise davon; um 10 Uhr (wo ohnehin die Frau Heimlicherin von Visiten wiederkam) schrie ihn der Hausküster mit Beistand des Nachtwächters durch ein grelles Amen auf einmal aus dem Schlafe, und er setzte wieder etwas auf den kalten Kopf. – –


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