Jean Paul
Siebenkäs
Jean Paul

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Am Tage vor dem Erdbeben und vor Lenettens Geburt ging Firmian nachmittags auf die Hebemaschine und das Schwungbrett seiner Seele, auf die alte Anhöhe, wo sein Heinrich ihn verlassen hatte. Sein Freund und seine Frau standen in bewölkten Bildern um seine Seele, er dachte daran, daß von Heinrichs Abschied bis jetzt ebenso viele Hauptspaltungen in seiner Ehe vorgefallen waren, als deren Moreri in der Kirche von den Aposteln bis zu Luthern aufzählt, nämlich 124. Harmlose, stille, frohe Arbeiter bahnten dem Frühling den Weg. Er war vor Gärten vorbeigegangen, deren Bäume man vom Moos und Herbstlaube entledigte, vor Bienen- und Weinstöcken, die man versetzte und ausreinigte, und vor den Abschnitzeln der Weiden. Die Sonne glänzte warm über die knospenvolle Gegend. Plötzlich war ihm – und Menschen von Phantasie begegnet es oft, und sie werden daher leichter schwärmerisch – als wohne sein Leben, statt in einem festen Herzen, in einer warmen, weichen Zähre, und sein beschwerter Geist dränge sich schwellend durch eine Kerker-Fuge hinaus und zerlaufe zu einem Tone, zu einer blauen Ätherwelle: »Ich will ihr an ihrem Geburttage vergeben (rief sein ganzes zergangenes Ich) – ich habe ihr wohl bisher zuviel getan.« Er beschloß, den Schulrat wieder ins Haus zu führen und den grillierten Kattun vorher und ihr mit beiden und mit einem neuen Nähkissen ein Geburttagangebinde zu machen. Er fassete seine Uhrkette an, und an ihr zog er das Mittel, den Elias- und Fausts-Mantel heraus, der ihn über alle Übel tragen konnte, nämlich wenn er den Mantel verkaufte. Er ging voll lauter Sonnenlicht in allen Ecken des Herzens nach Hause und gab der Uhr einen künstlichen Stillestand und sagte zu Lenetten, sie müsse zum Uhrmacher zur Reparatur. Sie war in der Tat bisher wie die obern Planeten am Anfange ihres Uhr-Tages rechtläufig, dann stehend, dann rückläufig gewesen. Er verdeckte ihr damit seine Projekte. Er trug sie selber auf einen Handelplatz, schlug sie los – so gewiß er wußte, er könne ohne ihr Pickern auf seinem Schreibtische nicht recht schreiben; wie nach Locke ein Edelmann nur in einem Zimmer tanzen konnte, worin ein alter Kasten stand –; und abends wurde das ausgelösete grillierte Bluthemd und Säetuch des Unkrauts ungesehen ins Haus geschafft. Firmian ging noch abends zum Schulrat und verkündigte ihm mit der neuen Wärme seines beredten Herzens alles, seinen Entschluß – den Geburttag – die Wiederkehr des Kattuns – die Bitte um einen Besuch – ein nahes Sterben und seine Ergebung in alles. Dem kranken Rat, den Abwesenheit oder Liebe, wie der Kalk die Schattenpartien der Freskobilder, bleicher genaget hatte, diesem wurde warmer Lebens-Odem eingehaucht, daß morgen wieder die lang entbehrte Stimme (Lenette hörte doch seine in der Kirche) den ganzen Saitenbezug seines Ich bewegen sollte.

Ich muß hier eine Verteidigung und eine Anklage einschichten. Jene geht meinen Helden an, der seinen Adelbrief der Ehre fast durch die Bitte an Stiefeln zu zerknüllen scheint; aber er will damit seiner gekränkten Gattin einen großen Gefallen tun, und sich einen kleinen. Es hälts nämlich der stärkste, wildeste Mann gegen das ewige weibliche Zürnen und Untergraben in die Länge nicht aus; um nur Ruhe und Frieden zu haben, lässet ein solcher, der vor der Ehe tausend Schwüre tat, er wollte darin seinen Willen durchsetzen, am Ende gern der Herrin ihren. Das übrige in Firmians Betragen brauch' ich nicht zu verteidigen, weils nicht möglich ist, sondern nur nötig. – Die Anklage, die ich verhieß, betrifft meine Mitarbeiter: darum nämlich, daß sie in ihren Romanen so weit von dieser Lebensbeschreibung oder von der Natur abweichen und die Trennungen und Vereinigungen der Menschen in so kurzen Zeiten möglich und wirklich machen, daß man mit einer Tertienuhr dabeistehen und es nachzählen kann. Aber ein Mensch reißet nicht auf einmal von einem teuern Menschen ab, sondern die Risse wechseln mit kleinen Bast- und Blumenankettungen, bis sich der lange Tausch zwischen Suchen und Fliehen mit gänzlicher Entfernung schliefet, und erst so werden wir arme Menschen – am ärmsten. Mit dem Vereinen der Seelen ists im ganzen ebenso. Wo auch zuweilen gleichsam ein unsichtbarer, unendlicher Arm uns plötzlich einem neuen Herzen entgegendrückt: da hatten wir doch dieses Herz schon lange unter den Heiligenbildern unserer Sehnsucht vertraulich gekannt und das Bild oft verhangen, und oft aufgedeckt und angebetet. –

Unserem Firmian wurd' es später abends wieder im einsamen Sorgestuhl unmöglich, mit aller seiner Liebe bis auf morgen zu warten: die Einsperrung selber machte sie immer wärmer, und als ihn seine alte Besorgnis, er sterbe noch vor der Tag- und Nachtgleiche am Schlage, befiel, erschrak er ungewöhnlich – nicht über den Tod, sondern über Lenettens Verlegenheit, wie sie für diese letzte Probe des Menschen, für die AnkerprobeDiese besteht darin, daß man den Anker auf ein tiefes, hartes Lager niederwirft. , die Stolgebühren erschwinge. Er hatte gerade Geld im Überfluß unter den Fingern; er sprang auf und lief noch nachts zum Vorsteher der Leichenlotterie, damit doch seine Frau bei seinem Tod 50 fl. erbte als Eingebrachtes, um damit seinen körperlichen Senkreiser hübsch mit Erde zu überlegen. Es ist mir nicht bewußt, wieviel er zahlte; ich bin aber dieser Verlegenheit schon gewohnt, die ein Romanschreiber, der jede beliebige Summe erdichten kann, gar nicht kennt, die aber einen wahrhaften Lebenbeschreiber ungemein belastet und aufhält, weil ein solcher Mann nichts hinschreiben darf, als was er mit Instrumenten und Briefgewölben befestigen kann.

Morgens am 11. Febr. oder am Sonnabend trat Firmian weich in die Stube, weil uns jede Erkrankung und Entkräftung, z.B. durch Blutverlust und Schmerzen, erweicht, und noch weicher, weil er einem sanften Tag' entgegenging. Man liebt viel stärker, wenn man eine Freude zu machen vorhat, als eine Stunde darauf, wenn man sie gemacht hat. Es war an diesem Morgen so windig, als hielten die Stürme ein Ringrennen und Ritterturnier, oder als verschickte der Äolus seine Winde aus Windbüchsen: viele dachten daher, entweder das Erdbeben hebe schon an, oder einer und der andere habe sich aus Furcht davor erhenkt. – Firmian traf in Lenettens Angesicht zwei Augen an, aus denen schon in dieser Frühe der warme Blutregen der Tränen auf den ersten Tag gefallen war. Sie hatte seine Liebe und seine Entschlüsse nicht im geringsten erraten, sie hatte gar nicht daran gedacht, sondern nur an folgendes: »Ach! seit meine Eltern verwesen, fraget niemand mehr nach dem Tage meiner Geburt.« Ihm schien es, als habe sie etwas im Sinne. Sie blickte ihm einigemal ausforschend ins Auge und schien etwas vorzuhaben; er verschob also die Ergießung seiner vollen Brust und die Entschleierung der kleinen Doppelgabe. Endlich trat sie langsam und errötend zu ihm und suchte verwirrt seine Hand in ihre zu bringen und sagte mit niedergeschlagnen Augen, in denen noch keine ganze Träne war: »Wir wollen uns heute versöhnen. Wenn du mir etwas zu Leide getan hast, so will ich dir von Herzen vergeben, und tu mir auch dergleichen.« Diese Anrede zerriß sein warmes Herz, und er konnte anfangs nur stocken und sie an den beklommenen Busen reißen und spät endlich sagen: »Vergib du nur – ach ich liebe dich doch mehr als du mich!« Und hier quollen, von tausend Erinnerungen der vorigen Tage gepresset, schwere heiße Tropfen aus dem vollen tiefen Herzen, wie tiefe Ströme träger ziehen. Verwundert blickte sie ihn an und sagte: »Wir söhnen uns also heute aus – und mein Geburttag ist heute auch, aber ich habe einen sehr betrübten Geburttag.« Jetzo erst hörte seine Vergessenheit des Angebindes auf, das er bringen wollte – er lief weg und brachte es, nämlich das Nähkissen, den Kattun und die Nachricht, daß Stiefel abends komme. Nun erst fing sie an zu weinen und fragte: »Ach, das hast du schon gestern getan? und meinen Geburttag gewußt? – Recht von ganzem Herzen dank' ich dir, besonders für das schöne – Nähkissen. Ich dachte nicht, daß du an meinen schlechten Geburttag denken würdest.« – Seine männlich-schöne Seele, die nicht, wie eine weibliche, ihren Enthusiasmus bewacht, sagt' ihr alles heraus und seinen Eintritt in die Leichenlotterie, den er gestern getan, damit sie ihn wohlfeiler unter die Erde brächte. Ihre Rührung wurde so groß und sichtbar wie seine. »Nein, nein«, sagte sie endlich, »Gott wird dich behüten – aber den heutigen Tag, wenn wir den nur überleben. Was sagt denn der Hr. Rat zum Erdbeben?« – »Das lasse gut sein – daß keines kommt, sagt' er«, sagte Firmian.

Er ließ sie ungern los vom erwärmten Herzen. Solang er nicht im Freien ging – denn Schreiben war ihm unmöglich –, schauete er ihr unaufhörlich ins helle Angesicht, aus dem sich alle Wolken verzogen. Er brauchte einen alten Kunstgriff gegen sich – den ich ihm abgelernt –, daß er, um einem guten Menschen recht sehr gut zu sein und alles zu vergeben, ihm lange ins Angesicht schauete. Denn auf einem Menschenangesicht finden wir, ich und er, wenn es alt ist, das Griff- und Zählbrett harter Schmerzen, die so rauh darüber gingen; und wenn es jung ist, so kommt es uns als ein blühendes Beet am Abhange eines Vulkanes vor, dessen nächste Erschütterungen das Beet zerreißen. – Ach, entweder die Zukunft oder die Vergangenheit stehen in jedem Gesicht und machen uns, wenn nicht wehmütig, doch sanftmütig.

Firmian hätte gern den ganzen Tag – zumal eh' der Abend kam – seine wiedergefundne Lenette am Herzen, und seine frohen Tränen im Auge behalten; aber bei ihr waren Geschäfte Pausen, und die Tränendrüsen samt dem Herzen Hungerquellen. Übrigens hatte sie nicht einmal den Mut, ihn über die metallische Quelle dieses goldführenden Baches zu fragen, auf dessen sanfter Wiege sie heute schwankte. Aber der Mann entdeckte ihr gern das Geheimnis der verkauften Uhr. – – Heute war die Ehe, was die Vor-Ehe ist, ein Cembal d'Amour, das zwei Sangböden umgeben, die statt der Saiten deren Wohllaut verdoppeln. Der ganze Tag war als ein Ausschnitt aus dem klaren Mond gehoben, den kein Dunstkreis überschleiert; oder aus der zweiten Welt, worein sogar aus jenem die Mondeinwohner ziehen. Lenette wurde durch ihre Morgenwärme einem sogenannten bemoosten Veilchensteinchen gleich, das die Düfte eines verkleinerten Blumenbeets austeilt, wenn man es nur wärmer reibt.

Abends erschien endlich der Rat, verlegen-zitternd, ein wenig stolz-aussehend, aber unvermögend, als er Lenetten gratulieren wollte, es zu tun vor Tränen, die ebensosehr in seiner Kehle als in seinen Augen standen. Seine Verwirrung verbarg die fremde. Endlich verging der undurchsichtige Nebel zwischen ihnen, und sie konnten sich sehen. Dann wurde man recht froh: Firmian nötigte sich die Zufriedenheit ab, und den beiden andern flog sie frei in die Brust.

Über drei besänftigte, getröstete Herzen zogen die gefüllten Gewitterwolken nicht mehr so tief wie sonst – der weichende drohende Komet der Zukunft hatte sein Schwert verloren und floh schon heller und weißer ins Blaue hinaus, vor lichtern Sternbildern vorbei. – Abends schickte noch Leibgeber einen kurzen Brief, dessen beglückende Zeilen den Abend unsers Lieblings und das nächste Kapitel schmücken. –

Und so wurden an den Gehirnkammern des dreifachen Bundes – wie noch eben jetzt an des Lesern seinen – die eiligen, laufenden, zitternden Blumenstücke der Phantasie zu wachsenden, regen Freudenblumen, wie der Fieberkranke die wankenden Bett-Blumen seines Vorhangs für beseelte Gestalten nimmt. Wahrlich, die Winternacht wollte, gleich einer Sommernacht, kaum erlöschen und erkalten an ihrem Horizont, und als sie um 12 Uhr voneinander schieden, sagten sie: »Wir waren doch alle recht herzlich vergnügt.«


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