Jean Paul
Siebenkäs
Jean Paul

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Aber an eben diesem Morgen kam der Perückenmacher herauf, den er allemal mit dem größten Vergnügen sah – heute aber nicht, denn gestern, am Martinitag, war der Quatemberschoß der Hausmiete bekanntlich gefällig gewesen. Der Friseur präsentierte sich gleichsam als einen stummen Wechsel auf Sicht; aber er foderte höflich nichts, sondern meldete bloß: den Montag vor Andreas sei öffentliche Versteigerung von vielen Sachen, und wenn er etwan etwas dazu zusammensuchen wolle: so woll' er als beständiger vom Groß- und Kleinen-Rat bestallter Verauktionierung-Proklamator es ihm hiemit gemeldet haben.

Er war kaum die Treppe wieder hinab, so gab Lenette die größten, aber leisesten Zeichen des Kummers von sich, »daß er sie gemahnt habe, und daß nun alle Leute im Hause ihr unordentliches Haushalten wüßten, weil er von Möbeln geredet.« Es war unbegreiflich, wie nur die Frau hoffen konnte, daß bisher niemand es gemerkt habe, da Arme die Armut am ersten erraten. Indes hatte sich doch auch Firmian geschämt, zum Friseur zu sagen, er habe sich bisher das Bestallungschreiben eines Auktionators seiner eignen Möbeln zugefertigt. Hier fühlte er, daß er vor einer Person und vor Armen mehr über seine Dürftigkeit erröte als vor einer ganzen Stadt und vor Reichen – und er fuhr zornig auf über die verdammten Wind-Versetzungen der menschlichen Eitelkeit in die edelsten Teile. –

Sogar dem Leser kann der mit lauter Distelköpfen eingefaßte Weg zum Andreastage nicht länger vorkommen als meinem Helden, der noch dazu die Distelköpfe insgesamt anfassen und ausreißen mußte; sein Garten des Lebens glich immer mehr einem guten englischen, worin nur stachlichte und leere, aber keine Obstbäume gelitten werden.

Jeden Abend, wenn er das Schloß am Gitterbette aufdrückte, sagt' er äußerst vergnügt zu seiner Lenette: »Jetzt sind nur noch 20 (oder 19, oder 18, oder 17) Tage hin auf das Schwenkschießen.« Aber nun hatte der Haarkräusler und Versteigerungausrufer Lenetten – obgleich die Abende lang und dunkel und vortrefflich für arme Pfandherren waren und den verschämten nackten Jammer der armen Leute zudeckten – gänzlich verderbt; sie schämte sich vor den Leuten im Hause. Firmian, der sich über die Unerschöpflichkeit seines Kopfes und seines Hauses zugleich verwunderte und der immer zu sich sagte: »Ich bin doch neugierig darauf, was mir heute wieder beifallen wird, und wie ich mich aus dieser Affäre ziehe« – Firmian hatte einige Tage nach dem Martini-Essen wieder zwei gute Möbeln im Vorschlag, einen langen Stechheber und ein breites großes Schaukelpferd (von seiner Kindheit). »Wir haben weder ein Faß noch ein Kind«, sagte er dazu; aber die Frau bat ihn um Gottes willen: »Das Schaukelpferd (sagte sie, als es in den Pfandstall gezogen werden sollte) und der Stechheber stechen zu weit aus der Schürze und aus dem Korbe heraus, und im Mondschein kanns jeder sehen – tu mir um Gottes willen die Schande nicht an!«

Und doch mußte etwas fort; Firmian sagte in einer sonderbaren, schneidenden und gerührten Laune: »Sein muß es – das Schicksal trommelt wie PrizelMan muß gelesen haben, daß Prizelius Bataillenpferde an die trommelnde Schlacht so gewöhnt, daß er ihren Hafer auf die Trommel schüttet und auf deren zweitem Felle unten trommelt, während sie vom ersten das hüpfende Futter fressen. unten auf der Trommel, und der Hafer springt in die Höhe – wir müssen aber einmal vom Trommelfelle fressen.«

»Alles«, sagte sie erschöpft, »nur nichts Bauschendes – laß mich selber suchen.« Sie suchte, zog die oberste Schublade der Kommode und hob einen Strauß von italienischen Blumen empor und sagte: »lieber das da!« und weinte nicht und lächelte nicht. Er hatt' es oft gesehen, aber da er ihrs selber am vorigen Neujahr- und Verlobungtage als seiner Verlobten geschenkt hatte, und da es so romantisch schön war – eine weiße Rose, zwei rote Rosenknospen und ein Einfaßgewächse von Vergißmeinnicht setzten den bunten Nachschatten einer abgewelkten Flora zusammen –, so hatten sich alle Fibern seines empfindlichen Herzens vor der Entäußerung dieses bunten Schaugerichts aus einer reichern frohern Zeit gesträubt. Dieses verzichtende, duldsame Hingeben des Nachflors an ihrer Brust erschütterte die seinige, als wenn tausend große Seufzer sich darin drängten. – »Lenette! (sagt' er, unendlich erweicht) es sind ja die Blumen bei unserer Verlobung.« –

»Aber wer wird sie viel kennen? (sagte sie froh und kalt). Und sie sind doch nicht so groß wie andere Sachen.«

»Hast du es denn vergessen«, stammelte er, »wie ich dir damals die Bedeutung des Straußes erklärte?« –

»Ei, die Vergißmeinnicht (sagte sie noch kälter und über ihr Gedächtnis erfreuet) wollen sagen, daß ich dein nicht vergesse und du mein nicht – die Knospen bedeuten Freude – nein, die Knospen bedeuten die Freude, die noch nicht ganz da ist – und die weiße Rose – das weiß ich wahrhaftig selber nicht mehr.«...

»Schmerz bedeutet sie (sagte er hingerissen), Unschuld und Gram und ein bleiches weißes Angesicht bedeutet sie.« Er fiel ihr weinend um den Hals und rief es beinahe: »Du Gute! du Gute! ich kann ja nichts dafür – ich wollte dir gerne alles geben, aber ich habe nichts.«...

Er hörte plötzlich auf, denn sie hatte unter der Umarmung das Schubfach in die Kommode zurückgedrückt und sah ihn mit hellen sanften Augen an, in denen keine einzige Träne war. Sie fuhr im Tone der vorigen Bitte und mit einer größern Hoffnung fort: »Nicht wahr, ich behalte den Heber und das Pferd? – Und für den Strauß bekommen wir auch mehr.« – Er sagte in einem fort und in immer weichern Tönen: »Lenette! – beste Lenette!« –

»Warum denn nicht?« fragte sie immer sanfter; denn sie verstand ihn nicht. »Lieber den Rock vom Leibe versetzt!« antwortet' er. Aber da sie jetzo besorgte, er ziel' auf ihr grilliertes Trauerkleid, und da sie eben darum in Rührung kam – und da sie auf einmal die wärmsten Predigten gegen alles Verpfänden großer Möbeln hielt – und da er so klar ersah, ihre vorige Kälte sei keine künstliche: so wußt' er leider alles, so wußt' er das Herbste, was kein Philosoph mit seinen süßen Tropfen mildern und versetzen kann – – nämlich:

entweder sie lieb' ihn nicht mehr, oder sie hab' ihn nie geliebt.

Nun waren die Flechsen seinen Armen entzweigeschnitten, die sonst das Unglück wegstemmten; er konnte in der Entkräftung des (geistigen) Faulfiebers nichts sagen als das: »Mache, was du willt; mir gilts nun gleich.« – Darüber ging sie froh und eilig hinaus zur alten Sabel, kam aber sogleich wieder zurück. Dies war ihm lieb, er konnte, seit drei Augenblicken viel tiefer vom Schmerze angefressen, noch das Bittere mit den ruhigen Worten nachholen: »Lege doch dein Myrtenkränzchen mit zum Blumenstrauß: so fällt er etwas mehr ins Geld und Gewicht, da das Kränzchen wirklich so schön gearbeitet ist als meine welschen Blumen nimmermehr.«

»Mein Brautkränzchen?« rief Lenette, zornig errötend, und zwei harte Tränen entschossen ihr, »nein, das geb ich absolut nicht her, ich nehm' es in den Sarg mit, wie meine selige Mutter. – Hast du es nicht selber an meinem Ehrentage in die Hand genommen, da ichs unter dem Frisieren heruntergetan und auf den Tisch gelegt, und hast selber gesagt, es sei dir so wichtig (ich habe die Worte genau gemerkt), ja lieber als die Trauung? Nein, ich bin und bleibe deine Frau und halte das Kränzchen wie mein Leben fest.«

Jetzt bewegte sich sein Herz ganz anders und sehr nach dem ihrigen zu; er versteckte es aber hinter die Frage, warum sie so bald wiedergekommen. Die alte Sabel – hörte er nun – war nämlich bei dem Buchbinder gesessen; bei diesem wieder der Venner von Meyern, der gewohnt war, vom Pferde abzusteigen und teils beim Buchbinder nachzusehen, welche Neuigkeiten die Damen da binden ließen und wie bunt broschieren, teils beim Schuhflicker das Bein mit dem Reitstiefel auf die Werkstatt zu stellen und eine Stulpe fester nähen zu lassen und nach allerlei zu fragen. Die Welt – was doch nichts anders heißen kann als so viele fleißige Zungendrescherinnen, als Kuhschnappel für seine tauben Ähren aufzuweisen hat – kann allerdings aus allem mutmaßen wollen, der Venner sei ein wirklicher Heinrich der Vogelsteller für mehr als eine Frau im Hause, welches letzte wieder für ihn eine weibliche Volière sei; aber ich verlange Beweise. Lenette ließ sich hingegen auf keine ein, sondern ergriff ohne weiteres eine fromme Flucht vor dem Vogelsteller Rosa.

Mit keiner sonderlichen Schamröte über die Wandelbarkeit des Menschenherzens erzähl' ich weiter, daß jetzo Firmians zusammengedrückte Brusthöhle um viele Zolle weiter wurde und geräumig für ein bedeutendes Vergnügen, bloß weil Lenette ihr Hochzeitkränzchen so fest gehalten und bei dem Venner so kurz ausgehalten; – »sie ist doch treu, wenn nicht warm, oder am Ende wohl gar warm«, sagte er sich. Er ließ ihr daher mit Freude ihren Willen und seinen dazu, das Kränzchen in Haus und Herz zu behalten. Darauf ließ er ihr, wenn auch weniger freudig, ohne weitern Strauß über den Strauß, den andern Willen, der nicht ihr Gefühl versehrte, sondern nur seines; die kleine Gedächtnis-Staude wurde bei einer höflichen Frau, die den Titel Taxatrizin führte, unter dem Schwure verpfändet, sie mit dem ersten Taler, der am Andreastage von der Vogelstange falle, einzulösen. – –

Das Blutgeld des seidenen Gebüsches wurde so zerstückt, daß man es in den kotigen Weg bis zum Sonntage vor dem Schwenkschießen gleichsam als Steinchen zum Auftreten werfen konnte. Dieser Sonntag (27. Nov. 1785) war vor dem Montag, auf welchen die Versteigerung anberaumet war – den Mittwoch steht er (hofft' er) und wir alle (hoff' ich) an der Vogelstange gewiß.

Freilich am Sonntage mußt' er durch einen von mehren Gewittern angelaufnen Strom hindurch; wir wollen alle nach; aber ich sage voraus, in der Mitte ists tief.

Der Magen seines innern Menschen zeigte einen unglaublichen Ekel und eine umgekehrte peristaltische Bewegung gegen alles Verpfänden seit der Blumenaffäre. Die Sache war: er konnte die Frau auf nichts mehr verweisen – anfangs verwies er sie auf die Vogelstange – dann, als Mörser und Sessel die Festung ohne Sang und Klang geräumet hatten, Dinge, die nicht als Schützen-Preise um den Vogel hingen, da verwies er sie auf öffentliche Versteigerungen, worin er alles um halbes Geld zu erstehen sich getraue – zuletzt verwies er zwar immer auf jene, aber nicht um Passiv-, sondern um Aktivhandel darin zu treiben und ihnen Fabrikate nicht sowohl abzunehmen als zuzuführen, worin Spanien hinter ihm bleibt.

Oft wird der Sieger über große Beleidigungen von der kleinsten übermannt; ebenso ists mit unsern Schmerzen: die harte feste Brust, auf welche eine qualenvolle Vergangenheit vergeblich drückte, bricht oft, wie ein lang überspültes Eis, unter dem leichtesten Fußtritt des Schicksals ein. Er hatte bisher sich ganz gut aufrecht gehalten und seine Landfracht ungebückt getragen und froher als viele. Er hatte bisher den Henker nach allem gefragt. Hatt' er sich nicht (um nur einiges anzuführen) im Anzuge über den deutschen Kaiser gesetzt, der (sagt' er) an seinem Ehrentage in Frankfurt nichts anzuziehen habe als einen entsetzlich-alten, von Karl abgelegten Kaiserrock, nicht viel besser als Rabelais' alter, indes seiner um viele Jahrhunderte jünger sei als der kaiserliche? Hatt' er nicht seiner Frau, da sie trübe seinen perennierenden überständigen Kleiderflor überschauete, zugemutet, sich vorzustellen, er diene mit tausend andern Ansbachern in der neuen Welt und das Schiff, das ihnen neue Monturen zuzufahren habe, werde gekapert, so daß die ganze Mannschaft nichts anzuziehen behielte, als was sie hatte ablegen wollen? – Und er fußte seit langem auf etwas Besseres – offenbar auf echte Apathie – als auf sein einziges Stiefelpaar, das sich durch zweimaliges Vorschuhen wie ein Taschenperspektiv oder eine Posaune zusammengeschoben hatte zu guten Halbstiefeln, so wie die lange Kultur auch die deutschen Körper um vieles abkürzte und aus diesem Langgewehr Kurzgewehr machte.


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