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Im Jahre 1795, nachdem Preußen, sich von Österreich trennend, Friede mit Frankreich geschlossen hatte, erschien unter vielen Flugschriften, die die Erregung des Publikums über diesen Abfall spiegelten, eine unter dem Titel: Deutschland und Polen. Eine Rhapsodie. Es wurde darin, wie schon Hipolythus a Lapide getan hatte, die Verfassung des Reiches mit der Polens verglichen und auf die drohende Auflösung des Reiches, der Polens ähnlich, hingewiesen. »Die berühmte deutsche Freiheit«, hieß es da, »ist in Gesetzlosigkeit und Anarchie, in Nichtachtung der Reichsgesetze und -schlüsse ausgeartet; sie ist, wie die polnische, beim Lichte betrachtet, nicht mehr und nicht weniger als das traurige Recht der Aristokratie, d. h. des reichsständischen und des übrigen hohen und niederen Adels, die Untertanen wie Sklaven zu behandeln, auch in den dringendsten Gefahren nichts zum Besten des Vaterlandes beizutragen, und es durch Fortsetzung des Druckes und Mißbrauchs zugrunde zu richten.«
Durch jahrhundertlange, hartnäckige Bemühungen war es den Fürsten gelungen, das Band der Einheit, die kaiserliche Macht, so zu schwächen, daß das Reich der Auflösung nahe war. Ein Geruch der Verwesung ging von dem einst so imposanten Staatsgebilde aus, wie er seit einem Jahrhundert von Polen ausgegangen war, und drängte den Zeitgenossen den Gedanken an das Schicksal Polens auf. Schon der alte Staatsrechtslehrer Joh. Jak. Moser fand die Konfusion im Reiche ärger als die in Polen herrschende. Die Teilung Polens, hatte Maria Theresia gesagt, werde die Ursache alles Unglücks sein, das die österreichische Monarchie betreffen werde. Gewiß ist, daß diese häßliche Tat den Untergang des alten Europa einleitete. Zu allen Zeiten haben gewalttätige Handlungen, die im Privatleben jeder als unmoralisch und unzulässig bezeichnen würde, im Verkehr der Staaten stattgefunden, ohne von einem anderen als dem leidenden Teil getadelt zu werden; mit der Teilung Polens war eine Grenze überschritten, die, wenn sie nicht begrifflich festgesetzt werden kann, doch gefühlsmäßig anerkannt wird. Daß Friedrich der Große Maria Theresia, die in ihrem Besitz zu schützen er verbunden war, in einem Augenblick überfiel, wo sie schwach, von allen verlassen, des Schutzes am meisten bedurfte, war gewiß nicht ritterlich; aber zu Ritterlichkeit braucht sich ein Staatsmann nicht verpflichtet zu fühlen. Mit der Teilung Polens war es etwas anderes; sie hatte etwas Henkermäßiges an sich, etwas, was an die unwiderstehliche Gier des Raubtiers erinnert, die am Tier natürlich, am Menschen widerwärtig ist.
Es ist, als ob die Teilung Polens eine Hemmung entfernt hätte, durch welche die Herrscher bis dahin zur Aufrechterhaltung des Scheins menschlicher Würde gezwungen worden wären. Mehr und mehr überließen sie sich ohne Scham einer hyänenhaften Raubgier, die dadurch etwas unnatürlich Abstoßendes hatte, daß sie sich auf die eigenen Verwandten und Gefährten warf. Polen war von den Nachbarn zerrissen, das Reich zerfleischte sich selbst, seine Glieder fraßen sich gegenseitig.
Zur Zeit, als das revolutionäre Frankreich es angriff, war das Reich, wenn man die Kräfte seiner Glieder summierte, keineswegs schwach. Gottlob Benedikt von Schirach, der sich mit statistischen Untersuchungen beschäftigte, nahm im Jahre 1785 an, daß die Einkünfte von Österreich, Preußen, Sachsen und Pfalz-Bayern zusammen soviel ausmachten wie die von Frankreich. Deutsche selbst hatten das Bewußtsein, daß sie unwiderstehlich, Feinde Deutschlands, daß sie sehr gefährlich sein würden, wenn sie einig wären; aber sie waren so uneinig, daß sie sich über die bevorstehende Auflösung des Reiches nicht täuschen konnten. Das innige Einverständnis der Stände mit dem Reichsoberhaupt, von dem man beständig gesprochen und geschrieben hatte, war niemals wirklich gewesen; es war vollends zerstört, seit durch die Handlungsweise Friedrichs des Großen die Beziehungen zwischen den beiden mächtigsten Ständen, zwischen Österreich und Preußen, in unversöhnliche Feindschaft ausgeartet waren. Die entgegenkommende Haltung Josephs II. hatte Friedrichs Haß nicht gemildert, seine Politik, keine Vergrößerung Österreichs zu dulden, nicht gemäßigt. Die überkommene rebellische Haltung der Fürsten gegen das Reichsoberhaupt nahm in Friedrich einen anderen Charakter an: in seinen Augen hatte die ganze Reichsverfassung kein Dasein mehr, diese Vogelscheuche war kaum eines Fußtritts wert. Verstärkt allerdings durfte die kaiserliche Macht nicht werden, an einem derartigen Unterfangen mußte Joseph so energisch verhindert werden, wie das unglückliche Polen an jeder Reform verhindert wurde, die es wieder lebensfähig gemacht hätte.
Man könnte denken, Friedrich habe selbst nach der Kaiserwürde getrachtet; denn seit der Zeit Gustav Adolfs war der Gedanke an ein protestantisches, norddeutsches Kaisertum vorhanden und tauchte auch, so phantastisch es schien, in Preußen von Zeit zu Zeit auf. Allein für Friedrich kam das Kaisertum überhaupt nicht in Betracht, weil ihn nur Preußen interessierte. Er haßte Österreich, weil es mächtiger war als Preußen, und mißgönnte ihm die Kaiserwürde, weil es durch diese einen gewissen Einfluß auf das Reich hatte und sie insofern eine Machtvergrößerung bedeutete; aber es lag ihm doch der Wunsch fern, selbst das Kaisertum und seine Pflichten zu übernehmen. Die Vereinigung Bayerns mit Österreich, die für das Reich nützlich gewesen wäre, wollte Friedrich nicht, weil Frankreich, mit dem Bayern so oft verräterisch verbunden war, dadurch der Weg ins Herz der österreichischen Erblande erschwert wäre, so sagte ganz unbefangen ein preußischer Staatsmann. Das Reich war Friedrich so gleichgültig, daß er es im Interesse Frankreichs geschwächt und gefährdet wünschte. Als er den Fürstenbund gründete, warnte er die ausländischen Mächte vor der Gefahr, die ein unter einem starken Kaiser geeintes Deutschland für sie bedeuten würde.
Die feindselige Einstellung Friedrichs II. gegen Österreich ging auf seinen Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., über, besonders hielten seine Minister und hohen Beamten sie fest. Friedrich Wilhelm II., der sich damit einführte, daß er im Gegensatz zu seinem Vorgänger sich mit Deutschen anstatt mit Franzosen umgab und die Religion stützen zu wollen erklärte, unterbrach die hergebrachte Politik durch einen angeborenen Hang, sich ritterlich, großmütig und großartig dazustehen; aber da dieser Hang nicht echt und kräftig genug war, um sich durchzusetzen, verwirrte und trübte er sie nur, ohne ihre Richtung zu ändern. Er brachte es dazu, daß Preußen im Verein mit Österreich Krieg gegen das revolutionäre Frankreich führte, um die königliche Familie zu retten und um das Eindringen jakobinischer Weltanschauung in die monarchischen Staaten zu verhindern; aber die Leitsterne der Politik blieben das Trachten nach Vergrößerung durch möglichst große Teile von Polen und die Angst, daß Rußland und Österreich sich noch mehr oder ebensosehr vergrößern könnten. Nicht einmal wurde das königsmörderische Frankreich mit vollem Herzen bekämpft; denn die Jakobiner konnten abtreten, Frankreich blieb die Macht, mit der Preußen sich so gern gegen Österreich verbunden hätte.
Das angstvolle Schielen nach Rußland, das seinerseits Preußen in den westlichen Krieg hetzte, um inzwischen ungestört sich Polens bemächtigen zu können, der versteckte Gedanke, daß es besser sei, mit Frankreich gegen Österreich als mit Österreich gegen Frankreich zu kämpfen, bewirkte zuerst eine nachlässige und verworrene Kriegführung und schließlich den Abfall von dem Bündnis mit Österreich und den Frieden mit Frankreich, der im Jahre 1795 zu Basel abgeschlossen wurde. Der polnische Aufstand, der unter Anführung Koszinskis heldenmütig und geraume Zeit sogar glücklich geführt wurde, gab Preußen den willkommenen Anlaß, den Krieg im Westen abzubrechen, sich auf die um ihr Dasein kämpfenden Polen zustürzen und sich den Anteil an dem letzten noch übriggebliebenen Stück dieses unglücklichen Landes zu verdienen.
In einem geheimen Artikel des Friedens von Basel hatte sich Preußen damit einverstanden erklärt, daß die deutschen Länder links des Rheins an Frankreich abgetreten würden, und es war bereits vorgesehen, daß diejenigen Reichsfürsten, die dadurch Verluste erlitten, mit Reichsgebiet entschädigt werden würden, und zwar solle dies durch Säkularisation geistlicher Fürstentümer gewonnen werden. Es war ein Gedanke, mit dem schon Friedrich der Große umgegangen war; er hatte für die Protestanten überhaupt etwas Einleuchtendes.
Die geistlichen Fürsten waren im allgemeinen, wenn auch durchaus nicht ausnahmslos, Anhänger des Kaisers; die Idee des Reichs hing so sehr mit ihrem Dasein zusammen, daß dem Kaiser an ihrer Erhaltung gelegen sein mußte. Auch verstand sich Franz II. nur ungern zur Preisgabe des linken Rheinufers und der geistlichen Staaten; aber das unwiderstehlich anziehende und unwiderstehlich niederwerfende Auftreten Bonapartes zwang ihn nach vergeblichen Kämpfen zum Nachgeben.
Die Losung der Entschädigung durch Säkularisation entfesselte eine beispiellose Treibjagd im Reich. Im Fürstenbunde, der gegründet war, um eine Machtvergrößerung Österreichs zu verhindern, war die Erhaltung der Reichsverfassung als Grundsatz angenommen; er wurde bedenkenlos beiseite geworfen, als es sich um eigene Vergrößerung handelte. Vom Rechte der geistlichen Reichsstände war nicht die Rede; sie sahen ihre Ohnmacht der allgemeinen Habgier gegenüber selbst ein und traten in würdiger Haltung zurück, nachdem ihnen die Mittel zur Führung eines angemessenen privaten Daseins zugesichert waren. Um den Schein des Rechtes zu wahren, wurde eine Kommission von Reichstagsabgeordneten eingesetzt, welche über die Entschädigungen beschließen sollten; tatsächlich hing die Verteilung von dem Sieger Bonaparte ab, der sich seiner Macht bald mit gewinnender Liebenswürdigkeit, bald mit beleidigender Brutalität bediente. Um ihn drängten sich die Beutegierigen als Bittsteller. Die deutschen Fürsten, die sich zu erhaben dünkten, um auf ihren Kaiser Rücksicht zu nehmen, geschweige denn, daß sie sich ihm untergeordnet hätten, die sich ihren Untertanen gegenüber in der Stellung von Halbgöttern gefielen, krochen wie Hunde vor dem fremden Eroberer. Winselnd und schweifwedelnd umdrängte ihn die Meute, um mit möglichst großen Bissen begnadet zu werden; die Verachtung, die ihnen zuteil wurde, ließen sie sich gefallen. Nach der Schlacht bei Austerlitz schrieb Friedrich von Württemberg an Napoleon, damals schon Kaiser, glückwünschend: »Meine Freude über dies Ereignis ist zu groß, als daß ich Sie quälen möchte mit Klagen über die kleinlichen Stänkereien des Regensburger Reichstages, den Sie so treffend ein Affenhaus genannt haben, und in dem auch ich in gegenwärtiger Lage ebenso das lächerliche wie das bösartige Wesen dieser Tiere verkörpert finde.«
Zur Zeit der Kaiserwahl Karls V. hatte Franz I. gesagt, als sein Gesandter sich über die Habgier Joachims I. von Brandenburg entrüstete, der Markgraf solle durchaus gesättigt werden. So verfolgte jetzt Frankreich die Politik, Preußen zu begünstigen und ihm möglichst viel zuzuwenden, um es gegen Österreich gebrauchen zu können. Für 48 Quadratmeilen, die es am linken Rheinufer eingebüßt hatte, erhielt es 230 Quadratmeilen mit einer Einnahme von vier Millionen Gulden anstatt ein und einer halben. Der Lockung, das mit England verbundene Hannover als Geschenk aus Napoleons Händen anzunehmen, widerstand Preußen nur eine Weile. Da im Fortgang der Säkularisationen es den Fürsten wünschenswert erschien, auch die Reichsstädte einzuziehen, entstand in Preußen das Begehren nach den Hansestädten und nach Nürnberg, und sogleich bemächtigte es sich auch eines Teils des Gebietes der fränkischen Stadt. Mit Nürnberg und Danzig, meinte man in Preußen, könne Preußen die erste Handelsmacht des Kontinents werden. Überhaupt fing Preußen an, die ihm zugesprochenen Landesteile zu besetzen, bevor noch der Beschluß gesetzeskräftig geworden war, und andere folgten seinem Beispiel. Das Reich fiel auseinander.
Franz II., der Sohn Leopolds II., hatte weder die Herrschergaben seiner Großmutter Maria Theresia, noch die Ideenfülle und den leidenschaftlichen Willen Josephs II., noch die überlegene politische Klugheit seines Vaters; aber er stand doch so weit in der Tradition, daß er nicht nur als Dynast von Österreich, sondern auch als Kaiser des Reiches handelte. Solange es möglich war, bemühte er sich, dem furchtbaren Reichsfeinde Widerstand zu leisten, der in der Person Napoleons erschienen war, und besiegt und zum Frieden gezwungen, behielt er gleichsam einen Fuß im Steigbügel, um sich wieder aufs Kriegsroß zu schwingen. Als Napoleon sich zum Kaiser machte und die Anerkennung des Titels verlangte, geriet er in die schwierigste Lage. Konnte es zwei westliche Kaiser, zwei Nachfolger Karls des Großen geben? Da er die Anerkennung nicht versagen konnte, hätte er die Krone niederlegen können; aber er zögerte, das zu tun. Immerhin drängte sich die Möglichkeit, die Kaiserwürde könne auf ein anderes Haupt übergehen, so unwidersprechlich auf, daß er sich als Herr der österreichischen Gesamtmonarchie den Kaisertitel beilegte. Die Erbkaiserwürde, die er damit erwarb, wenn sie auch des Schimmers altgeheiligter Überlieferung und ruhmvoller Erinnerungen entbehrte, sicherte ihm ein festes Fundament seines Ansehns, wenn das alte, schon erschütterte, zusammenbrach. Dieser Zeitpunkt war nah und vollzog sich in einer schmählicheren Weise, als selbst nach vorausgegangenen Erfahrungen vorauszusehen war.
Der Kurfürst von Mainz, Karl Theodor von Dalberg, der als Erzkanzler des Reiches zur vornehmsten Stütze des Kaisers berufen war, schrieb dem französischen Gesandten, die Verfassung des Deutschen Reiches bedürfe durchaus der Erneuerung. Die könne nur ein großartiger Charakter unternehmen, der den Gesetzen ihre Kraft wiedergebe, indem er die vollziehende Gewalt in seiner Hand konzentriere. Der Kaiser von Österreich, Franz II., sei als Privatmann achtungswert, aber das Zepter sei seiner Hand entfallen. Er habe jetzt die Majorität des Reichstages gegen sich, weil er die Wahlkapitulation verletzt habe, indem er Bayern besetzt, die Russen ins Reich geführt und Teile von Deutschland losgerissen habe. Könnte er doch Kaiser des Orients werden, um den Russen zu widerstehen, während das Okzidentalische Reich unter Kaiser Napoleon wieder auferstehe wie unter Karl dem Großen, zusammengesetzt aus Italien, Frankreich und Deutschland. Die Wiederherstellung der deutschen Verfassung habe von jeher in den Wünschen des Erzkanzlers gelegen; er sei der Meinung, daß die Keime der deutschen Regeneration sich bald entwickeln würden, wenn Seine Majestät der Kaiser Napoleon jedes Jahr für einige Wochen in Mainz oder anderswo sich mit den ihm ergebenen Fürsten vereinigen könnte.
Außer dem Erzkanzler selbst waren die namhaftesten Napoleon ergebenen Fürsten die Kurfürsten von Bayern und Württemberg und der Markgraf von Baden, die von ihrem erwählten Herrn zu Königen beziehungsweise zum Großherzog befördert wurden. Der Brief des Erzkanzlers gab den Anlaß zur förmlichen Gründung des schon vorbereiteten Rheinbundes, der im Jahre 1808 vier Könige, fünf Großherzoge und fünfundzwanzig Herzoge und Fürsten umfaßte. Die Akte über die Bildung des Rheinbundes wurde dem Regensburger Reichstage mitgeteilt; Bayern, Württemberg und Baden erklärten darin ihren Austritt aus dem Reichsverbande und begründeten ihn damit, daß sie in demselben keinen Schutz mehr gefunden hätten. Sie hätten sich deshalb eines Schutzes versichert, wozu sich der mächtige Monarch verbinde, dessen Absichten sich stets mit dem wahren Interesse Deutschlands übereinstimmend gezeigt hätten. »Diese Transaktion«, schrieb Talleyrand seinem Kaiser, »ist die erstaunlichste, die die Welt seit fünf Jahrhunderten gesehen hat; sie hat die Auflösung eines uralten Reiches im Gefolge und vollendet ein anderes, das im Genie seines Gründers die Bürgschaft seiner Dauer hat.«
Alle Gewalttaten und Beleidigungen, die von Frankreich dem deutschen Reiche zugefügt wurden, selbst die krasse Gebietsverletzung durch die Entführung des Herzogs von Enghien, wurden vom Regensburger Reichstag stillschweigend hingenommen; nur eine einzige Stimme erhob sich unausbleiblich zürnend und protestierend, um die Ehre des Reiches zu wahren, die Gustavs IV., Königs von Schweden, der für Vorpommern die Reichsstandschaft besaß, sehr zum Schrecken der übrigen Abgeordneten, die sich lieber unauffällig geduckt hätten. Bei der Gelegenheit der Rheinbundsgründung erinnerte das Enfant terrible des Reichstages an den Eid, den die Kurfürsten auf die Reichs Verfassung geschworen hätten, und erklärte es unter seiner Würde, länger an einer Versammlung teilzunehmen, deren Entschließungen unter dem Einfluß der Usurpation und Selbstsucht ständen.
Wäre das Reich auch nicht durch den französischen Geschäftsträger in Regensburg für aufgelöst erklärt worden, hätte Kaiser Franz sich doch nicht länger der Tatsache verschließen können, daß es kein Reich mehr gab. Auch er befleckte den tragischen Ausgang des uralten Reiches dadurch, daß er, mit der Krone handelnd, versucht hatte, für ihre Niederlegung einen Vorteil von Napoleon zu erpressen. In der Abdankungsurkunde vom 6. August 1806 führte Franz II. »Von Gottes Gnaden Erwählter Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, König von Germanien« aus, daß es ihm unmöglich gemacht sei, die Pflichten seines Amtes zu erfüllen; er erklärte die Bande für gelöst, die ihn bisher mit dem Deutschen Reiche verbunden hätten, und die kaiserliche Würde für erloschen. Er entband alle Stände, Reichsangehörige und Reichsbeamte von ihren Pflichten gegen das Reichsoberhaupt und ebenso seine eigenen Reichslande von den Verpflichtungen gegen das Reich.
So wenig wie die Annahme des Kaisertitels auf die österreichische Monarchie war diese Abdankung staatsrechtlich unanfechtbar; aber darum kümmerte sich niemand, wo die Tatsachen so unwidersprechlich zeugten. Für das auf Universalität, Föderalismus, freie Entfaltung der Individualitäten und Glauben gegründete Reich war kein Raum mehr im Abendlande, nachdem Absolutismus und Wandel der Anschauungen in seinem eigenen Schoße die Wurzeln seiner Kraft zerstört hatten.