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Sachsen

Im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts fing das obersächsische Land melodisch zu tönen an. Dieser wunderbare Durchbruch begann mit der Reformation und hing mit ihr zusammen. Das geistige Leben des Reiches hatte bisher hauptsächlich im Westen und Süden geblüht, wenn auch die Teilnahme Thüringens durch den Sängerkrieg auf der Wartburg und die Tätigkeit hervorragender Mystiker bezeichnet wird; nun aber schenkte Sachsen eine verschwenderische Ernte, die sich zwei Jahrhunderte hindurch fortwährend erneuerte. Schlözer spricht von den Chören russischer Kirchenmusik, die er während seines Aufenthaltes in Rußland hörte, sie seien so unvergleichlich schön, daß selbst solche, die die beste Musik in allen europäischen Ländern gehört hätten, darüber in Staunen gerieten. Dabei erwähnt er, daß die Ukrainer der am meisten musikalische Stamm in Rußland seien wie die Böhmen in Deutschland. Gluck erzählte gelegentlich einem Freunde, in seiner Heimat Böhmen treibe alles Musik, selbst in den kleinsten Dörfern, die Jugend in der Schule, die Alten im Kirchenchor. Das bringt auf den Gedanken, dem Einströmen slawischer Bevölkerung in das benachbarte Sachsen sei vielleicht die Geburt der Musik in diesem Lande zu danken, wenn auch der Ursprung aller Dinge, die wir als göttlich empfinden, nie ganz zu erklären ist.

Die stürmische Blüte Sachsens setzte mit dem Auftreten Luthers ein. Alle Schattierungen, in denen seine Religiosität sich entfaltete, dauerten fort: der Mystizismus und der Dogmatismus, der rebellische Geist, das gläubige Herz, der Tiefsinn, der umfassende Blick, obwohl nie wieder alles in einer Person vereinigt. Die fürstlichen Brüder, die sein Werk in ihre Hut nahmen, sowie ihr Vetter, Herzog Georg, der es bekämpfte, gehörten zu den bedeutendsten Regenten der Zeit. Sie zeichneten sich alle drei durch den festen und graden Bau ihres Charakters und durch echte Frömmigkeit aus. Die Zeitgenossen waren sich der Überlegenheit des Kurfürsten Friedrich so sehr bewußt, daß sie ihn den Weisen nannten. Er liebte die schönen Dinge, die Malerei und die Musik. Er hatte eine Hofkapelle, die sogenannte Hofkantorei, die für die musikalische Ausgestaltung sowohl des Gottesdienstes wie der höfischen Feste zu sorgen hatte. Er hatte sie nach dem Vorbild der Brabanter Hofkapelle eingerichtet, die er durch seine nahen Beziehungen zu Kaiser Maximilian und dessen Sohn Philipp dem Schönen kennengelernt hatte. Maximilian bevorzugte die niederländische Musik.

Da die Musik in ihrem Tonsystem mit der Zahl verwandt ist und deshalb zu den Formen gehörte, von denen man annahm, daß das Weltall in ihnen aufgebaut sei, war sie von jeher für eine heilige Kunst gehalten worden; man glaubte, daß die kosmischen Ordnungen einem schärferen Ohr, als das menschliche ist, in harmonischen Akkorden erklängen. Für den mittelalterlichen Menschen hatte der Kosmos seinen Grund im Wesen Gottes, und die Musik rückte dadurch dem Weltenschöpfer nah und in das Gebiet der Religion. Sie wurde ausgebildet und ausgeübt nach sinnreich ausgewogenen Gesetzen, die für den kirchlichen Gebrauch streng befolgt wurden, eine heilige Wissenschaft ebenso wie eine heilige Kunst. In der Musik, die Luther vorfand, bildete noch immer der einstimmige Gregorianische Kirchengesang den Kern, den man Tenor nannte. Er versinnbildlichte das Wort Gottes, das ruhende Urbild des Seins, und war umgeben von den Stimmen des Diskant, Alt und Baß, die, von ihm ausgehend und doch ihm ungleich, als das Erschaffene das Unerschaffene umspielten, zugleich es widerspiegelnd und verhüllend. Durch die ihn umspielenden Stimmen wurde der Tenor, der göttliche Urgrund, dem Hörer eigentlich erst erfaßbar. Sie umringten das furchtbare Geheimnis gleichsam wie die priesterliche Kirche, die das Laienvolk vor dem Abgrund der Ewigen Glut schirmt und ihm mit geweihten Händen davon austeilt, was ihm verständlich und dienlich ist. Diese Musik war ein höchst künstliches Gebäude, dessen Teile fest ineinander verschränkt waren wie das Dogma des Kirchengebäudes, in der ein Ton auf den andern bezogen, und jeder folgende durch den vorhergehenden bedingt war, eine tönende Scholastik. Luther liebte diese Musik, die Kunst, die den Tenor umgebenden Stimmen mit mannigfachen Figuren zu verzieren, entzückte ihn; dennoch war er berufen, das Wesen der Musik zu verändern, wie er auch die Kirche, der er als gläubiger Sohn angehörte, verlassen und eine ganz anders geartete errichten sollte. Die bisher unterirdisch hinfließende Quelle der Musik, die Sehnsucht des Menschen nach unmittelbarem Einswerden mit der Gottheit, schwoll an und durchbrach das geheiligte Gefüge. Das Neue bestand darin, daß die Führung vom Tenor auf den Diskant überging und daß die melodische Fülle des Volksgesangs in den Choral aufgenommen wurde. Die Schranke der Priesterschaft zwischen Gott und dem gläubigen Volke fiel vor der Sehnsucht der einzelnen Seele, sich Gott hinzugeben. Das Wort raunte nicht mehr in unzugänglicher Verborgenheit, es brach herrlich hervor und lockte die Antwort aus hingerissenen Herzen. Gott und die Seele standen sich gegenüber und hielten Zwiesprache. Gott ist dir näher, als du dir selbst bist. Eine ungeheure, gefährliche, unberechenbare Veränderung; wenn das Leben ihren Sinn bald verdunkelte, entfaltete er sich unbefleckt in der Musik.

Wie sich der Kirchenbau den Bedürfnissen des Gottesdienstes entsprechend entwickelte, so wurde auch das Musikwesen durch den Gottesdienst der jungen evangelischen Kirche beeinflußt. Luthers Bestreben war, die Gemeinde in innigere Beziehung zum Gottesdienst zu bringen: dazu sollte der Gebrauch der deutschen Sprache und die Musik dienen; er wußte aus eigener Erfahrung, wie sehr sie das Gemüt zur Aufnahme des Heiligen stimmt.

Die Pflege der neuen kirchlichen Musik lag den städtischen Schulen und städtischen Kantoreien ob, während die Hofkapellen sich immer mehr der weltlichen widmeten. Die herzlichen Worte, mit denen Luther den Ratsherren aller Städte in deutschen Landen ans Herz legte, die Knaben nicht nur in Sprachen und Historie zu unterrichten, sondern auch die Musika und die ganze Mathematika, wie er sagte, lernen zu lassen, bewirkte die Einführung eines gründlichen Unterrichts in der Musik, der die Kinder befähigte, den schwierigen Figuralgesang der Zeit auszuführen. Denn Luther verwarf die alte Musik durchaus nicht, behielt sie vielmehr zur Verherrlichung des Gottesdienstes bei. Was aber die Menschen so gewaltig zu der evangelischen Kirche zog, war der Gemeindegesang; er mußte zu der alten Musik hinzukommen, damit der Wunderbaum der deutschen Musik erwachsen konnte.

Zur Herstellung eines Gesangbuches für die Gemeinde und zur musikalischen Ordnung der deutschen Messe zog Luther den Musiker Johann Walter heran, der, in einem Dorfe bei Kahla geboren, im Jahre 1517 in die von Friedrich dem Weisen gegründete Hofkapelle als Sänger eingetreten war. Luther hielt große Stücke auf ihn, der seinerseits des Reformators unbedingter Anhänger war. Ihn kann man als den Vater all der Kantoreien bezeichnen, die bald aus dem gesamten Reichsboden Quellen des Wohllautes entspringen ließen. Vorzüglich taten sich Sachsen und Thüringen hervor, wo sogar viele Dörfer eigene Kantoreien hatten. »Ist doch bald kein Dörfflein«, schreibt 1620 der Musiker Michael Altenburg, »bevorauß in Thüringen, darinnen Musica, beydes vocalis und instrumentalis, nicht herrlich und zierlich den Oertern nach solte floriren und wohl bestellet sein. Hat man ja kein Orgelwerk, so ist doch die vocalis musica zum wenigstens mit fünf oder sechs Geigen ornirt und geziert, welches man vorzeiten kaum in den Stätten hat haben können.«

Moritz von Sachsen, der die Kurwürde an die herzogliche Linie gebracht hatte, erhob seine Residenz Dresden zur Pflegestätte der weltlichen Musik. Dort wurde im Jahre 1664 ein Opernhaus erbaut, wo mit großer Pracht Opern aufgeführt wurden, ein Vorbild, das in Gotha, Rudolstadt, Altenburg und anderen sächsischen und thüringischen Städten Nachahmung fand. Unter den schaffenden Musikern, die im 16. und 17. Jahrhundert in Sachsen-Thüringen geboren wurden, sind rühmlich bekannte Namen: Michael Praetorius, Johann Kuhnau, Samuel Scheidt, Johann Hermann Schein, vor allem aber der edelste und gewaltigste unter diesen, Heinrich Schütz, 1585 in Köstritz bei Jena geboren. Alle diese Komponisten fühlten sich berufen, soweit sie geistliche Musik schufen, das in der Heiligen Schrift geoffenbarte Wort Gottes in Töne zu übertragen. Dies Buch der Bücher, insbesondere die Psalmen und die Evangelisten, war die Quelle, aus der sie schöpften, wie es einst die Quelle der Malerei gewesen war. Neben den Pfarrern und oft mehr als sie waren diese Tonsetzer Träger des Lutherischen Geistes, eines vom geoffenbarten Wort ausgehenden, das Leben verklärenden, die Welt überwindenden Glaubens. Hundert Jahre nach Schütz wurden nicht weit voneinander Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel geboren, Bach als Sprößling und Krone einer Organistenfamilie, die seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts in Thüringen blühte. Von den vielen Meistern, die neben den Heroen wirkten, seien Reinhold Keiser und Johann Philipp Telemann genannt, jener bei Weißenfels, dieser in Magdeburg geboren.

Aber nicht nur Musik überströmte sächsische Lande, auch der einzige Dichter, den das 17. Jahrhundert hervorgebracht hat, Paul Fleming, ist ein Sachse, in Hartenstein im Vogtlande geboren. Seine knappen, stolzen Verse vergegenwärtigen einen durchgebildeten, von einer wissenschaftlich gerichteten, aber noch religiösen Kultur getragenen Menschen. Sein Bild zeigt ihn mit dem Spitzenkragen und dem freien, über den Hals fallenden Haar, wie sich die Männer im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges trugen, während wir Hoheit und Leidenschaft bei Bach, Händel und Leibniz unter der übergestülpten Barockperücke suchen müssen.

In der Theologie blieb Sachsen in den der Reformation folgenden Jahrhunderten noch führend. Waren auch die Orthodoxen, die sich als die eigentlichen Erben Luthers betrachteten, zum Teil in zu buchstabenmäßig enggefaßter Dogmatik erstarrt, so blieb doch das religiöse Leben regsam und kräftig genug, um viel Wertvolles zu erzeugen. Der Begründer des Pietismus, Spener, war ein Elsässer, aber er wirkte in Sachsen und gewann in Sachsen Anhänger, unter denen als eine in dauernder Gesellschaftsbildung erfolgreiche Sekte die Herrnhuter hervorzuheben sind. Die Mystiker Valentin Weigel und Jakob Böhme wurden vielen Gottsuchern Freunde und Führer. Der in Annaberg im Erzgebirge geborene Gottfried Arnold entwickelte in seiner Kirchen- und Ketzerhistorie den Gedanken, daß die als Ketzer von der Kirche Verfolgten jederzeit die wahren Gläubigen gewesen seien, und beleuchtete damit Protestantismus und protestantische Kirche.

Leibniz, in Leipzig geboren, gehörte dem ganzen Reich und der ganzen gebildeten Welt an; aber seine Denkungsart zeigt ihn als Glied des lutherisch-sächsischen Kulturkreises, insofern als sie im wesentlichen innerhalb der mittelalterlichen Weltanschauung blieb. Auch Lessing, in der Lausitz geboren, obwohl ein Sohn der Aufklärung, erwies sich fast wider Willen als gespeist von den ambrosischen Früchten, die das Wort Gottes auf sächsischem Boden erzeugte.

Von den großen romanischen und gotischen Kirchenbauten gehören nur wenige dem sächsischen Gebiet an. Es ist, als ob es der sublimsten aller Künste, der Musik, vorbehalten gewesen wäre, hier noch einmal in entrücktester Gottesnähe das Überirdische der Sinnenwelt zu vermitteln. Die weltliche Baukunst aber hat die Residenz Dresden, eine schon von der Natur begünstigte Stadt, mit dem Reiz des Märchenhaften beschenkt. Der von Daniel Pöppelmann geschaffene Zwinger, eine der berückendsten Visionen der Barockphantasie, sieht aus, als habe der Zauber von Aladins Lampe ihn über Nacht aus der Erde wachsen lassen. Im äußersten Gegensatz dazu steigt in strenger Anmut die schlanke Kuppel der protestantischen Kirche empor, die der Dresdner Ratszimmermeister Georg Bähr, nachdem er den Widerstand des Königs und aller Architekten überwunden hatte, erbaute. Ein edler Fremdling, kühn, selbstgenügsam, kühl, steht sie zwischen der reizenden Pracht der Barockhäuser, die den Platz umgeben. Im Jahre 1739, ein Jahr nach dem Tode ihres Baumeisters, wurde zum erstenmal darin gepredigt.

Das durch Musik und Kunst begnadete Land war auch das Land des Gewerbefleißes. Mit der Musik verbunden blühte die Herstellung von Musikinstrumenten mit der böhmischen Einwanderung im Zusammenhang. Die böhmischen Exulanten, die seit der Reformation besonders durch das Erzgebirge nach Sachsen zogen, brachten die Kunst des Geigenbaus mit. Auch Mandolinen, Lauten, Harfen wurden angefertigt, nicht minder, die man die Königin der Instrumente nannte, die Orgel. Der berühmte Orgelbauer Gottfried Silbermann soll 48 Orgeln in Sachsen hergestellt haben.

Unter den eigentlichen Gewerben war die Textilindustrie am meisten verbreitet. Die Leinwand der Lausitz hatte besonderen Ruf, in Thüringen waren Apolda und Eisenach Mittelpunkte der Weberei. Das Spitzenklöppeln im Erzgebirge war zu einer Zeit, wo Spitzen ein beliebter Schmuck der vornehmen Welt waren, eine einträgliche Arbeit. Im 18. Jahrhundert lebte ein Drittel der sächsischen Bevölkerung von Handwerk und Fabriken. Das war ein Hauptgrund, warum Friedrich der Große mit besonderer Begier nach dem Besitz Sachsens trachtete. Trotz aller Bemühungen gelang es ihm nicht, Preußens Fabriktätigkeit so ertragreich zu machen wie die Sachsens. Der vom Throne ausgehende Wille eines einzigen erwies sich als nicht so fördersam wie die Tätigkeit vieler, die in die Verschlingungen des Volkslebens eingesenkt, von dort aus den nächsten Umständen und Bedürfnissen Rechnung tragend, sich entfaltete. Die sächsischen Fabriken waren meistens nicht auf fürstlichen Befehl entstanden, sondern durch Privatpersonen, die sich langsam von Arbeitern zu Gründern eines anfänglich bescheidenen, allmählich wachsenden Unternehmens aufgeschwungen hatten. Gegen das Ende des Jahrhunderts wurden Maschinenkräfte benutzt, die Sachsen in den Stand setzten, mit England zu wetteifern.

Alteinheimisch war in Sachsen die der Kunst verwandte Töpferei; wozu sich die aus Böhmen eingeführte Glasbläserei gesellte. Über diese schrieb Johann Kunkel, Sohn eines Feuerkünstlers, die Ars vitraria experimentalis, die vollkommene Glasmacherkunst, die im Jahre 1679 erschien. Kunkel war der Erfinder des Rubinglases. Zur Herstellung des Porzellans haben mehrere Personen beigetragen. Als den eigentlichen Erfinder muß man Johann Friedrich Böttger betrachten, der, 1682 in Schleiz geboren, mit einer Neigung zur Chemie begabt zu einem Apotheker in Berlin in die Lehre kam und sich dort viel mit alchimistischen Versuchen beschäftigte. Dabei glaubte er die Tinktur gefunden zu haben, die unedle Metalle in edle verwandeln könne. Er wurde dadurch zu einer begehrten, aber auch gefährdeten Persönlichkeit, denn die geldbedürftigen Fürsten pflegten sich derjenigen zu bemächtigen, die im Rufe standen, Gold machen zu können, und sie hart zu bestrafen, etwa gar mit dem Tode, wenn sie keine beweiskräftige Probe ablegen konnten. Als der damalige König von Preußen, Friedrich I., auf ihn aufmerksam wurde, entfloh er nach Sachsen, wurde aber hier von Friedrich August I., August dem Starken, in Gewahrsam genommen, der den Kundigen auszubeuten hoffte.

Es war ein glücklicher Zufall, daß Böttger mit dem im Jahre 1651 in der Nähe von Görlitz geborenen Walter von Tzschirnhaus in Beziehung trat, einem Edelmanne, der viel gereist war und sich die Bildung seiner Zeit angeeignet hatte. In Holland hatte er Spinoza kennen- und schätzengelernt, in Paris verkehrte er in dem Kreise um Huygens, in London in dem um Newton, mit Leibniz war er befreundet. Seit dem Jahre 1675 beschäftigten den vielseitigen Mann Versuche, Porzellan herzustellen, wobei ihn ein Bäcker namens Hoffmann unterstützte. Auf seinem Gute gründete er eine Glashütte und eine Schleiferei, um optische Instrumente herzustellen. Von Tzschirnhaus angeregt, entdeckte Böttger, nachdem er die in Sachsen vorkommenden Erden gründlich untersucht hatte, zuerst das Steinzeug, das er Jaspisporzellan nannte, dann das eigentliche Porzellan. Das Kaolin, den zur Herstellung des Porzellans notwendigen Grundstoff, lieferte Schnorr, der reiche Besitzer eines erzgebirgischen Hammerwerks, der in der Folge als Schnorr von Carolsfeld geadelt wurde.

Im Jahre 1709 teilte Böttger dem König August seine Erfindung mit, worauf die Porzellanmanufaktur in Meißen gegründet wurde. Das blanke, glatte, spiegelnde Material, das sich so wohltuend in die Hand schmiegt und das Auge bezaubert, gab Anlaß zum Entstehen einer reizvollen Kunst. Nachdem anfänglich das bewunderte chinesische Porzellan Vorbild gewesen war, bekam sie allmählich einen originalen, einheimischen Charakter. Nach Böttgers Tode, der 1719 starb, waren hauptsächlich zwei Künstler dabei tätig, Johann Gregorius Herold, 1696 in Jena, und Johann Joachim Kändler, 1706 bei Dresden geboren, der erste Schöpfer der malerischen, der andere Schöpfer der plastischen Ausgestaltung des neuen Stoffes. Herolds leuchtende Farben und Kändlers Phantastik brachten Figuren von unverwelklichem Reiz hervor, groteske, abenteuerliche, liebliche Gestaltungen, die zwischen Kunst und Gewerbe schwanken, wie das Porzellan als ein neues Element zwischen Wasser und Erde zu schweben scheint.

An architektonischer Schönheit konnte sich Leipzig mit Dresden nicht messen; aber es zeichnete sich aus durch seine Universität, seinen Buchhandel, seine Messe, seine Gärten. Im Anfang des 18. Jahrhunderts hatte Leipzig das einst durch seinen Büchermarkt den Buchhandel beherrschende Frankfurt aus dem Felde geschlagen. Bernhard Christoph Breitkopf gründete die berühmte Firma, in welche gegen Ende des Jahrhunderts Gottfried Härtel eintrat. Auch Musikstadt zu werden, schickte sich Leipzig im 18. Jahrhundert an. Ein Kaufmann namens Zehmisch gründete im Jahre 1741 eine Konzertgesellschaft. Etwa 50 Jahre später führte sich eine »kunstliebende Gesellschaft« mit dem Graunschen Tedeum ein. In Berlin gab es regelmäßige Konzerte erst seit dem Jahre 1779. Gedenken wir noch der Universitäten Jena und Wittenberg, der Klosterschulen von Schulpforta, Meißen und Bergen, so erhellt, ein wie großer Teil der Geistesbildung des 17. und 18. Jahrhunderts von Sachsen ausging.

Brachte der Albertinische Stamm nach den Brüdern Moritz und August keine bedeutenden Regenten mehr hervor, denn man kann August den Starken kaum dazu rechnen, wenn er auch Kunst und Kunstgewerbe begünstigte, so waren doch unter den Nachkommen des unglücklichen Johann Friedrich, dem die kleinen sächsisch-thüringischen Fürstentümer zugefallen waren, tüchtige, wohlwollende, begabte Menschen. Herzog Karl August erhob die kleinen Orte Weimar und Jena, indem er Dichter und Denker heranzuziehen und zu fesseln wußte, zum geistigen Mittelpunkt Deutschlands und zu einer für immer denkwürdigen Stätte.

Politisch hatte Sachsen seit dem Dreißigjährigen Kriege wenig mehr zu bedeuten, kulturell war es herrschend im Reich. Nur Österreich konnte sich mit ihm messen, das zugleich auch politisch eine Macht, das Haupt des Reiches und eine Großmacht für sich war, ein einzigartiges, aus ferner Vergangenheit erwachsenes und sich immer verjüngendes, fabelhaftes Gebilde.


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