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Der Verwesungsgeruch eines sich auflösenden Körpers lockt die Geier an. Auch um das Römische Reich Deutscher Nation sammelten sich die gierigen Räuber, und schon hatten sie hie und da Stücke abgerissen und sich in den zerfallenden Körper hineingedrängt. Nicht ohne Grund verglichen damals Hipolythus a Lapide und andere das Deutsche Reich mit Polen. Die Deutschen wie die Polen waren Individualisten, sie forderten viel Selbständigkeit und Entfaltungsmöglichkeit für den einzelnen, eine Freiheit, die, da sie durch keine Ordnung geregelt war, den Stärkeren ermöglichte, die Schwächeren zu unterdrücken. Mit dem Schlagwort der Libertät hatten die deutschen Fürsten die Zentralgewalt des Reiches entkräftet, wie die Polen die königliche durch das Liberum veto. Aber es gab wesentliche Unterschiede. Im Reich fehlten der Wille und die Kraft, eine gemeinsame Ordnung herzustellen, doch nicht ganz, sie herrschte besonders in den Städten und ging später auf die Territorien über. Sie beruhte zum großen Teil auf einer wehrfähigen, tätigen, tüchtigen Bürgerschaft, die selbst noch im 18. Jahrhundert, da der Adel die herrschende Schicht war und sie unterdrückte, ein stark mitwirkendes Element bildete. Polen dagegen war eine Adelsrepublik, in deren höchster Körperschaft nur der Adel stimmte und nur seine eigenen Interessen vertrat; der Bürgerstand war ganz bedeutungslos. Wenn das Reich zerfiel, blieben Länder übrig, die für sich Bestand hätten, löste Polen sich auf, so blieben vereinzelte Magnaten mit ihren Leibeigenen, die einer geeinigten Macht nicht würden Widerstand leisten können. Im Reich war das Wahlprinzip mit dem Prinzip der Erblichkeit verbunden. Man pflegte von einer Dynastie nicht abzugehen, bis sie erlosch. Polen wurde das Wahlprinzip erst verderblich, als keine einheimische oder einheimisch gewordene Dynastie mehr vorhanden war und das Ausland anfing, sich für diesen oder jenen Bewerber einzusetzen und sich in die wichtigsten Verhältnisse einzumischen. Im Jahre 1668 legte Johann Casimir, der letzte Wasa, die Krone nieder. Unter ihm kam das unheilvolle Liberum veto in Gebrauch, das die königliche Macht vollends aushöhlte. Nach diesem hatte die Stimme eines einzelnen Magnaten so viel Gewicht, daß sie das Zustandekommen eines Reichstagsbeschlusses verhindern konnte.
Zu den Gefahren, die durch die innere Verfassung Polens bedingt waren, kam die größte, daß ihm der Schutz guter natürlicher Grenzen fehlte. Wenn ein Nachbar stark genug war, seinem Drange nach Ausdehnung nachzugeben, mußten die Polen zu energischem Widerstand gerüstet sein. Sie waren es in so ungenügender Weise, daß schon Gustav Adolf, der Nachbar jenseits des Baltischen Meeres, ihnen Livland entreißen konnte. Der Nachfolger des schwedischen Eroberers, Karl X. Gustav, fand Polen schon in schlimmer Lage, denn es wurde gleichzeitig im Osten vom russischen Zaren angegriffen, und im Westen verwandelte sich der preußische Vasall in einen starken und schlauen Gegner. Als der Kanzler Oxenstjerna mit dem Grafen Waldeck den etwaigen Gewinn ihres gemeinsamen Krieges überschlug, zog er einen Strich auf der Karte, die vor ihm auf dem Tische lag, und sagte zu Waldeck: »Die Hälfte für euch, die andere für mich.« Österreichs Hilfe und eigenes Aufraffen verhinderten diesmal die geplante Teilung. Ein halbes Jahrhundert später änderte sich das Verhältnis zu den Nachbarn: an Stelle Schwedens, das nach dem Sturze Karls XII. aus der Reihe der Großmächte ausschied, lagerte sich die ungestalte Masse des russischen Reiches. Die Nachbarschaft konnte den Polen wohl den Atem verschlagen. Wenn jetzt die russische Macht Eroberungspläne hegte, wie sollten sie sich ihrer erwehren? Würde Österreich noch bereit und fähig sein, sie zu schützen? Der preußische Nachbar arbeitete einen Teilungsplan aus, der außer ihm selbst Rußland und August den Starken, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, bereichern sollte. Unglückliches Land, dessen König, ein Fremder, seine Stellung dazu zu benützen dachte, ein Stück davon loszureißen und mit seinem Stammlande zu vereinigen. An der Ablehnung Peters des Großen scheiterte der preußische Teilungsplan. Seit seinem Siege über Schweden war das Übergewicht im Osten so groß, daß das Schicksal Polens ohnehin von Rußland abhing.
Das Bedürfnis, das Recht der eigenen Sphäre zu wahren und diese möglichst weit zu fassen, war stärker als das Bedürfnis, einem starken, handlungsfähigen Körper anzugehören. Im Jahre 1657 sprengte zum erstenmal eine einzige abweichende Stimme einen Reichstag, seitdem wurde das sogenannte Liberum veto als Kleinod, als Schild der Freiheit des Adels gehütet. In den Jahren 1655-1704 wurden von 55 Reichstagen 48 durch das Liberum veto zerrissen, wie man das nannte. Indessen wurde doch ein Ausweg gefunden, um einmütiges Handeln zu ermöglichen. Eine Partei, die sich einem Reichstagsbeschluß nicht fügen wollte, konnte eine Konföderation bilden, deren Charakter davon abhing, ob der König ihr beitrat oder nicht. Trat er ihr bei, so wurde sie zur Generalföderation. Auf diesem Wege ließ sich ein ordentlicher Reichstag in einen konföderierten verwandeln, auf dem Stimmenmehrheit galt. Die eigentlichen Herrscher des Landes waren die Landboten, die Adligen, die den Reichstag bildeten, von denen der ärmste dasselbe Recht hatte wie der begüterte. Sie vertraten weder die Interessen der Städte noch der Bauern, sondern nur ihre eigenen, die nach ihrer Meinung mit dem Landesinteresse zusammenfielen. In ihren Augen erforderte das Landesinteresse, daß der König sich nicht irgendein Recht oder eine Macht anmaße. Unter dem Druck des Adels verlor er sogar das Recht, die Inhaber der hohen Ämter zu ernennen; der Hetman, der Oberste des kleinen stehenden Heeres, der Schatzmeister war nicht ihm, sondern dem Reichstag verantwortlich. Wäre Polen eine reine Aristokratie gewesen, so hätte sich vielleicht unter dem Zwang auswärtiger Gefahren eine handlungsfähige Regierung gebildet; der mißachtete und mehr oder weniger uninteressierte König wirkte nicht einigend und stärkend, sondern eher auflösend, indem sein bloßes Dasein zu Unruhen und Widersetzlichkeiten reizte.
So verblendet waren die Polen doch nicht, daß sie die Gefahr ihrer Lage nicht erkannt hätten. Sie sahen ein, daß es darauf ankam, sich den Nachbarstaaten gegenüber stark zu machen, und daß das nur durch Einmütigkeit und durch Stärkung der königlichen Macht geschehen konnte. Andrerseits konnten sie ihr Wesen nicht so verändern, daß sie aus der herkömmlichen Zersplitterung zu gefestigter Einheit übergegangen wären, und hätten sie es gekonnt, so wäre es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu spät gewesen.
Die Kaiserin Katharina, die im Jahre 1762 die Regierung antrat, war zur Beraubung Polens entschlossen und bereit, jedes Mittel zu dem Zwecke anzuwenden, wie unsittlich es immer sei. Es war ihr klar, daß sie dabei namentlich Preußen auf ihrer Seite haben müsse; denn das europäische Gleichgewicht verlangte, daß die Vergrößerung eines Landes durch eine entsprechende des benachbarten ausgeglichen werde. Daß Friedrich der Große einem einseitigen Vorgehen Rußlands ruhig zusehen werde, war nicht anzunehmen. Allerdings hatte Friedrich nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges ein aufrichtiges Friedensbedürfnis. Seine Länder waren teilweise verwüstet, das Heer hatte so ungeheure Verluste erlitten, daß seine Wiederherstellung langer, mühevoller Arbeit bedurfte; er war ernstlich bemüht, Konflikte zu vermeiden. Darin aber war er mit Katharina einig, und darauf drang er mit Nachdruck, daß Reformen, durch welche Polen sich würde kräftigen wollen, nicht geduldet werden sollten. So schwach wie sie waren, sollten sie bleiben und in diesem Sinne von ihren Nachbarn überwacht werden. Friedrich und Katharina standen am Lager des Kranken und verhinderten ihn, die Arznei zu nehmen, die ihn hätte retten können.
Nach dem Tode Augusts III. von Polen, des Sohnes Augusts des Starken, brachte Katharina ihren Günstling, Stanislaus Poniatowsky, auf den polnischen Thron. Er war ein feiner, gebildeter Mann, auch guten Willens, aber doch manchen Königen jenes Zeitalters ähnlich, die den Flitter für Kleider nehmen und schließlich zu mit Zieraten behangenen Schaufensterpuppen werden, die zu nichts gut sind, als angegafft zu werden. Sein Hang zu Liebesabenteuern verleitete ihn zu großen Ausgaben, die ihn finanziell noch abhängiger von Katharina machten, als er ohnehin durch seine persönlichen Beziehungen zu ihr war. Unter den Magnaten gab es Patrioten, die das Liberum veto abschaffen, die Staatsgewalt verstärken, die Bauern befreien wollten; aber sie erzielten keine Einigkeit und hatten auch kein Mittel zur Durchführung ihrer Pläne. Viele glaubten, sie könnten sich dabei auf Rußland stützen, wozu sie auch dadurch verleitet wurden, daß in der Tat ein Minister Katharinas für Einführung von Reformen im polnischen Staate war; die Kaiserin selbst aber hatte entgegengesetzte Absichten. Zum Anlaß, sich in die polnischen Angelegenheiten einzumischen, benutzte sie die Dissidentenfrage. Das anfänglich sehr tolerante Polen war im Zuge der Gegenreformation durch Jesuiten zu der allerunduldsamsten Form der Katholizität gebracht. Seitdem konnten die, welche nicht Katholiken waren, keine Ämter bekleiden, waren überhaupt fast aller bürgerlichen Rechte beraubt. Die daraus entstehenden Zwistigkeiten und Zusammenstöße gaben Katharina die erwünschte Gelegenheit, Truppen in Polen einrücken zu lassen, die jede ihr nicht zusagende Bewegung verhinderten. Nicht ohne Mitwirkung Österreichs wurde sie jedoch von ihren polnischen Plänen noch einmal abgelenkt durch einen Krieg mit der Türkei.
Sowohl Preußen wie Österreich sahen das Anschwellen des russischen Staates mit Sorge. Ihr Interesse hätte erfordert, daß sie sich vereinigten, um es aufzuhalten; aber dem stand die gegenseitige Eifersucht im Wege. Das Bewußtsein Friedrichs, Österreich eine bedeutende Schädigung beigebracht zu haben, machte ihn mißtrauisch gegen Josephs zur Schau getragene Zuneigung. Waren es nicht die Russen, denen er im Siebenjährigen Kriege seine Rettung verdankt hatte? Zugleich beunruhigte ihn doch ihre zunehmende Macht. Der Krieg mit der Pforte, der im Jahre 1768 begann, offenbarte die Überlegenheit Rußlands. Die Türken wurden in mehreren entscheidenden Schlachten geschlagen, die Russen eroberten die Moldau und Wallachei und näherten sich den Grenzen Österreichs. Erschreckt spielte Friedrich der Zarin einen Plan zur Teilung Polens in die Hände, um sie abzulenken; aber in ihrer Siegesfreude beachtete sie ihn nicht. Furcht vor Rußland führte zu einer behutsamen Annäherung Österreichs und Preußens, die sich in zwei Begegnungen Friedrichs mit dem Sohne seiner Feindin, Joseph, vollzog. Freilich wurde das beiderseitige Mißtrauen dadurch nicht getilgt; aber das deutsche Volk durfte gerührt zusehen, wie der jugendliche Kaiser, das Oberhaupt des Reiches, den ruhmvollen Preußenkönig wie einen verehrten Vater begrüßte. Die beiden Monarchen waren sich darin einig, daß sie die Türkei erhalten wollten, und boten den kriegführenden Mächten die Friedensvermittlung an. Katharinas Forderungen waren ihren Siegen entsprechend ungeheuer; wie sollten sie auf ein erträgliches Maß zurückgebracht werden? Wieder stellte sich der Gedanke ein, die Türkei auf Kosten Polens zu retten. Während des Krieges hatte Österreich die Herrschaft Zips besetzt, ein Stück Polens, das früher zu Ungarn gehört hatte und im 15. Jahrhundert an Polen verpfändet worden war. Bei einem Besuch des Prinzen Heinrich von Preußen in Petersburg warf er im Gespräch eine Andeutung auf Teilungspläne hin, die bei seiner Gastgeberin Anklang fanden. Zwar war sie zunächst noch mehr auf die türkischen Eroberungen erpicht; aber die Entschlossenheit, mit der jetzt Friedrich den Gedanken verfolgte, riß sie fort. Nachdem er einmal die unblutige Eroberung ins Auge gefaßt hatte, ergriff ihn Ländergier unaufhaltsam. Westpreußen, namentlich aber Danzig und Thorn, lockten unwiderstehlich. Er ging auf eine Reihe von Katharina gestellter Bedingungen ein, die für Preußen nicht vorteilhaft und nicht gerade ehrenvoll waren. Auch auf Danzig und Thorn verzichtete er; aber er sagte sich, wenn er einmal die Weichsel hätte, würde Danzig ihm mit der Zeit von selbst zufallen. Bedenken, ob er etwa machiavellistisch handle, hatte er nicht, wenigstens äußerte er sie nicht. Der König von Polen, sagte er, ist ein guter, galanter Mensch, nur sein Hirn ist schwach und mit romantischen Ideen beladen, von denen er einige bei dieser Gelegenheit zum Besten geben wird. Was die Polen anbelangt, so werden sie sich nicht zu rühren wagen, in jedem Fall wird man sie über die Ohren schlagen.
Nachdem der Pakt zwischen Rußland und Preußen im Jahre 1772 geschlossen war, blieb noch ein schwieriges Stück Arbeit zu tun: Österreich nämlich mußte zum Mitschuldigen gemacht werden. Trat Österreich dem Anschlag nicht bei, so drohte ein allgemeiner Krieg; denn käme es nicht zu beträchtlichem Gewinn in Polen, würde Rußland auf Abtretung der Moldau und Walachei bestehen, was Österreich keinesfalls dulden wollte. Maria Theresia wies die Teilnahme an einer Zerstückelung Polens mit Entrüstung ab. Sie könne, sagte sie, eine Politik nicht begreifen, die glauben machen wolle, es müsse, wenn zwei Starke einen Schwachen überfallen, auch der dritte Starke dabei sein. Anfangs war Kaunitz auf ihrer Seite. Als ihm vorgeworfen wurde, er habe ja mit der Beraubung Polens begonnen, indem er sich die Zips angeeignet habe, sagte er stolz, es handle sich dabei nur um das Auslösen einer Pfandschaft, er sei aber bereit, sie zurückzugeben, wenn gleichzeitig Rußland und Preußen ihre Truppen aus Polen zurückzögen. Schließlich aber, als er begriff, daß Rußland und Preußen von ihrer Beute nicht mehr lassen würden, schien es ihm richtiger, sich zu beteiligen. Zwischen den Politikern, die, gestützt auf die Staatsraison, Völker und Länder verschacherten, erscheint Maria Theresias Menschlichkeit fremdartig schön und tragisch. Sie war die einzige, die einen sittlichen Maßstab an die Handlungen der Staatsgewalt legte. Ein Fürst habe kein anderes Recht als der Privatmann, sagte sie. Größe und Erhaltung seines Staates würden ihm nicht in Rechnung gestellt werden, wenn er einst vor Gott Rechenschaft ablegen müsse. »Als alle meine Länder angefochten wurden«, schrieb sie an Kaunitz, »und ich gar nicht mehr wußte, wo ich ruhig niederkommen sollte, stützte ich mich auf mein gutes Recht und den Beistand Gottes. Aber in dieser Sache, wo nicht allein das offenbare Recht himmelschreiend wider uns, sondern auch alle Billigkeit und die gesunde Vernunft wider uns ist, muß bekennen, daß Zeitlebens nicht so beängstigt mich befunden und mich sehen zu lassen schäme. Bedenk der Fürst, was wir aller Welt für ein Exempel geben, wenn wir um ein elendes Stück von Polen oder von Moldau und der Walachei unsere Ehre und Reputation in die Schanze schlagen. Ich merke wohl, daß ich allein bin und nicht mehr in Kraft. Darum lasse ich die Dinge, jedoch nicht ohne meinen größten Gram, ihren Weg gehen.« Dem Drängen ihres Sohnes und ihres Ministers nachgebend, erteilte sie schließlich ihre Einwilligung; sie glaubte, die Verantwortung für die Folgen der Ablehnung, die man ihr drohend ausmalte, nicht auf sich nehmen zu können. »Placet«, schrieb sie, »weil so viele große und gelehrte Männer es wollen. Wenn ich aber schon längst tot bin, wird man erfahren, was aus dieser Verletzung von allem, was bisher heilig und gerecht war, hervorgehen wird.« Das Bewußtsein, ihren guten Namen verwirkt zu haben, verdüsterte ihre letzten Lebensjahre. Die beinahe düstere Schwermut im Gesicht der alten mächtigen Herrscherin, die das Bildnis zeigt, steht in ergreifendem Gegensatz zu der jungen Maria Theresia, die in der äußersten Not so stolz, so lieblich und so glücklich war. »Die Teilung«, schrieb sie ihrem Sohn Ferdinand, »ist die Quelle alles Unheils, das über die Monarchie kommen und sie vielleicht zerstören wird.« Friedrich der Große schrieb seinem Bruder Heinrich: »Die Teilung Polens wird die drei Religionen vereinigen, die griechische, die katholische, die kalvinische, denn, wenn wir kommunizieren am selben eucharistischen Leibe, nämlich dem Leibe Polens, und wenn das nicht zum Heile unserer Seele gereicht, so ist es sicherlich ein wichtiger Gegenstand für das Wohl unserer Staaten.« Indessen, wie zynisch er auch redete und wie er auch Maria Theresia verhöhnte, daß sie sich mit edlen Grundsätzen spreize, während sie den Raub einstecke, so scheint es doch, daß sein Gewissen nicht ganz unempfindlich war, wenigstens wollte er nie zugeben, daß er die erste Anregung zur Teilung gegeben habe.
Merkwürdig war das Verhalten des Auslandes. Vergebens bestürmte der Papst die katholischen Mächte, eine so verabscheuungswürdige Politik zu hintertreiben. England und Frankreich dachten eine Zeitlang daran, einzuschreiten; aber sie brachten es nicht zum rechtzeitigen Handeln. Als der Raub vollzogen war, begnügten sie sich damit, ihn als eine kuriose und auffallende Begebenheit zu bezeichnen. Das englische Parlament sprach seine Befriedigung aus, daß der Friede erhalten sei. Diese allgemeine Erschlaffung hatten die Ostmächte sich zunutze machen können.
Bei der ersten Teilung verlor Polen 4000 Quadratmeilen, wovon die Hälfte Rußland zufiel. Trotz einer so bedeutenden Verkleinerung blieb Polen immer noch ein ansehnliches Gebiet, und die Patrioten hofften auf völlige Wiederherstellung, wobei sie natürlich auf ausländische Hilfe rechneten. Je nachdem der Beistand von Rußland, von Preußen oder von Sachsen ins Auge gefaßt wurde, unterschieden sich die Parteien; Einmütigkeit gab es nicht. Durch den leidenschaftlichen Einsatz der edleren Kräfte war die Zeit des Unglücks zugleich eine Zeit des Aufschwungs. Mehrere Magnaten gaben ihren Bauern die Freiheit, die Städte wurden selbständig gemacht, Adel und Bürger verbrüderten sich in der gemeinsamen Hingabe für das Vaterland. Man einigte sich auf eine Verfassung, in der das Liberum veto abgeschafft und die Staatsgewalt gestärkt wurde. Als nach dem Tode Friedrichs die Zarin sich von Preußen ab- und Österreich zuwandte, glaubten die Polen, auf Preußens Unterstützung hoffen zu dürfen. Aber Preußens Begierde nach den ihm bei der ersten Teilung entgangenen Städten Danzig und Thorn, auf die Polen nicht verzichten wollte, ließ es zu keiner Verständigung kommen. Nur ein Aufatmen war dem unglücklichen Lande gegönnt, solange Katharina mit der Türkei beschäftigt war. Die durch eine gemeinsam verübte Beraubung verbündeten Mächte hielten nicht inne, bis das zappelnde Opfer sich nicht mehr regte. Aber wenn auch Übermächtige ein Land zerschlagen können, Völker sind nicht so leicht auszurotten. Im Osten klaffte eine Wunde, die fort und fort blutete.