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Die Kriege um Schlesien

Friedrich der Große hat den Prinzen Eugen den eigentlichen Kaiser von Österreich genannt, und wenn Kaiser sein bedeutet, das Schicksal seines Landes im Herzen und auf dem Gewissen tragen und es mit großem Sinn lenken, so war er es gewiß.

Träger der Krone, vor dem sich alle beugten, blieb aber doch Karl VI., Prinz Eugen war, wenn auch mit Ehren überhäuft, ein dem Neid ausgesetzter Untertan. Die Adligen, die den Monarchen umgaben, waren zum großen Teil anspruchsvolle Müßiggänger, die sich damit beschäftigten, ihren Reichtum zu vermehren und sich zu vergnügen. Sie vertrugen sich untereinander wie die Krähen, von denen keine der gleichgearteten ein Auge aushackt, solange sie ihren Vorteil dabei findet; wenn aber ein bedeutender und ehrliebender Mann unter ihnen erschien, der das Wohl des Staates und nicht das seiner Schmarotzer im Auge hatte, suchten sie ihn durch Verleumdungen unschädlich zu machen. Ohnehin war Klatsch und Ränkespinnen ihr Zeitvertreib. Leopold I. und Joseph I. wußten, was sie dem Prinzen verdankten, und schützten ihn unbedingt; aber Karl VI., der mehrere Jahre lang fern der Heimat in Spanien gelebt hatte und sich auch später in Wien mit Spaniern umgab, die Eugens Feinde waren, ließ ihn nicht immer die Anerkennung genießen, auf die er Anspruch hatte. Erst allmählich begriff der Kaiser, wie unschätzbar Eugen für Österreich war und zeigte ihm unbedingtes, beinah freundschaftliches Vertrauen. Er sah ein, was ihm vorher unglaublich geschienen war, daß Eugen ein unerschütterlich getreuer Untertan des Kaisers war und bleiben wollte, daß es seine Leidenschaft war, groß zu handeln, im Felde zu siegen und für eine möglichst gute Verwaltung des Staates zu sorgen, in dessen Dienst das Schicksal ihn geführt hatte. Anhänglichkeit für Karl als Person hatte er wohl kaum, wohl aber für den Kaiser, dessen Stelle er vertrat. Halb Italiener, halb Franzose, kaum der deutschen Sprache mächtig, wurde er ein Lieblingsheld des deutschen Volkes. In dem universalen Reiche wurde er nicht als Fremder empfunden, ebensowenig wie Wallenstein oder Montecuccoli.

Prinz Eugen war auf keinem Gebiet ein Neuerer. In militärischen Dingen befolgte er im ganzen die Methode, die Montecuccoli eingeführt hatte. Auch in der Verwaltung änderte er nichts; aber er setzte sich für schnelles Zustandekommen der Beschlüsse und für ihre schnelle und richtige Ausführung ein. Seine Größe lag in seinem Charakter und seinem Feldherrngenie. Er hatte so viel gesiegt, daß man in Österreich, ja fast in ganz Europa überzeugt war, jede Unternehmung, die er anführte, müsse glücken.

Es war ein tragisches Geschick, daß er am Schlusse seines Lebens dies Zutrauen enttäuschen mußte. Im Polnischen Erbfolgekriege, der dadurch entstand, daß Frankreich und Österreich verschiedene Bewerber um die polnische Krone unterstützten, führte der Siebzigjährige den Oberbefehl über die Armee am Rhein ohne Glück, während sein Gegner und Freund, der achtzigjährige Villars, für Frankreich die Lombardei eroberte. »Mit 20 000 Mann kann ich nicht 70 000 die Spitze bieten«, schrieb er dem Kaiser, eine alte, in Österreich oft gehörte Klage wiederholend. Vielleicht hätte in früheren Jahren sein Genie das Ungenügende der äußeren Verhältnisse aufgewogen; aber seine Kräfte waren aufgerieben, er starb bald nach dem Friedensschluß im Jahre 1736. In diesem Kriege verlor Karl VI. Neapel und Sizilien, in dem unglücklichen Türkenkriege, in den Österreich gleich nach dem Tode Eugens geriet, Belgrad, Serbien und die Walachei. Seine Bemühungen, den Handel der Niederlande wieder zur Blüte zu bringen, hintertrieben England und Holland; das Glück schien sich von ihm gewendet zu haben. Sein durch diese Unglücksfälle verdüstertes Gemüt wurde noch mehr geängstigt durch den Umstand, daß er das von so vielen Feinden umspähte Reich einem Mädchen, seiner im Jahre 1717 geborenen Tochter Maria Theresia hinterlassen mußte. Trotz seiner Liebe zu der schönen Elisabeth dachte er daran, als sie erkrankte, in einer neuen Ehe doch noch einen Sohn erzeugen zu können; aber die Kaiserin starb nicht. Um zu verhindern, daß Österreich nach seinem Tode zerstückelt werde, arbeitete er ein Gesetz über die Unteilbarkeit aller Länder seiner Krone aus und bemühte sich, die Anerkennung desselben, der sogenannten Pragmatischen Sanktion, durch alle europäischen Staaten zu erreichen. Frankreich, England, Sachsen, Preußen, alle gingen darauf ein; aber das Gefühl der Sicherheit gaben sie dem Manne doch nicht, der zu oft erfahren hatte, wie leicht die Vertreter von Staaten ein gegebenes Wort brechen. »Unterhandlungen ohne Waffen sind wie Noten ohne Instrumente«, sagte Friedrich der Große. Nach der Überlieferung gab Prinz Eugen dem Kaiser den Rat, ein Heer zu rüsten, anstatt Allianzen zu schließen, ein Rat, den nach den unglücklichen Erfahrungen der letzten Jahre Karl VI. sich selbst hätte geben sollen. Nicht einmal daran dachte er, die heranwachsende Tochter in die Regierungsgeschäfte einzuführen, im Gegenteil hielt er sie davon fern, und sie war in zu großer Ehrfurcht vor ihrem Vater erzogen, als daß sie gewagt hätte, sich einzudrängen. Allerdings konnte er noch mit einer längeren Reihe von Lebensjahren rechnen: er war erst 55 Jahre alt, als er starb.

So war denn der Augenblick da, auf den die europäischen Fürsten voll Spannung gewartet hatten: 40 Jahre nach dem letzten spanischen war der letzte deutsche Habsburger gestorben, das erhabenste, schicksalsvollste europäische Herrscherhaus erloschen. Die Fürsten von Sachsen und Bayern waren mit Töchtern Josephs I. verheiratet und konnten daraus Erbansprüche ableiten. Bayern aber trug sich mit viel weitergehenden Absichten. Die alte Nebenbuhlerschaft des Hauses Wittelsbach konnte nun endlich, da das Haus Habsburg ausgestorben war, triumphieren. Max Emanuel, der im Spanischen Erbfolgekriege durch Kaiser Joseph I. geächtet und vertrieben, durch den Frieden aber wieder eingesetzt worden war, hatte sich anfangs zu einer Österreich freundlichen Politik bequemt, aber die alte Feindschaft im Herzen bewahrt. »Ich und meine Nachkommen«, schrieb er seinem Sohne Karl Albert, »haben beim Erlöschen des österreichischen Mannesstammes das beste Recht auf den höchsten Rang der Christenheit wie auf den ansehnlichsten Teil der österreichischen Erbländer&nbsp;&hellip; Nicht zu sprechen von unserem Recht auf die Niederlande und Tirol.« Prinz Eugen, der die bayrische Gefahr sah, riet dem Kaiser, sie durch die Vermählung seiner Tochter mit Karl Albert aus der Welt zu schaffen; darauf ging Karl nicht ein, der den jungen Franz von Lothringen zu seinem Schwiegersohn erkoren hatte; die Heirat wurde im Jahre 1736, kurz vor Eugens Tode, vollzogen. In Bayern erzählte man sich eine Sage, Kaiser Karl V. habe im Traume gesehen, wie das Wappen des letzten Habsburgers, Karl geheißen wie er selbst, sich in das bayrische Wappen verwandele. Die Kaiserwürde, die das Haus Habsburg seit ungefähr dreihundert Jahren nahezu erblich besessen hatte, war frei geworden; den Bemühungen Friedrichs II. von Preußen und Frankreichs gelang es, sie Karl Albert von Bayern zuzuwenden. In der Wahlkapitulation wurde die Klausel, die den Kaiser verpflichtete, das Elsaß zurückzuerobern, weggelassen, ein Zeichen, durch welchen Einfluß die Wahl zustande gekommen war. Für Frankreich war es die selbstverständliche, hergebrachte Politik, Österreich zu bekämpfen; Preußen hatte keinen Grund als den, den günstigen Augenblick zu benützen, wo es leicht möglich schien, eine verhaßte Macht zu zerstören. Österreich war in voller Auflösung, von Feinden überrannt, an seiner Spitze stand eine junge unerfahrene Frau; Friedrich hatte eine volle Kasse und ein gut gerüstetes Heer, er war genial und durfte sich zutrauen, das Glück zu meistern. Zur Gunst des Augenblicks gehörte, daß Rußland, das er fürchtete, durch den Tod der Zarin Anna und die Jugend des Thronfolgers außerstande war, Österreich zu Hilfe zu kommen. Daß es ein deutsches Land war, welches er im Verein mit Frankreich zu überfallen sich anschickte, störte ihn nicht. »Wie brenne ich vor Ungeduld«, schrieb er dem französischen Marschall Belle-Isle, »Sie als Sieger vor den Toren von Wien zu sehen und an der Spitze Ihrer Truppen zu umarmen, wie ich Sie an der Spitze der meinen umarmt habe.« Den Vorwand zum Angriff gab ihm der wohlbekannte Anspruch auf Jägerndorf, eine diplomatische Schachfigur, mit der endlich einmal nach so häufigen Drohungen gesprungen werden mußte. Für Friedrichs Gewissen hätte es dessen nicht bedurft, aber für die Pedanten, glaubte er, müsse es einen von Aktenwühlern als rechtmäßig nachgewiesenen Kriegsgrund geben. Im Hinblick auf die Pedanten hielt er es auch für richtig, zuerst bei der Königin von Ungarn seinen Anspruch anzubringen und ihr zu versprechen, er werde sie gegen alle ihre Feinde verteidigen und ihrem Gemahl bei der Kaiserwahl seine Stimme geben, wenn sie ihm das schlesische Gebiet abträte. Da er voraussah, daß Maria Theresia es ablehnen würde, gab er dem mit dieser Mission Betrauten den Auftrag, in diesem Falle den Krieg zu erklären, und zur Sicherheit rückte seine Armee zwei Tage eher in Schlesien ein, als der Gesandte in Wien eintraf. In zwei kurzen Kriegen eroberte Friedrich Schlesien, und die protestantische Bevölkerung jubelte dem jungen Sieger zu, als er in Breslau einzog; aber wenn Maria Theresia Schlesien verloren hatte, so hatte sie Österreich gerettet.

Die junge Königin war mehr Heldin und mehr Siegerin als der König von Preußen. Als alle verzagten, blieb sie unerschütterlich und flößte Ministern und Generalen Mut ein. Ihre Lage war anfangs verzweifelt: die vereinigten Franzosen und Bayern drangen bei Linz vor und hätten Wien erobert, wenn nicht die Franzosen dies Ziel aufgegeben und den Marsch nach Böhmen durchgesetzt hätten. In Prag ließ sich Karl Albert als König von Böhmen huldigen, dann in Frankfurt als Kaiser krönen. Inzwischen war Maria Theresia, ihren kürzlich geborenen Sohn auf dem Arme, vor die Ungarn getreten und hatte sie zu den Waffen gerufen. Ihre Räte hatten sie davor gewarnt, daran denkend, daß die Ungarn so oft die Waffen gegen Österreich gewendet hatten; es war eine Genugtuung für die Königin, daß die einst so Widerspenstigen jetzt Hilfe in der Not leisteten. Sie hat während ihrer ganzen Regierung die ungarischen Magnaten mit besonderer Auszeichnung behandelt. Aber auch die deutschen Österreicher setzten sich erfolgreich für ihr Herrscherhaus ein: Graf Ludwig Khevenhüller vertrieb den Feind aus Oberösterreich und eroberte Bayern, so daß die Kurfürsten in Frankfurt einen Kaiser ohne Land wählten; nach Khevenhüllers Tode kämpfte Karl von Lothringen siegreich am Rheine, und das Elsaß hätte zurückgewonnen werden können, wenn Friedrich nicht Frankreich in seinem Besitz geschützt hätte.

Maria Theresia, die letzte Habsburgerin, glich ihren Vorfahren weder äußerlich noch innerlich. Das Bewußtsein ihrer Stellung hatte den Quell ihrer Natur nicht eingefangen und eingedämmt: er strömte frisch und stark einen geraden Weg. Auf der Bühne der großen Welt, inmitten einer künstlich verflochtenen, verlogenen Politik sprach sie die Sprache eines reinen und großen Herzens. Die Briefe, in denen sie ihren Feldherren Bitte oder Dank ausspricht, haben den ergreifenden Klang wahren Gefühls und sind doch voll königlicher Würde. Sie war immer zugleich ganz Mensch und ganz Herrscherin, denn auch dazu hatte die Natur sie gemacht. Auch im Gegner sah sie den Menschen und machte ihn als Menschen für sein Tun verantwortlich. Friedrich II. war für sie nicht der politische Feind, sondern der böse Mensch, der die Tochter seines Kaisers trotz aller Pflichten und Verträge in ihrer äußersten Not überfallen und beraubt hatte.

Ihrem Mut, ihrem Schwung, den das Bewußtsein, im Rechte zu sein, ihr verlieh, war es hauptsächlich zu danken, daß die Lage sich so schnell zu ihren Gunsten verändert hatte; es zeigte sich, daß ein altes großes Reich wie Österreich auf zuviel tiefgewurzelten Kräften ruhte, als daß ein wenn auch starker Anprall es umwerfen könnte. Als im Jahre 1745 der Tod den Kaiser von Frankreichs und Friedrichs Gnaden, Karl VII., hinraffte, kehrten die Kurfürsten in das verlassene Geleis zurück und wählten Franz von Lothringen, der durch seine Heirat mit Maria Theresia als zum Habsburger geworden betrachtet wurde; in diesem Falle verschlang der Stamm der Frau den des Mannes.

Friedrich hatte Schlesien und Ruhm erworben und konnte sich gesättigt der Arbeit für das Wohl seines Landes und der Philosophie widmen, Maria Theresia dagegen konnte sich in den Verlust Schlesiens, einer durch den Gewerbefleiß seiner Bewohner besonders wertvollen Provinz, nicht finden. Sie hatte das Gefühl, beraubt zu sein, und es war für sie selbstverständlich, daß sie dem Räuber die Beute wieder abnehmen würde, wenn es möglich wäre. Dazu war vor allen Dingen nötig, die Verhältnisse ihres Reiches so zu ordnen, daß es ebenso leistungsfähig wurde wie Preußen, sowohl die Verwaltung wie das Militärwesen. Sie unternahm ein großartiges Reformwerk, dessen Wesen darin bestand, daß die ständischen Einrichtungen noch mehr als vorher verstaatlicht wurden. Graf Haugwitz, der ihr dabei zur Seite stand, ein Sachse und Protestant, der Katholik wurde, hatte dabei Preußen als Muster vor Augen; der ständische Widerstand mußte in langsamer, geduldiger Arbeit überwunden werden. Die Heeresverwaltung wurde den Ständen ganz entzogen. In Wiener Neustadt wurde eine Militärakademie gegründet, in Wien eine Akademie für Ingenieure. Konnte Maria Theresia auch nicht selbst Soldat sein, so erstreckte sich doch ihr scharfer Regentenblick auch auf die militärischen Dinge. Ihre menschlich warme und königliche Art, zu loben und zu ermuntern, gewann ihr die unbedingte Anhänglichkeit der hohen Offiziere und Beamten.

Seit dem Jahre 1753 besorgte Graf Kaunitz die auswärtigen Angelegenheiten. Er führte eine aufsehenerregende Wendung in der europäischen Politik herbei, indem er Frankreich, das seit den Tagen Maximilians I. Österreichs erbitterter Feind gewesen war, Österreich zum Bundesgenossen gewann. Die Verbindung mit den Seemächten, die Leopold I. trotz des Widerstandes der jesuitischen Partei eingegangen war, und die im Sukzessionskriege zu wirksamen Siegen geführt hatte, wurde aufgegeben.

Auch Friedrich benützte die Friedensjahre, um sich zu rüsten. Als er im Jahre 1756 den Eindruck hatte, Maria Theresia habe ihre Vorbereitungen vollendet und stehe vor dem Angriff, erbat er sich von ihr das Versprechen, ihn weder in diesem noch im folgenden Jahre anzugreifen. Da sie es nicht gab, eröffnete er den Krieg. In dem Manifest, das die Welt von seinem Recht überzeugen sollte, rückten die alten Formeln von der bedrohten Freiheit und Religion der Reichsfürsten und von der österreichischen Universalmonarchie wieder auf. Friedrich, der im Jahre 1740 stolz und bewußt den Eroberungskrieg begonnen hatte, liebte es jetzt, sich als den unschuldig Verfolgten, das von den Wölfen gehetzte Lamm darzustellen, den Schwachen, den die schnöde Übermacht erdrücken wolle. Allerdings hatte Maria Theresia außer Frankreich das Reich und Rußland zu Verbündeten; aber das Reich war nicht ernstlich zu fürchten, und Frankreichs militärische Macht, vor fünfzig Jahren noch der Schrecken Europas, war in einem Grade gesunken, der allgemein überraschte. Frankreich war nicht in der Lage, einen Krieg zur See und auf dem Kontinent gleichzeitig mit Erfolg zu führen. Denn England war eben damals im Begriff, Frankreich seine amerikanischen Kolonien zu entreißen; es wurde dadurch naturgemäß zum Bundesgenossen des Königs von Preußen.

Schon das erste Kriegsjahr brachte Friedrich eine bittere Enttäuschung: sein Plan, durch überraschenden Angriff Böhmen zu erobern, mißglückte. Feldmarschall Daun entsetzte das belagerte Prag durch die Schlacht bei Kolin und zwang Preußen, Böhmen zu räumen. Es hätte auch Schlesien verloren, wenn nicht Friedrich durch einen leichten Sieg über die Franzosen bei Roßbach und die Schlacht bei Leuthen sich gerettet hätte. Gleichzeitig mit der furchtbaren Niederlage bei Hochkirch erhielt er die Nachricht vom Tode seiner Lieblingsschwester, der Markgräfin von Bayreuth. Er hatte Augenblicke tiefster Niedergeschlagenheit, der Verzweiflung. Aber aus solchen Stimmungen raffte er sich immer wieder auf, um durch äußerste Anstrengung sich und sein Land vor dem Untergang zu bewahren. Seine Majestät der Zufall, wie Friedrich zu sagen pflegte, kam ihm zu Hilfe: die Zarin Elisabeth starb, und ihr Sohn und Nachfolger, ein Verehrer des Königs von Preußen, zog seine Truppen sofort aus dem Krieg zurück.

Im Kampfe mit dem Schicksal, das er selbst herausgefordert hatte, war Friedrich ein einsamer, harter, verschlossener Mann geworden. Frisch und stolz hatte er seine ersten Lorbeeren gepflückt, die blutbefleckten, die er jetzt erstritten hatte, beglückten ihn nicht. War der Gewinn des Krieges die Opfer wert, die er kostete? Schon von seinem ersten großen Siege, der Schlacht bei Prag, sagte er, der Tod Schwerins habe seine Lorbeeren welken gemacht. Und wie viele seiner tüchtigsten Offiziere waren seitdem gefallen! Sein Heer, das Werkzeug, mittels dessen er sich über alle Fürsten des Reichs erhoben hatte, war aufgerieben. Er hatte Augenblicke, wo seine empfindlichen Nerven ihn vor dem Anblick des Schlachtfeldes voll von Verwundeten und Toten schaudern machten. In düsteren Stunden dichtete er, um sein jammerndes Herz zur Ruhe zu bringen. Er sah ein, daß er mit all seinem Geist, seinem Mut und seiner Schneidigkeit nicht alles erzwingen konnte: auch der Gegner hatte Einsicht und Mut, das Schlachtenglück wechselt, die glänzendsten Siege tragen nicht die erwünschte Frucht, weil es gegenwirkende Kräfte gibt. Standhalten, dem Tod ins Auge sehen, ohne ihn zu fürchten, das war die letzte Stellung, die man dem Schicksal gegenüber beziehen konnte. Der Tod, das war nicht das Ärgste, er konnte Befreiung bedeuten – unerträglich wäre die Demütigung, als Besiegter aus dem Kriege zurückzukehren. Er, Friedrich, sollte seine Staaten aufs Spiel gesetzt und sie verspielt haben? Er war dem Untergang zu nah gewesen, um jemals die frühere Freudigkeit wiedergewinnen zu können, wenn auch sein elastischer Geist immer wieder aufflammte und sich zu freier Betrachtung des Geschehenen erhob; sein Gemüt hatte die Heilkraft nicht, das Erlebte in sich aufzulösen und zu überwachsen.

Als er nach dem Frieden in seine Hauptstadt zurückkehrte, war er, obwohl erst 51 Jahre alt, ein alter Mann geworden, freundlos, freudlos. Schlesien hatte er festgehalten, sein Ruhm leuchtete weithin, das befriedigte seinen Ehrgeiz, aber es erwärmte sein versteinertes Herz nicht. Einzig die Arbeit hatte etwas Beruhigendes für ihn. Er dachte groß genug, sich für die Leiden seines verarmten, entvölkerten, verwilderten Landes verantwortlich und zur Wiederherstellung verpflichtet zu fühlen. Der darauf hinzielenden Tätigkeit widmete er die nächsten Jahre, er war unermüdlich und forderte von seinen Beamten denselben Eifer.

Wenn die Arbeit für sein Volk sein Leben fortan ausfüllte, so war es das Pflichtgefühl, das ihn dazu antrieb, nicht Liebe zu seinem Volk. Er hatte eine gewisse Neigung, ein gewisses verwandtschaftliches Gefühl für den Adel, besonders soweit er sich dem Militärdienst widmete, seine übrigen Untertanen beachtete er kaum, wenn er sie nicht verachtete. Vor der Schlacht bei Leuthen hielt er in tiefer Ergriffenheit eine Ansprache an seine Offiziere, dankte ihnen für ihre bisherigen großen Leistungen und stellte jedem frei, angesichts der bevorstehenden schweren Aktion sofort seinen Abschied zu nehmen, es solle ihm nicht nachgetragen werden. Dann trug er ihnen auf, zu ihren Regimentern zu sprechen. »Das Kavallerieregiment«, sagt er, »was nicht gleich, wenn es befohlen wird, à corps perdu in den Feind hineinstürzt, laß ich gleich nach der Bataille absitzen und mach es zu einem Garnisonregiment. Das Bataillon Infanterie, was, es treffe auch, worauf es wolle, nur zu stocken anfängt, verliert die Fahne und die Säbels, und ich laß ihm die Borten von der Montierung schneiden.« Eine grausame Unterscheidung. Beide, der Adel und das gemeine Volk, mußten ihr Leben für den König einsetzen; aber der Adel, der Ehre hatte, empfing Lob und Dank, das gemeine Volk wurde nur mit Strafen bedroht. Die Bürgerlichen, die während des Krieges zum Offiziersrang aufgestiegen waren, wurden nach dem Kriege wieder entfernt. Später, nach der Aneignung von Polen, durften dort, aber auch nur dort, Bürgerliche adlige Güter erwerben; die Polen verachtete der König so, daß die deutschen Bürgerlichen gut genug waren, sie zu verdrängen. Das Gesuch eines Kammerdirektors Lehmann, der König möge seinen Sohn adeln, der Premierleutnant in einem Garnisonregiment war, wurde mit der Randbemerkung abgelehnt: »Ich liebe kein unadlig geschmeis unter der armée.« Heiraten Adliger mit Mädchen bürgerlichen Standes erlaubte er nur selten und ungern, weil er fürchtete, daß die gute Rasse dadurch verschlechtert werde. Auch die höheren Beamtenstellen wurden ausschließlich mit Adligen besetzt; er hat nur einen einzigen Bürgerlichen, namens Michaelis, zum Wirklichen Geheimen Etatsrat ernannt. Indessen behandelte er auch die Beamten und selbst die Offiziere mit Härte und Verachtung, wenn sie sich nicht willenlos unterordneten, etwa gar eigene Wege gehen wollten. Widerspruch ertrug er nicht. Als ein Minister wagte, gewisse wirtschaftliche Maßregeln des Königs, besonders die Monopole, als schädlich zu bezeichnen, antwortete er folgendermaßen: »Ich erstaune über die impertinenten relationen, so sie mir schicken, ich entschuldige die Ministres mit ihre ignorance, aber die Malice und corruption der Concipienten muß exemplarisch bestraffet werden, sonsten bringe ich die Canailles niemahls in der Subordination.« Es geschah doch nicht nur aus Pflichtgefühl, daß er bis zur letzten Lebensstunde unermüdlich in der Verwaltung des Staates arbeitete, sondern er genügte damit zugleich der despotischen Sucht, allein, ohne Rat oder Einspruch von irgend jemand zu herrschen. Mehr und mehr lastete denn auch der Druck des unablässigen Regiertwerdens auf den Untertanen, namentlich die Berliner fühlten sich wie in einem Gefängnis. »Lassen Sie es aber doch einmal einen in Berlin versuchen«, schrieb Lessing, »über andere Dinge so frei zu schreiben, als Sonnenfels in Wien getan hat, dem vornehmen Hofpöbel so die Wahrheit zu sagen, als dieser sie ihm gesagt hat, lassen Sie einen in Berlin auftreten, der für die Rechte der Untertanen, der gegen Aussaugung und Despotismus seine Stimme so erheben wollte, wie es jetzt sogar in Frankreich und Dänemark geschieht, und Sie werden bald die Erfahrung haben, welches Land bis auf den heutigen Tag das sklavischste Land in Europa ist.« Wenn schon Friedrichs Untertanen Berlin gern vermieden, taten es viel mehr noch die Ausländer. »Gegen Mitte November«, schrieb Alfieri im Jahre 1769, »verließ ich die große Kaserne Preußen mit gebührendem Abscheu.«

Des Königs Erholung bestand immer noch darin, zu dichten, natürlich nur in französischer Sprache, die Huldigungen Voltaires und anderer französischer Schriftsteller zu empfangen und zu erwidern. Die schöne Morgenröte deutscher Dichtung erkannte er nicht, und wenn die deutsche Wissenschaft an ihn herantrat, verhielt er sich ablehnend. Einem Berliner Arzt, der eine Arbeit über Fische herausgeben wollte und um Einsendung seltener Exemplare durch die Kriegs- und Domänenkammer bat, schlug er es ab, weil man ohnehin alle Fische kenne, die es hier gebe. »Davon ein Buch zu machen, würde unnötig sein, denn kein Mensch würde ein solches kaufen.« Es ist nicht zu leugnen, daß er das königliche Vorrecht, viel zu sprechen und wenig zu hören, allzusehr ausnützte, doch kann man nicht umhin, die stets bereite Schwungkraft seines Geistes, den Reichtum seiner Einfälle zu bewundern. Er hatte unleidliche Vorurteile, aber oft handelte er in einem großen Sinn. Seine Duldung in religiöser Hinsicht hing wohl mit seiner religiösen Gleichgültigkeit zusammen; aber wie er den Grundsatz der Toleranz, ganz ohne seiner persönlichen Abneigung eine Einmischung zu gestatten, durchführte, ist doch bemerkenswert. So erlaubte er den Mennoniten, sich mit Geld von der Wehrpflicht abzulösen und ließ die Herrnhuter unbelästigt, obwohl er sie für eine »miserable Sekte« hielt. Seine scharfe Kritik verschonte am wenigsten die Fürsten, die ihr freilich viele Blößen boten. Er tadelte diejenigen, die nicht die ersten Diener des Staates waren; wenn sie im Gegenteil ihre Völker preßten, um ein ausschweifendes Leben zu führen, verachtete und verhöhnte er sie. »Der Gedanke«, so lautet ein schönes Wort des Ministers von Heinitz, »daß er seinen Stand als einen Beruf angesehen und nach Geistes- und körperlichen Kräften so viel wie möglich zu erfüllen gesucht, macht ihn für die ganze Welt verehrlich.«

War er streng in seinem Urteil über andere, so war er auch streng gegen sich selbst in seinen Forderungen und seinem Urteil, wenn er auch das Bedürfnis hatte, seine Handlungen und seinen Charakter der Welt in günstigem Lichte darzustellen. Manchmal brach ein wärmeres Gefühl aus seinem starren Herzen und beleuchtete seine Einsamkeit. In den letzten Monaten vor seinem Tode behandelte ihn der berühmte Arzt Zimmermann. Da er Schweizer und in Hannoverschem Dienst war, stand ihm der König unbefangener gegenüber als seinen eigenen Untertanen und ließ sich mehr gehen. Zimmermann traf den König mit einem alten Federhut auf dem Kopfe, in einem von Tabak beschmutzten Anzug, todkrank, mit geschwollenen Beinen, entkräftet, aber voll des Willens zu leben; in guten Augenblicken war er voll Geist und Feuer. Die sanfte, wohlklingende Stimme und der Adlerblick der leuchtenden Augen, womit einst der Kronprinz seinen Hofstaat hingerissen hatte, bezauberten jetzt den Arzt, der wußte, daß er einen Sterbenden vor sich hatte. Die letzten Worte, die Friedrich zu Zimmermann sagte, als er ihn verabschiedete, waren: »Vergessen Sie den guten alten Mann nicht, den Sie hier gesehen haben.« Vier Wochen darauf war er tot. Im Sterben legte er die Krone ab, die des Königs und die des Genies, um nichts als ein guter alter Mann zu sein.


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