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Bald nach dem Abschluß des Pyrenäischen Friedens starb Mazarin, der Nachfolger Richelieus, und an die Spitze Frankreichs trat der junge König Ludwig XIV. mit der Absicht, die Regierungsgeschäfte selbst in die Hand zu nehmen. Er war der erste Monarch in Europa, der die neue Staatsrechtslehre von der Unteilbarkeit und Allmacht der Staatsgewalt bewußt und mit dem Einsatz einer starken Willenskraft verwirklichte. Er war durchaus kein Genie, aber erfüllt von Selbstbewußtsein und Ruhmsucht war er höchst geeignet, die Kräfte eines blühenden, geeinigten Landes in sich zusammenzufassen und blendend darzustellen. Die Art, wie er sich selbst als Idol setzte, so daß die persönliche Eigenart sich verflüchtigte, gab ihm etwas Starres; vielleicht aber war es gerade das, daß er mehr götzenhaft als gottähnlich war, was ihm damals und später so viele Bewunderer verschaffte.
Der historische Gegner Frankreichs war der Kaiser. Karl V. hatte einst dem König Franz I. als Mensch und Fürst überlegen gegenübergestanden, Leopold stand in mancher Hinsicht hinter Ludwig zurück. Er war so verschieden von ihm wie das bunte, mannigfaltige Völkerreich Österreich von dem geschlossenen Staat Frankreich. Als er im Jahre 1659 zur Regierung kam, war er erst 18 Jahre alt, eine äußerlich etwas kümmerliche Erscheinung. Er hatte nicht das blonde Haar, das eigentliche Kennzeichen der Habsburger, er war dunkel, und nur die außergewöhnlich dicke hängende Unterlippe, die unverschämt große Goschen, wie Karl Ludwig von der Pfalz sagte, konnte als Familienmerkmal angesprochen werden. Als jüngerer Sohn war er zum Geistlichen bestimmt und jesuitisch erzogen worden, seine natürliche Anlage zum Jähzorn, zum Selbstbewußtsein und zum Stolz hatte man unterdrückt. Nicht nur infolge der Erziehung, sondern auch von Natur war er durchaus unkriegerisch und hatte keinen Funken politischer Leidenschaft.
In diesem Punkt war Ludwig ihm weit überlegen. Er besaß, was den Eroberer macht: einen festen auf ein festes Ziel gerichteten Willen. Dies Ziel war durch die großen Minister, die ihm vorausgegangen waren und ihm vorgearbeitet hatten, vorgeschrieben: die Rheingrenze und folglich die Einverleibung derjenigen Gebiete, die Frankreich vom Rhein trennten. Darüber hinaus gab es einen fernen Gipfel, den schimmerndes Gewölk verhüllte: die Kaiserkrone, die noch immer das edelste Diadem der Christenheit war, und dann, was vielleicht jedes Eroberers heimlicher Endwunsch ist, die Weltherrschaft, wenn man den erreichbaren Erdkreis Welt nennen will. Diese Herrschaft konnte nicht unmittelbare Aneignung sein, wohl aber wirksamer Einfluß, schiedsrichterliche Stellung. Ludwig als Kaiser würde der wahre Dominus mundi sein, dem selbst der Papst Untertan wäre. Gab es irgendeine Macht, die ihm erfolgreichen Widerstand hätte leisten können? Über England regierte der Stuart Karl II., den seine Absicht, England wieder zu katholisieren und ein absolutistisches Regiment aufzurichten, zum Gefolgsmann Frankreichs machte, und der ohnehin durch seinen Charakter wie durch das gegensätzliche Verhältnis zu seinem Volke ein gering zu schätzender Feind gewesen wäre. Holland hatte soeben einen großen Seekrieg mit England ruhmreich beendet, durch welchen England Hollands Übergewicht zur See zu brechen versucht hatte. Wie natürlich war der Anschluß an Frankreich für einen Staat, der sein Entstehen einem 80jährigen Kampfe gegen Spanien verdankte! Jan de Witt, der Ratspensionär von Holland, ein kultivierter, bedeutender Mann, glaubte im herkömmlichen Anschluß an Frankreich den Frieden am besten erhalten zu können, und Frieden erschien der ersten europäischen Handelsmacht als wichtigstes Erfordernis. Den Frieden und die durch den Kongreß von Osnabrück und Münster notdürftig geordneten Verhältnisse zu erhalten, war der allgemeine Wunsch im Reich, das Ludwig auch ohnehin durch den Rheinbund beherrschte. Die meisten Reichsfürsten waren außerdem noch durch Subsidien an Frankreich gefesselt. Es blieb Österreich als etwa zu fürchtender Gegner; aber gegen Österreich konnte Ludwig die Ungarn und die Türken hetzen. Regent, Diplomaten, Feldherren, Finanzen waren überhaupt derart in Österreich, daß der König von Frankreich ohne Mühe mit ihnen fertig werden zu können glaubte.
Seit Leopold die Regierung angetreten hatte, war er außerordentlich fleißig; aber wenn er stundenlang Berichte gelesen und Briefe geschrieben und die disgusti, die die Politik mit sich bringt, ausgehalten hatte, glaubte er eine recreazion verdient zu haben und ergab sich mit frohem Herzen dem, was das Eigentliche war. Das Eigentliche waren Musik und Liebe. In seine jeweilige Frau war er sehr verliebt, besonders wenn sie seine Cousine war. Seine erste Frau, eine spanische Prinzessin, war so vielfach mit ihm verwandt, daß sie fast wie eine Schwester war, und doch eine Fremde, etwas unwiderstehlich Anziehendes. In der Musik war er selbst ausübend, und Musik zu hören konnte er nicht entbehren. Wenn eine Oper aufgeführt wurde, stahl er sich selbst dann hin, wenn die Hoftrauer um irgendein Glied seiner Familie es ihm eigentlich verbot. Auch den Balletten, den Turnieren, den Jagden und sonstigen Festlichkeiten widmete er sich mit Hingebung. Neben einem steifen und pompösen Zeremoniell, das streng nach den Gebräuchen der Vorfahren eingerichtet war und unerschütterlich gehandhabt wurde, ging es am Hofe wienerisch gemütlich zu. Viele fanden es anstößig, daß Leopold in Frankfurt während der Kaiserwahl sich mit Kegelschieben unterhalten und dabei vertraulich mit seinen Begleitern verkehrt hatte. Er konnte das tun, weil er wußte, daß sie nie die Grenze überschreiten würden, die zwischen dem Herrn und seinen Dienern gezogen war. Vielleicht war es eine Art Hochmut, daß er sich so unbekümmert in seiner Menschlichkeit gehen ließ; aber jedenfalls war es ein Hochmut, der ihm die Menschen näherbrachte, anstatt sie von ihm zu entfernen. Die Dietrichstein, Portia, Lobkowitz, Liechtenstein, Piccolomini, Esterhazy, Österreicher, Reichsdeutsche, Italiener, Böhmen, Ungarn, die die Hufe ihrer Pferde mit Silber beschlagen lassen konnten, die viele Güter besaßen und reicher waren als der Kaiser, hielten sich in Wien auf, weil sie nur am Hofe ihres Lebens froh werden konnten. Zu den Beschäftigungen, die dem Kaiser am Herzen lagen, gehörte auch das Besuchen von Kirchen und Klöstern, die Wallfahrten, die gottesdienstlichen Verrichtungen. Er war sehr kirchlich und aus Überlieferung und Gewohnheit fromm. Gott war für ihn ein besonders vornehmes Glied der Familie, eine Art sagenhafter Ur-Habsburger, der wohl einmal, temperamentvoll, wie er war, die Zuchtrute über ihm schwingen konnte, der aber doch schließlich ein Einsehen haben und die Seinigen gut hinausführen würde.
Dem leidenschaftlichen Erobererwillen Ludwig XIV. hatte er diese Frömmigkeit und sein Pflichtgefühl entgegenzusetzen, und etwas, was freilich auch Magie war: das habsburgische Cäsarenbewußtsein, das sich mit seiner kindlich-spielerischen Natur wunderlich vereinte. Dadurch, daß er nichts tat, ermöglichte er es zuweilen der Zeit und dem Zufall, etwas für ihn zu tun. Etwas österreichischer Skeptizismus und Fatalismus war auch dabei; er sah um sich herum so viele Leute, auch seine eigenen Kinder, sterben, sah so viele Glückswechsel, Erwartungen und Enttäuschungen: basta, pazienza, man mußte es geschehen lassen, man konnte nichts tun, als hoffen, daß es besser komme.
So war es aber doch nicht, daß sich Leopold des Gegensatzes zu Frankreich, der ein Erbteil seiner Familie war, nicht bewußt gewesen wäre. Frankreich gegenüber fühlte er sich deutsch und erhob sich auch wohl zu dem Gefühl der Verantwortung, die er als Kaiser für das Reich übernommen hatte. Seine Briefe waren, wie gewiß auch seine Rede, gespickt mit lateinischen, italienischen, spanischen Brocken, denn diese Sprachen beherrschte er und hatte viel Gelegenheit, sie zu brauchen; aber nie kommt ein französischer Ausdruck vor. Es mußte ihn erbittern, daß Ludwig ihm in Spanien den Rang ablief und die Hand der ältesten Tochter des spanischen Königs errang, die er schon als die seinige betrachtet hatte. Durch unablässiges Werben und Drängen setzte er die Vermählung mit der zweiten, Margarethe Theresia, durch, einem zarten, gebrechlichen Wesen, das nach mehreren Geburten geduldig starb. Einstweilen jedoch bestanden zwischen Versailles und Wien gute Beziehungen, Leopolds vertrautester Rat, Lobkowitz, war sogar ein Bewunderer des französischen Königs.
Vergleicht man die Persönlichkeit der beiden Regenten, so mußte, wenn es sich um kriegerische Entscheidungen handelte, Leopold hinter Ludwig zurückstehen; noch weit mehr aber war das der Fall, wenn man den Unterschied in der Verfassung der Länder bedenkt. Ludwig verfügte über alle finanziellen und militärischen Kräfte Frankreichs; wenn auch Leopold keinen Widerstand der Stände mehr zu befürchten hatte, so war doch Österreich bei weitem nicht so zentralisiert wie Frankreich, und auf den österreichischen Adel mußte viel mehr Rücksicht genommen werden. Als Kaiser bedeutete Leopold militärisch überhaupt nichts. Ob das Reich, das unter einem Führer eine fast unwiderstehliche Macht ins Feld hätte schicken können, sich ihm anschließen wollte, hing vom Belieben der einzelnen Reichsstände ab, von denen ein großer Teil an Frankreich verkauft war. Ohne Verbindung mit einer auswärtigen Macht konnte Leopold kaum einen Krieg mit Frankreich wagen.