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Vanderbergen war gegen Mitternacht wieder zu sich gekommen. Isold stand an des Geheimrats Bett und fragte besorgt, wie er sich fühle. Er strich sacht über die schlanke Hand der Tochter und lächelte matt. Es war, als ob er etwas sagen wollte – aber dann schien er sich anders zu besinnen und schwieg.
Sie fragte, ob er etwas wünsche, er blickte verwirrt um sich und sagte plötzlich:
»Ja – Mama könnte doch noch einmal kommen und nach mir sehen. – Vielleicht bringt sie mir noch ein Glas Tee.«
Er sprach von der Verstorbenen, als ob sie noch lebte und eben dagewesen sei.
Isold ging erschüttert und brachte ihm den Tee. Dann sagte sie »Gute Nacht.«
Sie ließ im Nebenraum die Ampel brennen, nachdem sie dem Diener den Auftrag gegeben, er möge auf alle Fälle bereit sein für die Nachtglocke des Arztes, der in der Nähe wohnte, legte sie sich in Kleidern auf die Ottomane. Sie wartete und wartete. Schließlich überwältigte sie doch der Schlaf.
Vanderbergen schlief nicht. Er fand keine Ruhe, seine Gedanken wanderten. Sie wanderten weit zurück in die Vergangenheit, als er die blonde Frau heimführte, deren holdes Abbild Isold war. Isold, sein Liebling, sein Stolz. Hatte er sie nicht verschwenderisch mit allem umgeben, was die Einkünfte eines beträchtlichen Vermögens und einer gut dotierten Stellung ermöglichen? Und doch – er fühlte, daß er ihr etwas schuldig geblieben war – er fühlte – es war sein Verhängnis, er konnte nicht heraus aus seiner Zurückhaltung, die ein Erbteil der Vanderbergen war. – Konnte die Wärme nicht hergeben, die ihn doch erfüllte!
Er bedachte das Schicksal der einzigen Tochter, wie oft schon hatte er es vorbedacht: Sie sollte die Frau eines Großen werden im Reiche der Wissenschaft oder der Politik – das war sein Plan! Und nun – er hatte es wohl gemerkt, obschon er es weislich nicht zeigte, mit Besorgnis beobachtet, daß sie an diesem jungen Menschen hing, an diesem noch unfertigen, an diesem abenteuerlichen Studenten. Hm, da fällt mir ein, das Manuskript! Richtig – das Manuskript dieses Walter Arndt – das ist ja noch im Geheimfach, das soll sie wenigstens haben – ja, sie könnte es vielleicht mißdeuten, wenn sich dieses Manuskript im Geheimfach findet, als ob ich – hm, – lächerlich, als ob ich es – – –.
Der Geheimrat erhob sich mühsam: Ist denn niemand wach? Um so besser, im Nebenzimmer brennt ja die Ampel. Er warf den Schlafrock über und schlüpfte in die Filzschuhe, ihm war leichter, etwas leichter. Aus der Tasche seines Beinkleides nahm er den Schlüsselbund, suchte mit zitternder Hand einen kleinen Sicherheitsschlüssel hervor und wankte zum Schreibtisch, hielt sich, weil ihm schwindlig war, einen Augenblick an der Tischkante und öffnete dann das Fach. Das Schloß knackte, Isold erwachte von dem Geräusch. Der Geheimrat zog das Manuskript Walters hervor. Da, – ein kurzes Stöhnen, – Isold sprang auf, der Geheimrat war umgesunken.
Die Tochter kniete erschreckt neben ihm nieder.
»Papa!«
Keine Antwort. Keine Regung.
Sie läutete hastig, der Diener kam.
»Schnell, schnell zum Arzt! – Helfen Sie mir erst!«
Beide betteten den Geheimrat auf den Diwan. Eine Viertelstunde später kam der Arzt, prüfte und sagte mit gedämmter Stimme:
»Fassen Sie sich. Es ist vorbei –.«