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Illustration: Willy Planck

18. Kapitel.
Die einsame Klippe.

Wyndham warf dem Araber einen fragenden Blick zu. Beide sahen plötzlich das Leitseil mit rasender Geschwindigkeit in die Tiefe abrollen.

Es mochten dreißig Sekunden verstrichen sein, als die abrollende Bewegung nachließ – das Seil wurde schlaff. Was war geschehen?

Ehe Wyndham seine Vermutung, ein Riesenfisch habe das Seil herabgezerrt, äußern konnte, hatte Abdallah seine Kleider behende abgeworfen und stürmte kopfüber in die Tiefe.

Nach Minuten, die Wyndham eine Ewigkeit schienen, kam er erschöpft an die Oberfläche zurück, er hielt Walters Harke in der Hand.

» Voilà tout,« sagte er keuchend.

Wyndham holte den zweiten Taucher herbei. Er wurde geschwind fertig gekleidet und gerüstet und stieg hinab.

Inzwischen hatte sich die Unglückskunde auf dem Deck verbreitet. Alles wartete auf den Taucher, er kam wieder mit der Botschaft: von Walter Arndt keine Spur zu finden.

Ein weiterer – und eine Stunde später auf Veranlassung Vanderbergens unternommener dritter Versuch des Tauchers hatten kein anderes Ergebnis, als zu bestätigen, was man schon wußte: daß die ganze Fesselung zerrissen war. Die Vermutung, ein großer Fisch sei die Ursache gewesen, gewann an Wahrscheinlichkeit.

Der Zoologe bestritt diese Deutung. Er bezweifelte, daß solche Riesenfische ihre großen Tiefen verließen und so nahe an flachere Gegenden der Küste kämen.

»Erlauben Sie,« entgegnete der Kapitän, »ich entsinne mich eines beglaubigten Falles. Es sind erst einige Jahre her, da wurde an der Delaware-Bay ein Ungeheuer angespült, das an zweihundert Zentner wog und einer unbekannten Spezies angehörte. Es sah einem See-Elefanten ähnlich. Wahrscheinlich hatte es sich in eine flachere Gegend verirrt, denn es ist freilich kaum anzunehmen, daß der riesenhafte Kadaver aus einer großen Tiefe heraufgespült wurde. Die Tiefen von 4000 bis 5000 Meter bergen Geheimnisse und vielleicht auch noch Riesentiere der Vorwelt, zu denen wir nicht gelangen können. – Ich vermute, daß Walter Arndt einem solchen Ungeheuer zum Opfer gefallen ist.«

Abdallah schüttelte zu dieser Erklärung den Kopf und wies mit stummer Gebärde zum dunklen Himmel hinauf, an welchem die Sterne aufblitzten.

Auf die Frage des Kapitäns, was er eigentlich meine, erwiderte der Araber:

»Ihm ist ein früher Tod nicht bestimmt.«

Seltsam erschien es dem Kapitän, daß auch Wyndham, der sonst so nüchterne, nicht an den Untergang Walter Arndts glauben wollte.

Auf des Ingenieurs Veranlassung beschloß man, vorläufig keine Mitteilung über Walters Schicksal in die Heimat gelangen zu lassen.

Geheimrat Vanderbergen, der sehr bleich geworden war, stimmte zu und sagte:

»Meine Herren, diese Mitteilung überlassen Sie, ich bitte dringend darum, mir allein. Ich werde sie übernehmen, sobald es an der Zeit ist.«

Die Viktoria verließ die Unglücksstätte noch vor Tagesanbruch und setzte ihre Fahrt südwärts längs der westafrikanischen Küste fort.

Tunfischer von der Insel Gomera kehrten mit ihrem Fang bei sinkender Sonne heim.

Zwei junge dunkelhaarige Gomeros führten die Ruder, ein dritter, älterer, stiernackiger saß für sich auf der Bank neben dem Steuer, das eine junge blonde Frau sicher und gelassen hielt. Mit den hellen Augen eines Falken sah sie, kielwärts blickend, auf einsamer Klippe einen Menschen liegen und lenkte das Boot nach diesem Ziel.

»Wo willst Du hin?« fragte der Mann sie zunächst verdrießlich, als er die veränderte Fahrtrichtung bemerkte.

»Dort liegt ein Mensch, Pedro,« war die Antwort.

»So laß ihn liegen, wenn es ein Toter ist, haben wir keinen Dank, nur Scherereien von den Behörden. Lebte er, dann hätte er sich schon bemerkbar gemacht.«

Die Frau gab keine Antwort.

»Zieht die Ruder ein!« befahl sie kurz.

Es geschah und das Boot legte an der Klippe an. Die Frau schürzte ihren Rock und war mit einem Sprung auf dem dunklen, meerumbrandeten Lavagestein. Sie beugte sich über den Regungslosen und sah sein bleiches Gesicht, von dem die Kopfbedeckung losgerissen schien, mit Blut befleckt, das aus einer Stirnwunde rieselte.

Illustration: Willy Planck

Sie kniete, ergriff die Arme des Ohnmächtigen und begann sie über den Kopf des Bewußtlosen zu heben und wieder nach vorne zu Boden zu senken. Nachdem sie diese Bewegung wohl ein dutzendmal wiederholt hatte, rief sie plötzlich:

»Er atmet! Wein her!«

Widerwillig warf Pedro ihr eine strohumflochtene Flasche zu. Sie fing sie geschickt auf und flößte dem Verunglückten von dem Palmwein der Insel ein.

Er atmete tief auf und öffnete die Augen. Sie blickten abwesend und schlossen sich wieder, Ohnmacht schien den Fremden aufs neue zu umfangen.

»Faßt an!« gebot die Frau. Die beiden Ruderer sprangen auf, während Pedro sich darauf beschränkte achselzuckend ein wenig zur Seite zu rücken.

Die Frau hob flink eine Ruderbank heraus, breitete mehrere Ziegenfelle auf den Boden des Fahrzeuges und teilweise auch über die Fischbeute, die es füllte. Der Ohnmächtige wurde darauf gelegt, die Ruderer rückten auf einer Bank zusammen. Die Fahrt ging weiter. Dabei wurde kein Wort gesprochen.

Erst als man der Brandung sich näherte, welche die felsige Heimatinsel umtost, fragte Pedro:

»Was willst du mit ihm anfangen?«

»Eine Nacht geben wir ihm Obdach.«

»Gut. Eine Nacht. Länger nicht.«

Das Boot legte an. Die beiden Gomeros verbanden zwei Ruder quer mit Seilen, bedeckten sie mit Ziegenfellen, legten den Ohnmächtigen auf diese schnell hergestellte Bahre und trugen ihn in die Hütte Pedros, unfern des Strandes am Eingange einer der Schluchten, welche diese vulkanische Insel zerklüften. – In dem zweiten kleineren Gelaß der Hütte wurde der Fremde auf ein Strohlager gebettet. Die Ruderer erhielten zu ihrem Gefio, der gerösteten Gerste, die sie nach Landessitte in Beuteln mit sich führten, Wein von der Hausfrau und eilten zum Boot zurück, um den Fang und die Gerätschaften zu bergen. Im vorderen Raum der Hütte entfachte die Frau die Glut, die noch im Herde schwelte und setzte einen Topf mit Ziegenmilch auf. Dann füllte sie aus dem kupfernen Wasserkessel eine hölzerne Schale, kehrte zu ihrem Gast zurück und wusch ihm behutsam mit einem Tuch das Gesicht vom Blute rein. Er bewegte die Lippen, aber kein Ton kam hervor. Sie befreite seine Füße von den Schuhen und löste vorsichtig die Stücke der zerrissenen Kleidung von seinem Körper. Der Verunglückte stöhnte, er schien Schmerzen zu haben. Sie wußte sich keinen Rat, ließ ihn in den noch feuchten Unterkleidern, deckte ihn bis an den Hals mit Ziegenfellen zu und schob ihm eines der Felle zusammengerollt als Stütze unter den Kopf.

Dann kehrte sie zum Herd zurück und sah, daß Pedro in der Ecke über dem Tisch bei seiner Mahlzeit eingenickt war. Sie lächelte schelmisch und ging auf Zehenspitzen wieder zu ihrem Gast. Er schlief. Sie kniete und hörte sein Herz ruhig schlagen, da machte sie das Zeichen des Kreuzes über ihn.


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