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Aus Walters Tagebuch.
Den seltsamsten Passagier der Viktoria lernte ich unverhofft am Morgen nach der Abfahrt kennen. Ich befand mich gerade auf Deck, als mir plötzlich hinterrücks die Mütze vom Kopfe genommen wurde. Ich blickte um mich und sah einen kleinen grauen Affen – von der Art der Meerkatzen – wie er gerade mit meiner Mütze zum Stand des Kapitäns hinaufkletterte. Der Kapitän rief: »Troll! Gib her!«
Der Affe setze die Mütze schief auf den Kopf, kletterte höher hinauf und knurrte aufgeregt.
»Troll!« sagte der Kapitän in drohendem Ton, »du bekommst Prügel!«
Da stieß der Affe einen langen Pfiff aus, als ob er sagen wollte: »Sieh mal an!« Er kam geschwind zum Kapitän zurück, machte zuerst hüpfend einen ängstlichen weiten Bogen um ihn, reichte ihm dann hastig die Mütze, schwang sich wieder über das Geländer und jagte die Kajütentreppe hinunter.
Ich habe ihn tagelang nicht mehr gesehen und hörte, er liebt es, sich zu verstecken, er sucht sich launenhaft die sonderbarsten Schlupfwinkel aus. »Kurz vor der Abfahrt,« berichtete mir der Matrose Max, der ihn zu füttern hat, »war das Tier nicht zu finden, schließlich entdeckte man ihn, als das Schiff schon fuhr, in der Kohlenkammer, wo er gänzlich schwarz gepudert zum Vorschein kam. Troll gehört dem Kapitän, der ihn nur mitnimmt, wenn er in tropische Gegenden fährt. Der Kapitän, der sonst streng auf Ordnung hält, ist gegen diesen Affen merkwürdig nachsichtig. Man erzählt, das Tier sei das Vermächtnis eines verstorbenen Freundes, eines Marineoffiziers, der in den Tropen gestorben ist.«
Dieser Affe gab den Anlaß zur näheren Bekanntschaft mit dem Schiffsjungen Tom. Ich fand nämlich den kleinen Tom abseits auf einem zusammengerollten Tau sitzen, mit einer Schüssel Erbsensuppe auf den Knien. Er aß aber nicht, sondern stierte vor sich hin. Ich fragte den Jungen, dessen keckes Wesen mir aufgefallen war, was ihm fehle. Er erwiderte vertraulich und bedrückt, daß er »Haue« gekriegt habe, weil in der Küche des Kapitäns ein großes Stück Räucherspeck fehle. Und nun behauptete der Koch, weil er, nämlich Tom, in der Küche rein gemacht habe, er müsse den Speck genommen haben.
»Ich wars nicht!« beharrte der kleine Tom mit einer gewissen Würde im Ton, »und der Steuermann sagt nun zu mir: Diebsbrut. Das kränkt mich.« – »Was meinte er denn damit?«
»Das ist nun so,« sagte er zögernd und etwas kleinlaut, »mein Vater nämlich, der – sitzt.«
Ich fand nicht gleich eine Antwort auf diese überraschende Mitteilung. Der Kleine bemerkte meine sichtliche Betroffenheit und fügte erklärend hinzu:
»Ja, er hat nämlich, müssen Sie wissen, bei einem Einbruch Schmiere gestanden. Dabei haben sie ihn erwischt. Mich kränkt es nun, wenn man mich Diebsbrut nennt, denn ich habe ja garnichts davon gehabt.«
»Wäre es nicht schlimmer, du hättest den Speck wirklich genommen?«
»Nein, denn dann hätte ich ja die Prügel wirklich verdient!«
»Du verstehst also nicht, Junge, daß es immer noch besser ist Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun.«
Er sah mich ungläubig au. »Nein, das verstehe ich nicht.«
»Dann wirst du es noch lernen müssen. – Hast du keine Mutter mehr?«
»Nein,« sagte er, »die ist tot.«
»Und sonst niemand?«
»Nein, niemand. Außer der Armendirektion, die hat mich eingekleidet, als ich zur See ging.«
Ich versprach dem kleinen Tom bei dem Kapitän für seine Unschuld einzutreten, er überzeugte sich, daß ich es gut mit ihm meinte und aß schließlich auf mein Zureden die erkaltete Erbsensuppe.
Am Abend fand man den Dieb: Es war Troll, der Affe des Kapitäns. Er saß unter einer Schiffstreppe versteckt und sah erbärmlich aus. Er hatte den ganzen Speck heimlich gefressen und ihn wieder von sich gegeben und stieß merkwürdige Jammerlaute aus. Die Folge für ihn war, dass der Kapitän ihn in seine Koje nahm und wieder an die Kette legte.
Die Prügel, die Tom dieses Mal unschuldigerweise erhalten hatte, wurden ihm für seine nächste Missetat gutgeschrieben.
Der Affenstreich aber war eigentlich die Veranlassung, daß ich mich mit dem kleinen Tom weiter beschäftigte, ich hatte täglich eine kurze Unterhaltung mit ihm, erklärte und erzählte ihm dies und das. Er empfand es offenbar dankbar, daß ich mich seiner annahm und strahlte schon, wenn er mich von weitem sah.