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2. Kapitel.
Ein Brief und ein Telegramm.

Lieber Onkel Ernst!

In Eile nur die Nachricht, daß ich eben das Abiturienten-Examen bestanden habe. Eine Abschrift des Zeugnisses füge ich bei nebst einem Brief des Herrn Rektor.

Ich fasse mich kurz, weil diese Mitteilung gleich zur Post soll, damit sie Dich in Stettin noch vor Deiner Abfahrt erreicht. Laß mich bei dieser Gelegenheit Dir von Herzen danken für alle Deine Liebe und Güte.

Dein getreuer
Walter.

 

Sehr geehrter Herr Kapitän!

Zugleich möchte ich Ihnen meine Freude darüber ausdrücken, daß unser Junge so gut – in Sprachen und Geschichte sogar sehr gut – bestanden hat. Auch sonst ist alles für das Universitätsstudium vorgeordnet, wie wir es seiner Zeit besprochen hatten. Sie haben aber seinen Aufenthalt in der Zwischenzeit noch nicht bestimmt und, so gerne wir den Jungen bei uns behielten, wäre doch nach meiner Meinung die in Aussicht gestellte Erholungsreise das Richtige für ihn.

Mit den besten Empfehlungen auch von meiner Frau

Ihr ergebener
Gerhart, Rektor.

Dem Kapitän Arndt, der im Wohnzimmer seines kleinen Jungggesellenheimes auf dem Ledersofa saß, ging beim wiederholten Lesen dieses Briefes ganz gegen seine Gewohnheit die Pfeife aus – so sehr freute er sich über die Nachricht.

»Nein, so ein Bengel!« rief er, mehr konnte er vor Erregung nicht herausbringen, und klopfte sich mit der flachen Hand auf den Schenkel –

»Marianne!« schrie er der alten Haushälterin zu, »was sagst du dazu? Gib mal Feuer her! Der Junge hat sein Examen ausgezeichnet bestanden! Ich muß ihn herhaben, drei Tage habe ich noch Zeit. Wir telegraphieren ihm, was Marianne?«

Ehe noch die Alte erwidern konnte, war der Kapitän zur Türe hinaus auf dem Wege zum Amt.

Am nächsten Vormittage erhielt Walter das Telegramm:

Freue mich unmenschlich. Sofort mit Schnellzug her. Gleich fertig für weitere Reise. Onkel Ernst.

»Herr Rektor, es geht auf Reisen!« rief Walter lebhaft.

Der Rektor lächelte gütig, freilich auch ein wenig wehmütig, weil er an sein kinderloses Heim dachte.

Am Nachmittage war alles gepackt. Nun hieß es Abschied nehmen von den Rektorsleuten, von der Schule, von dem traulichen Städtchen mit seinen uralten Brunnen und Toren, vom Schloßgarten mit seinen mächtigen Linden, von dem schlichten Gotteshause, in dem einst der junge Sebastian Bach als Kantor gewirkt hatte und von so vielen anderen lieben, lauschigen Plätzen. Es blieben fast noch zwei Stunden bis zur Abfahrt des Zuges. Und Walter war das Herz so voll. Er schrieb auf seinem Pulte einige Verse nieder und reichte das Blatt dem Rektor. Der las:

Thüringer Land, leb wohl, leb wohl –
Muß dich meiden, muß dich lassen,
Und dich Städtlein am Bergeshang
Mit den traulichen stillen Gassen.

Dich, du schweigender grüner Wald,
Dich, du lieber Fluß im Tale,
Euch ihr Gärten voll Blütenduft –
Alles verlier ich mit einem Male!

Nordwärts mein Weg in die Nied'rung geht,
Schnell entzieht ihr euch meinen Blicken.
Lindenlüfte weh'n mir nach,
Grüne Wipfel grüßen und nicken.

Ach, mein Herz kennt euren Gruß
Und es will sich gar nicht fassen.
Deutlich fühlt's, daß es zur Stund'
Etwas Liebes muß verlassen.

»Sieh, sieh!« sagte der Rektor. »Ganz volksliedmäßig, dein poetisches Talent beginnt sich zu formen.«

Er reichte ihm als Gegengabe eine kleine Handbibel, Walter schlug den Lederdeckel auf und las die eingeschriebene Widmung:

Denen, die Gott lieben, gedeiht alles zum Guten.

Er sah den Rektor dankbar an, stumm und heftig drückte er ihm die Hand. Die bleiche stille Frau des Rektors hatte Tränen in den Augen. Sie zog den Scheidenden sacht an sich. Der Abschied wurde Walter nicht leicht. Die wechselnden Eindrücke der Reise verscheuchten indessen schnell alle wehmütigen Gedanken.

Am Bahnhof stand der Kapitän und winkte schon von weitem. »Junge! Du bist gewachsen, seit ich dich zuletzt sah!« rief er, »aber bleich stehst du aus. Du musst dir frische Luft um die Ohren wehen lassen!« Auf dem festlich gedeckten Tisch blinkte zur Begrüßung eine Flasche Wein.

»Ausnahmsweise!« sagte der Kapitän schmunzelnd, »weil heute ein Festtag ist. Prost! Du bleibst bis morgen bei mir und wir machen Pläne. Danach schicke ich dich für drei bis vier Wochen nach Rügen. Ich kenne da ein Häuschen in einem abgelegenen Fischerdorf – nicht etwa elegantes Badeleben, so etwas machen wir nicht. Hab's nicht dazu. Ist ja auch nicht dein Fall. Das Häuschen, wo ich früher verkehrte, gehört meinem ehemaligen Steuermann. Hab' ihm schon geschrieben. Da ist prachtvoller Wald und Strand, da kannst du rudern und schwimmen, oder mit dem alten Seebären fischen. Da gibt es täglich frische Eier und Milch und Obst. Nur nicht büffeln dabei! Die Bücher lass du bei Seite, dazu kommst du zeitig genug. Dein Wohl, Junge! Machs gut.«

Während der Neptun mit Kapitän Arndt auf der Kommandobrücke in See stach, fuhr Walter nach Rügen hinüber.


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