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Lieber Onkel!
Seit ich Dir meine Ankunft meldete, habe ich außer Deinem Kartengruß keine Nachricht von Dir. Aber ich weiß ja, Du bist nicht schreiblustig.
Heute habe ich eine besondere Mitteilung, die Dich gewiß erfreuen wird. Ich schrieb Dir schon von meinem Besuch bei Geheimrat Vanderbergen, dem Leiter der bevorstehenden atlantischen Tiefsee-Expedition. Meine Anregung, auf dem Grunde des Atlantischen Ozeans nach den Resten alter Kultur zu forschen, hat bei ihm einen merkwürdigen Widerhall gefunden: Obschon es sich bei der Tiefseeforschung um ozeanographische und zoologische Dinge handelt, wurde bei der Konferenz, die vor drei Tagen stattfand, beschlossen, versuchsweise kulturhistorische Forschungen anzuschließen. Professor Weckerle, der zum Leiter dieser Abteilung berufen wurde und zugleich die Ordnung der Bibliothek übernommen hat, will mich als Sekretär mitnehmen und die Zeit der Reise wird mir als Studienzeit angerechnet werden. Ich bin glücklich, daß ich auf diese Weise so viel Neues und Wissenswertes lerne, ohne daß Dir dadurch besondere Kosten entstehen, lieber Onkel. Im Gegenteil: Ich kann dieses Mal auf Deinen Quartalswechsel verzichten. Ich habe an Bord alles frei und noch ein täglich ausbezahltes Taschengeld. Ich besuche allerdings hier noch den einleitenden Vortrag »Alte Kulturen« den Weckerle hält, bin aber nachmittags meist im Hafen an Bord der Viktoria, die erst für die Tiefsee-Expedition hergerichtet wird. Die Viktoria ist ein Dreimaster, 94 Meter lang, 11 Meter breit und 7 Meter tief und läuft 12 bis 13 Knoten die Stunde. Das Deckhaus aus dem Hinterschiff, das durch zwei Treppen mit dem darunter befindlichen Salon und den tiefer liegenden Kabinen verbunden ist, wird als Mikroskopierraum hergerichtet. An der Seite laufen Klapptische entlang, an denen gearbeitet werden soll. Im Zwischendeck des Hinterschiffes sind mehrere Laboratorien vorgesehen: ein chemisches mit Oberlicht für den Tag und, mit elektrischer Beleuchtung, daran grenzend ein zweites für bakteriologische Untersuchungen, die der Schiffsarzt Dr. Wintersheim leitet – und drittens eine photographische Dunkelkammer.
Auf dem Vorderschiff wird jetzt im Zwischendeck ein Konservierraum eingerichtet. An den Wänden werden Schränke und Klappbretter zum Ausstellen der verschiedenen Funde und Präparate angebracht. Zinkwannen und Zinkbüchsen wurden zur Aufbewahrung und teilweise auch zur Beobachtung noch lebenden Fanges angekauft.
Die Bibliothek wird in den Seitenwänden des Salons untergebracht und durch Professor Weckerles Besitz an wichtigen kulturhistorischen und philologischen Werken ergänzt.
Sehr merkwürdig sind die Apparate für Echolotungen, Vorrichtungen zur Messung der Zeit, die ein vom Schiff ausgesandter Schall braucht, um den Weg zum Meeresboden und von da zurück zum Schiff zu durchlaufen. Die erlangte ›Echozeit‹ wird die Meßgröße für die Meerestiefe. Neu in seiner wundervoll einfachen Technik ist der Taucherapparat des englischen Ingenieurs Wyndham – eine Vorrichtung, die es ermöglicht, auch dem ungeheuren Wasserdruck der Tiefen Widerstand zu leisten.
Wyndham schlägt vor, daß auch ich mich für die Bedienung dieses Apparates, für die ein fertiger Taucher angeworben ist, einüben soll. Ich gehe mit Freuden darauf ein – alles natürlich unter der Voraussetzung Deiner Zustimmung, lieber Onkel – um welche Dich herrlich bittet
Dein gehorsamer Neffe
Walter.
An Bord des »Neptun!«
Walter! Junge! Was sind das für Geschichten! Darüber soll ich mich freuen? – Die Beschreibung des Schiffes freut mein altes Seemannsherz, ja, das hast Du gut gemacht, kurz, sachlich. Profi! Aber, aber! Ich denke, Du willst studieren und jetzt bildest Du Dich zum »Sindbad dem Seefahrer« aus – dazu ist doch noch Zeit genug, wenn man seinen Doktor gemacht hat. Dann kann man als vollwertiger Dozent in die Welt ziehen.
Es scheint, Du hast gute Freunde gefunden, die Dir den Kopf verdrehen: »Der Weckerle« und »Der Geheimrat« und der »Lord« und der berühmte »Wyndham« – hoffentlich kein Windhund – es gibt solche –, mögen »Leute« sein, gut und schön. Aber schließlich ist der »Onkel Kapitän« auch noch da und hat sich wohl ein Recht darauf erworben, gehört zu werden. Na, ja – am Ende Deines Briefes fällt Dir das ja schließlich auch ein. Ich kann freilich aus der Entfernung nicht beurteilen, was bei der ganzen Geschichte für Dich herauskommt, sie erscheint mir abenteuerlich. Das einzig beruhigende bei diesem Abenteuer ist mir, daß man Dir die Fahrt mit Weckerle als Studienzeit anrechnen will. Weckerle bestätigt mir das mit einigen Zeilen, die ich heute erhielt. Seine Meinung ist mir übrigens garnicht maßgebend, er scheint mir, mit Respekt zu sagen, ein recht unpraktischer Mann zu sein.
So will ich denn, mein Junge, da Du mit allen Fasern an diesem Abenteuer hängst, kein Spielverderber sein und meinen Segen geben. Zum Beweis: Ich sende Dir mit gleicher Post dieses Mal keinen Wechsel, sondern fünfzig englische Noten. Quittiere gleich nach Empfang und wechsele das Geld nicht ein! – Englisches Geld gilt überall – und hebe es gut auf! Man weiß wohl, wann man abgefahren ist, aber niemals wie lange man unterwegs sein kann – und wohin man schließlich gelangt! Am besten, Du besorgst Dir eine wasserdichte Kapsel für die englischen Noten und nähst sie in Deinen Anzug ein, Phantasus! Die Phantasie hast Du von der Mutter – hoffentlich auch vom Vater hinreichend Verstand – freilich dazu wohl das Abenteurerblut der Arndts.
Na, machs gut, Walterle, und schreibe zur Sicherheit wieder an die Stettiner Adresse
Hafen. An Bord der Viktoria.
Lieber Onkel!
Tausend Dank für Deine lieben Zeilen und Dein großmütiges Geschenk. Ich wartete mit der Antwort, um den Empfang der inzwischen eingetroffenen fünfzig Pfund Sterling zu bestätigen. Ich habe gleich die bewußte Kapsel besorgt, sie gut geölt, die englischen Geldscheine eingelegt, zugeschraubt und sie mir in Wachsleinwand einnähen lassen, so daß ich sie unter der Wäsche am Halse tragen kann. Es war die letzte Tat des Schneidermeisters Langwieweit – ich wohne nicht mehr dort, sondern an Bord der Viktoria. Ich spare dadurch Zeit und Geld.
Heute fand in der Kajüte eine Besprechung beim Kapitän statt, zu welcher er den Ingenieur Wyndham mit zwei Technikern und mich geladen hatte – ich gehöre schon zu dem engeren Kreise. Der Kapitän Schubert tischte uns auf – na, Du weißt es ja am besten, Onkel, wie Kapitäne aufzutischen pflegen. Bei dieser Gelegenheit lernte ich Söderblom kennen, den ausgezeichneten Koch. Er brachte nämlich eine mächtige kalte Platte – Fleischstücke, Salate, in zierlichem Mosaik belegt mit kalten Eiern und dergleichen, mit einer gewissen Feierlichkeit selbst herauf. Der Kapitän, der ein Spaßvogel ist und den ehrgeizigen Koch zu necken liebt, sagte:
»Das sieht ja sehr appetitlich aus, Söderblom, aber aber –« mit bedenklich fragendem Blick auf uns »ich fürchte, es wird nicht reichen. Wir haben alle einen Wolfshunger!«
Der Koch wurde puterrot, stürzte fort und kam, während wir uns langsam an die Vertilgung machten, mit einer zweiten großen Schüssel voll noch warmer Rostbeafschnitte herauf, die er mit einem Ruck auf den Tisch setzte. Der Kapitän erstickte fast vor Lachen und sagte zu uns gewendet:
»Er versteht in diesen Dingen keinen Spaß, der gute Söderblom, obschon er sonst ein munterer Bursche ist und die herrlichsten Geschichten erzählt. Er ist ebenso erfinderisch in Geschichten, wie in Gerichten. Für unsere Atzung sorgt er großartig. Besonders wenn gefischt wird – da ist er unersetzlich! Nicht wahr, Söderblom?« sagte der Kapitän zum Koch gewendet, der wiederkam um Geschirr zu holen, – »wir verstehen uns« und schob ihm ein Glas ›kalte Ente‹ hin.
»Prost Söderblom!«
»Prost, Kapitän!« – erwiderte Söderblom würdig – »und meine Schuld ist es nicht, wenn Sie sich den Magen verderben.«
Am 20. August soll die Viktoria ihre Fahrt antreten, aber die Vorbereitungen sind noch nicht beendet.
Ich schreibe wieder an Deine Stettiner Adresse und bin längst auf See, wenn Dich diese Zeilen – wer weiß in welchen Breitengraden – erreichen.
Von Herzen Dein dankbarer Neffe
Walter.