Horaz
Horazens Briefe
Horaz

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Was mir die Galle reizt, ist, wenn ein Werk
getadelt wird, nicht, weil es schlecht gemacht
und abgeschmackt ist, sondern weil es neu ist;
und daß man für das alte Zeug nicht Nachsicht
(wie billig), sondern Ruhm und Vorzug fodert.
Denn wenn ich nur zu zweifeln Miene machte,
ob auch ein Stück von AttaT. Quintius Atta, ebenfalls ein Verfasser römischer National-Schauspiele (Fabularum Togatarum), scheint um die Mitte des 6ten Jahrhunderts gelebt zu haben. Seines Namens wird sonst von keinem guten Schriftsteller gedacht. Indessen sieht man doch aus dieser Stelle, daß seinen Stücken zuweilen die Ehre widerfuhr, von den Le Kain und Préville des römischen Theaters gespielt zu werden, und durch diesen Vorteil Beifall zu erhalten. – Der Grammaticus Festus sagt: dieser Quinctius habe den Beinamen Atta (ein Sabinisches Wort) von seinem Gang bekommen, weil er, wegen ich weiß nicht welches Fehlers im Bau seiner Füße, eine Art von hüpfendem oder hinkendem Gang gehabt habe. Die Scholiasten sehen in Horazens Ausdruck (recte necne perambulet) eine scherzhafte Anspielung auf dieses Gebrechen, die für uns verloren geht. heutigs Tags
mit Ehren unsern Schauplatz noch besteige:
wie würden nicht die alten Herren schreien,
daß keine Scham mehr in der Welt sei, wenn
so einer sich erfrechen dürfe, Stücke
zu tadeln, die so große Künstler, wie
Äsop und Roscius, zu ihren Zeiten spieltenDer Dichter findet, zu seiner eignen Rechtfertigung, nötig, die wahren Ursachen zu berühren, warum diejenigen unter seinen Mitbürgern, die ihre schönste Zeit noch im vorigen Jahrhundert verlebt hatten, eine so sonderbare Parteilichkeit für die Werke solcher Dichter, wie Accius, Nävius, Atta und ihres gleichen, zeigten. Die erste, und ohne Zweifel die hauptsächlichste Ursache war: weil sie in ihrer Jugend, also in dem Alter der lebhaftesten Eindrücke, diese Stücke von Äsopus und Roscius, den größten Schauspielern, welche Rom jemals gehabt hat, in einer Vollkommenheit, die nichts zu wünschen übrig ließ, spielen gesehen hatten. Diese beiden Künstler blühten schon in der Mitte des Jahrhunderts, das vor dem Augusteischen unmittelbar vorherging: aber sie erreichten beide ein hohes Alter, und ließen sich, um den Großen und dem Volke Ehre zu erweisen, auch in ihrem Alter noch zuweilen erbitten, bei außerordentlichen Gelegenheiten den Schauplatz zu betreten. Äsopus tat dies zum letztenmal, als Pompejus Magnus sein herrliches Amphitheater im Jahr 698 einweihete; aber seine Kräfte entsprachen seinem guten Willen nicht mehr; die Stimme verließ ihn gerade bei der Stelle, wo die stärkste Wirkung gemacht werden sollte, und alle Zuhörer stimmten überein (sagt CiceroEpist. VII. 1.), daß es ihm nun erlaubt sei aufzuhören. Der stärkste Beweis, in welchem Grad er der Liebling des römischen Publikums gewesen, und wie teuer damals Talente dieser Art bezahlt wurden, ist dies: daß er, ungeachtet er einen Aufwand machte, der bis zur höchsten Verschwendung ging, seinem Sohn noch zwanzig Millionen Sesterzien, oder über 800000 Taler hinterlassen konnte. Äsopus war bloß ein tragischer Schauspieler; Roscius war in beiden Gattungen vortrefflich. Cicero, ein sehr großer Bewunderer von beiden, lebte besonders mit diesem Roscius in einer Verbindung, die diesem viel Ehre macht. Seine Werke sind voller Beweise des hohen Wertes, den sowohl die Kunst, als der Geist und sittliche Charakter dieses Schauspielers in seinen Augen hatte. Wie vortrefflich mußte der Mann sein, von dem ein Cicero öffentlich sagen durfte: »Er ist ein so großer Künstler, daß er allein wert scheint, auf dem Schauplatz gesehen zu werden; und ein so edler und guter Mann, daß unter allen Schauspielern er allein würdig scheint, nicht darauf gesehen zu werden.«Cum artifex eiusmodi sit, ut solus dignus videatur, qui in scaena spectetur, tum vir eiusmodi est, ut solus dignus videatur, qui non accedat. Pro Quinct. c. 25. – Die Rede, worin er ihn gegen die Anklage eines gewissen Fannius Chärea verteidigt, und woran unglücklicherweise Eingang und Schluß, und also gerade, was für uns das Interessanteste wäre, fehlt, enthält im 6ten Kap. eine beinahe noch stärkere StelleQui ita dignissimus est scaena propter artificium, ut dignissimus sit curia propter abstinentiam. Orat. pro Rosc. Com. c. 6.. In seiner Kunst hatte er, nach dem allgemeinen Urteil seiner Zeitgenossen, eine so große Vollkommenheit erreicht, daß es zum Sprichwort wurde, von einem jeden, der in irgend einer Art von Wissenschaft oder Geschicklichkeit hervorragte, zu sagen, er sei ein Roscius in seinem FacheDe Orat. I. 28. Videtisne quam nihil ab eo nisi perfecte, nihil nisi cum summa venustate fiat? Nihil nisi ita ut deceat, et uti omnes moveat atque delectet? Itaque hoc iam diu est consecutus, ut, in quo quisque artificio excelleret, is in suo genere ROSCIUS diceretur.. Ich rechne es unter die besondern Verdienste dieses Künstlers um das römische Theater, daß sein Haus eine Art von Akademie war, worin sich unter seiner Anführung gute Schauspieler bildeten. Indessen pflegte er doch öfters zu sagen: er habe noch keinen Schüler gefunden, der es ihm völlig recht machen könne; nicht, als ob nicht einige davon es ganz gut machten, sondern weil ihm das Geringste, was etwa noch fehle, unerträglich seiIbid.. Wenn jemand zu dieser Strenge, oder vielmehr zu dieser unfreiwilligen Delikatesse, berechtigt sein konnte, so war es Roscius. Denn ihm fehlte nichts. Die Natur hatte ihm alles gegeben, die schönste Gestalt, den angenehmsten Ton der Stimme, den edelsten Anstand – und mit diesen einem Schauspieler so wesentlich notwendigen Gaben verband er alles, was Wissenschaft, Studium und Fleiß vermögen, um so seltne Anlagen auszubilden. Was Wunder also, daß alle die Römer, die noch so glücklich gewesen waren, die Stücke eines Plautus, Pacuv, Accius, Cäcilius, u.s.w. von einem Roscius, einem Äsopus spielen zu sehen (und deren lebten doch noch manche), einen so angenehmen Eindruck davon auf ihre ganze übrige Lebenszeit behalten hatten, daß ihnen die neuern Stücke, von Schauspielern vorgestellt, die sich zwar nach jenen großen Mustern bildeten, aber immer weit unter ihnen zurückblieben, diesen Grad von Vergnügen nicht machen konnten, wenn die Stücke selbst auch besser gewesen wären? – Diese Betrachtung entschuldigt zwar die alten Herren, mit denen Horaz hier ein wenig strenge zu verfahren scheint; aber sie benimmt gleichwohl dem Vorwurf, den er ihnen macht, wenig oder nichts von seiner Stärke; wiewohl man, im Grunde, das nicht einmal einen Vorwurf nennen kann, was er bloß als einen physischen und psychologischen Grund, warum das Neue vor diesen Herren wenig Gnade finden könne, vorbringt..
Es sei nun, daß die guten alten Herren
nichts, als was ihnen in der Jugend schön war, sich
gefallen lassen können: oder sichs
für Schande halten, uns, als ihren jüngern,
gestehn zu müssen, was sie einst als Knaben
gelernet, tauge nun zu nichts, als es
bei grauem Barte wieder zu vergessene.
Wer König Numas Saliarisch LiedKönig Numa, der Stifter des alten römischen Gottesdienstes, hatte zwölf Priester des Kriegsgottes angeordnet, denen er die Bewahrung der heiligen Schilde (Ancilia), die vom Himmel gefallen sein sollten, anvertraute. Zu den religiösen Zeremonien, die diesen Priestern eigen waren, gehörte ein kriegerischer Tanz, den sie, mit Schild und Schwert bewaffnet, nach einer vom K. Numa vorgeschriebenen Musik an dem Feste des Kriegsgottes öffentlich anstellen mußten, und ein gewisser Hymnus, in einer Sprache verfaßt, die zu Horazens Zeiten ungefähr so verständlich war, als uns des alten Mönchs Kero Lobgesang auf den H. Anno ist. Dies ist das Carmen Saliare, dessen Horaz hier Erwähnung tut. Varro, der auf Untersuchung der römischen Altertümer so viel Zeit und Fleiß verwendete, glaubte auch den Schlüssel zu diesem barbarischen alten Liede gefunden zu haben, und gab dadurch den übertriebenen Liebhabern von allem, was alt ist, den Ton an, so davon zu sprechen, als ob sie es verständen und große Herrlichkeiten darin fänden. Es war wenigstens ein Vaterländisches Lied (πάτριος ύμνος, wie es Dionys. von Halikarnaß nennt), ein echtes altrömisches Gewächs, worin vermutlich nichts war, das nach Homer, Alcäus oder Pindar schmeckte; und mußte also billig den Prätendenten an einen mehr als gemeinen römischen Patriotismus gar köstlich sein!
so herrlich findet, und was er so wenig
versteht als ich, zu wissen scheinen will:
ist keineswegs darum den längst begraben
    Indignor quidquam reprehendi, non quia crasse
compositum illepideve putetur, sed quia nuper;
nec veniam antiquis, sed honorem et praemia posci.
Recte necne crocum floresque perambulet Attae
<80> fabula, si dubitem, clament periisse pudorem
cuncti paene patres, ea cum reprehendere coner,
quae gravis Aesopus, quae doctus Roscius egit:
vel quia nil rectum, nisi quod placuit sibi, ducunt;
vel quia turpe putant parere minoribus, et quae
<85> imberbi didicere, senes perdenda fateri.
Iam Saliare Numae carmen qui laudat, et illud,
quod mecum ignorat, solus vult scire videri:
Genien holder, oder findet sie
im Ernst so unvergleichlich – glaubt es nicht!
Uns haßt er, uns und unserm Werke gilt
der scheele Seitenblick, der stumme Tadel.
Wenn nun den Griechen einst die Neuheit auch
so sehr verhaßt gewesen wäre, sagt,
was wär' itzt alt? Was hätten nun die Leute
zu lesen, und aus Hand in Hand, beschmutzt
und abgegriffen, sich herumzubieten?

Als Griechenland in einer glücklichen
langwier'gen Ruh von seinen alten KriegenEinheimischen und auswärtigen, bis zu den Zeiten, da der Königliche Name fast in allen griechischen Staaten aufhörte, und von dieser Zeit besonders nach dem Persischen oder Medischen Krieg, welchen das Jahrhundert von Perikles bis zu Alexander dem Großen folgte.
zu schwärmen anfing, und, von stetem Glücke
verzärtelt, wie ein rascher feur'ger Jüngling,
sich jeder Laune fröhlich überließ:
da fiel's mit aller seiner Leidenschaft
auf dies und das. Erst waren's Fechterspiele,
Rennpferde dann, drauf schöne Götterbilder
von Elfenbein, von Marmor und von Erz;
ingeniis non ille favet plauditque sepultis,
nostra sed impugnat, nos nostraque lividus odit.
<90> Quod si tam Graiis novitas invisa fuisset
quam nobis, quid nunc esset vetus? aut quid haberet,
quod legeret tereretque viritim publicus usus?
Ut primum positis nugari Graecia bellis
coepit, et in vitium fortuna labier aequa,
<95> nunc athletarum studiis, nunc arsit equorum;
marmoris aut eboris fabros aut aeris amavit;
bald hing's mit Liebesblicken wie verzückt
an einer Schilderei, bald war ein Flötenspieler
sein Abgott, bald ein Tänzer, ein Tragöde,
ein Rhapsodist: – in allen diesen Launen
dem kleinen Mädchen gleich, das, von der Amme
verwöhnt, bald dies bald das mit Hitze will,
doch, unvermerkt zu andern Spielen reifend,
gleich rasch von Puppen und von Liebe wechseltIch zähle dieses Gemälde des Genies und Geschmacks der Griechen für die edlern Künste unter die schönsten Stellen im ganzen Horaz. Die Griechen waren die erste Nation in der Welt, die alle Arten von Leibes- und Geistes-Übungen in Spiele verwandelte, und, indem sie diese Spiele zu einer National-Angelegenheit machte, sich einen National-Charakter bildete, durch den sie gegen die übrigen Völker das wurde, was ihre Alcibiaden oder Aspasien überall gewesen sein würden, wo sie hingekommen wären. Sie waren die ersten, die aus dem wesentlichsten Vorzug des Menschen vor den übrigen Tieren, aus der Sprache, eine Kunst, und die mächtigste unter allen, zu machen wußten. Gesang, Saitenspiel und Tanz wurden bei ihnen Musenkünste. Ihnen allein hatte sich die Göttin der Schönheit mit den Charitinnen, ihren unzertrennlichen Gespielen, geoffenbart; und schön wurden alle ihre Werke, Anmut war über alles, was sie sagten und taten, ausgegossen. Sie allein fanden das Geheimnis, das Erhabne mit dem Schönen und das Nützliche mit dem Angenehmen zu vermählen. Ihre Gesetzgeber waren Sänger, ihre Helden opferten den Musen, und ihre Weisen den Grazien. Die abgezogensten Begriffe des menschlichen Verstandes empfingen in der Phantasie ihrer Dichter, unter dem Pinsel ihrer Maler, unter den Händen ihrer Bildner einen schönen Leib, und wurden zu lieblichen, herzerhöhenden Bildern. Sogar die Religion, bei so viel andern Völkern das Grausamste und Schrecklichste, gewann bei ihnen eine menschenfreundliche Gestalt; die Götter andrer Völker waren hieroglyphische Ungeheuer, die ihrigen Ideale der vollkommensten Menschheit. Ihre Mysterien wurden, wie Cicero sagt, eine Wohltat für die Welt; und in dem geheimnisvollen Dunkel, wo andre Völker von tausend Gespenstern des Aberglaubens geängstigt wurden, schöpften sie Freude am Leben und Hoffnung im TodeCic. de Legib. II. c. 14.. In allem diesem wirkte der heitre, freie, jugendliche Geist der Griechen mit einer Art von froher leichtsinniger Schwärmerei, die von einem schönen Spiele zum andern fortgaukelte. Alle ihre schönen Künste hatten einen Zeitpunkt, wo sie mit Leidenschaft getrieben, geliebt und belohnt wurden; selbst die Unbeständigkeit ihres Charakters schlug zum Vorteil der Künste aus; weil sie bei keinem Modell von Schönheit, keiner Stufe der Kunst, keiner Manier eines Meisters lange beharrten, sondern immer was Neues, und, wenn auch nichts Schöners, wenigstens was anders verlangten; aber eben darum waren ihre Künste am Ende doch nur Puppen, womit die Nation spielte; sie bald caressierte, bald wieder wegwarf, bald wieder hervorsuchte, anders ankleidete, u.s.w.
Sub nutrice puella velut si luderet infans.
.
Was wird so sehr geliebt, so sehr gehaßt,
das nicht verhaßt, nicht lieblich werden könnte,
wenn Zeit und Ort und Licht und Schatten ändern?

So wirkte langer Fried' und günstigs Glück
in Gräzien. In unserm alten Rom
war früh am Tag erwachen, den Klienten
zum Recht verhelfen, gegen gute sichre
Verschreibungen sein Geld an Zinse legen,
und gute Lehren, »wie ein wackrer Bürger
durch kluge Wirtschaft seines Hauses Glück
erhöhn, und dessen Fall verhüten könne«,
von Ältern anzuhören oder Jüngern
zu geben – dies war lange Zeit die Sitte
und Lebensart, worin der Römer seinen Ruhm
suspendit picta vultum mentemque tabella;
nunc tibicinibus, nunc est gavisa tragoedis:
sub nutrice puella velut si luderet infans,
<100> quod cupide petiit, matura plena reliquit.
Quid placet aut odio est, quod non mutabile credas?
Hoc paces habuere bonae, ventique secundi.
Romae dulce diu fuit et solemne, reclusa
mane domo vigilare, clienti promere iura,
<105> cautos nominibus rectis expendere nummos,
maiores audire, minori dicere per quae
und sein Vergnügen setzte. – Wie das alles
sich mit der Zeit geändert hat!
Jetzt ist die Wut zu schreiben und zu verseln
die allgemeine Krankheit unsers Volkes.
Wer ist nicht AutorOb Horaz, indem er sich über diese lächerliche Epidemie seiner Zeit erlustiget, gewußt haben mag, daß der göttliche August, an den er schrieb, selbst nicht frei davon gewesen war? Wir können diese Frage nicht beantworten: aber daß August sich auch etwas weniges mit der Poesie abgegeben habe, versichert uns Suetonius – »Poeticam summatim attigit.« Man hat noch, setzt er hinzu, ein einziges Stück in Hexametern von ihm, dessen Inhalt und Titel Sicilia ist. – Der Stoff war schön und reich, und wie ihn ein Dichter von diesem Rang bearbeitet haben mag, kann man sich leicht einbilden! – Außerdem war zu Suetons Zeiten auch noch eine kleine Sammlung von Sinngedichten von ihm vorhanden, die allenfalls etwas wäßricht sein durften, weil er sie im Bade zu meditieren pflegte. Die Tragödie Ajax, deren eben dieser Autor erwähnt, war vermutlich ein Werk seiner jüngern Jahre, wo man ihm gar wohl auch die Eitelkeit der Hoffnung zutrauen kann, den Sophokles überwältigen zu können. Er hatte sich mit einem großen Sturm und Drang (magno impetu) an dieses Werk gemacht; aber weil es ihm damit nicht recht von Statten gehen wollte, gab ers wieder auf. Vermutlich war das Bon-Mot, das er dem Dichter Lucius VariusMacrobius, der diese Anekdote erzählt, sagt nur Lucius, gravis tragoediarum scriptor. Nun zerbrachen sich verschiedene Gelehrte die Köpfe, wer wohl dieser Lucius gewesen sein könne? Das Natürlichste war, sogleich auf den Dichter Lucius Varius (von welchem weiter unten die Rede sein wird) zu raten; aber eben darum verfiel man am spätesten auf ihn. Nodum in scirpo quaerere, ist ein Sprichwort, das ausdrücklich für die meisten Ausleger der Alten gemacht scheint. Dafür lassen sie aber auch so oft die wirklichen Knoten unangerührt!, der sich nach seinem Ajax erkundigte, zur Antwort gab, das Beste davon. (Man muß aber, um es zu verstehen, vorher wissen, daß Ajax in der letzten Szene des Stücks in sein eigen Schwert hätte fallen sollen, und daß die Römer gewohnt waren, zum Auslöschen dessen, was sie geschrieben hatten, einen Schwamm zu gebrauchen.) Mein Ajax, sagte August, ist in den Schwamm gefallenin spongiam incubuit. – Wahrscheinlich ists also eben nicht, daß Horaz von allen diesen poetischen Taten Augusts nichts gewußt haben sollte. Ich weiß nicht, ob Beroaldus den Virgil recht versteht, wenn er die Verse in der achten Ekloga:
En erit ut liceat totum mihi ferre per orbem
sola Sophocleo tua carmina digna cothurno?

für ein Kompliment hält, das Virgil dem damaligen Octavius Cäsar wegen seines angefangenen Ajax habe machen wollen: aber daß Horaz der Mann nicht war, der sogar einem August auf Unkosten seines Geschmacks geschmeichelt hätte, lehrt der Augenschein. Vielleicht glaubte er ihm den Hof am besten zu machen, wenn er sich gar nichts davon anmerken ließe, daß er etwas von seiner Poeterei wisse; ob aber diese ehrfurchtsvolle Unwissenheit eben so gut aufgenommen worden, als die grobe Schmeichelei Virgils, ist eine andre Frage.

? Knaben, Männer, Greise,
umschlingen jetzt beim Abendbrot die Schläfe
mit Efeukränzen und – diktieren Verse.
Ich selber, der so oft das Versemachen
verschworen, werde lügenhafter als ein PartherWie verhaßt die Parther den Römern dieser Zeit waren, zeigen eine Menge Stellen der Horazischen Schriften. Parthis mendacior war vermutlich eine Art von Sprichwort in Rom, wovon sich vielleicht kein besserer Grund angeben läßt, als dieser Nationalhaß, der eine Frucht der empfindlichen Niederlagen war, welche sie unter Crassus und Antonius von den Parthern erlitten hatten.
erfunden, und mein erster Ruf, sobald
der Morgen dämmert, ist nach Feder und Papier
und Schreibepult. Ein Schiff zu führen, einem Kranken
nur StabwurzAbrotonum. Die Alten machten mit der Wurzel dieser Pflanze einen Wein an, der als Arznei gebraucht wurde. einzugeben, traut sich niemand zu,
als wer's versteht; Arzneikunst treibt der Arzt,
und Schmiedekunst der Schmied – nur Verse, Verse
crescere res posset, minui damnosa libido.
Mutavit mentem populus levis, et calet uno
scribendi studio: puerique patresque severi
<110> fronde comas vincti cenant, et carmina dictant.
Ipse ego, qui nullos me affirmo scribere versus,
invenior Parthis mendacior: et prius orto
sole, vigil calamum et chartas et scrinia posco.
Navim agere ignarus navis timet, abrotonum aegro
<115> non audet, nisi qui didicit, dare; quod medicorum est,
promittunt medici, tractant fabrilia fabri;
macht jedermann, gelehrt und ungelehrt.
Bei allem dem ist dieser kleine Wahnsinn,
dies Versefieber dem gemeinen Wesen
weit vorteilhafter, als man denken sollte.

Ein Dichter – überhaupt ein Versemann –
hat selten eine andre Leidenschaft,
als seine Lust an Versen. Die allein
beherrscht ihn ganz, darauf geht all sein Dichten
und Trachten. Schlimme Zeiten, Geldverlust,
Vermögensabfall, all dies kränkt ihn wenig.
Laß seine Sklaven ihm auf einen Tag
entlaufen, laß sein Haus ihm niederbrennen,
er lacht dazu. In seinem Leben kommt
ihm kein Gedanke, seinem Mündel oder
Mit-Erben heimlich einen Streich zu spielen.
Er lebt von Erbsenbrei und schwarzem Brot,
taugt freilich nicht ins Feld, doch ist er drum
nicht gänzlich ohne Nutzen für den Staat.
Denn (zugegeben, daß auch kleine Dinge
zu großen helfen können) ist es nicht
der Dichter, der des Kindes frühes Lallen
zur Sprache bildet? Der von pöbelhaften Reden
scribimus indocti doctique poemata passim.
Hic error tamen et levis haec insania quantas
virtutes habeat, sic collige: Vatis avarus
<120> non temere est animus; versus amat, hoc studet unum;
detrimenta, fugas servorum, incendia ridet,
non fraudem socio, puerove incogitat ullam
pupillo; vivit siliquis et pane secundo.
Militiae quamquam piger et malus, utilis urbi.
<125> Si das hoc, parvis quoque rebus magna iuvari,
os tenerum pueri balbumque poeta figurat;
sein zartes Ohr entwöhnt, dann allgemach
durch Lehren, die der Reiz der Harmonie
und Dichtung freundlich macht, sein Herz der Tugend
gewinnt, von Eigensinn und Neid und Zorn
den Knaben heilt, mit edeln Taten ihn
vertraulich macht, der gegenwärt'gen Zeit
verworrnes Rätsel durch der ältern Welt
Beispiele ihm entwickelt, und in Not
und kranken Tagen Trost und Lindrung schafft?
Von wem sonst sollte, mit dem keuschen Knaben,
das unberührte Mädchen beten lernen,
wofern die Muse nicht den Dichter gab?
Er macht das Volk im Chor zum Himmel flehn,
er ists, der sie den gegenwärt'gen Gott
mit Schaudern fühlen macht, der die Gesänge
sie lehrt, wodurch auf dürres Land der Segen
aus Wolken strömt, die Krieg und böse Seuchen
verjagen, steten Fried' und reiche Ernten
uns bringen! Denn durch Lieder werden uns
die Himmelsgeister hold, durch Lieder wird
der unterird'schen Mächte Zorn gestilltIch halte es für eine feine Art von Laune oder scherzhafter Wendung, daß Horaz in dieser schönen Stelle, worin er den mannichfaltigen Nutzen der Poesie in Ansicht ihres popularen Gebrauchs herrechnet, Wahres und Eingebildetes unter einander mengt, und dadurch unvermerkt dem Schein zu entgehen weiß, als ob er eine Kunst, die er selbst trieb, aus Eitelkeit hätte wichtiger machen wollen, als sie sei. Der mannichfaltige abergläubische Gebrauch, der seit den ältesten Zeiten von Liedern gemacht wurde, ist bekannt, und in einer Anmerkung zum ersten Brief an Mäcenas schon berührt worden. Carmen hieß bei den Lateinern ein episches oder lyrisches Gedicht, und eine Zauberformel. Man glaubte, daß in dem Rhythmus selbst eine geheime Kraft verborgen sei. Verse waren die Göttersprache. Apollo gab seine Orakel nicht anders als in Versen. Was der prophetische Wind aus der Höhle der Cumäischen Sibylle beim Virgil hervorwehte, waren eine Menge einzelner mit Versen beschriebner Blätter. Die Carmina, denen Horaz die Kraft zuschreibt, die ober- und unterirdischen Götter günstig zu machen, sind eigentlich die Theurgischen Hymnen, wovon in den Orphischen und andern Mysterien, und überhaupt bei allen Expiationen, und bei den Totenopfern Gebrauch gemacht wurde..
 
torquet ab obscaenis iam nunc sermonibus aurem,
mox etiam pectus praeceptis format amicis;
asperitatis et invidiae corrector et irae
<130> recte facta refert; orientia tempora notis
instruit exemplis; inopem solatur et aegrum.
Castis cum pueris ignara puella mariti
disceret unde preces, vatem ni Musa dedisset?
Poscit opem chorus, et praesentia numina sentit:
<135 > caelestes implorat aquas docta prece blandus;
avertit morbos, metuenda pericula pellit;
impetrat et pacem, et locupletem frugibus annum.
Carmine di superi placantur, carmine Manes.
Wenn unsre alten, biederherzigen,
mit wenigem vergnügten AckerleuteWie schön ist dies Gemälde des Erntefests der alten, in ihrer rohen bäurischen Einfalt noch glücklichen Römer! Wie gutherzig, und zugleich wie philosophisch, diese Darstellung des ländlichen Ursprungs der Poesie unter ihnen! Welch ein milder, lieblicher Geist von Natur und Humanität weht durch dieses ganze wildanmutige Landschaftsstück! Jedes Wort verdiente einen Kommentar, und würde durch einen Kommentar entweiht!,
nachdem sie ihres Schweißes Früchte in die Scheunen
gebracht, am Erntefest mit ihren Kindern
und treuem Weibe, den Gehülfen ihrer Arbeit,
an Leib und Seele (denn auch diese trug,
in Hoffnung dieses Tages, ihren Anteil
der Last des langen Jahrs) sich gütlich tun
und pflegen und zur künft'gen Arbeit wieder
erfrischen wollten – machten sie vorerst
mit Opfrung eines Mutterschweins die Erde,
mit Milch den Waldgott, und mit Wein und Blumen
den Genius des Lebens sich gewogenEs liegt eine unbeschreibliche Schönheit in dem Beiwort:
Genium memorem brevis aevi,
.
Mit bäurischroher Ungebundenheit
erschallte dann, in lust'gen Wechselzeilen,
der Fescenninen muntrer freier ScherzWas bei den Griechen die Bocks- und Dorf-Gesänge waren, womit sich an Bacchusfesten herumziehende Meistersinger und Musikanten auf den Dörfern hören ließen, und woraus sich nach und nach die Tragödie und Komödie der Athener bildete, das waren ungefähr die Fescenninen bei den Römern. Es waren eine Art von Impromptus, deren Veranlassung, Inhalt und Beschaffenheit uns Horaz hinlänglich bekannt macht. Die Natur selbst (wie schon Aristoteles bekanntermaßen angemerkt hat) lehrt die rohesten Menschen eine Art wilder (autoschediastischer) Poesie, woraus die Kunst allmählich das gemacht hat, was bei verfeinerten Nationen Poesie heißt. Eben die Natur, welche die rohen römischen Landleute, wenn sie sich an ihrem jährlichen Erntefest der Freude überließen, singen und tanzen lehrte, lehrte sie auch in die Worte ihrer Lieder eine Art von Mensur bringen; aber ihre Verse waren – wie ihr Gesang und wie ihr Tanz. Man nannte sie Saturnische Verse, vielleicht weil sie des Saturnischen Zeitalters, wo die Natur noch in ungebundner kindischer Freiheit spielte, würdig waren; und Fescenninen, von der alten Stadt Fescennia in Etrurien, wo sie entstanden sein sollen. Vermutlich, weil die römischen Landleute dieser Zeiten ihre Kinder meistens am Erntefest zu verheiraten pflegten, wurde der Name Fescenninen vorzüglich den Hochzeitgesängen eigen, welche die Kameraden des Bräutigams in solchen aus dem Stegreif gemachten wilden Versen vor der Brautkammer absangen. In diesen von einer ungezognen, mutwilligen Jugend, in der Trunkenheit einer wilden Hochzeitfreude, im Chor abgesungnen Liedern war (wie leicht zu erachten) der Wohlstand so wenig geschont, als der Rhythmus. Je gröber je besser war die einzige Regel. Zoten, Schwänke, leichtfertige Anekdoten über den Bräutigam, alles galt, wenn es nur zu lachen machte; und eine natürliche Folge des Wettstreits, wer den andern an Spaßhaftigkeit übertreffen und die Gäste am lautesten brüllen machen könnte, war: daß die Fescenninen zu einer Art von Pasquillen, und also zuletzt aus Spaß Ernst wurde; so daß endlich die Polizei sich in die Sache mischen und bei Strafe des Knittels verbieten mußte, einander Schandlieder (mala carmina) vor der Türe zuzusingen. Indessen erhielt sich demungeachtet, auch in guten Häusern, der alte Gebrauch der Fescenninischen Hochzeitgesänge, welche mit der Zeit zwar in Absicht der Sprache und Ausdrücke verfeinert wurden, aber doch immer keine Musik für züchtige Ohren waren. Man findet etwas von dieser Art in den Gedichten des Catulls und des Ausonius. August selbst hatte in seiner Triumviralischen Jugend seinen Freund Pollio mit einem Fescenninus reguliert, der, nach dem Buchstaben des alten Gesetzes, den Knittel verdient hätte. Pollios Freunde waren der Meinung, daß er dem Triumvir bei seiner Vermählung mit der Livia, die ihm dazu schönes Spiel gab, seine Dankbarkeit mit einem Hochzeit-Carmen im nämlichen Geschmack bezeugen sollte; aber Pollio, dessen erster Unwille sich inzwischen abgekühlt hatte, gab ihnen die bekannte Antwort: »Die Partie ist zu ungleich, gegen einen Bel-Esprit zu schreiben, der proskribieren kann.« – Die Klugheit des Pollio hat, wie natürlich, auf alle, die sich ungefähr im nämlichen Falle befinden, fortgeerbt; und ein Autor, der zweimal hundert tausend Mann ins Feld stellen kann, darf schreiben, was er will..
Agricolae prisci, fortes, parvoque beati,
<140> condita post frumenta, levantes tempore festo
corpus, et ipsum animum spe finis dura ferentem,
cum sociis operum, pueris et coniuge fida,
Tellurem porco, Silvanum lacte piabant,
floribus et vino Genium, memorem brevis aevi.
<145> Fescennina per hunc inventa licentia morem
versibus alternis opprobria rustica fudit;

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