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Wofern ich, wackrer Lollius, nicht sehr an dir mich irre, wirst du wohl dich hüten, da, wo du dich zur Rolle eines Freundes bekannt hast, dir den Anschein der Schmarotzerei zu geben. Größer ist der Abstand nicht von einer ehrbarn Frau zur feilen Dirne, als er vom Freunde zum Hofierer ist. Das Gegenteil von diesem Laster, und beinah das schlimmre, ist das ungeschliffne Wesen, das sich durch grobe Ungeschmeidigkeit, den kurzgeschornen Kopf und schwarze Zähne ein Ansehn geben will, und ohne Scham sich über Lebensart und Wohlstand wegzusetzen für bare Freiheit und für Tugend uns verkaufen will. Die wahre Tugend, Freund, liegt zwischen zwei Exzessen, gleich von beiden zurückgezogen, richtig in der MitteDies ist nach den echten Grundsätzen der Sokratischen und Peripatetischen Schule gesprochen. Sowohl das αγαθόν als das καλόν, das Materiale und das Formale jeder Tugend, liegt nach denselben mitten zwischen zu wenig und zu viel; man nähert sich ihr um so viel, als man sich auf beiden Seiten von dem entgegenstehenden Defekt oder Exzeß entfernet; aber, genau zu sprechen, ist immer in jedem Falle nur eine Art recht zu tun, und unzählige zu fehlen, d. i. die Linie zu verfehlen, die (nach dem Ausdruck des Aristoteles) zwischen der Hyperbole und der Ellipse der moralischen Unrichtigkeit mitten durchgeht, und die Linie der Tugend istΜεσότης τις εστὶν η αρετή – έτι τὸ μὲν αμαρτάνειν πολλαχω̃ς έστι – τὸ δὲ κατορθου̃ν μοναχω̃ς. Χαλεπὸν δὲ τὸ επιτυχει̃ν. Καὶ διὰ ταυ̃τ' ου̃ν τη̃ς μὲν ΚΑΚΙΑΣ η ΥΠΕΡΒΟΛΗ καὶ η ΕΛΛΕΙΨΙΣ, τη̃ς δὲ ΑΡΕΤΗΣ η ΜΕΣΟΤΗΣ. Aristotel. Ethic. ad Nicomach. L. II. c. 5.. Dies gilt überhaupt von jeder menschlichen Vollkommenheit. Jede Muse, jede Venus und Grazie hat ihre bestimmte Form, ihren eignen Ton, Gang und Anstand, ihren Rhythmus und ihre Mensur. In dem feinen, schnellen und richtigen Gefühl von allem diesem, und in der sichern, zum Instinkt gewordenen Fertigkeit, es diesem Gefühl gemäß in Ausübung zu bringen, besteht alle Virtuosität. Was Wunder also, daß in allen Künsten, und in der schwersten und verwickeltsten von allen, der Kunst des Lebens, am meisten – nichts Vollkommnes unter der Sonne ist, und das Schöne, nach welchem alle Virtuosen streben, so selten erreicht, oder wo es erreicht worden, nur von so wenigen gesehen und empfunden wird?. Der eine, immer mehr, als recht ist, nachzugeben bereit, und dem, der ihm zu essen gibt, |
Si bene te novi, metues, liberrime Lolli, scurrantis speciem praebere professus amicum: Ut matrona meretrici dispar erit atque discolor, infido scurrae distabit amicus. <5> Est huic diversum vitio vitium prope maius, asperitas agrestis et inconcinna gravisque quae se commendat tonsa cute, dentibus atris, dum vult libertas dici mera veraque virtus. Virtus est medium vitiorum et utrimque reductum. <10> Alter in obsequium plus aequo pronus et imi |
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mit seinem Lachen aufzuwerten, trägt so viel Respekt vorm bloßen Wink des Gönners, hallt so gefällig seine Späße nach, schnappt jedes Wort, das ihm entfällt, im Falle so hastig auf, daß dir nicht anders ist, als ob du einen Knaben zitternd seine Lektion aufsagen, oder auf dem Schauplatz einen demütigen Vertrauten spielen hörest. Im Gegenteil erhebt der andre oft den größten Zank mit dir – um Ziegenwolle, und kämpfte, eh' er sich ergäbe, lieber mit barem Unsinn. – »Was? ich sollte dir mehr glauben, als mir selbst? Ich sollte nicht, was ich denke, von der Leber frisch wegbellen dürfen? Nein, das laß ich mir nicht nehmen, wenn's mein Leben doppelt gälte!« Der Streit betrifft auch keine Kleinigkeit! Die Frage ist, ob Kastor oder DolichosZwei Gladiatoren, über deren Vorzüglichkeit vermutlich damals viel gestritten wurde. sein Handwerk besser wisse? Ob die Straße des Appius oder des Minucius |
derisor lecti, sic nutum divitis horret, sic iterat voces et verba cadentia tollit, ut puerum saevo credas dictata magistro reddere, vel partes mimum tractare secundas: <15> alter rixatur de lana saepe caprina, propugnat nugis armatus: »Scilicet, ut non sit mihi prima fides et vere quod placet ut non acriter elatrem, pretium aetas altera sordet.« Ambigitur quid enim? Castor sciat an Dolichos plus? <20> Brundusium Minuci melius via ducat an Appi? |
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uns etwas bälder nach Brundusium führe? Die Gunst der Großen wird nicht selten bloß dadurch verloren, daß man ihnen sich zu ähnlich stellt. Wer sich durch Tänzerinnen und Würfel ruiniert, aus eitler Hoffart sich über sein Vermögen trägt, sich schämt für ärmer als ein andrer angesehn zu sein, und unersättlich stets nach Golde hungert, kann sicher rechnen, daß sein hoher Freund, wiewohl vielleicht um zehen Laster reicher als er, ihn hassen oder wenigstens fürbaß hofmeistern wird. Er ist hierin den guten Müttern gleich, die ihre Töchter weiser und tugendreicher haben wollen, als sie selber sind, und spricht, beinahe wahr: »Wofern ich tolles Zeug beginne, Freund, so bin ich reich genug, es auszuhalten; du mußt dich nach der Decke strecken; einem verständigen Menschen deinesgleichen ziemt ein enger RockEine sehr weite oder sehr knappe und faltenlose Toga bezeichnete bei den Römern den reichen und vornehmen, oder den armen und gemeinen Mann. Zwischen beiden Extremen lag das Mehr oder Weniger, das jedem, nach Maßgabe seiner Umstände, geziemte., hör' auf, das Maß zum deinen |
Quem damnosa Venus, quem praeceps alea nudat, gloria quem supra vires et vestit et ungit, quem tenet argenti sitis importuna famesque, quem paupertatis pudor et fuga, dives amicus <25> saepe decem vitiis instructior, odit et horret, aut si non odit, regit; ac veluti pia mater, plus quam se sapere et virtutibus esse priorem vult, et ait prope vera: »Meae (contendere noli) stultitiam patiuntur opes; tibi parvula res est, |
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an mir zu nehmen.« Wem EutrapelusOhne Zweifel ist hier der römische Ritter Volumnius Eutrapelus gemeint, der von Cicero in der Dreizehnten Philippica unter den Vertrauten oder Collusoribus et Sodalibus (wie er sie nennt) des Triumvirs Marcus Antonius obenan gesetzt wird. Er war einer von den Elegans dieser Zeit, und war es so sehr, daß er den griechischen Beinamen Eutrapelus daher bekam, der einen Menschen bezeichnet, dessen Vorzug in allen Eigenschaften eines angenehmen Gesellschafters, besonders in der Gabe, Bons-Mots zu machen, liegt. Man kann die Bons-Mots in Verbale und Reale einteilen: von der letztern Art ist der Zug, der hier von ihm erzählt wird. Am Schlusse des siebenten Buchs der Briefe Ciceros ad Familiares befinden sich ein paar an diesen Volumnius Eutrapelus, woraus man sich einen sehr guten Begriff von ihm machen kann. »Da ich (schreibt ihm Cicero) deinen Brief nur so schlechtweg, wie unter vertrauten Freunden gewöhnlich ist, Volumnius Ciceroni, überschrieben sah, vermutete ich anfangs, daß er von dem Senator Volumnius sei, mit dem ich auf einem sehr vertrauten Fuß lebe: aber die ευτραπελία (der launische scherzhafte Ton) des Briefes machte mich gleich merken, daß er von dir kommen müsse. Alles war mir darin ausnehmend angenehm, das einzige ausgenommen, daß du, wie ich sehe, eben nicht der fleißigste Prokurator bist, mich im Besitz meiner SalinenQuod parum diligenter possessio salinarum mearum a te procuratore defenditur. So nennt er, scherzweise, das Talent, Bons-mots zu sagen, weswegen er so berühmt war. zu schützen. Denn du sagst, ich hätte der Stadt kaum den Rücken gekehrt, so würde schon alles, was wie ein Bon-Mot klinge, sogar die vom Sestius, auf meine Rechnung gesetzt. Wie? Und das lässest du so geschehen? Nimmst dich meiner nicht an? Wehrst dich nicht für mich? Ich glaubte, ich hätte doch meinen Bons-Mots einen so kennbaren Stempel aufgedrückt, daß eine Verwechslung gar nicht möglich sein sollte. Aber weil der Geschmack zu Rom, wie es scheint, in solchen Verfall geraten ist, daß sich nichts so Un-CytherischesDer Nachdruck dieses Wortes ist auf keine andre Art übersetzlich, und konnte von ihm mit keinem lateinischen gegeben werden. In Cythere, dem gewöhnlichen Sitz der Venus, der Grazien und ihres ganzen Gefolges von Scherzen und Freuden, atmet alles Schönheit, Anmut und Lieblichkeit. Das Widerspiel von diesem allem ist Acytheron, und Cicero setzt es daher dem Venustum entgegen, welches, seiner Abstammung gemäß, alles, was eine Venus, d. i. wahre Schönheit und Anmut, in sich hat, bezeichnet. denken läßt, das nicht bei jemand für was Feines passierte: so wirf dich, wenn du mein Freund bist, von nun an zu meinem Verfechter auf, und wenn die AmphibolieSpiel mit dem Doppelsinn eines Wortes. nicht sinnreich, die Hyperbole nicht elegant, das ParagrammaEine Art von Wortspiel, wo der Scherz durch Weglassung oder Veränderung des ersten Buchstabens entsteht. nicht drollicht, das Lächerliche nicht unerwartet, kurz, wenn alle Arten von Scherzen, wovon ich in meinem zweiten Buche de Oratore in der Person des Antonius gesprochen habe, nicht kunstmäßig und scharfsinnig sind, so kannst du getrost einen körperlichen Eid ablegen, daß sie nicht von mir kommen. Was die Prätendenten an Beredsamkeit betrifft, über die du dich beschwerst, daß sie seit meiner Entfernung vom Forum Besitz genommen hätten, die fechten mich weit weniger an. Meinetwegen mögen alle Beklagte bei den Füßen geschleift werden, und mag Selius selbst beredt genug sein, um beweisen zu können, daß er kein Schurke sei: Das kümmert mich nichts. Aber im Besitz der Urbanität, mein Lieber, müssen wir uns erhalten, es koste was es wolle – wiewohl ich dir gestehen muß, daß ich mich darin vor keinem andern Mitbewerber fürchte, als vor – dir selbst« u. s. w. Dieser Brief ist wie ein Spiegel, der uns das Bild dessen zurückwirft, an den er geschrieben ist. Wer noch ein paar Züge mehr dazu haben will, kann sie im 26sten des IX. Buchs der Briefe Ciceros finden, wo von einem so eleganten Soupé bei diesem Eutrapelus die Rede ist, daß Cicero für nötig hält, sich sogar bei einem Manne, wie sein Freund Pätus war, zu entschuldigen, dabei gewesen zu sein. recht übel wollte, dem verehrt' er reiche Kleider: nun, dacht' er, wird in seinem schönen Rocke der Geck ein andrer Mann sich dünken, wird von nichts als Glücksentwürfen und gefundnen Schätzen träumend seine Morgenstunden verschlafen, was ihm obliegt, einer Buhlschaft wegen versäumen, wird auf hohe Zinsen borgen, und bald genug genötigt sein, sein Fell an eine Gladiatortruppe zu verkaufen, oder eines Gärtners blinden Schimmel um Taglohn traurig vor sich her zu treiben. Du wirst dir zum Gesetze machen, weder nach deines hohen Freunds Geheimnissen zu forschen, noch, wofern er etwas dir von selbst vertraut, es zu verraten, wenn du gleich mit Wein und Zorn gefoltert würdest. Auch wirst du niemals deinen Neigungen den Vorzug geben und die seinen tadeln; noch, wenn er auf die Jagd will, dich damit entschuldigen, du müssest Verse machen. Man sagt, die Harmonie der beiden |
<30> arta decet sanum comitem toga; desine mecum certare.« Eutrapelus cuicumque nocere volebat, vestimenta dabat pretiosa: beatus enim iam cum pulchris tunicis sumet nova consilia et spes, dormiet in lucem, scorto postponet honestum <35> officium, nummos alienos pascet, ad imum Thraex erit, aut olitoris aget mercede caballum. Arcanum neque tu scrutaberis illius umquam, commissumque teges et vino tortus et ira; nec tua laudabis studia aut aliena reprendes, <40> nec, cum venari volet ille, poemata panges. |
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berühmten Zwillingsbrüder Zethus und Amphion sei aus keiner größern Ursach zerrissen worden; bis der sanftere Amphion, dem Humor des rauhen Bruders nachgebend, seine Leier schweigen hießWinkelmann führt in seiner Geschichte der Kunst ein altes Denkmal von erhobener Arbeit in der Villa Borghese an, welches dieser Stelle Licht gibt und von ihr wieder empfängt. Sie scheint sich auf eine verloren gegangene Tragödie des Euripides zu beziehen, wovon Antiope, die Mutter dieser beiden Göttersöhne, die Heldin war. Derjenige, den die schöne Antiope als den Vater ihrer beiden Knaben angab, war kein geringerer, als Jupiter selbst. Da sie aber, auch in der Heldenzeit, nicht mehr Glauben fand, als ein heutiges Mädchen finden würde, welches in einer Verlegenheit dieser Art einen Heiligen aus dem Kalender angeben wollte: so sah sie sich genötigt, ihre Zwillinge an eine Landstraße auszusetzen und dem Schicksal zu überlassen. Die Knaben wurden von einem Hirten gefunden und unter Hirten auferzogen: Zethus ergriff die nämliche Lebensart; aber Amphion legte sich auf die Musik, und erhielt (wie die Fabel sagt) von Apollo eine so wundertätige Lyra, daß sie sogar die Steine tanzen und sich zusammenfügen machte. Gleichwohl, sagt unser Dichter, sei diese Lyra eine Quelle von Zwiespalt und Mißverständnis unter den beiden Brüdern geworden. Er scheint damit auf eine Szene in der Antiope des Euripides anzuspielen, aus welcher ein alter Scholiast des Plato folgenden Vers aufbehalten hat:
Vermutlich konnte Zethus nicht leiden, daß sein Bruder aus Liebe zur Musik alle andre Beschäftigungen vernachlässigte, und sein einziges Geschäft aus demjenigen machte, was, nach den Sitten der Heroischen Zeiten, nur ein Zeitvertreib der Krieger war. Das Denkmal, welches Winkelmann in seinen Monumenti Inediti bekannt gemacht, stellt die von Horaz hier angerühmte Nachgiebigkeit des sanften Amphions, auf eine eben so einfache als sinnreiche Weise, dar. Antiope ist darauf zwischen ihren beiden Söhnen abgebildet: Zethus ist durch einen Hut, das Zeichen des Landlebens, kenntlich gemacht: Amphion hat einen Helm auf dem Kopf, und hält die dem Bruder verhaßte Lyra halbverdeckt unter seinem Kriegskleide. .So mach' es auch. Betrachte stets die Bitten des mächtigen Freunds als mildere Befehle: und hat er seinen Jagdzeug mit den Koppeln vorausgeschickt, so spring du hurtig auf, entrunzle flugs der ungefälligen Muse gedankenvolle Stirn', und zeig' ein heitres Gesicht; die Wildpastete, die dir Müh und Schweiß gekostet, wird nur baß dir schmecken. Die Jagd stand immer in gar hohen Ehren bei unsern Römern, ist dem guten RufWeichliche Jünglinge, die eine feine Haut zu schonen haben, und sich vor Frost und Hitze fürchten, sind keine Liebhaber der Jagd. Nach den alten römischen Sitten klebte dem Charakter eines Weichlings eine Art von Infamie an; die Liebe zur Jagd, als ein Zeichen eines männlichen Temperaments und daß ein junger Mann noch nicht ganz aus der Art der Voreltern geschlagen, war in sofern dem guten Ruf förderlich. und der Gesundheit nütz, und stärkt die Glieder: auch ziemt sie dir besonders, da du Schnelligkeit, |
Gratia sic fratrum geminorum, Amphionis atque Zethi, dissiluit, donec suspecta severo conticuit lyra; fraternis cessisse putatur moribus Amphion: tu cede potentis amici <45> lenibus imperiis, quotiesque educet in agros Aetolis onerata plagis iumenta canesque, surge, et inhumanae senium depone Camenae, cenes ut pariter pulmenta laboribus empta; Romanis sollemne viris opus, utile famae <50> vitaeque et membris, praesertim cum valeas et |
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um einen Hund zu überlaufen, Kräfte, um einen Eber zu bezwingen, hast. Und wer hat mit den Waffen umzugehen mehr Anstand? Wem wird in den Kriegesspielen des Campus Martius lauter zugeklatscht? Du dientest ja beinah als Knabe schon im Zuge gegen die Cantabrer, unter dem Feldherrn, der uns aus der Parther Tempeln die Adler wiedergab, und jetzt, was etwa noch zurück ist, unsern Waffen unterwirftDiese Stelle entdeckt uns das Alter, worin Lollius damals war, als Horaz diesen Brief an ihn geschrieben, so deutlich, daß man nicht begreift, wie gelehrte Ausleger sich darin haben irren können. Der Feldzug, welchen August in eigner Person gegen die Cantabrer unternahm, fällt in das Jahr der Stadt Rom 729. Lollius machte solchen in seiner ersten Jugend mit, noch ein Knabe, wie Horaz sich ausdrückt, d. i. da er kaum die Prätexta abgelegt hatte. Da dies nicht leicht vor dem achtzehnten Jahre geschah (wiewohl man unter August, auch in diesem Stücke, immer mehr von den alten Sitten nachließ), so kann man füglich annehmen, daß Lollius, als er, um dem Augustus die Cour zu machen, seinen ersten Feldzug unter ihm selbst tun wollte, nicht über achtzehn Jahre alt gewesen. Da nun dieser Brief (wie Horaz andeutet) bald nach der Zurückgabe der Crassischen Adler, d. i. im Jahr 734 oder 735, geschrieben worden, so konnte Lollius, als er ihn empfing, nicht über vier bis fünf und zwanzig Jahre haben; und dies stimmt auch zu dem Inhalt des ganzen Briefes, und besonders zu dem Umstand:
Und, um dir alle Ausflucht abzuschneiden, so weiß man ja, daß du, wiewohl du nichts UnschicklichesNil extra numerumque modumque, eine Nachahmung der griechischen Redensart παρὰ μέλος. Horaz hat sich der Freiheit häufig bedient, seine Sprache aus der griechischen zu bereichern. zu tun beflissen bist, auf deinem väterlichen Gut mitunter auch Kurzweil treibst. Da werden, zum Exempel, aus kleinen Fischerkähnen zwei Schlachtordnungen formiert, und unter deiner Anführung, wie in vollem Ernst, das Treffen bei Actium von deinen Hausgenossen |
vel cursu superare canem vel viribus aprum possis. Adde, virilia quod speciosius arma non est qui tractet; scis quo clamore coronae proelia sustineas campestria; denique saevam <55> militiam puer et Cantabrica bella tulisti, sub duce qui templis Parthorum signa refigit nunc, et si quid abest, Italis adiudicat armes. Ac ne te retrahas et inexcusabilis abstes, quamvis nil extra numerum fecisse modumque <60> curas, interdum nugaris rure paterno: partitur lintres exercitus, Actia pugna |
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im Kleinen vorgestelltDie Schlacht bei Actium entschied das Schicksal der damaligen Welt, indem sie den Cäsar Octavianus zum einzigen Beherrscher des römischen Reichs machte. Sie wurde die Epoke einer besondern Zeitrechnung, die unter dem Namen Aera Actiaca bekannt ist; und die zu ihrem Andenken erneuerten öffentlichen Spiele des Apollo von Actium wurden, nach den Capitolinischen, die berühmtesten und herrlichsten in der römischen Welt. Man kann sich also leicht vorstellen, wie lebhaft der Eindruck, den der entscheidende Augenblick einer so großen Revolution auf die Gemüter der Römer gemacht hatte, in den Zeiten, worin Horaz diesen Brief schrieb, noch sein mußte: und aus dieser Betrachtung wird es sehr begreiflich, wie der junge Lollius auf den Einfall kommen konnte, sich mit seinem Bruder auf dem Gute ihres Vaters eine Art von kriegerischer Kurzweil aus einer dramatischen Nachahmung dieses berühmten Seetreffens zu machen. Aber Horaz scheint, nebenher, noch eine verdecktere, wiewohl seinem jungen Freunde nicht unmerkliche, Absicht gehabt zu haben, warum er ihn, gerade bei dieser Gelegenheit, an diese Possen (nugas), wie er sie nennt, erinnerte. Der junge Lollius war aus einem dem Cäsar Augustus besonders ergebenen Hause entsprungen; und die Vermutung, daß er demselben durch dieses Spiel auf eine feine Art habe schmeicheln wollen, ist so natürlich, daß man glauben kann, sie werde damals einem jeden in den Sinn gekommen sein. Indessen hätte der junge Lollius, wenn es ihm so Ernst war nichts Unschickliches zu beginnen, gar wohl merken können, daß die Wohlgesinnten in Rom, und Augustus selbst, viel lieber alles, was eine Erinnerung an die unseligen Zeiten des Triumvirats mit sich führte, aus dem öffentlichen Andenken hätten verbannt wissen mögen. Da er nun demungeachtet so viel vom Hofmann in sich hatte, um, in der Meinung sich dem August gefällig zu machen, über die Besorgnis ungleicher Beurteilungen hinauszugehen: was konnte er, um sich selbst gleich zu bleiben, wider die unschuldigen Attentionen und Gefälligkeiten gegen seinen mächtigen Freund, die ihm Horaz zumutete, noch einzuwenden haben? Daher sagt er ihm, er erinnere ihn an diese seine hofmännische Kurzweil, um ihm alle Ausrede und Ausflucht abzuschneiden – und beschließt damit: es werde niemand, für dessen Steckenpferd er die gehörige Nachsicht trage, sich weigern, dem seinigen allen Beifall zu geben; eine Wendung, womit er ihm deutlich genug sagt, er könne eine solche Gefälligkeit nicht wohl anders als erga Reciprocum erwarten.. Dein Bruder ist der Feind, dein Gartenteich das Adriatsche Meer; so wird gefochten, bis die leichtbeschwingte Victoria des Siegers Schläfe kränzt: und niemand, wer dir gleiche Billigkeit für seine LaunenIm Original: Studia; die Rede ist aber hier von den steckenpferdischen Neigungen. Es fehlte einem römischen Dichter oft auch in seiner Sprache an dem eigentlichen Worte, wie uns noch öfters in der unsrigen. zutraut, wird die deinen tadeln. Sodann, und weil ich einmal am Erinnern bin, (wofern du ja Erinnerns nötig hast) bedenke wohl und oft, was du von jedem und zu wem du sprichst. Dem Frager weiche aus, er ist ein Schwätzer: Ohren, welche immer weit offen stehen, lassen leicht entfallen, was ihnen anvertraut war; und ist dir einmal ein Wort entschlüpft, so fliegts davon und läßt nie wieder sich zurückerufen. Nicht minder hüte dich, daß innerhalb der Marmorschwelle deines großen Freundes ja keiner seiner schönen Sklaven, keine |
te duce per pueros hostili more refertur; adversarius est frater, lacus Adria, donec alterutrum velox Victoria fronde coronet. <65> Consentire suis studiis qui crediderit te fautor utroque tuum laudabit pollice ludum. Protinus ut moneam (si quid monitoris eges tu) quid de quoque viro, et cui dicas, saepe videto! Percontatorem fugito, nam garrulus idem est, <70> nec retinent patulae commissa fideliter aures, et semel emissum volat irrevocabile verbum. Non ancilla tuum iecur ulceret ulla puerve |
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von seinen Mädchen (die er selbst vielleicht sich vorbehielt) die Leber dir entzünde: damit er keinen Anlaß habe, weder mit einem unbedeutenden Geschenk dich abzufinden, oder, wenn er deinen Wünschen zuwider ist, sie dir zur Qual zu machen. Den Mann, den du empfehlen willst, besieh erst recht genau und oft von allen Seiten, damit nicht unversehens fremde Fehler dich schamrot machen. Doch, man kann auch wohl betrogen werden und für jemand sich verwenden, der sich dessen unwert zeigt: in diesem Fall, und wenn er seine Schuld nicht leugnen kann, entzieh ihm deinen Schutz. Ist aber der, den böse Zungen stechen, dir ganz genau bekannt: so halte fest, und stelle dich dem Mann zur Brustwehr dar, der seine Zuversicht auf dich gesetzt hat. Darf ihn der Lästrung Zahn vor deinen Augen benagen, ohne daß dein Herz dir sagt, bald könn' auch dich, was ihm begegnet, treffen? |
intra marmoreum venerandi limen amici; ne dominus pueri pulchri caraeve puellae <75> munere te parvo beet, aut incommodus angat. Qualem commendes etiam atque etiam aspice, ne mox incutiant aliena tibi peccata pudorem. Fallimur et quondam non dignum tradimus: ergo quem sua culpa premet, deceptus omitte tueri, <80> ut penitus notum, si temptent crimina, serves tuterisque tuo fidentem praesidio; qui dente Theonino cum circumroditur, ecquid ad te post paulo ventura pericula sentis? |
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Brennt deines Nachbars Wand, so gilts auch dir, und Unsinn wärs, mit Löschen warten, bis das ganze Haus in hellen Flammen stünde. Um eines Mächtigen Gunst zu buhlen, deucht dem Unerfahrnen süß, gefährlich dem Erfahrnen. Du, dessen Schiff bereits im hohen Meer mit muntern Wimpeln geht, wend' alles an, daß dich kein Gegenwind zurück ans Ufer werfe. Die Großen wollen stets den Widerschein von ihrer Laun' an ihren Freunden sehen; selbst düster, hassen sie den muntern, lustig den ernsten: einem raschen ist der sanfte gesetzte, einem schläfrigen hingegen der rüstige geschäft'ge Mensch zuwider; und dem, der mit Falerner Nächte durch sich gern beträufelt, würdest du dich schlecht empfehlen, wenn du dir den dargebotnen Becher verbitten wolltest, schwürst du gleich beim Bart des Äsculap, dein Kopf und Magen könne des späten Weindunsts Hitze nicht vertragen. |
Nam tua res agitur, paries cum proximus ardet, <85> et neglecta solent incendia sumere vires. Dulcis inexpertis cultura potentis amici, expertus metuit. Tu, dum tua navis in alto est, hoc age, ne mutata retrorsum te ferat aura. Oderunt hilarem tristes, tristemque iocosi, <90> sedatum celeres, agilem gnavumque remissi; potores bibuli media de nocte Falerni oderunt porrecta negantem pocula, quamvis nocturnos iures te formidare vapores. |
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Zerstreu' die Wolk' um deine Augenbraunen! Sehr oft wird, um der bloßen Miene willen, Bescheidenheit für düstern Sinn, und Stille für hämische Misanthropie gehalten. Vor allem forsche von den Weisen, toten und lebenden, wie du es machen sollst, um sanft des Lebens Strom hinab zu gleiten, damit nicht immer dich die dürftige Begierde, nicht die Furcht dich quäle, noch die Hoffnung solcher Dinge, deren Nutzen ein Kluger leicht entbehret. Forsch' und lerne von ihnen, was dich besser macht, – ob Tugend als Gabe der Natur uns angeboren, oder durch Unterricht und Fleiß erworben werde? Was deiner Sorgen Anzahl mindre? Was dir selbst zum Freund dich mach', und wahre Ruh dir schaff'? – Ob Ehre, oder Reichtum? oder ein unbemerkter schmaler Pfad durchs LebenNichts beweiset stärker, wieviel wirklichen Anteil unser Dichter an dem jungen Lollius genommen, und wie gut er von ihm gedacht, als diese Stelle. Ein Mann von seiner feinen Lebensart ist unfähig, solche Gesinnungen – die den meisten Weltleuten entweder ganz unverständlich, oder, halb und schief verstanden, lächerlich sind – irgend jemanden sehen zu lassen, bei dem sie übel angebracht wären; und nur eine sehr warme Freundschaft kann ihn bewegen, seine Fürsorge bis auf das innere als das einzige wahre Wohl eines andern zu erstrecken. Horaz, der für sich selbst außer dem traducere leniter aevum (den Bach des Lebens sanft hinab zu gleiten) und dem unbemerkten Pfad durchs Leben (fallentis semita vitae) keine Glückseligkeit kannte, kommt, sobald er mit einem vertrautern und edlern Freunde spricht, immer auf diesen Punkt zurück. Er hätte geglaubt, mit allen den Klugheitsregeln, die er dem edeln jungen Römer gibt, die Pflicht der Freundschaft nur halb erfüllt zu haben, wenn er ihn nicht an das einzige Notwendige der Weisen, an die Sorge für die innerliche Freiheit, Ruhe und Zufriedenheit des Herzens, erinnert hätte – das einzige, was den Menschen unabhängig von dem, was außer ihm ist, was ihn sich selbst zum Freunde – was ihm, außer der Notdurft des Lebens, alles übrige entbehrlich macht. Horaz fand ohne Zweifel seinem jungen Freund um so nötiger, eine gute Provision von dieser Philosophie des Lebens auf die Zukunft zu machen: weil seine rasche, freiheitsliebende und wenig geschmeidige Sinnesart ihn, mehr als hundert andre seines gleichen, in Gefahr setzte, entweder das, was man in der Welt Glück nennt, auf halbem Wege zu verfehlen, oder sich wenigstens nicht lange darin zu erhalten. Unsre Leser wünschen vielleicht zu wissen, wie der junge Lollius sich alle diese Lehren seines freundschaftlichen Mentors zu Nutze gemacht habe? Aber wir befinden uns hierüber ohne alle historische Nachrichten; und eben dieses gänzliche Stillschweigen der Geschichte von ihm bringt uns auf die Vermutung, entweder, daß er nicht lange genug gelebt habe, um sich auf dem Schauplatz der Geschäfte hervorzutun; oder daß er, nach der von Horaz ihm angeratnen scharfen Prüfung,
das letztere für sich am zuträglichsten befunden, und also in dem Stillschweigen der Geschichte von ihm – gerade seinen Endzweck erreicht habe. ?So oft der kalte Bach Digentia mich erfrischetd. i. so oft ich auf meinem Sabinischen Gute lebe, an welchem der kleine Fluß Digentia vorbeifloß., den das kleine frost'ge Dorf |
Deme supercilio nubem; plerumque modestus <95> occupat obscuri speciem, taciturnus acerbi. Inter cuncta leges et percunctabere doctos, qua ratione queas traducere leniter aevum, ne te semper inops agitet vexetque cupido, ne pavor et rerum mediocriter utilium spes: <100> virtutem doctrina paret, naturane donet? quid minuat curas? quid te tibi reddat amicum? quid pure tranquillet, honos an dulce lucellum, an secretum iter et fallentis semita vitae? Me quoties reficit gelidus Digentia rivus, |
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Mandela trinkt, was meinst du, daß ich denke? was glaubst du, Freund, daß ich die Götter bitte? »Laßt mir nur, was ich hab', und wärs auch minder, und was ihr etwa noch von Lebenszeit mir zugedacht, laßt mich mir selber leben! Laßt mirs an Büchern nicht, auch nicht an Vorrat, was auf ein Jahr vonnöten ist, gebrechen, damit die ungewisse Zukunft im Genuß des Gegenwärt'gen mich nicht stören müsse!« Es ist genug, um Dinge, die er gibt und wieder nimmt, den Jupiter zu bitten: er gebe Leben nur und Notdurft mir, ein ruhig Herz will ich schon selbst mir schaffen! |
<105> quem Mandela bibit, rugosus frigore pagus, quid sentire putas? quid credis, amice, precari? »Sit mihi quod nunc est, etiam minus, et mihi vivam quod superest aevi, siquid superesse volunt di; sit bona librorum et provisae frugis in annum <105> copia, neu fluitem dubiae spe pendulus horae.« Sed satis est orare Iovem, quae donat et aufert: det vitam, det opes, aequum mi animum ipse parabo. |