Horaz
Horazens Briefe
Horaz

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Neunter Brief
An Claudius Tiberius Nero

Einleitung

Diese kleine Epistel, so wie die vorgehende, scheint geschrieben zu sein, während Tiberius sich, in Geschäften, die ihm von August übertragen worden waren, in dem morgenländischen Teile des römischen Reichs aufhielt. Sie ist das vollkommenste Muster eines Empfehlungsschreibens an einen Großen; sie hat einen Ton, den nur die große Welt geben kann, und bei dem Anschein der größten Unbefangenheit und Offenheit, ist jedes Wort wie auf einer Diamantwaage abgewogen. Niemand wußte jemals besser, als Horaz, was sich für ihn selbst, für die Person, mit der ers zu tun hatte, und für denjenigen, dem er Dienste leisten wollte, ziemte. Je mehr es ihm (wie man aus dem Schluß des Briefes sieht) mit seiner Empfehlung Ernst war: um so mehr mußte er bei einem jungen Manne von Tibers Gemütsart mit behutsamer Zartheit zu Werke gehen. Allzuviel Diensteifer, ein allzuwarmes Lob würde seinem jungen Freunde nur geschadet haben; denn Kälte, Stolz, Zurückhaltung und Mißtrauen waren immer Grundzüge im Charakter des Tiberius gewesen; sogar in seiner Jugend, wo er am besten war, und wo die Rücksichten, die er von allen Seiten zu nehmen hatte, seine natürlichen Laster gleichsam im Respekt erhielten und in sein Innerstes zurückschreckten. Eben so wenig würde sichs für Horaz geschickt haben, gegen diesen jungen Magnaten, der, wiewohl von der Hoffnung, dem August im Reiche zu folgen, noch weit entfernt, gleichwohl, als der älteste Sohn der allesvermögenden Livia, eine der ersten Personen im Staat war, sich ein wichtiges Ansehen und die Miene zu geben, als ob er wegen seiner Verbindung mit verschiednen Großen, und weil er bei August selbst wohl gelitten war, ein Mann zu sein glaube, dessen Empfehlung etwas zu bedeuten habe. Aber dies war noch nicht alles, was Horaz in Acht zu nehmen hatte. Natürlicherweise mußte er dem Tiberius bei dieser Gelegenheit etwas sagen, das seiner Eigenliebe schmeichelte, ohne wie eine Schmeichelei auszusehen: und Horaz, der, bei aller seiner Aristippischen Geschicklichkeit mit den Großen umzugehen, sich immer von dem niedrigen Charakter eines Schmeichlers rein zu erhalten gewußt hatte, wollte auch nichts sagen, als was am Ende ganz Rom für Wahrheit anerkennen mußte. Die Wendung, die er nimmt, um bei allen diesen Klippen glücklich vorbeizukommen, ist, deucht mich, die beste, die ihm sein Genius nur immer eingeben konnte; und die Simplizität dieser Wendung gerade das, was am meisten Bewunderung verdient. Er kleidet die ganze Sache in eine naive Erzählung ein, wie es zugegangen, daß sein junger Freund Septimius so viel über seine SchamhaftigkeitDer gemeine Gebrauch setzt der Bedeutung dieses Wortes zu enge Grenzen unter uns. Bei den Römern schämte man sich auch – unhöflich zu sein, sich zu viel herauszunehmen, zur Unzeit zu reden, kurz irgend etwas zu tun, das sich nicht schickte; und ich sehe nicht, warum es bei uns nicht eben so sein sollte. vermocht habe, ihn zu einem Schritte zu bringen, der ihm das Ansehen gebe, als ob er beim Tiberius viel zu gelten glaube. Die Art, wie er sich hierüber ausdrückt, ist von Affektation und Niederträchtigkeit gleich entfernt. Alles, was er zur Empfehlung seines Freundes sagt, sind die zwei letzten Worte des Briefes; aber in diesen Worten schreibt er ihm gerade die zwei Eigenschaften zu, welche Tiberius am meisten zu schätzen das Ansehn haben wollte. Alles, was er diesem Prinzen selbst Schmeichelhaftes sagt, liegt in dem einzigen Verse:

dignum mente domoque legentis honesta Neronis,
                                                      – – des Herzens
und Hauses Nerons, wo der Zutritt nur
Verdiensten offen ist, nicht unwert – –

Unstreitig ist dies viel Lob in wenig Worten: aber es würde in Vergleichung mit der großen Meinung, welche Rom vom Tiberius gefaßt, und mit der öffentlichen Achtung, die er sich durch seine Sitten und sein kluges Betragen erworben hatteEgregius vita famaque quoad privatus vel in imperiis sub Augusto fuit. Tacit. Annal. VI. 51., eher zu wenig sein: wenn man nicht glauben könnte, eben dies, daß der Dichter so sparsam und zurückhaltend mit seinem Lobe ist, sei die feinste Art einem Prinzen zu schmeicheln, der sehr wesentliche politische Ursachen hatte, einen tödlichen Haß gegen alle Schmeichelei zu affektieren.

Von dem Septimius, welcher ihm in diesem Briefe zur Stelle eines Comes empfohlen wird, haben wir wenig zu sagen. Baxter versichert, daß er Titus Septimius geheißen habe, ein römischer Ritter und ein trefflicher Dichter, auch ehedem ein Commilito des Horaz gewesen. Geßner setzt hinzu: es sei eben der, an welchen die sechste Ode im zweiten Buche gerichtet sei. Wenn diese Vermutung Grund hätte, so wäre er einer von den vertrautesten Freunden unsers Dichters gewesen, und die anscheinende Kälte, womit er ihn dem kalten und mißtrauischen Nero empfiehlt, wäre als ein sehr starker Zug seiner feinen Menschenkenntnis anzusehen. Denn das sicherste Mittel, seinen Freunden bei einem Großen von dieser Gemütsart zu schaden, ist, wenn man sie mit Wärme und Eifer lobt oder empfiehlt.

Wie glücklich übrigens unser Dichter mit dieser Empfehlung gewesen sei, können wir nicht sagen. Auf allen Fall belehrt uns Suetonius, daß die Ehre, von der Kohorte des Tiberius zu sein, eben nichts so Beneidenswürdiges war, als Septimius und sein Freund Horaz sich damals einbilden mochten; wenigstens nicht von Seiten des ErtragsSueton. in Tiberio c. 46.. Denn er gab seinen Commensalen, gegen die gemeine Gewohnheit, keinen ordentlichen Gehalt, und machte ihnen auch sonst keine Geschenke; ein einzigesmal ausgenommen, wo Augustus (der seine Angehörige keiner Art von Vorwurf ausgesetzt sehen wollte) seinen eignen Beutel auftat, und unter dem Namen seines Stiefsohns eine Gratifikation unter die Kohorte desselben austeilte, welche, um die Dankbarkeit dieser Herren stark zu erregen, sehr mäßige Wünsche bei ihnen voraussetzteDie ganze Summe betrug ungefähr 50 000 Taler. Tiberius machte drei Klassen. Unter die erste, die aus Personen von Distinktion bestand, teilte er 25 000 und unter die zweite 16 6662/3 aus. Die dritte Klasse machten die griechischen Gelehrten aus, die er, der Mode zu gefallen, mit sich schleppte, wiewohl er weder ihre Nation noch ihre Sprache liebte. Er nannte sie nie seine Freunde, wie die übrigen, sondern nur (verächtlicherweise) seine Griechen; und diese mußten sich an dem Rest begnügen lassen..


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