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Diese Epistel gehört unter diejenigen, die mit Briefen in der eigentlichen Bedeutung weiter nichts gemein haben, als die Anrede an eine gewisse Person, das Vale am Schluß, und den Anschein, ohne Anspruch an Methode, Kunst und mühsames Ausfeilen, so zufällig, wie Gedanken und Ausdruck sich dem Schreiber anboten, hingeworfen zu sein. Es ist ein Diskurs in Versen, der eben so gut, ja noch schicklicher, einen Platz bei den Sermonen oder Satiren unsers Dichters hätte einnehmen können, als die Epistel an Mäcenas, welche die 6te Stelle unter den Satiren des ersten Buchs erhalten hat.
Warum Horaz diesen Diskurs gerade an einen Numicius gerichtet, den weder die Geschichte kennt, noch die übrigen Werke unsers Dichters nennen, ist aus dem Inhalt nirgends deutlich zu ersehen. Numicius ist zwar der Name einer uralten patrizischen Familie in Rom, aus welcher vielleicht dieser hier abstammte: sie scheint aber nicht reich an Männern, die sich hervorgetan, gewesen, und schon von langem her in Verfall und Dunkelheit geraten zu sein; denn die Geschichte nennt in einem Zeitlauf von mehr als 500 Jahren, meines Wissens, nur zwei, den T. Numicius Priscus, der im Jahr 785 Konsul warPetau. Doctr. Temp. T. II. p. 314., und Numicius Thermus, der unter Claudius oder Nero die Prätur bekleidete, und vom letztern der Rache seines Günstlings Tigellin aufgeopfert wurdeTacit. Annal. L. XVI. c. 20..
Da es bei so bewandten Umständen erlaubt ist, sich mit seiner Imagination zu helfen: so stelle ich mir den Numicius, mit welchem sich unser Dichter hier bespricht (um doch etwas bei seinem Namen zu denken) als einen Mann vor, der, ohne weder durch das Ansehn seiner Vorfahren, noch durch persönliche Vorzüge, noch durch ein großes Vermögen zu irgend einer hervorstechenden Rolle berufen zu sein, gleichwohl in einer Zeit, wo so viel Leute ihr Glück machten, auch nicht der letzte hätte bleiben mögen, und nur nicht mit sich selbst einig werden konnte, wie ers anfangen wollte. Der Mann, scheint es, hatte seine Stunden, wo er einen Anstoß von Philosophie, wie man's nennen möchte, bekam, wo er Moral schwatzte, den Verfall der alten guten Sitten beklagte, und große Lust zeigte, wenigstens für seine Person nicht mit dem Strome schwimmen zu wollen. Aber dann war er, auf der andern Seite, doch auch ein Mann nach der Mode, ein Liebhaber schöner Künste, schöner Mädchen, und anderer schönen Dinge; zuweilen in Augenblicken von Ehrgeiz und Eitelkeit, fiel ihm auch wohl ein, daß einer seiner Vorfahren vor 500 Jahren Konsul gewesen war, u. dergl. Wenn er dann in Häuser kam, wo alles von Gold und Elfenbein, prächtigem Hausgeräte und Werken griechischer Kunst schimmerte; oder wenn er hörte, daß irgend ein Mensch von gestern her durch Spekulation oder durch eine reiche Heurat ein großer Mann geworden; oder wenn er einen, der wenigstens nicht besser war als er, durch die Gunst des Volks zu irgend einer kurulischen Würde erhoben sah: so kam ihm auf einmal wieder vor, daß die Philosophie nur eine Närrin sei; es deuchte ihm dann doch gar schön, ein prächtiges Haus und alles vollauf zu haben, so und so viel Liktoren vor sich her treten zu sehen, und zwei Stufen höher als die übrige Welt in einem Lehnsessel von Elfenbein Audienz zu geben. Dies Hin- und Wiederschwanken zwischen so verschiednen Vorstellungsarten und Gemütsstellungen gab nun dem guten Numicius den unbestimmten Charakter eines Menschen, der selbst nicht recht weiß, was er will, der in allem immer nur halb, und am Ende bloß darum unglücklich ist, weil er sich nicht entschließen kann, auf welche Art er glücklich sein wolle. Horaz erbarmte sich also seiner, und erwies ihm die Ehre (die seiner Eitelkeit nicht wenig schmeicheln mußte), ihm eine kleine philosophische Lektion zuzuschreiben, um ihn, wo möglich, zu überzeugen, daß man – was freilich die Menschen gewöhnlich nicht zu sein pflegen – mit sich selbst einig sein, irgend eine gewisse Partei ergreifen, und dann dabei bleiben, also das, was man sein will, ganz sein, oder den Anspruch an Glückseligkeit, mit dem an den Namen eines vernünftigen Wesens zugleich, aufgeben müsse.
Dies ist, deucht mich, der Schlüssel zu dieser Epistel: und so fällt das Anstößige weg, das aus dem moralischen Skeptizismus, der darin zu herrschen scheint, und bloße sokratische Ironie ist, entstehen könnte. Horaz sagt nicht: es ist gleichviel, ob du es mit der Philosophie des Mimnermus, oder mit der Philosophie der Ehrenmänner ad Ianum medium, oder mit den Leuten, die alles, was gleißt, bewundern und haben möchten, oder mit denen hältst, die ihren Kopf heiter und ihr Herz frei zu erhalten suchen. Er sagt nur: erkläre dich für eins und bleibe dabei! Denn es ist besser, du denkst und lebst nach der Regel, die du ein für allemal geprüft und deiner eignen Natur angemessen befunden hast, als du urteilst heute so, morgen wieder anders, bewunderst heute, was du gestern verachtet, lässest dich morgen wieder reuen, was du heute getan, und kannst durch diesen ewigen Streit mit dir selbst zu keiner Ruhe, keinem Genuß des Lebens kommen.
Ich weiß nicht, ob ich dem Numicius durch die Vorstellung, die ich mir von ihm mache, unrecht tue: aber dies weiß ich, daß es von solchen Numiciern, wie ich mir ihn denke, in der Welt wimmelt, und daß es also nicht am Horaz liegen wird, wenn niemand durch diese Epistel weiser werden sollte.
Ich füge nur noch bei, daß ich mir in dieser Epistel, mehr als in den meisten andern, erlaubt habe, die Auslegung in den Text selbst zu bringen; und ich bin, aus guten Gründen, so weit entfernt, die Leser wegen dieser Freiheit um Verzeihung zu bitten, daß ich mir dadurch vielmehr ein Recht an ihren Dank erworben zu haben glaube.