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Wechselnde Schicksale

Nun ging ich wieder einige Tage lang daheim Arbeit suchen. Mein Vorsatz ging schon nicht mehr höher, als irgendwo als Ziegelmacher unterzukommen. Aber ich fand nichts Passendes frei. Schließlich kam ich in Sykoras Ziegelei in Aussig als Einkarrer an. Dort wurde noch der Vorrat von vorigem Sommer eingefahren und gebrannt. Der Meister wollte bis zur neuen Ziegelkampagne damit fertig werden und nahm mich deshalb auf. Es waren noch kurze Tage, und wir verdienten nicht viel, höchstens einen Gulden und dreißig Kreuzer täglich. Ich war aber herzensfroh, daß ich wenigstens so viel hatte.

Eines Abends, kurz nachdem ich beim Sykora angefangen hatte, brachte mir mein Bruder Albert die Nachricht, daß ein Bauer Goltsch in Kosten, ungefähr zehn Minuten von Türmitz entfernt, in seiner Ziegelei einen Ziegelbrenner brauche, und riet mir, zu dem Bauer hinzugehen und mich um diesen Posten zu bewerben; er hätte schon mit dessen Sohne Karl darüber gesprochen. Ich zögerte. Die Ziegeleiarbeiten kannte ich wohl, da war mir nicht ängstlich davor, aber ich besaß kein Zeugnis als Ziegelbrenner, das, wie ich voraussetzte, von mir verlangt werden würde. Auch verlangte man gewöhnlich von den Brennern / denn das war schon mehr ein Meisterposten / eine Geldkaution, je nachdem, wie groß der Betrieb war.

Schließlich entschloß ich mich doch, um den Posten anzufragen, besichtigte mir aber erst die Ziegelei. Es sah nicht gar sehr lockend drin aus. Sie war sehr ungeschickt angelegt, und es konnten nur zwei Parteien dort Ziegel machen. Viel versprach ich mir also da nicht, wenn mich auch der Bauer annähme. Alles war sehr primitiv, auch der Brennofen; er war noch so, wie ihn unsere Vorfahren schon vor Jahrhunderten benutzten, ein Feldofen! Ich ging aber doch aufs Geratewohl zu Goltsch hin.

Der erste Gang war erfolglos. Ich traf den alten, dicken Mann allein an; er sagte mir nicht zu und auch nicht ab, bestellte mich aber für den nächsten Sonntag nachmittag, wenn seine Söhne zu Hause wären, noch einmal zu kommen. Es mußte schon, wie es in den meisten Bauernfamilien Sitte ist, wenn etwas beschlossen oder unternommen werden soll, die ganze Familie anwesend sein. Nach einem Zeugnisse oder einer Kaution frug er mich nicht. Er kannte auch gut meine Frau und ihren Vater, und dies schien mir, daß es ein bißchen ziehen würde.

Wie gesagt, ich versprach mir von diesem Posten nicht viel, aber ich dachte, daß, wenn ich ihn einmal selbständig ausübte, ich dann ein Zeugnis als Brenner erhalten und daraufhin einen besseren Posten anderswo bekommen könnte. Unter diesem Bestreben und in dieser Hoffnung wollte ich zugreifen.

Als ich dann Sonntags mit meiner Frau hinkam, war der ganze Familienrat beisammen. Der Alte hielt sich anfangs darüber auf, daß ich schon so oft gewechselt hätte, und meinte, daß ich vielleicht bei ihm auch nicht lange bleiben würde. Ich setzte ihm auseinander, daß jemand, der in verschiedenen Betrieben gearbeitet hätte, mehr Praxis besitzen müßte, als derjenige, der immer auf einem Orte säße. Schließlich kamen wir nach langem Beraten doch überein. Die Söhne stimmten meiner Aufnahme zu, die Frau Goltsch, die unterdessen mit meiner Frau auf dem Sofa geplaudert hatte, nickte auch dazu, und der Alte gab dann das Siegel, sein Ja-Wort darauf. Einen schriftlichen Vertrag machten wir nicht. Alles wurde nach der traditionellen bäuerlichen Sitte mündlich abgemacht, wir waren beiderseits so damit einverstanden und vertrauten einander. Als alles abgemacht war, folgte der Handschlag, wobei der Alte treuherzig bemerkte: »Der liebe Gott ist Zeuge!«

Wir hatten vereinbart, daß ich fünf Gulden und achtzig Kreuzer für das Tausend Ziegel bekäme, die für diesen Lohn gemacht, gebrannt und bis auf den Wagen geladen werden mußten. Dann erhielt ich noch die Wohnung, aus zwei Stuben bestehend, und das Gebrenne frei. Den durch Witterung oder beim Brennen im Ofen entstandenen Schaden hatte ich zu tragen, weil ich nur gute, verkaufbare Ziegel bezahlt bekommen sollte. Das war überall so üblich, und es ließ sich nichts dagegen machen. Die jährliche Produktion waren höchstens hundertundfünfzig Tausend. Dieses Quantum schien mir zwar niedrig, doch aber sah ich voraus, daß ich diese Arbeit mit meiner Familie nicht allein bestreiten könne, und eine Ziegelmacherpartei aufnehmen müsse, die dann drei Gulden per Tausend erhielt, die der Herr vorschoß und mir dann abzog, wenn wir Rechnung machten, so daß mir dann für diese nur noch der Brennerlohn von zwei Gulden achtzig Kreuzer übrig blieb.

Wir zogen noch Mitte März ein. Das Häuschen stand gleich an der Straße, die von Türmitz nach Kosten führt. Ringsumher waren Felder, Wiesen und Wald, die Aussicht war sehr schön. Die erste Zeit war mir das einsame Leben unangenehm; man hörte nur das Bellen der Hunde oder Krähen der Hähne aus den umliegenden Dörfern; sonst sah und hörte man von dem Leben der Menschen nichts. In den Abendstunden herrschte eine Grabesstille, wie sie sich nur ein studierender Philosoph wünschen konnte. Erst dann, als der Ziegelmacher Hunek einzog, konnte ich mich wenigstens mit diesem ein bißchen unterhalten. Er konnte aber weder Lesen noch Schreiben, hatte jedoch ein sehr gutes Gedächtnis; er merkte sich alles sehr genau, was er irgendwo hörte, und erzählte es wieder. Er sprach mit Vorliebe von Gesetzen; doch war es ihm ganz gleich, mit welchem Paragraphen er sein eingebildetes Recht motivierte.

Gleich nach unserem Umzuge erkrankte mein Schwiegervater, und unsere Pflicht gebot es uns, den alten Mann nicht sich allein zu überlassen. Wir nahmen ihn zu uns mitsamt seinen Möbeln, die schon sehr alt waren. Die alte Hovemaschine hatte auch nur einen geringen Wert. Der Doktor konstatierte Magenverhärtung und gab jede Hoffnung auf. Der Kranke wünschte deshalb eine geistliche Schwester aus dem Kloster, und seinem Wunsche wurde entsprochen. Er wurde dann auch gleich von einem Geistlichen mit dem Sakrament versehen. Die Krankheit verschlimmerte sich von Tag zu Tag. Die Schwestern wechselten einander ab und beteten Tag und Nacht für die Seele, die aus ihrem zweiundsechzigjährigen Kerker zu entfliehen drohte. Nach einigen Tagen gehörte er unter die Toten. Uns entstanden damit neue Sorgen. Wir sollten ihn begraben lassen und hatten kein Geld. Wir schrieben an die Zuständigkeitsgemeinde des Vaters und an seine Verwandten um eine Unterstützung, und blieben einstweilen die Begräbniskosten schuldig. Erst als dann sechs Gulden von der Gemeinde und fünf von den Verwandten kamen, deckten wir die Schuld. Pfarrer Bertig verlangte diesmal ausnahmsweise für seine Mühe nichts. So wurde der einst große Schneidermeister, dessen Handwerksboden immer mehr verrostet, und der bis zum Flickschneider gesunken war, begraben.

Die letzte Woche vor den Osterfeiertagen hörte ich beim Sykora auf zu arbeiten und blieb zu Hause, schickte aber alles zu, damit wir nach den Feiertagen mit dem Ziegelmachen gleich beginnen könnten.

Meine Frau lernte noch schnell das Dachziegelmachen, zu denen ich ihr wie wieder wie immer früh den nötigen Lehm fertig machte. Ich selbst machte nachher Mauerziegel. Wie dann im Mai mein ältester Sohn Heinrich aus der Schule entlassen wurde, machte er, genau also wie einst ich bei meinem Vater, die Ziegel, und ich machte nur noch ihm und meiner Frau den Lehm zurecht. Die Tage wurden dann immer länger und mit ihnen auch unsere Arbeitszeit. Als dann trockne Ziegel vorhanden waren, wuchs mir noch eine dritte Arbeit heran, das Einfahren derselben in den Ofen, Brennen und Ausfahren. So ein Brand Ziegel dauerte gewöhnlich vier Wochen. Es gingen in den Ofen zwanzigtausend Ziegel hinein. Brennerlohn konnte ich mir wöchentlich höchstens sieben Gulden geben lassen, wenn er nach meiner Rechnung bis zum Frühjahr des nächsten Jahres reichen sollte. Es mußte also durch das Mauer- und Dachziegelmachen etwas dazuverdient werden. Es mußte daher alles, was einen Ziegel schleppen konnte, mit zugreifen. Meine Frau / es gingen nun schon vier von unsern Kindern in die Schule / mußte meistens ihre Wäsche abends waschen. Wenn ich Mittel- und Großfeuer im Ofen hatte, das gewöhnlich sechzig Stunden dauerte, da mußte sie mich auch noch alle vierundzwanzig Stunden auf einige Stunden ablösen und selbst das Feuer halten, damit ich wenigstens ein bißchen schlafen konnte, um dann wieder bis nächsten Morgen weiterfeuern zu können.

Das Ziegelbrennen geriet mir bei jedem Brande immer besser, so daß der Goltsch mit mir ganz zufrieden war, besonders da er sah, daß ich auch die Ziegelmacherei anders eingerichtet hatte, wobei wir und er vorteilhafter wegkamen. Die obere Schicht der Lehmwand, über einen Meter hoch, bestand nämlich aus schwarzem, ganz magerem Erdboden, unter der wieder eine ebenso hohe Schicht sehr fetten Lehmes stand. Der Goltsch ließ bisher immer die obere Schicht abgraben und wegfahren. Ich mischte aber die obere Schicht mit der unteren zusammen und die Ziegel waren gut. Dies hatte er und sein früherer Brenner, mit dem er dreizehn Jahre hantierte, nicht gesehen.

In geschäftlicher Hinsicht war der Alte sehr konservativen Geistes, so wie es eben sehr viele aus dem Bauernstande sind. Zum ersten Male in meinem Leben hatte ich da mit einem Bauerngeist zu tun, kann aber schon danach sagen, daß wohl mit niemandem so schwer zu hantieren ist, wie mit einem tschechischen Bauern. Ein kaufmännisch halbwegs gebildeter Mann weiß, daß er in einem Betrieb erst konstantes Kapital anlegen muß, wenn er aus ihm dann Nutzen ziehen will. Ein Bauer will aber gewöhnlich schlauer sein, er möchte in den Betrieb nichts hineinstecken, aber viel Nutzen daraus ziehen. Für eine Betriebsänderung und -neuerung ist er schwer zu haben, und wenn sie nur eine Bagatelle erfordert. Er verhält sich zu allem Neuen mißtrauisch. Der Goltsch hätte stets gern viel Ziegel fertig gehabt, wenn ich aber Samstags nach dem Gelde kam, waren ihm dreißig Gulden für uns alle stets zu viel. Auch das Inventar hätte mögen ewig halten. Wenn etwas gebraucht wurde, war nichts zu bekommen. Einmal brauchte ich sehr notwendig eine Lehmkarre; vier Wochen vergingen, sie war noch nicht da; ich nagelte mir schließlich selbst eine zusammen und schaffte sie in die Schmiede nach Türmitz zum Beschlagen. Der Schmied wollte sie aber nicht machen, weil der Goltsch keine Ordnung im Zahlen halte. »Ihr Leute müßt reich werden!« uzte er mich oft, wenn ich Geld holte. »Herr Goltsch!« sagte ich da einmal zu ihm, »Sie werden wohl schon über sechzig Jahre alt sein, aber ich glaube, daß Sie nicht wissen, wie viel eine Familie Geld zum Leben braucht, trotzdem Sie auch mehrere Kinder großgezogen haben. Sie bauen sich ja die Hauptnahrungsmittel selbst an, und holen nur Kleinigkeiten im Laden. Wieviel das an barem Gelde ausmacht, was Sie die Woche über brauchen, wissen Sie gewiß nicht!« Er schwieg.

Wir hatten den Sommer tüchtig zu würgen. Es mußte doch bis zum Winter jedem wieder etwas auf den Leib geschafft werden, und dann wollten wir auch die vierzig Gulden Winterschuld bei dem Kaufmann Jahnel in Türmitz abzahlen. Bis zum Schluß des Ziegelmachens waren zusammen einmalhundert und fünfundvierzig Tausend fertig. Der Hunek hatte achtundsechzig Tausend gemacht, das übrige fiel auf uns.

Ich ging dann in die Türmitzer Zuckerfabrik arbeiten und ließ den soeben abgebrannten Ofen voll, sowie auch noch den Vorrat, von dem ich noch zwei Brände rechnete, stehen; ich wollte sie erst nach der Zuckerkampagne brennen. In der Fabrik arbeitete ich im Zuckermagazin, in dem die Arbeit auch im Akkord gemacht wurde. Wir waren da eine Partie von acht Mann. Für uns war aber nur ruckweise zu tun: Zucker durchwerfen, dann auf einen Haufen schaufeln und dann wieder den Haufen mit Schaufeln umwerfen und mischen; dann erst konnte er eingesackt und transportiert werden. Diese Arbeit machte für uns acht Mann wöchentlich gewöhnlich fünfunddreißig Gulden aus, was natürlich für uns zu wenig war; deshalb mußten wir noch andere Arbeit auf dem Gutshofe und am Kalkofen machen, damit doch wenigstens ein etwas höherer Lohn herauskam. Auf dem »Hofe« gab's bei dem christlichsozialen Grafen Sylva Tarvuca nur neunzig Kreuzer den Tag. Aber wir verdienten auf diese Weise doch im Durchschnitt elf Gulden wöchentlich. Die Mehrzahl der Arbeiter in diesem Betriebe waren Tschechen, Ziegelmacher aus der Umgebung. Ich staunte damals, wie die Zuckerproduktivität während der siebzehn Jahre, wo ich in so einer Fabrik keine Gelegenheit zu arbeiten hatte, durch den technischen Fortschritt gestiegen war. Ein Quantum von Zuckerrüben, das früher eine Zeit von fünf bis sechs Monaten zur Bearbeitung erforderte, wurde nun in acht bis elf Wochen verarbeitet.

Früher waren die Zuckerfabriken, die sich meistens auf dem Lande befinden, für die Landarbeiter den ganzen Winter über der Halt; nun aber, wo die Kampagne schon vor Weihnachten endete, wurden sie in der schlimmsten Winterzeit vor das Tor gesetzt. Kein Wunder, wenn die armen Teufel vor diesem sie alle Jahre bedrohenden Elend ausreißen und sich in die industriellen Orte drängen. Die Agrarier ärgern sich darüber, nehmen ihnen das Auswandern schwer übel, und vergießen Krokodiltränen über »ihre« Arbeiternot.

In dem Magazinier Hübler fand ich einen Freund der Literatur und einen eifrigen Leser, besonders wissenschaftlicher Bücher, was mich sehr freute. Er las zwar nur in der tschechischen Sprache, aber er besaß für seine Verhältnisse eine schöne Bibliothek, in der auch Ottos Lexikon von achtzehn Bänden glänzte. Das politische Leben beurteilte er trotzdem durch die jungtschechische Brille. Die technischen Beamten, Direktor und zwei Adjunkten, waren verbissene Jungtschechen. Sie ließen mir später, trotzdem ich mit ihnen sehr wenig zu tun hatte, diese ihre Gesinnung auch empfindlich fühlen.

Drei Wochen vor Weihnachten war die Kampagne zu Ende. Ich blieb aber noch in der Fabrik und arbeitete für neunzig Kreuzer täglich bis Mitte Januar, damit ich von dem Gelde, das ich noch bei dem Goltsch stehen hatte, nicht so viel holen mußte. Dann blieb ich wieder zu Hause und machte meine Arbeit weiter, bei der ich mich sogar noch ein bißchen ausruhen konnte, weil mich nichts trieb.

In diesem Winter habe ich außer kleineren Werken auch eine Geschichte der Religionen gelesen und studiert. Dabei habe ich auch noch die Weltgeschichte von Vogt, die sechs Bände umfaßte, heftweise bezogen und natürlich auch gelesen. So vertrieb ich mir immer meine freie Zeit. Denn Kartenspiel, das mich ins Gasthaus gelockt hätte, kannte ich nicht. Von sämtlichen Wissenschaften war ich für die Volkswirtschaftslehre und die Geschichte am meisten eingenommen, obwohl ich alles las, was mir zugänglich war, wenn ich nur freie Zeit dazu hatte. Am schwersten kam mir immer Astronomie und Mathematik an.

Auch hielt ich diesen Winter wieder etliche Vorträge in dem Verein Svornost in Türmitz und in der Jednota in Schönpriesen. Bei der Wahlkampagne, nach der Auflösung des Reichstages, beriefen mich auch die Aussiger Genossen einmal, in einer Wählerversammlung in Bodenbach zu sprechen, was ich natürlich gerne tat. Aber sonst sah ich dem Parteileben von der Ferne aus meiner Ziegelbude am Waldrande zu und freute mich jedes Fortschrittes der Arbeiterbewegung. Es waren frische Kräfte gekommen, die die Trümmer der früheren Bewegung wieder zusammensuchten und die Arbeitermassen aus ihrem Indifferentismus rüttelten. Sie gründeten ein neues Wochenblatt »Volksrecht«, das bald zweimal wöchentlich erschien. Die politische Organisation wurde immer stärker. An Stelle der Bildungsvereine entstanden Fachvereine. Die leere, oberflächliche Schwärmerei der Arbeiter trat immer mehr in Hintergrund; sie zeigten sich selbstbewußter und wandten sich immer mehr der praktischen Tätigkeit zu. So sehr mich das alles aber zu sehen freute, so wenig reizte es mich doch, mich wieder irgendwie vorzudrängen, wie früher. Der Ehrgeiz, der mich früher in die vorderen Reihen trieb, war nun gebrochen.

Die Zeit, wo das Ziegelmacherleben wieder beginnen sollte, rückte immer näher, und die Bücher mußten wieder auf viele Monate ins Dunkle. Ich war bald mit meinem noch rückständigen Brennen fertig und rechnete dann mit Goltsch ab. Dreizehntausend Ziegel fehlten dabei; sie waren durch die Witterung draußen und durch das Feuer im Ofen zugrunde gegangen. Wären die Feuerröhren mit Schamotteziegeln gewölbt gewesen, da wäre der Schaden nur ein geringer gewesen; dazu ließ sich aber der Goltsch nicht bewegen. Ich hatte einen Schaden von fünfundsiebzig Gulden. Den Goltsch kümmerte das wenig.

Der Ziegelmacher Hunek zog damals fort, und auf seine Stelle kam ein anderer namens Svoboda, der auch ein Genosse war, und mehr Ziegel wie der Hunek machte. Die Sommermonate des Jahres vergingen einer nach dem andern, ziemlich unter denselben Verhältnissen wie im vorigen Jahre, ohne besondere Vorfälle.

Im Monat August erfuhr ich, daß durch plötzlichen Todesfall des Ziegelbrenners Havlas eine Stelle in Königs Ziegelei in Karbitz frei geworden sei. Sie lag nur eine Stunde Weges von uns entfernt. Als ich es meiner Frau erzählte, riet sie mir, mich um diesen Posten zu bewerben; ich wollte aber nicht. Sie meinte aber, daß wenn ich nicht zu König ginge, sie selbst es tun würde. Sie führte wirklich auch ihren Willen den nächsten Tag aus. Und gleich nachher kam der König mit dem Baumeister Berndt von Türmitz zu mir in die Ziegelei und betrachteten sich die am Platze stehenden gebrannten Ziegel. Der Berndt lobte ihre Farbe, ihren Glanz und ihre Form. Der König zeigte sich vollkommen zufrieden und war zu mir höchst freundlich. Er bot mir dann auch den Posten selbst an und äußerte seinen Wunsch, daß ich ihn sobald als möglich antreten möchte, da er noch ungefähr sechs Brände grüner Ziegel stehen hätte. Ich erwiderte, daß ich von hier nicht so schnell fort könne, da ich erst kündigen und Ordnung machen müßte. Und daß ich mir dann auch erst seine Ziegelei anschauen wolle.

Bei der Besichtigung machte sein Betrieb auf mich keinen freudigen Eindruck. Die Schippen standen da, aus verschiedenen Stücken Holz zusammengenagelt und ungeschickt gemacht. Im Lehme befanden sich massenhaft Kalksteine, wie Nüsse groß, die jeden Ziegel, nachdem er gebrannt war und an die feuchte Luft kam, zertrieben. Ich konnte also noch auf größeren Schaden hoffen, wie bei Goltsch. Brennöfen standen zwei da, die aber waren beide in gutem Zustande. Die Ziegelei lag einsam im Felde, nahe dem Petrischachte, zwischen Karbitz und Herbitz. Ich ging dann noch zu König, um seine Bedingungen zu hören. Er zahlte nur fünf Gulden und fünfzig Kreuzer per Tausend. Es konnten aber jährlich mindestens dreimal hunderttausend Ziegel gemacht werden. Dazu sollte ich die Wohnung, Gebrenne und ein Stückchen Feld zum Kartoffellegen frei bekommen. Nach alledem konnte ich rechnen, daß ich einen höheren und ganzjährigen Verdienst haben würde und mich um keine andere Arbeit kümmern müßte, was mir natürlich gefiel. Aber eins paßte mir an den Königs nicht, sie kamen mir nämlich heimtückisch vor. Ihre mißtrauischen Reden gegen die Ziegelmacher und ihre Aufforderung an mich, mit den Leuten keine gemeinschaftliche Sache zu machen, machten auf mich keinen guten Eindruck. Ich ging unentschlossen von König nach Hause, wollte mich noch einmal mit meiner Frau beraten und versprach, den nächsten Sonntag wiederzukommen. Es tat mir auch um den Posten bei Goltsch leid; denn ich fühlte mich da, als wenn es mein Eigentum wäre. Niemand mischte sich in mein Fach, ich richtete die Arbeit so ein, wie ich es für gut befand. Das entsprach meinen Wünschen. Und das überwog bei mir die Unzufriedenheit in anderer Hinsicht.

Meine Frau trieb aber meine trüben Gedanken auseinander. Sie fuhr ihr schwerstes Geschütz, ihre Haushaltsrechnung, auf und meinte, ich sollte es doch selbst einmal versuchen, mit sieben Gulden wöchentlich bei acht Personen zu wirtschaften, und schalt mich töricht, daß ich so einen Posten, wo ich mir jede Woche zwölf Gulden holen könnte und ganzjährige Arbeit hätte, nicht annehmen wolle. Nach längerer Kanonade gelang es ihr auch, meinen Widerstand zu Falle zu bringen. Ich ergab mich. Und am folgenden Sonntag führte die Siegerin den Besiegten nach Karbitz, wo alles Nötige bezüglich des Brennerpostens abgemacht wurde.

König trieb mich schnell weiter in die Enge. Er drängte, daß ich sobald wie möglich antreten solle. Zum Glück brannte mein Schwager, namens Fiebich, in der Ziegelei, wo er war, den letzten Brand ab, und hätte dann nichts mehr zu tun gehabt. Wir machten nun untereinander ab, daß er an meine Stelle trat, damit ich zu König hinübersiedeln konnte. Dann sprach ich noch mit Goltsch darüber, der dagegen auch nichts einzuwenden hatte. Auf diese Weise konnte ich schon am dritten Oktober hinübersiedeln.

König war ebenfalls ein Bauer, zugleich Zimmermeister und Stadtratsmitglied. Karbitz war ein Bezirksstädtchen von über fünftausend Einwohnern, die sich größtenteils aus Bergleuten zusammensetzten. Er und seine Frau waren sehr stolz. Mit mir waren sie sehr gesprächig, besonders die erste Zeit. Es lag ihnen sehr viel daran, zu wissen, was alles in der Ziegelei vorgehe. Wie die Ziegelmacher leben, was sie machen, ob sie nicht falsch sind, keine Kohlen mausen, die Wohnungen nicht ruinieren, und so weiter. Sie erblickten, wie alle vermögenden Sonderlinge, in ihren Arbeitern Schmarotzer, die an ihrem Vermögensbaum nagen. Aber ich zeigte mich in dieser Hinsicht sehr ungefällig, denn so etwas war mir ein Dorn im Auge.

Als ich dann den ersten Ofen voll Ziegel gefahren hatte und ihn anzündete, da kam der König auch wieder mit seinen veralteten Theorien. Er wollte z. B. in die Feuerungen ganz wenig Kohlen angelegt haben. Ich legte aber wieder an, je nachdem der Ofen zog, und es die Ziegel vertrugen, und nach und nach immer mehr, bis ich die nötige Hitze erzielte. Nach seiner Ansicht aber hatten wir die Kohlen verbrannt und die Ziegel halb gebrannt gehabt. Ich sagte es ihm auch offen, daß es nicht so gehe; er gab mir zwar keine Antwort, aber ich sah, daß es ihm nicht recht war, weil er ein Gesicht dazu machte, als hätte er Essig geschluckt.

Der Ziegelmacher Fiebich, der der Onkel meines Schwagers Fiebich war, und der bei dem König auch Ziegel gemacht hatte, sagte, daß er es mit meinem Vorgänger Havlas auch so gemacht hätte, der ihm aber auf alles nickte und zustimmte; dann aber, wenn der König fort gewesen wäre, hätte er es doch nach seiner Ansicht gemacht. Er hätte dem König niemals widersprochen, sei um ihn herumgesprungen wie ein Pudelhund, und erst wenn er dann aus der Ziegelei hinaus gewesen, dann erst hätte er geschimpft und getobt. »Wenn man halt mit dem König auskommen will, dann muß man es eben so mit ihm machen, denn er ist wie ein Sonderling«, sagte mein Verwandter noch und meinte wohl, mir dadurch einen guten Rat erteilen zu wollen. Aber diese Aufklärung genügte mir nur, um mir ein Bild von den beiden, des Königs und Havlas Charakter, machen zu können. Ich selber folgte natürlich Fiebichs Rate nicht, denn es war mir nicht gegeben, anders zu denken und anders zu handeln. Ein Waschweib oder einen August abzugeben, war mir zuwider. Ich stützte mich auf meine Arbeit und Fachkenntnisse, hatte den besten Willen, meinen Pflichten im Interesse des Geschäftes nachzukommen, ehrte meinen Prinzipal so, wie sich's gebührte, und alles übrige hatte bei mir keinen Wert. Ob es ihm gefiel oder nicht, war mir ganz egal. Ich hatte keine Lust, meinen Posten auf die Weise Havlas halten zu wollen.

Mit der Zeit sahen wohl Königs auch meine Gesinnung ein, weil sie immer weniger gesprächig wurden, so daß wir dann schließlich nur das Notwendigste, auf das Geschäft Bezügliche besprachen. An Geiz aber übertraf der König noch den alten Goltsch. Von Anschaffen neuer Werkzeuge war er noch weniger ein Freund; alles kostete ihm zu viel Geld, und alles hätte ewig dauern und halten sollen. Wie schwer er zu einer Neuerung und jeder geringsten Geldausgabe zu bewegen war, ist aus folgendem zu ersehen. Als ich sah, daß die im Lehme befindlichen Kiesel- und Kalksteinchen wirklich die Arbeit sehr erschwerten, weil sie beim Graben und Einsümpfen einzeln herausgelesen werden mußten, riet ich ihm, wenigstens für den Dachziegellehm, von starkem Draht einen Durchwurf machen zu lassen. Der gewässerte und ziemlich fertige Lehm wäre dann auf den auf zwei Holzblöcken liegenden Durchwurf geworfen und durchgetreten worden, so daß die Steine oben geblieben und nur der reine Lehm durchgegangen wäre. Die Arbeit an den Dachziegeln hätte auf diese Weise schneller vorwärtsgehen können, und wir hätten beide davon Vorteil gehabt. Ich hätte keine Ziegeln wegwerfen und umsonst zu arbeiten brauchen. Und er hätte wieder die Kohlen, die auf den Bruch entfielen, nicht unnötigerweise zu bezahlen gehabt. Nach meiner Information bei einem Schlossermeister hätte der Durchwurf 24 Gulden gekostet, der gewiß jahrelang seinen Dienst leisten konnte und sich schon im ersten Jahre mehrfach bezahlt gemacht hätte. Aber diese Auslagen waren ihm viel zu hoch, und es blieb beim alten. Sein Schaden war natürlich geringer, wie der meine. Er verlor bei einem Tausend Ziegelbruch zwei Gulden vierzig Kreuzer, ich aber fünf Gulden fünfzig Kreuzer.

Das einzige, was mir hier gefiel, war, daß ich einen sicheren durchschnittlichen Verdienst hatte. Die zwölf Gulden, die ich mir wöchentlich holte, konnte ich zwar nicht allein verdienen, denn meine Frau mußte mitarbeiten: sie setzte die Ziegel in den Ofen, ich fuhr sie ihr zu, half mit beim Brennen und half dann auch wieder mit, den Ofen leer machen. Aber wenigstens die Kinder waren frei. Und Geldnot gab's bei dem König auch keine, wie es bei dem Goltsch oft der Fall gewesen ist.

Im folgenden Frühjahr fing ich dann mit zwei Ziegelmacherparteien an, Ziegel zu machen. Meine zwei ältesten Kinder, Heinrich und Marie, die nun schon von der Schule frei waren, machten auch wieder Dachziegel, und ich versah mit meiner Frau weiter die Ofenarbeit. Wir arbeiteten den Sommer friedlich miteinander und vertrugen uns gut, und es kam nichts Besonderes unter uns vor. Nur mit meinem Prinzipal stieß ich schon da einmal ein bißchen derber zusammen. Als ich nämlich wieder mal Großfeuer im Ofen hatte, ging ich, wie gewöhnlich, einige Stunden schlafen und ließ meine Frau weiterfeuern. Nach ungefähr zwei Stunden wurde ich durch Lärm von draußen aus dem Schlafe gestört. Meine Frau kam erbost in die Stube hereingesprungen: »Du, komme heraus! Der König ist schon über eine Stunde da, er läßt mich nicht so anlegen, wie du es haben willst, und die Glut geht immer mehr nieder!« Ich ging hinaus und sah mir das Feuer an. Die weiße Glut, die ich hinterlassen hatte, war nieder, alles sah rot aus. Es erforderte einige Stunden, ehe es wieder so wie erst war. Ich gab nun dem Herrn laut zu verstehen, daß seine Theorie nichts tauge, und daß, solange ich hier sein werde, so gefeuert würde, wie ich es verstehe, und wie es überall gemacht wird. »Das gehört doch mir. Es steckt mein Geld drin!« erwiderte er mir verblüfft. »Dieses Recht will ich Ihnen auch nicht nehmen. Ich bin aber für die Ware verantwortlich und lasse mir deshalb nichts hineinreden!« Von der Zeit an sank unsere Sprechlust noch mehr. Ich erfreute mich keiner freundschaftlichen Miene, wenn ich Samstags nach dem Gelde kam, wie die erste Zeit.

Einmal aber hatte auch ich mir etwas zuschulden kommen lassen. Der eine Ofen zog nämlich viel schlechter als der andere. Nun hatte ich es einmal verpaßt, hatte die Glut zu intensiv gehalten, so daß die oberen drei Schichten Ziegel schmolzen. Dadurch waren ungefähr achthundert Ziegel unbrauchbar.

Im Herbst, als wir mit Ziegelmachen aufhörten, hieß mich der König, den beiden Ziegelmachern die Wohnungen zu kündigen. So etwas war in der ganzen Umgebung nicht üblich. Überall, wo der Ziegelmacher den Sommer aushielt, erhielt er die Wohnung bis zum nächsten Frühjahr unentgeltlich. Nur König wollte eine Ausnahme machen und die Wohnungen über den Winter lieber leer stehen lassen. Und er nahm auch keine Rücksicht darauf, daß sich dies auch nicht mit seiner Christenlehre, von der er ein großer Anhänger war, vereinbarte. In meinen Augen war er natürlich nur ein Sadduzäer, der sich seinem Herrgott mit Opfern verpflichtete, den aber sein Tun und Handeln auf dieser Welt nicht kümmerte.

Meine beiden Kinder gingen in dieser Zeit dauernd von zu Hause fort. Der Junge arbeitete in der Glasfabrik und logierte bei meinen Eltern, da wir ihm zu entlegen wohnten; das Mädchen ging in Dienst. Zum neuen Jahre brachte mir der Kutscher meines Chefs einen Brief. Ich dachte erst, er schicke mir einen Neujahrswunsch. Aber das war es nicht, es war etwas anderes, das mich aber nicht mehr überraschte, weil ich schon halb darauf gefaßt war. Es war eine vierteljährige Kündigung. Er hatte es mir nicht mündlich sagen können, als ich am Samstag bei ihm Geld holte. Er teilte mir in dem Briefe auch noch mit, daß ich den letzten Brand Ziegel ruhig unter dem Schuppen stehen lassen solle, weil er genug gebrannte Ziegel hätte. Ich aber fühlte mich dadurch am Verdienste gekürzt. Deshalb ging ich persönlich zu ihm und sagte ihm, daß ich recht gerne seinem Wunsche nachkommen wolle, wenn er mir die Zeit bis zum Ende März zahlen wolle, und machte ihn gleichzeitig aufmerksam, daß widrigenfalls eben das Gewerbegericht darüber entscheiden müßte. Übrigens, weshalb er mich die letzten Ziegel nicht brennen lassen wollte, konnte ich nicht einsehen. Vielleicht befürchtete er, daß ich mich bei dem letzten Brande rächen könnte und die Ware verderbe. Da kannte er mich aber schlecht.

Sein Schwiegersohn, der Lehrer an der Volksschule in Karbitz war, kam danach zu mir und machte die Sache in gutem Tone mit mir so ab, daß ich sämtliche Ziegel brennen solle, damit ein reiner Rechnungsabschluß gemacht werden könne.

Meine Umschau nach einem andern gleichen Posten war hoffnungslos; alles war besetzt, niemand rührte sich. Eine Stelle in einer größeren Ziegelei bei Hartmann in Pockau sollte zwar frei werden, aber da waren dreihundert Gulden Kaution nötig. Einmal war ich bei dem Hartmann anfragen, vielleicht hätte er mich angenommen. Ich sollte noch einmal kommen, gab es aber auf, es fehlten mir zweihundert Gulden. Einhundert hatte ich bei König stehen. Wohin sollte ich mich aber hinwenden, um das fehlende aufzutreiben?

Die Zeit, wo ich ausziehen sollte, rückte nun heran. Schließlich entschloß ich mich zu meinem gewöhnlichen Ausweg, irgendwo als Ziegelmacher unterzukommen. Und am Fuße des Erzgebirges hinter Kulm, wo Tausende von französischen, russischen, deutschen und österreichischen Kriegern ihr Grab haben, fand ich in einer kleinen Ziegelei, die dem Bauer Tauche in Straden gehörte, endlich auch Arbeit als Ziegelmacher.

Nach der Abrechnung kriegte ich von König über neunzig Gulden heraus. Ich verdiente in dem letzten Jahre mit Kindern und Frau über tausend Gulden! Daß ich diesen Posten verloren hatte, daran war ich wohl selbst schuld. Hätte ich Fiebichs Rat befolgt, es auch so wie der Havlas gemacht, so konnte ich auch sechs Jahre wie er, oder noch länger, da aushalten. Aber Natur und Selbstbewußtsein sind halt bei den Menschen verschieden.

In Tauches Ziegelei hielt ich nur acht Wochen aus. In den ersten zwei Wochen konnten wir, weil es zu kalt war und meistenteils regnete, nichts machen. Und später sah ich, daß die Plätze zu klein und zu wenig Schippen vorhanden waren; wir hätten aus diesem Grunde stets zu wenig verdient. Aber der Ziegeleibesitzer Richter in Prödlitz machte damals bankrott, die Gläubiger ließen weiter arbeiten, und mein Bruder Albert erhielt von ihnen wieder den Meisterposten. Ich kündigte also bei dem Tauche und ging nun in die mir schon gut bekannte Dampfziegelei arbeiten. Als Ziegelsetzer im Ringofen verdiente ich doch dreizehn bis fünfzehn Gulden wöchentlich, und meine Frau brauchte nicht mitzuarbeiten. Meine Frau mietete eine Wohnung in Karbitz, in die sie einzog, ohne daß sie mich dazu gebraucht hätte.

In Karbitz wurde ich auch wieder ein bißchen in den Parteistrom hineingerissen. Schon in vorigem Sommer, als ich noch bei König war, wo die Genossen bei den Wahlen den Deutschnationalen die Bezirkskrankenkasse abringen wollten, wurde ich als Delegierter in die Generalversammlung gewählt, dann ins Komitee zur Änderung der Statuten und dann in den Ausschuß, nachdem wir die Kasse wirklich erobert hatten. Ich trat wieder in die tschechische politische Organisation ein / die Tschechen sind politisch von den Deutschen getrennt /, weil ich voraussetzte, daß unter den Tschechen die Aufklärungsarbeit noch nötiger sei, wie unter den Deutschen, die ihre Redner und Vortragskräfte am Platze hatten, die Tschechen aber darin wie verwaist dastanden. Auch hatte ich im letzten Winter mehrere volkswirtschaftliche Artikel für das Bergarbeiterblatt »Na Zdar« geschrieben und ließ nun noch weitere folgen, da ich ja nur von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends zu arbeiten brauchte, und den Sonntag ganz frei hatte.

Die Arbeiterorganisation ließ in Karbitz auf beiden Seiten viel zu wünschen übrig. Die Arbeiter hatten zwar hier einen gut prosperierenden Konsumverein mit mehreren Filialen auf den umliegenden Ortschaften, aber in der politischen Organisation waren sie noch zurück. Dann gesellte sich noch ein andres Übel dazu, was stets die Begleiterscheinung einer schwachen Organisation ist, nämlich, daß sich die führenden Persönlichkeiten der Tschechen und Deutschen untereinander nicht vertragen konnten. Auf tschechischer Seite trat bei vielen, trotzdem sie sich zum Sozialismus bekannten, noch das nationale Gefühl zu einseitig hervor. Die Beschwerden der Tschechen, daß sie hier und da als Minorität gering geschätzt würden, beruhten teilweise auf Wahrheit. Hätten die deutschen Genossen der tschechischen Organisation besser unter die Arme gegriffen, die Aufklärungsarbeit unter den Tschechen durch Beisteuern von Mitteln fördern helfen, so wäre es für beide Seiten vorteilhafter gewesen.

Unter den Schüttenhofer Leuten, die immer noch dort in der Ziegelei arbeiteten, ist es mir auch gelungen, etwas mehr Aufklärung und Zeitungen, Broschüren und Flugblätter unter sie zu bringen. Das Beste und Brauchbarste, womit ich ihnen dienen konnte, schien ihnen das Haussuchungsgesetz zu sein. Das mußte ich sofort von Prag besorgen, weil sie so gerne wissen wollten, wie und wann ein Gendarm bei ihnen Haussuchung vornehmen dürfe, wenn sie wieder nach Hause zurückkämen und / auf Holzdiebstahl in den Wald gehen würden! Vom Fachverein der Ziegelarbeiter veranlaßt, sprach ich diesen Sommer auch bei denen in mehreren Versammlungen über die Lage der Ziegelarbeiter und den Zweck des Fachvereines, die er in all den Orten, wo sich Ziegeleien befanden, einberief. Unsere Arbeit brachte wenig Früchte, denn die Ziegler ließen sich trotz oder gerade wegen ihrer schweren Lage zur Organisation sehr schwer bewegen. Zwei der Vorträge hatte ich besonders ausgearbeitet: »Die Quellen des Mehrwertes« und »Der Ursprung des Christentums«.

Die Hoffnung, die mir mein Bruder auch diesmal gemacht hatte, erfüllte sich wieder nicht. Er dachte, daß er wenigstens für mich über den Winter zu tun haben würde. Die Gläubiger aber stellten den Betrieb schon im September ein, und es blieb nur noch für einige Wochen Arbeit übrig. Mich aber hat diese unverhoffte Wendung gar nicht sehr betroffen, weil ich damals mit der Sicherheit rechnete, daß ich, wenn nichts anderes gefunden werden sollte, in der Türmitzer Zuckerfabrik doch wieder ankommen würde. Als daher den Sonntag vor dem ersten Oktober, wo die Fabrik von neuem in Betrieb gesetzt werden sollte, die Arbeiter, wie es alle Jahre üblich war, für die künftige Kampagne eingeschrieben werden sollten, ging auch ich hin zur Einschreibung. Der Direktor las erst in der deutschen, dann auch in der tschechischen Sprache den im Zuckerrübenmagazin versammelten Arbeitern und Arbeiterinnen die Arbeitsordnung vor und erklärte nach der Vorlesung, daß diejenigen, die sich in der vorigen Kampagne etwas hätten zuschulden kommen lassen, sich gar nicht zu melden brauchen; darauf las er zuerst diejenigen vor, die in der vorigen Kampagne gearbeitet hatten. Auf die unbesetzten Posten konnten sich dann die neuen Arbeiter melden. Ich war mir keiner Schuld bewußt und meldete mich deshalb wieder in das Zuckermagazin, wo ich schon vor drei Jahren gearbeitet hatte. Ich wurde aber zu meinem Erstaunen ohne Grund abgewiesen. Mein Vater frug nachher den Direktor Pozdera, weshalb ich nicht aufgenommen worden sei. »Ja, er ist ein Sozialdemokrat, und ich will den Betrieb vor solchen Leuten schützen, damit ich nicht auch einmal Unannehmlichkeiten erleben muß!« lautete seine Antwort. Diese Herren vergossen Tränen, wenn ein Kind eines tschechischen Mannes in der Schule des deutschen Gebietes das Vaterunser in der deutschen Sprache hersagen mußte, aber den Vater vielleicht desselben Kindes wegen seiner Gesinnung aufs Pflaster zu werfen, ihn hungern zu lassen, das rührte ihr Herz nicht, das war nach ihren jungtschechischen Begriffen sogar recht!

Schon vorher war zu mir ein Genosse Ruzicka, der ein Vertrauensmann der tschechischen politischen Organisation war, gekommen und hatte mir mitgeteilt, daß die Tschechen in Karbitz, neben dem bestehenden deutschen, für sich einen Konsumverein zu gründen planten; sie hätten die Sache in engerem Kreise beraten, die nötigsten Vorbereitungen dazu getroffen und die Statuten ziemlich ausgearbeitet. Ich riet sofort aus prinzipiellen Gründen davon ab und wies daraufhin, daß das Verhältnis zwischen den Deutschen und Tschechen, das schon so genug gespannt wäre, dadurch noch schlimmer würde, und daß es auf die politische und gewerkschaftliche Organisation schädlich wirken möchte. Aus unserem weiteren Gespräch entnahm ich, daß hier nur persönlicher Haß spielte. Meine Versuche, die beiden Parteien zu versöhnen, blieben aber nach einigen Sitzungen erfolglos. Auch der Genosse Nemec von Prag, der als Schiedsrichter berufen wurde, vermochte nicht, den Frieden herbeizuführen.

Genosse Ruzicka, der der Eifrigste im Lesen, in der Agitation und Organisation war, besuchte mich immer öfter. Gegenstand seiner Gespräche war immer mehr nur die Gründung des neuen »Konsums«. Als ich dann nur noch einige Tage in der Ziegelei zu tun haben sollte und meine Besorgnis wegen Arbeitslosigkeit vor ihm äußerte, trug er mir den Verkäuferposten des neuen Geschäftes an. Aber das war, besonders für mich, eine sehr gewagte Sache: etwas anzunehmen und zu unterstützen, was gegen meine Überzeugung war. Ich überlegte und überlegte. Meine Frau, der ich alles mitteilte, um mich mit ihr zu beraten, meinte aber schlagfertig: »Jetzt wirst du bald keine Arbeit mehr haben, und wer weiß, wann du wieder welche finden wirst. Wegen deiner Überzeugung soll ich wohl wieder mit den Kindern hungern?! Was kümmern dich andere! Sie fragen dich auch nicht, ob wir etwas zu essen haben werden!« Was sollte ich tun? Wie sollte ich mich entschließen? »Tue ich es nicht, dann bekomme ich es wieder mit der alten, schrecklichen Freundin, der Not, zu tun! Tue ich's aber, so muß ich mich als Schuft betrachten!« Aber die Verhältnisse drängten. Die Wahl blieb dennoch für mich schwer. Inzwischen kam auch der Ruzicka immer wieder, erneuerte seine Idee, und meine Frau stimmte ihm bei und machte mir Vorwürfe wegen meiner Unentschlossenheit. Ich fing an, wieder dem vielseitigen Drucke nachzugeben, bis ich endlich endgültig Ja sagte, mit dem Bewußtsein, daß ich damit meinen Namen beflecke, obwohl es auch Parteigenossen waren, in deren Dienst ich treten sollte. Sie hätten sicher auch ohne mich ihr Vorhaben durchgesetzt und eine andere Person gefunden, wenn ich mich noch weiter gesträubt hätte, den Posten anzunehmen, der mir nur unter dem mitleidigen Vorwand, daß ich ohne Arbeit sei, angeboten wurde. Wie sich dann diese Idee verwirklichte, zählte der neue Verein schon gegen sechzig Mitglieder. Der alte Konsumverein litt glücklicherweise dadurch keinen größeren Schaden, weil nur gegen zehn Mitglieder aus ihm ausgetreten waren. Die übrigen Mitglieder des neuen Geschäftes stammten aus der indifferenten Masse und waren meistenteils tschechische Arbeiter, Bergleute.

Ich erhielt wöchentlich zwölf Gulden Lohn. Mir oblag die Expedition und Buchführung, ich führte nur die einfache. Die Waren bestellte, kaufte und bezahlte der Ausschuß. Die Arbeitszeit dauerte von früh sieben bis abends acht Uhr; meistens war es aber schon neun, wenn ich den Laden schloß. Auf diese Weise war ich nun wieder schlechter daran, als wenn ich wo anders gearbeitet und schon um sechs Uhr abends Feierabend gehabt hätte. Zum Buchlesen oder etwas Schreiben kam ich überhaupt nicht, und ich war froh, wenn ich das Notwendigste aus der Zeitung lesen konnte. Samstags, wenn die Mitglieder das, was sie über die Woche geholt, zahlen wollten, da war das Gehirn von dem vielen Rechnen so abgemartert, daß es zur geistigen Arbeit gar nicht mehr fähig war. Der Redakteur von »Na Zdar« forderte mich auf, ich möchte doch wieder etwas schreiben, er brauche es notwendig, aber ich konnte nicht. Ich war übrigens seit dem Augenblicke, wo ich den Posten anzunehmen einwilligte, so gelaunt wie ein strenggläubiger Katholik, der eine große Sünde begangen, die an seinem Gewissen nagt. Die Familie war ja gerettet, ich aber war doch nicht zufrieden; nichts freute mich mehr in dieser Zeit. Die Ziegeleiarbeit, zu der ich doch auch immer nur gezwungen griff, übte ich wenigstens mit reinem Gewissen aus; aber in dieser Stellung hatte ich keine Ruhe.

Als sich dann mit der Zeit noch dazu die Unvernunft und die ungeziemlichen Eigenschaften einzelner Mitglieder immer mehr offenbarten, bereute ich meinen Schritt noch mehr. Einzelne Mitglieder des Ausschusses, des Aufsichtsrates und auch unter den Nichtfunktionären waren eingebildet, eitel, mehr oder weniger egoistisch und mißtrauisch. Jeder fühlte sich Herr im Hause und machte von seinen Rechten Gebrauch. Dem einen war ich gegen die Frauen nicht höflich genug, dem andern wieder zu langsam; dem dritten war es wieder nicht recht, daß ich nicht viel sprach; er sah hierin eine Geringschätzung und fühlte sich beleidigt, und so ging das weiter. In den Sitzungen schüttete jeder sein Herz aus. Jeder Fehler wurde streng gerügt, und wenn er noch so gering war; hier und da versuchte der oder jener, mich auch sonst so zu behandeln, wie er sich's von seinen Vorgesetzten abgeguckt hatte. Dem allen wurde dann noch die Krone dadurch aufgesetzt, daß meine Frau nur in Gegenwart eines Ausschußmitgliedes für sich die Ware einkaufen mußte. Schließlich wurde einem Ausschußmitgliede auch das noch verdächtig, daß mir mein Junge oder Mädchen nachmittags zum Vesper Kaffee im Kruge brachte. Er schämte sich nicht, dies in der Sitzung zur Sprache zu bringen und zu beantragen, daß mir das verboten würde. Er begründete seinen Antrag damit, daß ich es auch ohne Kaffee bis abends aushalten könnte; sie, die Bergleute, könnten sich ja auch keinen Vesperkaffee in den Schacht schicken lassen. Einmal verbreitete sich in dem Städtchen sogar das Gerücht, daß mich der Kral, der im Ausschuß war, dabei überrascht hätte, wie ich meinem Jungen Ware ausgewogen hätte, und daß das Gewicht bei jedem Artikel ein halbes Kilogramm mehr betragen hätte, als ich in mein Einkaufsbuch eintrug. Selbstverständlich stellte sich das, als ich mich zu rühren anfing und diesem Klatsche auf die Spur ging, als eine Lüge heraus, deren Mutter kindisches Mißtrauen war. Ich wurde damals auch nicht höflicher und sagte manchem von meinen »Arbeitgebern«, was ich von ihm dächte, und photographierte seinen Charakter. Meine Feinde mehrten sich. Ich konnte auf sicheren Abschub rechnen. Und zum neuen Jahr schon bekam ich das Geschenk: vierteljährige Kündigung. Der Ruzicka hatte auch bereits die Flinte weggeworfen.

Nun stand ich wieder da, von allen Seiten verlassen, wie ein räudiges Schaf. Das verdiente Los hatte mich erreicht. Ruzicka war mein einziger Freund, alle andern sahen mich schief an. Unter den Tschechen hatte ich viele persönliche und unter den Deutschen prinzipielle Feinde.

Und nun folgt wieder ein neues und zwar das letzte Kapitel der allergrößten Not, die ich je in meinem Leben erlitten habe. Es widert mich zwar schon an, immer nur von dem Elend zu erzählen, das ich durch eigene oder fremde Schuld durchmachen mußte. Da ich aber nun schon so viel, Gutes und Schlechtes, erzählt habe, so will ich auch noch das letzte erzählen,

Als ich aus dem Dienste des Konsums trat, war es Frühjahr. Ich machte mir also Hoffnung, in einer Fabrik anzukommen. Denn in einer Ziegelei zu arbeiten, dazu hatte ich noch keine Lust wieder, am allerwenigsten jetzt, wo man eben noch in einer leichteren Arbeit gestanden hat; da ist man erst recht nicht gleich geneigt, sie anzunehmen, und so wird erst nach etwas Besserem gesucht. Aber in Karbitz waren nur wenig Fabriken; und in denen, die sich da befanden, waren nur wenige männliche Arbeiter beschäftigt; in der Knopf- und Waschblaufabrik arbeiteten meistens Frauen. Trotzdem zog ich aus diesem Neste nicht sofort weg. Warum nicht, darüber wundere ich mich noch heute, wenn ich daran denke. Ich war aber hier wie hypnotisiert, wie von einer Zauberkraft gefesselt. Noch immer belebte mich ein Hoffnungsschimmer auf ein Besserwerden. Inzwischen verging bei meiner Arbeitsjagd in dem Aussiger, Karbitzer und Teplitzer Revier eine Woche nach der andern, ich fand nichts. Es schien mir so, als wäre ich nur für eine Ziegelei geboren. Schließlich blieb mir auch nichts anderes übrig, als mich wieder in Ziegeleien umzusehen. Ich kam aber auch dorthin zu spät, weil die besten Ziegelmacherposten, die gewöhnlich schon gleich nach Neujahr vergeben werden, besetzt waren, und auf eine Quetsche, irgendwo entlegen, von wo ich im Herbst wieder wandern könnte, wollte ich noch immer nicht. Die Ersparnisse wurden langsam alle, und die Not zog ein. Schließlich nahm ich gar wieder eine Agentur in Bildern, Nähmaschinen, Spielapparaten und Kautschukstempeln an und hoffte auf diese Weise unser Leben durchzuschlagen, obwohl ich doch schon wußte, daß meine Natur zu diesem Geschäfte erst recht nichts taugte. Wenn ich jemandem das oder jenes anbot, und er mir sagte, daß er nichts brauche, da konnte ich nicht aufdringlich sein, ihn zum Kauf überreden, und ging lieber wieder weiter. Deshalb machte ich überall sehr schlechte Geschäfte, verdiente ganz wenig Geld. Wie ich da mit der Familie lebte, brauche ich nicht mehr erst zu erzählen, es gab oft nur Kartoffeln zu essen, früh, mittags und abends. Manchmal gingen ich und meine Frau hungrig schlafen, da wir den letzten Bissen nicht den Kindern entreißen wollten.

In dieser trostlosen Lage ist auch meine Frau niedergekommen, mit einem Mädchen, und wir konnten die Hebamme nicht bezahlen. Wir verkauften unsere Nähmaschine, die zweiundvierzig Gulden kostete, für fünfzehn Gulden. Als das Mädchen dann wieder starb, fehlte auch da wieder alles Geld. Aber das machte mir persönlich schon viel weniger Sorgen, denn begraben mußte das Wurm doch werden. Das war übrigens das vierte Kind, das aus der zweiten Ehe starb, zwei blieben am Leben. Aus der ersten Ehe lebten auch noch vier, und fünf, darunter zweimal Zwillinge, waren gestorben.

Danach verkaufte ich auch noch meine Bücher, auf die ich so stolz war und die ich so hoch, wie ein Sonderling seinen Geldschatz, hielt. Sechs Bände Weltgeschichte, drei Bände einer Welt- und Lebensanschauung, beide Werke von Vogt, Büchners sämtliche Werke, drei Bände Lassalles Reden und Schriften, Kautskys Agrarfrage und mehrere kleinere Schriften, sie alle wanderten nacheinander aus meiner Wohnung, und das Geld wurde mit zugesetzt und verlebt. Das Evangelium der Natur, drei Jahrgänge Zeitschwingen und einige Broschüren blieben mir noch übrig. Ich mußte das, was mich am meisten freute, opfern. Wenn mir ein Kind starb, fühlte ich mich nicht so schmerzlich betroffen, als damals, wo ich die Bücher aus dem Hause tragen mußte.

Im Herbst half ich ein paar Wochen meinem Bruder bei der Krauternte in Prödlitz. Dann habe ich auch einige Wochen mit auf Kohlen gebohrt und einen Versuchsschacht gemacht. Acht Tage vor Weihnachten waren wir aber auch mit dieser Arbeit fertig. Der Unternehmer von Teplitz hatte das Kohlensuchen aufgegeben. Am Weihnachtsabend brachte mein Sohn Rudolf von meiner Mutter Brot, Kartoffeln und Milch im Tragkorbe, und das war alles, was wir zu den hohen Feiertagen zum Schmausen hatten. Erst am nächsten Tage, als uns der Lehrer auf der Handelsakademie in Aussig, Herr von Greyerz, besuchte, mit dem ich durch meinen Sohn Heinrich aus dem jugendlichen Arbeiterverein bekannt geworden war, in dem er Vorträge hielt, brachte der den Kindern Geschenke mit, und ließ dann auch uns eine Geldunterstützung zurück. Das aber war nicht die erste und auch nicht die letzte Unterstützung von ihm. Er half uns damals oft aus unserer größten Not. Ihm haben wir viel Gutes zu verdanken. Und er ist bis heute, trotzdem wir gegenwärtig weit voneinander wohnen, ein mir gutgesinnter Freund geblieben. Er war es auch, der mich zur Niederschrift meiner Jugendschicksale veranlaßte, obwohl ich es schon lange selbst tun wollte, und mich immer wieder aufmunterte, wenn ich dabei verzagte.

Eine Lehrerin, zu der meine Stieftochter in die Schule ging, sprach damals bei einem Blaufabrikanten meinetwegen vor. Er ließ mich auch durch eine Postkarte zu sich laden. Ich ging mit Freuden und hoffnungsvoll. Als ich hinkam, standen schon sechs Mann da, die auch um Arbeit baten. Nachdem ich die Karte abgegeben hatte, maß mich der Herr mit seinen Blicken von oben bis unten. »So, Sie heißen Wenzel Holek? Verheiratet?« »Ja!« »Wohnhaft in Karbitz?« »Ja!« »Gesund?« »Ja!« »Wie viel haben Sie ungefähr bis jetzt immer verdient?« »Je nachdem, Herr Doktor, sieben, zehn und auch schon über zwanzig Gulden in der Woche.« »Bei mir können Sie höchstens acht Gulden verdienen. Wird Ihnen das nicht zu wenig sein?« dabei sah er mich forschend an. »Bitte, nach dem Verdienste muß sich die Lebensweise richten.« »Sind Sie unbescholten?« »Ja!«

Das alles notierte er auf einen halben Bogen Papier, der vor ihm auf dem Tische lag. »So, ich kann also nicht darauf hören, was mir jemand sagt, oder ob er mir von jemand anempfohlen wird; ich werde mich erst erkundigen. Sie können morgen, wieder um die Zeit, herkommen, dann erhalten Sie Bescheid,« sagte er nach dieser Protokollaufnahme. Als ich den nächsten Morgen hinkam, ließ er mich gar nicht zu Worte kommen, und winkte mit der Hand ab. Und in der Stahlgußhütte, als ein Beamter für mich vorsprach, ging es mir ähnlich.

Ich nahm dann zur Abwechslung eine andere Vertretung für eine Buchhandlung in Sachsen an, die auch Photographien-Vergrößerungen ausführte. Die Bücher wurden auf Teilzahlungen geliefert; auch klassische Werke waren darunter. Von dieser Vertretung versprach ich mir schon besseren Verdienst, weil ich diesmal wieder so naiv war, zu glauben, daß ich viel solche Büchernarren finden würde wie ich selbst einer war, besonders unter so zugänglichen Bedingungen. Ich täuschte mich auch diesmal. Bei den Bauern war gar nichts zu machen; sie hatten für solche Sachen überhaupt keinen Sinn. Einmal versuchte ich doch, einem Bauern in Wicklitz wenigstens Platens neue Heilmethode anzutragen. »Bücher brauche ich keine, aber ein paar Zentner Dünger könnten Sie mir bringen!« sagte er lachend. Die Herren Lehrer und Beamten waren meistens mit solchen Büchern versorgt; wenigstens sagten sie so.

Am besten ging noch der Platen oder Meyers Lexikon, kleine Drei-Bände-Ausgabe. Im großen ganzen verdiente ich damit doch mehr, als mit dem anderen Zeuge, Nähmaschinen und Stempeln. In der Faschingszeit aber buk meine Frau Krapfen und verkaufte sie auf Tanzbällen, oder sie verkaufte gelegentlich auch Papierkappen. Kurz, es wurde alles gemacht, wo ein paar Kreuzer herausschauten.

Als es dann wärmer wurde, das Frühjahr nahte, lieh mir der Herr von Greyerz fünfzig Gulden, mit denen ich Fahrräder kaufte und wieder verkaufte. Schließlich bekam ich einmal Arbeit beim Baumeister Pleß; er baute in Kulm ein Haus, zu dem ich mit noch einem Kollegen Grund grub. Daß mich der Pleß aufgenommen hatte, wunderte mich, denn er kannte mich und meine Gesinnung aus den Ausschußsitzungen der Bezirkskrankenkasse. Übrigens freute ich mich nicht lange des Glückes, bei ihm arbeiten zu können. Nach vierzehn Tagen waren wir mit dem Graben fertig und konnten uns wieder unsere Papiere holen. Noch einige Tage trieb ich mich umher, da aber wurde mir der Erdboden hier doch zu heiß, und ich entschloß mich plötzlich, ohne mich erst mit meiner Frau oder jemand anderm zu beraten, mein Vaterland zu verlassen und ins Ausland zu gehen. Ein Genosse, Beamter der Bezirkskrankenkasse, lieh mir dazu einen Gulden; dann erst ging ich nach Hause, und teilte meiner Frau mit, daß ich den nächsten Tag früh fortgehen würde.

Am nächsten Morgen / es war nun Frühjahr des Jahres 1904, und ich war schon vierzig Jahre alt geworden / setzte ich mich aufs Rad und eilte über Kulm aus dem Unglücksorte fort, in dem ich so viel Not ertragen mußte, daß ich auch hier aus Verzweiflung beinahe Selbstmord begangen hätte. In Nollendorf kamen mir mit Musik Rekruten von Peterswald entgegenmarschiert, sie gingen zur Assentierung. Manche sangen und lachten und gebärdeten sich lustig, andere schritten nachdenklich und machten traurige Mienen; denen sah ich an, daß sie gerade so ungern zur Assentierung gingen, wie ich ins Ausland.

In Dresden-Plauen, in Bossegers Dampfziegelei, fand ich wieder Arbeit. Der Betrieb war groß, mit zwei Ringöfen und drei Ziegelpressen. Einige Tage fuhr ich Ziegel in Wintervorrat und verdiente drei bis vier Mark täglich. Bis ich von hier das erste Geld nach Hause schicken konnte, hatte sich meine Frau selbst kümmern müssen. Wie sie das gemacht hat, weiß ich nicht. Ich verließ sie in der größten Not.

Nachdem wir dann wieder ein paar Mark gespart hatten, und ich eine passende Wohnung gefunden, kam sie selbst mit den Kindern und mit unserm bißchen Hab und Gut auf einem Leiterwagen mir nach Dresden nachgezogen.

Das war am 15. September 1904.


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