Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

In Mscheno

Mscheno war ein mittleres Dorf und auch so ein bißchen Kurort, hinter dem ein schöner Park mit Badeanstalt sich befand, der aber durch den häufigen Wechsel der Eigentümer des dazu gehörigen Meierhofes sehr vernachlässigt war. Selten verirrte sich dorthin ein Kurgast, und wenn ein solcher kam, so war es natürlich auch kein Millionär, nur auch nicht ein ganz so armer Teufel wie wir. Die drei Quellen, die hinter dem Badehaus aus der Erde drangen, hörte ich als heilwirkend loben.

Die Zuckerfabrik, die an der Straße von Zlonitz nach Budin stand, gehörte einer Aktiengesellschaft, die sich zumeist aus den Bauern der umliegenden Dörfer zusammensetzte. Es war ringsum flaches Land, so wie in Prilep und Koleschowitz. Die Umgangssprache war ausschließlich Tschechisch. Die Sitten, Gebräuche und Religion waren dieselben wie dort. Man fand höchstens ein bißchen Unterschied im Aberglauben.

Hier also bekam mein Vater den Posten als Meister auf dem Zuckerboden, das heißt als Aufseher. Er verpachtete unser Häuschen in Prilep und wir zogen alle mit dorthin. Die Wohnung, die er mietete, befand sich in dem kleinen Dörfchen Charwotetz, eine viertel Stunde von der Fabrik entfernt. Dort war auch die Schule und Kirche, wohin Kinder und Erwachsene aus sechs umliegenden Dörfern kommen mußten. Die Besitzerin des Hauses hieß Trnobransky, die eine Witwe war.

Der Lohn, den der Vater von dem Direktor Wambersky zugesprochen bekam, betrug acht Gulden die Woche. Es war das gerade nicht viel, aber in dieser Gegend, wo ein gewöhnlicher Arbeiter höchstens sechzig Kreuzer Taglohn hatte, da hieß es doch schon etwas!

Vor der Leitung der Arbeit auf dem Zuckerboden war dem Vater nicht bange, denn er war ja schon ein alter Praktikus in der Zuckerfabrikation. Sorgen machten ihm, wie gesagt, die schriftlichen Arbeiten, die mit diesem Posten verbunden waren. Denn im Schreiben war er, wie ich schon erzählte, schlecht daran, besonders im Latein. Seine Unterschrift, die er noch zusammenbrachte, schrieb er mit Kurrentschrift, die er in seiner Schulzeit gelernt hatte, und die nun nicht mehr geschrieben wurde. Es blieb also nichts anderes übrig, als daß ich ihm mit meinem bißchen Schreibkunst behilflich wurde.

Ich und mein Bruder, wir wurden in der Kampagne als Kalkjungen beschäftigt. Die Arbeit dabei war zwar nicht schwer, aber sehr schmutzig. Wir wechselten uns ab, eine Woche hatte ich und die andere Woche er die Nachtschicht. Sonntags kam immer die lange Schicht: achtzehn Stunden. Unser Schichtlohn betrug vierzig Kreuzer.

Hier kam ich auch wieder mit dem gehaßten Mann, dem Zuckermeister Svoboda von Koleschowitz, zusammen. Diesmal wurden wir aber gute Freunde. Ich holte ihm, immer wenn ich Nachtschicht hatte, Bier aus dem Baderestaurant, da hatte ich zugleich die beste Gelegenheit, mich zu überzeugen, wie viel er eigentlich trank. Gewöhnlich waren es von sechs bis zwölf Uhr nachts zwölf bis fünfzehn Liter Bier, die ich ihm in Literflaschen brachte. Dabei war er stets guter Laune, und trieb mit uns seinen Spaß, besonders in den letzten Stunden. Die Mädchen mußten singen, und so verging uns besser die Zeit. Denn in den Nachtschichten kam einem jeden die Zeit unendlich lang vor.

Anders aber war's, wenn nach zwölf Uhr der Adjunkt Sschebek seinen Dienst antrat. Er duldete keinen Gesang, jeder mußte wie angenagelt bei seiner Arbeit stehen und wenn es gleich nicht so notwendig war. Er schob von einem Posten zum andern und schimpfte manchmal ohne einen Grund dazu zu haben. Nach seinem Mundgeruch und nach unserer Beobachtung durch die Glasscheiben des Laboratoriums urteilten wir, daß er Likör trank.

Noch in der Kampagne hörte man wispern, daß der Direktor Wambersky seinen Posten gekündigt hätte. Auch mein Vater brachte die Neuigkeit mit nach Hause. Es war auch Tatsache! Und damit begann für uns der Kummer von neuem. Vater setzte voraus, daß nun auch er und alle übrigen, die jener von Rakonitz mitgenommen hatte, nach der Kampagne entlassen würden.

Und so geschah es auch. Als die letzte Arbeit fertig war, wurden die Arbeiter, besonders die Rakonitzer, alle entlassen, mit dem Bemerken, daß sie wieder anfragen könnten, wenn der neue Direktor angetreten sein werde. Und wir, Vater, ich und mein Bruder, befanden uns auch unter den Entlassenen.

»Was nun?« hieß es, »Warten, bis der neue Direktor kommt? Und wer und wann wird das sein?«

Wir gingen anderwärts hin, Arbeit suchen, über Saaz nach Postelberg. Dort erfuhren, wir, daß in Leneschitz eine zweite Zuckerfabrik gebaut und schon angefangen werden solle. Wir wandten uns gleich dort hin. Aber da trafen wir auch viele Arbeitsuchende auf dem Bauplatze an. Sie alle warteten auf den Baumeister. Er sollte ein Prager sein und an dem Tage von dort ankommen. So schlossen wir uns der Menschenmenge an und warteten auch.

Lange Zeit warteten wir, schauten nach allen Seiten, wo sich jemand zeigte in feinem Anzuge, so daß wir in ihm den Baumeister vermuten konnten. Denn man wollte ihn durchaus nicht verpassen, um der erste bei ihm zu sein. So meinte es der Vater, und so meinten es wohl auch die andern.

»Jetzt kommt jemand. Das wird er wohl sein!« ertönten plötzlich Stimmen.

Alles, die ganze Schar, drängte vor in der Richtung, von wo der Mann herkam. Der als erster zu ihm gelangte, war mein Vater, seine Mütze in der Hand haltend, stieß er demutsvoll heraus: »Gnädiger Herr! ich möchte um Arbeit bitten!«

»Setzen Sie Ihre Mütze auf! Ich bin kein gnädiger Herr! Arbeit ist noch keine,« erwiderte ihm der vollbärtige, dicke Mann, dessen Bauch eine ziemlich starke goldene Uhrkette zierte, barsch. Der Vater errötete im Gesicht, senkte seinen Kopf und drehte sich langsam nach uns um.

Von da begaben wir uns wieder nach Hause, wo beschlossen wurde, daß der Albert / mein Bruder / zu Hause bleiben, und wir, Vater und ich, wieder nach Sachsen wandern sollten.

Den nächsten Tag traten wir die Reise an. Diesmal dauerte sie nicht so lange wie die vorherigen, da ich nicht mehr unterwegs mit der Harmonika spielen ging.

Wir wurden in der Berthelsdorfer Ziegelei von dem Meister Drechsler und auch von dem Besitzer Reichelt freundlichst aufgenommen, trotzdem wir etwas später wie sonst gekommen waren.

Auch unsere Schlafpritsche auf dem Dachziegelboden stand noch so da, wie wir sie im Herbste verlassen, damals in der guten Hoffnung, sie nie mehr benützen zu müssen.

Das einzige, was uns unangenehm nach der Ankunft war, war die vom Meister uns gemachte Mitteilung, daß es nun wieder zwei Groschen fürs Tausend weniger gäbe. Aber der Vater ging auch auf den niedrigeren Lohn ein. »Na, da muß eben noch besser drauf gehalten werden, wenn wir dasselbe wie im vorigen Jahr verdienen wollen!« sagte Vater, als wir allein in der Frühstücksstube saßen.

Der Lohn war nun schon von neununddreißig Groschen bis auf achtundzwanzig pro Tausend gesunken. Er war von Jahr zu Jahr immer niedriger geworden, und die Arbeitszeit mußte immer mehr verlängert, die Arbeitskraft deshalb immer mehr angespannt werden.

Wir mußten dieses Jahr nur Mauerziegel machen, da der Robert, der Sohn des Meisters, nun von der Schule frei war und die Dachziegel selbst machte.

Um den durch niedrigeren Lohnsatz drohenden Schaden wett zu machen, wurde nun schon früh um vier Uhr und öfters noch früher angefangen, der Mittag um eine halbe Stunde gekürzt und abends so lange gearbeitet, als man unter dem Ziegelschuppen sehen konnte.

Bei dieser höchsten Anstrengung brachten wir doch in der Woche 9500, sehr selten auch 10 000 Ziegel zusammen, das machte einen Verdienst für uns beide von sechsundzwanzig Mark aus im Durchschnitt. Und damit waren wir die besten Verdiener unter den Ziegelstreichern! Gespart wurde außerdem auch beim Essen, wie es nur ging. Ich kann mich noch gut erinnern, daß mein Vater für uns beide bei der Frau Drechsler höchstens dreizehn Mark für die ganze wöchentliche Kost bezahlte.

Nach mehreren Wochen, ungefähr im Juni, überkam mich eine große Schwäche und Schlappheit. Im Rücken und Kopf fühlte ich Schmerzen. Noch ein paar Tage schleppte ich mich hin, denn ich dachte, daß das wieder vergehe. Denn Liegenbleiben bedeutete für uns fühlbaren Schaden. Dann aber mußte ich doch liegen bleiben.

Die Frauen rieten, daß ich nach Brand zu der Streichfrau Schicke gehen solle, sie hätte schon vielen Leuten geholfen. Doch ich konnte nicht, ich war zu schwach! Dann bot sich die Frau Jünger an, selbst hinzugehen, da die Streichfrau die Kranken auch nach dem Urin untersuche und behandle. Sie brachte zwei Fläschchen Medizin und drei Päckchen Tee mit, was nur einen Taler kostete. Die Medizin nahm ich früh und abends ein und den Teeaufguß trank ich während des Tages. Und in einigen Tagen konnte ich in der Tat wieder meiner Arbeit nachgehen. Es ging zwar schlecht, aber der Vater war eben zufrieden mit dem, wie's ging.

Das nächste Mal ging ich selbst zu der Streichfrau hin. »Ja, mein Herr! Sie sind in Ihrer frühesten Jugend verkühlt worden. Das ist ein altes Übel, das sich bei jeder neuen Verkühlung immer wieder fühlbar macht. Ihre Fußsohlen sind nie warm und das steigt bis zum Herz und verursacht die Schwäche,« sagte sie zu mir. »Und weiter«, fuhr sie fort, »ist es bei Ihnen eine Überanstrengung!« Sie gab mir dann noch zwei Fläschchen Medizin und drei Päckchen Tee und ich legte ihr den Taler, den es kostete, hin, und ging befriedigt nach Hause. Ob mir die Medizin, der Tee oder die Milch, die ich nun jeden Tag früh anstatt Kaffee trank, meine Krankheit linderte, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich die letztere.

Ungefähr fünf Wochen vor Beginn der nächsten Zuckerkampagne / es wurde gewöhnlich am ersten Oktober angefangen / entschloß sich der Vater, wieder nach Hause zu gehen, um zu sehen, ob er doch nicht seinen Posten wieder erhalten könnte. Ich sollte inzwischen allein da bleiben und weiter arbeiten, bis er mir schriebe, daß auch ich nach Hause kommen solle. Er meinte, ich könnte wöchentlich viertausend Ziegel machen und rechnete mir vor, wie viel ich da verdiente, wie viel davon auf die Kost kommen dürfe und was dann noch übrig bleiben müsse. Viertausend machten aus: elf Mark zwanzig Pfennige. Sechs Mark die Kost, so blieben noch fünf Mark übrig. Seine Rechnung gefiel mir. Denn ich hoffte auch, so viel machen zu können. Ein bißchen Ehrgeiz trieb mich, zu zeigen, was ich könnte.

Als ich dann allein zu arbeiten anfing, sah ich erst ein, wie schwer die Einzelarbeit war. Zum Lehmzubereiten war ich unbedingt noch zu schwach. Denn der Lehm mußte aus dem Sumpfloch geworfen, gepeitscht und wieder auf einen Haufen geschaufelt, dann erst auf den Tisch geschmissen werden. Er hing und klebte, und ich mattete mich sehr ab und brachte immer weniger fertig. Die letzte Woche waren es schließlich gar nur zweitausend Ziegel, die ich zusammenfuhrwerkte. In der ersten Woche, wo ich noch mehr verdient hatte, kaufte ich mir in Freiberg schnell eine Hose und ein wollenes Vorhemd; ich dachte nicht daran, wie es später werden könnte. Nun, wo ich nach Hause gehen wollte, hatte ich kaum das nötige Reisegeld und war froh, als mir der Meister fünfzehn Groschen dazu gab.

Sehr lustig war ich auf der Heimreise nicht, da ich mir bewußt war, was es zu Hause setzen werde, wenn ich so leer, ohne Ersparnisse ankomme. So wie ich es voraussetzte, geschah es auch. Als der Vater schließlich erfuhr, wie es mit mir stehe, brach das Donnerwetter los. Ich bekam alle Namen, nur keine hübschen. Lump, Plamender, Taugenichts, und hätte sich die Mutter nicht dazwischen gestellt, wer weiß, was noch darauf gefolgt wäre.

Erst nach achtundzwanzig Jahren bin ich dann wieder einmal nach Berthelsdorf gekommen. Es war, als mein Sohn nach Thüringen fuhr und ich ihn von Dresden bis nach Freiberg begleitete. Die Drechslers fand ich damals noch in der Ziegelei. Den Robert, ihren Sohn, suchte ich in seiner Wohnung auf, er hatte die Schlosserei gelernt und besaß auch ein hübsches Vermögen: sieben Kinder, und die älteste Tochter war schon neunzehn Jahre alt. Der Ziegelstreicher Jünger hatte den Tod unter der Lehmwand gefunden. Und der Ziegeleibesitzer war beim Baden im Teiche ertrunken.

Gleich am nächsten Tag nach meiner Rückkunft ging ich auch mit in die Fabrik, wieder nach Mscheno. Der neue Direktor war ein kleiner düsterer Mann, hinten und vorn ausgewachsen. Er sprach mit dem mährisch-tschechischen Dialekt. Mit ihm waren auch mehrere Arbeiter angekommen, die er bevorzugte und begünstigte. Sie sprachen ihn nicht anders an, wie »Gnädiger Herr!« und die Einheimischen machten es ihnen dann nach. Das war mir nicht gegeben. Ich dachte jedesmal, wenn ich das Wort hörte, an den Baumeister in Leneschitz. Die anderen zwei Beamten, Adjunkte, waren auch neu. Der eine hieß Tranta und schien nach seinem Benehmen und Aussprache intelligent zu sein. Der zweite hieß Tomek und war das Gegenteil des ersteren.

Mein Vater hatte seinen früheren Posten wieder erhalten. Ich aber mußte die Zeit, ehe die eigentliche Kampagne begann, verschiedene Arbeit tun. Als es dann richtig losging, hatte der Direktor für mich an keinem Apparate Arbeit. Ich ging deshalb zu meinem Vater auf dem Zuckerboden arbeiten. Dort war wohl die Arbeit am schwersten, aber ich machte mir nichts daraus, weil ich froh war, daß ich dem Direktor aus den Augen kam. Denn wie ich merkte, war er mir nicht sehr gut, und ich ihm auch nicht.

Die schwerste Arbeit hatten wir damals immer früh zu machen. Es mußten alle Tage früh zwölf- bis vierzehnhundert mit Rohzucker gefüllte Blechformen, die im Durchschnitt sechsundzwanzig Kilogramm wogen, auf den ersten oder zweiten Zuckerboden hinauf getragen werden. Jeder Mann nahm auf jede Achsel ein Stück. Diese Arbeit dauerte gewöhnlich vier Stunden, von fünf bis neun Uhr früh. Kleidungsstücke konnte man dabei keine auf dem Leibe tragen, da es zu warm war und der Zucker überall klebte. Man ging also nackt und band sich nur vorn und hinten eine Sackschürze um. Nach dieser Arbeit wurden dann genau so viele Hunderte Formen abgezogenen Zuckers ausgestürzt, gemahlen und im Zuckermagazin auf Haufen geschaufelt, von wo er gewöhnlich zweimal die Woche eingesackt und abtransportiert wurde. Bei dieser letzteren Arbeit mußten meistens Überstunden, oft bis zwölf Uhr nachts, gemacht werden. Für eine Überstunde bekamen wir fünf Kreuzer und für den Tag sechzig Kreuzer. Ich nur fünfzig. In dieser Fabrikabteilung war es am wärmsten, da nie ein Fenster aufgemacht werden durfte. Und damit überhaupt keins geöffnet werden konnte, schraubte man gleich einen jeden Flügel mit Holzschrauben an.

Noch wärmer, oder vielmehr heißer, war es in dem von uns so genannten Schmierlokal, in dem die Nachprodukte in großen Reservoirs reiften, um dann in den Zentrifugaltrommeln ausgeschleudert zu werden. Dort mußte gleich ganz nackt gearbeitet werden. In diesem Marterloch brachte ich nach der Kampagne die schönsten Wochen des Hochsommers zu. Selten hielt jemand lange dort aus, stets wegen der großen Hitze. Mich aber zwangen sie immer wieder hinein. Wegen der Hitze machte ich mir schließlich nicht soviel daraus. Aber wenn der Sommerabend herrlich war und ich dann auf diese Nachtschicht gehen mußte, packte mich jedesmal eine blinde Wut. »Mag er doch seine Günstlinge hineinstecken!« meinte ich dann immer schimpfend und bedauerte meine Machtlosigkeit gegen Vater und Direktor.

Als dann diese Arbeit endlich, endlich zu Ende war, wurde ich den Kesselschmieden als Gehilfe zugeteilt. Diese arbeiteten von früh fünf bis acht Uhr abends und Sonntags auch bis mittags.

Einmal schien es dem Direktor wohl, daß wir zu viel Überstunden gemacht hatten, denn er hatte uns acht davon gestrichen. Samstag bei der Lohnauszahlung bekamen wir, ich und der andere Gehilfe Krupka, für acht Stunden weniger ausbezahlt. Natürlich aber waren wir damit nicht zufrieden; auch wir wollten umsonst nicht arbeiten, nachdem der Lohn ohnehin so schreiend gering war. Wir gingen zum Direktor hin. Aber wir kamen schlecht an. »Marsch, marsch! Ihr habt verdient genug!« schnauzte er uns an, auf die Türe zeigend. Und es war mit ihm nichts zu richten. Doch fanden wir schließlich einen guten Vertreter unserer Sache in der Person des älteren Kesselschmieds. »Herr Direktor!« sagte er barsch und geradeweg, als dieser Sonntags früh in das Kesselhaus hereinkam, »wenn Sie diesen Leuten nicht ihren verdienten Lohn zahlen, dann lasse ich mir Gehilfen von zu Hause kommen, die Ihnen doppelt so teuer stehen werden.« Ich jauchzte! Der Ton und die Unerschrockenheit des Mannes gefiel mir sehr. »O, könnte ich auch so wie er auftreten!« war mein einziger Wunsch. Sofort danach konnten wir uns unser vorenthaltenes Geld holen.

So wie mit uns machte es dieser Direktor auch mit den übrigen Arbeitern. Man hörte bald den, bald jenen klagen, daß er nicht gerecht bezahlt würde. Kein Wunder, wenn infolgedessen jeder nur gezwungen Überstunden machte. Aber niemand getraute sich, gegen diese Willkür energisch aufzutreten. Denn in so einem Orte, wo kein zweiter Betrieb da ist, mußte jeder, der aus dem einzigen hinausgeworfen wurde, gleich auswandern. Von den paar Wochen Feldarbeit im Sommer konnte ja niemand leben. Auch die Löhne selbst trachtete der Direktor, wo und wie es nur ging, zu drücken. Und die waren doch gewiß schon niedrig genug.

Als dann die Reparatur an den Dampfkesseln fertig war, kam ich wieder zum Kupferschmied als Gehilfe. Dort war die Arbeitszeit von früh sechs bis acht Uhr abends. Und diese Arbeit endete kurz vor Beginn der neuen Kampagne. So traurig verfloß mir dieser ganze schöne Sommer, dessen sich ein jedes junge Leben freut, in das Meer der Vergangenheit.

Die neue Kampagne begann dann wieder, und mit ihr wieder die Nacht- und Tagschichtarbeit. Ich wurde diesmal, ich wußte gar nicht, wie ich dazu kam, als Sieder an die Robertapparate gestellt. Bei dieser Arbeit brauchte man nur gut aufzupassen, sonst war sie sehr leicht und sauber, so daß man auch besser dabei gekleidet gehen konnte. So weit wäre ich mit ihr also zufrieden gewesen, wenn ich nur nicht um zehn Kreuzer die Schicht weniger Lohn bekommen hätte, wie mein Ablöser. Das ärgerte mich höchlichst. Doch blieb ich bis zum Ende.

Bei dieser Kampagne fehlte der Adjunkt Tomek; an seiner Stelle stand ein neuer Beamter, Berounsky mit Namen. Ich und mein Bruder hatten gleiche Schicht und auch unserer Hauswirtin Tochter Luis, die im vorigen Winter nur einige Wochen mit in der Fabrik gewesen war, dann plötzlich Feierabend machte und nach Budin in Dienst ging, warum sie das damals tat, wußte niemand von uns, obwohl wir uns alle über ihren Entschluß gewundert hatten.

Sie war nicht ganz zwei Jahre jünger wie ich. Sie war von schlankem Wuchs, mit schwarzen Haaren und blauen Augen. Sonst war sie freilich keine Schönheit ersten Ranges. Was mir aber immer an ihr gefiel, war ihre Zurückhaltung und ihr sittliches Betragen, wodurch sie sich von vielen Mädchen, die ich bisher kennen lernte, unterschied.

Wir gingen des Morgens zusammen in die Fabrik und abends zusammen von ihr nach Hause. Selten allein, meistens in Gesellschaft anderer, die auch von der Arbeit heimkehrten. Unterwegs sangen die Mädchen gewöhnlich Lieder, und die Luis sang mit; sie hatte eine schöne Stimme. Mit uns Burschen machte sie nicht viel Wesens.

»Kriegst eine Ohrfeige, wirst sehen!« schrie sie zornig, wenn einer einmal aufdringlich wurde. Und so verhielt sie sich auch in der Fabrik. Deswegen hatte ich sie auch ein wenig mehr lieb als die übrigen Mädchen. Mir gefiel ihre tugendliche Art. Aber sonst fühlte ich keine besondere Neigung zu ihr. Auch von ihrer Seite nahm ich keine solche wahr.

Abends, nachdem wir Tagschicht gehabt hatten, spielten wir gewöhnlich bei ihrer Mutter Karten, oder sie las einen Roman vor. Das waren die einzigen Unterhaltungsmittel, bei denen wir die langen Winterabende verbrachten.

Einmal, als ich mit ihrer Mutter allein war und mit ihr über die Verhältnisse in der Fabrik sprach, kam auch die Rede auf den Tomek. Da schimpfte die Mutter ganz zornig auf ihn. »Gott sei Dank! daß der Mensch fort ist. Er hätte mein Kind unglücklich gemacht!« sagte sie schließlich, atmete tief auf und seufzte. Und dann erzählte sie auf mein Drängen folgendes: Als die Luise wieder mal Nachtschicht hatte, schickte sie der Adjunkt Tomek, der den Dienst von zwölf Uhr mittags bis zwölf Uhr nachts versah, in seine Wohnung, damit sie ihm sein Bett aufbetten sollte. Seine sowie der übrigen Beamten Wohnung befand sich in einem Fabrikshause, das auf der andern Seite des Fabrikshofes, an der Bezirkstraße, stand. Die Beamten waren alle unverheiratet, auch der Tomek. In dem Hausflügel, in dem er wohnte, waren auch noch andere, niedriger gestellte Vorgesetzte aus der Fabrik untergebracht, so der Maschinist und der Zuckersieder. Und die Luis, nichts Böses ahnend in ihrer jungfräulichen Reinheit und Ehrenhaftigkeit, gehorchte seinem Befehl und ging. Kaum war sie in der Wohnung oben angekommen, war auch schon der Tomek da. Er verschloß hinter sich die Zimmertüre und versuchte nun sofort, sie sich zu Willen zu machen. Anfangs noch mit rosigen Worten und übersüßen Versprechungen, dann mit Gewalt. Schließlich war ein regelrechter Ringkampf zwischen beiden entsponnen, ganz lautlos. Bis das Mädchen schließlich halblaut gedroht: »Wenn Sie mich nicht gehen lassen, rufe ich laut, so viel ich kann um Hilfe!« Das wirkte endlich, denn es konnte ihm doch verhängnisvoll werden. Er ließ sie fahren. Sie konnte gehen. Aber von diesem Augenblicke an hat er sie dann bei aller Arbeit so schikaniert, daß ihr bald nichts übrigblieb, als eben in jenen Dienst zu gehen.

Ich aber, seit ich das alles gehört hatte, war wie verwandelt zu dem Mädchen. Sie war in meinen Augen die Tugendhafteste und Reinste, eine Heldin! »Schade, daß wir beide noch so jung sind. Die müßte meine werden!« philosophierte ich seitdem oft für mich hin. Ich war ja damals kaum achtzehn Jahre alt!

Aber nur kurze Zeit verging, und unsere Herzen fingen an, sich immer mehr zu verstehen. Ohne offene Liebeserklärung, nur den Blicken folgend, neigte sich ihr Herz dem meinen zu. Nur stumm, verstohlen, durch unsere Blicke, tauschten wir unsere Gefühle aus. Ich war noch zu verschämt, um ihr sagen zu können, wie hoch ich sie schätzte und wie sehr ich sie liebte. Das geschah erst ganz nach und nach, nachdem unsere Neigung immer höher stieg.

Ihre Mutter legte unserer Liebe nichts in den Weg; vor ihr brauchten wir also nichts zu verbergen. Und meine Eltern sahen anfangs dem Spiele auch gleichgültig zu. Wie glückselig fühlte ich mich dann eines Tages, als die Luis einmal, während Mutters Abwesenheit, zum ersten Male duldete, sich küssen und an meine Brust drücken zu lassen. Und ich dachte gar nicht daran, etwas mehr zu verlangen. Hatte ich doch der Frau bei Gott geschworen, daß ich der Luis in ihrer Unschuld nicht zu nahe trete!

Aber später stieg die Sehnsucht des einen nach dem anderen immer mehr. Abends, Sonntags oder wenn uns sonst noch Zeit gegönnt war, war Gegenstand unseres Gesprächs nur unsere Liebe. In unserm Liebesglück schwebend, kümmerten wir uns nicht um das, was um uns herum geschah und was nicht mit unserer Liebe zusammenhing. Wir wurden gegeneinander immer unersättlicher! Und immer freier und dreister! Wir suchten immer mehr die Einsamkeit. Es fing an, uns unbequem zu werden, wenn noch andere Augen mit uns waren.

Wenn wir manchmal ungestört, liebkosend dasaßen, einer dem anderen genug seiner Treue versichert hatte, uns umarmt hielten und süß küßten, da kam dann plötzlich ein tiefes Schweigen: die Triebe regten sich ganz heftig und sie ließen sich nicht mehr beherrschen. Und schließlich geschah auch mit uns das Menschliche. Ich verletzte meinen Schwur und die Luis vergaß ihre Unschuld. Und weil sich keine Folgen einstellten, wir weiter frisch und gesund blieben, fuhren wir weiter. Ich aber war bei alledem der Hauptschuldige.

Mit dem Direktor geriet ich damals auch immer mehr auf feindlichen Fuß. Er haßte mich und ich ihn noch mehr. Er schob mich in jedes Dreckloch und zahlte mir trotzdem stets weniger Lohn als den andern Arbeitern. Ich wurde immer wilder darüber. Zuletzt prallten wir so zusammen, daß er mir gleich mit dem Hinauswurf drohte. Wir, ich und mein Bruder, reinigten einen Dampfkessel, wofür es zwölf Gulden gab. Weil wir aber zu schnell mit der Arbeit fertig gewesen seien, kriegten wir wieder vier Gulden weniger ausgezahlt. Das wollte ich mir natürlich nicht gefallen lassen und ließ meinen Schnabel, ohne Rücksicht was folgte, spazierengehn. Da drohte er und hetzte mir auch noch meinen Vater auf den Hals. Der verlangte stets, daß man wegen der dauernden Arbeit ein Auge zudrücken müsse. Aber mit dieser Meinung hatte ich mich nie recht befreunden können, erst recht damals nicht. Luises Mutter meinte wieder, als ich auch mit ihr das Vorkommnis besprach und meinen Unwillen äußerte: »Da möchte man doch einmal den Kaiser davon verständigen, damit der erfährt, wie mit armen Leuten umgegangen wird!« Schließlich blieb es bei der Einsicht in meine Machtlosigkeit. Wie sollte ich mich auch an dem gehaßten Manne rächen? Ich konnte nachdenken darüber, wie ich wollte, ich kam immer wieder zu ein und demselben Schluß: »Ja, wenn nur alle eines Sinnes wären!«

Endlich fiel mir ein, daß ich ihm wenigstens Angst eintreiben und warnen könnte, mit den Arbeitern nicht mehr so ungerecht zu verfahren. Ich schrieb ihm einen Drohbrief! In dem ich ihm freilich nicht wie ein russischer Nihilist mit dem Tode drohte. I, Gott bewahre! Aber ich legte ihm ans Herz, was er alles schon Ungerechtes an den Arbeitern getan, wie er die Arbeiter unnötigerweise Sonntags zur Arbeit zwinge und damit gegen das Gebot Gottes verstoße. Am Schlusse fügte ich hinzu, daß, wenn er so fortfahre, wir noch Verschwörung gegen ihn einleiten müßten! Nur die Frau Trnobransky wußte von diesem Geheimnis und sonst kein anderer Mensch. Einigemal sah ich danach den Gendarm in der Fabrik; aber die Verschwörer waren nicht zu erforschen. Ein bißchen hatte der Brief aber doch gewirkt. Die ärgsten Schindereien hörten auf. Und den folgenden Sommer verrichtete ich dann wieder so wie im vergangenen die verschiedensten Arbeiten.

Unser Familienleben war, seitdem wir hierher gezogen, bedeutend besser. Ich selbst hatte es nun insofern besser, daß ich das Spielengehen mit der Harmonika los wurde. Trotzdem hatte die Mutter zuzeiten auch hier mit derselben Not zu kämpfen wie früher, obwohl wir nun ihrer drei waren, die schon verdienten. Der Vater strich das Geld, das wir verdienten, ein und gab davon der Mutter einen Betrag als Kostgeld; zu dem übrigen hatte weder sie noch ich etwas zu sagen. Er frug sie nie, ob sie damit auskomme oder nicht. Sie mußte sich eben kümmern wie sie durchkam. Er frug auch nicht, ob die drei Mädchen, meine Geschwister, etwas zum Anziehen brauchten. Das war auch ihre Sache! Wenn es also nicht reichte, dann machte sie Schulden, von denen aber der Vater nichts erfahren durfte. Es wurde beim Kaufmann oder Schnittwarenhändler ohne Buch oder Zettel, also geheim geborgt; und was diese in ihr Buch eingeschrieben hatten, war heilig, das mußte bezahlt werden; sie hatte nichts in Händen, um kontrollieren zu können, ob ihr nicht mehr geschrieben werde, als ihr Kauf betrug. Diese Leute wußten auch, daß sie nicht schreiben, lesen und rechnen konnte. Solche geheime Schulden konnte sie aber nur dann wieder abbezahlen, wenn sie selbst etwas verdiente. Im Winter war ihr das freilich nicht möglich, da die Feldarbeit ruhte. Sie legte also immer ihre Hoffnung auf den Sommer. Da plagte sie sich von früh bis abends und den ganzen Sommer hindurch. Die Gänse, die Ziege und das Schwein mußten auch noch versorgt werden. Unsere und ihre Wäsche wusch sie abends, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig war oder auch Sonntags. Wenn aber der Herbst kam, hatte sie wieder nichts von ihrer ganzen Plage. Ach! wie viele Tage hat sich nicht die Mutter auf diese Weise nicht nur für uns, sondern wegen Vaters Rücksichtslosigkeit, auch für andere, für Wucherer geplagt! Ich selbst wußte sehr gut, wie schlecht es ihr ging, weil sie vor mir nichts verheimlichte. Ich war ja doch schon so verständig, um ihr Leid, wenn sie mir es klagte, zu begreifen. Da fühlte ich mit ihr immer ein großes Mitleid und erregte mich schwer gegen den Vater. Als es einmal wieder zwischen Vater und Mutter wegen des Kostgeldes zum Streit kam und sie ihn darauf hinwies, daß wir nun alle schon heranwachsen, mehr brauchten und er deshalb mehr Geld hergeben müßte, stand ich vom Tische auf, um die Mutter zu verteidigen: »Vater, Ihr müßt einsehen, daß die Mutter recht hat und daß es so nicht mehr weiter geht. Ihr wollt nicht mehr hergeben und die Mutter ist gezwungen, Schulden zu machen, die Ihr dann auch nicht zahlen wollt!« Da sah mich der Vater ganz erstaunt an und griff plötzlich in die Tasche: »Na, meinetwegen freßt alles hinein. Da!« sagte er zornig und warf zwei Silbergulden auf den Tisch.

Mit dem Taschengelde für uns knickerte der Vater auch sehr. Ich erhielt jeden Sonntag vierzig und der Bruder zwanzig Kreuzer. Das ärgerte mich zwar gerade nicht, denn ich sparte mir damals doch noch davon neunzehn Gulden, für die ich mir eine Harmonika von Prag schicken ließ. Man hatte ja auch wenig Gelegenheit zum Geld vertun. In dem Orte gab's höchstens dreimal im Jahre Tanzmusik. Und Gasthäuser besuchte ich in der Zeit noch selten. Doch war ich mit dem Vater nie recht zufrieden. Er schien mir so kurzsichtig. Allerdings, der Wahrheit die Ehre! Verschwender war er nicht und ist es bis heute keiner! Bier trank er nur mäßig, Schnaps ganz selten, auch war er nur ein Sonntagsraucher; von Vergnügungen hielt er sich ganz zurück; Karten spielte er auch nur aus Zeitvertreib, und betrunken habe ich ihn nur einmal gesehen. Er war nur zu sparsam. »Wenn nur der Magen voll ist. Alles braucht man nicht durch den Ranzen zu jagen!« war sein Sprichwort.

Damals wurden wir, das heißt ich und die Luis, auch plötzlich aus unsern Liebesträumen gestört. Ihr Bruder, ein Schmiedgeselle, kam von der Wanderschaft nach Hause, fing auch in der Zuckerfabrik an zu arbeiten. Als er von unserm Liebesverhältnis erfuhr, schimpfte er seine Mutter, züchtigte die Luis und verbot ihr, mit mir zu reden; ich aber durfte nicht mehr in ihre Wohnung. So blieb uns nichts anderes übrig, als unsere Stelldicheins je nach gebotener Gelegenheit abzuhalten, um unsere Herzen wenigstens einigermaßen zu befriedigen. Zu unserer Freude hatten wir unter diesem Hindernis nicht lange zu leiden. Die Verhältnisse räumten das Hindernis bald aus dem Wege. Als die Kampagne im Herbst 1882 von neuem anfing, wurde Joseph an die Betriebsmaschine als Wärter versetzt. Ich kam wieder an die Robertsapparate und die Luis zur Schneidmaschine; wir beide hatten die gleiche, er die andere Schicht. Hatten wir Freude, als das so kam! Auch Luis ihre Mutter ging dies Jahr in die Fabrik. Sie hatte immer Tagschicht. So waren wir denn stets, wenn wir Nachtschicht hatten, ganz allein und konnten unsere seligen Stunden frei genießen.

Aber auch mein Vater, der wohl nun einzusehen anfing, daß das Liebesverhältnis immer offener und ernster wurde, besann sich, das Feuer zu löschen. Er nahm mich öfter bei passender Gelegenheit ins Gebet. Er meinte, daß ich zu solchen Sachen noch Zeit hätte und daß es mit den Vermögensverhältnissen bei der Luis auch schlecht stände. Das Haus wäre ganz verschuldet und das Mädchen hätte davon nichts zu hoffen. Der Schluß seines Zuredens lautete gewöhnlich: »Heute muß man nur aufs Geld schauen. Eine Frau, die Geld hat, ist doch besser, und wenn sie gleich einen Fehler mehr hat, wie die, die nichts besitzt. Von der Frau wirst du nichts abbeißen können.« Bei ihm galt eben das Sprichwort: Geld regiert die Welt! Heute, wo ich auch schon von der Macht des Geldes genug erfahren habe, wäre es schon eher möglich, mir so eine Philosophie einzureden, mich zu bewegen, eine zu nehmen, die etwas, und je mehr desto besser, besitzt. Vorausgesetzt, daß sie so dumm gewesen, mich Habenichts auch zu nehmen. Aber damals? Was frug ich damals nach dem Gelde? Die Luis stand mir höher, ich schätzte sie höher als Diamanten! Und wenn sie mir aus Liebe ihre Unschuld opferte, so fühlte ich mich als Hauptschuldiger, als ihr Verführer! Und nun sie verlassen? Nein, nie. So philosophierte ich bei mir.

Dann war wieder Frühjahr. Mein Feind Joseph zog von neuem in die Fremde. Ich und Luis schwelgten ohne Hindernisse in Liebesglück.

Von Prag kamen damals zwei Geometer, um eine Bahnstrecke von Mscheno nach Kmetnowes auszumessen. Sie ersuchten die Direktion um einige Gehilfen. Ich und noch drei Mann wurden hinkommandiert. Zum erstenmal sah ich da, wie geometrische Arbeit ausgeführt wird. Mir ging es dabei aber schlecht. Denn, wenn ich mit der Holzlatte, auf der sich schwarze und rote Zahlen befanden, zwei- bis dreihundert Meter von dem Ingenieur entfernt stand, und der mir nach rechts oder links mich zu stellen winkte, konnte ich das nicht sehen. Die andern Arbeitskollegen lachten darüber und foppten mich. Das weckte in mir Leid und Zorn. Zwei Tage machte ich daher nur mit, dann blieb ich lieber zu Hause. Als ich darauf wieder in die Fabrik kam, machte mir der Direktor Vorwürfe und überschüttete mich mit Grobheiten, weil ich den Geometern davongelaufen. Ich hörte mir's ruhig mit an, weil ich den wahren Grund, warum ich nicht mehr hinging, nicht angeben wollte. Damals, überhaupt in meinen jungen Jahren, schämte ich mich meiner Kurzsichtigkeit noch sehr. Weil ich nun schwieg und nichts als Entschuldigung vorbrachte, durfte ich auch nicht wieder in der Fabrik anfangen zu arbeiten. Nun brach ein Donnerwetter auch zu Hause los. Der Vater warf mir vor, daß ich zu hoch hinaus denke, nichts einstecken wolle und mit dem Kopf die Wand durchstoßen möchte. »Merke dir's! Wer sich nicht erniedrigt, der wird auch nicht erhöht!« waren seine Schlußworte.

Ich arbeitete dann bei Bauern herum. Die meiste Zeit des Sommers aber in einem Meierhofe, bei einem Juden Nohel. Aber diese Arbeit freute mich nicht besonders, erstens, weil ich wenig davon verstand, trotzdem ich auf dem flachen Lande aufgewachsen war, und zweitens, weil ich da keine bleibende Aussicht für den Winter hatte. Lohn gab's auch höchstens fünfzig Kreuzer den Tag, für die man von früh sechs Uhr bis spät abends schuften mußte. Dies alles und dann noch des Vaters feindliche Blicke, nötigten mich schließlich, Umschau zu halten, um anderwärts Arbeit zu bekommen. Das wollte ich nun auch gerne tun. Aber wenn ich darüber nachdachte, wurde mir jedesmal bänglich ums Herz herum. Was sollte mit der Luis werden? Wenn ich fortging, dann mußten wir uns trennen! Und das waren für mich schreckliche Gedanken!

Luis ihre Mutter erzählte mir da auch von ihrem Bruder in Aussig. Daß es ihm dort gut gehe, und sie meinte, daß auch ich vielleicht dort ankommen könnte. Ich wollte ihm auch schreiben, mich bei ihm befragen, wie es dort mit der Arbeit stehe; aber auch dazu konnte ich mich nicht recht entschließen und schob es immer wieder auf. Bis dann Luis ihre Großmutter starb. Da kam auch deren Sohn, Maj, von Aussig zum Begräbnis, und da machten wir die Sache mündlich aus. Er erzählte mir, daß da ein Gulden pro Tag der niedrigste Lohn wäre. In Akkord täten Leute auch das Zwei- bis Dreifache verdienen. Arbeit wollte er mir in der Glasfabrik verschaffen. Kurz nachher erhielt ich eine Karte, daß ich kommen könne, wann ich wolle.


 << zurück weiter >>