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7.

Banff, September 1899.

In der hiesigen Waldesstille, die so beruhigend auf uns Weitgewanderte wirkt, denke ich oft staunend an das Hasten und Ringen zurück, in dem wir in Peking gelebt haben. Dort schien Streben und Kämpfen, andere verdrängen und sich selbst einen Platz erobern, der einzige Zweck des Daseins zu sein. Ich glaube, daß Sie, lieber Freund, verstehen werden, welche Erquickung dieser weltabgeschiedene Frieden mir gewährt. Denn oft, wenn ich Sie in Peking reden hörte, hatte ich die Empfindung, daß Sie das ganze dortige Treiben und Drängen wie von einer Höhe aus betrachteten, zu der all die kleinlichen Motive nicht heranreichten, daß Sie mit Ihren Gedanken in einer Stadt lebten, die allem Niedrigen wirklich eine »verbotene« war.

Sie dachten und fühlten ja sogar für die Chinesen, deren Wünsche und Anschauungen allen anderen als eine quantité négligeable erschienen und die nur dazu da waren, um mit Gewalt in sogenannte Fortschritte getrieben zu werden, die dafür gestraft wurden, daß sie sich von dem einen hatten berauben lassen, indem der andere sie noch mehr beraubte. Ein jeder stachelte die Chinesen dazu an, gegen die Forderungen des anderen scharf aufzutreten und ihm nichts zuzugestehen, aber im entscheidenden Moment ließ man die Chinesen stets im Stich, es wurde ihnen nie wirklich geholfen, sondern man überließ sie der Gnade des anderen und stellte dann das Gleichgewicht wieder her, indem man selbst mit neuen Forderungen kam.

Ich habe nirgends so sehr wie in Peking den Erfolg verachten gelernt, weil ich einmal ganz aus der Nähe gesehen habe, womit er erreicht wurde, von den einen durch Bestechung, von den anderen durch Drohen mit roher Gewalt. Die armen Chinesen sind nun einmal gegen Geld und Kanonen, innerlich und äußerlich, widerstandslos. Setzen sie sich aber einmal zur Wehr, so steckt immer eine andere Macht dahinter, die eben mehr bestochen oder mehr gedroht hat, von der mehr zu gewinnen oder mehr zu fürchten war. Ich erinnere mich sehr gut, wie Ihr Freund Li Hung Tschang sich ein paarmal fremden Forderungen widersetzte und auch wirklich nicht nachgab. Das war eben, weil hinter ihm eine andere fremde Macht stand, vor der er noch mehr Angst hatte als vor den Fordernden. Und die ganze europäische Erbärmlichkeit kam dann zutage, indem man wohl über Li Hung Tschang herfiel, die fremde Macht aber unerwähnt ließ – weil man vor der eben selbst auch Furcht hatte.

Die Pekinger Luft hat nun einmal einen ganz besonderen Einfluß auf die weißen Männer: entweder sie werden dort chinesischer als die Chinesen und zu leidenschaftlichen Freunden und Verteidigern Chinas wie die meisten Dolmetscher, Zollbeamten und Diplomaten der alten Schule, oder, und das sind die Jüngeren, sie werden von einem Taumel des Übermenschtums erfaßt, der in einer grenzenlosen Verachtung alles Chinesischen wurzelt. Sie predigen, man solle zugreifen, sich nehmen, was man brauche, einzig das tun, was die eigene Herrenmoral fordere, denn so allein können Nationen und einzelne groß werden. Der Kern der Sache ist, sie trachten danach, einem anderen unrechtmäßigerweise etwas fortzunehmen. Dazu werden die großen Worte »Patriotismus, Expansion, neue Absatzgebiete, Stützpunkte« ausgekramt – und dazu drapieren sich ganz harmlose Bureaukratenseelen als Cesar Borgias, als Schüler Macchiavellis und Nietzsches. Aber das Herrentum läßt sich nur improvisieren, solange man ausschließlich mit Chinesen zu tun hat; wird die Lage ernster, stehen hinter den Chinesen Mächtigere, dann tritt eine sehr unherrenmäßige Nervosität an die Stelle der Kraftmenschpose. – Trotz allem, was darüber gesagt wird, sind wir eben keine Generation der Übermenschen. Wir sind Zweifler, Spötter, Unzufriedene – zum Übermenschtum fehlt uns das Zeug. Dazu müßten wir vor allem an uns selbst glauben – und wer tut das heute noch? – Sind wir ehrlich, so haben wir uns doch alle als armselige Blechgötzen erkannt – vielleicht imponieren wir noch den Wilden, uns selbst aber doch sicherlich nicht.


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