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Während ich vom Frühling und Sommer schreibe, wintert es, als könnte Frau Holle nicht genug Schnee auf den Feuerstein schütten. Nacht um Nacht steigt er eine Stufe tiefer über die Felsen, Weiden und Wälder des Berges hinab. Heute hat er das Tal und die Dächer von Selmatt erfaßt, morgen wird sein großes Leintuch sich auf die Ebene breiten. Ich sehe selbst durch das Glas keine Gemsen mehr. Sie haben sich in die Wälder hinab verzogen. Aber hungrige Raben haben heute zum Ärger meines Spitzers an die Fenster des Observatoriums gepickt. Als er zu bellen begann, schlug mir das Herz schon in der Hoffnung, es komme ein Mensch, ein Jäger vielleicht!
Nein, ich muß mich mit der Gesellschaft vergangener Lebensgestalten begnügen. Du trittst zu mir herein, meine blauäugige Abigail, mein Märchen!
Eine wundervolle Fahrt! Der letzte niedere Streifen Land ertrank in den sich mächtig ausbreitenden Wassern, und in den grünen Wellen des Ozeans versank die gelbe Flut der Elbe. Das war nun das Meer, nicht so gewaltig und furchtbar, wie ich es mir in meinen Träumen vorgestellt hatte, aber von fesselndem Leben und bestrickender Schönheit. In einer frischen Brise wogte es mit langgestreckten Kämmen und weißen Gipfeln, mit hellgrünen Hängen und dunkelgrünen Schluchten. Schief hingelegt, tanzte darauf, von Möwen umflattert, die Menge der weißen Segel. Während ich in staunender Bewunderung schwelgte, hielt die Gesellschaft fröhliches Picknick, und einer der Herren erzählte Geschichten und Sagen von der Sturmflut, von den Inseln, Städten und Dörfern, die darin untergegangen seien, wie Selmatt unter den Felsen der Berge. Da tauchte in der Ferne aus der licht- und dunkelgrünen Flut etwas wie ein Felsen- oder Geisterschloß empor; das begann sich mit Farben zu beleben und schimmerte rötlich wie die Gipfelwände des Feuersteins – Helgoland!
Auf der Insel zerstreute sich unsere Gesellschaft einzeln oder in Gruppen, wohin sie eben die Neugier trieb. Ich stieg den Aussichtsweg des Falm empor, gelangte in schauendem Umhertreiben auf das abschüssige Nordkap hinter der schmucklosen Kirche des Eilandes, blickte auf die bewegte See und stand noch, als der wehende Wind die letzten Spaziergänger meiner Bekanntschaft wieder fortgetrieben hatte. In breiten Wellen rollte das Meer aus fernen Himmelstiefen heran, strahlende Sonne setzte ihre blendenden Lichter auf die Wellen, die Möwen kreisten auf und nieder und tauchten die Flügelspitzen in den Gischt der Wellen, und das Rauschen des Ozeans drang mir wie die Laute eines überwältigenden Naturgebets in die Seele. Mit aufgelösten Sinnen lauschte ich der Sprache der Wogen wie einst den Gewittern am Feuerstein.
Als ich nun so ziemlich allein auf der freien Felsenkanzel stand, zwitscherte, lachte und schäkerte es von Mädchenstimmen hinter mir. Vorsichtig, die Hände in die gefährdeten Hüte verkrampft, kam ein Schwarm Backfische heran, frische, liebliche Jugend in hellen Sommerkleidern, und schaute mit blauen, braunen und schwarzen Augen auf das Schauspiel der ruhelosen Wellen. Die zwei Dutzend Mädchen, ältere und jüngere, mochten irgendeiner hamburgischen Privaterziehungsanstalt angehören, die ihren Zöglingen einen fröhlichen Tag auf Helgoland bereitete.
Da sah ich unter den Backfischen eine von fremder Art, älter und größer als die übrige Schar. Sie hatte den einen Arm wie eine Beschützerin um den Nacken eines kleineren Mädchens gelegt, am anderen Arm hing der leichte, zierliche Strohhut, und im Ellbogen hielt sie gegen Wind ein paar wundervolle dunkelblonde oder lichtbraune Flechten fest, die ihr über die Schulter herabflossen.
Meine Augen blieben wie gebannt auf der fremden Gestalt haften und durften es umso eher, als sie, den kleinen schwellenden Mund heiß und durstig geöffnet, in verträumter Ruhe auf das Meer hinausblickte und gar nicht wahrnahm, was um sie vorging. Mein Erstaunen über ihre Schönheit und ihre Wohlgestalt wuchs von Augenblick zu Augenblick. Der ernste Zug ihres Profils hatte wohl etwas Fremdes, aber in dem fesselnden Gesicht standen zugleich die deutschesten blauen Gretchenaugen, die ich je gesehen hatte, und über dem Antlitz lag ein weicher, unsäglicher Duft der Jugend und Lieblichkeit ausgegossen.
Die Brise wehte heftiger, die kleineren und jüngeren Mädchen eilten über den kurzen Rasen des Oberlandes dahin gegen die Kirche zurück; die größere aber blieb und trat mit einer entzückend schmiegsamen Bewegung sogar näher gegen den Abgrund. Im Wehen des Windes zeichneten sich die schlanken Glieder durch das licht getönte Kleid.
»Fräulein Big – Fräulein Big!« riefen die Backfische der noch Säumenden zu und immer lauter: »Fräulein Big, so kommen Sie doch!« Ohne Eile wandte sich das Mädchen zum Gehen. Da war es, daß unsere Augen sich begegneten und wie zufällig einen Herzschlag lang ineinander ruhten. Sie ahnte wohl, daß ich sie schon eine Weile beobachtet hatte, in ihrem Blick aber lag weder eine Mißbilligung noch eine Ermutigung, weder ein Spott noch ein Schreck; sie ging einfach. Mir jedoch war, ich hätte in die rätselreichsten blauen Augen, in das schönste und süßeste Gesicht geblickt, das unter Gottes Sonne möglich sei; zugleich hatte ich den Eindruck, sie müsse ein vornehmes und verwöhntes Weltkind sein. Ich zögerte eine Viertelstunde; dann war es Zeit, daß ich mich wieder in die Gesellschaft begab, die sich am Strande sammelte. Als ich die Treppe des Falm vom Ober- zum Unterland niederstieg, stand, nach der Düne ausblickend, noch einmal die Schar der Backfische, denen sich ein Herr und eine Dame, wohl Lehrer und Lehrerin, zugesellt hatten, unter ihnen »Big«, die Fremde, mit dem entzückenden Ebenmaß der Züge und den wundervollen Augen und Flechten. Ich hatte kein Recht, sie zu grüßen, doch schaute ich mich, als ich etliche Schritte gegangen war, nach ihr um und wollte mir das schöne fremde Menschenbild in die Erinnerung prägen, wie man sonst etwas Erfreuliches vom Weg in die Kammern des Gedächtnisses schließt.
Da überraschten meine Augen die ihren, wie auch sie mir, ruhig forschend oder fragend, nachspähten. Nur so lange, wie man das Wort »Blick« spricht, dann schaute sie mit den anderen nach der Düne, der flachen Sandinsel, wo die auf Rädern beweglichen Häuser der Badegäste standen und einzelne Badende sich vom Schaum der breit einherströmenden Wellen überspritzen ließen. Mir aber ging es heiß durch die Seele, und als ich die Fremde, diesmal am Strand und aus einiger Entfernung, zum dritten Mal in ihrer Gesellschaft sah, wagte ich es, einen Herrn aus der unseren auf die junge Dame aufmerksam zu machen. »Ach, das exotische Fräulein?« antwortete er leichthin. »Ist wohl eine Deutschamerikanerin mit ein paar Tropfen Indianerblut. Pikante Menschenspielart, was? Aber unsere Hamburgerinnen sind mir doch lieber!« Damit hatte das Gespräch sein Bewenden, und nachdem man sich noch eine Weile unter dem malerischen Volk und unter den Fremden der Insel getummelt hatte, trug uns der Sonderdampfer des Herrn Balmer wieder nach dem bereits nächtlich erflammenden Hamburg zurück.
»Nun, Herr Wildi, was sagen Sie zu Helgoland?« fragte Frau Balmer bei meinem nächsten Besuch. »Nicht wahr, uns Leuten aus den Bergen tut es doch wohl, wenn wir nur wieder einmal ein paar Felsen sehen?« Ich erzählte mancherlei, was mich gefesselt hätte, nur nichts von dem schönen Mädchen. Ihr Bild aber begleitete mich durch die Arbeits- und Mußestunden des Sommers; ich überraschte mich auf dem stillen Wunsch, der Fremden wieder zu begegnen. Wozu sie noch einmal sehen? Das wußte ich selber nicht. Sicher nicht etwa aus einer warmen inneren Neigung, die mich bei der stummen Begegnung auf Helgoland erfaßt hätte, sondern nur aus dem Verlangen nach Schönheit, nach etwas weiblich Bewunderungswürdigem. Meine Liebe zu Duglore kam dabei nicht in Frage, und ich gab sogar dem Hamburger Herrn recht, daß die reizenden und liebenswürdigen Mädchen, die Herrn Balmers Landgut am Süllberg mit munterem Jugendspiel belebten, eher die zarten Gefühle des Herzens erregten als jenes fremde Geschöpf in seiner eigenartigen und blendenden Schönheit.
Ich mochte übrigens die Gedanken wandern lassen, wie ich wollte, der Sommer ging, ich sah das Märchen von Helgoland nicht wieder, sachte geriet es in Vergessenheit, und umso leichter, als ich im Kreise der Familie Balmer schöner Anregungen genug fand.
Wie es Duglore voll weiblicher Ahnungskraft in einer Abendstunde vorausgesehen hatte, genoß ich das Glück, den Mädchen zu gefallen. Nur daß ich die winkenden Gelegenheiten zu Liebeleien nicht ergriff. Das wäre bei meinem heißen, jähen Blut wohl seltsam gewesen, wenn nicht Balmer meine Seele ganz in Banden gehalten hätte. Ich wußte es, daß er auf seinen Liebling eifersüchtig sein würde, wenn er je vernahm, daß ich mit einem Weibe ginge, oder daß ich in der Heimat eine Liebe hätte. Ich gehörte, wie er unser Verhältnis zu betrachten sich gewöhnt hatte, ihm – ihm – ihm! – Und daran glaubte ich selber.
Wie eine Sonne, die sich nie verdunkeln kann, strahlte mir das Augenleuchten und Lächeln meines väterlichen Gönners in die Seele. Ich liebte den geheimnisvollen Löwen mit jener bewundernden Inbrunst, mit der sonst ein junger Mann ein angebetetes Weib liebt, und hätte mich für ihn, wenn er es gefordert hätte, ruhig in Stücke hauen lassen.
Er ließ mich gegen den Herbst hin durch einen seiner Beamten auf die Kenntnisse prüfen, die ich im Magazin- und Warendienst erworben hatte, und rief mich aus den Schuppen und Speichern in die Schreibstube, wo ich bei allerlei Abschreibearbeiten ebenso einfach wie in den Warenräumen beim Säckefüllen begann. »Und wie kommen Sie denn mit den hundert Mark monatlichem Taschengeld aus?« fragte er. »Sehr wohl, Herr Balmer,« erwiderte ich dankbar, »ich mache Ersparnisse.« Die Antwort versetzte ihn in die heiterste Laune. »Vortrefflich,« nickte und lächelte er, »man wird Ihnen künftig hundertundfünfzig Mark im Monat ausrichten.«
In meinem Leben gab es nichts Quälendes als den Gegensatz, der zwischen meiner Liebe zu Duglörli und meinen größeren Lebensabsichten bestand. Ich durfte es ihr nicht schreiben, wie wohl es mir in Hamburg ging und gefiel, und ihr meinen heiß verschwiegenen Traum nicht bekennen, als freier Nachfolger Hans Konrad Balmers den Erdball in kühnen Unternehmungen zu umspannen. Das hätte sie nur noch in größere Herzensnot gebracht. Und deren trug sie schon genug. »Es ist in unserem Hause nicht mehr so schön wie früher,« schrieb sie. »Was muß ich alles erleben, Jost? Otto, der älteste Sohn der Familie Z'binden, der am Polytechnikum die erste Prüfung abgelegt hat, kam in die Ferien heim. Der sanfte, ernsthafte Mensch gefiel mir zuerst gut, aber dann fing er an, mir still den Hof zu machen; jetzt gefällt er mir nicht mehr, du kannst dir denken, wie unlieb es mir ist. Mein Herz gehört ja nur dir, lieber Jost! Das habe ich ihm gesagt. Aber da schaute er mich viele Tage so traurig an. Und dem Herrn und der Frau Z'binden liegt die Sache natürlich auch nicht recht. Sie machten Herrn Otto starke Vorstellungen, und ich mußte dabei sein und sagen, ich wolle nichts von ihm wissen. Das war, obwohl es ja wahr ist, recht peinlich für mich. Er reiste dann wieder ans Polytechnikum ab; aber er schrieb mir einen Brief, den mir Herr Z'binden abverlangte. Es stehen große Torheiten darin. Wiewohl mich Herr und Frau Z'binden unschuldig wissen und mir nicht weh tun wollen, ist halt doch etwas Unheimeliges im Haus, und wir alle finden zueinander nicht mehr den alten Ton. Ich würde am liebsten fortgehen, und dem Herrn und der Frau Z'binden wär's wohl auch recht. Aber wohin? Zu dir nach Hamburg! Nein, das ist mir zu weit, und die Leute würden sagen, ich wär' dir nachgelaufen. O, wie ist es traurig, daß wir nie miteinander reden können! Briefe schreiben ist ja doch nur, wie wenn ich durch ein Schlüsselloch nach dir spähe. Manchmal finde ich keinen Trost, als wenn ich mich ans Harmonium setze, spiele und wie mit dem Vater selig die Kirchenlieder singe: ›Befiehl du deine Wege!‹ und andere. Dann glaube ich doch, ich finde noch einmal großes Glück durch dich, lieber ferner Jost.«
Es schmeichelte meiner Eitelkeit, daß noch ein anderer junger Mann seine Augen auf Duglore geworfen hatte, dazu einer, dem städtisches Leben nicht fremd war, und die Aufrichtigkeit und Treue, mit der sie mir ihre Erlebnisse erzählte, umgaben mir ihre Gestalt, die in den Bildern der Welt manchmal zu verblassen drohte, wieder mit dem duftigen Reiz meiner Selmatter Jahre. Wie, wenn ich mit Duglore später in die Welt zöge? Frau Balmer hatte ihre Jugend auch in der Bergheimat verlebt und stand nun in ihrem Kreis doch glücklich, würdig und vornehm auf der Höhe der Pflichten. Aber Duglore war eine zu schlichte, mit der Heimaterde zu innig verwachsene Natur, als daß sie sich ohne Schaden für ihr stillsonniges, reiches Gemüt hätte in die Welt verpflanzen lassen. Sie glich meiner Mutter, die, in ein fremdes Erdreich versetzt, verkümmerte und verging. Die Briefe an Duglore, in denen ich meinen wahren Hoffnungen und Plänen keinen Ausdruck geben durfte, wurden mir eine Last, lieber schrieb ich dann und wann an den Landammann, dem ich doch verraten durfte, wie glücklich ich mich unter den Fittichen Balmers fühlte. Ich überraschte mich unter Selbstvorwürfen auf dem Gedanken, meine Liebe zu Duglore sei wie eine Kette, die ich am Fuß schleppe, und auf dem Wunsch, wenn sie nur den jungen Z'binden erhören würde. Dann hätte ich für meine Weltpläne freien Weg!
In dieser dumpfen Zeit der Selbstverwirrung, da der Ehrgeiz die Liebe, die Stimme der Untreue mein besseres Selbst überschrie, ließ ich mich mit einem jungen Manne ein, der an die Stelle meines früheren französischen Sprachlehrers, eines alten, hektischen Männchens, getreten war. Ernest Leglu hieß der Schlingel, dem man zwar eine bewegte Vergangenheit anspürte, der aber bestechend seine Manieren und einen blitzenden Geist besaß und sein glänzendes Französisch nie eleganter und witziger entfaltete, als wenn es bereits auf Mitternacht ging. Kein Trinker, aber ein Hocker, drängte er, wie spät es in der Nacht sein mochte, noch gegen das Matrosenviertel von St. Pauli hinaus, in ein zwischen alte Häuser gebautes Café, das ansehnlicher als die übrigen Kneipen an der Gasse stand. Weil Leglu eher schwächlich und weibisch als stark gebaut war, hielt ich es für Freundespflicht, ihn schützend durch die oft von trunkenen Schwärmern belebten Straßen zu begleiten und geriet mit ihm in das Haus, das sich um diese Zeit nur noch gegen ein Paßwort öffnete und seine Besucher in einer über der Treppe gelegenen Hinterstube empfing.
Eine abscheuliche Atmosphäre herrschte in dem immerhin nicht kleinen Raum. Durch die mit dunkelroten Vorhängen dicht verschlossenen Fenster drang kein Zug frischer Luft, und die schlechtgenährten Gasflammen schwelten in dem glühwarmen Gemach. An den grünen Tischchen saßen einige Gewohnheitsspieler, dazu eine Menge gelegentlicher Gäste, Handlungsreisende, Matrosen und Steuerleute, auch einige jener Ärmsten unter den weiblichen Nachtfaltern, die sich überlebt hatten und vor Gier zitternd darauf warteten, daß sich irgend ein glücklicher Spieler mit einer Spende starkgeistigen Getränks von ihren Schmeicheleien loskaufte. Doch ging es in der schwülen Stube ziemlich ruhig zu, denn sobald sich in der von allen Leidenschaften erhitzten Gesellschaft Streit und Händel regen wollten, schaffte der Wirt, ein Hüne mit einem Faungesicht, energisch Ruhe.
»Meine Tante, Deine Tante!« tönte der gedämpfte Ruf von den einen, das Klappern der Würfel von den anderen Tischen. Jeder Spieler hielt das Geldhäuflein, das er vor sich liegen hatte, und seine Nachbarn scharf in acht, und ich empfand das Bild der Leute, die sich selber gegenseitig als Schelme und Diebe zu betrachten schienen, mit Abscheu und Ekel. Dennoch ließ ich mich von Leglu ins Spiel ziehen, verlor ein weniges, gewann desto mehr; aus der anfänglichen Unlust stiegen nach und nach der Reiz des Gewinnens, die Freude an den Aufregungen des Spiels empor, und ich vergaß darüber sogar die Widerwärtigkeit des Ortes und der Gesellschaft. »Sehen Sie!« lachte Leglu in seinem gebrochenen Deutsch. Noch ein paarmal begleitete ich ihn in die Spelunke; aber der Taumel dauerte jedesmal nur, bis ich den Kopf wieder an die frische Luft getragen hatte, dann erfaßte mich eine Scham über mich selber, daß ich das gewonnene Geld am liebsten fortgeworfen hätte.
Einmal aber hatte ich das Unglück, richtiger wohl das Glück, daß ich einen größeren Betrag, als ich bis dahin zusammen gewonnen hatte, verlor. In Bestürzung und Wut kam ich heim, in Wut, weil ich einen jähen Verdacht nicht los werden konnte, Leglu, der Galgenvogel, habe mich durch ein falsches Spiel hineingelegt. Als ich nun beim Eintritt in mein Zimmer auch noch einen lieben, ernsten Brief Duglores fand, bemächtigte sich meiner eine Zerknirschung wie Kains, da er Abel erschlagen hatte; mir war, mein Vater und die toten Selmatter alle ständen gegen mich auf, um den Leichtsinnigen mit ihren Fäusten zu erschlagen. Ich wußte mir nicht anders aus der furchtbaren Stimmung zu helfen, als daß ich einen glühenden, stürmischen Liebesbrief an Duglore schrieb.
Er fand eine selige Erwiderung. »O Jost, wie danke ich dir,« kamen ihre Zeilen, »mit deinem letzten Brief hast du einer armen gequälten Seele den Frieden zurückgegeben. Hinterdrein darf ich es dir ja gestehen. Die Flüchtigkeit und Kühle deiner Briefe hat mich oft gemartert und gekreuzigt. Ewig danke ich dir, Jost, für deinen letzten und will nicht mehr klagen und ungeduldig sein und dir vielleicht auch noch schwere Stunden bereiten; in Liebe und Treue will ich still harren, was du in Liebe und Treue beschließest. Ich habe es in den schwersten Tagen immer gedacht und denke es fest und freudig: Mein Jost wird schon den Weg finden und mich führen!«
Der Brief erschütterte mich, schroff sagte ich mich von Leglu los, ging dafür dann und wann mit jenem braven, treuherzigen Rungholt, den ich am Hafen kennen gelernt hatte, und das Ende des schwülen Nachttreibens war die innigste Rückkehr zu Duglore. Ich warf mich in die Arbeit wie noch nie. Als der Frühling wieder blühte, spürte ich eine Schnell- und Federkraft der Seele, die ich kaum zu bändigen wußte. Es war das Glück langanhaltenden willensstarken Fleißes!
»Mein lieber Herr Wildi,« nickte mir Herr Balmer zu, »Sie sind ein Mann außer der Reihe, bald eine große Nummer in meinen Berechnungen und Plänen. Halten Sie sich bereit!« Und keine Wolke deutete auf Sturm!
Da trat seltsam zwischen uns doch das Weib. – Abigail!