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Als Emanuel eines Tages von einem gewesenen Stukkateur namens Weißländer, der sich auf der Breslauer Kunstschule für das Zeichenlehrerexamen vorbereitete, laut wegen der Gegenwart des Knaben am Trinktisch getadelt wurde, sagte Quint:
»Uns ist eine kurze Frist gegeben. Die Stunden, ja die Minuten, die uns gehören, sind gezählt. Der Abschied steht vor der Tür, und ihr könnt nicht wissen, unter welchen Zeichen wir leben und um welche geheime Stunde des Tages und Jahres und zu welchem Ziel wir beide einander geschenkt worden sind. Denn wir wandern von weit her und wandern weit hin, und obgleich wir hier sind, sind wir nicht hier, noch wir bei euch noch ihr bei uns. Was ihr hier suchet, das suchen wir nicht, und was ihr hier findet, dafür sind unsere Augen blind. Die Augen der Engel heiligen, was sie betrachten. Glaubt ihr, daß er weniger als ein Engel ist?«
»Das ist furchtbarer Schwulst!« sagte Weißländer, worauf man ihn aber allgemein – der Professor voran – zur Ruhe verwies.
»Die Worte des Teufels und die Augen des Teufels«, schloß dann Quint, »sind es, die Himmel und Erde gemein machen.«
»Du bist und bleibst doch eben ein gemeines Luder, Minna«, sagte jemand laut am Nebentisch, indem er die Kellnerin, die ihm Bier brachte, mit roher Spaßhaftigkeit auf den Rücken schlug. – »Das hätten Sie besser bleiben lassen«, sagte darauf, zu dem Fremden gewendet, Dominik. Er hatte bemerkt, wie die Kellnerin halb das Bier verschüttete und nur mit Heroismus die stürzenden Tränen zurückdrängte.
Emanuels Wesen und Betragen machten in diesen Tagen durchaus den Eindruck strahlender Selbstsicherheit und Furchtlosigkeit. In seinen Gang, in seine Haltung, in seinen Blick war eine stolze Freiheit gekommen. Den Augen der Jünger erschien er beinahe gebieterisch. Zu Kurt Simon und Benjamin Glaser aber äußerte Dominik, voll überschwenglich jünglingshafter Paradoxie und Bewunderung, wie in seinen Augen dieser Tischlerssohn das geborene Genie, der geborene Fürst des Geistes, ein König und Herrscher des inneren Himmelreichs und, wie er romantisch-mystisch sich ausdrückte, mit dem Zeichen allwissenden Schmerzes an der gewölbten Stirn auf Erden der wahre Cruzifixus sei.
Nicht ohne tiefe Bewegung konnten die Jünger und Freunde Quints in jener Stunde des Abschieds bleiben, als er sich endlich entschlossen hatte, den kleinen Gustav nach Haus zu entlassen. Meister, Jünger und einige Freunde gaben dem Jungen, der seine Heimreise diesmal unter der Obhut Dibiezens zurücklegen sollte, zu Fuß bis Schmolz das Geleit. Unter den Freunden befand sich Hedwig Krause und außer Benjamin Glaser sowie Kurt Simon auch der immer von Quinten eigentlich unzertrennliche Dominik. Es war ein herrlicher Sonntagmorgen, und die vereinten Glocken der Breslauer Kirchtürme, des alten Doms, der Kirche Sankt Magdalenens und Sankt Elisabethens und vieler anderer, schickten den Wandernden ihr Geläut bis weit hinaus in die unter dem allgemeinen arbeitsamen Jubel der Lerchen frisch begrünten Felder nach.
Es wurde während des ganzen Weges durch die Jünger und auch durch die Freunde der übliche Abstand von Emanuel innegehalten. Die Freunde, und vor allem Dominik, sorgten dafür, daß die zärtliche Schwermut und Feierlichkeit, die über ihm lag, nicht etwa durch grob naives Fragen und Allgemeinverhalten der Jünger gestört wurde. Quint hatte den rechten Arm um die Schulter des Knaben gelegt, dessen rechte Hand fast stets in der seinen haltend. Der Knabe umschlang mit dem linken Arme die Hüfte seines vergotteten Bruders, er legte sein blasses und schwärmerisch blickendes Haupt an ihn an, während ihm ein harter Druck in der Kehle saß und Tränen über die Wangen herabtropften.
Ehe der kleine Gustav, auf dem Bahnhof von Schmolz, mit Dibiez in den Wagen vierter Klasse stieg, warf er sich schluchzend an Quintens Brust. Dieser sagte zu ihm: »Wenn du lebst, wirst du mir nachfolgen! wenn du lebst, wirst du die Taten des Menschensohnes tun! Du wirst niederfahren zur Hölle, sage ich dir, und wirst am dritten Tage wieder auferstehen! Ist es aber anders bestimmt im Rat, so wirst du noch früher mit mir im Paradiese sein.«
Diese Worte waren nur halblaut gesprochen, aber doch so, daß Dominik, Hedwig Krause und Martin Scharf sie vernommen hatten.
Auf dem Rückwege bildeten Freunde und Jünger meist eine andächtig lauschende Gemeinde eng um Quint. Der Schmerz des Meisters, die Schwermut des Meisters bildete eine unsichtbare Wolke der Wehmut, darin alle atmeten. Während der Wanderung sagte Quint:
»Spürt ihr nicht überall in der Natur das Wartende? Wenn ihr lauscht, wenn ihr euch vertieft, wird es euch nicht unter schmerzlichen Schauern des Glückes deutlich, wie alles dieses, was euch umgibt, wartend, nur vorläufig und nicht endgültig ist? Ist euch niemals der Wunsch gekommen, dort zu sein, wo die von euch strömenden Wellen eures Geistes – und eure Sinne sind Geist! – zu Ende sind? Hattet ihr niemals eine glühende Leidenschaft, dort, an der äußersten Grenze, anzufangen? Wer es fassen mag, fasse es!« fuhr er fort.
Dominik wagte einzufügen:
Selbsttötung sei der reale Anfang aller Philosophie, und nur dieser Akt habe alle Merkmale der transzendenten Handlung.
Ahnungslos fragten Kurt Simon und Benjamin Glaser gleichzeitig:
»Was, Dominik, wollen Sie sich denn selbst töten?«
Er wehrte ab. »Sie verstehen mich nicht!«
Quint überging diese Zwischenrede und schritt auf dem wirklichen, von Gras und Gänseblümchen gesäumten Feldwege und zugleich in die mystischen Weiten seiner Seele weiter fort.
»Überall in der Natur ist das Wartende! Oder meint ihr, daß in dem Lerchenjubel ob unseren Häuptern etwas endgültig ist? Es ist noch nicht so viel von der Wahrheit, sage ich euch, als in dem Berichte eines Boten Wahrheit ist, der den Bericht eines anderen Boten vernommen hat, der von einem weiß, über den die Rede ging, er habe der Wahrheit einen Hauch verspürt.
Wahrlich, wenn ihr nicht werdet gewiß und gläubig wie dies Kind, das mich eben verlassen hat, so bleibt ihr ferne vom Himmelreich. Wer aber einen von diesen Kleinen verachtet, dem wäre besser, man hinge ihm einen schweren Stein um den Hals und ertränkte ihn. Ihm wäre besser, sage ich euch. Oder sollte er als ein von Gott vergessener, gottloser Leichnam leben wollen? Gott ist Geist, und wo der Geist nicht ist, ist der Tod, ob auch der Körper lebendig ist. Wer aber im rechten Sinne tötet, der ist es, der im rechten Sinne lebendig macht. Wer aber im falschen Sinne lebendig macht, der übt Mord.«
Eine verräterische, fast mädchenhafte Röte ging, mit dem Ausdruck einer scheuen, versteckten Hoffnung, bei diesen Worten über Dominiks Antlitz hin.
»Ich finde«, sagte Kurt Simon, »daß in unserer heutigen Welt das Kind, der Knabe, der Jüngling unter dem Druck der Geringschätzung und der Verachtung ganz allgemein zu leiden haben.«
»Es ist so«, sagte Emanuel. »Dennoch müssen wir unsere irdische Predigt gründen auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen ist, wie die Apostel es taten, die nach mir kamen« – hier horchten Kurt Simon, Benjamin Glaser und Hedwig Krause erschrocken auf, während die übrigen von einem heiligen Schauer befallen wurden –, »die Apostel, die da ›geglaubet‹ haben, wie geschrieben steht, gleich mir selbst, ›auf Hoffnung, da nicht zu hoffen war!‹
Tausend Jahre sind vor Gott wie ein Tag«, fuhr er fort, »ein Tag, der gestern vergangen ist. Und über alles das wird ein Tag kommen, auch in diese irdische Dunkelheit. Wenn dieser Tag aber nahe ist, so werden der Menschen Söhne und der Menschen Töchter das Angesicht meines Gottes sehen: sie sollen alsdann nicht mehr bloß träumen und weissagen, denn der Geist wird sich ausgießen auf alles Fleisch, und der Geringste wie der Höchste wird alsdann Leben haben und wissend sein.
Denn es ist allein der Geist, der lebendig macht, das Fleisch ist dazu nichts nütze. Gott ist ein Geist. Harret mit allem Fleisch auf die Zukunft unseres Gottes, des Herrn! Ich sage euch aber, daß er ein Feuer in euern Söhnen und Töchtern anzünden wird, womit er sich in euern Söhnen und Töchtern wird wiedergebären, und daß fortan das Geheimnis des Reiches Gottes nicht mehr wird das Licht unter einem Scheffel sein; sondern des Menschen Sohn und des Menschen Tochter werden im Glanze ihres Tages dem Blitze gleichen und Brüdern und Schwestern des Blitzes, der vom Himmel blitzt und leuchten wird über alles, was im Himmel und unter dem Himmel ist. Harret!«
»Woran sollen wir erkennen«, fragte Schmied John, »daß der Tag des Menschensohns nicht mehr ferne ist?«
»Erkennet an mir, meine Kinder«, antwortete Quint, »daß er nahe ist. Oder wollt ihr mein Zeugnis bezweifeln? Wer sollte ein gültigeres Zeugnis ablegen als des Menschen Sohn von des Menschen Sohn? Oder als der Geist des Sohnes Gottes von dem Geiste des Vaters ablegen kann? Des Vaters Geist gibt Zeugnis meinem Geist, auf daß ich hier in der Welt von ihm zeuge. Wer aber unter euch nicht erkennt, wes Geistes Kind ich bin und daß die Worte, die ich rede, Geist sind und Leben, der ist noch ferne vom Gottesreich.«
»Wir erkennen es alle!« riefen die Jünger. Emanuel aber lächelte still und sah einen um den anderen von ihnen mit demselben gütigen, stillen Lächeln an.
»Du hast gesagt: Harret«, äußerte der immer mit starker Unruhe und mühsamer Aufmerksamkeit Quintens Rede verfolgende Krezig, der Handelsmann, »du hast gesagt: Harret! Also bist du nicht, der da kommen soll, und müssen wir eines anderen warten?«
»Ich bin der Wissende und der Sehende«, antwortete Quint. »Ihr aber seid die, die unwissend sind und nicht sehen. Deshalb sage ich euch: glaubet, dieweil ihr nicht wisset! Und wer an mich glaubet, der glaubet nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat. Deshalb, wenn ihr mich lästert, so lästert ihr des Menschen Sohn, und wahrlich, wie ich gesagt habe: liebet eure Feinde! segnet, die euch fluchen!, so will ich euch dennoch lieben und segnen! – Lästert ihr aber den Geist, so lästert ihr Gottes Sohn und macht den Satan zum Herrn über euch.«
Sie näherten sich wiederum der Stadt Breslau an. Quint wies mit der Hand in die dunkle Rauchwolke, die darüber hing. Er sagte:
»Der Satan ist der Lügner, ist der Verbrecher von Anbeginn. Er ist die Lüge und ein Vater der Lüge. Er ist das Verbrechen wider den Geist und ist der Vater des Verbrechens wider den Geist. Satanas ist der Herr der Satzungen. Satanas hat Gott und die Menschen in Kerker gesperrt. Satanas sitzt auf Petri Stuhl. Satanas hat den Schlüssel des Abgrundes als Szepter in seiner Hand und verspricht, mit ihm das Himmelreich aufzuschließen. Satanas hat die Menschen zu Teufeln und Götzen aus Holz, Stein, Erz und bemalter Leinwand zu Heiligen gemacht. Ich aber sage euch: Holz, Erz, Stein, Leinwand können den Menschen nicht heiligen, sondern es ist der Mensch allein, der sie heiligen kann. Deshalb sollt ihr zu heiligen Menschen Gottes werden.
Ihr aber seid die Tempel Gottes, Tempel, die da wandeln und erfüllt sind von Gottes Geist. Andere Tempel, Tempel aus Stein und Erz, Tempel mit Türmen, in denen erzene Glocken hängen, gibt es nicht. Gottes Mund ist nicht von Eisen, und seine Zunge ist nicht ein Glockenklöppel aus Erz. Wer hätte Gott einen eisernen Mund gemacht, und wer hätte ihm eine eiserne Zunge gegeben? Oder ist er ein klingendes Erz oder eine tönende Schelle? Nein! Gott ist der Geist! und wir wissen, daß er allein der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist der Wahrheit und der Erkenntnis und daß er der Geist der Liebe ist.
Ein Mensch mag des anderen Diener sein, aber er soll nicht Gottes Diener sein. Die da Talare tragen, von den Kanzeln predigen, Gnaden verkaufen, unwirsch zuteilen und vorschneiden und sich Diener und Knechte Gottes heißen, sind in Wahrheit Knechte und Diener von Satanas. Knechte und Diener hat nur Satanas. Gott aber kennt keine Knechte und Diener. Viel eher ist Gott ein Diener der Menschen, als daß er die Menschen zu Dienern erniedrigen möchte. Ich sage euch: Gott erhöhet die Menschen, sie wären denn gottlos, und wo jemand erniedrigt ist vor Gott, den hat allein der Teufel erniedrigt. Ich aber, der ich von den Menschen erniedrigt werde, bin erhöhet vom Vater, der sich in mir erhöhet hat.
Tretet doch in die Kirchen, wo sie mit schwieligen und verkrüppelten Seelen Totenknöchel und den Leichnam dessen anbeten, den Satan getötet hat, statt daß sie Engel und Gefäße des Geistes selber sind. Womit wollen sie Gott dienen, außer mit Gott? Was können sie Gott aus der Armut ihrer Knechtschaft darbieten? Meinen sie, daß er ein Vater von geprügelten Hunden, winselnden und gefesselten Knechten zu sein begehrt, dessen Füße mit Wollust auf ihren Nacken herumstampfen? Wahrlich, ich sehe die Zeit, wo eure Kirchen, eure Kanzeln und Richterstühle, eure Altäre, wo sie den Menschen Greuel zu essen gaben, werden unter den Boden gesunken sein, der ewig grünen wird von dem freien Wandel und unter den Füßen der Kinder Gottes.«
Man sieht, wie diesem neuen Messias die schriftliche Überlieferung der Worte des ersten, echten Messias mit eigenen Zusätzen kaleidoskopisch durcheinanderging und wie er immer die gleichen Gedanken zu neuen Gruppierungen in sich umwälzte. Freilich schien es, so, wie alle diese Worte laut wurden, daß ein Zwang, eine innere Gewalt hier wirksam war, die alles von innen, wie mit dem Hauche der ersten Schöpfung, hervorbrachte, und jedenfalls lag für die Zuhörer ein kühner und erneuernder, wenn auch weit mehr berauschender und entzückender als klärender Sinn darin.
»Was sagen Sie zu der Äußerung Quints von den Aposteln, die nach ihm gekommen sind?« fragte, als die jungen Leute später allein waren, Benjamin Glaser mit einer gewissen eigentümlichen Spannung Dominik. Dieser antwortete:
»Wenn Sie eine rationalistische Antwort suchen, so bin ich dafür nicht der rechte Mann. Dazu hat mich diese Erscheinung zu sehr verzaubert. Novalis sagt: ›Alle Bezauberung geschieht durch partielle Identifikation mit dem Bezauberten‹, und ich, der Bezauberte, bin mit diesem Zauberer identifiziert. Ich verstehe, ich kenne, ich fühle ihn allenthalben. Er hat mich gezwungen, jede Sache so zu sehen, zu glauben, zu fühlen, wie er will. Und hat er nicht über alle seine Begleiter, Sie und Herrn Simon ausgenommen, eine ähnliche Macht wie über mich?
Ich will Ihnen einen kurzen Dialog, wiederum von Novalis, sagen, der Ihnen statt aller Antwort auf Ihre Frage dienen soll. Ich glaube, ein Leben ohne Magie kann nur von oberflächlichen Denkern gedacht werden. Ich bin gewiß nicht erst vor achtzehn Jahren, durch den Zufall meiner Geburt, in das Universum hineingeraten.«
Dominik schloß: »So lautet das Zwiegespräch:
›Wer hat dir von mir gesagt?‹ fragte der Pilgrim. – ›Unsere Mutter.‹ – ›Wer ist deine Mutter?‹ – ›Die Mutter Gottes.‹ – ›Seit wann bist du hier?‹ – ›Seitdem ich aus dem Grabe gekommen bin.‹ – ›Warst du schon einmal gestorben?‹ – ›Wie könnt' ich denn leben?‹«
Glaser fragte: »So glauben Sie also an die ewige Wiederkunft?«
»Ich wüßte nicht, was es mehr für sich hätte, nicht daran zu glauben. Ist es weniger ein Wunder, daß ich zum ersten Male geboren bin? Und sehen wir nicht, wie in unserem engen Bereich sich alles unerschöpflich erneuert? Und gibt es außerhalb dieses engen Bereichs, das unser schwaches Bewußtsein beleuchtet, nicht das Bereich der Ewigkeit und der Unendlichkeit?«
Inzwischen war die Polizei auf das Treiben im Grünen Baum aufmerksam geworden und hatte mehrere Schutzleute abgeordnet, die bei den Nachbarn und auch geradezu bei dem Wirt Informationen, wie man es nennt, einziehen sollten. Der Wirt und Schlächtermeister begünstigte Quint, weil in seinem Laden, seit er im Hause war, mehr rohe Beefsteaks und Würste aus Pferdefleisch und in seiner Gaststube mehr Bier und andere Getränke verkauft wurden. Er traktierte den Schutzmann, der in einem guten Verhältnis zu ihm stand, und gab die Versicherung, man habe es in Quint und seinen Anhängern mit harmlosen Muckern zu tun, Betbrüdern, von denen gewiß nichts zu fürchten war.
Therese Katzmarek und Martha Schubert hatten Emanuels Spur entdeckt, waren ihm nachgefolgt und hatten in nahegelegenen Fabriken Arbeit gefunden. Natürlich benutzten sie jede Gelegenheit, um in der Nähe ihres Abgotts zu sein. Der Wirt erklärte, die Weibsvölker kämen nur meist gegen Abend zur Betstunde, und wirklich hielten die Jünger Quints täglich mehrmals, auch hier, in einem hinteren Zimmer des Gasthauses Betstunde ab. In diesen Versammlungen, denen Emanuel selbst nicht beiwohnte, ging es nach dem Zeugnis des Wirtes überaus ordentlich und gesittet zu. Er machte zum Lobe dieser Zusammenkünfte geltend, daß eines Abends ein großer Stein von Sozialdemokraten, die aus einer Versammlung gekommen wären, durch die Scheiben in das Zimmer geworfen worden sei, weil der Gesang eines Kirchenliedes sie empört habe. Der Freund und Schutzmann bewies indessen, bei allem Hunger und Durst, den er entwickelte, im Ausfragen eine gewisse Zähigkeit und wollte nicht nur über Dominik, sondern auch über Hedwig Krause, Benjamin Glaser und Kurt Simon sowie über alle andren Besucher Bescheid wissen. So wagte der Wirt ihm nicht zu verschweigen, wie auch der Agitator Kurowski eines Tages unter diesen Besuchern gewesen war.
Was die Leute, die Quint noch immer täglich heimsuchten, eigentlich von ihm wollten, wußten der Wirt und die Frau des Wirtes nicht. Sie hatte gelauscht, natürlich nur zufällig, weil ihre Plättkammer neben dem Zimmerchen Quints gelegen war, und konnte versichern, irgend etwas Ungehöriges wäre jedenfalls niemals vorgekommen, auch dann nicht, wenn schlechte Weibsbilder von der Straße ihn besucht hätten. Es seien auch solche Mädchen gekommen, denen man wohl hätte anmerken können, daß sie Freuden entgegensahen und in der Verzweiflung Hilfe von ihm zu erlangen gehofft hätten. Aber er habe auch hier weder jemals ein Medikament verabreicht noch etwas Verdächtiges getan. So sei denn auch die eine etwa durch seine Worte getröstet, die andere enttäuscht davongegangen.