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Von seinem Glück brachte er den besten Teil zu Frau Beatrice in das Haus, aus dem er einst als dummer Junge geflohen war. Sicher und frei ging er jetzt durch die Kastanienallee, deren Astwerk weiße Schneepelze trug. Eine neue Helligkeit lag über allen Dingen, als hätte der harsche Wind alle Unordnung weggeblasen.
Wieder flatterten Krähen auf und zogen krächzend von Baum zu Baum. Aber Karl Maria hatte nimmermehr Lust, mit ihnen den Wettflug zu tun. Er schritt jetzt in seinen eigenen Schuhen, die er auf seiner Wanderschaft endlich ausgetreten hatte, wie es sich gehörte.
Freundlich empfing ihn die Trix, als hätte sie schon lange auf ihn gewartet.
Wie Feiertag war es über den zwei Menschen. Nur du und ich.
Dann frühstückten sie an einem schwerfälligen Tisch, einer französischen Arbeit aus dem sechzehnten Jahrhundert, den Graf Achaz auf einer seiner Sammlerfahrten erworben hatte. Die Platte trugen goldene Greife, die auf dem Rücken von vier goldenen Schildkröten ruhten, daß die schwere, starre Masse doch gleichsam in Bewegung schien.
Beatrice wunderte sich, wie geschickt Karl Maria sich in diesen selbstverständlichen Reichtum fand, wie fein und beweglich er seine Finger gebrauchte und niemals Anstoß gab. Mit vergnügten Augen goß sie den Tee in die chinesischen Schalen und ließ ihre weißen Hände vor Karl Maria auf und ab wandern, bis er sie plötzlich festhielt und küßte.
Da runzelte sie die Brauen und sagte kurz: »Du bist noch immer das alte Dummerl.«
Und flugs ließ sie den kleinen Achaz aufmarschieren, so recht ihr winziges Ebenbild. Zuerst zog er ein grämliches Gesicht, als er den fremden Onkel erblickte, dann aber schlug er die Händchen ineinander und krähte sein herzdummes: »Dada! Mama!«
Schließlich ward er auf den Teppich gesetzt, kroch dort umher, legte den Schildkröten Zaum und Zügel an und spielte Pferdchen.
Zwischen Lachen und Befangenheit brachte Karl Maria das Gespräch auf seine Musik, und Frau Beatrice tat eifrig mit, als gälte es, jetzt nur schnell eine Mauer zu bauen vor Worten, die besser ungesagt blieben.
Er kam auf seinen Mozart, den er als Befreier aus aller Enge des Lebens pries, das bis dahin in Deutschland hinter umzinnten Wällen saß und nur in den Herzen der braven Organisten und Schulmeister verschämten Feiertag hielt.
»Wolfgang Amadeus hat uns die neue Sicherheit gelehrt, nach dem schweren Ernst und der kirchenfrohen Heiterkeit Johann Sebastian Bachs, er hat uns allen die Schwärmerei nach einem frischen Glück geschenkt, das auch der Ärmste haben darf. Drum liebe ich ihn vor andern, beweglich und wahrhaftig, wie er ist.«
Da fand Blick zu Blick, und darin war die ganze Heimlichkeit wie die goldene Ernte dieses Sommers aufgespeichert.
Ein Schweigen kam jetzt.
Beide sahen in dieses willkommene und doch bedenkliche Wunder und scheuten das nächste Wort.
Da holte Trix den zappelnden Achaz von seinem Vergnügen und setzte den unwillig krähenden Bengel mitten auf den Tisch.
»Das ist der Onkel Karl Maria, der dir jetzt auf der Geige vorspielen soll.«
Aber der Kleine stieß mit den Fäusten den Onkel fort, der sich unbeholfen über ihn beugte.
»Garstiger Bub!« zürnte die Mutter und küßte das Kerlchen.
Und Karl Maria, der froh war, eine Ablenkung aus dieser Verwirrung zu haben, tat geschäftig dasselbe. So irrten ihre Küsse über das Achazlein, hierhin und dorthin, bis der Knirps mit einer raschen Wendung auf den Bauch rollte und sich so diesen unerwünschten Liebkosungen entzog.
Sie wollten weiter küssen und taten es auch. Aber da Achaz nicht mehr zwischen ihnen lag, gingen ihre Küsse ins Leere und trafen sich endlich. Mit roten Köpfen hielten sie ein. Der liebe Gott hätte es nicht besser machen können, so artig war das Ganze angestellt.
»Das nächstemal bringst du bestimmt die Geige mit,« entschied Frau Beatrice und strich das wellige Haar zurück. Das Achazlein blickte mißbilligend auf das jetzt schweigsame Paar und rollte, um etwas Bewegung in die plötzlich langweilige Welt zu bringen, zwei chinesische Teetassen über den Tischrand.
So schied Karl Maria anders, als er gekommen war. Anders schien ihm auch jetzt der »Blaue Herrgott«, armselig das Treiben der lieben Menschen, die Fragen Johann Sebastians tat er kurz ab, und schon am nächsten Morgen wurde ihm die so lieb gewordene Arbeit mit den kleinen Buben und Mädchen, die der Musik dienen wollten, zur lästigen Pflicht.
Gundl Williguth kam der Wahrheit, wie diese Veränderung zu deuten sei, ziemlich nahe. Aber sie schwieg, als hätte sie nun kein Recht mehr auf die frühere Vertraulichkeit.
Und es wurde immer ärger. Nichts, was aus diesem Hause kam, mundete Karl Maria mehr, was sie sagten, klang so plump, weil es stets dasselbe war. Sein Kopf stieß hier überall an die Decke. Er guckte wieder zum Himmel empor, ob dort noch die Wildgänse zogen. Und nach langer Zeit sehnte er sich wieder, mit Andreas Katzenkopf die hungernde und dürstende Freiheit zu teilen. Böse Nächte kamen, da zorniges Weh den Schlaf nahm und das Gehirn qualvolle Arbeit tat. Er gab verkehrte Antworten, wenn der Tag sein Recht verlangte, und wurde lässig, wenn er im Orchester die Geige strich.
Wie ein Kind, das justament sein Spielzeug haben will und unruhig zwischen Heute und Morgen lebt.
Und dann lief er doch wieder mit seiner Geige in das weiße Haus, weil er einfach mußte. Diesmal aber schob er die Musik sogleich wie einen Schild vor sich hin. Und Frau Beatrice war froh, daß es nicht anders kam.
Klein-Achaz spielte auf dem Teppich. Konnten sich die beiden nicht länger fassen, mußte der Knirps herhalten zu allerlei Liebkosungen.
Und dann gab Karl Maria wie ein Geschenk das Geheimnis seiner Violinsonate, zögernd und langsam, um nicht alles schenken zu müssen.
Sie probten zusammen. Mit heißen Köpfen trieben sie dieses Spiel, er mit der Geige, sie am Klavier.
Gerade brummte der Baß des Wassermanns wider das Schwirren der Geige, da kam der alte Graf dazu, nickte vergnügt und saß ganz still in der Ecke, bis die Musik schwieg. Er lobte die Melodik, fand einiges auszusetzen und bewegte unbehaglich den Kopf.
Dann ging er, die Hände auf dem Rücken, im Halbdunkel auf und ab und ließ hie und da einen scharfen Pfiff hören. Irgend etwas stimmte da nicht.
Plötzlich legte er die Zigarre ab und knurrte: »Wo ist eigentlich der Dionys?«
»Ich weiß nicht, Großpapa.«
Herr Achaz mißhandelte seinen Schnurrbart und steckte seine sonstige Freude an der Musik verdrossen in die Tasche. Später ging er mit Karl Maria ein Stück durch den Fontänengarten. Als der Geiger sich verabschiedet hatte, blickte Achaz ihm unzufrieden nach, schob den Zylinder aus der Stirn und brummte: »Mir scheint, Alter, da hast du eine Rieseneselei vollbracht.«
In dieser Nacht mußte Jacopo Rossi wieder nasse Binden um das Haupt seines Gebieters schlingen, obschon keine Weingeister dazu Anlaß gaben. Am nächsten Morgen hatte der alle Herr eine scharfe Unterredung mit dem blonden Dionys, daß auch dieser die Miselsucht bekam und wider seine Gewohnheit grob und derb durch Haus und Leben fuhr und schließlich bei der Miriam Italiener in Sack und Asche endete.
Herr Achaz blieb mürrisch und ohne sein Gleichgewicht, zankte mit seinen Kapellmeistern und sogar mit dem Kammerdiener und Leibmusikus Rossi, bis dieser eines Abends, als der Graf ohrenzerreißend auf der Geige kratzte, sein Cello absetzte und den überlangen Schnurrbart kunstfertig in Spiralen drehte, daß rechts und links von dem verfallenen Mund ein schwarzes Kränzlein lag. Seufzend sagte er dann: »Ach ja, die Kinder.«
Graf Achaz griff freudig zu, als sein Vertrauter ihm die Brücke warf, und gab dem Söhnlein Dionys üble Worte.
»Die arme Gräfin!« bedauerte der Famulus.
Achaz lauerte eine Zeitlang und klopfte dann mit dem Bogen auf das Notenpult. »Geigen wir weiter!«
Nicht lange dauerte es, da hatte der alte Herr etwas auf dem Herzen: »Schämen sollten wir zwei uns, der Tredenius trifft das viel besser.«
Jacopo Rossi nickte und schloß schlau die blinzelnden Augen. Er ließ seinen Herrn gerne wie ein Fischlein auf dem Sande zappeln. Achaz grübelte seinen Gedanken zu Ende: »Soll der Tredenius ewig im Orchester sitzen?«
Als keine Antwort kam, geriet er in zornigen Eifer: »Ach was, man muß etwas für ihn tun. Weißt du, Alter, ich habe den Karl Maria als kleinen Buben gekannt. War kein leichtes Leben, das er da hatte.«
Der Kapellmeister aus Turin öffnete jetzt die Augen und schlug mit den Wimpern, den fröhlichen Spott nicht merken zu lassen.
»Hm, ihm fehlt allerdings noch der letzte Schliff.«
»Ja, so meine ich es auch.«
Rossi faßte nach dem Schnurrbart und rollte die Spiralen wieder auf zum Zeichen, daß er mit seiner Weisheit im reinen war.
»Hans Geßner,« sagte er langsam.
Wie eine Stahlfeder schoß der kleine Graf hoch. »Donnerwetter, ins Schwarze getroffen. Es gilt: Der Tredenius soll sein Schüler werden.«
Schmunzelnd gab er dem klugen Berater die Hand: »Brav, alter Mensch!«
Gleich darauf aber rief er: »Jetzt an die Geigen!« Und kratzte seelenvergnügt den Gesang des Cellos nieder.