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Hie und da kam die Miriam, ließ sich von Karl Maria vorspielen, zog die dunkelblonden Brauen gar splitterrichterisch hoch und erlaubte sich oft einen scharfen Tadel, zum Entsetzen der Gundl, die den Vetter rückhaltlos bewunderte. Karl Maria ward allemal ganz blaß, kniff den Mund schmal und scharf und übte dann tief in die Nacht hinein, bis die Passage glatt über die Saiten lief. Kam dann die Miriam wieder, holte er sich stolz ihren Beifall und lächelte glücklich.
Gundl aber haßte die Miriam. Kalt und hochmütig war die, wußte alles besser, und ihr spöttisches Lächeln verdarb mit Vorliebe irgendeine behagliche Stimmung, die die arme Gundl mühsam herbeigezaubert hatte. Außerdem war eine Ballettänzerin bestimmt kein passender Umgang für Karl Maria, mochte sie zehnmal die Prinzessin spielen und eine Stimme haben wie eine Nachtigall. Gundl war auf einmal sehr sittenstreng. Karl Maria freilich bewunderte die Miriam, daß man wirklich rot vor Zorn werden konnte. Natürlich nur deshalb, weil Karl Maria so blind war.
»Die hat alles, was mir fehlt.«
Und er starrte vor sich hin.
»Was hat sie denn Besonderes?«, fragte dann wohl ein wenig spitz das blonde Mädel aus dem »Blauen Herrgott« und wiegte sich in ihrer jungen Schönheit fast kokett hin und her.
»Die rennt blind an allem vorüber, wenn es ihr Ziel gilt. Und ich kann das nicht.«
»Da bist du doch reicher als sie, Karl Maria.«
»Nein.«
Und er schüttelte heftig den Kopf. Der Ehrgeiz brannte wieder in seinen Augen, und er lief mit dem Schicksal um die Wette, all das in wenigen Monaten nachzuholen, was er seit Jahren im »Blauen Herrgott« versäumt hatte. Klar und kalt stellte er seine Arbeit in die einst so müßigen Tage. Immer seltener wurden die Spaziergänge mit der Gundl. Und kam er einmal wieder ins Birkenwäldchen, und sie wies ihm die alten Plätze und kramte heimliche Erinnerungen aus, brummte er unwirsch: »Ach was, das ist alles Unsinn.«
Da schwieg sie erschrocken.
Aber wenn es galt, mit Miriam die Gartenwege auf und ab zu schlendern, hatte Karl Maria immer Zeit und Lust. Zierlich geputzt war sie auch heute wieder in den »Blauen Herrgott« gekommen und hatte ihn hinausgelockt. Vor all diesen gutmütigen, plumpen Menschen mit den neugierigen Augen könne man nicht vernünftig plaudern, erklärte sie schnippisch.
Erst erzählte sie allerhand Lustiges vom Ballett, dann kamen ihre Studien und das Konzertprogramm an die Reihe.
Plötzlich nahm sie einen kleinen Anlauf und sagte ganz ruhig: »Deine Schwester läßt dich grüßen.«
Da starrte Karl Maria sie an. Ein heißes Erschrecken, das fast Freude war, fuhr über ihn hin.
»Die Martha!« sagte er endlich ganz leise.
»Du weißt wohl gar nicht, daß sie längst geheiratet hat? Sehr fein, den Sohn von einem Minister. Kirchweger heißt er.«
Er ging wie im Traum. In leisem Plätschern rann das Plaudern der Miriam.
»Aber Geld hat er keines. Und seine Leute wollen von der Martha nichts wissen. Weißt du, unser Jacques meint, der Jacques verkehrt eben in sehr feinen Kreisen, wie's dort zugeht, das müsse ein schlimmes Ende nehmen. Er hat schändlich viel Geld dort verloren, weil so hoch gespielt wird. Wenn da mal die Polizei was merkt! Und die Martha hat jetzt rotes Haar und enorme Toiletten, und immer steht ein Wagen vor der Tür. Sie ist noch viel schöner als früher. Und ihr Silber hat sie bei uns im Geschäft, Vater hat es belehnt, – – da kommt sie immer und leiht es, wenn sie große Gesellschaft gibt. Gestern war sie wieder da, da habe ich ihr von unserem Konzert erzählt.«
Er blieb hartnäckig stumm.
»Du, Karl Maria!«
»Ja?«
»Vater hat mir verboten, es dir zu erzählen. – Aber Martha hat ganz recht. Wenn du schon längst ein berühmter Geiger wärest, hätte sie es viel leichter. Weil deine Mutter damals mit dir fortgelaufen ist, wollte man die Martha nirgends mehr empfangen.
Und vorher war sie doch überall mit dir. – – Vater sagt zwar, aus der wäre nie etwas Ordentliches geworden, aber das versteht er natürlich nicht.«
Als schwere Last sank das alles auf Karl Maria. Wie hilfesuchend murmelte er: »Du mußt heute abend hier bleiben, Miriam. Bitte! Was soll ich nur tun? Aber sage nur Mutter nichts davon! – – –«
Nach einer Weile fragte er stockend: »Du meinst also, Miriam, daß die Martha – –?«
Er brach kurz ab. Wie in einem Blitzlicht sah er die Tanten der Trix. Und die kecke Miriam, deren Frühreife alles Schlimme und Schlechte erriet, streichelte in überlegenem Mitleid Karl Marias Hand.
Dann saßen sie wieder mitten unter den fröhlichen Williguth bei Tisch, und Miriam sah den dicken siebzehnjährigen Philipp Emanuel, der Medizin studieren wollte, so schmachtend an, daß Vater Johann Sebastian sich vor Lachen den Bauch hielt und der unglückliche Junge aus Verlegenheit fast unter den Tisch kroch. Dann gab sie Frau »Affi« ein sorgfältig auswendig gelerntes Kochrezept von Mutter Charlotte zum Besten, die Herstellung einer geradezu monumentalen Mohntorte mit Honig, Rosinen und süßem Zitronat, daß den Williguth das Wasser im Munde zusammenlief und Frau »Affi« gerührt nach Papier und Bleistift knarrte.
»Sing uns etwas, Miriam,« bat Karl Maria plötzlich. Er hatte Sehnsucht nach ihrer jungen, reinen Stimme.
Gefällig setzte sich Frau Lisbeth ans Klavier.
»Also: ›Der Rote Sarafan‹. Ein dummes Kinderlied fürs Konzert. Der schreckliche Lewis möchte mich am liebsten mit einem Baumelzopf aufs Podium stellen.«
Ein Wechselgesang für zwei Stimmen war es, hell und dunkel, bergauf und bergab. Als junges Ding begann die Miriam und endete als altes Mütterlein.
»Nähe nicht, lieb Mütterlein, den roten Sarafan,
Lasse nur die Arbeit sein, die nichts nützen kann.«
Dann huschelte sie sich zusammen, wie ein altes Weiblein, das traurig in die Abendsonne blickt, ward ganz klein und müde und klagte:
»Tochter, liebe Tochter, komm, setz' dich her zu mir,
Ewig bleibt die Jugend nicht mein Kindlein dir;
Wenn du luftig singest wie ein Vögelein,
Um die Bäume springest, ewig kann's nicht sein.«
Und ganz leise, wie der Abendwind über die Steppe schleicht, hauchte das Liedlein aus:
»Zur Erinn'rung näh' ich wieder roten Sarafan.«
Die Stimme der Miriam flog auf und ab, klar und rund jeder Ton, wie Perlen, die über Samt rollen.
Da lief Karl Maria auf sie zu und sagte feierlich: »Ich bin ein armer Teufel gegen dich.«
Er neigte den Kopf. Miriam aber lächelte stolz und holte tief Atem. In ihren Augen war ein zuversichtlicher Glanz.
Bekümmert und klein saß Gundl in ihrer Fensternische. Da hörte sie, wie Karl Maria halblaut sagte: »Wenn dich ein dummes Ding hört, das selbst singen will, muß es ja verzweifeln.«
Und ein grausamer Blick, der die eigene Bedrücktheit in fremdem Leid wettmachen wollte, streifte Kundry. Er wollte ihr wehetun, weil er an die schöne Martha Tredenius von einst dachte und Gundls harmlose, wohlbehütete Rundlichkeit in diesem Augenblick haßte. Bei der war's kein Verdienst, daß sie ordentlich blieb.
Da zerriß etwas in Gundls armer Seele, daß sie sich plötzlich gegen diese Demütigung wandte. Sie sprang auf Karl Maria los, gab ihm einen Stoß vor die Brust und schrie in ihrer hilflosen Wut: »Pfui, schämen sollst du dich!«
Und sie stürzte aus dem Zimmer.
Ihr nach klang das helle Lachen der Miriam Italiener.
Dann begleitete Karl Maria die Miriam und schritt mit ihr durch die warme Sommernacht. Er tat ihr Geplauder kurz ab und hielt den Blick geradeaus, wie nach einem hartnäckigen Ziel. Ein Wispern und Lispeln war ringsum. Paar nach Paar schlich vorbei, und an jeder dunklen Ecke seufzte Miriam ein wenig und wartete auf einen Kuß. Plötzlich fragte Karl Maria: »Sag', kann man wirklich durch die Geige rasch reich werden?«
»Ach, laß das blöde Zeug,« murrte sie.
Und jetzt die Frage: »Wo wohnt die Martha?«
»In eurer alten Wohnung. Da ist's billiger und – unauffälliger.«
»Komm!«
Und er zog sie vorwärts.
Nun war er in der alten Gasse. Still stand er und schaute. Ein Wagen fuhr vorüber und hielt vor dem Hause. Da rollte ein elegantes Coupé heran. Und dann ein zweites.
»Jetzt kommen sie«, sagte die Miriam und machte große Augen.
»Wer?« fragte er scharf.
Da schwieg sie schnell.
Karl Maria sah nach den verhängten erleuchteten Fenstern. Langsam ging er über die Straße, Schritt um Schritt. Jetzt schob sich oben ein Vorhang zur Seite. Ein Fenster klang, ein dicker Herr beugte sich heraus und sprach dann ins Zimmer zurück. Der Vater!
Karl Maria hob die Hand vor die Augen, als blendete ihn zu grelles Licht. Ganz wie bei den Tanten der Trix. Ekel und Zorn kämpften in ihm. Zwei Herren strichen vorüber und traten lachend ins Tor.
»Geh nicht hinein!« warnte die Miriam.
Aber er hörte sie nicht. Schnell trat er zurück. Und im Schatten sprach er wie einen trotzigen Schwur in die Nacht: »Ich muß berühmt werden. Ich muß Geld verdienen, viel Geld, damit ich ihnen allen die Schande abkaufen kann.«
Und stand im Dunkel, wie einer, der eine schwere Last auf sich nimmt.
Entschlossen bürdete er sich an diesem Abend noch eine kleine Last zu der großen auf. Mutter sollte einmal im Leben eine echte Freude haben. Wie ein trotziges Gutmachen von viel altem Weh sollte es sein. Als er heimkam, bat er: »Mutter, du sollst mich im Konzert begleiten.« In scheuer Freude wich Frau Lisbeth zurück und lächelte selig und zaghaft: »Das werde ich gar nicht können, Karl Maria!«
»Ach, Mutter, du mußt einfach.«
So leicht und froh klang es, daß Frau Lisbeth niemals ahnte, wie schwer es ihrem Jungen fiel, auf den begabten jungen Pianisten, der auch Miriams Lieder begleiten sollte, zu verzichten.
So begann er, seine Schuld abzutragen. Nun kam die harte Pflicht, die nicht nach Träumen fragte.