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Karl Maria sprang in den sonnigen Morgen, voll Dankbarkeit über das genossene Glück. Als er an Goethes Gartenhaus vorüberkam, blickte er andächtig hinüber, als wüßte er erst heute um das tiefste Geheimnis des großen Alten, um den ganzen Reichtum dieser Welt. Sein Knabensinn fragte nicht nach dem Morgen, er trug das leuchtende Heute vor sich her und freute sich über jeden Tautropfen, der an einem Grashalm glänzte, über das Farbenspiel, das die Sonne auf den nassen Blättern trieb. Und doch fühlte er eine leise Scheu, als sei diese Nacht reicher an Schönheit gewesen als der lachende Tag.

Jetzt hatte Karl Maria ein sicheres Lachen, wie es nur die Sieger kennen, und etwas wurde wach, das bisher oft recht tief im Schlafe gelegen, die Tatkraft, die ihr Leben auf eigenem Grund umzirkelt. Als beste Blüte zeitigte also diese Liebe die Lust zur Arbeit. Da spürte er bald, wie bruchstückweise und fahrig sein Können noch war, weil er im Leichtsinn meist über irgendein Hindernis kurzerhand hinweggesprungen war, statt durch saure Plage der Schwierigkeiten wirklich Herr zu werden. Und er wußte jetzt, daß der alte Herrgott auch seinen Lieblingskindern vor das Gelingen den Schweiß gesetzt habe.

Andreas Katzenkopf aber nahm diese Wesensänderung seines Schülers als persönliche Kränkung und sparte nicht mit stacheligen Worten. Als Karl Maria sogar den geliebten Mozart mit neuen Augen ansah und den einfachen Ernst herausholte, der in den scheinbar so leichtflüssigen Rhythmen sich birgt, polterte der Alte voll Zorn: »Ziehe nur fleißig Spinnweben um den lustigen Salzburger!«

Karl Maria schwieg und hatte eine plötzliche Dankbarkeit für den strengen Oheim im »Blauen Herrgott«, der ihm Ohr und Hand in musikalischer Zucht gehalten hatte, so daß er jetzt den Schlüssel besaß, geheime Schätze aus den krausen Noten zu holen.

Es wechselten also arbeitfrohe Tage mit verküßten Nächten, bis Herr Andreas dem Jungen auf die rechte Spur kam. Da gab es einen heftigen Zusammenprall, weil ja das Alter die Jugend stets schulmeistern will. Mit behutsamem Vorwurf hob es an.

»Samstag gehen wir nach Eisenach, Karl Maria, und ich hoffe, daß du dort wieder der alte fröhliche Kerl wirst und die Leute nicht mit Kirchenmusik und Sätzen aus den strengen Meistern langweilst, wie es dir in den letzten zwei Wochen beliebt hat.«

Der Junge schüttelte den Kopf: »Ich kann nicht mit.«

»Was heißt das?«

»Du mußt allein ziehen, Andreas.«

»Und alles um ein Weib?«

Karl Maria duckte sich, als schwänge Meister Williguth den Rohrstock wider frechen Ungehorsam. Der alte Mann rieb etwas Feuchtes aus den Augen, aber sogleich packte ihn wieder der Zorn: »Pfui Teufel! Ein ausgepichter Lügner bist du, hast Heimlichkeiten vor dem alten Katzenkopf.«

Das schuldbewußte Schweigen und der bittende Blick mäßigten den Groll, daß der Alte nun leise fragte: »Habe ich's nicht redlich gut mit dir gemeint?«

Dankbar glänzten ihm Karl Marias Augen entgegen. Und jetzt riß es ihm das Bekenntnis von den Lippen: »Das Mädel ist mir nicht gerade nur so in den Weg gelaufen. Wir beide sind zusammen Kinder gewesen.« Mit einem ganz leisen Lächeln schaute er dem Alten ins Gesicht: »Ich bin so glücklich.«

Andreas Katzenkopf mummelte verdrossen und ließ die Finger widereinander knacken, als hätte er dieses sogenannte Glück dazwischen und wollte ihm Übles tun.

Hell und stolz stand der Junge vor diesem eigensinnigen Grimm: »Küssen sollte ich lernen. Das war deine Predigt. Jetzt kann ich es, und nun ist es dir wieder nicht recht.«

Er lachte leichtsinnig und schlenkerte mit den Armen.

Katzenkopf schnaufte ungeduldig und spielte die letzte Karte aus: »Und deine Geige?«

Ein Schatten ging über Karl Marias Gesicht, gleich aber war es wieder blank: »Sorge dich nicht! der bleibe ich treu. Aber gerade ihrethalben darf ich nicht länger mit euch ziehen. Durch das dumme Walzerfiedeln bin ich schon ganz verlottert. Die Miriam sagt es auch. Nun muß ich arbeiten und stillhalten, bis es Zeit ist.«

»Lüge doch nicht, Karl Maria! Du willst dein Mädel küssen.«

Trotzig kam die Antwort: »Einmal läuft jeder Bub aus der Schule, dem Onkel Williguth zuerst und jetzt dir.« Er kreuzte die Arme über der Brust, wie einer, der endlich ein Ziel vor sich hat.

Da wurde Katzenkopfs Zorn klein und verzagt: »Muß also ich alter Kerl wieder allein hinaus?«

Seine Augen begannen zu flackern: »Den neun Chören der Engel bin ich entwischt, und nun soll ich von neuem festhaken? Schier jung spüre ich meine Knochen, die Sonne scheint hell, und Geld trage ich im Beutel. Wenn du dich schon einem Frauenzimmer an den Rocksaum hängst, der Katzenkopf bleibt ein freier Musikant.«

Mit leidenschaftlichen Armen wies er in den sonnenfrohen Maitag: »Denk an die wilden Gänse, die in die Ferne ziehen!«

So lockte er wie ein alter Zauberer.

»Ich kann dich nicht halten, Karl Maria Tredenius. Was sollte auch ich alter Kerl wider ein junges Weib?«

Er blickte kummervoll und stützte den Kopf auf die geballten Fäuste. So sprach er langsam, Wort nach Wort.

»Als ich dich zum erstenmal sah, sagte ich dir: ›Auch ich war ein Wunderkind.‹ Das stimmt, mein Junge. Weißt du aber auch, warum nichts aus mir wurde als ein alter Taugenichts?«

Es war ganz still in dem kleinen Zimmer. Nur die Sonne zeichnete Kringel auf den weißen Bretterboden. Andreas Katzenkopf setzte den Fuß hart auf das flimmernde Gold.

»Ich war so alt wie du und schon ein halbwegs berühmter Pianist. Da kam ›Sie‹, auch so ein ›Schicksal‹. Sängerin war sie natürlich auch, hell und jung, und ich verliebte mich über meine Eselsohren und lief mit ihr als Sklave und Korrepetitor. Wir wanderten durch die ganze Welt, aber ich blieb im Schatten. Ihre Eifersucht duldete es nicht anders, und meine Liebe machte mich zum Narren, daß ich zu allem schwieg, was sie mir tat. Dafür war ich so glücklich, na, so wie du, bis sie mir den Laufpaß gab, einen schottischen Lord heiratete und Fett ansetzte. Mit mir aber war es aus.«

Er lächelte leise und traurig und nickte Karl Maria zu.

Der aber legte dem Alten die Hand auf die Schulter und blickte ihn nachdenklich an.

»Danke, Onkel Andreas,« sagte er schlicht.

»Bist du deiner so sicher?« fragte Andreas Katzenkopf.

»Ja.«

Kopfschüttelnd stand der Alte auf, schwer zog er die Glieder, grau und verbraucht stand er in dem hellen Licht.

»So versprich mir eines, Bub! Wenn der blonde Satan dich krumm und schlecht machen will, reiß aus und auf in den ›Blauen Herrgott‹!«

Wie in großer Müdigkeit senkte er den Kopf.

»Das will ich, Andreas.«

Sie standen Hand in Hand, der Alte und der Junge. Die Glocken von Weimar summten ihr Mittaglied. Feierlich kamen sie in diese Abschiedsstille.

Der Alte lächelte jetzt, wie ein Großvater, der den Enkel ins unruhige Leben entläßt, und schlug schnell und scheu ein Kreuz auf der Stirn Karl Marias. Dann ballte er mit verbissenem Grimm die Finger zur Faust: »Du Alter von Weimar, laß mir den Buben fromm und gut.«

Und sein schmales Vogelgesicht war jetzt so hell und licht wie der Maimittag über der Stadt an der Ilm.

 


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