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Andreas Katzenkopf schüttelte die grauen Strähne aus der steilen Stirn, und in sein runzeliges Antlitz kam ein heller Glanz, als Karl Maria Tredenius zum erstenmal vor ihm die Geige strich.
»Du hast's in dir, mein Sohn. Jehovah sei gelobt, daß ich einen Menschen fand unter den glotzäugigen Fischen im Meere.«
Und er schwang seinen fleischlosen Arm wider die Köpfe der Männlein und Weiblein, die sich mühten und plagten, die Missa solemnis Beethovens zustandezubringen.
Karl Maria lächelte. War sein Onkel ein toller Wüterich, wenn er den Dirigentenstab in der Hand hatte, so war der arme Katzenkopf ein heulendes Gespenst, das Tränen vergoß und flehentlich bat, wenn etwas schief ging. Übte Johann Sebastian strenge Selbstzucht im Unterricht und beschnitt alle Ranken, war es für Meister Andreas eine wilde Freude, die Noten hinzuschmeißen, von Passage zu Passage zu stürmen, wie Märzsturm und Oktobersterben.
Und Karl Maria war der richtige Schüler für diesen Lehrer. Als er das Violinsolo von Beethovens Messe zum erstenmal wie goldenen Weihrauchnebel zum Himmel aufwirbeln ließ, gewann er den Glauben an sich selbst zurück.
Andreas Katzenkopf aber zischte mit einer Stimme, in der sich innige Andacht und grimmiger Hohn gar wunderlich mischten, in die goldhelle Feierlichkeit: »Du bist gezeichnet, Bub. Nicht umsonst habe ich dir das Kreuz der Bettler auf die Stirn gemalt an jenem Abend, als du bei den Reichen deine Seele verkauftest, wie deine schöne Schwester den Leib. Himmel und Hölle ist in deinem braunen Holz. Schau hinunter! Glaubst du, der Pfaffe trifft ins Menschenherz? Nein, tausendmal nein. Unsere Musik trägt sie empor und spinnt sie in Träume. Wir armen Musikanten sind Gottes Erzengel.«
Solche wilde Reden fielen als schlimme Saat in Karl Marias Seele und wucherten als Unkraut daraus empor. So weckte der Alte, der in dieser Knabensehnsucht seine eigene vertane Jugend wiederfand, allerlei Wünsche und brannte huschende Irrlichter an.
Da wartete Gundl Williguth freilich vergeblich auf ein liebes Wort. Scheu wich ihr Karl Maria aus, weil jetzt oft ein häßliches Verlangen über ihn Gewalt bekam, wenn das blonde Mädchen in seinen Weg lief. Er schlug die Sünde vor die Augen und saß in grübelnder Verzweiflung vor dem neuen Rauschen in seinem Blut.
Auch der gute Joseph, der allein von der Familie Italiener in den »Blauen Herrgott« zurückfand, hatte kein besseres Glück. Gotteslästerliche Reden flogen ihm entgegen, und arger Spott kränkte ihn, so grell und dick hingemalt, wie ihn nur die grünste Jugend aufbringen kann. Da suchte Joseph Trost bei Kunigunde Williguth. Karl Maria fegte zwar auch da mit seiner üblen Laune dazwischen, fing aber nur einen traurigen Blick Kundrys auf, daß er beschämt davonschlich und im Garten den Wildgänsen nachschaute, die hoch oben ihr schwarzes Dreieck zogen.
Andreas Katzenkopf nährte noch dies schwelende Feuer und trieb musikalische Schatzgräberei. So führte er Karl Maria zu dem alten Salzburger Meister Heinrich von Biber und wies ihm die feine Eigenart, die dieser deutsche Musiker des siebzehnten Jahrhunderts besitzt, die wunderhübschen Variationen desselben Motivs, manchmal sogar mehrstimmig, wie viel später bei Beethoven.
Das waren Feierstunden für das musikhungrige Jungenherz, wenn Meister Andreas sein Wissen aus- und seinen Weltgrimm einpackte.
»Merkst du, wie da noch immer die Kirchenmusik hineinklingt? Starre Brokatgewänder knistern, und darüber summen die Glocken. Salzburg und Schloß Mirabell. Ja, Bub, du solltest wandern ohne Plan und Ziel.«
»Ich will ja fort.«
Aber Andreas hörte ihn nicht, er hüpfte in gravitätisch steifer Würde durchs Zimmer, dem Schüler zu zeigen, wie heimliches Schmunzeln und schulmeisterlicher Zopf in dieser Musik ihr Wesen hatten.
Er verbeugte sich und knurrte wie ein Nußknacker: »Aller Mozart!« Dann entdeckte er in den Noten helles Lächeln und verhaltene Wärme, von Seele zu Seele. Die dürren Knöchel tanzten über die Tasten, und schier feierlich klang die eingerostete Stimme: »Das hat dann der junge Mozart fertig gemacht.«
Und er spielte lustige und schwermütige Tänze aus dem Rokoko, dann wieder groteske Weisen, als grinste der Tod zwischen Harlekin und Kolombine.
»Da ist jetzt eine Spezialitätengesellschaft, schon etwas abgetakelte Schiffe. Aber eine neue Sache, die einschlagen muß. Die gehen im Fasching auf eine Fahrt durch Deutschland und Frankreich. Und sie wollen mich als Kapellmeister haben. Aber ich kann ja nicht. Ich muß hier festsitzen. Pfui Teufel über das Alter!«
Er blickte durchs Fenster. Hoch oben strichen wilde Gänse.
»Lahm geschossen bin ich,« klagte Andreas und drückte die Nase an den Scheiben platt.
Karl Maria lächelte. Seine Lippen waren heiß und rot.
An Mozarts schlanker und beschwingter Kunst rankten seine Wünsche sich empor, wie junger Efeu sich um einen gütigen Baum tastet. Das etwas stockige Blut floß wieder hell und schnell, als der alte Andreas in des Salzburger Meisters D-moll-Quartett Karl Maria die erste Geige überwies. Da wurde alle Sehnsucht frei.
Im Allegro zitterte noch die Wehmut, wie aus kaum vernarbten Wunden, im tröstenden Andante aber flog ein Engel vom Himmel, stieg in goldenem Glanze wieder auf und trug alles Erdenweh mit sich. Dann lief das Menuett in kühnen und trotzigen Figuren, und Karl Maria sah schimmernde Tore aufspringen.
»Herrgott, ist das schön!« jubelte er und spielte sich allen Rost und Staub von der Seele. Auch den alten Kerlen tropften dicke Tränen über die Backen. Schon schwiegen die Geigen, da blickten sie sich an, der Alte und der Junge, gleiches Leuchten im Gesicht.
Katzenkopf lächelte sein und rückte dicht an Karl Maria heran: »Juckt es dich nicht in den Füßen, davonzulaufen nach Mirabell? Mir ists ganz windelweich im Herzen.«
Und er drohte in komischer Trauer den abziehenden Wildvögeln nach.
Karl Maria schwieg und sah die Trix in knisterndem Reifrock die Treppe in den Rosengarten von Schloß Mirabell niedersteigen. Wieder winkte das Wunder. Und das Herz schlug tausend Schläge auf einmal. Alles Weh war vergessen, Karl Marias Finger griffen durch die leere Luft, als wollten sie etwas Liebes herzen. Aber Frau Beatrice schwieg. Und Karl Maria war zu stolz, den ersten Schritt zu tun. Er kam ja als Geschlagener, und das tat bitter weh. Sein Trotz war stärker als seine Sehnsucht.
Vielleicht hatte nur eine übermütige Laune die Gräfin Rothenwolff ins Konzert geführt. Sie trieb als Spiel, was Karl Maria Schicksal war. So baute er Brücken in die Vergangenheit und brach sie dann zornvoll wieder ab.
Aber die Unrast in seinem Blut blieb. Manchmal trieb es ihn durch die Gassen, in denen längst der Dezembersturm fegte, dahin und dorthin, als müßte er ein Plätzchen finden, wo aller Kummer in gelassene Ruhe versank.
Alle treuen Hände im »Blauen Herrgott« langten an Karl Maria vorbei, derweil er zwischen Sturm und Starrheit schwankte. War nicht auch der junge Mozart durch die Welt gejagt, daß sein reiches Leben aufgebraucht wurde vor der Zeit?
Der alte Andreas aber frohlockte, daß seine Saat so in die Halme schoß. Er vergaß Gichtbein und Gebrechlichkeit, wurde schier jung an dem Jungen und half so ein Schicksal bereiten.