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So ward Karl Maria Johann Sebastian Williguths Schüler.

Aber ein seltsamer Unwille des Knaben verdarb schon die ersten Stunden. Williguth hatte keine geduldige Hand. Der Zorn fuhr allzuoft darein. Wenn er Wärme und Behaglichkeit geben wollte, geriet er immer in schulmeisterliches Besserwissen und dröhnende Überlegenheit, die den verwöhnten, feinnervigen Karl Maria stumm und steif in seine Ecke trieb. So tat ein wahrhaft guter Mensch nur Übles an einer Kinderseele, die er doch mit heißem Bemühen dem eitlen Teufel der Oberflächlichkeit entreißen wollte. Karl Marias Sehnsucht wanderte fort aus dem »Blauen Herrgott« in das armselige Judengärtlein zu Joseph Italiener, der so scheu und geschickt sein Wachsen gelenkt hatte.

Der alte Bibelsatz, den Johann Sebastian in seiner starren Prinzipienliebhaberei vor sich aufgestellt: »Wer sein Kind liebt, der züchtigt es,« ward an dem frühreifen Geigerknaben jammervoll zuschanden. Er marterte das Kind mit stundenlangem Klavierüben, das er für nutzbringend und heilsam hielt, mit Kontrapunkt, Generalbaß und Harmonielehre, wie er es bei seinen eigenen Kindern getan, die Turner und Zuckerbäcker geworden waren und munter ins Leben liefen. Kalt und nüchtern geriet so, was bunt und heiß sein konnte.

Und doch gab es auch unendlich schöne Stunden, wenn dem dicken Organisten alle Steckenpferde davongaloppierten und seine lebfrische Art den Schulmeister auszog wie einen alten lästigen Rock. Da flog goldiger Humor durch das alte Klosterzimmer, und Karl Maria bekam rote Backen vor Freude, wenn etwas gelang, und war bescheiden und still, wenn seine Finger, die unheimlich wuchsen und sich streckten, auf dem verhaßten Klavier, zu dem ihn Onkel Williguth zwang, falsch griffen. Und wenn Karl Maria ein anderes Mal ein Stück von Corelli, den Johann Sebastian in seiner altväterischen Liebe besonders schätzte, technisch tadellos geigte, geschah es wohl, daß der fette Lehrer sich die Ohren zuhielt und brüllte: »Wenn man auch dem Teufel sein linkes Ohr heruntergeigen kann, das allein nützt nichts. Da und da,« er deutete ergrimmt auf Kopf und Herz, »muß man's haben. Verstanden?«

Williguth konnte helle Tränen weinen, wenn sein Schüler eine warme und rührende Kantilene spielte, aber leider konnte er auch mit den Fäusten dreinschlagen, wenn der Junge über unbequeme Schwierigkeiten fingerfertig fortsprang. Und es war und blieb sein großer Schmerz, daß er den eigenwilligen Buben nicht zu seinem Großmeister Bach bekehren konnte. Zwei Monate lang paukte er ihm die D-Moll-Suite ein und erstickte ihn fast in strenger Methodik, aber es trug keine Furcht. Karl Marias leicht bewegliche Phantasie hatte die Kinderreinheit verloren, die die beste Brücke zu dem Gewaltigen aus Eisenach ist, und war doch wieder zu unreif und unsicher, um nur die Technik an sich genießen zu können.

Feierlich streng, fast nüchtern schien ihm dies einfach-stolze Werk, unfarbig und hart fand er den Klang, ermüdend und undankbar die glockenklaren Passagen. Das goldene Gleichgewicht des Meisters blieb ihm fremd, sein Ohr war nicht andächtig, noch wohltemperiert genug, sich der starken, tiefen Frömmigkeit des reines Satzes zu erfreuen noch der herzinnigen Anmut der Invention. Nur in das polyphone und Akkordspiel tauchte er gern wie in eine jubelnde Brandung.

»Du bist ein Kannibale, Karl Maria, ein Musikidiot,« stöhnte Onkel Williguth und führte sein rotes Schnupftuch über die nasse Stirn. Seufzend leitete er ihn schließlich zu Nardini, den er einen knochenlosen Dessertgeiger nannte. Und da ging Karl Maria mit. Sein frauenhaft weicher Sinn lebte sich leicht ein in diese Welt. Diese sangfrohe Lyrik, die beinahe süßlich ist, umgaukelte ihn wie wehmütige Erinnerung an die bunte Zeit, die hinter ihm lag. Sein Ton wurde licht, silbern, süß singend, daß Johann Sebastian in schier erschrockenem Staunen Augen und Ohren weit auftat.

»So, genug mit diesem geleckten Stumpfsinn,« knurrte er und schleppte sein Opfer nun zur Orgel, an die er seinen Schüler festschmiedete, tage- und wochenlang, um ihm den strengen Stil beizubringen, wie er sagte.

So stopfte er allzuviel im eifrigen Durcheinander in den jungen Kopf, daß der Knabe immer tiefer in seltsame Widersprüche geriet, in ausgelassenes, bubenhaftes Tollen mit den wilden jungen Williguth und dann mit jähem Sprung wieder in einsiedlerische Versunkenheit, daß er sogar die blonde Gundl fortscheuchte, wenn sie ihm freundlich Blumen oder einen Laubfrosch herbeitrug. Mit stummem Staunen sah er dem Wachsen seines Körpers zu, wie einem unbegreiflichen Wunder. Doch für alle diese dumpfe Unklarheit hatte Williguth kein Verständnis. Er schwamm in Wonne, daß er endlich einen hochbegabten Schüler hatte, dem er seinen ganzen Schatz hinwerfen konnte, den er mit musikalischer Kost überfüttern durfte. Frau Lisbeth sah dem Treiben glücklich zu. Ihr schien ihr Liebling jetzt endlich auf dem richtigen Wege. Blind vertraute sie ihrem Bruder.

 


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