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Während er so mit vollen Segeln auf ein glückliches Eiland zusteuerte und alles Leid wie Ballast zu rascherer Fahrt auswarf, segelte Fräulein Johanna Italiener nach Seeräuberart auf den »Erbprinz« in Weimar los. In der Hand trug sie Karl Marias Geige, die Guameri der Trix. Johannas Brauen waren finster und hochgespannt, ihre Knollennase marschierte mißvergnügt voraus, die Fäuste hielt sie griffbereit. Über die rechte Backe lief eine rote Schmarre, dort hatte die Miriam mit den Nägeln ihren Grimm eingegraben, weil ihr Licht in der letzten Nacht umsonst in das Dunkel des Parks geleuchtet hatte. Der Schmerz der Miriam war laut und zornig. Als Johanna, die in kaum versteckter Schadenfreude das Spiel durchschaute, weise Redensarten zum Trost auspackte, fuhr die Miriam wie eine gereizte Katze auf die Schwester los. Sie tobte ihre Wut an dem Rotkopf aus, der sich geduldig zausen und zerren ließ. Die Hauptsache war ja erfüllt: Miriam war ihre närrische Liebe los. Aber da Rache süß ist, ließ der »dicke Hans« am nächsten Morgen alle Kämme und Bürsten, Kleider und Schuhe kaltherzig umherliegen, zur Verzweiflung der Schwester, die gar keinen Ordnungssinn hatte und hilflos in der Verwirrung wühlte. Da wurde Miriam mürbe und beschwichtigte den schweigsamen Groll Johannas durch ein Schmuckstück, das diese Häßlichkeit wie ein Rabe schätzte. Als Schmerzensgeld waren sonst auch nicht mehr ganz neue Toiletten beliebt, die Johanna sachverständig begutachtete und dann mit Vorteil verhandelte. So war die kluge Miriam nur scheinbar der gewalttätige Herr in diesem Hause, in Wirklichkeit aber ein armer Sklave der geschäftskundigen Johanna.
Und just heute lag wieder ein herrliches Stück Geschäft in der Luft. Ein Brieflein der Gräfin Rothenwolff, seltsamerweise an Johanna Italiener gerichtet, hatte dazu Veranlassung gegeben, und da die Miriam Karl Marias Geige in Leipzig versetzt glaubte, betrachtete der Rotkopf diesen Handel als ureigenste Privatsache und leckte die dicken Lippen im Vorgeschmack des reichlichen Gewinnes.
Geduldig wartete sie deshalb im »Erbprinz«, bis das Kammermädchen sie in einen kleinen Salon führte. Hier begann nun freilich das Warten aufs neue. Johanna merkte die hochmütige Absicht, doch sie blieb ganz ruhig und beschloß nur, jetzt den doppelten Preis zu fordern.
Zuerst fühlte Frau Beatrice sich etwas befangen, als die grünen Froschaugen Johannas sie zudringlich musterten, während der schwerfällige Leib ganz zusammengebückt in schuldiger Ehrerbietung erstarrt schien. Vor diesen Augen gab es keine Geheimnisse. Da war es am besten, mit offenen Karten zu spielen. Zudem reizte es Frau Beatrice, die auf Geld und Gut gar nichts gab, die Gier der anderen auszukosten. Lächelnd schüttelte sie den Kopf, als Johanna den Wert der Geige in allen Regenbogenfarben vor sie hinmalte und das goldbraune Ding beinahe zärtlich, um den schweren Verlust anzudeuten, an ihre fette Brust drückte.
»Sie haben ein gutes Herz, Fräulein Italiener.«
»Habe ich auch, Frau Gräfin, leicht macht es mir die Miriam nicht.«
Ein schneller Blick hinter den rötlichen Lidern warnte Beatrice vor der Bosheit, die hinter den glatten Worten saß. Als die Gräfin hartnäckig schwieg und über die Miriam gar keine Meinung zu haben schien, seufzte Johanna beinahe verdrossen und kam wieder auf die Guarneri zurück, nur daß sie jetzt sehr geschickt den Geiger Tredenius damit in Verbindung brachte. Vorsichtig forschte sie so nach dem Grade der Bekanntschaft zwischen Karl Maria und Beatrice. Denn darüber hatte Miriam die Schwester schnöderweise im Dunklen gelassen.
Aber die junge Frau setzte sogleich eine abweisende Miene auf und schwieg, in hochmütigem Arger, daß sie wider diese plumpe Schlauheit kämpfen sollte. Eine leise Lächerlichkeit stand hinter diesem Handel. Diese Unbehaglichkeit der anderen aber genoß der Rotkopf als Triumph und kehrte erst nach einer Weile zu dem Zweck des Besuches zurück.
»Sie wollen also die Geige von mir zurückkaufen?«
Ein schwerer Seufzer ließ die Preishöhe ziemlich genau erraten. Beatrice streifte die Ringe von den Fingern und hatte damit ihr Spiel. Dann trieb sie eine kecke Laune, es mit Johanna Italiener aufzunehmen. Lauernd fragte sie: »Was hat eigentlich Karl Maria mit dem vielen Gelde angefangen, das Sie ihm vorgestreckt haben?«
Bei der vertraulichen Wendung »Karl Maria« spitzte Johanna die Ohren. Ein vergnügtes Schmunzeln lief um ihren breiten Mund. Schnell aber wurde sie wieder ernst. Sollte Karl Maria so taktlos gewesen sein, den Pfandschilling zu nennen? In beginnendem Mißtrauen blies sie die Nüstern auf und antwortete zurückhaltend: »Ich weiß wirklich nicht.«
Voll Zorn dachte die Trix: Dem Jungen habt ihr die Taschen geleert und so Geige und Pfandgeld behalten. Laut aber sagte sie nur: »Was kostet die Geige?«
Johanna zog nachdenklich die Schultern hoch und forderte das Dreifache dessen, was sie Karl Maria gegeben hatte. Kühl und geschäftsmäßig warf sie die Ziffer hin und frohlockte, daß die Dummheit der Miriam nun doch goldene Früchte trug.
Mit gleichgültigem Lächeln erklärte die Gräfin sich einverstanden. Ihre feine, zurückhaltende Art war ohnmächtig gegen diese Gier, die mit beiden Händen zupackte.
Als Johanna den Handel abgeschlossen und das Geld in ihrer schmutzigen Tasche Wohl verwahrt hatte, schickte sie sich an, Vertraulichkeit und Behagen zu zeigen, ohne der anderen abweisende Miene zu beachten, nahm ein Glas Wein sofort an, verzehrte eine Kaviarsemmel und plauderte beinahe unbesonnen darauf los, wie ihre Jugend und ihre Einsamkeit eben zum Durchbruch kamen, nachdem der Geschäftsgeist seinen Teil empfangen hatte. Alle Schwächen der Miriam deckte sie auf, gleich von der Kindheit an, wie um sich dankbar zu erweisen, und verbreitete sich auch über den Geiger Tredenius, der so viele Abende bei ihnen verbracht habe. Jetzt sei dies freilich anders.
Wieder traf ein lauernder Blick die Gräfin, die aber beinahe vergnügt nickte und noch eine Kaviarsemmel bestellte. Gott sei Dank, Karl Maria war jetzt frei.
Da entschied sich Johanna, diese Freigebigkeit zu belohnen. Schmatzend schob sie den Mund vor und quabbelte: »Ach ja, unsere Miriam hat eine goldene Stimme, aber ein Herz von Stein.«
Schier unvorsichtig schien diese Charakteristik, welche die Gräfin trösten und ihr klarmachen sollte, daß Ritter Dionys auf Holzwegen seinem Glück nachjagte. Es war ein lustiges Wunder: Johanna Italiener fühlte auf einmal eine gewisse Ähnlichkeit zwischen sich und Frau Beatrice Rothenwolff, ein gemeinsames Verkanntsein und Duldenmüssen. Kräftig schüttelte sie die Hand, die sie kurzweg ergriff, und blickte vertraulich in das hochmütige schmale Gesicht. Dieser Blick verriet ihre Bereitwilligkeit, nötigenfalls mit Rat und Tat zu helfen, auch die Miriam zu überwachen, da die Geschäftsverbindung zu beiderseitigem Nutz und Frommen nun doch einmal angeknüpft war.
Die Trix aber sah dem dicken Rotkopf spöttisch nach und bedauerte in einiger Schadenfreude den leichtsinnigen Nisi, der mit tausend Segeln in jenen Hafen einfuhr, aus dem Karl Maria Tredenius soeben mit knapper Not entronnen war.
Plötzlich war es mit ihrer Heiterkeit aus.
Beatrice begab sich auf betrübliche Wanderschaft und forschte in allen Winkeln, wie man auf einen Weg zurückblickt, den man unachtsam gegangen ist, und dessen Steine und Dornen man erst am Ende erkennt.
Aus Laune, fast im Spiel, hatte sie den hübschen Dionys geheiratet, wohl auch aus Dankbarkeit gegen Onkel Achaz, der mit bescheidenem Lächeln um ihre Hand für seinen wetterwendischen Buben bat.
»Allein halte ich den Tunichtgut nicht in Zucht.«
Und nun kam das erste Herbsteln in diese lustige und unbekümmerte Ehe.
Gerade heute.
Da saß sie mit der teuer erkauften Geige und wußte nichts Rechtes damit anzufangen, in einer ganz neuen Scheu.
Alle Unbefangenheit, die sie bisher mit dem Geigerjungen nur lustig oder auch nachdenklich spielen ließ, hatte Beatrice im Park von Weimar verloren. Ihre fürsorgliche Weisheit war doch nur ein Maskenkleid, das sie über ihr noch nicht gefestigtes Wesen geworfen hatte.
Trotzig nickte Frau Beatrice zu dieser wenig erbaulichen Erkenntnis. Das sonstige Gleichmaß war auf einmal gestört. Es knisterte wie von heimlicher Sehnsucht. Und gerade jetzt sollte sie Karl Maria die wiedergewonnene Geige in den Arm legen und den Wanderseligen mit überredenden Worten an ruhige Ufer geleiten, daß seine Kraft zusammenwüchse und zielstark würde.
Unwillig schloß sie die Augen. Aber da wuchs Bild nach Bild vor ihr auf, rundete sich, bekam Lichter und Schatten, bis alles grell und überdeutlich ihre Sinne quälte. Und sie hörte das Knistern und Knacken, als ob feines Glas zerspränge.
Graf Dionys strich gern auf dunklen Wegen, aber er fand stets mit gutem Anstand zurück und hüllte dann seine Frau in einen Nebel von Liebe und Zärtlichkeit, bis ihre Augen alle Klarheit verloren.
Wie spielende Kinder, die sich zanken und wieder vertragen.
Dann erschien auf einmal der winzige Achaz. Bei der Taufe schauten Mama und Papa einander sehr belustigt an und schüttelten die Köpfe, als könnten sie nicht begreifen, daß etwas so Ernstes wie dieser krebsrote Knirps in ihr Vergnügen plumpsen konnte.
Aber was sonst die Menschen bindet, trennte hier. Graf Dionys vergnügte sich einige Zeit am Familienleben, bis sein weicher Sinn in Langeweile sank und wieder sein früheres Flackerwesen begann.
Daheim zog der alte Graf die Brauen kraus, brachte seine Geige herbei und zwang die nicht sehr bereitwillige Schwiegertochter, ihn auf dem Klavier zu begleiten.
»Du spielst dir alle Mucken fort,« tröstete er, wenn Beatrice gleichgiltig weiterklapperte, weil diese verschnörkelten Stücke der italienischen Schule ihr gar nichts zu sagen hatten. Gehorsam duckte sie sich und spielte Madrigale und Kanzonetten, weil dann ein Plauderstündchen belohnte und Großvater Achaz' irdische Weisheit weit klarer und schöner war als seine Geigenkunst. Zum Schlusse ging es Hand in Hand zum Bettlein, wo Achaz II. mit geballten Fäusten auf dem Rücken lag und heftig schnarchte. Jung und alt blickten sich wohlgefällig an und schieden mit einem vergnügten Lächeln.
In einer solchen Feierstunde kam der alte Graf auch einmal auf den Geiger Tredenius, als er sich mit einem Stück von Corelli weidlich plagte, das Karl Maria in seinem verunglückten Konzert als erste Nummer mühelos gebracht hatte.
»Schade um den Jungen,« knurrte Herr Achaz und versteckte die zornigen Augen unter den buschigen Brauen.
Da vergaß Trix ihr Geheimnis und erzählte von dem Geschenk, das sie Karl Maria heimlich gemacht hatte.
Graf Achaz schwieg eine ganze Weile, dann blickte er die junge Frau bedenklich an, nagte am Schnauzbart und legte endlich seine Geige hin.
»Wo nur der Risi bleibt!« brummte er verdrossen. Der Frau schlug eine Flamme ins Gesicht, und sie war dankbar, daß der Abend seine Schatten ins Zimmer stellte. Damals sprachen sie zum erstenmal von Karl Maria. Nun geschah es öfter. Der alte Herr aber tat es meist in übler Laune, und während er sonst sein eigenes Spiel sehr unbescheiden bewunderte, nannte er es jetzt elende Pfuscherei.
»Dein Karl Maria versteht das alles viel besser.«
Und dazwischen ein argwöhnischer Blick, wenn Trix mit halb verschleierter Stimme dann allerlei Erinnerungen ausplauderte, von der gelben Schleife, die Karl Maria noch von ihr besaß, oder von der dummen Jungenart, mit der er die geschenkte Geige zurückstellen wollte.
Und jetzt hielt sie dieselbe Geige in der Hand und wußte nicht, was sie damit tun sollte. Aber plötzlich hatte sie klar, was geschehen mußte. Fort aus Weimar. Es galt, Karl Maria gute Wege in der Heimat zu bereiten. Er mußte die Stadt verlassen, wo die Erinnerungen allzu schwer an ihm hingen. Im »Blauen Herrgott« sollte er warten. So schob sie alles hinaus und hatte doch jede Möglichkeit für fernere Zeit.
Graf Dionys aber merkte nicht, daß seine Frau heute Gerichtstag über mancherlei Dinge gehalten hatte. Ihre Absicht, schon morgen abzureisen, leuchtete ihm durchaus ein. So bekam er selbst alle Freiheit.
»Du sehnst dich nach dem Kleinen?«
»Ja.«
Sie neigte den Kopf und sah ins Dunkel.
Graf Dionys war fahrig und unruhig, als hätte er ungewohnte Lasten zu tragen. Er durchschaute das Spiel der Miriam, war aber viel zu eitel, sich aus diesem Netz zu lösen. Als er nun in unvorsichtiger Freude über das baldige Alleinsein eine kleine Zärtlichkeit bei seiner eigenen Frau wagte, begegnete er einem Blick, daß er ganz verdonnert zurücktrat.
Gemessen fragte Beatrice: »Ist die Miriam Italiener frei für ...?«
Das häßliche »dich«, das ihr auf der Zunge lag, verschluckte sie und vollendete: »Papa Achaz?«
»Ja, das heißt ...«
Er blinzelte etwas unbehaglich. Diese jähe Abreise gab ihm auf einmal zu denken. Und er vertrug Spott nur, wenn er sich nicht auf ihn selbst bezog.
Wie eine gute Freundin riet die Trix: »Die rothaarige Schwester soll großen Einfluß auf das Wunderkind haben.«
Damit warf sie ihr dunkles Haar und noch einiges andere über die Schulter.
Dionys aber hielt sich schnell an das nackte Wort: »Donnerwetter, woher weißt du das? Da wollen wir doch gleich.«
Mit feinem Lächeln sagte Beatrice: »Vielleicht morgen. Gute Nacht!« Und die Türe klappte dem Gräflein vor der Nase zu. Aber Nisi litt es mit Geduld. Seine Frau war doch wirklich ein wunderbares Geschöpf. Ja, diese rote Hexe hatte gierige und zugleich drohende Augen. Da hieß es, rasch etwas Glänzendes davor halten, damit das Ungetüm nicht sähe, was ringsum geschah. Und so tat er auch. Fräulein Johanna pries nun den blonden Grafen und blickte die Schwester vorwurfsvoll an, wenn Miriam ihre Launen über den armen Nisi hageln ließ.