Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wieder frühstückte der Geheimrat nicht im »Blauen Herrgott«, sondern saß mit Jakobe stumm in der unfrohen Stimmung dieses Morgens. Schwere Nebel lagen vor der Sonne, die Laternen brannten noch und hingen als trübe gelbe Kugeln im allgemeinen Grau. Scharfe Falten schnitten um Philipp Emanuels Mund und liefen an den Schläfen in das graugemischte Haar. Und langsam sagte er, als tastete er sich erst selbst zurecht: »Im April sollst du mit Heinz nach Italien. Es möchte sein, daß sich da manches wieder anknüpft, an dessen Versäumnis die Umstände hier Schuld haben.«

Sie hob den dunklen, unruhigen Blick und sah mit scheuer Feindseligkeit in seine versteckte Schwäche. Eine fremde Unsicherheit trug er an sich, die ihn auf einmal alt und müde erscheinen ließ.

Nachdenklich faltete er die Hände auf dem Tisch und grübelte vor sich hin: »Allerlei Menschen kommen in mein Haus, die meisten anders als ich. Leicht konnte er sich zu einem von den vielen finden. Aber es geschah eben nicht. Und das ist ein Williguth!«

Grämlich schob er das Kinn vor: »Ja, ja, Prüfungen erwarte bis zuletzt'«

Wieder hob Jakobe scheu und feindselig den Blick.

»Ist es dir nicht recht?« fragte er plötzlich und hatte sogleich böse lauernde Augen. Hartnäckig schwieg sie.

Dann kam es wie Befehl und Bitte zugleich: »Es ist noch eine Möglichkeit. Die wollen wir nutzen.«

Und er lächelte eckig, daß er seine Angst verriet. Nicht anders als ein Bettler wartete er. Jakobe aber saß vor ihm, ohne Willigkeit, wie eine Wärterin, die man zu einem gleichgültigen Kranken schickt. Eine jähe Grausamkeit machte sie karg.

Seine Faust griff nach ihrer Hand: »Du mußt!«

Sie zog die Lippen schmal und schloß die Augen, hörte sein Ächzen und schwere Schritte, die aus dem Zimmer gingen. Und jetzt erschrak sie vor sich selbst, sah ihre leeren Hände und schüttelte den Kopf.

Da stand Jakobe Forcade in ihrer lässigen Schönheit und wollte sich plötzlich nimmer zwingen lassen.

 

Tagelang blieb der Nebel und verhängte die Sonne. Dabei war es kalt, in den Wasserlachen des vorwitzigen Frühlings stand blankes Eis, die ganze Stadt steckte in weißlichgrauer Watte. Durch die dicken Schwaden gellten die Pfeifen und Huppen, man sah nicht die Hand vor den Augen. Den ganzen Tag brannten die Laternen, grämlich und blaß hinter Nebelkappen. Im Lichtkreis tanzte der Ruß. So blieb es vom Morgen zum Abend, man roch und schmeckte diese ekle Feuchtigkeit, die durch Spalten und Ritzen kroch.

Philipp Emanuel stand in der Halle. Hund Boabdil schnupperte mißtrauisch in die graue, unbewegliche Mauer, aus der die Wagenlaternen fahlgelb schimmerten. Plötzlich sprang er vorwärts und kläffte vergnügt.

Der Geheimrat warf den Kopf zurück. In der letzten Zeit schien er immer auf irgend etwas zu warten, aber es war ein verdrossenes Warten, hinter dem die Angst stand. Scharf rief er den Hund und blickte nach der Peitsche.

Aus der grauen Wand aber trat Renate Forcade.

»Du bist natürlich erstaunt, Onkel Philipp. Aber es ging wirklich nicht anders. Weißt du, ich bin jetzt so weit!«

In ihren Augen trotzte alles Wilde und Heiße ihrer Jugend.

Er wandte den Kopf, wie einer, dem fremde Freude wehtut, und zog die Hundspeitsche pfeifend durch die Luft. Boabdil schob den Rücken und knurrte ergrimmt.

Verstockt wartete Renate. War auch er wie die andern und ließ sie allein? Beinahe spöttisch wurde ihr Blick.

Er spürte ihr schnelles Mißtrauen und zwang sich zu einem Lächeln: »Na, also, was ist denn wieder?«

Sie stand jetzt dicht vor ihm und atmete schwer.

»Bist wieder heimlich fortgelaufen, was?«

Und er rückte ihr das veilchengeschmückte Pelzmützchen zurecht, das bedenklich schief auf dem dunkelbraunen Haar saß. Beinahe demütig war diese Bewegung.

Sie stampfte mit dem Absatz auf: »Ja, Onkel Philipp, übermorgen spiele ich die Lady Milford.«

Er lächelte sonderbar, mit zusammengebissenen Zähnen, und blickte in alle Winkel, als suchte er etwas.

»Ich komme hin,« sagte er und funkelte Renate mit den grauen Augen an. Sie gab den Blick zurück und schob das Kinn vor. Nur um die Mundwinkel lief ein beherrschtes Zucken.

Er reckte sich auf: »Na, Renate, wir beide fechten es durch.«

Sie fuhren in den Nebel. Bäume tauchten auf und huschten wieder ins brodelnde Grau. Eis krachte unter den Hufen. Scharf gellte der Ruf des Kutschers, Pfeifen schrillten, Lichter prallten vor und verschwanden. Kamen die Nebelschwaden ins Schwanken, schimmerten einen Augenblick die alten Kirchen der Stadt. Ihre Glocken klangen gedämpft. Alles schien unwirklich und ins Grenzenlose erweitert.

Renate drückte sich an den Geheimrat und saß ganz still. Er fühlte den jungen, warmen Leib und das leise Zittern in den Muskeln und freute sich ihrer Tapferkeit. So wünschte er sein eigenes Fleisch und Blut.

Häßlicher schwarzer Rauch wirbelte jetzt über dem fließenden Grau. Hinter den dichten Vorhängen, die der Nebel spann, lärmte die Arbeit. Dann rückten hellere Wände dicht an den Wagen. An der toten Stille rundum erkannten sie, daß die Fahrt jetzt über die Heide ging. Roter Stein brach durch die wallenden Schleier, als dunkles Strichwerk zeichneten sich die kahlen Birken.

Renate beugte sich aus dem Wagen und gab dem Geheimrat die Hand.

Und Philipp Emanuel, der den eigenen Sohn unter seinen harten Willen zwang, fand plötzlich ein helles Lächeln. Er liebte diesen jungen, zagen Trotz, hatte ihn einst selbst gehabt. Was er in seinem Hause karg zurück hielt, gab er jetzt als Geschenk.

»Hab' es einmal auch so gemacht, Mädel. Zupacken, und man hat's in der Hand.«

Dann winkte er mit der Hand und schritt, schon wieder steif und aufrecht, den Birken zu, die nur manchmal in zartgelber Helligkeit aus dem Nebel tauchten.

 

Beim Morgenrapport trug der Geheimrat wieder die strenge Maske und sparte nicht mit spitzen Worten, in einer eigentümlich bösen Lust, fremden Willen klein und furchtsam zu machen. Die Fäuste hatte er in die Hüften gestemmt und das schwere Kinn vorgeschoben. Als nun Heinz eine nachlässige Auskunft gab, in der verbitterten Gleichgültigkeit, die er jetzt stets zur Schau trug, sagte Philipp Emanuel scharf: »Ich bitte um Klarheit, Doktor Williguth.«

Grob wies er den sogleich hilfsbereiten Schückedanz zurück: »Sie habe ich gar nicht gefragt.«

Bei der Vorlesung aber war er dann voll sicherer Liebenswürdigkeit, half sogar gegen seine sonstige Art dem Praktikanten, der jammervoll ins Stolpern kam, und leuchtete bereitwillig mit heller Fackel in die Kammern seines Wissens. Er liebte dieses junge Volk, das noch ans Leben glaubte und rüstig die Hände rührte.

Der letzte Fall, den Philipp Emanuel operierte, blieb ihm unter dem Messer. Langsam hob er den Kopf und nickte den Studenten zu: »Ja, ja, überall gibt es Grenzen, auch für uns.«

Und jetzt ging er Schritt um Schritt einem möglichen Irrtum nach, schonte sich selbst nicht und hatte ein vergrämtes Lächeln um die Lippen.

Der junge Williguth wartete auf ein Stocken dieser unerschütterlichen Sicherheit, aber umsonst. Manchmal zuckte es in seinem Herzen auf, heiß und wild, daß ihm der Atem schwer wurde und er die Augen schloß, in dem kranken Ehrgeiz, der mit hastigen Händen ins Leere langte. Widerwillig hörte er seines Vaters starke und zuversichtliche Stimme. Der war und blieb der Herr, nahm alle Dinge im Guten und im Schlechten gelassen hin, weil auch ein Mißerfolg ihn nicht kleiner machen konnte. Wieder maß sich der Sohn am Vater und las in ohnmächtigem Zorn den Unterschied ab.

Philipp Emanuel drückte dem Toten die Augen zu, mit einer kleinen, unmerklichen Bewegung, wie sie langjährige Gewohnheit gibt. Heinz spürte diesen Druck, als geschähe er an ihm selbst. Er wußte, daß sein Gesicht jetzt verzerrt und voll Furcht war. Sein spöttisches Lächeln wurde starr.

Im leeren Hörsaal, vor dem Leichnam, sprach der Geheimrat noch zu seinen Assistenten über den letzten Fall. Er ließ nicht nach, wenn ihm etwas mißglückte, sondern rüttelte auch an verschlossenen Türen.

Heinz tat einen schnellen Blick rundum. Wie arme Sklaven standen sie alle, keiner widersprach, keiner rührte sich, Schückedanz hatte die Hände über dem Bäuchlein gefaltet, machte treue Hundeaugen und schweifwedelte voll Diensteifer.

Da kam über Heinz Williguth ein quälender Zwang, weh zu tun, wem immer es sei. Noch knebelte die Scham die Worte, welche schon locker saßen, bitter und gallig, aus der Erkenntnis der eigenen Ohnmacht. Aber aus dem schweren Zweifel: Wer bist du? Was ist an dir? rang sich unerbittlich der Spott los. Heinz haßte jetzt, was er selbst mit aller Sehnsucht sein wollte. Häßlich hockte der Neid um seine Lippen, und er hatte nicht mehr die Kraft, ihn zu verbergen, wollte es vielleicht auch gar nicht, in der schrankenlosen Zerrüttung seines Wesens. In den Augen kam und ging ein hämisches Flimmern, in den Mundmuskeln lief ein krampfhaftes Zucken. Und plötzlich lachte er grell auf.

Zornig fragte der Geheimrat: »Wer lacht hier?«

»Es ist gut, daß dir manchmal doch einer stirbt.«

Schräg offen lauerte der Mund des jungen Williguth, ein boshafter Kindermund.

Philipp Emanuel wartete einen Augenblick, dann schrie er in die Stille: »Mich ekelt vor dir.« Wandte sich und hieb die Tür ins Schloß. Langsam rückten sie ab von Heinz Williguth, nur Schückedanz zögerte.

 

Prinz Elias räusperte.

»Ja, das ist so'ne Sache.«

Die kleinen wasserblauen Augen zwinkerten in gutmütiger Verlegenheit und versteckten sich dann schnell unter der mächtigen dunkelroten Nase.

»Hoheit, jeden andern kann ich dafür vorschlagen, Heinz aber nicht.«

Und Philipp Emanuel warf nachlässig die Hand durch die Luft.

Vorsichtig sagte der Prinz: »Sie sind ehrgeizig, lieber Williguth, vielleicht allzusehr. Ich dachte, mein Vorschlag käme Ihrem Sohn gerade zurecht. Andere Luft atmen, frei sein vom Alltag, und ein wenig auch von Ihrer väterlichen Gewalt, Herr Geheimrat, das ist etwas, oder nicht?«

Aber Philipp Emanuel schüttelte nur den Kopf:

»Kriegschirurg nach Südwest-Afrika? Niemals, Hoheit. Das hieße dem Maßlosen die Maßlosigkeit weisen.«

Er stand erregt auf und schritt, die Hände auf dem Rücken, durchs Zimmer.

Mit einem Ruck machte er dann vor dem Prinzen halt: »Es ist nicht leicht für mich, Hoheit, ganz und gar nicht!«

Zorniger Schmerz funkelte in seinen Augen.

Prinz Elias duckte sich, als fürchtete er Schelte: »Sie brauchen gar nichts zu sagen, lieber Geheimrat.«

Philipp Emanuel spannte die Arme und ballte die Fäuste: »Er trinkt und läuft den Weibern nach.«

Jetzt furchte er die Brauen und schob das Kinn vor, kein Mitleid war in seinem Blick.

»Wissen Sie, Prinz, was Stolz ist, maßloser, wahnwitziger Stolz auf das eigene Fleisch und Blut? Von den Bauern kommen wir Williguths, und da vertut einer Acker und Land. Ich kann ihn nicht fortlassen. Soll er mir am Pranger stehen, der lässige, faule, der schöne Lump Williguth? Hier wagt keiner zu sehen, wenn ich es nicht will. Und wir schweigen alle. Auch die Frau, die ich ihm gab, habe ich erzogen, daß sie schweigt. Aber wo ich nicht bin, ist er vogelfrei.«

Mit fast grober Hast schnitt er dem Prinzen das Wort ab: »Es ist keine Schande, die er mir nicht angetan hat!«

Und dann zögernd und schwer, als sträubte er sich gegen seine eigenen Worte: »Er ist verdorben zu jeder Tat. Er weiß sich nicht in Welt und Menschen zu schicken, unstet und voll Mißtrauen gegen sich und die andern. Und trotzdem voll Begabung, ja, Prinz. Sonst – meinetwegen, aber er vergräbt sein Pfund, zerstört sich selbst in boshafter Freude und ist schnell, zu hören, wenn mich einer haßt. Und so geht das weiter, Jahr um Jahr. Mitleidig lächeln sie über meinen Sohn. Und da steht man mit hilflosen Händen und kann nichts ändern. Manchmal, ja, da reißt er sich auf, hält wacker Schritt, spielt mit allen Hindernissen, und man hofft, ist stolz auf diese junge, heiße Kraft. Dann bricht alles jäh wieder ab. So ist es mit Heinz Williguth.«

Er schlug in Schmerz und Zorn die Faust vor die Brust. Dann sagte er mit kaltem Lächeln: »Verzeihen Hoheit meine Heftigkeit!«

In den sonst so scheuen und gleichgültigen Augen des Prinzen Elias war jetzt ein starkes Leuchten. Er reckte sich, bis er Schulter an Schulter mit dem Geheimrat stand.

»Ich hätte nicht den Mut dazu.«

Um Philipp Emanuels Mund aber saß ein unbeugsamer Wille, der sich nichts mehr abbetteln ließ.

Zaudernd, beinahe furchtsam trat der Prinz zurück.

»Kann ich mein Patenkind sehen?«

»Ja, gehen wir zu meinen Enkeln!«

Philipp Emanuel stützte sich gleichsam auf dieses letzte Wort. Eine grausame neue Jugend ließ ihn schnelle Schritte tun.

 

Schwer gingen die Stunden auf Füßen von Blei. Und draußen blieb der Nebel, eine dicke weiße Wand. Der Winter wollte nicht weichen, klammerte sich fest mit gieriger Greisenhand.

In Philipp Emanuels Haus schritten sie mit steifen Köpfen aneinander vorbei und blickten unwillig und erschrocken, wenn Wittes Lachen in den langen dunklen Korridoren klang. Keiner glaubte mehr, daß Worte etwas nützen könnten. Jeder hatte Angst, den scheintoten Haß zu wecken. Nur wenn andere Menschen kamen, nahm man die Maske vor und atmete auf, daß man für eine Weile nicht allein war. Besonders vor seinen Brüdern spielte der Geheimrat den glücklichen Hausvater und zwang die andern mitzutun.

Nur Karl Maria Tredenius blinzelte mißtrauisch in diese etwas gewaltsame Heiterkeit. Oft war er nahe daran, mit beiden Fäusten auf den Tisch zu trommeln und den drei Menschen zornig in die Ohren zu schreien: »Hier wird nicht weiter gelogen!«

Aber auch er war ein Williguth und nicht ohne die verlogene Gemessenheit seiner Familie. So blieb das seltsame und verwirrte Wesen, das hinter äußerlicher Lebendigkeit starr und stumpf eine Veränderung erwartete, ohne daß sie wußten, was denn geschehen sollte. Mit Vorliebe hatte jetzt der Geheimrat die Enkel um sich, trieb ihre kleinen Spiele und allerhand Schabernack und streckte manchmal mit beinahe ängstlicher Bewegung die Arme nach den Knaben aus, als hätte er den Glauben an die Zuverlässigkeit der Ereignisse und wäre überzeugt, daß junge und lebfrohe Wesen auch schöne und glückliche Geschehnisse um sich schufen. Er trug seinen heimlichen Frost zu dieser Jugend und wärmte sich. Manchmal aber ging ein versteckter Blick zu seinem Sohn, wie Bettler schauen, die man mit leeren Händen läßt. Dann setzte Philipp Emanuel die Lippen schmal und stierte geradeaus. Und schließlich wanderten seine Augen zu Jakobe und blieben dort in zornigem Fordern.

Gelassen und mit einem gefälligen Lächeln, das für alle bereit lag, schritt die junge Frau durchs Haus.

Einmal hielt Graf Forcade sie fest und fragte: »Lügst du nicht, damit ich lächeln soll?«

Sie straffte den Leib und legte abweisend den Kopf zurück. Sie wollte kein Mitleid, war ganz und gar eine Williguth.

Da sprach er behutsam von Renate, die morgen in aller Heimlichkeit Theater spielen sollte.

»Ich komme nicht.«

So redete die Stimme dieses Hauses voll Selbstgerechtigkeit und Würde aus Jakobe Williguth.'

»Du bist anders geworden, Jakobe.«

Nachdenklich blickte er sie an: »Zu langsam im Verzeihen, Kind.«

Sie neigte den Kopf, daß er ihre Augen nicht sah.

Er fragte nicht weiter, in der stillen Zurückhaltung, die immer zwischen ihm und ihr war. Er küßte sie nur voll plötzlicher Angst.

 


 << zurück weiter >>