Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

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Zwei fette, weiße Hände glitten durch die Luft auf und nieder wie ein schnäbelndes Taubenpaar. Eine Zeitlang standen sie steil aufgerichtet, dann schwebten sie wieder flach ausgestreckt über den Köpfen der Menschen, die sich unter den zwei feierlichen Händen drängten und neigten.

Das waren gar wunderliche Köpfe, alte und junge, hübsche und häßliche, und dazwischen ein winziges rotes Ding, wie ein Äpfelchen. Und jetzt schwangen die fetten, weißen Hände ein silbernes Kännlein über dem roten pausbackigen Etwas mit dem blonden Wuschelhaar. Durch die breiten Glasscheiben fiel vom Wintergarten her die Januarsonne in das hohe Zimmer mit den lichtrosa Wänden, die ein weißer Stucksims abschloß. Überall war ein Funkeln und Leuchten auf den schweren, schwarzen, altmodischen Schränken und Konsolen mit dicken geschnitzten Fruchtkränzen und grinsenden Faunköpfen. Die hohen, kobaltblauen chinesischen Deckelvasen schimmerten auf. Über die lichtrosa Wände glitten die seltsam gezackten Schatten der Palmen, draußen im Garten aber ragten die kahlen, silberverzierten Bäume in weißem Märchenglanz. Auch über alle Menschenköpfe spielte die Sonne, über blankpolierte Kugelköpfe mit armseligen Haarbüscheln über den Ohren und Augen, über feine, helleuchtende Frauenköpfe, und vor allem über schwere, plumpe Schädel mit trotzigem Kinn. Die waren in der Mehrzahl.

Gleich der hochgewachsene, breite Mann, der das silberne Kännlein schwang, gehörte dazu, die großen grauen Augen blitzten voll Gottvertrauen und Eigenwillen auf das zwergenkleine Menschenköpflein nieder und trafen dabei ein zweites Augenpaar, ebenso grau und ebenso trotzig, und darin sprangen goldhelle Fünkchen, wie der Abglanz eines inneren Feuers, das hinter der Stirn mit den wuchtigen Buckeln lohte. Ein gar stolzes Lächeln lag um den breiten, gewalttätigen Mund, der starke gelbliche Zähne hatte, genau wie bei dem Mann, der das Menschenkind taufte. Die beiden Riesen lächelten einander zu, als hätten sie ein Einverständnis über alle anderen weg. Hinter dem Mann mit den lodernden Augen stand eine schöne Frau, schwer und starkknochig, in schimmernder schwarzer Seide. Eine goldene Haarkrone, nur leicht mit Silber umsponnen, lag auf dem mächtigen Haupt, aber darunter war alles weich und gütig, schimmerte rosig und vergnügt und strafte das vorschnellende Kinn schier Lügen. Und das Lächeln in den blauen Augen war froh und hell wie das Leuchten der Sonne, die tausend stille Goldfäden ins Zimmer spann. Ganz leise lehnte die Frau den Kopf an die Schulter des ältesten Bruders, der alle die andern Riesen noch überragte, wuchtig und derb, mit Muskeln bepackt wie ein Ardenner. Wieder die starken Knochen, das trotzige Kinn, und wie bei der Frau helle, deutsche Blauaugen voll Herzensgüte und Schalkhaftigkeit, nichts von dem gierigen Grau der zwei anderen Männer. Auch das Haar war anders, dunkelbraun und ein wenig grau gemischt bei den Grauaugen, goldblond und leicht gewellt bei den beiden, die da Schulter an Schulter standen. Ein Riesengeschlecht, in dem zwei Blutströme kreisten, verschieden und doch eins. Und jetzt rollte eine mächtige Stimme wie Orgelton über alle Köpfe hin.

»Ihr Kinder seid das Licht der Welt. Es mag eine Stadt, die auf einem Berge steht, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es denn allen, die im Hause sind. Also lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen. Und habt dieses Kind lieb, denn es ist von eurem Blut. Haltet ihm Treue, auf daß es euch Treue halte! Und wie Seine Hoheit Prinz Elias dich heute trägt und hält zur Taufe, du Erdenwürmchen, so sollst du ein Prinzlein aller irdischen Helligkeit werden und deiner Seele nicht vergessen. Du bist ein Williguth. Die waren stark und treu im Herrn, immer und allezeit.«

Die vier mächtigen Köpfe um den Täufling nickten im Rhythmus. Ihr Lächeln war fast hochmütig und verriet, daß sie alle Geschwister waren. Wie ein Zug saß dieses Lächeln um alle die festen Lippen. Und wieder schwoll die Stimme des Superintendenten zum Orgelrollen, nur seine linke Hand, die jetzt das silberne Kännlein niedersenkte, zitterte leise.

»Und so taufe ich dich denn im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes Sebastian Philipp Elias. Und du sollst Elias heißen, wie seine Hoheit hier und der Prophet, der auf feurigem Wagen zum Himmel fuhr. Mache uns keine Schande, Elias Williguth!«

Aus dem Kännlein floß ein Wasserfaden, und blitzende Tropfen fielen auf das rote Zwergengesicht. Da zog das Kind die Augen ein, öffnete sie schnell wieder, ballte den winzigen, eigensinnigen Mund in lustige Falten und nieste kräftig der Sonne entgegen.

»Du nimmst zuviel Wasser, Friedemann,« sagte voll Vorwurf die große Frau mit der blonden Haarkrone und wischte mit ihrem Spitzentuch schnell über das nasse Gesichtchen.

Der Superintendent Friedemann Williguth lachte: »Schwester, das Leben hat grobe Fäuste.«

Und der Mann mit den leuchtenden grauen Augen nickte: »Er soll sich beizeiten hart wie Stahl schmieden.«

Sein Blick suchte etwas, fand es nicht und flog dann wieder schnell geradeaus. Aber die buschigen dunkelbraunen Brauen schoben sich finster zusammen. Er drückte die Schultern nach vorne, wie ein Pferd, das sich in die Stränge wirft, wandte sich zum Prinzen Elias, dessen rote, mächtige Nase in dem hageren, blassen Gesicht wie eine Laterne leuchtete, und dankte ihm mit klarer Stimme. Jedes Wort saß und war wie vergoldet von einer Liebenswürdigkeit, die das strenge, bartlose Antlitz jung und schön machte. Das Kind lag jetzt im Arm der Amme. Ein feiner schlanker Mann stand dicht davor, gütige, braune Augen lachten aus einem brünetten, scharfgeschnittenen Kopf auf den kleinen Elias nieder. Und schmale, zartgliedrige Finger spielten mit dem Wuscheligen Blondhaar. Alles an diesem Manne war Güte und Scheu, in dieses Lächeln warf er seine ganze Seele und blieb noch reich genug. Wie ein heimlicher Fanatiker blickte er seinen Enkel an.

»Jakobe,« sagte er dann ganz leise und streckte einer hochgewachsenen, braunhaarigen Frau, die in blaßgoldenem Brokat schimmerte und stolz und verträumt in die Sonne starrte, beide Hände hin: »Ich danke dir.«

Da hob die Frau die Augen, die waren braun und groß und hatten ein heimliches Leuchten, wie bei Menschen, die viel und stark nach innen leben. Und hatten eine seine Ähnlichkeit mit den Augen des Mannes, nur unruhiger und heißer. Ein scheues Lächeln huschte um den vollen, roten Mund, der noch der eines Kindes war und doch viel Kenntnis heimlich verbarg.

»Habe ich es recht gemacht, Papa?«

Graf Nikolaus Forcade streichelte die Hand seiner Tochter. Dicht schob er sich heran und flüsterte: »Gib acht auf ihn!«

Sie nickte schnell.

Und beide sahen hinüber nach dem Mann mit den funkelnden grauen Augen, in Angst und Ehrfurcht. Jakobes schmale Schultern beugten sich schützend über das Kind. Und die Augen hielten schnelle Zwiesprache. Langsam kam der gewaltige Mann näher. Da wichen Vater und Tochter voneinander, als hätten sie eine schuldige Heimlichkeit.

Breit und sonnig lachte Geheimrat Philipp Emanuel Williguth, als er jetzt die seltsam bewegliche und weiße Hand auf das Haupt des Kleinen legte. Selbstbewußt stand er da und hielt sein Eigentum fest.

»Wo ist die Miriam?«

Wieder grollte es in seiner Stimme, weil nicht alle zum Fest seines Enkels kamen.

Graf Forcade legte den Kopf auf die linke Schulter: »Die schläft. Heute abend singt sie.«

Und dann, wie zur Entschuldigung: »Du weißt ja.«

Der Geheimrat schoß einen scharfen Blick zum Schwiegervater seines Sohnes, als wollte er sagen: »Zwinge sie doch einfach!« Aber er schwieg. Nur ein beinahe geringschätziges Lächeln ging um seinen willensstarken Mund. Dann furchte er plötzlich steilrecht die Brauen. Abermals suchte sein Blick etwas und fand es wieder nicht. Hochaufgerichtet und kalt stand er so hinter seinem Enkelkind und nahm die Glückwünsche entgegen, als gebührten sie ihm ganz allein. Sein schwerer Leib deckte herrisch die schlanke Frau im Goldbrokat. Seine Schwester Kunigunde Tredenius flüsterte fast ängstlich: »Wo ist Heinz?« Einen Augenblick schwieg Philipp Emanuel, dann hob er den Kopf und sagte laut und deutlich: »Mein Sohn arbeitet auf der Klinik.« Und mit einem Lächeln an alle Gäste: »Feste sind nur für uns Alte.« Aber sein rechter Fuß stampfte den Boden, in leiser Ungeduld, während der harte Mund lächelte und freundliche Worte fand. Nur die Brauen standen noch immer in steilen Furchen. Durch den Leib der jungen Mutter rann ein Zittern, der schwere Goldstoff bebte leise, hier und dort. Doch auch in ihren Augen war ein Lächeln, starr und wie auf dem Theater. Jakobe Williguth atmete schwer. Philipp Emanuel fühlte es, aber er wandte nicht einmal den Kopf.

Durch die Gäste drängte sich jetzt ein Knäblein, nach Pagenart in weiße Seide gekleidet. Um Hals und Schultern lag ein reicher Spitzenkragen, aus dem ein derbes rundes Kindergesicht wuchs, mit hellen grauen Augen und trotzigem Mund. Mit beiden Fäusten bohrte der Wildfang seinen Weg und zerrte und zog, weil ein kleiner, kugelrunder Mann ihn verzweifelt an der weißen seidenen Schärpe festzuhalten suchte.

Jetzt hatte das Kind den Geheimrat erreicht, hob die kleinen, stämmigen Arme und bettelte: »Gib mir Kleinbruder, Großer Papa!« Philipp Emanuel schmunzelte behaglich und streichelte das dunkelblonde Haar des Kleinen, der voll spitzbübischen Vertrauens zu ihm aufblickte.

Frau Jakobe sagte leise: »Sei doch brav, Witte!« Das Büblein hob den Kopf zur Mutter: »Onkel Aurelius hat mich so brav gemacht. Laß mal los, du!«

Und er zerrte an seiner Schärpe und grinste vergnüglich nach dem kleinen dicken Herrn mit dem schüttern hellblonden Zottelbart.

»Ja, aber lange hat es nicht gedauert,« murmelte verlegen Doktor Aurelius Schückedanz und schob den glänzend polierten, kahlen Schädel zwischen die feisten Schultern, daß an Kinn und Nacken lustige Speckfalten hüpften. Am liebsten wäre er stracks in das Schneckenhaus gekrochen, das er rings um seine schüchterne und gute Seele aufgebaut hatte, als sein Blick auf die schmalen, glänzenden Lackschuhe des Geheimrats fiel und Schückedanz an seine ausgetretenen Zugstiefletten dachte. Wie eine Schildkröte bewegte er vorsichtig den Kopf und spähte aus, ob ihn keiner lächerlich fand.

Graf Nikolaus Forcade fing den ängstlichen Blick auf und lächelte fein. Wieder ein scheuer Mensch in diesem selbstgerechten Hause. Ein heller Schimmer glitt über Forcades braunverwittertes Antlitz. Behutsam winkte er dem kleinen Professor Schückedanz, der Bein und Arm abschneiden konnte und in Gesellschaft wie ein Schreiberlein wirkte. Forcade schritt voran, und Aurelius rollte vergnügt hinterdrein. Hellgrünes Gold flimmerte im Wintergarten. Und draußen leuchtete weiß und froststarr der Winter.

»Ist's nicht, als freute sich alles über den winzigen Elias?«

Schückedanz nickte heftig.

Nikolaus Forcade zwinkerte lustig aus den braunen Träumeraugen: »Professor, Sie müssen nachher eine Tischrede halten, warm und wohlig.«

»Ich? Um Gottes willen!«

Ganz leise sagte der Graf: »Sonst ist es eiskalt da drin.«

Und er deutete in den rosa Salon, wo eben Knabe Wittekind mit großen ernsten Augen den roten Elias beguckte, zuerst schier feierlich, weil er nach den Spuren der heiligen Handlung suchte und am Bruder heimliche Engelsflügel zu finden hoffte, dann aber enttäuscht und geringschätzig in der Überlegenheit seiner fünf Jahre. Schließlich blies er Elias, der ihn nachdenklich und gutmütig anstarrte, kurzerhand ins krebsrote Gesichtlein, worauf der Täufling seine irdische Gebrechlichkeit durch jammervolles Schreien zu erkennen gab und mit den winzigen Fäustchen nach Witte stieß. Jakobe beugte sich über das weinende Ding und blickte es ruhig und still an. Wie eine Bitte war dieser Blick. Elias schnaufte ein paarmal, dann lachte er, machte große runde Augen und schlug mit den Händchen, als die Amme ihn forttrug. In der Tür zum Nebenzimmer stand jetzt ein großer, schwerer Mann, dem ein breiter, brauner, ein wenig krauser Bart bis an die niedere weiße Frackweste reichte. Derb und ungeschlacht waren seine Bewegungen, fest und griffstark die Hände, die er leicht wider einander schlug. Nichts als Schaube und Goldkette fehlte ihm zu einem von Lukas Cranachs gewaltsamen und frommen deutschen Fürsten.

»Wir sind so weit, Bruder Geheimrat,« sagte er mit einer Stimme, die das seltsame Orgelrollen des Superintendenten Friedemann Williguth hatte. Philipp Emanuel blickte auf: »Na, Bruder Robert, ist auch genug zu trinken da?«

Der Hofzuckerbäcker Robert Williguth nickte würdevoll.

Und alle die Williguths in dem hohen sonnigen Raum machten eine feierliche halbe Wendung nach der offenen Tür, voll ernsthafter Befriedigung, daß es zu Tische ging.

Prinz Elias reichte Jakobe den Arm. Seine rote Nase schnupperte vergnügt voran, und er war stolz, die schöne Frau zu führen.

Der Geheimrat griff Junker Witte auf, schwang ihn hoch wie ein Bündel durch die Luft, daß der Knirps hell aufschrie vor Angst, die sogleich in wilde Freude ausbrach, und setzte ihn rittlings auf seine Schultern. Die weißen Hände lagen fest um die nackten braunen Kinderbeine. In der Türöffnung machte er halt und wartete, bis alles Platz genommen hatte.

Die hellen Frauenkleider wirkten lustig und freundlich vor der dunklen Eichentäfelung, in die hier und da große Stilleben eingelassen waren, feiste Fische, bunte Fasanen, leuchtende Früchte, die als Farbflecke aus dem düsteren Braun vorsprangen. Der mächtige venezianische Luster brach die schräg einfallenden Sonnenstrahlen in tausend rote, violette und grüne Lichter und streute ein helles Farbengerinnsel über die lange weiße Tafel, auf der schwere Blüten dufteten. Philipp Emanuel lächelte stolz, als er den gediegenen, ein wenig altmodischen Prunk überblickte. Viel Arbeit hing daran. Ein junges Ding in einem unheimlich kurzen, rosa Backfischkleidchen, ein rosa Band im langen braunen Hängezopf, stand vor einem der schweren Konsoltische, die schmal und reichgeschnitzt unter jedem Stilleben angebracht waren, und mauste ein paar weiße Orchideen aus einem silbernen Füllhorn. Dunkelbraune Augen wandten sich dem Geheimrat zu, und wie Spott blitzte es in dem unregelmäßigen, leidenschaftlichen Mädelgesicht. »O, du spielst den heiligen Christoph, Onkel Philipp,« sagte sie mit heller Stimme, und der kecke Blick wies auf ein uraltes, schmales Tafelbild, das die Rückwand von oben bis unten herablief.

 


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