Hans Hart
Das Haus der Titanen
Hans Hart

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Durch den zähen, braunen Kot, in den der Nachtregen den Schnee verwandelt, trabten die Williguths, Mann und Weib. Von überallher wandelten sie unter plumpen, naßglänzenden Regenschirmen, wie dicke Riesenpilze, denn ihr Geiz verschmähte die Verschwendung einer Droschke. Mit würdevollem Dünkel schoben sie sich an dem Hauswart vorbei. Zu Philipp Emanuels Privatklinik stand wohl jedem Williguth der Weg offen. Hoffärtig stapften die schweren Füße über die Teppiche, von Schirm und Mantel troff das Wasser. Dann drängten sie sich in dem blanken weißen Zimmer und hatten Albine in der Mitte, zogen und zerrten alles Wissenswerte aus ihr und wunderten sich insgesamt, daß gerade Albine auf einmal im Brennpunkt ihrer besorgten Neugierde saß. In schöner Gleichmäßigkeit wandten sie dann große, verwunderte Augen auf Heinz Williguth.

»So ein junger Mensch,« brummte Johann Sebastian und schüttelte den Kopf.

Auch Apollonia guckte mißtrauisch durch die Brille und begriff nicht recht, daß ein Mensch, der mit Gott weiß welchen Weibern Küsse tauschte, den frommen Friedemann gerettet haben sollte.

Minna Vogel prüfte wohlwollend die weißlackierten Möbel: »Nett! Was zahlt hier die erste Klasse?«

»Protze nicht so fürchterlich!« knurrte Linchen Krusemann und musterte mit Neid den pompösen Winterhut ihrer Schwester, die überdies im Auto vorgefahren war.

Robert Williguth bewegte die Arme, als rührte er feinen Blätterteig, und sagte gnädig hinter seinem langen, gekräuselten dunklen Bart: »Ja, mein Junge, du kannst Gott danken, daß du soviel von deinem Vater gelernt hast.«

Und er tat eine innere unsichtbare Verbeugung vor Philipp Emanuels Bild.

»Daß sich chirurgische Fertigkeit auch vererbt, das habe ich nicht gewußt,« bemerkte Minna Vogel und spielte geziert mit ihrer langen feingliedrigen Uhrkette, an der sie gut bürgerlich die winzig kleinen Bildnisse von Mann und Kindern trug.

Heinz lächelte immerzu.

»Ist Jakobe denn nicht da?« forschte Frau Apollonia und warf ihrem Mann vielsagende Blicke zu.

Nein, Jakobe war nicht da. Halblautes, erstaunt tuendes Murmeln der Weiber stellte diese merkwürdige Tatsache fest.

Der Hofzuckerbäcker verteilte Bonbons, die, wie er betonte, auch regelmäßig dem Prinzen Elias geliefert wurden, und fragte mit gutmütigem Spott: »Dürfen wir noch dableiben, Doktor Williguth? Denn du bist ja jetzt wohl der Herr.« Und dann beteuerte er, daß sein Ältester ihm an gewisse Torten für vornehme Herrschaften beileibe nicht rühren dürfe. Die Erfahrung sei doch eine gute Sache.

Mit vernehmlichem Flüstern wandte sich Minna Vogel zu Albine: »War es nicht vorschnell von dir, liebstes Tantchen, Heinz die Operation zu überlassen? Hätte man nicht – – –?«

»Nein,« schnappte Albine, die plötzlich fühlte, daß sie und Heinz ganz allein dieser mißtrauischen Masse von Williguths gegenüberstanden.

Im Korridor traf Heinz auf Jakobe, die gerade den Schleier über dem blassen Gesicht hochschob.

»Ach, du kommst auch?«

Er sah nicht die blauen Schatten unter den übernächtigen Augen, nicht die haarfeinen Falten um die Mundwinkel. Gleichgültig streckte er die Finger hin und ließ sie mittewegs sinken. Jakobe nestelte an den Handschuhen und sagte unsicher: »Meine Eltern sind im Lesezimmer. Vielleicht hast du einen Augenblick Zeit?«

»Denkst du vielleicht, ich will euer Lob einkassieren?«

Schweigend ging sie voran. Plötzlich wandte sie den Kopf: »Ich wäre gestern gerne zu dir gekommen.«

Und schon drückte sie die Klinke nieder.

Nikolaus Forcade blinzelte in behutsamer Freude, die ängstlich an dunklen Dingen tastete. Miriam aber schwenkte den breiten Muff, daß die vielen Zobelschwänze auf und ab sprangen, und tänzelte wie eine große schillernde Kropftaube auf den Schwiegersohn zu: »Ja, mein Goldjunge, ich habe stets gewußt, was in dir steckt, sonst hätte ich dir nicht Jakobe gegeben!«

 

Zu Potsdam trepanierte ich, valleri juchhe! Den Koch des großen Friederich, valleri juchhe!« So sang Giacomo Williguth fast andächtig in rollenden, unbarmherzigen Mißtönen, daß Simon Gottesdank entsetzt den Fuchskopf aus der Tür steckte, ihn ebenso schnell zurückzog und zwei verstaubte Weinflaschen, die er unter dem Arm trug, mit unheimlicher Behendigkeit in Boabdils Schlafkorb verbarg. Dann sprang er mit Katzenbuckel und Kratzfuß die nassen Stufen hinab.

Giacomo winkte gnädig mit der Hand, die in einem schier überlebensgroßen Handschuh steckte, und wandte sich zu seinem Kutscher, der den unruhig tänzelnden Braunen die Köpfe niederhielt.

»Nach der ersten chirurgischen Klinik! Empfehlung vom Rittergutsbesitzer Williguth, und anbei kämen zwanzig Masthühner, eine Kufe springlebendiger Forellen und mein schönster Rehbock. Die armen Tröpfe sollen heute 'was Gutes haben. Die Kufe aber bringst du leer zurück. Allons, Abfahrt!«

Kaum trabten die Braunen mit dem hochbepackten Jagdwagen durch die kahle Kastanienallee, stürzte Giacomo mit schrillem Geschrei hinterdrein: »Holla, halt! Erst Zimmermannstraße vierzehn, Privatklinik. Die große Forelle ist für Herrn Superintendent persönlich, dann das andere ins Krankenhaus! Verstanden?«

Der Kutscher schüttelte den Kopf und hob die Peitsche. Widerspruch duldete sein Herr nicht.

Frohgemut stapfte Giacomo zurück zu den weißen griechischen Säulen, unter denen Simon Gottesbank stand und starrte. Da flog dem Alten der kurze Pelzrock in den Arm, der mechanisch aufschnappte, und eine derbe Hand stülpte ihm das verwegene grüne Hütchen über. Dann warf sich Giacomo krachend in einen tiefen Korbstuhl, streckte die mächtigen Beine in den hohen, knallgelben Juchtenstiefeln weit von sich, beschrieb mit dem Daumen feierliche Kreise nach allen Windrichtungen und fragte endlich, aufmunternd und vertraulich: »Na?«

Simon zuckte vorsichtig die Achseln und zog die Mundwinkel in gelbledernes Faltenwerk.

»Freut ihr euch denn nicht?« polterte Giacomos grobe Stimme.

»Die Ordination war heute sehr besucht.«

Und boshaft setzte Gottesdank gleich hinzu: »Wie immer, wenn der Herr Geheimrat fort ist.«

Giacomo ließ die Fingerknöchel krachen und blickte zu Boden.

Die Treppe knarrte. Da stand Flora Schirlitz und hielt ein Zeitungsblatt.

»Simon, hat er nicht meine Brille gesehen?«

»Frau Pastor haben ja das Futteral in der Hand.«

»Ja, das macht die Freude. Ist ein seltenes Ding bei uns.«

Erschrocken hielt sie inne, aber Giacomo herrschte nur mit unerschütterlicher Ruhe: »Bitte, lesen Sie doch endlich!«

Ein Ruck, dann lag die Brille fest vor den verwaschenen Augen. Und die welken Lippen plapperten, die dürren Arme spreizten das Blatt weit von sich. So stand die Schirlitz wie ein Herold und las mit rauher Bibelstimme. Ihre Hand ließ manchmal das Papier los und glitt auf und ab, als schwänge sie ein unsichtbares Räucherfaß: »Die geniale Hand des jungen Doktor Williguth, die der seines Vaters nichts nachgibt, ein schlagender Beweis gegen die Behauptung, daß die Söhne großer Männer ...«

»He!« murrte Giacomo, »woher weiß der Kerl solchen Unsinn?«

Gegen Journalisten trug er stets einen kleinen Groll, weil diese Sippe ihn einst wiederholt schwindelhaften Ringens beschuldigt hatte.

»Eine Unterredung mit Professor Doktor Schückedanz, so heißt es am Anfang.«

»So, so, der Schückedanz?«

Der würdige Simon ließ ein Pfeifen hören und schlug sich dann schnell auf den Mund. Kerzengerade stand er im Hintergrund und grinste boshaft.

Die Schirlitz trocknete den Schweiß von der Stirn und gab acht, den geschwärzten Brauen nicht zu nahe zu kommen.

»Ich kann nicht mehr.«

Gottesdank stelzte langsam heran: »Geben Sie mal her, Frau Pastor! Richtig, da kommen medizinische Fachausdrücke. So was ist mir ein Kinderspiel.«

Mit gönnerhafter Freundlichkeit warf er die Finger aus und zog sie wieder ein. Haarscharf, aber mit richtiger Betonung buchstabierte er und stellte bei jedem griechischen oder lateinischen Wort, das er kunstvoll und geziert aussprach, durch einen raschen Blick die Wirkung fest.

»»Die osteoplastische Resektion deckte die Zentralfurche und die beiden Zentralwindungen rechts auf.««

Er versuchte die Handbewegung des Geheimrats nachzumachen, und seine Fistelstimme kam in melodisches Rollen. Dann schloß er würdevoll: »»Die Operation endete mit der glücklichen Ausschälung eines neunzig Gramm schweren Myxosarkoms.««

Giacomo schlug die Hände zusammen: »Donnerwetter, das ist ja 'n richtiges Gansei! Um das auszuhalten, muß einer schon Williguth heißen!«

Wie ein kollernder Truthahn warf er den Kopf zurück.

Simon runzelte die Brauen und kniff die Augen ein. Zuviel Weihrauch ward da verbrannt. Jungem Volk tat dies nicht gut.

Wie ein stolzer Riese stand Giacomo in der dämmerigen Halle und schrie seine helle Freude hinaus, daß die Williguths den Tod besiegt hatten.

»Her mit dem Wisch, Alter! ... neunzig Gramm schweres Myxosarkom ... zu besten Hoffnungen berechtigt ... Ja freilich! Ein Dankgottesdienst bei St. Pankraz, an der Orgel Johann Sebastian Williguth! Na, Schirlitz, 'rein in das Schwarzseidene, Gesangbuch sittsam in die Hand, und ein Lob angestimmt auf den braven alten Herrn da droben! Und mein Pastor daheim soll ein fettes Schwein kriegen. Kinder hat er ja genug!«

Das rollte und krachte, als zöge Johann Sebastian alle Register auf einmal.

Die Schirlitz lächelte ängstlich: »Verzeihung, aber der junge Herr schläft, und – – –.«

»Pimpelei!« schrie Giacomo mit dreifach verstärkter Stimme und stürmte schon an Heinz' Zimmer, wie Israels Posaunen vor den Mauern Jerichos. Mit der aufklappenden Tür fiel er fast hinein.

Flora Schirlitz seufzte: »Nicht mal im Schlaf hat man Ruhe von diesem Volk.«

Gottesdank glättete bedächtig die Zeitung: »Mein Gott, so ein ehemaliger Ringkämpfer!«

Die Hausdame schlang die Hände ineinander, der Schlüsselbund klirrte wie feines Glockengeläute: es jetzt endlich besser wird?«

Simon Gottesdank legte die Fuchsschnauze in unendlich weise Falten.

»Abwarten!« sagte er patzig und pfiff durch die Lippen.

Die Schirlitz wurde ganz wirr im Kopf: »Ach, freilich, das mit den Zeitungen mag der Herr Geheimrat gar nicht.«

Wie ein Feinschmecker genoß der Alte seinen Triumph. Bedächtig und ein wenig verächtlich klopfte er auf das zusammengefaltete Blatt: »Das sind die Komödiantenmanieren der gnädigsten Gräfin Fortade. So gedrucktes Lob frißt das Theaterpack schon zum Frühstück. Wir brauchen aber das nicht, wir sind auch so jemand.«

Wieder ahmte er mit selbstbewußter Würde die große Geste Philipp Emanuels nach.

Im Schlafzimmer dehnte sich Heinz in glücklicher Faulheit und lächelte ein bißchen spöttisch zu Giacomos polternden, herzensguten Glückwünschen. Was machten diese Williguths doch für kerngesunden Lärm, wenn alles nach ihren Wünschen ging! Mit schlanker Hand schlug er den Wortschwall zurück: »Ach, was ist denn soviel daran? Heute nacht, ja, da meinte ich wohl einen Augenblick, es sei eine große Tat, aber schließlich hätte es auch Schückedanz gemacht. Und wenn erst Vater – – –.«

Er lauerte scharf zwischen halbgeschlossenen Lidern. Warum widersprach Giacomo jetzt nicht? Merkte er vielleicht gar, daß es heißen sollte: »Heute nacht, da glaube ich schon, ich hätte Vaters großen Namen zwischen beiden Fäusten zermalmt. Aber schließlich ist die Welt darüber weiter gegangen, und ich bin leer wie nur je zuvor?« Und da stand ein schlimmer Gedanke auf: Wäre Friedemann unter Meißel und Hammer geblieben, was dann? Heinz blinzelte mißtrauisch und lag dann ganz still.

Giacomo aber krähte wieder alle selbstherrliche Hoffahrt der Williguths hinaus: »Dein Vater kann stolz auf dich sein!«

Und er lächelte breit. Heinz schloß verdrossen die Augen. Er wußte es ja: Jeder verglich, jeder maß ihn am Vater.

»Über den Berg sind wir noch lange nicht.«

Die Hand reckte sich steilrecht und glitt im Bogen durch die Luft, schnell aber schlug er die Finger ein, weil er wider Willen die Gebärde seines Vaters zog. Seine kalte Stimme hieb den Williguthschen Dünkel scharf in die Flanken.

Mit runden, traurigen Kinderaugen schaute Giacomo, wie der kleine Elias, wenn man ihm ein Spielzeug fortnahm.

»Nein, nein! Der alte Gott wird schon weiterhelfen.«

Heinz klemmte ungeduldig die Lippen zwischen die Zähne. Den Williguths konnte man nicht an, mit Gott und dem Teufel hatten die ihre Sonderverträge und ließen davon kein Quentchen nach.

Da kam Jakobe, ein wenig zögernd, aber mit einer hellen Freudigkeit in jeder Bewegung, daß Giacomo heimlich den dicken Mund zum Pfeifen spitzte. Er schmunzelte wie ein würdiger Pfarrer, der kleine Streitigkeiten klug schlichtet und den Kopf fromm abwendet, ehe die Lippen sich finden.

»Das soll ich dir von Mama geben.«

Mit einem Lächeln, das spöttisch die eigene Freude zügelte, hielt sie ihm ein goldenes Zigarettenetui hin.

Giacomo griff nach dem Geschenk und wog es anerkennend auf gespreizten Fingern: »Schweres Gold, mein Junge. Na, die Miriam läßt sich nicht lumpen.«

Jakobe streckte die leeren Hände aus: »Ja, und ich habe gar nichts für dich – – –.«

Sie gab ein schmales Lächeln. Es hieß aber: Ich bin stolz auf dich.

Zerstreut streichelte Heinz ihre Hand.

Mit plumper Gefälligkeit zeigte Giacomo schnell den muskelstarken Rücken. Ganz ärgerlich schnaufte er in die beharrliche Stille.

Aber es klopfte nur, und die dürre Hand der Schirlitz schob ein Zeitungsblatt durch den Spalt: »Von Frau Gräfin.«

Jakobe breitete das Blatt aus. Eine Stelle war blau angestrichen.

»Die evangelische Kirchenzeitung.«

»Gib!« sagte Giacomo und las voll Williguthscher Würde: »Zum Dank für die glückliche Errettung des Superintendenten Friedemann Williguth aus Todesgefahr haben für die neue Orgel zu St. Pankraz gespendet: Gräfin Miriam Forcade 2000 M., Hofzuckerbäcker Robert Williguth 500 M., Johann Sebastian Williguth 100 M., Frau Minna Vogel 500 M. usf. Na, siehst du, Heinz, das hat der ›Blaue Herrgott‹ fein eingefädelt, um endlich zu seiner neuen Orgel zu kommen!«

Er schwang die Zeitung wie ein Festbanner.

»Na, Kinder, und morgen bringe ich endlich auch die blaue Deckelvase, sie ist wirklich wunderhübsch zusammengeleimt.«

Sein breites Lachen schlug allen Zweifel nieder.

 


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