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Wer etwas Treffliches leisten will,
Hätt' gern was Großes geboren,
Der sammele still und unerschlafft,
Im kleinsten Punkte die höchste Kraft.
Schiller.
Es war ein großer Entschluß, als Schiller nach neunjähriger Pause, noch unter Schwanken und Zweifel, sich wieder zum Drama hinwandte. Zunächst war es nur ein Versuch, noch nicht der bewußte Anfang der entscheidenden Lebensarbeit. Der erste Stoff, der ihn anzog, behandelte eine Episode aus der Geschichte des Johanniterordens auf Malta; »die Malteser« sollten eine Tragödie nach griechischem Vorbild werden, mit wenigen handelnden Personen, mit einfach strenger Entwickelung der Handlung und mit einem sie begleitenden Chor. Es ist interessant, daß schon hier der Gedanke der Wiederbelebung des Chors auftaucht, der viel später in der »Braut von Messina« erst verwirklicht wurde. Allem Anschein nach würde er in den »Maltesern« mehr dem griechischen Vorbild und dem erstrebten dramatischen Zwecke entsprochen haben, als es später der zwiespältige Chor der »Feindlichen Brüder« vermochte. Indessen wurde der antikisierende Plan doch bald von dem lange im stillen gehegten »Wallenstein« verdrängt, der dem modernen, aber durch historisches Studium geschulten Dramatiker das weiteste Feld bot, seine Fähigkeiten zu entfalten. Für den Wiedereintritt in dies Schaffensgebiet gewann Schiller eine fruchtbare Anregung aus der von ihm übernommenen Theater-Bearbeitung von Goethes Egmont. Iffland, jetzt in Berlin, kam 1796 zu einem Gastspiel nach Weimar und sollte dort die Titelrolle des bisher noch nicht aufgeführten Trauerspiels geben. Goethe spürte keine Lust, sich an eine Theaterbearbeitung zu machen, hatte aber die merkwürdige Unbefangenheit, diese Aufgabe Schillern, trotz seiner früheren, verständnislosen Rezension anzuvertrauen. Schiller schaltete nach seiner gewaltsamen Art mit dem Stück sehr frei, um es zu einem straffen, wirkungsvoll sich aufbauenden Bühnenstück zu machen. Im einzelnen natürlich mit viel Geschick; im ganzen aber doch nicht mit glücklichem Gelingen.
Das Stück widerstrebte seiner ganzen Anlage nach dieser orthopädischen Behandlung; es wurde ärmer und gröber, und doch als Ganzes nicht dramatisch. Schiller strich die ganze Rolle der Regentin, weil überflüssig für den Gang der Haupthandlung; er hätte noch eine ganze Anzahl Rollen aus demselben Grunde streichen können; denn es ist nur ein loser Zusammenhang, der die Szenen und die Personen hier verknüpft; aber ein gefälliger und wohltuender, der mehr empfunden als logisch nachgewiesen werden kann. In einzelnen Szenen zeigt Schiller freilich seinen dramatischen Scharfblick sehr wirkungsvoll; so wenn er die Szene zwischen Egmont und Oranien durch die Nachricht von Albas Nahen unterbrechen und dadurch die entscheidende Wendung erhalten ließ. In solcher Art konnte er immerhin an dieser Aufgabe seine bühnentechnische Fähigkeit, die lange geruht hatte, wieder erproben. Goethe war jedoch von der Bearbeitung nicht sonderlich erfreut und ließ es bei der einen Vorstellung durch Iffland bewenden; in seinem Zartgefühl gegen Schiller verzichtete er aber darauf, seinem Urteil irgendwie Ausdruck zu geben. Auch war er von der dramatischen Unvollkommenheit seines »Egmont« selbst überzeugt; und gerade jetzt der epischen Dichtung ganz hingegeben, erwartete er eine würdige und zweckmäßige Entwickelung des deutschen Dramas erst von Schillers neuem, langsam sich vorbereitendem Werk.
In diesem Sinne betrachtete auch Schiller sein Unternehmen, als er im Herbst 1796 endlich sich definitiv zum »Wallenstein« entschloß. Er fühlte, daß er jetzt das Probestück auf die lange Lehrzeit ablegen mußte, die er sich selbst aufgegeben hatte; er fühlte das nicht mit der besorgten Aufregung dessen, der seinen Ruhm zu steigern oder zu kompromittieren hat, sondern im Bewußtsein einer großen Verantwortung; er fühlte sich schuldig, nunmehr etwas Großes, das seiner eigenen Selbsteinschätzung endlich genugtäte, hervorzubringen.
Es dauerte lange, bis er den Weg fand, der ihn zum befriedigenden Ziel führte. Zweiundeinhalbes Jahr hat die Arbeit noch gewährt und die verschiedensten Phasen durchgemacht. Anfänglich dachte er die Prosaform zu wählen und hatte schon die Ausführung in dieser Art begonnen; dann entschloß er sich doch zum fünffüßigen Jambus, da ihm der poetische Gehalt unumgänglich auch die äußere poetische Form zu fordern schien. Nach Wilhelm Humboldts Zeugnis wurde ihm an der ersten Szene zwischen Max Piccolomini und Thekla die Notwendigkeit des Verses einleuchtend. Ursprünglich dachte er der eigentlichen Tragödie nur das »Lager« als Vorspiel vorauszuschicken (für das er den Hans Sachsischen Knittelvers gewählt hatte) und im übrigen mit den hergebrachten fünf Akten auszureichen. Dann zeigte sich, daß die Masse des Stoffs eine Teilung erfordere, und es wurden das Schauspiel »Die beiden Piccolomini« und das Trauerspiel »Wallenstein« in der Abgrenzung, in der wir sie jetzt lesen, entworfen. Dieser Entwurf wurde aber bald dahin abgeändert, daß die beiden ersten Akte des »Wallenstein« noch zu den »Piccolomini« gezogen wurden. Da beide Stücke fünf Akte behalten sollten, so mußte die Akteinteilung nun gänzlich geändert werden. In dieser Form ist die Trilogie zuerst auf die Bühne gelangt; schon für den ersten Druck stellte Schiller aber die frühere Einteilung wieder her, die den Vorteil bot, daß die Kürze der »Piccolomini« nun erlaubte, dies Stück an einem Tage mit dem »Lager« zu spielen.
Diese Schwierigkeiten, die die äußere Form dem Dichter machte, waren aber gering neben denen, welche die innere Form, die Verarbeitung des historischen Rohstoffes zu einer einheitlichen und organisch gegliederten tragischen Handlung, ihm bereitete. Was Schiller hier geleistet hat, ist nicht hoch genug zu schätzen; hierauf bezieht sich Goethes Urteil, der »Wallenstein« sei »so groß«, daß ihm nichts an die Seite gestellt werden könne. Betrachtet man die verwickelte Lage des Reichs und speziell der kaiserlichen Lande, die verdeutlicht werden mußte – oder betrachtet man das schwankende, unklare Bild, das die Geschichte uns von Wallenstein und seinem Handeln überliefert hat, und das menschlich begreiflich, überzeugend gestaltet werden mußte, in jeder Richtung wird man Schillers Leistung bewundernswert finden. Er erwies sich jetzt als Meister der historischen Dichtung im besten Sinn, die nicht nur Namen und nicht nur Kostüm von der Geschichte entleiht, sondern die Geist und Charakter einer verschwundenen Zeit wieder aufleben läßt und dadurch unsere Weltkunde erweitert, unsere Kenntnis des Menschen vertieft. Gewiß kam ihm hierbei das langjährige, historische Studium zu nutze; aber wesentlicher war die gewonnene, im Verkehr mit Goethe gefestigte objektive Sinnesart. Er war sich selbst darüber vollständig klar und wünschte im »Wallenstein« ein rechtes Probestück seiner Objektivität zu liefern. Er erkannte, daß er seine früheren Dramen weniger mit künstlerischem Interesse, als mit den Affekten von Liebe und Haß gedichtet, daß seine Helden mehr Geschöpfe seines schwärmerischen Idealismus als sicherer psychologischer Kunst gewesen seien. Den Charakter Wallensteins aber behandelte er jetzt »mit der reinen Liebe des Künstlers«; er fand in ihm nichts Sympathisches. Scharf, wie er immer zu zergliedern pflegte, setzte er auseinander, daß Wallenstein weder vor dem sittlichen Gefühl bestehe, denn er sei ein Verbrecher, – noch vor dem Verstande, denn sein verbrecherischer Anschlag mißlinge. Das ist vollkommen richtig, und der Stoff erweist sich besonders dadurch als ein so ungünstiger, daß auch kein Moment scheinbaren Gelingens Wallenstein gegönnt ist, und daß er sowohl in sittlicher als in praktisch-politischer Hinsicht stets Warner und Mahner an seiner Seite hat, die harte, zum Teil respektlose Urteile über ihn fällen. Nun aber betrachte man zugleich, mit welchem Zauber, Zauber der Autorität und der Sympathie Schiller den Helden zu umgeben gewußt hat. Wenn man studieren will, was rein ästhetische Auffassung und rein ästhetische Wirkung bedeuten, so suche man im einzelnen zu ergründen, wie Schiller hier mit bewußter Meisterschaft erfüllt hat, was er im Prolog der Wallenstein-Dichtung aussprach: »Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte. Doch euren Augen soll ihn jetzt die Kunst, auch eurem Herzen menschlich näher bringen.«
War aber schon die Schwierigkeit groß, die der Dichter sich durch die Wahl des Helden schuf, so war es nicht minder die andere, die er sich durch seine Anforderungen an die eigentlich dramatische Behandlung bereitete. Wir wissen – Schiller war ursprünglich Bewunderer und Nachfolger Shakespeares; in späterer Zeit hatte er das griechische Drama zu verehren gelernt; diese beiden, scheinbaren Gegenpole dramatischer Kunst wollte er in einer neuen Form versöhnen. Hatte auch Lessing in seiner »Dramaturgie« dem vorgearbeitet, indem er auf das wesentliche Gemeinsame der beiden großen Vorbilder hinwies und die so großen Verschiedenheiten als zeitlich und örtlich bedingtes Nebenwerk erklärte, so blieb doch Schillers Unternehmen ein grenzenlos kühnes, wie es nur dem höchsten Selbstvertrauen möglich war. Wohl las er Lessing, las auch die von jenem ins rechte Licht gerückte Poetik des Aristoteles, – was konnte dies alles aber zur wirklichen Ausführung helfen? Den Hauptpunkt setzte Schiller in die Vereinigung der Charaktertragödie Shakespeares mit der Schicksalstragödie der Alten. Er glaubte die höchste tragische Wirkung zu erzielen, wenn er den Helden einesteils selbst sein Geschick verschulden, andernteils ihn durch die Macht nicht zu beherrschender Verhältnisse herabgezogen werden ließ. Beides konnte ja äußerlich nebeneinander gestellt werden. Schiller gelang dies durch den genialen Griff, daß er das Schicksal nur durch die Verblendung des Helden, (die griechische »Ate«), wirksam werden ließ. Alles was Wallenstein im äußern Verlauf als Schicksalsfügung empfindet, ist es nur in seiner Illusion, hat in Wirklichkeit einen ganz einfachen und natürlichen Gang; nur in ihm selber, in der riesenhaften Täuschung über sich selbst und die anderen, erweist sich das Schicksal und verbindet sich da innig mit dem Charakter des Helden. Etwas Besonderes, Neues bleibt es aber doch; durch die Verblendung wird man kein gewaltiger Heeresfürst, sondern durch das Gegenteil, durch höchste Klarheit und Scharfsichtigkeit. Aber auf dem Gipfel seiner Erfolge hat sich das dunkle Verhängnis der Verblendung zerstörend in ihm eingenistet.
Und ebendasselbe Mittel ist es auch, durch welches Schiller jene erste Schwierigkeit aufs genialste löst, den unterliegenden Verräter ehrfurchtgebietend und sympathisch erscheinen zu lassen. Unwillkürlich beurteilen wir ihn nach seiner eigenen Auffassung und nach seinen eigenen Worten; wir billigen sein Verbrechen, weil er selbst sich für berechtigt dazu hält, und wir glauben an seine Allgewalt, weil er selbst an sie glaubt. Es ist – um mit einem modernen Wort zu reden – wie eine übergewaltige Suggestion, die von ihm ausgeht. Wer den »Wallenstein« auch nur von einem halbwegs genügenden Schauspieler gesehen hat, wird diesen Eindruck empfunden haben, daß, sobald er auf der Bühne erscheint, alles selbstverständlicherweise für uns sogleich in die Beleuchtung tritt, in der er selbst es gesehen haben will. Welche poetische Darstellungskraft war aber dazu erforderlich! Wohl die meisten Dramatiker würden hier an der Klippe der Lächerlichkeit gescheitert sein, welcher der stets sich selbst rühmende und sich selbst täuschende Held verfallen wäre! Diese Klippe hat Schiller sehr geschickt dadurch vermieden, daß er den ideal gesinnten Max Piccolomini uns als überzeugten Verehrer Wallensteins zeigt, dagegen die, welche Wallenstein um der Selbsttäuschungen willen tadeln, besonders Illo und Terzky, als ziemlich platte Gesellen auftreten läßt; der Zuschauer wünscht natürlich nicht zu dieser kümmerlichen Gesellschaft zu gehören und stellt sich mit Max auf die Seite des großen Mannes, dessen Worte freilich Orakelsprüche sind, – aber trügerische.
Gegenüber dem, was in diesen Hauptpunkten der künstlerischen Organisierung des gewaltigen Stoffes geleistet ist, kommt alles, was die äußere Ökonomie angeht, wenig in Betracht, so kunstvoll es auch an sich ist. Schiller hat es ermöglicht, die ganze Handlung, die so verschiedene Phasen hat, so weite Perspektiven eröffnet, in vier Tagen sich abspielen zu lassen (das »Lager« ausgeschlossen), und zwar ohne Zwang; nur die räumlichen Entfernungen erscheinen etwas verkürzt, so daß sie in geringeren Zeiträumen zurückgelegt werden können, – jedenfalls eine erlaubte poetische Lizenz. Die szenischen Mittel sind für das breite Weltbild, das gegeben werden mußte, die denkbar einfachsten, und auch die Zahl der Personen, die zur Charakteristik der Wallensteinischen Generalität vorgeführt werden, ist nur gering, aber mit sorgfältigem Bedacht auf typische Wirkung ausgewählt. Es war nicht möglich, mit weniger Aufwand eine so große Leistung zu erreichen.
Ehe wir zur speziellen Betrachtung des Stückes schreiten, sei noch auf einen charakteristischen Hauptpunkt hingewiesen. Wie Schillers Objektivität nicht mehr einen Idealhelden aufzustellen strebte, so hat er auch vermieden, in dem wichtigsten Gegenspieler einen Bösewicht, einen Franz Moor, Wurm oder Domingo zu zeichnen. Octavio Piccolomini ist vielmehr ein treuer Diener seines Kaisers und ein besorgter Familienvater. Aber mit welcher Kunst ist zugleich um diesen Mann ein wahrer Dunstkreis von abstoßenden Wirkungen gezogen, so daß Wallenstein keinen Augenblick Gefahr läuft, unsere Sympathien an seinen Gegner zu verlieren. Ja was noch mehr, ist – Octavio ist zwar das ganze Stück hindurch in einer Lage, die ihm unser menschliches Mitgefühl wegen seiner beständigen Sorge um den Sohn eintragen müßte; aber selbst dieses Mitleid wird in uns nicht recht lebendig; unser Empfinden spricht dem Wallenstein viel mehr Recht auf Max Piccolomini zu, als dem eigenen Vater.
Überblickt man dies alles, so darf man wohl sagen, daß im Walllenstein-Zyklus, der Frucht jahrelanger, schärfster geistiger Anstrengung, die Kunstfertigkeit der Faktur bis zum Raffinement getrieben ist, aber dies Raffinement entdeckt nur der zergliedernde Forscher; der unbefangene Zuschauer und Hörer empfängt den Eindruck eines einheitlichen, zwingenden Ganges und einer notwendigen, zermalmenden Katastrophe.
Das Vorspiel des Ganzen (ursprünglich »Die Wallensteiner«, dann »Wallensteins Lager« genannt) läßt freilich den notwendig tragischen Ausgang noch nicht voraussehen. Mit dieser ihm so ergebenen Armee glaubt man, daß der Feldherr alles wagen könne. Es wäre deshalb wohl besser gewesen, der Kaisertreue in diesem Lager eine etwas kräftigere Vertretung zu geben als durch die »Tiefenbacher, Gevatter Schneider und Handschuhmacher«. Aber wer fragt bei dem köstlichen Humor und der Lebensfrische dieses Lagerbildes nach Dingen, die außerhalb seiner Grenzen liegen. Auch ist es nicht als integrierender Teil der Tragödie zu betrachten. So sehr die »Piccolomini« und »Wallensteins Tod« zusammengehören, vereinigt nur ein Drama bilden, das bloß aus äußeren Rücksichten geteilt ist, so entschieden ist das Lager eine selbständige, in sich abgeschlossene Dichtung. Durch das eigenartige Versmaß ist das deutlich ausgedrückt. Es war ein kühner Wurf, das durch Goethes Jugenddichtungen erst wieder bekannt gewordene altdeutsche Versmaß nun auf die Bühne zu führen. Kühn, schon um der Abneigung und Ungeschicklichkeit der Schauspieler willen, kühn, weil der Erfolg von Schillers großem Unternehmen schon gleich beim ersten Schritt kompromittiert werden konnte. Aber der Wurf war mit richtigem Blick getan, und er gelang. Für diesen Stoff war keine Form angemessener. Der fünffüßige Jambus wäre nicht charakteristisch genug, die Prosa nicht idealistisch genug gewesen. Es sollte ja das rohe Kriegsleben gezeichnet, aber doch zugleich ein Schimmer darum gewoben werden, der es dem Zuschauer anziehend erscheinen ließ. Die Reden des »Ersten Jägers«, des »Ersten Kürassiers«, in ihrem Preise der schrankenlosen Befriedigung aller Wünsche würden in Prosa brutal und gemein klingen; im Verse erhalten sie einen Schwung, der sie über »das Gehudel« des gewöhnlichen Lebens erhebt. Um dieses Ziel der Idealisierung zu erreichen, ist auch die Komposition des »Lagers« sehr geschickt geordnet. Es beginnt mit ganz platten, niedrigen Szenen, dem Bauer, der seine falschen Würfel probieren will, dem Scharfschützen, der einen Kroaten betrügt; es hebt sich schon in den harten, aber doch schwungvollen Reden des »Ersten Jägers«; nach der humoristischen Unterbrechung durch den Kapuziner wird es dann zu den ernsten Fragen geführt, die der »Erste Kürassier«, der Wachtmeister, der Arkebusier – unter sich erwägen; endlich wird es durch die stolze Selbstschilderung des Kürassiers mit gewaltigem Schwung zu der Höhe gerissen, auf der es frei und natürlich in das hymnusartige Reiterlied ausmündet, das die wirkliche Wallensteinische Soldateska gewiß nicht gesungen hätte. In diesem Lied erreicht die Idealisierung ihren Gipfel; Bürger und Bauer sind in einer dunklen Tiefe unfindbar verschwunden, und die Lichtgestalt des Soldaten stürmt allein durch den schrankenlosen Raum hin. Und so unmöglich es scheint, der verheerende Wallensteinsche Soldat ist hier wirklich zum Träger des persönlichen, Schillerschen Idealismus erhoben. In den Versen:
»Da tritt kein Anderer für ihn ein,
Auf sich selber steht er da ganz allein ...
Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,
Der Soldat allein ist der
freie Mann.
Und setzet ihr nicht das Leben ein,
Nie wird euch das Leben gewonnen sein,«
in diesen Versen liegt die ganze Erhabenheit Schillerscher Lebensanschauung beschlossen. Und dieses Soldatenlied ist unzähligemal gesungen worden und wieder gesungen, ohne daß ein Widerspruch zwischen seinem realen Inhalt und dem hineingelegten idealen Gehalt empfunden wird. Das ist die Macht der genialen Dichterkraft!
Diese kühne Verbindung des »Gemeinen« (um mit Schiller zu reden) und des Erhabenen wäre aber unmöglich gewesen, wenn nicht der Humor als vermittelndes und ausgleichendes Element wirksam gewesen wäre. Er umspielt das ganze Lager, selbst die trotzig-verbissene Gestalt des Bauern und die philiströse des Bürgers; er ist am feinsten verwendet in der Gestalt des Wachtmeisters; am kräftigsten in der des Kapuziners. An dieser letzten wirksamen Gestalt ist freilich Schillers persönliches Verdienst nicht so groß, da er hier sehr starken Gebrauch von den Predigten des berühmten Abraham a Santa Clara gemacht hat, auf die Goethe ihn hingewiesen hatte. An Begabung für das Komische hat es Schiller zweifellos nicht gefehlt; die Richtung seines Geistes aber brachte es mit sich, daß sie sich nicht frei entfalten konnte. In dem »Pater« der »Räuber«, im »Mohren« in »Fiesco«, im »Hofmarschall« in »Kabale und Liebe« hat Schiller sehr dankbare, aber nicht umfangreiche komische Rollen geschaffen. Im »Don Carlos« ist Komik kaum zu bemerken: in »Wallensteins Lager« tritt sie aber herrschend auf, als ein kräftiges Zeugnis der Frische und Freudigkeit, die jetzt über Schiller gekommen war. Auch in den beiden folgenden Teilen der Trilogie finden sich humoristische Elemente. In seinen späteren Stücken hat sich Schiller ihrer so gut wie ganz entschlagen, – und nicht zu seinem Vorteil, – obgleich die Lagerszenen der »Jungfrau von Orleans«, die Volksszenen im »Wilhelm Teil« sehr wohl Gelegenheit zu komischer Behandlung boten. Allein es widerstrebte dies seinem Stilgefühl, und es ist darum auch charakteristisch, daß er das »Lager« nicht als ersten Akt der Tragödie behandelt, sondern es als ein ganz abgesondertes Stück hingestellt hat. In der Tat wird alles für den Gang der Handlung wichtige, was sich im »Lager« findet, in den »Piccolomini« wieder rekapituliert, so daß dieses Stück auch ohne das »Lager« vollkommen bestehen kann. Die allgemeine Kriegslage, die Aktion, die man von Wallenstein verlangt, das Ansinnen, einen Teil seiner Truppen dem spanischen Infanten abzutreten, der Beschluß der Regimenter, dagegen zu protestieren, – alles dies erfahren wir in den »Piccolomini« von neuem. Es haben denn auch in Berlin tatsächlich die ersten Wallenstein-Aufführungen ohne das »Lager« stattgefunden, das Iffland Bedenken trug, in einem »militärischen Staate« wie Preußen auf die Bühne zu bringen. Andererseits aber kann auch das »Lager« sehr wohl für sich allein aufgeführt werden. Es ist ein abgerundetes Kunstwerk, stets seiner Wirkung auf der Bühne sicher, das trotz aller bunt wechselnden Bilder doch in sicherem Gang uns zum Zielpunkt seiner Handlung führt, dem Beschluß der Truppen, sich durch nichts von Wallenstein trennen zu lassen.
Daß die Wallenstein-Tragödie keine »Trilogie« im altgriechischen Sinne sei, eine Folge von drei selbständigen, aber in Beziehung zu einander stehenden Stücken, ist längst erkannt worden. Abgesehen von dem nur lose verbundenen Vorspiel ist sie eine einheitliche Tragödie, nur aus praktischen Gründen wegen der übergroßen Länge in zwei Stücke zerlegt. Wollen wir aber den dramatischen Aufbau erkennen, so müssen wir den ursprünglichen Grundplan ins Auge fassen, der bloß die einfache Einteilung in fünf Akte kannte. Wir werden daher im folgenden stets uns dieser Einteilung bedienen und bezeichnen daher als ersten Akt die beiden ersten der »Piccolomini«, als zweiten die drei letzten Akte dieses Stückes, als dritten die beiden ersten Aufzüge von »Wallensteins Tod«, als vierten den dritten Akt desselben Stückes, und als fünften die beiden Schlußakte. Es ist sehr zu beklagen, daß wir auf der Bühne nie Gelegenheit haben, das Ganze in einer Folge zu sehen; es wird dadurch der Höhepunkt des ganzen Stückes aus seiner beherrschenden Stellung in der Mitte gerückt und an den Anfang der zweiten Vorstellung gesetzt, wo er nicht genügend vorbereitet, nicht die gehörige Wirkung tun kann; dies ist um so schlimmer, als man oft auf die Aufführung der »Piccolomini« überhaupt verzichtet und sich nur mit »Wallensteins Tod« begnügt. Die beiden Stücke wie sie sind an einem Tage vorzuführen, ist allerdings unmöglich; die Versuche, durch bloße Kürzungen es zu erzwingen, sind bisher nicht glücklich ausgefallen; es mußte eine zusammenziehende Bühnenarbeit gewagt werden, wie sie Shakespeares Heinrich IV. und Heinrich VI. gefunden hat. Freilich nur von berufenster Hand; denn an dieses kunstvolle Gebäude rühren und es umbauen kann nur ein Meister.
Der Höhepunkt der ganzen Tragödie ist natürlich Wallensteins Entschluß, die verräterische Verbindung mit den Schweden einzugehen. Am Schluß der inhaltschweren Unterredung mit der Gräfin Terzky trifft Wallenstein seine Entscheidung; er läßt den schwedischen Abgesandten rufen, um den Vertrag zu unterzeichnen; diese geschäftsmäßige Szene selber hat der Dichter nicht dargestellt. Alle Kunst aber hat er aufgeboten, um den Entschluß Wallensteins zu motivieren; äußere und innere Ursachen wirken mit zwingender Gewalt zusammen.
Die Stellung Wallensteins, seit er zum zweitenmal das Kommando übernommen, ist von einer Beschaffenheit gewesen, daß ein Zerwürfnis mit dem Kaiser unausbleiblich war. Wenn Wallenstein im Augenblicke, da er unentbehrlich war, sich Bedingungen erzwang, die den Kaiser in seinem eigenen Heere aller und jeder Macht beraubten, so mußte er sich sagen, daß der Kaiser diese Sachlage nur so lange dulden würde, als eine unumgängliche Notwendigkeit bestand. Sie bestand nicht mehr, sobald Gustav Adolf gefallen war, und von dem Augenblicke begannen auch die stillen Wünsche hervorzutreten, die sich gegen Wallensteins Stellungen richteten. Aber inmitten seines ihm unbedingt ergebenen Heeres war der Feldherr stark genug, allen Anschlägen zu widerstehen; gegen jedes Ansinnen von Wien aus konnte er seinen Willen mit sicherem Erfolg geltend machen. Wenn er nun außerdem noch Stütze bei den Feinden suchte, wenn er mit den Schweden und Sachsen anband, so tat er dies nicht nur um sich zu schützen, sondern weil er weitergehende Pläne hatte, weil er nach der böhmischen Königskrone trachtete. Dies der Punkt, an dem die entscheidende Verblendung geschehen ist; er überschätzt sich selbst und seine Macht in verhängnisvoller Weise. Wohl ist er stark genug, um das Heer auch gegen des Kaisers Willen in seiner Hand zu behalten, aber nicht stark genug, um es zum Feinde herüberzuführen. Deutlich sprechen das in der Stunde, da es sich um einen endgültigen Entschluß handelt, Pappenheims Kürassiere aus.
Ist's deine Absicht bloß, dies Kriegsszepter,
Das dir gebührt, das dir der Kaiser hat
Vertraut, in deinen Händen zu bewahren, ....
So wollen wir dir beistehn und dich schützen
Bei deinem guten Rechte gegen jeden ....
Wenn's aber .... wahr ist, daß du uns zum Feind
Treuloserweise willst hinüberführen,
Was Gott verhüte! Ja so wollen wir
Dich auch verlassen.
Den Entschluß, zum Feinde überzugehen, hat freilich Wallenstein jahrelang hinausgeschoben; er behauptet sogar später, er habe mit dem Gedanken nur »gespielt«. Doch das ist wohl ein zu milder Ausdruck; richtiger ist wohl der andere, »daß er die Wege bloß sich offen hab' gehalten«. Und eine charakteristische Selbsttäuschung liegt darin, daß er glaubte, ein solches Verfahren könnte absolut geheim bleiben. Um so mehr, als er seine Schonung der Feinde mehrmals deutlich und, zum Schaden der kaiserlichen Sache an den Tag treten ließ. Daß der Kaiser, sobald dieser Verdacht auftauchte, sofort die energischsten Maßregeln ergriff, ist natürlich. Und ebenso, daß er sein Werkzeug in einem Manne fand, der gerade in diese hochverräterischen Pläne Wallensteins eingeweiht war. Octavio Piccolomini ist durchaus nicht von Haß gegen den Feldherrn, der ihn als seinen nächsten Freund behandelt, erfüllt; er tut nur, was sicherlich die meisten der Generale getan haben würden, wenn Wallenstein sie zu Vertrauten seiner Verhandlungen mit den Feinden gemacht hätte; aber freilich tut er es mit der versteckten Schlauheit, die seinem Charakter eigentümlich ist und gar manchem anderen widerstrebt hätte. Zu Beginn des Stückes hat Octavio die Bestallung als Nachfolger Wallensteins bereits in Händen; es ist ein tief tragischer Zug, daß wir die Strafe des Frevels schon eingeleitet sehen, ehe noch der Frevel vollzogen ist. Aber nebensächlich wird der Frevel dadurch doch nicht; denn ohne ihn hätte Octavio nie wagen dürfen, mit jener Bestallung hervorzutreten; ein wertloses Blatt wäre sie geblieben. Zwar macht man den Versuch, das Heer auseinanderzureißen, um so die Macht des Feldherrn zu schwächen; aber abgesehen von den detachierten Korps von Gallas und Altringer ist wenig Aussicht für ein Gelingen dieses Planes. Der kaiserliche Gesandte Questenberg, der Auftrag hat, die Abzweigung von achttausend Reitern von der Armee durchzusetzen, wird mit Hohn von der Generalität empfangen und nur durch Octavios Eintreten vor Insulten geschützt. Wallenstein benutzt die Gelegenheit, um dem kaiserlichen Bevollmächtigten ein glänzendes Bild seiner schrankenlosen Gewalt zu geben. In der großen Audienzszene, wo er Questenberg mit eisiger Ironie behandelt, zeigt er zuerst, daß nur sein Befehl, nicht der des Kaisers bei der Armee gilt, um dann weiter durch die bloße Andeutung seines möglichen Rücktritts einen förmlichen Aufruhr unter den Generalen hervorzurufen.
Mit Benutzung dieser Stimmung wird es Illo und Terzky leicht, am Abend von den Generalen die bekannte Erklärung zugunsten des Herzogs zu erhalten, die freilich nur durch den plumpen Betrug mit der »Klausel« zu einer unbedingten Verpflichtung gemacht wird. Das Bankett ist der Höhepunkt der Szenenreihe, die uns mit der Wallensteinschen Generalität bekannt macht und uns in diesem fremdartig wilden Kreise so heimisch werden läßt, daß wir ihn im Innern und Äußern zu durchschauen und zu überschauen glauben. Hervorragende Persönlichkeiten sind nicht darunter. Ohne weiteres erkennen wir, daß der »Friedländer« hier der einzige Zähler ist. Selbst unter denen, die ihm am nächsten stehen, ist nur Octavio durch seine diplomatische Kunst ausgezeichnet; militärische Bedeutung wild auch ihm nicht zugeschrieben. Terzky, Wallensteins Schwager, ist eine kleinlich beschränkte Natur, die keinen anderen Gedanken hat, als sich mit seinem Hause an den großen Mann, wenn er in die Höhe steigt, irgendwie anzuhängen, der aber selbst gar nichts dazu zu tun weiß. Illo, der andere Vertraute, ist ein Abenteurer, wie sie zum Bilde jener Zeit gehören, der sein Glück durch Wallenstein gemacht hat und weiter zu machen hofft, der große Worte im Munde führt, aber an Taten nicht mehr als einen gänzlich wertlosen Spitzbubenstreich aufzubringen vermag. Diese nächste Umgebung des Feldherrn ist so geringwertig, daß sie ihm nicht einmal als Folie dienen kann, sondern ihn vor unseren Augen herabzieht. Es war unumgänglich notwendig, wenigstens eine edlere Persönlichkeit untrennbar von ihm uns zu zeigen, und das ist in Max Piccolomini geschehen. Wie Körner sehr richtig bemerkte, Wallenstein verklärt sich für uns in Max' Enthusiasmus; diese begeisterte Hingabe des idealgesinnten jungen Helden ist eines der wirksamsten Mittel, die Schiller angewandt hat, um unsere Sympathie für Wallenstein trotz der oben dargelegten Schwierigkeiten zu gewinnen. Man hat es wohl dem Dichter zum Vorwurf gemacht, daß er inmitten der Gräuel der Kriegszeiten eine so ideale Gestalt hat erstehen lassen. Aber mit Unrecht! Zu jeder Zeit und an jedem Ort finden sich auch Persönlichkeiten, die nicht aus dem jetzt so vielgenannten »milieu« zu erklären sind, die als Fremde in ihrer Umgebung erscheinen. Sie sind meist zum Unterliegen, zum Untergang prädestiniert, – und gerade dies führt der Dichter uns im Beispiel des Max vor Augen. Hätte er uns gezeigt, daß ein Charakter dieser Art im dreißigjährigen Krieg zu hoher Macht und Würde gelangt sei, so würde er allerdings etwas höchst Unwahrscheinliches dargestellt haben; da er aber uns zeigt, wie Max zugrunde geht, und zwar nur durch seine der Roheit des Zeitalters nicht gewachsene, zarte seelische Organisation, so vollendet er durch diesen Zug nur das charakteristische Zeitbild. Man hat sogar tadelnd gefragt, wie es denn komme, daß die Pappenheimschen Kürassiere sich einen solchen Offizier zum Obersten erwählt haben, der mit dem bei Lützen gefallenen Pappenheim sicherlich wenig Ähnlichkeit hatte; aber dies liegt vor Beginn unseres Dramas, und derartige Voraussetzungen muß man jedem Dramatiker zugeben; über eine gewisse Grenze hinaus darf man von ihm nicht Motivierungen für das Vergangene verlangen. Ein sehr feiner Zug ist es unstreitig, daß ein Bewußtsein seines Unterschieds von der Umgebung in Max erst durch die Neigung zu Thekla entsteht, überhaupt durch den Einfluß weiblichen Wesens, den er erst jetzt als Reisebegleiter der herzoglichen Familie erfahren hat.
Die große Masse der Generalität sondert sich deutlich in mehrere Gruppen. Da sind zunächst die »Wälschen«, die Wallenstein immer bevorzugt hat, die ihm stets treu gewesen sind und ihm so lange treu bleiben werden – Octavio Piccolomini. Dieser – in seiner List und Glätte ist für sie typisch, und wie er sind sie für Wallenstein eine trügerische Stütze, weil sie als berechnende Italiener schließlich das Sichere, wenn auch weniger Glänzende, den unsicheren Möglichkeiten vorziehen. Da sind die Deutschen, die bei aller Anhänglichkeit an den Feldherrn doch sich durch den Treueid unwiderruflich verpflichtet fühlen; ein hervorragender Vertreter von ihnen ist nicht eingeführt, weil ihr Standpunkt schon von Max Piccolomini aufs wirksamste vertreten wird. Da sind endlich die Abenteurer nach Illos Muster, – die Buttler und Isolani; diese können von jeder Seite gewonnen werden, wenn man sie richtig zu behandeln weiß. Dies hat Wallenstein verstanden; durch eine gewagte Intrige hat er Buttler gegen den Hof aufgehetzt, – den Spieler Isolani hat er durch königliche Freigebigkeit an sich gefesselt. Buttler ist von jeher als eine Meisterschöpfung des Dichters bewundert worden. Die Entschiedenheit, mit der er zuerst auf der einen Seite steht, dann, als er über jene Intrige aufgeklärt worden, sofort auf der anderen die entscheidende Aktion in die Hand nimmt, gibt das Bild eines eisernen Charakters. Der Eindruck des schrankenlosen Egoismus, den seine bloß durch persönliche Rücksichten motivierte Handlungsweise hervorruft, wird dadurch gemildert, daß mit jenen Motiven auch seine soldatische Ehre aufs engste verbunden ist. Es klingt wie ein eigenes Bekenntnis Schillers:
Ein Jeder gibt den Wert sich selbst. Wie hoch ich
Mich selbst anschlagen will, das steht bei mir.
So hochgestellt ist keiner auf der Erde,
Daß ich mich selber neben ihm verachte.
Den Menschen macht sein Wille groß und klein.
Nur eine große Dichterkraft konnte nun diesen klaren und scharfen Charakter zugleich mit dem geheimnisvollen Dunkel umkleiden, das ihn wie einen Boten der über Wallenstein sich herabsenkenden Nemesis erscheinen läßt. Es ist das unbedingte Selbstgefühl Buttlers, das sich bis zum Geheimnisvollen steigert und die Brücke zwischen diesen beiden Seiten seines Wesens bildet. Indem er sich selbst als eine Persönlichkeit empfindet, die in ihrer unerschütterlichen Festigkeit nicht anders handeln kann, als sie handelt, empfindet auch der Zuschauer in ihm eine unabänderliche, schicksalgleiche Macht, die unaufhaltsam ihr Werk vollenden muß und wird.
All diese verschiedenartigen militärischen Gestalten sehen wir aber zunächst durch jene Verpflichtung beim Bankett scheinbar zu einer Einheit zusammengefaßt. Ihre schrankenlose Selbstauslieferung an Wallenstein enthält für diesen eine starke Aufforderung, den lang verzögerten Schritt endlich zu wagen. Aber eine weit stärkere noch tritt in derselben Nacht hinzu. Der Unterhändler, durch den die Beziehungen mit den Feinden gepflogen wurden, Sesina, wird mit wichtigen Schriftstücken, zwar nicht von Wallensteins, aber doch von Terzkys Hand, von den Kaiserlichen gefangen. Der Wiener Hof hat nun die lang ersehnten Beweise in der Hand; natürlich erhält zuerst Octavio die Nachricht davon. Auch dieser hat jetzt die lang gewünschte Handhabe, um die eben noch so friedländisch gesinnten Generale herüberzuziehen. Er versucht es zunächst bei seinem Sohn, aber vergeblich. Max will sich bei dem Feldherrn selber die Aufklärung der ihm unbegreiflichen Vorgänge schaffen.
Der dritte Akt ist größtenteils der endlichen Herausarbeitung von Wallensteins Entschlusse gewidmet. Der Dichter hat die Motive geradezu gehäuft. Um so bezeichnender ist es, daß er eines, das am Anfang und am Schluß der Tragödie breit hervorgehoben wird, hier am entscheidenden Punkte nicht erwähnt. Es sind die patriotischen und nationalen Ziele, die sich Wallenstein mehrmals zuschreibt. Sie sind eben nicht seine wirklichen Motive, darum bleiben sie mit gutem Grunde außer Betracht, wo wir in das Innerste seines Charakters eingeführt werden. Schiller wollte eine »Herrscherseele« zeichnen, aber eine solche, die ausschließlich von dem persönlichen Motive der Herrschsucht bestimmt wird. Fünf Anlässe sind es, die zusammentreffen, um Wallensteins Entschluß zu bestimmen; zunächst die glückliche »Sternenstunde«, dann die von seiner Gemahlin ihm mitgeteilte Absicht des Wiener Hofs, ihn womöglich abzusetzen, ferner die Nachricht von der Gefangennahme Sesinas, weiter die schriftliche Verpflichtung der Generale, endlich das Eintreffen eines schwedischen Bevollmächtigten. Der erstgenannte Anlaß, die günstige Konstellation, müßte für sich allein viel stärker auf Wallenstein einwirken als er es tut, – wenn dieser dem Sternenglauben wirklich mit gläubiger Hingabe anhienge. Aber für ihn ist dieser Schicksalsglaube nur eine Form seines Glaubens an sich selbst. Er glaubt der Astrologie, weil sie ihm eröffnet hat, daß er, unter dem Zeichen des Jupiter geboren, zu großen Dingen berufen sei. Im einzelnen aber verhält er sich gegen ihre Mahnungen sehr gleichgültig und folgt im Grunde nur dem eigenen, ihm für unfehlbar geltenden Gefühl. So bestimmt ihn jetzt »der glückselige Aspekt« ebensowenig, als ihn im letzten Akt die Warnung Senis vom schwedischen Bündnis zurücktreibt. Am charakteristischsten für seine Auffassung des Schicksals ist sein Verhalten zu Octavio. Als er erkennt, daß dieser ihn verraten hat, da gibt er nicht zu, sich in seiner Schicksalsdeutung geirrt zu haben, sondern er erklärt, das sei »geschehen wider Sternenlauf und Schicksal«. Und woran hat er seinerzeit des »Schicksals Stimme« zu erkennen geglaubt, die ihn und Octavio unzertrennlich verband? An einem rein willkürlich, von ihm selbst ausgewählten Merkmal, als er »die Frage an das Schicksal« tat und selbst das »Pfand« der Antwort, den ersten Liebesdienst, den jemand ihm leisten würde, festsetzte. Sehr richtig fragt Illo: »Hast du auch ein Pfand, daß jenes Pfand nicht lüge?« – ein Einwurf, den Wallenstein natürlich überhören muß, da er nichts darauf zu antworten hat. Von Kritikern ist auch die Frage aufgeworfen worden, ob Schiller dem Zuschauer einen gewissen Glauben an die Sterndeutung hat zumuten wollen (wie etwa in der »Jungfrau von Orleans« den Glauben an die Visionen). Darauf ist ein entschiedenes »Nein« zu erwidern. In jedem praktischen Fall läßt er die Sterndeutung sich als irrig erweisen, mit einziger Ausnahme der Prophezeiung, die der Schlußkatastrophe vorhergeht, – und da fügt er sogleich die rationalistische Erklärung hinzu, Seni prophezeie jetzt nur deshalb Unglück, weil er von jeher ein Feind des Bündnisses mit den Schweden gewesen sei. Desto größer ist die Kunst, mit der er es dennoch verstanden hat, jeden Schein albernen Aberglaubens von diesem Gebiet fernzuhalten, ja sogar einen ernsten mystischen Hauch darum zu weben, der für den Augenblick auch den Hörer und Zuschauer umnebelt. Die tiefpoetischen Stellen, welche den Sternglauben an eine sinnvolle Weltbetrachtung überhaupt anknüpfen, sind von Schiller so reichhaltig erst gestaltet worden, nachdem ihn Goethe darauf hingewiesen, um wieviel die astrologische Weissagekunst im geistigen und Empfindungsgehalt die platten Spielereien der gewöhnlichen Zauberkünste übertreffe.
Doch kehren wir zu der »glücklichen«, der entscheidenden Sternenstunde zurück! Durch die Nachricht von den Absichten des Hofes hat Wallenstein das Gefühl der moralischen Berechtigung zum Abfall, durch die Gefangennahme Sesinas das Bewußtsein der Notwendigkeit gewonnen; die Verpflichtung der Generale, das Eintreffen des schwedischen Obersten zeigen die praktische Möglichkeit, die Sterne geben die Zuversicht auf glückliches Gelingen. Und trotz alledem zaudert er noch! Die Gegengründe, die er in dem tief eindringenden Monolog sich vorhält, sind noch nicht überwunden. Noch schaudert es ihn vor dem Wort »Verrat«; es schaudert ihn davor, weil er weiß, daß es vielen, den meisten davor schaudern wird. Und noch eine andere Empfindung tritt hinzu, während er den Schweden empfängt: das Gefühl, daß er als Überläufer in eine schlimmere Abhängigkeit von den neuen Freunden geraten wird, als in der er sich bisher befunden; muß er sie doch gleich im Königreich Böhmen, das er sich gewinnen will, festen Fuß fassen lassen! Aber all diese Bedenken können doch nicht den Ausschlag geben. Die Sachlage ist zwingend für einen Charakter wie Wallenstein es ist, für die Selbstüberhebung, die ihm zur Natur geworden ist. Zurücktreten in die Stellung als reichster und mächtigster Untertan des Kaisers, als deutscher Reichsfürst (für Mecklenburg) könnte er noch in diesem Augenblick; sicher würde man ihn unangetastet ziehen lassen. Aber dagegen sträubt sich sein übermächtiger Glaube an sich selbst, an das Recht seiner Persönlichkeit.
»Doch eh' ich sinke in die Nichtigkeit,
So klein aufhöre, der so groß begonnen,
Eh' mich die Welt mit jenen Elenden
Verwechselt, die der Tag erschafft und stürzt, –
Eh' spreche Welt und Nachwelt meinen Namen
Mit Abscheu aus, und Friedland sei die Losung
Für jede fluchenswerte Tat!«
Der Dichter läßt noch einmal alle Motive in leidenschaftlicher Sprache durch die Gräfin Terzky zusammenfassen. Es war ein glücklicher Griff, auf diese Art die Entscheidung aus dem bloßen Selbstgespräch in eine lebendige dramatische Wechselrede zu verlegen; aber es ist nur ein Schein, daß der Entschluß Wallensteins durch die Gräfin herbeigeführt wird; es ist sein eigener Entschluß; er selbst hätte keinen anderen fassen können. Echt tragisch ist, wie er schon in diesem Augenblick trotz Jupiter und Venus das nahende Verderben voraussieht: »Ich erwart' es, daß der Rache Stahl auch schon für meine Brust geschliffen ist.«
Wenn wir der Gräfin Terzky nicht die entscheidende Einwirkung zugesprochen haben, so wollen wir damit nicht ihre Bedeutung herabdrücken. In der ganzen Umgebung Wallensteins ist sie die hervorragendste, die politisch-einsichtigste, die tatkräftigste Persönlichkeit; ein wahrhaft männlicher Charakter, – aber doch wieder weiblich in der unbedingten Bewunderung und Hingabe für Wallenstein. Sie ersehnt fast mehr die Größe dieses ihres Schwagers, als die Größe des eigenen Hauses. Mit weiblicher Intrige ist sie für ihren Zweck tätig, indem sie die sich entfaltende Neigung ihrer Nichte zu Max Piccolomini begünstigt, um ihn dadurch an Wallensteins Seite festzuhalten. Einen auffallenden Gegensatz zu ihr bildet ihre Schwester, die Herzogin, die ohne jedes Verständnis für den Herrschertrieb ihres Mannes sich von ihm »an eines Abgrunds jähem Rande, Sturz drohend, schwindelnd« dahingerissen fühlt.
Die Tochter des Vaters, nicht der Mutter ist Thekla. Wohl sehen wir sie fern von allem politischen Ehrgeiz, ganz ihrer Liebe hingegeben; aber in dieser beweist sie eine Entschiedenheit und Klarheit des Willens, die sie selbst es aussprechen läßt: »Er soll in mir die rechte Tochter finden.« Sie will es selbst wagen ihm entgegenzutreten, wenn er sich ihrer Neigung widersetzt, noch viel weniger natürlich gibt sie sich zu einer Puppe im Spiel der Gräfin Terzky her. Auch darin hat Schiller sie dem Wesen des Vaters angenähert, daß er auch in sie etwas Ahnungsvolles, Visionäres gelegt hat. Wenige Stunden, nachdem sie bei den Ihrigen eingetroffen, überkommt sie schon die düstere Vorempfindung:
»Es geht ein finstrer Geist durch unser Haus,
Und schleunig will das Schicksal mit uns enden.« ...
Mit Wallensteins verhängnisvollem Entschluß sind wir bis in die Mitte des dritten Aktes vorgerückt; es ist der Höhepunkt des ganzen Dramas. Der Rest des Aktes ist der Ausführung seines Entschlusses gewidmet. Der Schwede erhält seinen Vertrag, Boten eilen nach Prag und Eger, um den Feinden dort die Tore aufzutun. Vor Max sucht Wallenstein vergeblich sein Handeln zu rechtfertigen; Octavio erhält den Auftrag, sich der Truppen der unzuverlässigen Generale Gallas und Altringer zu versichern. Und während der Feldherr nochmals in grenzenloser Verblendung sein absolutes Vertrauen zu Octavio ausspricht, ist dieser schon bemüht, ihm die Generale abspenstig zu machen. Gegenüber dem Wort Verrat erweisen sich alle früheren Verpflichtungen als machtlos. An den Beispielen Buttlers und Isolanis wird uns die Geschicklichkeit des neuen »wälschen« Befehlshabers in der Menschenbehandlung gezeigt. Octavio tritt jetzt schon vollständig als Nachfolger Wallensteins auf; er befiehlt allen Generalen, in der folgenden Nacht Pilsen zu verlassen. In der Schlußszene des Aktes läßt der Dichter aber auch in diesem Charakter das Menschliche sympathisch hervortreten; tief ergriffen durch den Zwiespalt mit seinem Sohne scheidet er von diesem mit schmerzlicher Ahnung. Max, der weder des Vaters noch des Feldherrn Handeln zu billigen vermag, bleibt in der fürchterlichsten Erregung zurück.
Noch ehe Wallensteins Verrat ausgeführt ist, ist er schon mißlungen. In der Nacht, die zwischen dem dritten und vierten Akte liegt, die er augenscheinlich in aller Ruhe verbracht hat, verläßt ihn in Pilsen der größere Teil des Heeres, schwört in Prag die Garnison dem Kaiser neue Treue, und wird überall den Truppen seine Ächtung und die Ernennung Octavios kundgetan.
Tief tragisch ist es, wenn wir am Anfang des vierten Aktes den Helden in voller häuslicher Ruhe im Kreise der Seinen finden; noch meint er, daß alles aufs beste verlaufen wird. Sein Selbstgefühl gibt sich in äußerlicher, wenig erhabener Weise kund, indem er jeden Gedanken an eine Verbindung seiner Tochter mit Max Piccolomini hochfahrend zurückweist, um nicht »die große Lebensrolle mit gemeiner Verwandtschaft« zu beschließen. Als aber Schlag auf Schlag die Unglücksposten eintreffen, da erhebt sich nach den ersten schmerzlichen Eindrücken seine Heldennatur zu ihrer ganzen Größe. In die ersten Zeiten seines Glückes, da er sich selbst mit geringen Mitteln sein Schicksal schuf, fühlt er sich zurückversetzt, und Jugendkraft spürt er noch durch seine Adern strömen.
»Noch fühl ich mich denselben, den ich war;
Es ist der Geist, der sich den Körper baut!«
Mit fünf Regimentern Terzky, mit Buttlers und Max Piccolominis Regimentern weiß er sich noch stark genug, um den Schweden ein hochgeschätzter Bundesgenosse zu werden; denn er weiß, daß sein Geist die mangelnde Zahl der Truppen ersetzt. Wiederum verblendet, freut er sich mit aufrichtigem Empfinden der angeblichen Treue Buttlers, der nur als sein Henker ihm zur Seite geblieben ist, der auch jetzt schon den fast gelungenen Versuch, die Pappenheimer Kürassiere zu gewinnen, mit richtiger Berechnung vereitelt. Gegen die offene Widersetzlichkeit will er mit dem Aufgebot aller Kraft sein Ansehen wahren; aber zum äußersten kommt es nicht, weil Max Piccolomini wohl die ihm anvertrauten Regimenter wegführen, nicht aber sie gegen Wallenstein führen will. Seinen persönlichen Eindruck will er nochmals auf diese Truppen geltend machen, indem er sich rücksichtslos der Gefahr aussetzt; es mißlingt. Aber auch dies Mißlingen weiß die Darstellungskunst des Dichters so zu gestalten, daß es der imponierenden Gestalt des Helden nicht Eintrag tut. Dieser Akt, in dem alles um ihn zusammenbricht, zeigt Wallenstein am größten. Ein breiter Raum ist zugleich Max Piccolomini gewidmet; vielleicht ein zu breiter. So ergreifend auch der Seelenkampf des Soldaten und des Liebenden ist, so schön sich dabei Theklas Charakter entfaltet, wir werden doch zu sehr von der entscheidenden Aktion abgezogen. Jedenfalls verdiente nicht Max den Akt zu schließen. Der Zuschauer wird dadurch geradezu über den Schwerpunkt dieser Szenen getäuscht. Max' am Schlusse deutlich ausgesprochene Absicht, sich selbst und seine Truppen zu opfern, führt doch nur zu einer Episode in den großartig abrollenden Schicksalen, deren Zeuge wir sind. Diese Absicht und ihre Ausführung hat man auch vom moralischen Standpunkt aus bekrittelt, weil Max dadurch von der idealen Höhe herabsinke, auf der er sonst stehe. Max steht aber, was die Charakterstärke anlangt, überhaupt nicht auf idealer Höhe. Als ein edel angelegter Jüngling, doch noch nicht als gefestigter Mann, zeigt er sich während des ganzen Stückes, und sein Ende entspricht vollkommen seinem tatsächlichen Unvermögen, einen Ausgang aus der verzweifeltsten Lage zu finden. Es ist Wahrheit, was Wallenstein ihm sagt:
»Mir angehören, mir gehorchen, das
Ist deine Ehre, dein Naturgesetz.«
Zu dieser Naturbestimmung in einen Zwiespalt gesetzt, kann er nicht anders als zugrunde gehen. Daß er den Tod durch einen tollkühnen Angriff auf den Feind sucht, ist ganz und gar seinem Charakter gemäß. Einen wohltuenderen und bedeutenderen Eindruck aber als von seinen Abschiedsworten gewinnen wir im fünften Alt aus der Wirkung, welche die Todesnachricht hervorbringt. Nicht nur auf Thekla, sondern vor allem auf Wallenstein. In tiefempfundenen Worten klagt der mehr und mehr Vereinsamte über »die Blume«, die »hinweg aus seinem Leben«, in Worten, die fast zu weich und gefühlvoll klingen würden, wenn der Dichter nicht sogleich die Wendung angeknüpft hätte, die zum einzigen Lebensgedanken des Friedländers zurückführt. In Max' Tode sieht er das vom Schicksal verlangte Opfer, und indem er es dargebracht hat, glaubt er ein Pfand ferneren Glückes und Gelingens erhalten zu haben. Wiederum verblendet! Noch mehr als die früheren ist dieser fünfte Akt ganz auf dieser tragischen Verblendung aufgebaut und dadurch der erschütterndsten Wirkung sicher. Mit wunderbarer Kunst hat der Dichter von Wallensteins Auftreten jeden Zug ferngehalten, der ihn als Flüchtling, als Geächteten erkennen ließe; mit voller Sicherheit, mit ungeschwächtem Selbstbewußtsein bewegt er sich. Und zugleich sehen wir das unentrinnbare Netz sich um ihn ziehen; zuletzt wie er die ominösen Abschiedsworte spricht: »Sorgt, daß sie nicht zu zeitig mich erwecken!«, – glauben wir die Todesgestalt hinter ihm zu sehen, die schon von ihm unbemerkt die gespenstische Hand auf seine Schultern legt. Meisterhaft ist Buttler in diesem Schlußakt dazu verwandt worden, diese unentrinnbare Schicksalsmacht uns zu vergegenwärtigen; von dem ersten Vers an: »Er ist herein. Ihn führte sein Verhängnis«, bis zu dem Ausruf: »Ihr erinnert mich, wie kostbar die Minuten!«, mit dem er den Todesstreich übereilt, den sonst Octavios Auftreten verhindert hätte.
Doch was hätte auch die bloße Lebensverlängerung einem Wallenstein genützt! Das Schicksal ist erfüllt, und sein Vollstrecker ist in Wahrheit der rücksichtslose Buttler, nicht der Gerechtigkeit heuchelnde Octavio. Im Sturze reißt der Gemordete eine Hekatombe von Opfern mit sich herab; auch Illo und Terzky fallen; die Herzogin erliegt dem Entsetzen, Thekla stirbt am Sarge des Geliebten, und die Gräfin Terzky, die Genossin von Wallensteins Herrscherdrang, findet gleichfalls den freiwilligen Tod als die letzte des Hauses. Octavio, durch den Tod des Sohnes tief gebeugt, empfängt die kaiserliche Verleihung des Fürstentitels, schreckvoll, wie ein unrechtes Gut. »Der Fall ist wohl einzig«, schrieb Goethe, »daß man, nachdem alles, was Furcht und Mitleiden zu erregen fähig ist, erschöpft war, mit Schrecken schließen konnte.« Und einzig dürfen wir überhaupt diesen tragischen Abschluß des großen Wallenstein-Werkes nennen. Die großartige Begabung Schillers für das Tragische, verbunden mit dem eindringlichen Studium der Bedingungen und der Eigentümlichkeit tragischer Wirkung, hat ihn hier ein vollendetes Muster der Gattung schaffen lassen.
Diese mächtige, tragische Durchführung, wie überhaupt die gesamte Komposition des »Wallenstein«, ist von jeher allgemein anerkannt worden. Dagegen haben sich Vorwürfe gegen die Einzelausführung, besonders gegen die Sprache erhoben. Auch abgesehen von extremen Urteilen, die von »modernen« Naturalisten geäußert morden sind, hat man die Breite des Ausdrucks, das Überwiegen lyrischer und rhetorischer Bestandteile getadelt. Da der »Wallenstein« der entscheidende Markstein für die Bildung von Schillers dramatischem Stil geworden ist, so scheint es angebracht, näher auf diese Frage einzugehen. Unstreitig ist, daß sich in unserem Drama die Nachwirkung der unmittelbar vorhergehenden reichen lyrischen Produktion Schillers zeigt; man sieht, daß ihm der lyrische Ausdruck so natürlich geworden war, daß er oft auch im Drama, besonders im Monolog hervortritt. Vom Standpunkt reiner dramatischer Technik darf man dies gewiß als einen Fehler bezeichnen; nur vergesse man nicht, daß es ein Fehler des Reichtums, nicht der Armut ist. Denn es liegt nicht so, daß im allgemeinen die Sprache im »Wallenstein« durch lyrischen Charakter undramatisch geworden ist (sie ist vielmehr durchaus charakteristisch abgestuft und individualisiert); sondern jene lyrischen Partien sind Zugaben, die über den dramatischen Rahmen hinausquellen und die leicht beseitigt werden können. Jeder Dramatiker, der wirklich ein Dichter ist, hat solche Abschweifungen; auch Shakespeare, wenn er den Othello allen einzelnen Symbolen seines Kriegshandwerkes nach der Reihe das erschütternde Lebewohl zurufen läßt und zuletzt gar mit mythologischer Anspielung auch dem
»Mordgeschoß, deß rauher Ton
Nachahmt des ew'gen Iovis Donnerstimme,
Fahr' wohl! Othellos Tagwerk ist getan,«
Der wahre Dichter folgt eben nicht den Gesetzen der Bühne wie einem Exerzierreglement; es geht ihm auch einmal der Mund von dem über, wessen sein Herz voll ist. Gewiß gibt es große Virtuosen dramatischer Technik, denen das niemals passiert; sie haben aber auch keine wahre Dichterseele im Leibe. Es gehörte die ganze Ungerechtigkeit der Deutschen gegen ihre großen Männer dazu, um aus diesen lyrischen Stellen eine Anklage gegen Schiller zu schmieden. Übrigens hat Schiller selbst schon vor dem Druck eine ganze Anzahl solcher Stellen, besonders auf Körners Rat, getilgt; die er beibehalten hat, sind zum größten Teil, wenn auch nicht dramatisch, so doch theatralisch höchst wirksam. Ich möchte wissen, welcher Darsteller des »Wallenstein« sich die Abgangsstrophe rauben ließe:
»Des Menschen Taten und Gedanken wißt,
Sind nicht wie Meeres blind bewegte Wellen,
Die inn're Welt, sein Mikrokosmos, ist
Der tiefe Schacht, aus dem sie ewig quellen.
Sie sind notwendig wie des Baumes Frucht,
Sie kann der Zufall gaukelnd nicht verwandeln;
Hab ich des Menschen Kern erst untersucht,
So weiß ich auch sein Wollen und sein Handeln.«
In solchen lyrischen Abschweifungen erlaubt sich Schiller unbedenklich Vorstellungen einzuführen, (wie hier den »Mikrokosmos«, einmal im Munde Max Piccolominis die »Erinnyen«), welche eigentlich außer dem Gesichtskreis des Redners liegen; da dies aber immer nur in den gesteigertsten Momenten geschieht, so wirkt es auf der Bühne nicht unnatürlich. Mißlungen erscheinen mir nur die Abschlüsse der beiden Thekla-Monologe. Da liegt aber der Fehler nicht am Lyrischen, sondern umgekehrt am Prosaischen; das Ausklingen der höchsten Erregung in einem kahlen, allgemeinen Behauptungssatz, besonders in der äußerst schwer zu sprechenden Zeile: »Das ist das Los des Schönen auf der Erde,« ist unpoetisch. Wären nur die beiden ersten Worte des Verses umgestellt, so daß er in Frageform erschiene, so würde er schon viel natürlicher wirken, weil er mehr dem augenblicklichen Affekt entspräche.
Von allgemeinerer Bedeutung als sie solchen Einzelheiten innewohnt, war es, daß Schiller sich durchgängig zu einer gewissen Breite der Sprache hat hinreißen lassen, die er besonders durch den Fluß der Jamben befördert fühlte. Der außergewöhnliche Umfang des »Wallenstein«, der seiner theatralischen Darstellbarkeit immerhin Eintrag tut, ist zum Teil darauf zurückzuführen. Und gewiß tat Schiller recht daran, in den späteren Werken, besonders in der so sehr stoffreichen »Jungfrau von Orleans« sich in dieser Hinsicht zu beschränken und die Forderungen der Bühne mehr zu beachten.
Indes auch in diesen übergroßen Maßen tat der »Wallenstein« bei den ersten Aufführungen gewaltige Wirkung, obgleich hier sogar noch Monate zwischen der Darstellung der einzelnen Teile lagen. Zuerst kam am 11. Oktober 1798 das »Lager« auf die Weimarer Bühne. Die »Piccolomini« wurden am heiligen Abend des Jahres unter beständigem Drängen Ifflands soweit fertig, daß die Hauptmasse nach Berlin abgesandt werden konnte. Dort erschienen sie am 18. Februar 1799; in Weimar schon am 30. Januar. Vollkommen befriedigen konnten sie für sich allein nicht; aber sie spannten die Erwartung aufs höchste. Am 20. April und am 17. Mai erst wurde dann in Weimar und Berlin »Wallenstein«, wie damals das dritte Stück schlechtweg hieß, aufgeführt; mit tiefer Ergriffenheit nahmen die Zuschauer die Lösung des großen, vielverschlungenen Problems entgegen; mit einem Gefühl von Ehrfurcht blickten sie auf dieses Werk, mit dem Schiller die großen Erwartungen, die er rege gemacht, die großen Verheißungen, die er seit Jahren gegeben, endlich einlöste. Goethe schrieb darüber, es habe »alle Stimmen vereinigt, indem er aus den vorbereitenden Kelchblättern wie eine Wunderblume unversehens hervorstieg und alle Erwartungen übertraf.« Eine für den Dichter rührende Anerkennung, die alten Zwist zu Grabe trug, kam in wenigen, gleich nach der Vorstellung geschriebenen Dankeszeilen von Charlotte von Kalb. Schiller antwortete in sichtlicher Ergriffenheit: »Ein rein gefühltes Dichtwerk stellt jedes schöne Verhältnis wieder her, wenn auch die zufälligen Einflüsse einer beschränkten Wirklichkeit es zuweilen entstellen konnten.... Ihr Andenken, teure Freundin, wird seinen vollen Wert für mich behalten.....Nicht durch das, was ich war und was ich wirklich geleistet hatte, sondern durch das, was ich vielleicht noch werden und leisten konnte, war ich Ihnen wert. Ist es mir jetzt gelungen, Ihre damaligen Hoffnungen von mir zu rechtfertigen, so werde ich nie vergessen, wieviel ich davon jenem schönen und reinen Verhältnisse schuldig bin.«
Aber wertvoller als aller Beifall mußte für den so schwer sich genügenden Dichter das Gefühl der Befriedigung sein, das er endlich in sich selber empfand. Schon während der Arbeit sprach er es öfters aus, er fühle, was er jetzt mache, das werde gut. Und als er den letzten Teil der Trilogie an Goethe sandte, sprach er tatsächlich sein eigenes Urteil aus, indem er dazu schrieb: »Wenn Sie davon urteilen, daß es nun wirklich eine Tragödie ist, daß die Hauptforderungen der Empfindung erfüllt, die Hauptfragen des Verstandes und der Neugierde befriedigt, die Schicksale aufgelöst und die Einheit der Hauptempfindung erhalten sei, so will ich höchlich zufrieden sein.«