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I

Kindheit und Jugend

Vom Schimmer der Begeisterung verklärt, steht Schillers Gestalt vor uns. Die Dankbarkeit seines Volkes hat ihn zur Idealgestalt erhoben, wie es zuerst sein großer Freund im »Epilog zur Glocke« getan hatte. »Er glänzt uns vor wie ein Komet entschwindend, Unendlich Licht mit seinem Licht verbindend.« In diesem Lichtmeer verschwimmen die individuellen charakteristischen Züge, und wenn sie aus den historischen Quellen, die uns vorliegen, wiedererneuert und festumrissen emportauchen, so erscheinen sie wohl fremdartig und überraschend. Zwischen dem historischen Schiller und der uns vertrauten Phantasieschöpfung ist der Ausgleich nicht immer leicht zu finden. Und doch hat die volkstümliche Meinung im ganzen nicht unrecht; sie hat die Gesamtsumme dieses Lebens richtig erfaßt und gewürdigt, wenn sie auch die einzelnen Bestandteile nicht kannte, aus denen es sich zusammensetzt; sie hat erkannt, daß Schillers unermüdliche Arbeits- und Kampfesfreudigkeit aus dem Bewußtsein einer persönlichen, idealen Aufgabe hervorging, die zu lösen ihm gelang, unter den ungünstigsten Bedingungen, durch Einsetzen aller Kräfte, bis zum frühzeitigen Aufzehren, bis zum Opfer seines Lebens.

Aber in den Mitteln dieses Strebens und Kämpfens war Schiller nichts weniger als der in den Wolken einherfahrende Idealist, als den man ihn sich gerne träumt. Er sah in der Wirklichkeit des Lebens den verächtlichen und hassenswerten Feind, der zu überwinden sei, und schon durch frühe Erfahrungen von Illusionen befreit, hat er die realen Verhältnisse mit durchdringender Menschen- und Weltkenntnis und mit virtuoser Überlegenheit behandelt. Die Freiheit, wenn auch nur in bescheidener Existenz, rein nach seinem inneren Triebe schaffen zu dürfen, hat ihm kein günstiges Glück geschenkt; in mühsamstem, aber siegreichem Ringen hat er sie sich erstritten.

Darum wird die Persönlichkeit Schillers stets ein besonderes Interesse erregen; sie ist nicht von seinen Werken zu trennen; sie lebt in jedem von ihnen, und die Werke wiederum sind Stücke seines Lebens, sind gewaltige Kampf- und Siegeszeichen. Und noch das letzte, bei dessen Aufrichtung er zusammenbrach, ist ein Beweis, daß sein Streben noch nicht gebrochen war, sondern nach immer höherem Ziele rang. Wie ein Pfeil vom Bogen geschnellt, drang es unaufhaltsam und unablenkbar vorwärts, bis die Hand des Schicksals es niederschlug.

Fühlst Du Dir Stärke genug der Kämpfe schwersten zu kämpfen,
Wenn sich Verstand und Herz, Sinn und Gedanken entzwei'n?

Schiller

Ein zäher Schmied des eigenen Schicksals war schon Schillers Vater gewesen. Aus einfachen bürgerlichen Verhältnissen stammend, war Johann Kaspar ursprünglich zum Studieren bestimmt; aber der frühe Tod seines Vaters hatte ihn gezwungen, seine Laufbahn aufzugeben. Trotzdem hielt sein Ehrgeiz daran fest, nicht an dem bloßen Ringen ums tägliche Brot sich genügen zu lassen. Es gelingt ihm, wenigstens die Ausbildung eines Wundarztes, die damals vom akademischen Studium völlig getrennt war, zu erhalten, und abenteuer- und wanderlustig schließt er sich nun einem bayrischen Husarenregiment an, um als Feldscher dessen Kriegsleben zu teilen. In einem württembergischen setzte er später diese Laufbahn fort, während er zugleich schon seinen Hausstand begründet hatte, dem er freilich nur in kurzen Urlaubszeiten angehören durfte. Aus dem Militärchirurgen wurde allmählich ein wirklicher Soldat, zuerst Unteroffizier, dann Offizier, bis er endlich als achtunddreißigjähriger Hauptmann (1761) ein ruhiges Garnisonleben beginnen konnte. Und nun erst zeigt sich die eigentümliche strebsame und rationelle Natur des Mannes. Der Gamaschendienst genügt ihm nicht; ganz im Sinne seiner humanen und aufgeklärten Zeit muß er eine gemeinnützige, auf Verbesserung des allgemeinen Zustandes gerichtete Tätigkeit ergreifen. Er wendet sich der Landwirtschaft zu; er legt in Ludwigsburg eine eigene Baumschule an; er betreibt die Baumzucht praktisch und wirkt schriftstellerisch für ihre Hebung und läßt endlich auch ein zusammenfassendes Werk erscheinen: »Ökonomische Beiträge zur Beförderung des bürgerlichen Wohlstandes«, worin er vom Standpunkt des vorgeschrittenen, aufgeklärten Mannes den phlegmatischen Gewohnheitsmenschen unter seinen Landsleuten allerlei Wahrheiten zu sagen unternahm. Seine Bemühungen hatten auch äußeren Erfolg; im Jahre 1775 erhielt er, indem er den aktiven Militärdienst verließ, die Leitung der großen herzoglichen Baumschule auf dem Lustschloß Solitude, wo er nun eine sehr eifrige und ersprießliche Wirksamkeit entfaltete.

Von dem stürmischen und wechselnden Treiben seiner Jugend war dem alten Schiller nichts mehr anzumerken. Je später er zu voller bürgerlicher Seßhaftigkeit und Solidarität gelangt war, um so mehr schätzte er diese Güter. Er war das Muster eines ehrenfesten, nach strengen Grundsätzen sich selbst und andere regierenden Beamten und Hausvaters. Der Sinn für Fortschritt und Aufstreben war ihm geblieben, aber die fest vorgeschriebene Bahn sollte dabei niemals verlassen, niemals ein eigner, unsicherer Weg gewählt werden. Beide Forderungen, das Gebot wie das Verbot, machten ihn zu einem harten und schwer zu befriedigenden Familienhaupt, und wenn sein einziger Sohn ihm freilich kaum je zum Vorwurf der Trägheit Anlaß gab, so hat er mit der eigenmächtigen, kühnen Wahl seines Weges oft genug in dem Vater den ernsten Mißmut erregt, daß er das ererbte Kapital tadelloser Reputation, das mühsam genug errungen war, leichtfertig verschleudern zu wollen schien.

Von ganz anderer Art war die Mutter, Dorothea geb. Kodweiß, sanft und nachgiebig, fürsorglich und duldsam. Wenn sie so den milderen Ton in den häuslichen Zusammenklang brachte, so konnte dieser doch nicht die Kraft und Bedeutung gewinnen, wie sie etwa die Frau Rat Goethe ihm zu geben mußte. Der guten »Schillerin« fehlte dazu sowohl die geistige Begabung als die sieghafte, ihrer selbst gewisse Naturfrische. Sie ging in den Mühen und Sorgen des Haushaltes auf, und als ihr Sohn in späteren Jahren in der Lage war, ihr manche Erleichterung zu schaffen, da hat er es mit Schmerzen bekannt, es nütze nichts, der lieben Mutter Sorgen abzunehmen; denn sie könne nicht ohne Sorgen leben und mache sich gleich wieder selbst neue.

Das große Übergewicht, das dem Vater im Hause zukam, hat in auffallendster Weise auf Schillers Dichtungen nachgewirkt. Wieder und wieder hat er das Verhältnis des Kindes zum Vater behandelt, fast niemals das zur Mutter. Karl und Franz Moors verstorbene Mutter wird nur einmal flüchtig erwähnt; Berta steht nur ihrem Vater Verrina gegenüber, und auch der alte Doria hat als Familienhaupt zu seinem Neffen eine väterliche Stellung. Ferdinands Vater in »Kabale und Liebe« ist längst Witwer, und wenn der Luise Millerin auch beide Eltern leben, so interessiert den Dichter die Mutter doch so wenig, daß er sie schon nach dem zweiten Akt spurlos im Spinnhaus verschwinden läßt. Don Carlos hat seine Mutter bei seiner Geburt verloren, und Max Piccolomini auch schon in frühester Jugend. Johanna und ihre beiden Schwestern sehen wir nur mit ihrem Vater Thibaut zusammen. Wo aber der Dichter einmal das Kind beiden Eltern gegenüberstellt, wie im Wallenstein und Tell, da erscheint die Mutter als die völlig Willen- und Machtlose neben dem unerbittlich starren Willen des Vaters, der ihre Wünsche überhaupt nicht achtet. Als einzige großartige Ausnahme erhebt sich Isabella, die Mutter der feindlichen Brüder, aber niemand wird in dieser Gestalt eine Rückerinnerung an die eigene Mutter finden. Desto stärker ist persönliche Rückerinnerung da zu finden, wo der Dichter die väterliche Autorität im Gegensatz mit dem jugendlichen Hinausstreben darstellt.

Als das zweite Kind wurde Friedrich Schiller am 10. November 1759 seinen Eltern geboren. Die zwei Jahre ältere Schwester Christophine ist dem Knaben die treueste Jugendgefährtin und Beschützerin gewesen, dem Jüngling und ins Leben hinaustretenden Manne die niemals wankende Anhängerin und Verteidigerin, die auch zwischen ihm und dem Vater, wenn er die Wege seines Sohnes nicht verstand, zu vermitteln wußte. Sie hat den Bruder bei weitem überlebt und nicht nur an seinem Ruhm sich miterfreut, sondern auch noch erlebt, wie der längst Verstorbene von der Nachwelt zum Range eines geistigen Führers seiner Nation erhoben und mit Goethe gemeinsam auf den höchsten Gipfel der deutschen Dichtung gestellt ward. Die beiden anderen Schwestern standen dem Bruder ferner. Die jüngste, Nanette, welche dichterische Begabung besaß, war im Alter so weit von ihm getrennt, daß er sie eigentlich erst kennen lernte, als er in Jena, schon Professor und Ehemann, ihren Besuch erhielt, worauf sie dann bald eines frühen Todes starb. Luise, die mittlere, am wenigsten begabt, beschränkte sich auf das Wirtschaftliche und konnte dem hohen Fluge des Bruders nicht folgen. –

Die ersten Kinderjahre verlebte Schiller in Marbach, wo die Familie ihren Wohnsitz genommen hatte und ihn auch beibehielt, wenn der Vater vorübergehend in andere Garnisonen versetzt wurde. Der kleine, aber malerisch gelegene Ort, der Schillers heute pietätvoll erhaltenes Geburtshaus birgt, hat bei aller Bescheidenheit einen poetischen Reiz, der ihn als Heimstätte eines Dichters nicht unwert erscheinen läßt. Auf seinem Hügel ummauert, durch ein altertümliches Tor zugänglich, schaut er auf den Neckar hinab, der damals eine wichtige Talscheide bildete, heute von der Eisenbahnbrücke hoch überspannt wird. Ein nicht großartiges, aber lebensvolles Landschafts- und Geschichtsbild tat sich hier vor dem Knaben auf. Eingewirkt auf ihn kann es freilich in diesen frühesten Jahren noch nicht haben, wohl aber in den späteren, als er vom nahen Ludwigsburg aus oft die in Marbach lebenden Großeltern besuchen durfte. Und auch die Erinnerung der Marbacher an den lang aufschießenden, rothaarigen Knaben stammte aus dieser Zeit. Bevor aber die Familie Schiller nach Ludwigsburg gelangte, schob sich noch ein mehrjähriger Aufenthalt in Lorch ein. Hier im romantischen Remstal waren die Marbacher Natur- und Geschichtseindrücke noch gesteigert wiederzufinden. Wie glücklich wäre Schiller gewesen, wieviel harmonischer hätte seine Entwickelung sein können, wenn er in so naturgemäßer und innerlich lebendiger Umgebung hätte bleiben und aufwachsen dürfen, statt dem mechanischen Zwang der Dressuranstalt zu verfallen! Aber vielleicht war der Druck, dem er sich beugen mußte, notwendig, um sein Wesen zu härten und die Funken des Genies hervorzuschlagen.

In Lorch erhielt Schiller den ersten Schulunterricht; schon vom sechsten Jahre an mußte er das Lateinische lernen. Aber die wichtigste Stelle in seiner Unterweisung und überhaupt in dem Bildungskreis, der sich ihm zuerst eröffnete, nahm die Religion ein. Nicht nur durch den Einfluß des strengen und würdevollen Lehrers, Pastor Moser, den er später in den »Räubern« uns vorgeführt hat, sondern auch durch das Vorbild des Vaters. Der alte Schiller war ein Mann, der die religiösen Dinge nicht nur geduldig hinnahm, sondern auch darin mit bewußter Selbständigkeit und Absicht vorging. Die Andachten und Gebete für den häuslichen Gottesdienst verfaßte er selbst; wenn darin auch nach der Weise der Zeit rationalistische Nützlichkeitsvorstellungen (daß Gott alles zum vernünftigen und praktischen Endzweck leite) überwiegen, so kommen doch auch die dogmatischen Sätze zu ihrem Recht. Und vor allem ist es der Gedanke der unbedingten, ununterbrochenen Abhängigkeit von Gott, der vorherrscht; man steht unter der Hand eines weisen, aber strengen Regenten, der in der Zeit wie in der Ewigkeit beständig Lohn und Strafe austeilt. Wie stark diese Vorstellungen, die auch später im Briefwechsel des Vaters mit dem Sohn hervortraten, auf diesen eingewirkt haben, zeigen am besten die »Räuber«, ein Stück, das ganz und gar in religiösen, ja theologischen Vorstellungen lebt, wo auch der gewissenlose Bösewicht fortwährend das Bedürfnis fühlt, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Erst eine weitere Bewegung in der offenen Welt lehrte den jungen Schiller, daß diese Vorstellungen im tatsächlichen Getriebe der Menschen nicht die Bedeutung haben, die ihm früher selbstverständlich schien, und erst nachdem sie in »Kabale und Liebe« sich noch stark hervorgedrängt, versteht es der spätere Schiller dann sehr wohl, an ihre Stelle andere zu setzen, die dem Kultur- und Gedankenkreise der Personen, die er darstellt, entsprechen.

Die Idylle in Marbach und Lorch wurde 1767 beendet, indem die Eltern mit dem achtjährigen Knaben nach Ludwigsburg übersiedelten, dem Versailles des Herzogs von Württemberg. Damit trat Schiller in die Sphäre ein, welche das Schicksal und Verhängnis seines Lebens geworden ist. Denn Herzog Karl Eugen hat Schillers Entwickelung bestimmt, nicht in dem Sinne, wie er es wollte, sondern im entgegengesetzten, aber dennoch bestimmt. Der Herzog wollte um sich Sklaven; dazu konnte er einen Schiller nicht zwingen, der entfloh; aber ein Entflohener ist Schiller sein Lebelang geblieben. – Doch zunächst wußte der Herzog noch nichts von dem Sohne des Hauptmanns Schiller.

Nur der Totaleindruck des Ortes und seiner Bewohner wirkte in den ersten Jahren auf den lebhaften Knaben. Statt der freien Natur fand er hier französische Parkanlagen, statt der altschwäbischen, mit dem Boden verwachsenen Städtchen künstlich und gradlinig von fürstlicher Hand wie ein Spielzeug aufgestellte Häuserkarrees, statt der beschränkten, aber eigentümlich und natürlich Hinlebenden Kleinbürger eine Bevölkerung, die ihr Glück jeden Tag von den Lippen und Brauen nicht nur des Herzogs, sondern ebenso seiner Hofleute und Offiziere zu lesen und zu haschen suchte. Neben der vom Selbstgefühl getragenen, auch dem Fürsten gegenüber selbstbewußten Landeshauptstadt Stuttgart stand Ludwigsburg als die eigentliche Fürstenstadt. Es war keine gesunde Atmosphäre für die aufwachsende Jugend; ein Glück für Schiller war es, daß er wenigstens oft nach dem nahegelegenen heimatlichen Marbach hinauswandern konnte. Besser war es mit der Schule bestellt; eine solide Lateinschule nach württembergischer Art gab freilich keine allgemeine Bildung nach unseren Begriffen, lehrte aber ernste und regelmäßige Arbeit und bildete neben der grammatischen Schulung doch auch den ästhetischen Sinn durch die Übung des lateinischen Versemachens. Schiller zeichnete sich in dieser Kunst früh aus; wir besitzen aus seinem zwölften Lebensjahre ein Gedicht in elegischem Versmaß, worin er im Namen der Schule dem Dekan Zilling für die Bewilligung der (damals noch sehr spärlichen) Ferien dankt; diese Dichtung zeigt schon entschiedene Bekanntschaft mit dem Wortschatz und den Redewendungen lateinischer Dichter. Nur ganz nebensächlich wurde dagegen das Griechische betrieben, und Schiller hat in späterer Zeit es lebhaft beklagt, daß er in seiner Jugend kaum Griechisch kennen gelernt habe und sich nun mit größter Mühe in den über alles verehrten Homer wie auch in die Tragiker hineinfinden müsse.

Die religiöse Einwirkung erreichte ihren Höhepunkt in der Konfirmation, welche im Frühjahr 1772 erfolgte. Die Stimmung der Ergriffenheit bei dieser Handlung hat Schiller noch in späteren Jahren lebhaft geschildert, und am Tage vor der Feier hat ihn, soweit wir wissen, zum erstenmal, die innere Erregung zu freier poetischer Aussprache getrieben; dieses erste deutsche, nicht durch Konvenienzen erzwungene Gedicht ist uns leider nicht erhalten. Der entschiedene Wunsch, künftig Theologie zu studieren, bildete sich damals in dem jungen Schiller aus, der schon früher gern seinen Altersgenossen vom Stuhl oder Schemel herab gepredigt hatte. Hätten die Dinge sich ruhig weiter entwickelt, so hätte Schiller sicherlich dies in Württemberg besonders angesehene Studium ergriffen und wäre ein »Stiftler« geworden; mit der Zeit freilich wohl auch ein abtrünniger; aber lange, ehe es dazu kam, griff eine höhere Gewalt in sein Leben ein und zwang es in andere Bahnen.

Herzog Karl Eugen suchte fähige Schüler für seine neue »Pflanzschule« auf dem Lustschloß »Solitude« bei Ludwigsburg. Von Haus aus eine despotische Natur, hatte der zuerst mit tyrannischer Willkür regierende Fürst sich schließlich doch den Fesseln bequemen müssen, welche der württembergische Landtag ihm anlegte; seitdem hatte er sich von manchen Zweigen der öffentlichen Verwaltung mißmutig fast ganz zurückgezogen; um so mehr aber suchte er in seiner nächsten Umgebung, an seinem Hof, in seiner Armee, auf seinen Privatbesitzungen unbedingter Herrscher zu sein. Und so war er auch auf den nicht unzweckmäßigen Gedanken verfallen, ein Institut zu gründen, in welchem die jungen Leute zu seinen willenlosen Werkzeugen herangebildet würden, aus welchen ein von allen bösen Einflüssen verschonter, ihm blind ergebener Beamten- und Offiziersstand hervorgehen sollte. Dieser Schule gegenüber war Karl Eugen nicht nur Regent, sondern wie er meinte, auch Pädagog, ja sogar »Vater« der Zöglinge. Der persönliche Charakter des Mannes kommt in diesem Verhältnis vollständig zutage. In neuester Zeit hat man sich vergeblich bemüht, ihn zu »retten«; der Gesamteindruck bleibt ein höchst ungünstiger. Karl Eugen besaß unzweifelhaft Gaben; aber Eitelkeit und Selbstüberschätzung überwucherten sie gänzlich; vor allem aber war eine beständige phrasenhafte Unwahrhaftigkeit das Element, in dem er lebte. Ein unstillbares Bedürfnis nach Schmeicheleien und ein unaustilgbarer Hang zu Willkürakten wurde mit unablässigen moralischen Redensarten verbrämt und umhüllt, zu denen ein starker und tüchtiger Herrschercharakter sich niemals hergegeben hätte. Wenn Friedrich der Große den Hauptmann von Trenck viele Jahre lang ohne Recht und Urteil im Kerker schmachten ließ, so hat er niemals behauptet, daß er das zu Trencks moralischer Besserung tue; wenn aber der Herzog von Württemberg den Dichter Schubart auf dem Hohenasperg gefangen hielt, so sollte dies angeblich dem Endzwecke seiner Erziehung dienen, und der Betroffene mußte später noch in unterwürfigen Schreiben für die erwiesene Behandlung danken. Daß Herzog Karl Eugen trotz seines Herrscherwillens keine große Herrscherpersönlichkeit war, zeigt sich auch darin, daß seine Eitelkeit ihn verhinderte, Ungerechtigkeit und Mißgriffe wieder gut zu machen, was überlegenen Geistern niemals schwer fällt. Wie Schiller, als berühmter Mann, die Erlaubnis nachsuchte, nach Württemberg zurückzukehren, da lag es auf der Hand, daß nur eines möglich war: ihn mit Ehren zu empfangen und von seiner ehemaligen Flucht gänzlich zu schweigen. Der Herzog brachte es nicht weiter als zu dem schwächlichen Entschluß, Schiller, den er doch nicht mehr zu belästigen wagte, zu ignorieren. Damit stellte er sich selbst dort in die Ecke, wo er den Vortritt haben mußte.

Als Pädagog glaubte Karl Eugen ganz besondere Gaben zu besitzen; aber sein persönliches Eingreifen zeigt das Gegenteil. Die Maßregeln, die er traf, um die Schüler ganz und gar mit seinem Geist und Willen zu erfüllen, zeigen den völligen Mangel psychologischer Einsicht; sie mußten bei den Begabten gerade die entgegengesetzte Wirkung haben. Die Nötigung zu fortwährender Schmeichelei, das künstliche Aufdrängen seiner »Vaterschaft«, die Manier, Zöglinge mit der »Verteidigung« von ihm aufgestellter Ansichten zu beauftragen, die Forderung gegenseitiger Berichterstattung der Kameraden übereinander bis zum Ansinnen, den »Unwürdigsten« unter ihnen namhaft zu machen, alles das sind Dinge, die jenseits der Grenzen aller pädagogischen Kritik liegen. Was die Pflanzschule leistete, kam nicht durch die persönliche Einmischung des Herzogs zustande, sondern trotz ihr. Dagegen ist anzuerkennen, daß Karl Eugen pekuniär viel für die Anstalt getan hat und ihr dadurch ermöglichte, tüchtige Lehrkräfte zu gewinnen. Doch entwickelte sich die wissenschaftliche Bedeutung der Schule nur langsam; anfänglich war das Niveau ein niedriges.

Ihrer Aufgabe nach könnte man sie am treffendsten als ein militärisch organisiertes »Lyceum« bezeichnen; d. h. sie sollte sowohl die allgemeine Ausbildung als die spezielle Fachbildung erzielen, und zwar so, daß die letztere schon begann, ehe jene vollendet war, und dann neben ihr herging. Vorträge über leichter verständliche Teile der Berufswissenschaften begannen die Schüler schon etwa mit fünfzehn Jahren zu hören. Erst in späterer Zeit hat die »hohe Karlsschule« dann den vollen Lehrgang und durch kaiserliches Dekret die vollen Berechtigungen einer Universität erhalten.

In diese Anstalt wünschte Karl Eugen den jungen Schiller, der ihm empfohlen worden war, aufzunehmen. Vater Schiller war nicht der Mann, die »Gnade« des Herzogs gern anzunehmen. Die sichere Aussicht auf eine künftige »Versorgung« des Sohnes wog dem selbständigen und tüchtigen Mann den völligen Verzicht auf die eigene Erziehung und Leitung nicht auf. Und er wußte, daß, wer in die Militärakademie eintrat, seinen Eltern so gut wie verloren war. Nicht nur, daß Urlaub während der Schuljahre nur äußerst selten gewährt wurde, und Eltern und Kinder, wenn auch nur wenige Stunden entfernt, völlig geschieden waren, sondern es wurde auch jeder Einfluß der Eltern auf die künftige Laufbahn, auf den Lebensweg der Söhne ausgeschlossen. Denn der Herzog betrachtete den Beamtensohn, den er unentgeltlich in seine Anstalt aufnahm, als seinen Diener, dessen künftige Anstellung und Verwendung er nur nach seinem Gutdünken bestimmte. Der alte Schiller wagte daher untertänigst zu erwidern, daß sein Sohn für das Studium der Theologie bestimmt sei und deshalb nicht in die Akademie passe, wo dafür nicht gesorgt war. Aber der fürstliche »Wohltäter« entschied kurzweg, sein Sohn könne ja ebenso gut Rechtswissenschaft studieren, und nun war für den Hauptmann, wenn er nicht seine und seiner Familie Existenz opfern wollte, ein nochmaliger Widerspruch nicht möglich. Und so wanderte denn der dreizehnjährige Schiller am 17. Januar 1773 aus dem Vaterhause nach der Solitude hinauf, um unter militärischem Drill zum Juristen ausgebildet zu werden.

Die Erziehung des Internats bringt viele Nachteile mit sich; ihr Vorteil aber ist die lebendige Ausbildung des kameradschaftlichen Sinnes. So sehen wir auch Schillers inneres Leben während der langen Anstaltszeit hauptsächlich durch seine »Freundschaften« bestimmt. Der spätere jähe Bruch in Schillers Schicksalen hat verhindert, daß diese Jugendbeziehungen zu lebenslänglicher Bedeutung sich entwickelten, obgleich sie niemals ganz aufgehört haben; für den Knaben und Jüngling aber waren sie die Leitungen, an denen sein Gefühlsleben sich entzündete, und um so mehr, als weiblicher Umgang ihm ganz und gar versagt blieb. Schon vor der Aufnahme in die Akademie hatte Schiller die Brüder Hoven gekannt, und besonders zu dem älteren in freundschaftlichem Verhältnis gestanden; nun fand er sich mit ihnen auch in der neuen Existenz zusammen. Schon die Väter hielten gute Bekanntschaft – auch der alte Hoven war Offizier – und zwischen den Söhnen bildete sich zwar nicht eine besonders innige, leidenschaftliche Freundschaft, aber ein dauerndes, treues Verhältnis heraus, das bis in Schillers späteste Zeit nachwirkte, wo er sich noch energisch bemühte, Hoven als Professor nach Jena zu ziehen. Andere Gestalten im Freundeskreis Schillers sind Conz, Scharffenstein, Petersen, Lempp, die wir einzeln werden auftreten und ihre wechselnde Rolle spielen sehen. Der Unterricht, den Schiller auf der Akademie empfing, blieb in den ersten Jahren für seine innere Entwickelung ganz bedeutungslos. In den Fächern, welche Schiller hätten anziehen können, waren die Lehrkräfte nicht geeignet, auf das feurige Gemüt des Knaben zu wirken; und für sein Spezialfach, die Jurisprudenz, bewies er nicht das mindeste Interesse. Der fünfzehnjährige Schüler konnte weder dem »Naturrecht« noch der »Geschichte des deutschen Reichsstaatsrechts« noch den »römischen Rechtsaltertümern« Geschmack abgewinnen, und ebensowenig der sechzehnjährige der »Geschichte der Rechtswissenschaft«, mit der man ihn schon plagte. Seine ganze Neigung war der Religion und der Poesie hingegeben, und die religiöse Poesie das wahre Element, in dem sich sein Geist und Gemüt bewegte. Klopstocks Messias war für ihn das schwärmerisch verehrte Hauptwerk der Dichtung; Klopstocks Oden bildeten zuerst seine poetische Sprache aus. Mit Klopstock wollte er auch in einem epischen Gedicht »Moses« wetteifern. Mit dem Plan der Akademie stimmte das freilich nicht überein; nicht nur Versemachen war außer den herkömmlichen Festgedichten verpönt, sondern auch der Besitz poetischer Werke war verboten, nur in heimlicher Konterbande konnte man sie einführen und genießen.

Begreiflich genug, daß Schiller unter solchen Umständen kein Schüler nach den Forderungen der Anstalt sein konnte. Es ging denn auch mit seinen Leistungen beständig zurück, wozu auch Kränklichkeit in diesen Jahren beitrug. Seine Conduite vermochte die Vorgesetzten auch nicht zu befriedigen; es fehlte der militärische Schliff und die peinliche »Propertät«. Im Jahre 1775 finden wir Schiller als den Letzten seiner Abteilung. Vergeblich hatte er das Jahr zuvor sich einen anderen Weg zu öffnen versucht, indem er in einer Selbstcharakteristik, welche der Herzog verlangte, diesem gestand, er würde sich weit glücklicher schätzen, wenn er dem Vaterland als Gottesgelehrter dienen könnte. Karl Eugen hatte diese Bemerkung nicht beachtet. Zu Ende des folgenden Jahres zeigte sich ein Ausweg, und Schiller zögerte nicht, ihn zu ergreifen. Im November 1775 nämlich siedelte die Akademie von der Solitude nach Stuttgart über und wurde zugleich beträchtlich erweitert. Der Herzog entschloß sich, eine medizinische Fakultät ihr einzufügen, und an die Zöglinge erging eine Aufforderung, sich zu melden, wenn einer zu diesen neuen Studium übergehen wolle. Mit seinem Freunde Hoven meldete sich auch Schiller. Der Erfolg hat gezeigt, daß er recht daran tat. Während die Rechtswissenschaft spurlos an Schiller vorübergegangen ist, gewann er aus dem medizinischen Studium ein inneres Verhältnis, und so wirkte das Studium auch auf sein persönliches Schaffen, seine poetische Produktion, die in ihrer ersten Periode deutlich unter dem Einfluß der medizinischen Ausbildung steht. Es war der Zusammenhang der Physiologie mit der Psychologie, welcher den jungen Dichter anzog und beschäftigte, und welchen auch der Jüngling schon ahnte.

Der Wechsel des Studiums fiel ohnehin mit einer bedeutenden Erweiterung von Schillers poetischem Horizont zusammen. Hatte bisher die epische Dichtung ihm besonders am Heizen gelegen, hatte er in Klopstocks Messias sein erhabenes Muster verehrt, so wurde jetzt das Drama ihm näher gerückt. Eines der ersten dramatischen Werke, das er kennen lernte, scheint Gerstenbergs »Ugolino« gewesen zu sein, und wohl konnte dieses eigentümliche Gemisch von krassem Realismus und von schwärmerischer Empfindung ein junges Gemüt mächtig erregen. Nicht lange nachher aber drang auch der Name »Goethe« in die Akademie ein, und in »Götz von Berlichingen« empfingen die Karlsschüler ein Schauspiel nicht nur von nationalem, sondern auch von lokalem Interesse; spielte es doch in unmittelbarer Nähe, an Neckar und Jagst. Mächtig wirkte die freie naturhafte Dichtung auf die gedrillten und verschrobenen Eleven. Schiller fühlte den dramatischen Nerv in sich vibrieren, und mit Spannung folgte auch er nun trotz aller Hemmnisse dem dramatischen Wertkampf, welchen Schroeder, der Hamburger Theaterdirektor, durch sein Preisausschreiben damals veranlaßt hatte. Die beiden verdienstvollen Stücke, welche daraus erwuchsen: Klingers Zwillinge, die den Preis erhielten, und Leisewitz' Julius von Talent, der im Publikum größere Wirkung tat, – beide wurden Schiller wohlvertraut und übten sichtlichen Einfluß auf ihn. Unter ihrem Eindruck machte er sich selbst an einen italienischen Stoff: Cosmus von Medici, in welchem gleichfalls ein gewalttätiges Brüderpaar die Hauptrolle spielte, und aus dem manche Werkstücke in den großen Bau der Räubertragödie übergegangen sein sollen. Neben den Dramen aber konnte auch Goethes »Werther« unmöglich ohne tiefe Erschütterung an den jungen, leidenschaftlich erregten Geistern vorübergehen; Schiller, zunächst wie so viele Zeitgenossen, stofflich von dem Schicksal Werthers ergriffen, dachte daran, gleichfalls einen tatsächlichen Selbstmordfall zum Anlaß eines Dramas zu nehmen; doch scheint der »Student von Nassau«, wie sich das Werk betiteln sollte, nicht weit gediehen zu sein.

Diese poetischen Genüsse und Entwürfe mußten freilich der Anstaltsleitung sorgfältig verheimlicht werden; aber ein eifriger, zugleich begeisterter und kritischer Kreis von Zöglingen hatte sich zusammengefunden, um sich gegenseitig zu spornen und zu festigen. Außer dem alten Freunde Hoven finden wir in Schillers näherem Umgang jetzt den derben, aber gutmütigen Petersen, und vor allen anderen Scharffenstein. Mit Scharffenstein schloß Schiller eine leidenschaftliche, schwärmerische Freundschaft, das erste große Erlebnis seiner Seele und zugleich ihre erste Enttäuschung. Der gewandte Edelmann, der aus der damals württembergischen, aber schon halb französierten Grafschaft Mömpelgard stammte, war ein Muster der »Conduite« und dadurch für den darin stets mangelhaften Schiller ein Gegenstand der Bewunderung. Aber er besaß zugleich Lebhaftigkeit und Frische des Geistes genug, um auf Schillers inneres Leben einzugehen und mit ihm einen Seelenbund zu schließen, der ihm freilich nicht so tief ging wie dem jungen Dichter. Wohl dichtete Schiller:

Sangir liebte seinen Selim zärtlich,
Wie Du mich, mein Scharffenstein;
Selim liebte seinen Sangir zärtlich,
Wie ich Dich, mein lieber Scharffenstein.

Aber nach drei Jahren mußte er diese Verse »Lügen strafen«. Es war in Schillers neunzehntem Jahre (1778), daß sich ein Akademiegenosse, namens Boigeol, intrigierend zwischen beide Freunde drängte, und daß Scharffenstein sich zu Spöttereien über Schiller hinreißen ließ, welche diesem hinterbracht wurden. Von der bewundernden Freundschaft mit dem älteren Genossen wandte sich Schiller nun zur zärtlichen, aber nicht minder leidenschaftlichen Hingabe an den jüngeren Eleven Lempp, der sein Herz erfüllte und »segnete« und mit dem er sich bald in gemeinschaftlichem philosophischem Interesse noch näher zusammenfand. Zuvor aber richtete er an den Ungetreuen einen Absagebrief, der uns zum erstenmal gestattet, in die wogende, schmerzlich verwundete Brust des Dichterjünglings hineinzublicken und zu schauen, wie die ideale Vorstellung vom Wesen der Freundschaft hier unter der Erkenntnis der Wirklichkeit litt und stöhnte. Wer hier kühl die Geringfügigkeit des Anlasses betrachten und belächeln will, der möge den Brief ungelesen lassen; wer aber weiß, daß die Stärke der Empfindungen sich überhaupt nicht nach den Anlässen, sondern nach dem Naturell der Persönlichkeit richtet, der wird in diesem Briefe ein ergreifendes Denkmal aus der Laufbahn des jugendlichen Idealisten erblicken. »Und was war das Band unserer Freundschaft?« ruft Schiller aus; »war's ein irdisch gemeines, oder ein höheres, unsterbliches Band? Rede! Rede! O, eine Freundschaft wie diese errichtet, hätte die Ewigkeit durchwähren können! Rede! rede aufrichtig! oder hättest du einen anderen gefunden, der dir nachfühlte, was wir in der stillen Sternennacht vor meinem Fenster oder auf dem Abendspaziergang mit Blicken uns sagten! ... Glaube, glaube unverhohlen, wir waren die einige (einzigen), die uns glichen, glaube mir, unsere Freundschaft hatte den herrlichsten Schimmer des Himmels, den schönsten und mächtigsten Grund und weissagte uns beiden nichts anderes als einen Himmel. Wärest du oder ich zehnmal gestorben, der Tod sollte uns keine Stunde abgewuchert haben, –was hätte das für eine Freundschaft sein können! – und nun! nun! wie ist das zugegangen? wie ist's so weit gekommen? – Ja ich bin kaltsinnig worden! – Warum aber, weiß ich wohl, wirst du mich fragen, warum bist du kälter geworden? Höre, Scharffenstein, Gott ist da, Gott hört mich und dich, Gott richte! .... weil ich dich liebte, weil ich dein Freund war, und sah, daß du es nicht von mir warst; – faßt dich der Gedanke, du warst nicht mein Freund! Du hättest Achtung vor mir haben müssen wie ich vor dir; denn wenn man eines Freund ist, muß man in ihm Eigenschaften verehren, die ihn verehrungswert machen, aber, aber – möge das dein Herz nicht treffen wie der Donnerschlag – du hast nichts auf mich gehalten, die Eigenschaften, die das Wesen des Freundes ausmachen, in wir nicht gefunden, du hast meine Fehler, für die ich doch täglich Reue und Leid fühle, lächerlich, dich darüber lustig gemacht, und da es deine Freundschaftspflicht gewesen wäre, mir in Liebe und Kälte solche zu rügen, mir verhehlt, hast mir sie nur im Zorn vorgeworfen. Pfui! Pfui! der schändlichen Seele! War das Freundschaft, oder war's Trug, Falschheit? .... Oder hattest du wirklich im Sinn mich zu bessern – ah pfui des betrogenen, blinden Seelenkenners: du hast den Weg verfehlt, Seelen zu bessern! – – So greift man's nicht an!«

Es wirkt in diesem Brief nicht nur eine mächtige Kraft der Leidenschaft, sondern auch eine bedeutende Fähigkeit dramatischen Ausdruckes. Der das schrieb, wußte schon Dialoge und Monologe trefflich zu bauen. Schon hatte er den Plan der »Räuber« gefaßt, dessen Ausführung freilich noch ruhte. Seine dramatischen Kenntnisse hatten sich mächtig erweitert, indem Shakespeare in seinen Gesichtskreis getreten war. Der Professor der Philosophie hatte in einer Vorlesung über Ethik als Beispiel eines sittlichen Konflikts einen Abschnitt aus »Othello« in Wielands Übersetzung vorgetragen. Nach der Vorlesung erbat sich Schiller das Buch, und es erging ihm wie Wilhelm Meister: der Strom dieses gewaltigen Genius ergriff ihn und führte ihn zu einem ihn umbrausenden Meere, dessen Küsten er nicht zu erkennen vermochte. Ganz und gar gab sich Schiller an Shakespeare hin. Wohl lernte er in derselben Zeit auch das griechische Drama durch die Vorlesungen des Philologen Nast kennen; aber es wirkte nicht lebendig auf den jugendlichen Feuergeist; erst in einer viel späteren Lebensperiode trat Schiller ihm nahe. Dagegen wurde ein antiker Historiker für den jungen Dramatiker von Bedeutung; eifrig studierte Schiller Plutarchs Biographien, nach denen ja auch Shakespeare seinen Julius Caesar geschaffen hat. Hier fand er große Charaktere und gewaltige Schicksale, und oft mag er wie Karl Moor gewettert haben: »Mir ekelt vor diesem tintenklexenden Säculum, wenn ich in meinem Plutarch lese von großen Menschen.« In den »Räubern« und im »Fiesko« ist der Einfluß Plutarchs augenfällig, und selbst noch im Marquis Posa hat man das Bild, das Plutarch von Pluto gibt, wiedergespiegelt finden wollen. Aber diese Bewunderung für die Größe ist eng verbunden mit der Begeisterung für sittliche Güter, vor allem für die Freiheit. Hier wurde vor allem Jean Jacques Rousseau der Erzieher des aufstrebenden Jünglings. Daß nur die Freiheit sittliche Werte erzeugen könne, daß die einfach-natürliche Entwickelung des Individuums es eigenkräftig zu dieser Freiheit hinführe, das waren Gedanken, die dem in Zwangserziehung fast erstickten Schüler wie eine Lebensoffenbarung klangen. Es verschlug dabei nichts, daß Schiller Rousseau nur aus zweiter Hand kennen lernte, kaum je im Original eine seiner Schriften gelesen hat; seine Gedanken wirkten durch jede Verhüllung hindurch. Die Rousseausche, im tiefsten Kern sittliche, aber zugleich gänzlich unhistorische, rein abstrakte Beurteilung der Gewalttaten politischen Ehrgeizes bezeugt uns das merkwürdige Gedicht »Der Eroberer«, merkwürdig um deswillen, weil irgend ein tatsächlicher Anlaß für die Empörung des Dichters in der Zeitgeschichte nicht gegeben war. Es erschien 1777 anonym in der schöngeistigen Zeitschrift Stuttgarts »Schwäbisches Magazin« und ist nur eine gewaltige Fluchrede im Klopstockschen Stil, die ihre Erfüllung in einer Vision des Weltgerichts findet.

»Wenn du da stehst vor Gott, vor dem Olympus da,
Nimmer weinen, und nun nimmer Erbarmen fleh'n,
Reue nimmer, und nimmer
Gnade finden, Eroberer, kannst

O, dann stürze der Fluch, der aus der glühenden
Brust mir schwoll, in die Wag', donnernd wie fallende
Himmel – reiße die Wage
Tiefer, tiefer zur HöII' hinab.

Dann, dann ist auch mein Wunsch, ist mein gefluchtester
Wärmster, heißester Fluch ganz dann gesättiget,
O dann will ich mit voller
Wonn' mit allen Entzückungen
Am Altare vor dir, Richter, im Staube mich
Wälzen, jauchzend den Tag, wo er gerichtet ward.
Durch die Ewigkeit feiern,
Will ihn nennen den schönen Tag!« –

Wie mußte diesem aufschäumenden Geist zu Mute sein, wenn er gezwungen wurde, schmeichelnde Gratulationsgedichte auf Kommando zu dichten! Und doch konnte er sich dem nicht entziehen! Sein Talent war natürlich bekannt, und wenn es nach eigener Wahl benutzen Konterbande hieß, so war es Pflicht, es zur allerhöchsten Verherrlichung zu benutzen. Und zwar kam dabei nicht nur Serenissimus, sondern auch seine Favoritin, die Gräfin Franziska von Hohenheim in Betracht. Es scheint 1778 gewesen zu sein, daß Schillern die Aufgabe zufiel, Franziskas Namensfest zu feiern, und er »dichtete«:

»Oh Freunde, laßt uns nie von unserer Ehrfurcht wanken!
Laßt unser Herz Franziskens Denkmal sein,
So werden wir mit niedrigen Gedanken
Niemalen unser Herz entweih'».«

Damit nicht genug, mußte er auch noch im Namen der
»Ecole des Demoiselles« welche unter dem Protektorat der
Gräfin stand, »dichten«, und er legte den guten Mädchen
die Verse in den Mund:

»Franziska wird mit gnadevollem Blick
Auf ihrer Töchter schwaches Opfer schauen –
Franziska stößt die Herzen nie zurück!
Und feuervoller wird der Vorsatz uns beleben,
Dem Meisterbild der Tugend nachzustreben.« –

Mehr nach innerem Triebe konnte der junge Dichter ein anderes Gelegenheitsgedicht formen, – als Stuttgart das damals seltene Ereignis eines Kaiserbesuchs erlebte. Joseph II., der 1777 unter dem Namen eines Grafen von Falkenstein den Herzog Karl besuchte, war so recht ein Monarch nach dem Herzen der freiheitdurstigen Akademieschüler. Aufgeklärt und menschenfreundlich, durch viele fesselnde persönliche Züge weithin bekannt, überstrahlte Joseph damals sogar das Bild des in einsamer Strenge alternden großen Friedrich. Das Begrüßungsgedicht Schillers war nicht bestimmt, dem Kaiser überreicht zu werden; es erschien aber im Druck anonym und war also, wenn auch vom Zensurzwange abhängig, doch ein Werk freien Entschlusses:

Er kam, mit ihm die holde Tugend;
Welch' rasches Feuer reifer Jugend
Im vollen Götterbusen glüht! ....
Ein Joseph, jener Schmuck der Prinzen
Durchreiste schwäbische Provinzen,
Nicht als Monarch, als Menschenfreund!

In all' diesen pathetischen Äußerungen liegt der Hauptnachdruck auf dem Begriff der »Tugend«, in dem sich Schillers Idealismus damals zusammenfaßt. Aber diese »Tugend« ist nicht die starre Forderung einer dem natürlichen Wesen des Menschen sich entgegensetzenden Morallehre. Sie ist die Lieblingsvorstellung des Optimismus jenes heiter philosophierenden Zeitalters der Aufklärung. Die Übung dieser Tugend ist eins mit der Glückseligkeit des Menschen; in ihr treffen seine Triebe mit seiner Bestimmung zusammen. Es ist ein harmloser »Endämonismus«, der hier waltet und der später durch die strenge Schule des Kantischen Pflichtbegriffs hindurchgehen mußte, um sich zu dem erhabenen Begriff freier Sittlichkeit zu läutern, den der gereifte Mann in den Versen aussprach:

Des Gesetzes strenge Fessel bindet
Nur den Sklavensinn, der es verschmäht.

Es war der volkstümliche schottische Philosoph Ferguson, dem Schiller diese Glückseligkeitslehre entnommen hatte; aus einer Übersetzung Garves war er ihm bekannt geworden. Auch der anregende akademische Lehrer der Philosophie, Friedrich Abel, stand Ferguson nahe, wenn er auch seine Lehre aus weiter verzweigten Quellen schöpfte. Dieser noch jugendliche, begeisterungsfähige Mann war von seinen Schülern hochgeschätzt, ja wahrhaft geliebt. Sein Unterricht, der die Philosophie nicht als eine Sache des schulmäßigen Systems, sondern als Führerin und Leiterin durchs Leben behandelte, übte große Wirkung. Besonders seine Vorlesungen über Moral und über Psychologie wurden für die Bildung seiner Zuhörer nach Geist und Charakter bedeutsam. Und zumal Schiller verstand es, von der Psychologie aus eine Brücke zur Physiologie zu schlagen und so die Anregung Abels für sein Spezialfach fruchtbar zu machen, während dieses zugleich dadurch für ihn inhaltsreicher und wertvoller wurde.

Seit dem Jahr 1778, seit dem enttäuschenden Zerwürfnis mit Scharffenstein, scheint Schiller mit voller Energie das medizinische Studium betrieben zu haben. Ein Zeugnis seiner Beteiligung an den praktischen Aufgaben – übrigens ein unbedeutendes – ist aus diesem Jahr uns schon erhalten. Die Poesie mußte jetzt zurücktreten; der schon entworfene Plan der Räuber blieb liegen, und nur die Zwangsparadestücke des akademischen Lebens mußten auch jetzt neben dem Fachstudium geliefert werden. Wir hören von einem Singspiel »Der Jahrmarkt«, das Schiller für eine dramatische Aufführung verfaßte, und zum Geburtstag der Gräfin Hohenheim mußte er 1779 eine Rede halten, zu welcher der fürstliche Pädagog selbst das Thema gestellt hatte. In seiner unlogischen Fragestellung (»Gehört allzuviel Güte, Leutseligkeit und Freigebigkeit im engsten Verstande zur Tugend«) verbot es eine strikte Beantwortung, gab aber dem feurigen Redner zum prächtigsten Lobpreise der Jugend und ihrer unsterblichen Muster Karl und Franziska Gelegenheit. Auch das militärische Erziehungssystem der Karlsschule sollte Schiller poetisch, und zwar in einem Drama verherrlichen. Er sollte es in vorteilhaftem Gegensatz zum akademischen Studentenleben darstellen! Aber dies gelang ihm nicht. Schiller hat in späteren Jahren noch mit Behagen davon berichtet, daß Oberst Seeger ihm mehrmals diese dramatische Arbeit zurückgegeben habe, damit er sie zweckentsprechender gestalte, daß sie aber jedesmal nur mehr zu Gunsten des Studentenlebens ausgefallen sei.

Mit dem Ende dieses Jahres hoffte Schiller die Akademie verlassen zu dürfen. Eifrig arbeitete er deshalb an der Schrift, welche das Probestück seiner Reife bilden sollte: »Philosophie und Physiologie«. Mehr Philosophie als Physiologie! und wiederum mehr Poesie als Philosophie muß man von der fertigen Arbeit sagen, von welcher uns freilich nur das erste Kapitel »Das geistige Leben« erhalten ist. Von einem unendlichen Optimismus umfassender Weltbetrachtung geht der schwärmende Autor aus, um die Bestimmung des Menschen festzustellen. In späterer Zeit urteilte Schiller selbst mit herber Satire über solche Versuche.

(»Nichts ist der Menschheit so wichtig, als ihre Bestimmung zu kennen. Um zwölf Groschen Courant wird sie bei mir jetzt verkauft.«)

Hier steht dieser Eingang übrigens mit dem folgenden nur in sehr loser Beziehung. Schiller handelt weiter von der »Wirkung der Materie auf den Geist« und konstatiert die Existenz einer »Mittelkraft«, welche eben diese Wirkung zu ermitteln hat. In merkwürdiger Unkenntnis über den Begriff der Erfahrung behauptet er von jener mysteriösen Kraft: »Die Erfahrung beweist sie; wie kann die Theorie sie verwerfen?« Er verlegt sie in die Nerven und eignet sich den Ausdruck Albrechts von Haller an, indem er sie »Nervengeist« nennt. Alle Sinneseindrücke erregen durch Vermittelung des Nervengeistes in uns Vorstellungen, die Schiller »materielle Phantasien« nennt; das »Denkorgan« schafft aus diesen zusammenhängende Reihen; die Assoziation tritt hinzu, und wiederum übt auch die Seele »einen tätigen Einfluß auf das Denkorgan«: sie verstärkt gewisse Ideen und läßt sie fester, endlich unauslöschlich im Geiste haften.

Daß eine solche Schrift, ganz abgesehen von der Frage nach der philosophischen Bildung des Verfassers, nicht die Forderungen eines medizinischen Prüfungskollegiums befriedigen konnte, liegt auf der Hand. Schiller mußte auf Entscheidung des Herzogs noch ein Jahr in der Akademie verbleiben, »wo inmittelst sein Feuer noch ein wenig gedämpft werden kann, so daß er alsdann einmal, wenn er fleißig zu sein fortfährt, ein recht großes Subjektum werden kann.« Die Schlußworte zeigen, daß Karl Eugen sich über die Begabung des Eleven Schiller nicht im unklaren befand, und sie sind daher ein wichtiges Dokument zur Beurteilung seines späteren Verfahrens gegen den Dichter. Dieser selbst war natürlich über die Verlängerung des akademischen Zwanges wenig erfreut. Er hatte abgeschlossen; er nahm das folgende Jahr ganz für sein persönliches Streben in Anspruch; nur scheinbar war er noch auf der Karlsschule; in Wahrheit lebte er in den »böhmischen Wäldern« mit seinen »Räubern«. Das Jahr 1780 ist das Geburtsjahr des lange schon keimenden Dramas.

Ein merkwürdiges Ereignis mußte den dichterischen Ehrgeiz des Jünglings noch mächtig steigern. Im Dezember 1779 besuchte Goethe, als Begleiter seines Herzogs von der Schweizer Reise zurückkehrend, Stuttgart, und Karl Eugen ließ es sich nicht nehmen, seine Gäste auch in die Akademie zu führen. Sie wohnten der Preisverteilung bei, die auf die eben beendigten Prüfungen folgte, und auch Schiller war unter denen, welche vortraten, um einen Preis zu empfangen. Welch gewaltiger Eindruck für ihn, den in seiner Jugendschöne und in der Sonne allgemeiner Verehrung strahlenden Dichter des Götz und Werther vor sich zu sehen. Ein glänzendes Beispiel, daß es draußen in der Welt auch möglich war, mit der hier ängstlich verborgenen Dichtkunst dem höchsten Ehrgeiz genugzutun! Und auch Schillers Lyrik quoll jetzt kräftig empor. Ein Gedicht wie die »Leichenphantasie« zeigt schon den Dichter der »Räuber« in voller Entfaltung seiner leidenschaftlichen Empfindungs- und Ausdrucksweise. Ein erschütternder Anlaß hatte diese sturmbewegte, in dramatischen Kontrasten sich austobende Trauerdichtung hervorgerufen. Der jüngere Hoven, der Bruder von Schillers Studienfreunde, war plötzlich hingerafft morden; wohl das erstemal, daß der Tod bedeutungsvoll in des jungen Dichters Lebensgang eingriff! Es entsprach der Sitte der Zeit, daß dieser an den trauernden Vater ein Kondolenzgedicht, ein »Leichencarmen« richtete, aber wie weit drang Schiller hier aus den Grenzen der konventionellen Dichtung heraus! Ein grauenvolles Nachtstück schuf er durch die Glut seiner Empfindung, freilich nicht getrieben von dem Gedanken, den Vater zu trösten, dessen Wunde dieses Gedicht nur auf peinigende Weise auseinanderzerren konnte. Welches dramatische Raffinement liegt in dem Wechsel der Bilder und des begleitenden Versmaßes!

Heiter wie Frühlingstag schwand ihm das Leben,
Floh ihm vorüber in Hesperus' Glanz,
Klagen ertränkt' er im Golde der Reben,
Schmerzen verhüpft' er im wirbelnden Tanz.
Welten schliefen im herrlichen Jungen,
Ha! wenn er einstens zum Manne gereift –
Freue dich Vater – des herrlichen Jungen,
Wenn einst die schlafenden Keime gereift.
Nein doch, Vater – Horch! die Kirchhoftüre brauset!
Und die eh'rnen Angel klirren auf –
Wie's hinein ins Grabgewölbe grauset!
Nein doch, laß den Tränen ihren Lauf!

Die düstere Stimmung, welche dieses Gedicht erfüllt, die hoffnungslose Resignation, in welcher es ausklingt, (»Nimmer gibt das Grab zurück«) spricht sich auch in gleichzeitigen Briefen aus. Tief hatte dieses erste Eingreifen des Todes auf das eindrucksfähige Gemüt des Dichters gewirkt. Nicht freilich in dem Schreiben, das er zugleich mit seiner Dichtung an den Vater Hoven absandte, tritt dieser Eindruck zutage. Dieses Schreiben sucht in altkluger, erkünstelter Art allerlei Gemeinplätze als Trostgründe zusammen; aber in die Seele Schillers läßt uns ein gleichzeitiger Brief an die Schwester Christophine blicken. »Mit Freuden wär ich für ihn gestorben, denn er war mir so lieb, und das Leben war und ist mir eine Last worden .... Mir wär's erwünscht, zehntausendmal erwünscht. Ich freue mich nicht mehr auf die Welt, und ich gewinne alles, wenn ich sie vor der Zeit verlassen darf. Ich bitte Dich, Schwester, wenn es geschehen sollte, so sei klug und tröste Dich und Deine Eltern.« Lesen sich die letzten Worte fast wie eine Hindeutung auf ein freiwilliges Scheiden aus dem Leben, so ist es um so merkwürdiger, daß der in so hypochondrischen Gedanken befangene Jüngling damals gerade die Aufgabe erhielt, einen von krankhafter Melancholie befallenen Kameraden ärztlich zu beobachten und zu behandeln. Es läßt sich wohl denken, daß gerade diese Verpflichtung ihn dazu geführt hat, sich von seinen eigenen trüben Gedanken zu befreien. Der Erkrankte war der Eleve Grammont, wie Scharffenstein ein Halbfranzose aus Mömpelgard; sieben Berichte Schillers über seinen Zustand liegen uns vor; sie sind an den Chef der Militärakademie, Obersten von Seeger gerichtet. Man hat wohl gesagt, Grammonts Leiden sei nur die »Militärakademie« selber gewesen; das ist durchaus unrichtig. Nach Schillers eingehenden Berichten war Grammont durch überspannte religiöse Grübeleien, denen eine körperliche Krankheitsursache zugrunde lag, der Unzurechnungsfähigkeit nahe gekommen. Sein völlig zielloser Wunsch, die Akademie zu verlassen, sei es selbst um als Bettler die Welt zu durchziehen, läßt sich mit Schillers bewußtem Freiheitsstreben in keiner Weise vergleichen und wurde endlich durch eine Badekur in Teinach beschwichtigt. Schiller folgt den seltsamen Irrwegen des Kranken ebenso verständnisvoll als überlegen; er geht so weit auf seine krankhaften Ideen ein, daß die mißtrauische Anstaltsleitung sogar auf den Gedanken kommt, er begünstige sie insgeheim; aber er weiß gerade auf diesem Wege den Genossen von dem gewaltsamen Wunsch, die Anstalt zu verlassen, ja von Selbstmordgedanken langsam und sicher zurückzubringen und ihn endlich der Rekonvalescenz zuzuführen. Das psychologische Interesse des angehenden Mediziners tritt hier wieder sehr lebendig hervor, man erkennt leicht, welchen Reiz es für ihn hat, den verschlungenen Pfaden dieses durch unglückliche Einflüsse aus der Bahn gedrängten Geistes nachzugehen, wie er sie trotz ihrer krankhaften Beschaffenheit doch auch als etwas menschlich Begreifliches, ja Notwendiges aufzufassen sucht.

Schwer genug mochte es der jugendliche Psycholog empfinden, wenn er am Anstaltsfeste dieses Jahres die Rede über »die Tugend in ihren Folgen betrachtet« halten und dabei Karl Eugen, »den Nachahmer der Gottheit«, als die strahlende Sonne der Tugend feiern mußte. Gewiß hatte er den Despoten, in dessen Händen er seit sieben Jahren war, oft genug mit dem scharfen Messer seines Geistes seziert und die siebenfache Phrase, mit der er sich gepanzert hatte, abgestreift; er kannte ihn sicherlich, soweit ein zwanzigjähriger Schüler einen Mann, der das Leben nach allen Richtungen durchgeprobt, kennen kann; und die blendende Rhetorik, die er schon damals souverän beherrschte, mag ihm wohl selbst wie Ironie geklungen haben. Wenigstens ist uns berichtet, daß Schiller persönlich kein unterwürfiges Wesen gegenüber dem Herzog zur Schau trug. Es war nach einer medizinischen Disputation, an der sich Schiller lebhaft beteiligt hatte, daß ihn der Herzog einer längeren Unterhaltung würdigte; und sein späterer treuer Freund Streicher, der ihn damals zum erstenmal sah, bemerkte mit Bewunderung, daß »Schiller gegenüber seinem Fürsten dasselbe Lächeln, dasselbe Augenblinzeln behielt, wie gegen den Professor, dem er vor einer Stunde opponierte«.

Als Redner machte Schiller Glück, nicht aber als Schauspieler. Er, der später so vieles Schauspieler anzuleiten und einzustudieren hatte, war selbst für die Bühne nicht befähigt. Offenbar noch unter dem Eindruck von Goethes Besuch wählte man seinen »Clavigo« als Gegenstand einer festlichen Aufführung bei des Herzogs Geburtstag. Schiller spielte die Titelrolle, und das Übermaß seiner leidenschaftlichen Erregung schlug ins Komische um. So hat er auch einige Jahre später sein eigenes Trauerspiel »Fiesco« um den Effekt gebracht, als er es mit übertriebenem Pathos den Mannheimer Schauspielern vorlas. Geschmack und Maß gewann er erst in späteren Jahren in strenger Selbstbildung und Selbstzucht.


Und endlich kam nun doch der langersehnte Abschlußtermin zum zweitenmal heran. Mit zwei Arbeiten hatte sich Schiller diesmal gerüstet, einer rein sachlichen »Über die Fieberkrankheiten« und einer, die wiederum auf dem von ihm bevorzugten Grenzgebiete des Psychisch-Physischen lag: »Über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen.« »Philosophie und Arzneiwissenschaft«, verkündigt Schiller in seiner Widmung an den Herzog, »stehen unter sich in der vollkommensten Harmonie; diese leiht jener von ihrem Reichtum und Licht; jene teilt dieser ihr Interesse, ihre Würde, ihre Reize mit.« In der Behandlung seines Themas aber teilt er beide dennoch, indem er zuerst von dem physischen, dann von dem philosophischen Zusammenhang der beiden Naturen handelt. Nur kurz redet er von dem physischen; die Einwirkung der »tierischen Empfindungen« auf das geistige Leben ist es nicht, was ihn interessiert; aber der Einfluß der seelischen und geistigen Bewegungen auf den Gang der »Maschine« wird von ihm scharf beobachtet und mit der offenkundigen Freude des Entdeckers verzeichnet. Geistiges Vergnügen befördert das Wohl der Maschine; geistiger Schmerz untergräbt es. Hier antizipiert der junge Dichter die Reflexionen des grübelnden Verbrechers Franz Moor, und er scheut sich nicht, die Beurteiler seiner Arbeit durch ein wörtliches Zitat zu mystifizieren, welches er einer angeblichen englischen Tragödie »Life of Moor« von Krake zu entnehmen behauptet. Er verfolgt in interessanter Wendung dann weiter, wie physische und seelische Affekte durch ihre gegenseitige Einwirkung allmählich eine Verzehrung des Organismus anbahnen und die Auflösung ihres vorher unzertrennlichen Verbandes vorbereiten. So betrachtet er den Tod nicht als plötzlichen, fremdartigen Einschnitt in das Leben, sondern tiefsinnig als »aus dem Leben wie aus seinem Keim sich entwickelnd«. Mit einem leisen Ausblick auf die Möglichkeit der Seelenwanderung schließt er, ähnlich wie kurz zuvor Lessing die »Erziehung des Menschengeschlechtes«, seine Betrachtung ab. Der Druck der Schrift wurde diesmal von den prüfenden Lehrern nicht beanstandet, und da Schiller ja außerdem eine rein medizinische Abhandlung eingereicht hatte, so stand nun nichts mehr der Erklärung seiner Reife entgegen. Am 14. Dezember 1780 verließ Schiller endlich die verhaßte Akademie. Er war nun als »Medicus« zur medizinischen Praxis berechtigt. Aber nicht danach stand sein Sinn. Die »Räuber«, die er vollendet mit sich trug, nun ans Licht zu bringen, das lag ihm am Herzen, und von hier aus strebten seine Lebenshoffnungen kräftig und zuversichtlich in die Weite. Aber nicht er durfte sein Geschick bestimmen, es lag in der Hand eines anderen.


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