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VII

Professur und Vermählung

Er mochte sich bei uns im sichern Port
Nach wildem Sturm zum Dauernden gewöhnen.

Goethe.

Als Schiller in Jena eintraf, gingen natürlich einige Wochen mit den Formalitäten hin, die ihm so lästig waren. Er machte zunächst dem Prorektor seinen Besuch, ward dann feierlich in das Kollegium eingeführt und mußte dann die ganze Reihe der Visiten herunterhetzen. Viel Erfreuliches glaubte er dabei nicht zu finden. Tatsächlich ist auch sein Verkehr mit den Kollegen immer sehr eingeschränkt geblieben; mit einigen bedeutenderen Personen knüpften sich aus irgend welchen äußeren Ursachen Beziehungen; den Herausgeber der Literaturzeitung, Schütz, die Theologen Griesbach und Paulus, den kantischen Philosophen Reinhold, den Juristen Hufeland sehen wir wohl in Schillers Umgebung; aber zu keinem bildete sich ein intimes Verhältnis. Ganz besonders abgestoßen fühlte er sich von »dem Jenaischen Frauenzimmer«; da schien ihm gar nichts auch nur erträglich; selbst das Haus des ihm sympathischen Griesbach wurde ihm durch die Frau unleidlich, die sich in taktloser Weise um seine persönlichen Angelegenheiten kümmerte.

Der Schwerpunkt von Schillers Stellung in Jena konnte demnach nur in sein Verhältnis zu den Studenten fallen, und so betrachtete er auch selbst die Sachlage. Auf seine erste Vorlesung blickte er mit unverkennbarer Erregung und Spannung hin. Da das Semester schon ziemlich vorgeschritten war und die Studenten über ihre Zeit und ihre Geldmittel schon verfügt hatten, so zeigte er kein Hauptkolleg mehr an, sondern nur ein zweistündiges »Publikum« zur Einführung in das Studium der allgemeinen Geschichte. Am 26. Mai um 6 Uhr abends las er das erste Kolleg. Den Dichter, dessen »Räuberlied« zum Leibkantus der Jenaer Kommilitonen geworden war, als Professur zu hören, hatte die gute Hälfte der Studentenschaft herbeigezogen. Reinholds Auditorium, wo Schiller lesen sollte, erwies sich als bei weitem zu klein. Das größere Griesbachsche war frei; aber es lag am anderen Ende der Stadt. So stürmte nun die ganze Menge der erwartungsvollen Hörer durch die Straßen hindurch in wildem Lauf dorthin; die guten Jenenser gerieten in Besorgnis; man glaubte, es gäbe Feuerlärm; am Schloß trat sogar die Wache ins Gewehr. Schiller folgte etwas später nach; trotz dieser Unruhe und Aufregung gelang ihm sei Debüt doch über Erwarten; er fühlte sich sicher und hatte das Bewußtsein, sein Auditorium zu beherrschen. Am Abend brachten ihm die Zuhörer vor seiner Wohnung ein Vivat mit Musik. Auch die nächste Vorlesung, in der er die allgemeinen einleitenden Gedanken der ersten zum Abschluß brachte, war wieder von 4–500 Zuhörern besucht. Einer seiner Zuhörer schrieb nachher den begeisterten Ausruf nieder: »Das ist doch ein Erzgenie, der Schiller!« Aber er fügte auch die vorsichtige Einschränkung hinzu: »Seine Postulate sind mitunter überspannt und verfehlen dadurch den vorgesetzten Zweck.« Er meinte wohl, daß Studierende, wie sie Schiller in diesen Vorlesungen forderte und selbst charakterisierte, unter den Zuhörern nicht zahlreich vertreten sein möchten.

Seine beiden ersten Vorlesungen hat Schiller dann zu einer einzigen zusammengearbeitet und, mit großer stilistischer Sorgfalt redigiert, im Druck erscheinen lassen; sie führen den Titel »Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?« Zuerst wird die zweite Frage erledigt. Zu anderem Zweck studiert der »Brotgelehrte«, zu anderem der »philosophische Kopf«. Aufs schärfste formuliert Schiller nach seiner gewohnten Art diese Gegensätze; jede Brücke zwischen einem auf praktische Zwecke gerichteten und einem durch wissenschaftliches Interesse bestimmten Studium bricht er ab. Und doch schildert er wahrheitsgemäß. In den beiden Typen, die er zeichnet, legt er nur eine lebendige Persönlichkeit nach den verschiedenen Motiven, die ihr Streben bestimmen, in zwei abstrakte Persönlichkeiten auseinander, wie es ein Dichter wohl auch in poetischen Bekenntnissen zu tun pflegt. War nicht Schiller selbst ein »philosophischer« Arbeiter edelster Art, und mußte er nicht zugleich »Brotgelehrter« sein? Aber freilich, welches das bessere, den Vorrang verdienende Teil sei, das mußte gerade diese abstrakt auseinanderreißende, einseitig charakterisierende Darstellung seinen Zuhörern aufs lebendigste und eindringlichste einprägen. – Von der Schilderung des »philosophischen Kopfes« ergab sich dann ungezwungen der Übergang zur Bestimmung des Inhalts und Ziels universalhistorischer Betrachtung. In idealem Schwung greift Schiller hier nach dem höchsten, was sich der Erkenntnis nur darbieten kann, einem zweckvollen Gesamtplan des Weltlaufs; zwar nicht als einem schon jetzt zu sichernden Besitz, aber als einem Ziel, das schon durch den »stillen Hinblick« belebt und anspornt. Charakteristisch ist, wie er zugleich seiner nüchternen Weltkenntnis genugzutun sucht. Der Forscher, meint er, »sieht das teleologische Prinzip durch tausend beistimmende Fakta bestätigt und durch ebenso viel andere widerlegt; aber so lange in der Reihe der Weltveränderungen noch wichtige Bindungsglieder fehlen, so lange das Schicksal über so viele Begebenheiten den letzten Aufschluß noch zurückhält, erklärt er die Frage für unentschieden, und diejenige Meinung siegt, welche dem Verstande die höhere Befriedigung und dem Herzen die größere Glückseligkeit anzubieten hat.«

Dem Schwung und dem Gedankenreichtum dieser ersten zwei Vorlesungen konnten die folgenden nicht gleichkommen. Auf eine rasche philosophische Durchwanderung der Weltgeschichte war Schiller nicht vorbereitet, und doch hatte er nach seiner Ankündigung gerade das zu geben. So half er sich mit allerhand Auskunftsmitteln, indem er seine eigentliche akademische Tätigkeit erst vom nächsten Semester an rechnen wollte. Was ihm gerade Anregendes und Fesselndes vorgekommen war, mußte für seine Vorlesungen herhalten. So wurden ein Aufsatz Kants, eine Schrift seines Kollegen Reinhold, eine Abhandlung seines ehemaligen Lehrers Nast Grundlagen zu Vorlesungen über »Die erste Menschengesellschaft«, über »Die Sendung Mosis«, über »Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon«. Diese sind dann auch als Aufsätze in die Werke übergegangen; die letztgenannte aber erst nach Schillers Tod und zu Unrecht, da sie in der Tat nicht als selbständige Arbeit gelten kann.

Mit um so größerem Eifer und in so sorgfältiger Arbeit, als nach den Umständen nur möglich war, hat dann Schiller in den nächsten Semestern die eigentlichen Fachvorlesungen behandelt. Er pflegte wöchentlich fünfstündig das Hauptkolleg über eine Hauptperiode der Weltgeschichte zu lesen, daneben noch ein einstündiges »Publikum«, einmal über römische Geschichte, dann über die Kreuzzüge, endlich in sein eigenstes Gebiet zurückkehrend, über die tragische Dichtung. Durch sein glänzendes Debüt verwöhnt, war er anfänglich durch den geringen Besuch seiner Hauptvorlesungen sehr enttäuscht; bedenkt man aber, daß es sich um fünfstündige, zu honorierende Vorlesungen handelte und daß er doch nicht der offizielle Fachprofessor war, so wird man die Zahl von zwanzig bis dreißig Zuhörern nicht gering finden. Daß er nicht »Professor der Geschichte« war, daran war er durch den Professor Heinrich, der diesen Titel führte, auf sehr rüde Weise erinnert wurden. Auf seiner gedruckten Antrittsvorlesung hatte sich Schiller arglos so bezeichnet: Heinrich klagte darüber nicht nur, sondern ließ auch die Anzeige der Rede, die in einem Buchladen aushing, durch den Akademiediener abreißen. »Mit solchen Menschen habe ich zu tun,« schrieb Schiller entrüstet.

In die Art seiner damaligen wissenschaftlichen Arbeit und ihrer Ergebnisse lassen uns einige Abhandlungen Einblick tun, die weit über den vorhergenannten stehen. Sie erschienen als Einleitungen zu den einzelnen Bänden eines größeren Unternehmens; zu dem er mehr seinen Namen als seine wirkliche Teilnahme herzugeben dachte. Es war eine Sammlung der hervorragendsten Memoirenwerke, die von verschiedenen Mitarbeitern übersetzt wurden. Schiller lieferte zu den einzelnen Werken sowohl orientierende Vorreden, als auch größere zusammenfassende Übersichten über die Weltlage und den allgemeinen Gang der Ereignisse in der Periode, welcher die Memoiren angehörten. So entstand die Abhandlung »Über Völkerwanderung, Kreuzzüge und Mittelalter« (erst später in zwei Teile zerlegt), die zeigt, mit welch geistiger Lust und Schärfe der »Universalhistoriker« das historische Material aufnahm und verarbeitete, wie er selbst für die Geschichtsepoche, die seinem Interesse am fernsten lag, sich eine Gesamtanschauung über die maßgebenden tatsächlichen Bedingungen, über die bewegenden Kräfte des Entwickelungsganges gebildet hatte. Diese Abhandlung darf auch heute noch als eine treffliche Einfühlung in das Verständnis des Mittelalters gelten. Die »universalhistorische« Übersicht der merkwürdigsten Staatsbegebenheiten, zu den Zeiten Kaiser Friedrichs I. (welche tatsächlich nur die Regierungszeit Lothars und Konrads III. darstellt), kann nicht den gleichen Rang beanspruchen, weil sie sich ziemlich eng an Schmidts »Geschichte der Deutschen« anlehnt, aber auch sie beweist, wie Schiller seine Vorlage geistig durchdrungen hatte und wie er, wenn er auch im äußeren Gang ihr folgt, doch jedem Abschnitt seinen Stempel nicht nur stilistisch, sondern auch in der Gedankenausprägung aufgedrückt. Ähnlich steht es mit der Darstellung der französischen Religionskriege (bis 1572), die dem Buch Anquetils Esprit de la ligue sich anschließt, aber doch vollständig den Eindruck eines Schillerschen Erzeugnisses hervorruft. Wir sehen: Schiller handelte im ganzen nach dem Rat Körners, sich nicht auf eigene Quellenstudien einzulassen; er hielt sich an abgeleitete Darstellungen, aber er ließ diese durch das Feuer seines Geistes gehen, welches sie umschmolz. Und dem entsprach auch die Wirkung seiner Vorlesungen auf die Zuhörer. Diese bemerkten wohl, daß der Professor Dinge vortrug, die er selbst sich erst eben angeeignet hatte, daß die eigentliche Sicherheit des positiven Wissens ihm fehlte; aber sie fühlten sich trotzdem lebhaft angezogen, und nicht etwa nur durch die Kunst des Vortrages, die sogar manches vermissen ließ, sondern durch die lebendige Kraft der Gedankenentwickelung. Und wenn die Zahl seiner Zuhörer nicht groß war, so schlossen sie sich um so enger an ihn. Schiller fühlte sich noch jung genug, um auch außer den amtlichen Beziehungen gern mit Studenten zu verkehren; freilich nur mit einzelnen gereifteren; für das allgemeine, damals in Jena recht rohe studentische Treiben zeigte er kein Interesse. Jene einzelnen aber, die ihn interessierten, würdigte er seines intimen Umgangs und öffnete ihnen auch nach seiner Verheiratung sein Haus zu harmlosestem Verkehr. Da war Goethes ehemaliger Zögling, Fritz von Stein, da war der zu einer Professur sich vorbereitende Dr. Fischenich, ferner der dichterisch begabte Friedrich von Hardenberg, der junge Göritz, der einem vornehmen Frankfurter als Mentor beigegeben war, der philosophisch gerichtete Erhard, dann der Livländer Graß, damals Theologe, der sich aber später der Malerei zuwandte, und dessen Landsmann Behaghel von Adlerskron. Mit diesen knüpften sich Bande, die über die akademische Zeit hinausreichten. Die rein geschäftlichen Beziehungen zu Studenten waren Schiller dagegen peinlich. Welch naive Unbeholfenheit zeigt sich, wenn er zu Anfang des zweiten Semesters berichtet: »Heute an meinem Geburtstag habe ich mein erstes Kollegiengeld eingenommen, von einem Bernburger Studenten, was mir doch lächerlich vorkam. Zum Glück war der Mensch noch neu und noch verlegener als ich. Er retirierte sich auch gleich wieder.« Es kann danach nicht verwundern, wenn nur der dritte Teil der Zuhörer seiner »Privatvorlesung« es nötig fand, dem »verlegenen« Professor das Kollegiengeld zu bezahlen.

Zu einem rechten Ausgleich zwischen dem Bewußtsein seines inneren Berufs und den äußeren Verpflichtungen gelangte Schiller trotz mancher befriedigender Momente doch nicht. Und sicherlich würde er nicht ein Jahrzehnt in Jena geblieben sein, wenn ihn nicht etwas anderes dort gefesselt und seinem Leben überhaupt ein festes Fundament gegeben hätte. Schon im eisten Jahr seines Jenaer Aufenthalts gründete er dort sein Haus.

Wir wissen, wie sehr ihn bei der Übersiedelung von Weimar der Gedanke gequält hatte, nun mit der Lengefeldschen Familie nicht mehr so leicht den Verkehr fortsetzen zu können. Im Sommer in Jena entwickelte sich eine peinigende Unruhe aus der nicht zu stillenden Sehnsucht, die ihn erfüllte. Auch als die Schwestern einmal zu Besuch nach Jena kamen, bot dies ihm nur wenig Freude, da er nur in größerer Gesellschaft Gelegenheit hatte, sie zu sehen. Was er empfand, teilte er damals mit niemand, auch nicht dem getreuen Körner. Wer hätte ihm auch raten sollen, wo er sich selber nicht zu raten und zu entschließen wußte. Trotz aller verlangenden Sehnsucht reifte eine Entscheidung in Schiller nicht. Es lag nicht nur an äußeren Gründen, nicht nur an seinen materiellen Verhältnissen, die durch die neue Stellung eher verschlechtert als verbessert waren, nicht nur an der Frage des Standesunterschiedes, die, wie er wußte, der alten Frau von Lengefeld nicht gleichgültig war, – es lag auch in seiner eigenen inneren Unklarheit. So sehr er sich nach dem Rudolstädter Hause mit allen Tiefen seines Gemütes gezogen fühlte, so sprach sein Herz doch immer noch nicht entschieden für eine der beiden Schwestern. Es zeigt sich hier aufs merkwürdigste, wie wenig Schillers Natur zu leidenschaftlicher Liebe angelegt war. Er wünscht sein Haus zu gründen, er will den Geist und die Seele des Lengefeldschen Hauses dahin überpflanzen, aber auf die einzelne Persönlichkeit richtet sich sein Empfinden viel weniger. Und die Möglichkeit, Karoline zu gewinnen, war auch nicht ausgeschlossen, da sich schon damals voraussehen ließ, daß ihre unglückliche Ehe bald getrennt werden würde. Aber Karoline selbst war es, die die Entscheidung herbeiführte. Sie erkannte, daß ihre Schwester nur in der Verbindung mit Schiller glücklich werden konnte, während ihr eigenes Glück bei ihrer beweglicheren und vielseitigeren Natur nicht auf einer einzigen Karte stand. Sie beschloß, die Vorsehung zu spielen und ohne Vorwissen der Mutter aus Lotte und Schiller ein Paar zu machen. Eben noch hatte Schiller an die Schwestern in verzweifeltster Stimmung geschrieben: »Kommen Sie ja bald zurück, kommen Sie mich wieder zum Menschen zu machen, zum Dichter – das ist vorbei. Übrigens tröstet mich das, daß Sie doch etwas von mir haben und lesen können, was aus einer glücklicheren Epoche meines Geistes sich herschreibt. Es sind Funken der Glut, die Sie beide mir gegeben haben und die jetzt wieder erloschen sind, da Ihr Atem sie nicht mehr belebt. Wie glücklich wollte ich sein, wenn die schönen Hoffnungen in Erfüllung gingen, von denen sie schreiben. Aber wie? Wie sollen Sie in Erfüllung gehen, so lange die armseligsten Nichtigkeiten in einer gewissen Wage mehr gelten, als die entschiedenste Gewißheit eines glücklichen Lebens?« Und gleichzeitig hatte er an Lotte die Klage gerichtet: »Ihr letzter Aufenthalt in Jena war für mich nur ein Traum – und kein ganz fröhlicher Traum, denn nie hatte ich Ihnen soviel sagen wollen als damals, und nie habe ich weniger gesagt. Was ich bei mir behalten mußte, drückte mich nieder, ich wurde Ihres Anblickes nicht froh.« In so zerrissener Stimmung erzwang er bald einen Besuch bei den Geliebten, die sich gerade im Badeort Lauchstedt bei Halle befanden. Hier war es, wo Karoline seiner Befangenheit entgegenkam, wo sie ihm gestand, daß ihre Schwester ihn liebe, und daß sie selber alles dazu beitragen wolle, die Schwierigkeiten, die sich entgegenstellten, zu überwinden. Zugleich sprach sie die Absicht aus, wenn Schiller und ihre Schwester verbunden wären, ihr eigenes Leben an dies Geschwisterhaus zu knüpfen. Auch jetzt noch wagte Schiller nicht, persönlich sich die Bestätigung von Lottes Lippen zu holen, sondern erst als er am nächsten Tage nach Leipzig zu einem Zusammentreffen mit Körner fuhr (den 3. August 1789), ließ er die schriftliche Anfrage zurück: »Ist es wahr, teuerste Lotte? darf ich hoffen, daß Karoline in Ihrer Seele gelesen hat und aus Ihrem Herzen mir beantwortet hat, was ich mir nicht getraute zu gestehen?« Und am selben Tage noch ließ er einen neuen überschwänglichen Erguß folgen: »Welche schöne himmlische Aussicht liegt vor mir? Welche göttliche Tage werden wir einander schenken! Wie selig wird sich mein Wesen in diesem Zirkel entfalten! O, ich fühle in diesem Augenblick, daß ich keines der Gefühle verloren habe, die ich dunkel in mir ahndete. Ich fühle, daß eine Seele in mir lebt, fähig für alles, was schön und gut ist. Ich habe mich selbst wieder gefunden, und ich lege einen Wert auf mein Wesen, weil ich es Ihnen widmen will.« Nur mit wenig Worten, noch schüchtern erwidert Lotte, aber mit ihrer einfachen Innerlichkeit, die von keinem Hauch des Zweifels oder der Verworrenheit getrübt wird. So war der Bund geschlossen, aber geheim sollte er vorerst noch bleiben, weder die Welt noch auch die nächststehenden, selbst nicht Lottens Mutter, sollten davon erfahren, bis sich Schillers Lage entsprechend gestaltet hätte. Nur seinem einzigen Freunde Körner konnte er das große Ereignis nicht verheimlichen. Er wünschte vielmehr die günstige Gelegenheit, welche die Zusammenkunft bot, zu benutzen, um ihn gleich mit seiner Braut zusammenzuführen. In der Tat reisten Lotte und Karoline auf einen Tag nach Leipzig, und wenn Körner auch dem Sturm der Empfindung, die Schiller ergriffen hatte, noch etwas kühl gegenüberstand und darum auch sich den Schwestern zurückhaltend zeigte, so wurde doch der Grund zu einer freundschaftlichen Beziehung gelegt, die sich später unter günstigeren Umständen weiter entwickelte. Schiller hatte die Freude, daß seine Verlobung ihn dem Dresdener Freundeshause nicht entfremdete, sondern die alte Freundschaft in sein neues Leben hinüberleitete.

Nur wenige Tage des Zusammenlebens waren Schiller in Lauchstedt noch vergönnt; dann begann wieder der briefliche Verkehr, bis die Herbstferien im September die Liebenden in Rudolstadt zusammenführten. Auch hier gelang es, das Geheimnis vor der auf dem Schloß ihren Amtspflichten nachgehenden Mutter zu hüten. Es sei doch eine gute chère mère, meinte Schiller, die sich damit abmühte, fürstliche Töchter zu bewachen, und nicht merkte, daß ihr die eigene verloren ginge. Um aber diesen Zustand nicht ewig dauern zu lassen, wurden aufs eifrigste schriftlich und mündlich Pläne für Schillers Zukunft geschmiedet. Nach Mainz, nach Berlin, nach Wien richteten sich die Blicke. Schiller wünschte durchaus nicht in Jena zu bleiben und Lotte als Frau in die dortige, ihm mißfällige Gesellschaft einzuführen. Schließlich mußte er sich aber doch mit dem Gedanken vertraut machen. Praktisch erwies sich nichts anderes möglich, als den Herzog um einen, wenn auch noch so geringen Gehalt zu ersuchen, einen kleinen Zuschuß von der Mutter zu erhoffen und im übrigen sich auf Schillers bisherige Einnahmequellen zu verlassen. Erleichtert wurde ein solcher Entschluß dadurch, daß Lotte von jedem Anspruch auf eine behaglichere Lebensführung gänzlich frei war. Gern war sie bereit, Schillers bisherige bescheidene Existenz, selbst seine bisherige Wohnung zu teilen. Aber auch ernstere Sorgen als die um die äußere Lage machten sich während des Brautstandes fühlbar. Nachdem der erste Rausch des Glückes verflogen war, trat die Doppelneigung, mit der sich Schiller zu dem Schwesternpaar gezogen fühlte, wieder deutlich zu Tage. Durch die Aussicht, daß Karoline künftig das häusliche Zusammenleben der Vermählten teilen würde, erhielt die Doppelleidenschaft immer neue Nahrung. In Schillers Liebesbriefen spricht sich die unklare Verworrenheit, in der er sich befand, in ganz wundersamer Art aus. Bei der ersten Veröffentlichung dieser Briefe – nach vierzig Jahren – hat Karoline, damals verwitwete von Wolzogen, in taktvoller Weise all' die empfindungsvollen Briefe, die an beide Schwestern gerichtet wurden, so verändert, als ob sie sich nur auf Lotte bezögen. Jetzt sind die Originale längst bekannt, und nicht ohne peinliche Empfindung lesen wir Äußerungen wie diese: »Meine Seele ist jetzt gar oft mit den Szenen der Zukunft beschäftigt; unser Leben hat angefangen, ich schreibe vielleicht auch wie jetzt, aber ich weiß euch in meinem Zimmer; Du, Karoline, bist am Klavier und Lottchen arbeitet neben Dir, und aus dem Spiegel, der mir gegenüberhängt, seh' ich euch beide. Ich lege die Feder weg, um mich an euren schlagenden Herzen lebendig zu überzeugen, daß ich euch habe, daß nichts, nichts euch mir entreißen kann. Ich erwache mit dem Bewußtsein, daß ich euch finde, und mit dem Bewußtsein, daß ich euch morgen wieder finde, schlummere ich ein. Der Genuß wird nur durch die Hoffnung unterbrochen, und die süße Hoffnung nur durch die Erfüllung, und getragen von diesem himmlischen Paar verfliegt unser goldenes Leben.«

Man würde aber doch schweres Unrecht tun, wenn man hierin nur eine Spur von Frivolität erblicken wollte. Im Gegenteil, diese seltsame Doppelliebe erklärt sich gerade daraus, daß in Schillers Empfinden das Moment der sinnlichen Leidenschaft offenbar gänzlich mangelte. Dies war wirklich eine Liebe, die über allen irdischen Bedingungen und Schranken schwebte. Auch in den praktischen Entwürfen des Bräutigams für den künftigen dreifältigen Hausstand äußert sich dies in geradezu naiver Weise.

Wir wissen nicht, wie Karoline auf diese Ergüsse geantwortet hat; ihre Briefe sind, wie es scheint, durch Schillers Tochter, die Freifrau von Gleichen, vernichtet worden. In Lottes Briefen ist es rührend zu lesen, wie sie auf dies sonderbare Doppelverhältnis eingeht, wie kein Laut der Eifersucht sich hören laßt, sondern stets nur neue Versicherungen ihrer Liebe. Wohl aber erhub sich allmählich in ihr die Sorge, daß sie Schiller nicht sein könne, was sie gehofft, daß er die Schwester ihr vorziehe. Sie gestand dies der Freundin Karoline von Dacheröden, die in das Geheimnis gezogen war, und fügte sogar die Frage hinzu: ob sie wohl auf Schiller wieder verzichten solle. Dagegen sprach nun die Freundin mit liebevoller Einsicht: wenn Lotte auch glaube dies Opfer bringen zu können, so werde sie es doch nicht überstehen; sie solle lieber Schiller offen ihre Bekümmernis aussprechen. Lotte tat dies, wenn auch nur in zarter Andeutung, und die Antwort, die sie erhielt, mußte sie wohl befriedigen, wenn sie auch in Wahrheit nicht befriedigend war. »Karoline«, schrieb Schiller, »ist mir näher im Alter, und darum auch gleicher in der Form unserer Gefühle und Gedanken. Sie hat mehr Empfindungen in mir zur Sprache gebracht als Du, meine Lotte – aber ich wünschte nicht um alles, daß dieses anders wäre, daß Du anders wärest als Du bist. Was Karoline Dir voraus hat, mußt Du von mir empfangen; Deine Seele muß sich in meiner Liebe entfalten, und mein Geschöpf mußt du sein, Deine Blüte muß in den Frühling meiner Liebe fallen. Hätten wir uns später gefunden, so hättest Du mir diese schöne Freude weggenommen, Dich für mich aufblühen zu sehen. – Wie schön ist unser Verhältnis gestellt von dem Schicksal! Worte schildern diese zarten Beziehungen nicht, aber sein und scharf empfindet sie die Seele... Wie könnte ich mich zwischen Euch beiden meines Daseins freuen, wie könnte ich meiner eigenen Seele immer mächtig genug bleiben, wenn meine Gefühle für euch beide, für jedes von euch, nicht die süße Sicherheit hätten, daß ich dem anderen nicht entziehe, was ich dem einen bin.«

Trotz dieser scheinbaren Sicherheit, die Schiller empfand, wäre das Verhältnis auf die Dauer in dieser Art doch schwerlich durchzuführen gewesen. Es war Karoline, die sich allmählich mehr zurückzog und ihrer Schwester das Feld frei machte, – die endlich auch auf den Gedanken des Zusammenlebens mit dem jungen Paar verzichtete und so die harmonische und normale Entwickelung des Verhältnisses ermöglichte.

Schillers gutes Gewissen gegenüber seiner Braut läßt sich aber aufs klarste aus der edeln Aufrichtigkeit erkennen, mit der er stets sich ihr darstellte. Ein schönes Beispiel davon gab er, als Körner einen etwas warnenden Brief geschrieben hatte. Der immer sich gleich bleibende Freund hatte, wie wir wissen, bisweilen unter den »aussetzenden Pulsen« von Schillers Freundschaft zu leiden, wenn dieser ganz und gar von seinen schöpferischen Ideen hingenommen war. Er wußte den beiden Verlobten nichts besseres zu wünschen, als daß Lotte in solchen Momenten den Gatten nicht verkennen möchte. Schiller, der auf jede Äußerung Körners großes Gewicht legte, teilte diesen Brief seiner Braut mit und wurde für diese Offenheit mit einigen verständnisvollen Zeilen belohnt: »Ich glaube nicht, mein Geliebter, daß der Fall oft kommen könnte, daß ich Dich verkennen sollte... Ich finde diese Züge so in Dein Wesen verflochten, daß sie unzertrennlich mit Dir sind; wenn Du auch Fehler hättest, würde ich nachsichtig sein. Es ist nicht Liebe, wenn man sich nur ein schönes Bild in der Seele entwirft, und diesem selbst alle Vollkommenheiten gibt, sondern dies ist Liebe, die Menschen so zu lieben, wie wir sie finden, und haben sie Schwachheiten, sie aufzunehmen mit einem Herzen voll Liebe.«

Was Lotte hier ausspricht, das hat sie in vollem Maß wahr gemacht. Schiller, so glücklich er sich auch stets in seinem Hause fühlte, so ungetrübt sein Familienleben stets blieb, – war doch nicht eigentlich zum Ehemann und Hausvater geboren. Zu sehr – mir wissen es schon – stand ihm immerdar sein persönlicher Beruf, sein nicht rastender Schaffensdrang vor der Seele, als daß nicht alle anderen, auch die innigsten und wahrsten Beziehungen des Lebens davor zurückgetreten wären. Vollends das leidenschaftliche Glücksgefühl der Vereinigung, des Besitzes, erlosch bei ihm sehr schnell, wie er selbst in lyrischer Klage ausgerufen »Ach, allzuschnell nach kurzem Lenze entfloh die schöne Liebeszeit!« Es wäre für manche Frau, die in jenem Zeitalter der »Empfindsamkeit«, im Spiel der Phantasien und Gefühle aufgewachsen war, schwer möglich gewesen, sich in diese nüchterne, männlich kühle Betrachtungsweise zu finden. Lotte tat es, wohl ohne auch nur ein Bewußtsein des Vermissens. In späteren Jahren hat sie Goethes Briefe an Frau von Stein kennen gelernt, und daran das charakteristische Urteil geknüpft, Schiller hätte so, »bloß aus Leidenschaft« nicht lieben können; er habe sich immer nur, »an das Gute im Menschen festgehalten.« Und sie hat mit Einverständnis seinen eigenen Ausspruch wiederholt: »Die Leidenschaft flieht, die Liebe muß bleiben.«

Wir haben eben zwei Gedichte und unter ihnen auch eines von persönlich-lyrischer Art angeführt. Es ist ein seltener Fall, daß Schiller in dieser Form seine Empfindung ausgesprochen. Aus der ganzen Zeit seiner engen Freundschaft mit den Lengefeldschen Schwestern, aus der Zeit seiner Liebe und seiner Verlobung haben wir kein einziges Gedicht, worin er seinem Fühlen Worte gegeben hätte. Nichts wäre falscher, als daraus auf eine Schwäche seines Empfindens zu schließen; aber der Charakter seiner Dichtweise tritt darin zutage. Ihm war die Poesie weniger Ausdruck der Empfindung, als des Gedankens, der Idee. Sein leicht erregbares, wechselvolles Gefühl ließ er meist in seinen Briefen sich ausleben, die dadurch die wahre Schatzkammer seiner Seele geworden sind.

In den Briefen an Lotte und Karoline mußten freilich auch andere Dinge einen breiten Raum einnehmen. Endlich, im Dezember 1789 klärte sich die äußere Lage. Die Bereitwilligkeit des Herzogs, Schiller aus seinen Privatmitteln einen bescheidenen Gehalt (zweihundert Taler!) zu gewähren, war gesichert, – und nun schien auch der Augenblick gekommen, die chère mère um ihre Zustimmung anzugehen. Die gute Dame fiel aus den Wolken, als sie sowohl durch die Töchter als durch einen Brief Schillers mit der Sache bekannt gemacht wurde, die in den letzten Wochen schon öffentliches Geheimnis geworden war. Nichts hatte sie geahnt; was sollte nun aus Lottchens geplanter Hofstellung werden, wenn sie einen mittellosen und demokratischen, außerordentlichen Professor heiratete! Dennoch gab sie nach wenig Tagen ihre Einwilligung; nur wünschte sie über Schillers pekuniäre Lage aufgeklärt zu werden. Schiller tat dies in etwas optimistischer Weise; zugleich bemühte er sich aber, der Schwiegermama auch etwas Erfreuliches zu erweisen, indem er sich von dem Herzog von Meiningen den Hofratstitel erbat.

Die nun öffentlich kundgegebene Verlobung mußte natürlich großes Aufsehen erregen. Die nächsten Freunde, Karoline von Dacheröden, Wilhelm von Humboldt, der sich eben mit ihr verlobt, die Schiller näherstehenden Kollegen in Jena bewiesen herzliche Freude; in den Hofkreisen der kleinen Residenzen knüpfte sich aber auch mancherlei Spott und Medisance daran. Doch zeigten Karl August und der Kuadjutor Dalberg ihre aufrichtige Teilnahme, und ihr Interesse für Schiller wuchs noch durch diese Verbindung. Rührend war die Freude seiner alten Eltern in der schwäbischen Heimat. Nachdem schon die ernsthaften Geschichtswerke, dann die Professur den Sohn rehabilitiert hatten, glaubten sie nun seine Existenz in völlig sicherem Hafen geborgen. Der Vater legte es Lotten besonders ans Herz, Schiller in »der Wirtschaft« fürsorglich zur Seite zu stehen, wofür er immer wenig Anlage gehabt hätte. Leider fühlte auch Lotte dazu in sich nur wenig Talent.

Es gab aber eine Persönlichkeit, die mit bitterem Haß das junge Paar betrachtete, – das war Charlotte von Kalb. Obgleich ihr Verhältnis zu Schiller schon längst gelockert war, obgleich sie die Lengefeldschen Schwestern schon lange mit neidischer Eifersucht betrachtet hatte, wirkte die Tatsache der Verlobung auf sie doch noch erschütternd und aufstachelnd. Sie war nicht imstande sich zu beherrschen; sie beschwerte sich, daß Schiller ihr keine Aufmerksamkeit mehr erweise, was bei der Lage der Dinge doch selbstverständlich war. Sie erklärte Lotte, Schiller habe sich äußerst unartig gegen sie betragen; sie trug eine solche Erbitterung zur Schau, daß Lottes Sanftmut ganz verängstigt vor dieser Leidenschaft stand. »Wären wir zusammen in Italien, so könnte mir ein Dolchstich in eine andere Welt helfen,« schrieb sie an ihren Bräutigam. Allen Ernstes glaubten beide Verlobte, daß ihre Korrespondenz von Charlotte ausspioniert werde, und schoben darauf den Verlust einiger Briefe. Damit mochten sie wohl der Verzweifelten unrecht tun, deren Schicksal nur tiefes Mitleid erregen kann. Nichts Tatsächliches deutet darauf, daß sie in irgend einer Art habe Rache üben wollen. Einige Wochen später sah Lotte sie wieder: »Sie sah aus wie ein rasender Mensch, bei dem der Paroxysmus vorüber ist, so erschöpft, so zerstört; das Gespräch wollte gar nicht fort... Sie saß unter uns wie eine Erscheinung aus einem anderen Planeten, und als gehörte sie gar nicht zu uns. Ich fürchte wirklich für ihren Verstand.« Sie forderte dann ihre Briefe von Schiller zurück, die sie erhielt und mit den seinigen vernichtete.

Schiller drängte jetzt mit Ungeduld auf die Vermählung. Ihm war der Gedanke an die Hochzeitsfeier unsympathisch; für ihn gehörte das zu den äußeren Anforderungen, die die Welt stellte und die er möglichst nebensächlich abzutun liebte. Auch darin kamen ihm Lotte und die Ihrigen entgegen. Es gelang, das kirchliche Aufgebot auf ein einziges Mal zu beschränken, und wenige Tage darauf, am 22. Februar 1790, fand in einer Dorfkirche (in Wenigenjena) die Trauung statt, welcher nur Mutter und Schwester der Braut beiwohnten. Schiller sah darin »einen höchst kurzweiligen Auftritt«. Unmittelbar von dort fuhren die Neuvermählten nach Jena in Schillers bisherige Junggesellenwohnung, die sogenannte Schrammei. »Den Abend,« schrieb Lotte später, »brachten wir still und ruhig miteinander in Gesprächen zu beim Tee.«

Das äußere Leben veränderte sich für Schiller nur wenig durch seine Verheiratung. Der Umgangskreis blieb derselbe; die jungen Leute, die Schiller an sich gefesselt hatte, schlossen sich noch fester an, da auch die junge Frau sich gern unter ihnen bewegte. Einige von ihnen wurden sogar als ständige Teilnehmer an den Mittagstisch herangezogen. Diesen besorgten nach wie vor die Vermieterinnen des Hauses, die sogenannten »Hausjungfern«; eigene Wirtschaft führte das Schillersche Paar in den ersten Jahren der Ehe nicht. Lottes Schwester hatte in der Nähe eine Wohnung gefunden und nahm auch an diesem Mittagstisch teil. Desto größer aber war die Veränderung, die in Schillers innerem Wesen vor sich ging. Seine Bekannten aus dieser Zeit bezeugen, wie seine Stimmung, sein Gemütsleben ruhiger, gleichmäßiger, heiterer wurden. Jetzt erst fühlte er sich wirklich in den umgebenden Verhältnissen heimisch; nicht sein Amt, erst seine Ehe bewirkte das. Jetzt trat ein, was Goethe so freudig gerühmt hat:

Er mochte sich bei uns im sichern Port
Nach wildem Sturm zum Dauernden gewöhnen.

Die Freundschaft mit Körner blieb erhalten, und allmählich spann sich auch eine Freundschaft zwischen den beiden Frauen an. Umgekehrt wurden Schillers anfänglich nur lose Beziehungen zu Wilhelm von Humboldt unter dem Einfluß der beiderseitigen Gattinnen allmählich zu einer Lebensfreundschaft umgestaltet, die durch öftere Besuche des Humboldtschen Ehepaares in Jena gefestigt ward.

Nur ein Wunsch blieb Schiller noch: ein Besuch in der Heimat; aber auch diesen hoffte er sich bald erfüllen zu können. Dieses erste Jahr seiner Ehe, das einzige Jahr seines ungetrübten Wohlseins, welches das Schicksal ihm noch gewährte, war gewiß das glücklichste seines Lebens.

Die hauptsächlichste Arbeit dieses Zeitraumes war die Geschichte des dreißigjährigen Krieges. Man könnte geneigt sein, das zu bedauern, wenn man erwägt, daß dadurch die Fortführung und Vollendung des »Abfalls der Niederlande« verhindert wurde. Dies historische Hauptwerk Schillers blieb auf seinen ersten Teil beschränkt, und nur ein Anhang, der das traurige Ende Egmonts behandelt, wurde noch hinzugefügt. (Die »Belagerung von Antwerpen«, die jetzt einen zweiten Anhang bildet, stammt erst aus späterer Zeit.) Die Geschichte des großen Krieges hat nicht dieselbe wissenschaftliche Bedeutung wie jenes Werk. Man hat daraufhin öfters Vorwürfe erhoben, die aber unberechtigt sind: Schiller war – auch damals – nicht bloß Historiker, und den dreißigjährigen Krieg schrieb er nicht als Historiker. Er war von dem befreundeten Verleger Göschen aufgefordert, diesen Gegenstand in dem »Historischen Kalender für Damen« darzustellen, und in der Tat erschien schon in dem Jahrgang 1791 der erste Teil, der bis zur Schlacht bei Breitenfeld (1631) reicht. Eine dem Leitfaden der Quellen folgende Erzählung wie in der niederländischen Geschichte war hier gar nicht Schillers Absicht. Nicht wie damals schrieb er jetzt, um sich einen wissenschaftlichen Namen zu machen, sondern um einen historischen Stoff vor einem großen Publikum anziehend und fesselnd zu behandeln. Er bewegte sich frei; natürlich nicht in freier Erfindung, aber doch in freier Schilderung und Idealisierung. Wie eine gewaltige architektonische Umrahmung gruppierte er die wilde Masse der Ereignisse um die Hauptgestalten, unter denen er besonders plastisch Gustav Adolf und Wallenstein herausarbeitete; mehr in Reliefstiel gehalten bleiben Tilly, Richelieu und andere. Die Geschichtsschreibung berührt sich hier mit der historischen Epopöe, und in ihr gewinnt die Subjektivität des Autors weit größeren Spielraum, als dem wissenschaftlichen Historiker erlaubt ist. So findet sich hier nicht die Unparteilichkeit, welche der Darstellung des Abfalls der Niederlande eigentümlich ist. Die Begeisterung für Geistesfreiheit, der Haß gegen Unterdrückung weisen hier scharfe Reflexe auf die Gestalten der handelnden Personen; aber es sind nicht so sehr die historischen Personen mehr, sie sind mehr Schöpfungen des Schillerschen Geistes. Die Lesewelt, der mit einfacher historischer Wahrheit ja meist wenig gedient ist, nahm dies Werk mit höchster Begeisterung auf; siebentausend Exemplare wurden sofort abgesetzt.

Es ist nicht zufällig, daß sich Schiller in derselben Zeit mit dem Gedanken trug, sich der epischen Dichtung zuzuwenden. Zuerst hatte Friedrich der Große sein Held werden sollen, dessen Tod wenige Jahre zuvor erst die Welt erschüttert hatte und dessen » Histoire de mon tems« eben damals allgemeines Interesse erregte. Aber der einsame Herrscher schien dem Dichter zu ausschließlich Politiker, zu wenig menschlich anziehende Persönlichkeit, um dauernde Begeisterung erwecken zu können. Und dies schien Schiller damals noch unumgängliches Erfordernis bei der Wahl eines dichterischen Helden. Noch besaß er nicht die Objektivität, die nach persönlicher Sympathie oder Antipathie bei künstlerischem Schaffen nicht fragt. Um so mehr mußte ihn die Gestalt Gustav Adolfs, den er als Befreier verehrte, zu poetischer Behandlung locken. Ernstlich beschäftigte er sich mit dem Gedanken eines Heldengedichtes, das diesen glänzenden Stoff behandeln sollte. Und gewiß wäre ein solches Werk unter seinen Händen großartig und prächtig ausgefallen; – ob gerade auch episch vollendet, ist eine andere Frage. Der Zweifel daran war es wohl auch, der das Werk nicht zustande kommen ließ. Nur die Übersetzung zweier Bücher der »Aeneis« in freien, von Wielands Einfluß zeugenden Stanzen ist ein dauerndes Zeugnis der epischen Stimmung Schillers geblieben. Er war durch die Entwöhnung vom dichterischen Schaffen, durch den Einfluß der jetzt von ihm bewunderten griechischen Poesie, durch Versenkung in wissenschaftliche Arbeiten über seinen eigenen dichterischen Beruf unklar geworden. Er verdammte seine früheren Erfolge, und er wußte noch nicht, auf welcher Seite er nach anderen zu streben habe, die ihn mehr befriedigen würden. Er blieb zunächst bei der Geschichte stehen; er faßte den Plan eines »Deutschen Plutarch«, eines biographischen Gesamtwerkes; war doch Plutarch einer der Schriftsteller, die ihn am frühesten mit großen Charakteren und Taten vertraut gemacht hatten! Vergeblich suchte Dalberg (der Koadjutor, nicht etwa der Mannheimer Intendant!) ihn wieder auf das Drama, und zwar speziell auf das »große Thema« von Wallensteins Tod, hinzuweisen. Der Geist historischer Forschung, schrieb er, könne eher erworben werden; die dramatische Ausdrucksfähigkeit sei dem Genius von der Natur verliehen: »Schiller vereinigt beides, Bildungskraft und das schätzbare Ausdauern des Fleißes. Doch wünsche ich, daß er in ganzer Fülle dasjenige leiste, wirke, was nur er leisten kann, und das ist Drama.« Körner dagegen war der Meinung, Schillers eigenstes Gebiet sei die philosophische Lyrik, von der er ja freilich in den »Künstlern« und den »Göttern Griechenlands« schon glänzende Proben abgelegt hatte. Aber noch viele Jahre sollten vergehen, bis Schiller nach einem ernst und mühsam zurückgelegten Wege der Selbstbildung wieder zur Poesie zurückkehrte.


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