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»Es ist der Geist, der sich den Körper baut.«
Schiller.
Schiller fühlte jetzt so wenig den Trieb zu poetischem Schaffen, so wenig Vertrauen zu seiner Dichterkraft, daß er sich entschloß, Szenen eines längst angefangenen Dramas bruchstückweise zu veröffentlichen, da er an die Vollendung nicht denken wollte. Es ist das Fragment »Der versöhnte Menschenfeind«, das 1790 in der »Thalia« erschien.
Der Typus des Menschenfeindes war Schiller nahe gerückt, seit er in Mannheim 1784 Shakespeares »Timon« für die Bühne hatte bearbeiten wollen. Szenen eines geplanten Dramas dieser Art hatte er schon in Dresden Körnern mitgeteilt; aber erst in Weimar war es soweit gediehen, als es nun in der »Thalia« erschien. »Der versöhnte Menschenfeind«, wie es Schiller benannte, läßt freilich erkennen, daß nicht eine so harte und schneidende Behandlung des Stoffes wie bei Shakespeare beabsichtigt war. Tragisch konnte der Ausgang freilich auch so sich gestalten; die »Versöhnung« konnte ja auch zu spät erfolgen, um den verschuldeten Lauf des Geschickes aufzuhalten. Berechtigt aber war der Gedanke der Aussöhnung dadurch, daß ein Menschenhaß, wie ihn Schiller hier zeichnet, im letzten Grunde aus einem Herzen quillt, das »nicht klug, doch zu sehr liebte« und darum auch wohl zur Liebe wieder zurückkehren kann. Die Apostrophen des Menschenfeindes an die unwürdige Menschheit lehnen sich stark an biblische Vorbilder, an die alttestamentlichen Propheten an. Wie Jesaias den Jehovah reden läßt, so predigt Hütten: »Ich verabscheue Dank aus so unheiligen Händen. Waschet erst die Verleumdung von euren Lippen, den Wucher von euren Fingern, die scheelsehende Mißgunst aus euren Augen!« Es ist das letztema!, daß Schiller so nach seiner Jugendweise den biblischen Stil in seiner Dichtung lebendig werden läßt. Eine Rückkehr zur Jugendart könnte man auch darin sehen, daß diese Szenen wieder in Prosa geschrieben sind und der Jambus vergessen scheint. Allein darin würde man irren; diese Prosa ist eine abgeklärte, mit großer Feinheit individuell für die einzelnen Personen geformte, kein wild dahinstürmender Erguß mehr. Schiller mochte sie wohl für die Konversation eines in modernen Gesellschaftskreisen spielenden Stückes für geeigneter halten als den Vers. Auch scheint Goethes »Egmont« darauf eingewirkt zu haben. Ein ganz direktes, gewiß nicht zufällig entstandenes Kontraktstück zu Egmonts Unterredung mit seinem Sekretär ist Huttens Gespräch mit dem Haushofmeister. Daß das Bruchstück nicht weiter geführt worden, müssen wir besonders deshalb beklagen, weil der fernere Plan, den uns Körner aufbewahrt hat, sehr interessante Entwickelung versprach; Begegnungen mit Menschenfeinden anderer Art sollten den inneren Umschwung in Hütten hervorbringen.
Während sich Schiller so entschlossen von der Dichtkunst zurückzog – so entschlossen, daß er selbst zu poetischen Stammbucheinträgen in dieser Zeit ältere Verse, zurückgebliebene Strophen der »Künstler« verwandte – ließ er ein strenges Gericht über einen anderen Dichter ergehen, der nicht solche Selbstzucht übte. Bei Schillers Rezension über Bürgers Gedichte bewährt sich mutatis mutandis der Spruch Goethes:
»Wer Euch am strengsten kritisiert,
Ein Dilettant, der sich resigniert.«
Zwar kein Dilettant kritisiert hier, wohl aber ein Dichter, der sich aufs entschiedenste »resigniert« hatte. Wenn Bürger für unmöglich hielt, daß Schiller diese Rezension verfaßt habe, weil er damit seine eigenen Gedichte verdammt haben würde, so entging ihm gänzlich, daß Schiller gerade das aus vollster Seele wollte und tat; in Bürger stieß er den eigenen alten Menschen von sich. Es ist klar, daß unter solchen Umständen die Rezension sich nicht durch Billigkeit auszeichnen konnte. Sich auf den Standpunkt des Autors zu versetzen, ist die erste Bedingung gerechter Kritik; sie verweigern ist nur gestattet, wenn man glaubt, das Werk von vornherein als »unter aller Kritik« betrachten zu dürfen. Diese Meinung lag auch der Schillerschen Rezension tatsächlich zugrunde, und eben darum konnten auch alle einzelnen Lobsprüche, mit denen nicht gekargt war, den vernichtenden Eindruck nicht aufheben. Talent in verschiedener Hinsicht wurde Bürger zuerkannt; aber ein Talent, das mutwillig durch die unerzogene Persönlichkeit des Dichters verschleudert und vergeudet war. Und nicht nur in einzelnen Plattheiten und Schlüpfrigkeiten fand Schiller diesen Verderb des Talents, sondern in der Ungezähmtheit, mit der sich die maßlose, den Dichter zerrüttende Leidenschaft in seine Dichtung hineindrängte, die künstlerische Idealisierung von sich wies und deshalb auch die äußere Formvollendung unmöglich machte.
In diesem Urteil über Bürgers Person und Leistung ist viel Wahres; ja das meiste ist wahr, und doch setzte sich Schiller mit dieser Rezension im ganzen ins Unrecht. Zunächst war die Theorie, die er zugrunde legte und verfocht, eine unmögliche; seine Lehre von der Idealisierung, wie sie hier ausgesprochen, würde tatsächlich die lyrische Dichtung töten. Wenn verlangt wird, daß die Dichtkunst die Sitte, den Charakter, die ganze Weisheit ihrer Zeit geläutert und veredelt in ihrem Spiegel sammeln solle, daß der Dichter der aufgeklärte verfeinerte Wortführer der Volksgefühle sein solle, der die Geheimnisse des Denkens in leicht zu entziffernder Bildersprache dem Kindersinn zu erraten gebe, – so meint man eher, daß von einem Verkünder populärer Philosophie nach Art Garves oder Engels die Rede sei, als von einem lyrischen Dichter. Es war eben Schillern damals die selbständige Bedeutung des Ästhetischen noch nicht aufgegangen. Er selbst hat später ein klares Bewußtsein dieses Mangels gehabt, wenn er nur an dem Endurteil über Bürger festhielt, die »Beweise« aber, die er dafür angeführt, preisgab. Wir jedoch müssen auch gegen das Endurteil Einspruch erheben. Waren auch die Vorwürfe meist berechtigt, so fehlte das Bewußtsein der eigentümlichen dichterischen Kraft Bürgers. Bürger war nicht nur talentvoll, sondern in ihm lebte ein Funke genialen Feuers. Und er hatte das Recht, trotz aller Mängel seiner Ausbildung, ein Urteil zu fordern, das von der Achtung vor dieser poetischen Genialität getragen war. Dafür ließ Schillers Rezension das Verständnis vermissen; von der Nachwelt ist sie nicht bestätigt worden. Aber ein glänzendes Zeugnis ist sie für den Ernst, mit dem Schiller damals sich selbst zu reinem künstlerischen Schaffen zu erziehen strebte.
Die Form hatte Schiller übrigens durchaus rücksichtsvoll und würdig gehalten; zu dem damals oft recht derben und polternden Rezensententon hatte er sich nicht herabgelassen. Formell konnte sich Bürger nicht beleidigt fühlen; aber die sachlichen Angriffe trafen ihn ins Herz. Geistig und körperlich schon dahinsiechend, ward er jetzt völlig niedergeworfen. Es war ein tragisches Verhängnis, daß dies unter einem Streich geschah, der nicht eigentlich gegen ihn gezielt war, an dem der Gegner nur die Schärfe der eigenen Waffen hatte erproben wollen.
Aber auch Schiller selber ward mitten im vollsten Kraftbewußtsein, in hoffnungsreichster Lebensfreude von einem Schlage getroffen, von dem auch er sich nicht mehr erholen sollte, wenn er ihn auch mit ganz anderer Willensstärke ertrug, als Bürger es je vermocht hatte. Noch kein Jahr war seit seiner Vermählung verflossen, als ihn die schwere Krankheit ergriff, die ihn nicht mehr losließ; vom Tode wurde er gezeichnet. Als ein Gezeichneter hat er die vierzehn Jahre verbracht, die ihm das Geschick noch gönnte; verbracht mit dem nie rastenden Bewußtsein: »Wirket, solang es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.«
Zu Neujahr des Jahres 1791 besuchte Schiller mit seiner Frau Erfurt, wo er auf Dalbergs Betreiben als Mitglied der Kurfürstlichen Akademie aufgenommen wurde. Hier befiel ihn ein heftiges Erkältungsfieber; gewaltsam hielt er sich aufrecht; bald aber wiederholten sich solche Anfälle. Nach Jena zurückgekehrt ergriff ihn um die Mitte des Monats die Krankheit mit voller Gewalt; schwere Erstickungsanfälle, Krämpfe, Blutspeien stellten sich ein. Die Kräfte sanken auf das geringste Maß; wochenlang schwebte Schiller zwischen Tod und Leben. Schon verbreitete sich weithin das Gerücht seines Hinscheidens.
Aufopferungsvoll pflegten ihn in dieser schweren Zeit seine Frau und die ihm nahestehenden Studenten. Diese stritten sich darum, wer bei ihm wachen sollte, und einige taten es dreimal die Woche. Auch Karoline kam; »ein höchstnötiger Beistand,« schreibt Schiller, »für meine liebe Lotte, die mehr gelitten hat als ich.« Ergreifend ist die Erinnerung an Lottens treue Pflege, welche uns der Hausfreund Karl Graß aufbewahrt hat. »Ich befand mich in seinem (Schillers) Zimmer und hatte, indem ich am Fenster stand und las, mir das Bild des Leidenden und das Edle und Große, welches seine Form und seine Züge umschwebte, tief eingeprägt. Er ... lag da, leicht entschlummert, wie ein Marmorbild. Sie befanden sich im Nebenzimmer, wo ich ihnen die Schillersche Übersetzung des vierten Buches der Aeneide vorgelesen hatte, und von Zeit zu Zeit kamen Sie an die Türe, sich nach Schillern umzusehen. Sie sahen ihn also daliegen und nahten leise auf bloßen Strümpfen, und ebenso leise knieten Sie mit gefalteten Händen an sein Bett hin. Ihr loses dunkles Haar floh über die Schulter. Still weinte Ihr Auge. Sie hatten es wohl kaum bemerkt, daß noch jemand im Zimmer war. Der ohnmächtige Kranke schlug indessen etwas die Augen auf. Er erblickte Sie; mit Leidenschaft umschlangen plötzlich seine Arme Ihr Haupt, und so blieb er auf Ihrem Nacken ruhen, indem ihn die Kraft von neuem verließ.«
Nur sehr langsam erholte sich Schiller. An eine Wiederaufnahme der Vorlesungen war auch im Sommersemester nicht zu denken. Eine Kur in Karlsbad sollte den Kranken wieder kräftigen. Der Herzog gab dazu eine Unterstützung; eine dauernde Gehaltserhöhung war ihm nicht möglich, und kam auch um so weniger in Betracht, als es ganz ungewiß war, was Schiller noch der Universität leisten konnte. So trat nun auch die materielle Not heran. Wieder einmal erwiesen sich die Berechnungen Schillers durch die Ungunst des Schicksals als irrig. Auf Einnahmen aus den Vorlesungen war nicht mehr zu rechnen; die »Thalia« warf nicht allzuviel ab, und die wichtigste literarische Arbeit stockte: von der zweiten Hälfte des »dreißigjährigen Krieges« vermochte Schiller nur einen winzigen Teil für den Damenkalender auf 1792 auszuarbeiten. Und nicht wie in früheren Zeiten hatte er jetzt für sich allein zu bangen; sondern auch für Lotte, die ihr ganzes Lebensglück an seine schwankende Existenz gebunden hatte. Er mochte wohl empfinden, was Goethe einmal ausgesprochen: das Schicksal scheine zu glauben, man sei nicht aus lebendigen Sehnen und Nerven, sondern aus Draht zusammengeflochten.
Um so tiefer ergreifen mußte ihn die plötzliche und vollauf hinreichende Hilfeleistung, die er auf ganz und gar unerwartete Weise erhielt. Wie einstens Körner, so tritt jetzt der Erbprinz von Augustenburg im entscheidenden Augenblick in Schillers Leben ein; er rettete den Dichter sich selber und seinem Volke.
Der junge dänische Schriftsteller Baggesen, der in Jena Schillers freundliches Wohlwollen erfahren hatte, war als sein begeisterter Anhänger nach dem Norden zurückgekehrt und verbreitete dort leidenschaftlich diesen Enthusiasmus. Er weilte gerade bei dem Erbprinzen, der ebenso wie der Minister, Graf Schimmelmann, sich lebhaft für deutsche Literatur interessierte, als das Gerücht von Schillers Tode mit scheinbarer Gewißheit auftrat. Eine tagelange Trauerfeier mit deklamatorischen Aufführungen ließ den Schmerz weit und voll ausklingen. Da traf die Nachricht ein, daß der Beklagte noch lebe, aber gebeugt von schwerem Siechtum. Die begeisterten Verehrer verschmähten es, ihre Freude jetzt auch nur durch Wort und Spiel auszudrücken; durch die Tat sollte es geschehen. Der Erbprinz und der Graf setzten dem Kranken auf drei Jahre einen Gehalt von tausend Talern aus. Von dem Schreiben, womit sie dieses Anerbieten begleiteten, hat ein Biograph Schillers mit Recht gesagt, es dürfe in keiner Lebensbeschreibung unseres Dichters fehlen. »... Ihre durch allzu häufige Anstrengung und Arbeit geschwächte Gesundheit bedarf, so sagt man uns, für einige Zeit eine große Ruhe, wenn sie wiederhergestellt und die Ihrem Leben drohende Gefahr abgewendet werden soll... Wollen Sie uns die Freude gönnen, Ihnen den Genuß derselben zu erleichtern? ... Nehmen Sie dieses Anerbieten an, edler Mann! Der Anblick unserer Titel bewege Sie nicht es abzulehnen, wir wissen diese zu schätzen.
Wir kennen keinen Stolz, als nur den, Menschen zu sein, Bürger in der großen Republik, deren Grenzen mehr als das Leben einzelner Generationen, mehr als die Grenzen des Weltalls umfassen. Sie haben nur Menschen, Ihre Brüder vor sich, nicht eitle Große, die durch solchen Gebrauch ihrer Reichtümer nur einer etwas edlen Art von Stolz fröhnen.« Aus diesem Briefe und aus Schillers grandioser Antwort dürfen wir staunend ersehen, welche Kraft und Wahrheit unter jenem Geschlecht dem Begriff der »Humanität« einwohnte, der heute von verrohten Banausen gern verspottet wird. Schiller erwiderte: »Erröten müßte ich, wenn ich bei einem solchen Anerbieten an etwas anderes denken könnte, als an die schöne Humanität, aus der es entspringt, und an die moralische Absicht, zu der es dienen soll. Rein und edel wie Sie geben, glaube ich empfangen zu können. Ihr Zweck dabei ist, das Gute zu befördern. Der Beweggrund, aus dem ich mir erlaube es anzunehmen, rechtfertigt mich vor mir selbst und läßt mich selbst in den Fesseln der höchsten Verpflichtung mit völliger Freiheit des Gefühls vor ihnen erscheinen. Nicht an Sie, sondern an die Menschheit habe ich meine Schuld abzutragen. Diese ist der gemeinschaftliche Altar, wo Sie Ihr Geschenk und ich meinen Dank niederlege.« Mehr aus dem Bewußtsein der realen Verhältnisse, aber nicht minder ergreifend und tiefempfunden, schrieb Schiller gleichzeitig an Baggesen: »Von der Wiege meines Geistes an bis jetzt, da ich dieses schreibe, habe ich mit dem Schicksal gekämpft, und seitdem ich die Freiheit des Geistes zu schätzen weiß, war ich dazu verurteilt, sie zu entbehren. Ein rascher Schritt vor zehn Jahren schnitt mir auf immer die Mittel ab, durch etwas anderes als schriftstellerische Wirksamkeit zu existieren. Ich hatte mir diesen Beruf gegeben, ehe ich seine Forderungen geprüft, seine Schwierigkeiten übersehen hatte. Die Notwendigkeit, ihn zu treiben, überfiel mich, ehe ich ihm durch Kenntnisse und Reife des Geistes gewachsen war. Daß ich dieses fühlte, daß ich meinem Ideale von schriftstellerischen Pflichten nicht diejenigen engen Grenzen setzte, in welche ich selbst eingeschlossen war, erkenne ich für eine Gunst des Himmels, der mir dadurch die Möglichkeit des höheren Fortschrittes offen hielt, aber in meinen Umständen vermehrte sie nur mein Unglück. Unreif und tief unter dem Ideale, das in mir lebendig war, sah ich jetzt alles, was ich zur Welt brachte; bei aller geahndeten möglichen Vollkommenheit mußte ich mit der unzeitigen Frucht vor die Augen des Publikums eilen, der Lehre selbst so bedürftig, mich wider meinen Willen zum Lehrer der Menschen auswerfen. Jedes, unter so ungünstigen Umständen nur leidlich gelungene Produkt ließ mich nur desto empfindlicher fühlen, wieviele Keime das Schicksal in mir unterdrückte. ... Zugleich die strengen Forderungen der Kunst befriedigen und seinem schriftstellerischen Fleiß auch nur die notwendige Unterstützung zu verschaffen, ist in unserer deutschen literarischen Welt, wie ich endlich weiß, unvereinbar. Zehn Jahre habe ich mich angestrengt, beides zu vereinigen; aber es nur einigermaßen möglich zu machen, kostete mir meine Gesundheit. Das Interesse an meiner Wirksamkeit, einige schöne Blüten des Lebens, die das Schicksal mir in den Weg streute, verbargen mir diesen Verlust, bis ich zu Anfang dieses Jahres – Sie wissen wie? – aus meinem Traum geweckt wurde. ... So fanden mich die Briefe, die ich aus Dänemark erhielt. ... Ich sehe mich dadurch auf einmal fähig gemacht, den Plan mit mir selbst zu realisieren, den sich meine Phantasie in ihren glücklichen Stunden vorgezeichnet hat. Ich erhalte endlich die so lange und so heiß gewünschte Freiheit des Geistes, die vollkommen freie Wahl meiner Wirksamkeit.«
Wer kann ohne tiefes Mitgefühl lesen, wie hier einer, der sein Schicksal sich selbst geschaffen, bescheiden und doch selbstbewußt die Summe seiner Existenz zieht. Die Klarheit im Urteil über sich selbst ist Schiller immer eigentümlich gewesen; oft verbindet sie sich in früheren Jahren mit heftiger Anklage wider das Schicksal, wider den Weltlauf, jetzt hat sich der leidenschaftliche Sturm gelegt, und trotz der Wunden, die der Lebenskampf ihm geschlagen, hofft Schiller dennoch auf eine glückliche, eine erfolgreiche Epoche seines Schaffens, die für alle frühere Hemmung und Unbill ihn entschädigen soll.
Höchst überraschend aber und doch tief charakteristisch ist nun die Art, wie Schiller es unternahm, diese glückliche Epoche herbeizuführen. Wer hätte es ihm verargen können, wenn er jetzt die drei Jahre gesicherter Existenz ganz der Wiederherstellung seiner Gesundheit, der erwünschten Ruhe gewidmet hätte! Oder wenn er auf Arbeiten gesonnen hätte, die ihm und seiner Frau nach Ablauf dieser Frist eine sichere und bequeme Lebenslage verbürgt hätten! War aber sein Schaffensdrang unwiderstehlich, so hinderte ihn jetzt ja nichts, sich ganz der poetischen Produktion zuzuwenden und den lang zurückgedämmten Strom der Dichtung nun in voller Freiheit und Kraft hinrauschen zu lassen. Aber Schiller tat nichts von allem diesem – und was er tat, ist so bezeichnend für seine ideale Lebens- und Berufsauffassung, daß es manchem oberflächlichen oder spottlustigen Betrachter wohl als verstiegene Torheit erscheinen mochte. Schiller entschloß sich, diese Jahre auf ein eingehendes Studium der Kantischen Philosophie zu verwenden, durch sie seine ästhetischen und künstlerischen Begriffe zu klären und zu befestigen, und nach diesem Umwege erst wieder zur Poesie zurückzukehren. Hier war der unbedingte Glaube des Genius an sich selber und an sein Schicksal entscheidend; Schiller vertraute darauf, daß sein Leben und seine Kräfte ihm doch noch ausreichen würden, um ihn die Frucht so weit umfassender und tiefgreifender Bemühungen ernten zu lassen. Und sein Vertrauen trog ihn nicht. Nach drei Jahren erhob sich seine Dichterkraft wie ein Phönix in neuem und frischem Leben und lieh ihn seitdem die volle Freude des Gelingens und Vollendens erleben, die ihm jetzt schon seit langem versagt war.
Immerhin bleibt der Entschluß eines Dichters, seinen Weg durch philosophische Studien zu nehmen, ein höchst eigenartiger und überraschender! Man kann Schillers reflektierende Natur zur Erklärung herbeiziehen, man kann den überwältigenden Eindruck, den Kants Philosophie damals ausübte, dem Schiller sich lange widersetzt hatte, und dem er endlich erlag, hervorheben; aber man erklärt damit immer noch nicht, weshalb eine so langdauernde und fast ausschließliche Versenkung in diese philosophischen Studien stattfand. Man ist darum auch wohl mit dem Urteil schnell bei der Hand gewesen, es sei dies eine unglückliche, durch äußere Einflüsse und innere Unsicherheit verursachte Verirrung gewesen, die ihn von seiner natürlichen dichterischen Entwicklung abgeführt habe. So liegt die Sache aber durchaus nicht. Der Gang seines bisherigen geistigen Lebens führte Schiller, mit Notwendigkeit zu dem energischen Unternehmen einer philosophischen Durcharbeitung und Klärung. Wir wissen: sein ursprüngliches, an Shakespeare, an Rousseau, am jungen Goethe gewonnenes dichterisches Ideal war ihm nicht nur erschüttert; es war ihm durch den ihn umfangenden Zauber der antiken Kunstweise völlig entrückt worden. Zwischen seinem ursprünglichen Dichten und seinem jetzigen Bestreben klaffte ein Widerspruch, der durch die stets zum Trennen, Unterscheiden, Entgegensetzen neigende Denkart noch gewaltsam verschärft wurde. Welch innerer Umschwung sich in Schiller ohne jeden Einfluß einer von außen kommenden philosophischen Theorie vollzogen hatte, läßt sich an einem eklatanten Beispiel zeigen. Im Winter 1788 auf 1789 hatte er mit Goethes aus Italien kommendem Freund Moritz öfters diskutiert, hatte seine Schrift »Von der bildenden Nachahmung des Schönen« gelesen und die darin entwickelte Theorie von der Vollkommenheit des Weltganzen, die sich in jedem Kunstwerk widerspiegeln solle, weit übertrieben und unhaltbar gefunden. Zwei Jahre später hatte er selbst, wie wir schon hörten, in der Rezension über Bürger eine durchaus nicht weniger idealistische, aber weit weniger begründete Theorie der Lyrik mit großer Heftigkeit verfochten! Über diesen Wechsel sich selbst aufzuklären, diese verschiedenen sich ablösenden Anschauungen womöglich in einer höheren Einheit zu versöhnen, mußte sein Bestreben sein.
Aber nicht nur als Künstler, auch als sittlicher Mensch, in seinem Handeln und Empfinden, bedurfte Schiller 225
neuer, in seinem Denken begründeter und gerechtfertigter Richtlinien; erinnern wir uns des Briefwechsels zwischen »Julius und Raphael«! Der jugendliche Idealismus des schwärmerischen »Theosophen« hatte gänzlich Schiffbruch gelitten; aus dem vertrauensvoll in die Welt hinausstürmenden Jüngling war ein scharf urteilender und klug berechnender Mann geworden. Er hatte schon erlebt, was er später gesungen hat:
Sie geben, ach! nicht immer Glut,
Der Wahrheit helle Strahlen:
Wohl denen, die des Wissens Gut
Nicht mit dem Herzen zahlen!
Er hatte mit dem »Herzen gezahlt«, aber er hätte ungerecht und verhärtet sein müssen, wenn er nicht trotzdem in der unerschütterlichen Freundschaft Körners, in der treuen Liebe seiner Gattin und jetzt auch in der hochherzigen Wohltat, die ihm von Fernen und Fremden zukam, die Aufforderung empfunden hätte, den Glauben seines Herzens dennoch nicht der erworbenen Weltkenntnis zu opfern. Auch hier mußte eine Aussöhnung gefunden werden. Daß gerade die Kantische Philosophie, sobald einmal das erste Mißtrauen gegen ihre Terminologie und scheinbare Trockenheit überwunden war, dem inneren Bedürfnis des zwischen Ideal und Wirklichkeit hin- und hergetriebenen Dichters besonders entgegenkommen mußte, bedarf keines Beweises. Die Gegenüberstellung und Begründung empirischer und transzendentaler Betrachtung mußte aufklärend, ja erlösend auf Schiller wirken. Ein vorzüglich glücklicher Umstand aber war, daß er sein Studium Kants so lange verschoben hatte, daß er es jetzt begann, als auch das speziell der Kunsttheorie gewidmete Hauptwerk des Philosophen, die »Kritik der Urteilskraft« (1790) erschienen war. Hätte Schiller sich nur in die Kritik bei reinen und der praktischen Vernunft versenkt, so hätte die Gefahr vorgelegen, daß er von der Kunst allzusehr abgelenkt und zurückgehalten würde. Die »Kritik der Urteilskraft« aber hielt fortwährend das Band zwischen der Theorie und den praktischen Aufgaben fest gekettet. Wurde durch dies Werk doch sogar der allem abstrakten Denken so abholde Goethe zur Philosophie hingezogen, so daß es später den Vereinigungspunkt zwischen den so lange sich fremd gebliebenen Dichtern bilden konnte.
Schillers Vertiefung in Kant führte nicht so schnell zu abschließenden Resultaten. Eine zähe geistige Arbeit, bald bloß aufnehmend, nachgebend bald ablehnend oder umbildend, war erforderlich. Bis zum Jahr 1795 reicht dieses fortschreitende Studium; dann finden wir Schiller im Besitz einer daraus erwachsenen eigenen Anschauung, die in manchem Kant fortbildet, in manchem freilich auch hinter ihm zurückbleibt. Für die Entwicklung unserer Literatur- und Kunstbetrachtung ist diese Anschauung, die Schiller zunächst nur für sich selber verarbeitete und formte, von höchster Bedeutung geworden; dies ist eine historische Tatsache, welche durch die Frage nicht beeinträchtigt wird, inwieweit mir heute mit jenen Anschauungen noch übereinstimmen. Und auch dadurch wird ihr Wert nicht gemindert, daß Schiller selbst in späteren Jahren gegen seine eigenen Formulierungen wieder gleichgültiger geworden ist. In dem Leben und Aufwärtsstreben eines genialen Geistes bedeutet jede Formulierung nur einen kurzen, der Ruhe, dem Rückblick und Vorausblick gewidmeten Stillstand; sobald die Arbeit wieder beginnt, verharrt der Unermüdliche nicht auf seinem Standpunkt, sondern im Arbeiten steigt er höher zu neuem Aus- und Umblick.
Doch kehren wir zu unserem Ausgangspunkt zurück: schon zu Anfang des Jahres 1791 finden wir Schiller eifrig mit der »Kritik der Urteilskraft« beschäftigt: am Neujahrstag 1792 schreibt er seinem Körner, sein Entschluß sei unwiderruflich gefaßt, die Kantische Philosophie nicht eher zu verlassen, als bis er sie ergründet habe; sollte ihm das auch drei Jahre kosten! Und er handelte nun auch danach; zwar mußte er noch die Geschichte des dreißigjährigen Krieges für den Kalender auf 1793 fertigstellen; dies war aber auch seine letzte historische Arbeit. Nur seinen Namen lieh er noch zur Fortsetzung der »historischen Memoires«. Auch historische Vorlesungen hat er nicht mehr gehalten. Als er sich endlich wieder kräftig genug zur akademischen Tätigkeit fühlte (im Herbst 1792), las er ein ausführliches Kolleg über »Ästhetik«, das freilich ihn noch nicht im beherrschenden Besitz, sondern noch im Ringen mit dem philosophischen Stoff und der erforderlichen Methode zeigt. Mit dem Publikum blieb er durch die »Thalia« in Verbindung, in der er auch schon einzelne Früchte seiner Denkarbeit erscheinen ließ. Natürlich zeigen diese nicht den gleichen Grad der Reife; sie wurden gepflückt, während die Triebkraft des Baumes, von der günstigen Sonne eines freundlichen Schicksals gefördert, weiter wirkte, und immer reicher, immer schwellender, immer prangender die Früchte bildete, die noch unter den Zweigen der Ernte harrten.
Wer heute zurückblickt, könnte freilich meinen, die kantischen Ideen, die dem Kunstschaffen so verständnisvoll, so befriedigend entgegenkamen, hätten schnell und leicht von dem Dichter ergriffen werden müssen. Aber dies Urteil wäre unhistorisch. Gerade ihr größtes Geschenk war am schwersten zu fassen, weil es so überwältigend neu war. Zum erstenmal war hier das ästhetische Empfinden und die künstlerische Tätigkeit in vollkommener Selbständigkeit als ein eigenes, berechtigtes und wertvolles Gebiet des Geisteslebens erwiesen und gewürdigt worden. Bisher war jede Ästhetik von den Dichtern als eine Last empfunden worden, weil sie die Poesie, wie jede Kunst, in Abhängigkeit von Zweckbegriffen der Nützlichkeit, besonders der moralischen Förderung setzte. So war noch Goethe durch die weitverbreitete Sulzersche Ästhetik zurückgestoßen worden; auch Lessing und Herder, so verschieden sie unter sich sind, stehen beide noch unter dem Einfluß solcher Tendenzen. Schiller selbst war in seinen Jugendschriften (z. B. über die Schaubühne), aber auch noch später, besonders in der Rezension über Bürger, nicht frei von dieser moralisierenden Betrachtung; er wurde also durch Kant nicht nur von fremden Fesseln befreit, sondern auch von solchen, die er sich selbst angelegt, und diese konnte er nur allmählich abstreifen. Die beiden ersten Aufsätze, welche Schiller 1792 in der »Neuen Thalia« erscheinen ließ, zeigen ihn noch in den Anfängen seines kunstphilosophischen Denkens. Ihrem Gegenstand nach dürfen wir sie wohl als eine Frucht der Vorlesungen über die Tragödie ansehen, die Schiller nicht lange vorher gehalten hatte. »Über die tragische Kunst« und »Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen« betitelt, sind sie noch weit entfernt von der späteren Kunstbeurteilung Schillers, die ihren Charakter durch den Hinblick auf ein einheitliches, harmonisches Ziel »ästhetischer Erziehung« erhielt. Der Kantische Begriff des »interesselosen Wohlgefallens«, diese scheinbar so einfache, und doch so lange vergeblich gesuchte Erkenntnis war ihm noch nicht aufgegangen. Wohl finden sich schon Beziehungen auf Kant; aber sie sind durch Mißverständnisse bedingt. Und wenn Schiller dem tragischen Dichter die Aufgabe stellt, »das Gefühl der moralischen Zweckmäßigkeit zu einem lebendigen Bewußtsein zu bringen«, so ist er damit dem Standpunkt seiner Jugendschriften noch weit näher als dem seiner philosophischen Hauptschriften. Wir können an diesen beiden Arbeiten rasch vorübergehen.
Die Durcharbeitung der »Kritik der Urteilskraft«, die mit der Ausarbeitung seiner Vorlesung über Ästhetik Hand in Hand ging, ließ dann in ihm den Plan entstehen, seine Anschauungen in einer Abhandlung niederzulegen, welche den Namen »Kallias« führen sollte. Sie blieb unausgeführt; doch äußerte er sich sehr eingehend über den Plan in Briefen an Körner zu Anfang des Jahres 1793. So eifrig, so mit dem ganzen Heizen war er bei der Ausspinnung dieser Ideen, daß er selbst gegen Körners bereitwillige geistige Mitarbeit, die freilich an Geistreichtum nicht seinem Gedankengang gleichkam, sich intolerant verhielt; er wünschte eine unmittelbare, uneingeschränkte Zustimmung. Und doch sollte er bald darauf selbst die Hauptrichtung seiner damaligen Bemühungen als irrig erkennen. Er versuchte Kant in einem Punkt zu »ergänzen«, an dem dieser nicht ergänzt werden kann, ohne die Lebensader seiner Theorie zu verletzen.
Kant hatte den Satz aufgestellt, daß Geschmacksurteile zwar erfahrungsgemäß mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit aufträten, daß sie aber ihrem Wesen nach subjektiv seien. In dieser Erkenntnis lag vor allem die befreiende Wirkung seiner Kunstlehre; damit war die stets nach obliegenden Motiven sich richtende Forderung der »Vollkommenheit«, der »Zweckmäßigkeit« früherer Ästhetiker beseitigt. Ausdrücklich hatte Kant ausgesprochen, das Geschmacksurteil sei von dem Begriffe der Vollkommenheit des gefallenden Gegenstandes gänzlich unabhängig. Natürlich leugnete er dabei nicht eine Verschiedenheit des schönen und des häßlichen Gegenstandes; er sah nur davon ab, sie begrifflich zu bestimmen, weil im Augenblicke dieses Versuchs die Vorstellung des Schönen, welche nur im Gefühl begründet sei, verschwinde. Schiller dagegen unternahm es, diese »Lücke« auszufüllen, und mit dem siegenden Bewußtsein vordringender Forschungskraft schrieb er an Körner: »Den objektiven Begriff des Schönen, der sich eo ipso auch zu einem objektiven Grundsatz des Geschmackes qualifiziert und an welchem Kant verzweifelt, glaube ich gefunden zu haben.« Aber von einem »Begriff« im strengen Sinne des Wortes war hier doch nicht zu reden, wie Schiller selbst zu erkennen gibt, wenn er einen Monat später seine Erklärung des Schönen nicht als »rational objektiv« (wie es die der »Vollkommenheitsmänner« sei), sondern als »sinnlich objektiv« bezeichnete. In dem Brief vom 23. Februar 1793 ist die Denkarbeit endlich zu einem bestimmten Resultat gelangt; Schönheit wird als eins erklärt mit »Freiheit in der Erscheinung«. Da Schiller aber gleichzeitig als echter Kantianer sich bewußt bleibt, daß »keinem Dinge in der Sinnenwelt Freiheit wirklich zukomme«, so wird er zu dem Satz gedrängt, daß der betrachtende Geist dem »schönen« Gegenstand die Freiheit »leihe«; eine Beurteilung nicht freier Wirkungen unter dem Gesichtspunkt der Freiheit sei ästhetisch. Damit war tatsächlich doch wieder der Schwerpunkt des Geschmacksurteils in das urteilende Subjekt verlegt. Allerdings gibt Schiller es nicht vollständig auf, nach Merkmalen in der Wirklichkeit zu suchen, welche uns veranlassen, diese eigentümliche Beurteilungsweise eintreten zu lassen. Aber wenn er sagt, schön sei eine Form, die keine Erklärung fordere, die sich ohne Begriff erkläre, – so wird damit das Gebiet des Subjektiven doch nicht verlassen; denn von uns eben hängt es ab, ob wir eine Erklärung »fordern« oder nicht.
Wie charakteristisch ist es aber doch, daß Schiller, der begeisterte Verkündiger der »Freiheit«, in ihr auch den entscheidenden Charakterzug des Schönen sieht! Wie großartig ist der Gedanke, den Künstler, ja auch schon den ästhetisch empfindenden Betrachter, durch seine ideale Auffassung zum Befreier der Natur werden zu lassen. Bitter hatte ja der Dichter in den »Göttern Griechenlands« darüber geklagt, daß die Wissenschaft der Neuzeit die Natur knechtisch in die Fesseln eines toten Gesetzes gezwungen habe; in der schönheiterfüllten Anschauung und Auffassung fand er nun das Zaubermittel gegen diese erkältende und erstarren machende Verstandsherrschaft. Und wir können schon jetzt begreifen, wie Schiller auf diesem Wege allmählich dazu kam, von einer »ästhetischen Pflicht« reden zu können, von einer an den ausgebildeten Menschen zu stellenden Forderung, die Natur auch auf jene belebende, befreiende Weise anschauen zu können. Überhaupt wandte sich sein Interesse nun mehr und mehr von der Betrachtung des Schönen zur Betrachtung des schön sich entwickelnden, schön empfindenden Menschen hin. Während der »Kallias« unausgeführt blieb, bereiteten sich allmählich die Ideen über ästhetische Erziehung« vor. Zwei Vorstufen zu diesem ästhetischen Hauptwerk Schillers bilden der Aufsatz »Über Anmut und Würde« und die Briefe an den Erbprinzen von Augustenburg, die als Beweise dankbarer Huldigung dem fürstlichen Wohltäter einen fortlaufenden Einblick in Schillers Gedankenarbeit eröffnen sollten.
»Über Anmut und Würde«, dem Koadjutor von Dalberg gewidmet, ist entsprungen aus Vertiefung und Verfeinerung der Begriffe des Schönen und des Erhabenen, in welchen die Ästhetik herkömmlicherweise ihr Gesamtgebiet zu erfassen suchte. Schiller hatte diese, auch von Kant ausführlich behandelten Begriffe zunächst akzeptiert, obgleich diese Zweiteilung der Entwickelung eines Systems der Ästhetik entschieden nicht günstig ist; bei weiterem Fortschreiten hat denn Schiller auch schließlich den Begriff des Erhabenen aus der rein ästhetischen Betrachtung ausgeschlossen. Denn in diesen mischen sich immer andere Bestandteile ein, die nicht rein ästhetischen Ursprungs sind. Dies ist auch in dieser feinsinnigen Abhandlung der Fall, in welcher sich Denkschärfe, künstlerisches Empfinden und psychologische Einsicht in höchst charakteristischer Art vereinigen. Sittliche und ästhetische Betrachtungen wollte Schiller verschmelzen; nach zwei Seiten erregte er hiermit lauten oder stillen Widerspruch. Er wußte dies, und ergriff lieber selbst schon die Offensive. Goethe mußte an der Herabsetzung der Naturseite des Menschen Anstoß nehmen; zu wenig gab Schiller, seiner ganzen Lebensauffassung und Erfahrung gemäß, der glücklichen Anlage, zu viel der bewußten und gewollten Aneignung. Und auf Goethe zweifellos war eine Anmerkung gemünzt, die zuerst von der Flüchtigkeit der Gaben der Natur redete und dann in Anspielungen auslief, deren boshafte Schärfe auch durch die langjährige geflissentliche Zurücksetzung Schillers nur erklärt, nicht aber gerechtfertigt meiden kann. Goethe – seiner vornehmen Weise getreu – nahm öffentlich von Schillers Abhandlung nicht die mindeste Notiz, wohl aber hat er später bekannt, daß ihre Härten ihn noch weiter von Schiller entfernt hätten, der »im höchsten Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmung gegen die große Mutter undankbar« geworden sei. Wenn er nun doch ein Jahr später mit Schiller einen engen Geistes- und Seelenbund schloß, so hat man wohl mit Recht gesagt, daß nur ein so großer Mensch wie Goethe imstande gewesen sei, Sätze wie die dort gegen ihn gerichteten zu vergeben.
Den anderen Widerspruch, welchen Schiller durch »Anmut und Würde« heraufbeschwor, hat er von vornherein mit offenem Visier erwartet. Es war Kants rigoristischer Moralbegriff, jener Begriff, der die Tugend nur in feindlichem Gegensatz zur menschlichen Neigung zu denken wußte, für den die sittliche Handlung ihren Wert verlor, sobald sie mit der Neigung übereinstimmte, – es war dieser ihm als ästhetisch empfindendem Künstler unerträgliche Begriff, gegen den er sich wandte. Hiermit eröffnete er eine Gedankenreihe, die von größter Wichtigkeit für seine spätere, auch die poetische Produktion geworden ist und die zweifellos auch stark auf die geistige Bewegung Deutschlands eingewirkt hat. Daß Schiller von der Strenge der kantischen Forderung an sich nichts nachlassen wollte, geht aus seiner ganzen idealistischen, ja hyperidealen Betrachtungsweise, die stets unverändert bleibt, unwiderleglich hervor. Daß er aber den Wert der sittlichen Leistung gerade um so höher anschlug, je mehr dieselbe aus der Tiefe der eigenen Persönlichkeit emporwuchs, daß er dadurch das schöne Bild des harmonischen sittlichen Menschen aufstellte, das war sicher ein wertvoller Fortschritt über Kant hinaus. In jenem Aufsatz nun forderte Schiller »Anmut von der Tugend« und »Würde von der Neigung«; Tugend und Neigung wollte er durch das erhöhen, was an sich nicht in ihrem Wesen lag. Und scharf griff er Kant an, in dessen System freilich für solche Forderungen kein Raum war. »Womit hatten es«, fragte er, »die Kinder des Hauses verschuldet, daß er nur für die Knechte sorgte? Weil sehr oft unreine Neigungen den Namen Tugend usurpieren, mußte darum auch der uneigennützige Affekt in der edelsten Brust verdächtig gemacht werden? Weil der moralische Weichling dem Gesetz der Vernunft gern eine Laxität geben möchte, die es zum Spielwerk seiner Konvenienz macht, mußte ihm darum eine Rigidität beigelegt werden, die die kraftvollste Äußerung moralischer Freiheit nur in eine rühmlichere Art von Knechtschaft verwandelt?«
Seine eigene Anschauung stellte er in klarer Formulierung entgegen: »Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grade versichert hat, daß es dem Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf und nie Gefahr läuft, mit den Entscheidungen desselben im Widerspruch zu stehen. Daher sind bei einer schönen Seele die einzelnen Handlungen eigentlich nicht sittlich, sondern der ganze Charakter ist es. ... In einer schönen Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonieren, und Grazie ist ihr Ausdruck in der Erscheinung.« Schiller konnte nicht erwarten, daß Kant sich zu diesen Anschauungen bekennen würde; aber er erhielt doch die Genugtuung, daß der »Alte vom Königsberg«, der gegen manchen Gegner auch sehr herb und schroff sein konnte, sich mit großer Achtung über seinen Aufsatz äußerte und ihn »das Werk einer Meisterhand« nannte. Wie wenig Schiller dabei geneigt war, sich von dem bisherigen großartigen Ernst seiner Anschauungen etwa zu schwächlicher Weichlichkeit zu wenden, davon legte eine weitere, ungefähr gleichzeitige Abhandlung »Vom Erhabenen« Zeugnis ab. Dieser Aufsatz, von dem nur ein Teil später unter dem Titel »Über das Pathetische« in die gesammelten Schriften übergegangen ist, war »zur weiteren Ausführung einiger Kantischer Ideen« bestimmt, und in ihm ist die Erhebung über die Natur unter dem Eindruck des Erhabenen der durchschlagende Gedanke. An die Spitze stellte Schiller hier seinen Lieblingssatz: »Nur als Sinnwesen sind mir abhängig, als Vernunftwesen sind wir frei.« Und das Erhabene fand er in solchen Objekten, die »uns erstlich, als Naturwesen unsere Abhängigkeit zu empfinden« geben und uns zweitens mit der Unabhängigkeit, die wir als »Vernunftwesen über die Natur, sowohl in uns als außer uns behaupten«, bekannt machen. –
Es leuchtet ein, daß dieser Begriff des Erhabenen nicht mehr der ästhetischen Betrachtungsweise angehört.
Seine wesentlichen Errungenschaften auf rein ästhetischem Gebiet wollte Schiller in den schon erwähnten Briefen an den Erbprinzen niederlegen. Leider sind diese in den Jahren 1793 und 1794 geschriebenen Briefe durch einen Brand des herzoglichen Schlosses vernichtet worden, und erst vor nicht allzu langer Zeit ist die Abschrift eines Teils von ihnen wieder zu Tage gekommen. Diese gibt eigentlich nur eine große Einleitung, eine Art captatio benevolentiae des Prinzen, dem der Wert »ästhetischer Erziehung« für Staat und Gesellschaft vor Augen geführt weiden soll. Schiller geht hier von den unmittelbaren Tagesereignissen aus, die damals die ganze gebildete Welt erschütterten. War doch damals der gewaltige Strom der französischen Revolution eben in seiner Hochflut und hatte sich eben damals das ursprünglich begeisterte Staunen der Mitwelt zu leidenschaftlichem Abscheu gewandelt. Auch Schiller hatte dieses sprunghaft wechselnde Urteil in sich durchlebt. Wie sollte auch er, der Freiheitsdichter, nicht zunächst hocherfreut auf die große befreiende Bewegung schauen; er wurde ja sogar um seiner freiheitglühenden Schriften willen mit dem Bürgerrecht der Republik beschenkt. Aber schon damals, seit dem Aufkommen der Jakobinerherrschaft, hatte die tiefe Enttäuschung ihn ergriffen, und nach der Hinrichtung des Königs hatte er nur noch Ekel für »diese Schinderknechte«. Wieder eine Illusion seiner Jugendjahre, die politische, war ihm zerstört. In seinen Briefen an den Prinzen bekennt Schiller offen, daß er an eine Epoche geglaubt habe, »wo die Philosophie den moralischen Weltbau übernehmen könnte.« »Aber,« fährt er fort, »der Versuch des französischen Volkes, sich in seine heiligen Menschenrechte einzusetzen und eine politische Freiheit zu erringen, hat bloß das Unvermögen und die Unwürdigkeit desselben an den Tag gebracht, und nicht nur dieses unglückliche Volk, sondern mit ihm auch einen beträchtlichen Teil Europas und ein ganzes Jahrhundert, in Barbarei und Knechtschaft zurückgeschleudert.« Das Maß von Roheit und Wildheit, das hier zutage getreten, schien ihm mehr als jede logische Beweisführung die Notwendigkeit einer zu erstrebenden ästhetischen Kultur darzutun. Das Schöne, verkündigt er, ist es, »was den rohen Sohn der Natur verfeinert und den bloß sensualen Menschen zu einem rationalen erziehen hilft.« Und schon tauchen dabei die Gedanken auf, die er später in der ausführlichen Umarbeitung der Briefe philosophisch begründet und mit besonderem Interesse ausgeführt hat: daß der Zustand ästhetischer Betrachtung und Auffassung aus einem eigenen menschlichen Triebe hervorgehe, der zwischen dem sinnlichen und dem sittlichen stehe und darum geeignet sei, beide harmonisch zu versöhnen.
Diese von dem Streben nach einheitlicher, schönheitvoller Lebensgestaltung eingegebenen Anschauungen bildeten sich in Schiller unter dem fortwährenden Druck seines quälenden körperlichen Leidens, in einem kümmerlichen, hoffnungsarmen Dasein. Den Winter über mußte er sich fast ausnahmslos ans Haus gefesselt halten, und doch verschonten ihn die Anfälle nicht. So hatte er im Februar 1792 einen harten Fieberanfall, ähnlich der Krankheit des vergangenen Jahres; im März und April wiederholten sich die Krämpfe. Im Februar 1793 freute er sich schon, daß »der Würgengel für dieses Jahr an ihm vorübergegangen zu sein scheine«. Aber im März überfiel ihn das Übel wieder mit schlimmer Gewalt. »Wo es nur irgend meine Gesundheit zuläßt,« schrieb er damals, »bin ich tätig und suche mich durch ein wissenschaftliches Interesse über körperliches Leiden zu erheben. Aber ganz will es doch nicht gehen.« So erhebend diese geistige Kraft ist, so ergreifend wirkt daneben die Resignation: »Die ganze Veränderung, die ich zu erwarten habe, ist, daß es zum schlimmern geht.« Mitten in der Vorlesung über Ästhetik wurde er einmal von einem Anfall heimgesucht; seine ganze Existenz fühlte er »durch diese elenden Zufälle zerrissen«. Der Frühling brachte Erleichterung; mit wahrem Entzücken siedelte Schiller in eine Gartenwohnung über, und nun faßte er auch den entschiedenen Plan, sich durch die lang ersehnte Reise in die Heimat leiblich und seelisch zu erfrischen. Diese Rückkehr nach elfjähriger Abwesenheit konnte jetzt nichts Peinigendes mehr für ihn haben. Er hatte männlich alle Verpflichtungen eingelöst, die er mit seiner eigenmächtigen Flucht vor sich und der Welt übernommen. Mit innerer Befriedigung und mit allen äußeren Ehren konnte er an die Stätte seines jugendlichen Strebens und Stürmens, mit heiterer Freude in die Arme der Eltern und Schwestern zurückkehren. Längst war jede Spannung geschwunden; schon hatte die Mutter den Sohn in Jena besucht. Aber der fast siebenzigjährige Vater hatte die Reise gescheut, und gegen ihn empfand Schiller die kindliche Pflicht, nicht länger seinen Besuch hinauszuschieben. Nur mit dem Herzog war das Verhältnis noch ungeklärt; zwar hoffte man auf eine Änderung seiner Gesinnung, aber vergebens; der kleinliche Charakter des Mannes erlaubte ihm nicht, einen Mißgriff einzugestehen. Dadurch wurde der ganze Reiseplan gestört; denn wenn Schiller auch für sich selbst als herzoglich sächsischer Professor kaum etwas zu fürchten hatte, so mußte er doch darauf bedacht sein, alles zu vermeiden, was seinem Vater die Ungnade des Landesfürsten zuziehen konnte. Er entschloß sich nun, zuerst nach der freien Reichsstadt Heilbronn am Neckar zu gehen und dort das weitere abzuwarten. Baggesen begleitete das Ehepaar und fand Schiller in der besten Stimmung. »Man kann nicht freundlicher und humaner sein,« schrieb er, »als Schiller auf dieser Reise war.« In Heilbronn empfing er bald den Besuch der Seinigen. Er freute sich der rüstigen Kraft seiner Eltern, die von den Leiden noch nichts empfanden, die sie bald darauf überfallen sollten. Er freute sich der geistigen Lebhaftigkeit und des empfänglichen poetischen Sinnes seiner jüngsten Schwester Nanette und glaubte auf ihre Entwickelung große Hoffnungen setzen zu dürfen, die leider ein früher Tod zerstören sollte. Als private Erkundigungen ergaben, daß der Herzog Schillern wenigstens keine Hindernisse bereiten wollte, siedelte der Dichter nach Ludwigsburg über und fand sich hier inmitten alter Erinnerungen und alter Freunde, die ihn reichlich aufsuchten. Welche Festtage wären dies für das ganze schwäbische Land gewesen, wenn der Herzog auf der Höhe der Situation gestanden hätte! Wunderbar verändert, gereift, gehoben fanden die Freunde Schiller, während er sie meist auch verändert, aber zum schlimmern, verengt, verkümmert fand. Nur mit zweien vereinigte er sich noch nach alter Weise: mit Hoven, der freilich ganz und ausschließlich Mediziner geworden war, so daß auch Schiller mit ihm medizinische Reminiszenzen ausgraben mußte, – und mit dem »dicken« Conz, der Prediger geworden war, aber daneben noch dichtete und Schiller später manches für den Musenalmanach beigesteuert hat.
Das Familienglück in dem Kreise, der sich in Ludwigsburg zusammenfand, wurde aber aufs schönste am 14. September vermehrt, als der erste Sprößling einer neuen Schiller-Generation das Licht der Welt erblickte. Nach mehr als dreijähriger Ehe wurde Schiller diese langersehnte Freude zuteil, und Eltern und Großeltern konnten sie nun vereinigt genießen. Der Kleine erhielt den Namen des Großvaters, Karl; aber in den Briefen tritt er meist unter anderen Bezeichnungen auf; am liebsten nennt ihn der Vater den »Goldsohn«.
Und als wollte das Schicksal alles zusammenfügen, um den Dichter fest wieder an sein Heimatland zu fesseln, so mußte in diesem Herbst sein unversöhnlicher Feind, der Herzog, aus der Welt scheiden; auf den »alten Herodes«, wie ihn Schiller nannte, folgte ein Fürst, der in »jeder Bedeutung des Worts, in guter und schlimmer, Mensch« war. Die ganze Stellung des ehemaligen Flüchtlings zu seinem Vaterlande veränderte sich dadurch. Die Möglichkeit einer Lebensstellung in Württemberg eröffnete sich. Schiller war dem nicht prinzipiell abgeneigt, und der Wunsch seines ehemaligen Lehrers Abel, der jetzt Professor in Tübingen war, auch ihn dorthin zu ziehen, hatte auch für ihn Anziehungskraft. Daß er zugleich mit dem unternehmenden Buchhändler Cotta in Verbindung trat, sicherte ihm auch günstige Bedingungen für eine dort zu entfaltende literarische Tätigkeit.
Aber alle weiteren Pläne wurden auch in diesem Winter durch Schillers körperlichen Zustand gehemmt. Am 3. Februar schrieb er nach langer Pause an den sehnlich auf einen Brief harrenden Körner: »Ich lebt noch, und der ominöse Januar ist vorüber, also hoffentlich noch auf eine Zeitlang Frist. Auch befinde ich mich seit vierzehn Tagen um vieles leidlicher, als die vorhergehenden zwei Monate, wo die Hartnäckigkeit meines Übels mich beinahe gänzlich um meinen Mut gebracht hatte. Schreiben konnte ich an keinen Menschen auf Erden, und selbst nicht an Dich, so teuer ich es auch bezahlt hätte, auch nur eine halbe Stunde Deines Anblicks froh zu sein.«
Unter solchen Qualen konnte natürlich auch die Arbeit nicht so gefördert werden, wie es Schiller wünschte. Die Briefe an den Erbprinzen setzte er in gewissen Zwischenräumen fort, arbeitete auch sonst weiter an der Ausgestaltung seiner ästhetischen Ansichten; aber ohne rechte Frische und Freudigkeit, sogar durch die etwas nüchterne und trockene Kritik Körners, die er wahrlich doch schon lange genug kannte, in seinem Mut und Vertrauen erschüttert. In der besseren Jahreszeit erst kehrte ihm das Bewußtsein seiner Leistungsfähigkeit zurück; auch zog er jetzt nach Stuttgart hinüber, wo er bessere ärztliche Hilfe und anregenden Umgang fand. Auch Tübingen besuchte er jetzt und fand sich durch die schöne landschaftliche Umgebung der Universitätsstadt lebhaft angezogen.
Die Muse hat ihn auch in der alten Heimat kaum besucht, nur leise, aus der Ferne ist sie genaht, freilich ihm mit einem lockenden, herrlichen Kranze winkend, nach dem er kaum zu greifen wagte. Der Trieb zur tragischen Dichtung, der eigentliche Grundtrieb seines poetischen Schaffens, war wieder erwacht. Die großen Ereignisse des dreißigjährigen Krieges, die er so lebensvoll dargestellt, die in ihnen handelnden, großen Persönlichkeiten hatten still in ihm fortgewirkt. Wir wissen, daß er daran dachte, Gustav Adolf episch darzustellen; aber indem sich seine Neigung vom Epos wieder zur Tragödie hinüberwandte, mußte auch eine andere Heldengestalt in den Vordergrund treten. Der ritterliche, glänzende, heroisch auf dem Schlachtfeld gefallene Schwedenkönig war kein tragischer Held; um so mehr war es sein Gegner, der düstere, geheimnisvolle, mitten in Abfall und Verrat meuchlerisch gemordete Wallenstein. Der Plan dieses dramatischen Meisterwerkes unseres Schiller tauchte auf, und gern spann er ihn in stillem Nachdenken aus. Sanguinisch wie er war, schrieb er schon: »Ist nur der Plan fertig, so ist mir nicht bange, daß er in drei Wochen ausgeführt sein wird!« Es sollte noch fünf Jahre dauern!
Vorerst traten ganz andere Aufgaben an Schiller wieder heran. Die Beziehung zu Cotta hatte die publizistische, journalistische Neigung in ihm wieder belebt. Allerlei große Pläne wurden geschmiedet. Eine große politische Zeitung wollte Cotta begründen (die spätere Allgemeine Zeitung), und Schiller sollte ihr Chefredakteur mit zweitausend Gulden Gehalt werden. Anfangs war er nicht abgeneigt; zuletzt scheute er doch vor der Fron der Tagesarbeit zurück. Dagegen legte er Cotta den Plan, eines großen literarischen Journals vor, das die ersten Geister ganz Deutschlands um sich sammeln und der Seichtigkeit und Plattheit des gewöhnlichen Zeitschriftenwesens entgegenarbeiten sollte. Der stark idealistische Plan konnte dem Geschäftsmann nicht recht zusagen; aber Schiller war, wo ihm ernstlich an einer Sache lag, ein feuriger und überzeugender Sachwalter, und Cotta ein Mann von außergewöhnlichem und weitblickendem Unternehmungsgeist. Als Schiller im Mai 1794 von Stuttgart aufbrach, stand der Plan schon ziemlich fest, wenn auch die definitive Einigung erst demnächst in Jena zum Abschluß kam. Es waren die »Horen«, die hier ihren Ursprung nahmen, – und ihr Aufgehen wurde zugleich zum herrlichsten Sonnenaufgang in der deutschen Geisteswelt, weil darunter die so unendlich fruchtreiche Freundschaft Goethes und Schillers erwuchs und reifte.
Nach dreivierteljährigem Aufenthalt verließ Schiller die Heimat. Noch hoffte man dort, daß es kein Scheiden für immer sei, ja daß er vielleicht dauernd zurückkehren werde. Er selbst aber fühlte doch, je länger je mehr, wie fest er und seine Frau in Thüringen eingewurzelt waren; das Gefühl der Dankbarkeit gegen Karl August trat hinzu, und wohl auch die Überzeugung, daß er unter seiner Aegide doch am freiesten und reichsten sein Schaffen entfalten konnte. So festigte er sich nun um so entschiedener in Jena. Die Heimat hat er nicht mehr wiedergesehen und auch niemanden der Seinigen. Darin lag etwas Natürliches; denn er war diesem Kreise entwachsen; aber versöhnend war es doch, daß er einmal in ihn zurückgekehrt war, und nicht zu flüchtigem Besuch, sondern zu vertrautem, behaglichem Verweilen, so daß alle früheren Trübungen schwanden und er nun mit freiem und frohem Herzen an Vaterland und Vaterhaus zurückdenken konnte.
Ein dauerndes Denkmal seiner Anwesenheit in der Heimat ist das schöne Porträtbild, das sein Landsmann Dannecker damals meißelte. Nach ihm hat der Bildhauer nach Schillers Tode die berühmte Kolossalbüste ausgeführt, die würdigste Überlieferung von Schillers äußerem Bilde an die Nachwelt.