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V

In Leipzig und Dresden

Von all dem rauschenden Geleite,
Wer harrte liebend bei mir aus?
Wer steht mir tröstend noch zur Seite
Und folgt mir bis zum letzten Haus?
Du, die du alle Wunden heilest,
Der Freundschaft leise zarte Hand,
Des Lebens Würden liebend teilest,
Du, die ich frühe sucht' und fand.

Schiller.

Im Juni 1784 hatten vier Verehrer und Verehrerinnen Schillers ihm aus Leipzig ihre Bilder als Zeichen ihrer dankbaren Huldigung zugesandt und die Sendung mit einem bewundernden Brief und einigen zarten Aufmerksamkeiten begleitet. Sie ahnten nicht, welche Aufnahme diese Annäherung bei dem Dichter finden und welch unzerreißbares Lebensband sich daraus weben sollte. Der Wortführer des Freundeskreises, der junge Jurist Christian Gottfried Körner, hatte den richtigen Ton getroffen, der auf Schiller wirken mußte, der Leser wolle »gern seinem Wohltäter die Hand drücken, ihn in seinen Augen die Tränen der Freude und der Begeisterung sehen lassen, daß er ihn stärkte, wenn ihn etwa der Zweifel müde machte, ob seine Zeitgenossen wert wären, daß er für sie arbeitete.« Diese Worte waren für Schiller ein wahrer Lebensbalsam. »Ein solches Geschenk,« schrieb er an Henriette von Wolzogen, »ist mir größere Belohnung als der laute Zusammenruf der Welt, die einzige süße Entschädigung für tausend trübe Minuten. Und wenn ich das nun weiter verfolge und mir denke, daß in der Welt vielleicht mehr solche Zirkel sind, die mich unbekannt lieben und sich freuen mich zu kennen, daß vielleicht in hundert und mehr Jahren, wenn auch mein Staub schon lange verweht ist, man mein Andenken segnet und mir noch im Grabe Tränen und Bewunderung zollt, dann freue ich mich meines Dichterberufes und versöhne mich mit Gott und meinem oft harten Verhängnis.«

Christian Gottfried Körner war in der Tat durch sein ganzes Wesen prädestiniert, für Schiller ein unschätzbarer, in sein Leben entscheidend eingreifender Freund zu werden. Er besaß genug Selbständigkeit und Willensfestigkeit, um für Schillers kühnes Selbstbewußtsein Verständnis zu haben, – und er besaß zugleich genug bürgerliche Wohlerzogenheit, um auch Schiller zu regelmäßiger, weltförmiger Lebensführung zu leiten. Er hatte genug poetischen, ästhetischen, philosophischen Sinn, um ein nachfühlender und nachdenkender Vertrauter bei allen Arbeiten Schillers zu werden, aber er hatte nicht soviel eigene, produktive Begabung, um jemals aus der geistigen Sphäre Schillers herauszutreten und ihm – etwa zu Gunsten Goethes – untreu zu werden. Er war, wo es das Wohl des Freundes galt, von grenzenloser Aufopferungsfähigkeit in geistiger wie in materieller Beziehung, aber er war zugleich von ausreichend kühler Verständigkeit, um nicht durch vorschnelle und kritiklose Fürsorge zu verwöhnen oder auch zu verletzen.

Körner war 1756 geboren, also um drei Jahre älter als Schiller. Sein Vater war Professor der Theologie in Leipzig und hatte dem Sohn eine strenge, ja düstere Erziehung gegeben. Der junge Körner, der Jurist werden sollte, kam erst nach vollendetem Studium auf größeren Reisen, die er unternahm, zu freierer Betrachtung und Erfassung des Lebens. Als er sich dann in Leipzig als Privatdozent habilitierte, geriet er zugleich in schweren Konflikt mit dem Vater durch seine Verlobung, die er ohne Rücksicht auf materielle und gesellschaftliche Verhältnisse, nur seiner Neigung folgend, schloß. Es war die schöne Tochter des frühverstorbenen Kupferstechers Stock, Minna, die Körner gewählt hatte. Die Familie war ebensowenig vornehm als wohlhabend; dazu kam, daß die Töchter freier erzogen waren, als es den Anschauungen des alten Körner entsprach. Der Sohn aber hörte hier nur auf die Stimme seines Herzens und hat im Lauf eines langen Lebens in dieser Verbindung das tiefste und reinste Glück gefunden. Zunächst aber war an Heirat nicht zu denken; Körners Privatdozententum hatte keinen glänzenden Erfolg, und sein Vater verweigerte zu dieser Eheschließung jede Beihilfe. Zu Anfang des Jahres 1785 aber starb der alte Herr; Körner, der unterdessen eine Anstellung am Konsistorium in Dresden erhalten hatte, sah sich im Besitz eines ziemlich bedeutenden Vermögens und konnte nun seinen Hausstand begründen.

Seine Braut war die zweite in dem gesinnungsverwandten Bunde, der Schillern so herzliche Bewunderung ausgesprochen hatte. Dazu kam ihre ältere Schwester, die künstlerisch begabte und geistig regsame, aber körperlich etwas mißgestaltete Dora, und deren Verehrer, der junge Ludwig Huber. Dieser, der noch ohne festen inneren und äußeren Halt seinen augenblicklichen Neigungen lebte, war mit Körner in enger Freundschaft verbunden, und wurde es bald auch mit Schiller. Aber diese Freundschaft hielt nicht stand. Denn wenn Schiller und Körner immer männlicher und klarer in ihrem Wesen wurden, so ward Huber mit fortschreitenden Jahren immer hohler und unzuverlässiger.

Doch kehren wir nach Mannheim zurück. So tief beglückt Schiller von der Zusendung der Leipziger Verehrer war, so ließ er doch ein halbes Jahr verstreichen, bevor er sie beantwortete. Wir wissen nicht, wie er Namen und Wohnort der Freunde erkundet hat; er selbst entschuldigt übrigens sein langes Schweigen nicht mit diesen Nachforschungen; er erklärt nur, als er die Sendung erhalten hätte, wäre seine Stimmung zu gedrückt gewesen, um sich andern zu eröffnen. Und doch war sie jetzt gewiß nicht heiterer! Zweifellos hatte Schiller im Drang seiner Mannheimer Erlebnisse und Unternehmungen es versäumt, der Sache nachzugehen; jetzt da Enttäuschung über Enttäuschung über ihn hereingebrochen war, da auch das Verhältnis zu Charlotte von Kalb unhaltbar geworden war, jetzt warf die von Stürmen hin- und hergetriebene Seele Schillers ihren letzten Anker aus, – und so phantastisch die Hoffnung scheinen mochte, dieser Anker fand Grund. Auf Schillers lebendig empfundenen Brief antwortete Körner sogleich mit dem Anerbieten seiner »ganzen Freundschaft«, und zwar einer hilfsbereiten Freundschaft. »Es schmerzt uns, daß ein Mann, der uns so teuer ist, Kummer zu haben scheint. Wir schmeicheln uns ihn lindern zu können, und dies macht uns Ihre Freundschaft zum Bedürfnis.« Schnell reifte nun der Plan, daß Schiller zu den Freunden übersiedeln sollte, und im April 1785 verließ er das ihm unleidlich gewordene Mannheim. Zuvor hatte ihm Körners Opferwilligkeit ermöglicht, mit allen seinen Gläubigern Abrechnung zu halten und so sich endlich von der Last zu befreien, die ihn seit drei Jahren drückte. Auch später hat der Freund noch ähnliches für ihn getan; wir wollen jedoch auf diese Äußerlichkeiten nicht näher eingehen, entsprechend Körners eigener Empfindung: »Es sollte mir wehe tun, wenn du mir zutrauen könntest, daß ich einen Wert auf Handlungen legte, die Leuten von unserer Art bloß natürlich sind. Ich hoffe also nicht, daß du das jemals in Anschlag bringen wirst, wenn von dem, was wir einander sind, die Rede ist.«

Als Schiller nach achttägiger Reise in Leipzig ankam, traf er dort Körner nicht an, der in Dresden mit Vorbereitungen zu seinem Hausstande beschäftigt war. Mit Huber und den beiden jungen Mädchen fand er sich aber bald aufs beste zusammen; besonders das »Rosental« bei Gohlis wurde die heitere Stätte des freundschaftlichen Verkehrs. Zu persönlichem Beisammensein mit Körner kam es erst am 1. Juli, nachdem beide schon durch monatelange Korrespondenz eine unverbrüchliche und in voller Aufrichtigkeit lebende Freundschaft geschlossen hatten. Zwei Tage nach dieser Begrüßung sandte Schiller dem Freunde ein ergreifendes Bekenntnis: die Natur habe mit ihm Großes gewollt, das fühle er; aber teils durch die wahnsinnige Methode seiner Erziehung, größerenteils durch ihn selber sei es unerfüllt geblieben. »Tief, bester Freund, habe ich das empfunden, und in der allgemeinen feurigen Gärung meiner Gefühle haben sich Kopf und Herz zu dem herkulischen Gelübde vereinigt, die Vergangenheit nachzuholen, und den edlen Wettlauf zum höchsten Ziel von vorn anzufangen.« Es ist eine Schillers ewig strebendem Geist eigene Empfindung, das Vollbrachte für nichts zu halten und die würdige Äußerung seiner Kraft erst von der nächsten Schöpfung zu erwarten; öfters hat er sich so ausgesprochen; aber niemals mit solcher Feierlichkeit und niemals in so bedeutungsvollem, ernstem Wendepunkt seines Schicksals. Die stürmische und verworrene Jugend war abgetan; eine lange Zeit mühevoller Selbstbildung folgte, deren »herkulische« Arbeit die Lebenskraft des Dichters untergrub und ihm endlich nur wenige triumphierende Jahre glücklichen Schaffens noch erlaubte.

Einige Wochen nach diesen inhaltsvollen Tagen fand Körners Hochzeit statt. Schiller widmete dem Tage ein vielstrophiges, von reinster Mitfreude erfülltes Gedicht, das aber als poetisches Erzeugnis doch nicht die Löwenklaue des großen Dichters zeigt. Der Zwang des Gelegenheitsgedichtes ist unverkennbar, und eine ausführliche Schilderung muß den Mangel poetischer Anschauung ersetzen; Verstand und Empfindung haben hier gedichtet; aber »Iovis Lieblingstochter«, die Phantasie, hat geschwiegen.

Es mochte wohl der verführerische Anblick eines doppelten bräutlichen Glückes gewesen sein, wenn Schiller selbst schon kurze Zeit nach seinem Eintreffen in Leipzig den für seine damalige Lage kühnen Gedanken einer Heirat faßte. Es war die uns schon bekannte Tochter des Mannheimer Buchhändlers Schwan, Margarete, um die er in einem Brief an den Vater anhielt. Auf dem noch erhaltenen Schreiben steht von Schwans Hand die Nachschrift, er habe den Brief seiner Tochter gegeben, und Schillern gesagt, er möge sich selbst an sie wenden. »Warum aus der Sache nichts geworden, ist mir ein Rätsel geblieben. Glücklich wäre Schiller mit meiner Tochter nicht geworden.« Auch für uns bleibt die Sache rätselhaft. Denn weder wissen wir von einem Brief Schillers an Margarete, noch von einer Absage, die er erhalten. Auch haben sich beide ein Jahr später noch wiedergesehen, ohne daß diese Episode peinlich nachgewirkt hätte. Schiller selbst hat in späteren Jahren dem Urteil des Vaters zugestimmt, daß Margarete ihm kein Glück hätte gewähren können, und nach allem, was wir von ihr wissen, scheint es auch, daß ein tieferes Verständnis für Schillers Persönlichkeit ihr kaum zugänglich gewesen wäre. Fast möchte man übrigens glauben, daß Schiller sehr schnell zu dieser Einsicht gekommen sei, und daß er der Aufforderung des Vaters, sich selbst an seine Tochter zu wenden, gar nicht gefolgt sei.

Jedenfalls war Schiller, obgleich er auch mit Charlotte von Kalb noch korrespondierte, tatsächlich ganz von den neuen sächsischen Freunden gefesselt und eingenommen. Nachdem Körner geheiratet hatte und auch Dora ihrer Schwester nach Dresden gefolgt war, litt es Schiller nicht mehr lange in Leipzig; im September zog er den Freunden nach. Im Oktober folgte auch Huber, und nun erst begann sich das geträumte Glück im eng verbundenen Beisammensein des ganzen Freundeskreises voll zu verwirklichen. Zeugnis davon gibt das einzige, wundervolle Lied »an die Freude«. Wer über dies Lied mit spöttischem Lächeln hinwegsehen zu müssen glaubt, der möge sich erinnern, daß es dem größten deutschen Tondichter die Inspiration zur Vollendung seiner höchsten Schöpfung gegeben hat. Die höchste Beglückung durch das endlich gewonnene Ideal der Freundschaft feiert die Strophe:

Wem der große Wurf gelungen,
Eines Freundes Freund zu sein:
Wer ein holdes Weib errungen,
Mische seinen Jubel ein!

Ja wer auch nur eine Seele
Sein nennt auf dem Erdenrund –
Und wer's nie gekonnt der stehle
Weinend sich aus unserm Bund!

Auf dem Grund dieses Glücksgefühles erwächst dem Dichter nun auch eine ganz andere Philosophie, als die, der er sich kurz zuvor in Resignation hingegeben. Mit dithyrambischem Schwung dichtet er:

Freude heißt die starke Feder
In der ewigen Natur:
Freude, Freude treibt die Räder
In der großen Weltenuhr.
Blumen lockt sie aus den Keimen,
Sonnen aus dem Firmament,
Sphären rollt sie in den Räumen,
Die des Sehers Rohr nicht kennt ...
Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder, über'm Sternenzelt,
Muß ein lieber Vater wohnen!

Aber in echt Schillerschem Geist erhebt sich aus dieser Wonneempfindung sogleich die höchste sittliche Mahnung:

Festen Mut in schweren Leiden!
Hilfe, wo die Unschuld weint,
Ewigkeit geschwor'nen Eiden,
Wahrheit gegen Freund und Feind!

Männerstolz vor Königsthronen –
Bruder, gält es Gut und Blut –
Dem Verdienste seine Kronen!
Untergang der Lügenbrut!

Schließt den heil'gen Zirkel dichter!
Schwört bei diesem goldnen Wein,
Dem Gelübde treu zu sein!
Schwört es bei dem Sternenrichter!

Niemals hat Schiller sonst so überwältigendem Glücksgefühl Ausdruck gegeben wie hier, – und es ist für ihn charakteristisch, daß es nicht Frauenliebe, sondern Männerfreundschaft gewesen ist, die ihn zu solchen Höhen des Entzückens erhob. Später hat er über diesen Freudenhymnus recht streng geurteilt, und gewiß läßt sich auch vom künstlerischen Standpunkt viel dagegen einwenden; aber die Kraft und Wahrheit des Empfindens darin wirkt auch heute noch so gewaltig, daß sie über alle Mängel hinwegträgt.

Nicht oft hat in diesen Leipziger und Dresdener Jahren die lyrische Muse den Dichter besucht. Sein poetisches Schaffen galt fast ausschließlich dem »Don Carlos«; aber während dieser langsam in der Stille reifte, mußte zugleich eilfertig und in manchem auch oberflächlich die Arbeit an der »Thalia« fortgesetzt werden, welche die hauptsächliche Grundlage für Schillers materielle Existenz bilden sollte. Ein glänzender buchhändlerischer Erfolg wurde sie freilich auch jetzt nicht, nachdem sie von Mannheim nach Leipzig übergesiedelt war und ihr Beiwort »Rheinische« aufgegeben hatte. Aber Schiller hatte jetzt den jungen und rührigen Buchhändler Göschen zum Verleger gewonnen, der mit Körner nicht nur befreundet war, sondern auch in enger geschäftlicher Verbindung stand, – und dieser behandelte den Verlag der Zeitschrift mehr als Ehrensache und als eine nach Körners Wünschen zu regelnde Angelegenheit denn als eigentliche Geschäftssache. – Der Raumfüllung nur diente die Übersetzung von Merciers Philipp II.; auch der Roman der »Geisterseher« war ursprünglich nur als ein Tribut für die Sensationslust des Publikums gedacht, wuchs aber allmählich, wie wir später sehen werden, unter den Händen des Dichters zu größerer Bedeutung. Mit vollem innerem Anteil dagegen bearbeitete Schiller von Anfang an die Erzählung vom »Verbrecher aus Infamie« (später »aus verlorener Ehre«), die denn auch ein wahres Kabinettstück seiner Kunst, ein Muster novellistischer Darstellung geworden ist. Nochmals stellt er sich hier mit seinem persönlichen Urteil dem des Staates und der Gesellschaft gegenüber; aber nicht mehr als Revolutionär, sondern bloß als Psycholog. »Tout comprendre c'est tout pardonner« – ist das Leitmotiv der Erzählung, die nur insofern noch einen Angriff gegen die herrschenden Zustände enthält, als nachgewiesen wird, wie dieses Verstehen und Verzeihen nur zu oft fehlt, wo es geübt werden sollte. Aber nicht hat Schiller zum Beweis dieser These die Geschichte erfunden. Dem wirklichen Leben entnommen, ergriff sie den Dichter im Innersten durch die schicksalsvolle Verkettung der zum tiefsten Abgrund hinabführenden Ereignisse, und aus einer sensationellen Kriminalgeschichte machte er eine psychologische Studie von tragischer Färbung. Es war die Geschichte des im Jahr 1760 hingerichteten Räubers Schwan, die in Württemberg allgemein bekannt, besonders auch Schillers ehemaligen Lehrer Abel interessiert hatte, der ein Jahr nach dem Erscheinen der Erzählung selbst einen sachgemäßen Bericht über die zugrunde liegenden Tatsachen veröffentlicht hat. Schiller mochte den Stoff schon lange mit sich herumgetragen haben, ehe er ihm die schriftstellerische Form gab. Hätte er ihn fünf Jahre früher behandelt, so wäre wohl ein wildes Seitenstück zu den »Räubern« zustande gekommen. Jetzt wurde die Erzählung ein Wahrzeichen der Abwendung Schillers von den künstlerischen Grundsätzen seiner Jugendzeit, ein Probestück der nun von ihm erstrebten, maßvollen und abgeklärten Darstellungsweise, die um so stärker wirkt, je mehr sie mit dem wilden, trotzigen Geist der Handlung kontrastiert.

Außer Schiller haben auch Huber und Reinwald in Meiningen, der unterdes der Gatte von Schillers Schwester Christophine geworden war, an der Thalia mitgearbeitet. Fast nichts lieferte Körner – trotz bestem Willen. Es war dem kenntnisreichen und eifrig strebenden Mann nur in auffallend geringem Maß die Gabe der Produktivität verliehen. Im Lauf eines langen Lebens hat er nur eine kleine Anzahl von wenig umfangreichen Aufsätzen verfaßt, die von großer Feinheit sind und fast programmatisch einen bedeutenden Gedankenreichtum mehr andeuten als aussprechen; alles das füllt kaum einen schmalen Band. Auch sonst wurde es ihm bei seiner Güte und Gewissenhaftigkeit schwer, sein Leben nach amtlichen und geschäftlichen Anforderungen abzuschließen und mit der Zeit haushälterisch umzugehen. Schiller hat in einer launigen Farce »Körners Vormittag« diese Schwäche dargestellt, indem er zeigt, wie Körner, im Begriff sich zum Gang in die Behörde fertig zu machen, vom einen und vom anderen überlaufen und aufgehalten wird, bis der ganze Vormittag unversehens vergangen und die Behördenstunde vorüber ist; auf die erschrockene Frage der Hausgenossen, was er denn getrieben habe, antwortet er mit ruhigem Stolz: »Ich habe mich rasieren lassen.« An demselben »Vormittag« will auch Schiller Körners Beitrag zur »Thalia«, und zwar zu den »Philosophischen Briefen« in Empfang nehmen. »Auf meinem Schreibtisch liegt, was ich gemacht habe,« sagt Körner. Und Schiller liest von einem Blatt: »Ein Glück wie das unserige, Julius, ohne Unterbrechung wäre zuviel für ein menschliches ...« »Wo geht's denn fort?« fragt er. »Das ist alles,« erwidert Körner. – Die »Philosophischen Briefe« waren eine Darstellung philosophischer Lebensbetrachtung, die Schiller zuerst »in Briefen des Julius an Raphael« begonnen hatte; indem Körner sich als antwortender Freund beteiligte, wurde der Inhalt vertieft und überhaupt auf eine schärfer eindringende, kritische Betrachtung hingewiesen. Übrigens hat Körner nur zwei Briefe beigesteuert, von denen der zweite erst 1788 entstanden ist, während an dem ersten aus der Frühzeit der Freundschaft stammenden auch Schiller mit tätig gewesen zu sein scheint. Immerhin können wir aus ihnen interessante Rückschlüsse auf den geistigen Verkehr der beiden Freunde gewinnen. Schiller stand philosophisch noch auf dem naiven Standpunkt der eudämonistischen Metaphysik, die er in seinen Anstaltsjahren sich angeeignet hatte. Der Glaube an diese Metaphysik war in ihm allerdings durch trübe Erfahrungen schwer erschüttert worden; er war nahe daran, völligem Skeptizismus anheimzufallen. Aber eine wissenschaftlich kritische Grundlage hatte diese Skepsis ebensowenig wie jene positive Überzeugung. In Körner fand er dagegen einen Denker, der sich schon mit den Grundlagen der kantischen Kritik vertraut gemacht hatte (1781 war die Kritik der reinen Vernunft erschienen). Körner suchte auch auf Schiller einzuwirken, daß er sich mit Kant beschäftige; aber zunächst vergebens. Die scheinbare Trockenheit und Kälte kantischer Philosophie war für Schillers noch schwärmerisch suchenden und irrenden Geist unüberwindlich. In den »Briefen« sucht Körner nun dennoch, ohne Kant zu nennen, die Gedanken in diese Richtung zu weisen. Nachdem zuerst »Julius« gegen »Raphael« sein Herz ausgeschüttet hat, nachdem er beteuert hat, daß Raphael ihm »den Glauben gestohlen« habe, der ihm »Frieden gab«, daß er freilich mit dem Aufruf zu eigenem denkendem Nachschaffen der Welt seinem »Stolze geschmeichelt«, aber zugleich ihn tief unglücklich gemacht habe, – fordert der Freund ihn auf, ihm frei und rückhaltlos das bisherige Gebäude seiner Philosophie, das er ihm zerstört haben soll, wieder darzustellen, und seinen angeblichen Wert aufzuzeigen. Julius antwortet darauf mit der Mitteilung eines älteren Aufsatzes, »entworfen in jenen glücklichen Stunden meiner stolzen Begeisterung«. Eine »Theosophie« nennt er ihn; vom Universum geht er aus, um durch Betrachtung der »Idee«, der »Liebe«, der »Aufopferung« endlich zu Gott zu gelangen. Man hat wohl gemeint, indem man Schillers Fiktion wörtlich nahm, es handle sich hier wirklich um ein schriftstellerisches Erzeugnis des Karlsschülers. Das ist aber durch die Form des Aufsatzes ganz ausgeschlossen; trotz aller Überschwänglichkeit des Inhalts zeigt er eine sichere, geschmackvolle Formgebung, wie sie Schiller in der Zeit, da er die »Räuber« dichtete, ganz unerreichbar war, dem Schöpfer des Marquis Posa aber zum natürlichen Gewand seiner Gedanken geworden war. Die philosophischen Ideen gehen in jene Zeit zurück; die Ausführung gehört sicherlich dem Dresdener Aufenthalt an. Ein Abglanz der glücklichen Stimmung, die auch das Lied an die Freude hervorbrachte, ruht darauf.


Bei weitem die Hauptarbeit Schillers in dieser Zeit war aber dem »Don Carlos« zugewendet, der endlich im Juni 1787 vollständig ans Licht trat. Kein Werk noch hatte dem Dichter so viele Mühe gekostet, und von den künftigen sollte nur eines noch so harte und langwierige Arbeit fordern, der »Wallenstein«. In beiden wollte Schiller eine neue Stufe künstlerischer Idealität ersteigen; aber wenn der Schöpfer des »Wallenstein« schon die volle innere Reife erreicht hatte, welche Vorbedingung dazu war, so fehlte diese noch dem Dichter des »Don Carlos«. Eine gewisse Unfertigkeit, ein Zwiespalt zwischen Form und Inhalt ist dadurch in dem Werk unverkennbar. Freilich – bei rein äußerer, oberflächlicher Betrachtung tritt er nicht hervor. Die fünffüßigen Jamben, die an Stelle der leidenschaftlichen Prosa getreten sind, fliehen glatt dahin, und der Bau der Sätze schmiegt sich ihnen schon so geschickt an, daß wir öfters schon poetische Wendungen von der rhetorischen Kraft und Grazie hören dürfen, die das Geheimnis von Schillers späterer dramatischer Sprache sind und sich unvergeßlich dem Ohr einprägen. Gleich in dem ersten Gespräch zwischen Don Carlos und Posa wirken so die Reden des Prinzen – seine resignierte Wehmut:

Du sprichst von Zeiten, die vergangen sind, –
Auch mir hat einst von einem Karl geträumt ...

Und seine Verzweiflung:

Ich habe Niemand,
Auf dieser großen weiten Erde Niemand.
So weit das Szepter meines Vaters reicht,
So weit die Schiffahrt unsere Flaggen sendet,
Ist keine Stelle, keine, – keine, wo
Ich meiner Tränen mich entlasten darf
Als diese.

Vergleicht man den Fluß dieser Verse mit dem, was vorher in Deutschland im dramatischen Blankvers gedichtet war, – besonders Lessings »Nathan«, so meint man, Schiller habe diesen Vers erst zum wahren Leben erweckt, er sei mit ihm, dem er von da an auch nicht mehr untreu wurde, durch ein geheimes, inneres Band verbunden. Und wir meinen einen ganz anderen, mit anderen Kräften nach anderen Gesetzen schaffenden Dichter zu hören, als den von »Kabale und Liebe« und von »Fiesco«. Aber das ist doch nur Schein. In den wesentlichen Punkten steht Schiller auch hier noch auf der Stufe seiner Jugenddichtungen. Vor allem darin, daß er noch nicht mit künstlerischer Objektivität an seinen Stoff herantritt (erst beim »Wallenstein« hat er das gelernt), sondern daß er ihn ergreift als ein geeignet scheinendes Mittel, um die ihn erfüllenden Tendenzen zum Ausdruck zu bringen. Noch immer ist es der Freiheitsapostel, der es über den Künstler davonträgt, nur daß diesmal die Tendenz sich besonders auf das kirchlich-religiöse Gebiet richtet; der »Don Carlos« ist eine fulminante Anklageschrift gegen pfäffische Gewissenstyrannei. Mit dieser unkünstlerischen Absichtlichkeit steht nun in engem Zusammenhang, daß auch ein klares Durchdringen der historischen Verhältnisse dem Dichter noch ebenso versagt bleibt wie im »Fiesco«. Auch der »Don Carlos« gehört zu den historischen Stücken, aus denen wir nicht »den Geist der Zeiten«, sondern »der Herren eigenen Geist« erkennen. Von dem eigentlichen Gegensatz zwischen der spanischen Monarchie und ihren niederländischen Provinzen erhalten wir im »Don Carlos« gar keine Vorstellung. Wie anders hat das Goethe verstanden im Gespräch zwischen Egmont und Alba, wo allerdings nicht über Freiheit deklamiert wird, aber der unheilbare Zwiespalt zwischen einer auf Zentralisierung ausgehenden Staatsgewalt und einer an ihren Sonderprivilegien festhaltenden Provinzialbevölkerung mit der Sicherheit gezeichnet wird, wie sie sich aus unmittelbarer Kenntnis des politischen Lebens ergibt! Und ebenso ist die geheimnisvolle, gottähnliche Macht der Inquisition, so wie sie von Schiller geschildert wird (»Sein Leben liegt angefangen und vollendet in der Santa Casa heiligen Registern«; »Wo er sein mochte, war ich auch«), nicht aus historischer Erkenntnis dieses Institutes entstanden, sondern aus einer leidenschaftlichen Phantasie, die sich den Feind, den sie bekämpfen will, bis ins Ungeheure vergrößert. Unter diesen Mängeln leidet natürlich auch die Klarheit der dramatischen Handlung. So wenig als im »Fiesco« wird im »Don Carlos« scharf bestimmt, was denn eigentlich für die Niederlande erstritten werden soll, welche Mission Don Carlos dort nach dem Wunsch der Königin und des Marquis durchführen soll.

Aus dieser noch nicht überwundenen Unreife erklärt es sich vollkommen, daß »Don Carlos« bei den ersten Größen der Literatur keine sehr günstige Aufnahme fand. Das große Publikum, das Goethes gleichzeitig erscheinende »Iphigenie« noch nicht verstand, sah im »Don Carlos« alle Hoffnungen, die Schiller erregt hatte, reichlich erfüllt; aber Goethe hat geurteilt, das Werk sei nicht geeignet gewesen, Schiller ihm näher zu bringen, – und auch Wieland sprach in den Weimarer Kreisen ungünstig darüber.

Doch wäre es ungerecht zu verkennen, welches unausgesetzte Ringen, welcher stetige Fortschritt Schillers sich gerade in dem so langsam und stoßweise entstandenen »Don Carlos« ausspricht. Zwischen der ersten Gestalt des ersten Aktes, wie er in der »Rheinischen Thalia« erschien, und der endgültigen Form liegt eine weite Kluft. In jener Form konnte Wieland mit Verwunderung bemerken, daß die Königin grisettenhafte Züge an sich habe, die jetzt in so hoheitvoller Zartheit gezeichnete Königin! – Und der König geriet im Garten von Aranjuez vor allen Granden mit seiner Gemahlin in einen heftigen Streit, in dem sie ihn einen Barbaren und er sie eine Ketzerin nannte! Solche Auswüchse tilgte der Dichter in rastloser Selbstkritik. Aber die Umwandlung, die er dadurch mit dem Stück vollzog, beschränkte sich nicht darauf; sie führte zu einer völligen Änderung des Planes, der dramatischen Handlung. Ein jeder Leser des »Don Carlos« bemerkt, wie sich für einen beträchtlichen Teil des Stückes der Marquis Posa an die erste Stelle drängt und wie erst im letzten Akt das Interesse sich allmählich wieder zu Don Carlos zurückwendet. Es kommt hierin deutlich der Wechsel des Planes zutage, der während der Arbeit erfolgte. Nach dem ursprünglichen Entwurf (dessen merkwürdig trockenes und kalt berechnetes Schema wir noch besitzen), sollte das Stück, der historischen Novelle des Abbé St. Real folgend, ein »Familiengemälde in einem fürstlichen Hause« werden, wo das Verhältnis zwischen Carlos und der Königin im Vordergrunde stand, der Marquis aber den aufopfernden Freund des tragischen Helden darzustellen hatte. Allmählich aber wurde die politische Tendenz in dem Dichter immer mächtiger, und nun ward zunächst die Gestalt des Prinzen bedeutender und tiefer angelegt, dann aber als dies nicht zu genügen schien, Posa zum alles überragenden Freiheitshelden erhoben; sein Verhältnis zu König Philipp wurde für den dritten und vierten Akt das wichtigste Motiv. Die Einheit des Ganzen mußte dadurch natürlich ebenso leiden, als die Fäden der komplizierten Handlung sich verwirrten.

Wenn nun trotz all dieser Mängel der »Don Carlos« starke Wirkung getan hat und auch heute noch tut, so ist die Frage wohlberechtigt, worin das Geheimnis derselben liege. Es liegt auch hier in der natürlichen Begabung Schillers für die Darstellung des Tragischen. Überreich hat sie in diesem Werk sich bewährt. Wir erleben vier tragische Schicksalswendungen, deren jede den vollwichtigen Stoff einer Tragödie bilden könnte. Carlos und Posa, der König und die Königin – sie alle werden zum Handeln genötigt, und durch ihr Handeln in tragisches Verhängnis verstrickt. Den Tod freilich finden nur die beiden jugendlichen Freunde; aber auch Philipps selbständiges Leben ist zerstört; willenlos fällt er der unerbittlichen Gewalt des Großinquisitors in die Arme; er hört auf König zu sein. Und seine Gemahlin, die schuldlos am Schluß als Schuldige dasteht, hat von der Rache des Königs keine menschenwürdige Existenz mehr zu hoffen. Die Art und Weise, wie diese vierfache Tragödie in sich selbst verwoben und verknüpft ist, erregt nicht unser volles Interesse, weil sie zu gekünstelt, teilweis verworren ist; aber das Schicksal jeder einzelnen Person ergreift unser Mitgefühl aufs tiefste. Selbst König Philipp tritt uns menschlich nahe; so wenig seine Gestalt Schiller sympathisch war, dennoch hat er verstanden ihm anziehende Züge zu leihen; es ist wie eine Vorübung für die objektive Kunst, die er im Wallenstein bewähren sollte.

Verweilen wir etwas länger bei den tragischen Geschicken dieser Hauptpersonen. Carlos ist schon zu Beginn des Stückes durch die rohe Tyrannei des Vaters in eine Lage versetzt worden, aus der es für eine Individualität wie die seinige keinen Ausweg gibt. Die ihm bestimmte Braut, mit der er schon Briefe gewechselt hat, ist die Gattin seines Vaters geworden. Die Sympathie, die er für sie schon empfunden, wird durch die persönliche Annäherung zur Leidenschaft; diese Leidenschaft in sich selber zu bekämpfen und zu überwinden, ist ihm bei seinem Naturell unmöglich. Von der Stätte seiner Qualen zu fliehen, ist durch seine Stellung und durch das Zeremoniell des Hofes ihm versagt; so schleppt er trostlose Tage hin und hat nicht einmal mehr die Kraft, vor seinen schlimmsten Feinden wie dem Beichtvater Domingo seinen Zustand zu verbergen. In eine höhere Sphäre aber wird er für uns dadurch gerückt, daß seine Abneigung gegen den König, seine Isolierung doch nicht allein aus jener Leidenschaft entspringt, sondern zugleich aus einem tiefgehenden Widerspruch gegen die bigott-despotische Regierungsweise seines Vaters. Eine abgeschwächte Erinnerung an die freiheitlichen Grundsätze, die er in den ersten Jünglingsjahren an der Seite des Marquis Posa eingesogen, ist ihm geblieben. Diese fast abgestorbenen Keime wieder zu beleben, ist die eifrige, edle Sorge des Marquis und der Königin das ganze Stück hindurch. Es gelingt, Carlos wendet sich ganz der Aufgabe des Freiheitskämpfers zu – und gerade dadurch muß er zugrunde gehen. Mit dem unglücklich liebenden Sohn hätte sich der König schließlich wieder versöhnen können, wenn die Königin ihrer Pflicht treu blieb; mit dem Revolutionär gegen Inquisition und Despotie kann er es nicht. Carlos wird zum Märtyrer seiner Ideale. Es liegt hier also ein tragischer Ausgang vor, der gerade durch die Reinigung und Läuterung des Helden herbeigeführt wird, und dies dürfte wohl die ergreifendste Form der Tragik sein. Deshalb gewinnt auch Don Carlos im fünften Akt die Teilnahme, die er eine zeitlang verloren hat, in vollem Maße wieder zurück; in der Schlußszene zwischen ihm und der Königin haben wir selbst die glänzende Gestalt Posas vergessen und werden tief gerührt von dem männlich gefestigten Jüngling, der sich durch seine Leidenschaft durchgekämpft hat, und den im Augenblick, da er einer höheren – wenn auch unklar gedachten – Bestimmung entgegengeht, das Verderben trifft.

Eine ganz andere Art von Tragik, und zwar eine weniger tiefe, zeigt uns das Geschick des Marquis Posa. Hier ist ein festes, ideales Ziel von Anfang an gegeben, dem der ideale Weltbürger unveränderlich treu bleibt, das aber an sich zu gar keinem tragischen Ausgang zu führen brauchte. Hätte Posa fortdauernd seine Hoffnungen auf Carlos gesetzt, ihn zu seinem künftigen Beruf immer edler ausgebildet: so hätte er der schließlichen Erfüllung seiner idealen Wünsche entgegensehen dürfen. Daß er sich aber an den König selber wendet, daß er hiermit alles, was er bisher gewirkt und vorbereitet hat, über den Haufen wirft, das verwickelt ihn in ein ganzes Netz von Wirrsalen, aus welchem er schließlich keinen Ausweg als die Selbstaufopferung weiß. Banaler Ehrgeiz hat ihn natürlich nicht auf diese falsche Bahn getrieben, wohl aber ein maßloses Selbstvertrauen, das da glaubt, mit schwungvollen Reden die politischen Grundsätze eines im Herrschen grau gewordenen Monarchen umwerfen zu können. So betrachtet, wirft diese oft als unnatürlich bezeichnete Unterredung, auf die offenbar das Vorbild Nathans und Saladins eingewirkt hat, ein interessantes Licht auf den Charakter des Marquis, freilich kein günstiges. Die schlimmste Folge, die sich aus ihr ergibt, ist die, daß sie Posa in eine Reihe von Unwahrheiten verstrickt, für eine so ideal gehaltene Gestalt eine sehr schlimme Zugabe! Nicht nur daß er Carlos hintergehen muß – das ließe sich ja durch die fürsorgliche Absicht entschuldigen; sondern auch in der Hauptaktion selber, in dem begeisterten Ansturm seiner Reden gegen Philipp stellt er sich selbst in ein ganz falsches Licht.

»Die lächerliche Wut
Der Neuerung, die nur der Ketten Last.
Die sie nicht ganz zerbrechen kann, vergrößert,
Wird mein Blut nie erhitzen. Das Jahrhundert
Ist meinem Ideal nicht reif. Ich lebe
Ein Bürger derer, welche kommen werden.«

Wie kann er das »die Hand auf die Brust gelegt« sagen, er, der von seinem Freunde Carlos die Erfüllung seiner Ideale erwartet, der außerdem in den engsten Beziehungen zu den aufständischen Niederländern steht? (Ich sehe hierbei ganz ab von den direkt staatsverräterischen Maßnahmen, dem schon abgeschlossenen türkischen Bündnis, die im fünften Akt von Alba enthüllt werden, da diese offenbar eine verleumderische Erfindung des Herzogs sind; wären sie das nicht, so müßte man den Marquis, der trotzdem der erste Minister Philipps wird, für irrsinnig halten.) Was Posa schließlich wieder unsere Sympathie erwirbt, ist seine hochherzige Selbstaufopferung für Carlos, in dem er nun wieder den vorbestimmten Mann der Zukunft erblickt. And diese Aufopferung wirkt um so tragischer, als sie ihr Ziel nicht erreicht. Denn Carlos kann sie nicht schweigend hinnehmen; er deckt selbst den Zusammenhang auf. Aber so sehr uns dies alles auch ergreift, es ändert nichts an der Tatsache, daß der tragische Ausgang des Marquis nicht wie der des Carlos sich aus der Gesamtheit der Vorbedingungen notwendig ergibt, sondern daß er nur die Folge bestimmter einzelner Mißgriffe ist.

Wiederum tiefer angelegt, in dem ganzen Charakter begründet ist das tragische Schicksal der Königin. Freilich ihre weibliche Empfindung ist von solcher Zartheit und Hoheit, daß ihr von der Seite der Leidenschaft keine tragische Verwickelung droht. Sogar die Liebe zu Carlos, welche sie zugesteht, bedeutet für diese in sich selbst gefestigte Natur überhaupt keine ernstliche Versuchung. Aber eine andere Gefahr liegt in ihr selber und kann nicht überwunden werden. Sie ist nicht mit Willen und Gemüt Königin von Spanien geworden. Nicht nur Französin ist sie geblieben, sondern sie ist Anhängerin eines Freiheitsideals, das sie auf immer von der Krone, die sie trägt, innerlich scheidet. Und diesem Ideal folgt sie rücksichtslos in ihrem Handeln; was sie als Ehegattin sich nie erlauben würde, das Abweichen von der streng vorgezeichneten Linie der Pflicht, das erlaubt sie sich als politische Schwärmerin. Und damit verwickelt sie sich in einen Konflikt, der auch eingetreten wäre, wenn nicht ein Carlos und ein Posa den Anlaß geboten hätten.

Nicht anders steht es mit Philipp. Auch in ihm lebt ein Zwiespalt, der seine Entscheidung finden muß und, wie die Dinge liegen, nur tragisch ausgehen kann. Es ist der Zwiespalt zwischen seinem persönlichen Herrschertum und Machtbewußtsein, das trotz alles Despotismus doch auch einer Entwickelung nach humaneren Zielen hin fähig wäre, und der blinden Unterwürfigkeit unter die kirchliche Macht, die »lieber der Verwesung als der Freiheit arbeitet«. Dieser Kampf mußte einmal zum Austrag kommen; wiederum ist der Fall Posa-Carlos nur der durch die Umstände gegebene Anlaß – und der Sieg der Kirche, d.h. des Großinquisitors, der die Gotteslästerung als unbesiegliche Waffe führt (mit dem Opfertod Christi den Mord des Königssohnes zu verteidigen wagt), kann nicht zweifelhaft sein. Die Kraft des Tyrannen Philipp muß in der Sklaverei ersticken.

Die Gestalt des Großinquisitors ist nicht mehr ganz menschlich faßbar; aber sie ist mit imponierender Phantasie in grandiosen Zügen entworfen. In kleineren Verhältnissen ist auch der intrigierende Beichtvater Domingo gut gezeichnet. Dessen Genosse, der Herzog von Alba, ist dagegen dem Dichter nicht genügend lebendig geworden; er ist sonderbarerweise mehr Intrigant als Held, und überhaupt fehlt seiner Persönlichkeit die plastische Herausarbeitung zu einem bestimmt sich einprägenden Bilde; mit Goethes Alba darf man ihn nicht im entferntesten vergleichen. Unter den sonstigen Granden ist Graf Lerma mit entschiedener Liebe sympathisch und eindringlich charakterisiert; auch der Herzog von Medina und Don Raimund Taxis haben in ihren ganz kurzen Rollen doch einige bezeichnende Züge. Ganz leblos dagegen ist der Herzog von Feria geblieben, obgleich er in mehreren Szenen auftritt; sein Anteil an den Dialogen besteht nur in gleichgültigen Redensarten.

Von den Damen ist die steife Oberhofmeisterin mit einigem Humor gezeichnet; die »sanfte« Mondecar und die »tückische« Fuentes sind fast nur mit diesen Beiworten charakterisiert; dagegen ist in der Prinzessin Eboli dem Dichter ein mit Sicherheit angelegtes und mit Sorgfalt ausgeführtes Meisterstück gelungen. Die intrigierende Weltdame, die er als Gräfin Imperiali und als Lady Milford noch nicht überzeugend geschildert hatte, ist hier schon mit Virtuosität, ja mit Raffinement dargestellt worden; man sieht, wie Schillern die größere Weltkenntnis, die er in Mannheim gewonnen hatte, bei der Zeichnung der Frauencharaktere zustatten kam. Besonders die große Szene der Prinzessin mit Carlos ist eine äußerst dankbare Aufgabe für die Schauspielerin und eines großen Erfolges sicher.

Im allgemeinen ist übrigens die groß« theatralische Begabung Schillers im »Don Carlos« nicht völlig zur Geltung gekommen. Die allzu verwickelte Handlung, das Schwanken des Interesses zwischen den Gestalten des Posa und Carlos sind der Bühnenwirkung ungünstig. So war auch der Haupterfolg des »dramatischen Gedichts« der literarische. Dieser konnte Schiller vollständig befriedigen; der Bühnenerfolg blieb etwas hinter den Erwartungen zurück. Dabei wirkte mit, daß das Stück sich überall bedeutende Umarbeitungen gefallen lassen mußte, die natürlich von sehr ungleichem Wert waren. Einerseits waren es die Schauspieler, welche statt des Jambus die Prosa verlangten; denn zwanzig Jahre der Herrschaft eines realistischen Stils hatten die Tradition der Versdeklamation tatsächlich verschwinden lassen, und die Schauspieler fühlten sich zu ihr vollkommen unfähig. Andererseits mußte auch der Umfang des Werkes für die Aufführung fast um die Hälfte verkürzt werden – eine schlimme Operation; denn es zählte gegen 6000 Verse, etwa das doppelte eines erfahrungsmäßig einen Theaterabend füllenden Jambenstückes. Schiller bot selbst seine Hand zur Prosabearbeitung; aber den Einstudierungen in den verschiedenen Städten selbst beiwohnen konnte er natürlich nicht. In Mannheim gab Dalberg das Stück in ziemlich ungenügender Weise; von großem Wert war dagegen, daß Schroeder in Hamburg alles mögliche Interesse ihm zuwandte. In späteren Ausgaben hat Schiller dann selbst mit rücksichtsloser Energie die Längen zu tilgen gesucht, besonders in der Ausgabe von 1801; doch zählt es auch jetzt immer noch 5000 Verse. Im Totaleindruck hat es durch die Kürzung entschieden gewonnen; manche kleine Unebenheiten sind aber durch Wegfall von Einzelheiten entstanden, die Schiller nicht beachtete; das schlimmste dieser Art ist wohl der Ausfall der Stelle, in der Alba seine Absicht, Posa zu vernichten, erkennen läßt und damit auf seine Erfindung des hochverräterischen Planes, der Posa zugeschoben wird, hindeutet. Es hat dies dazu geführt, daß man vielfach diesen Plan für echt gehalten, und damit Schiller eine völlig gedankenlose Verzeichnung der Gestalt Posas schuld gegeben hat. –


Die Ausführung des »Don Carlos« geschah in den Jahren 1786 und 1787 im engsten Gedankenaustausch und gemütvollen Verkehr mit Körner und Huber, mit Minna und Dora. Besonders Körners Landhaus in Loschwitz hat einen guten Teil des Stückes entstehen sehn. Wie harmlos und heiter es dabei zuging, lehrt das mit amüsantem Galgenhumor gedichtete Klagelied, in dem Schiller seine »jammervolle Lage unweit dem Keller« beklagt, in der er Carlos und die Eboli feurige Reden führen lassen soll. Die letzten Akte las er endlich an einem schönen Abend des Frühsommers 1787 den Freunden vor; und für alle Zeit blieb ihm dies eine unauslöschliche Erinnerung.

Dennoch hatte er sich im letzten Halbjahr innerlich von der allzu eingeschränkten Dresdener Existenz schon gelöst. Tatsächlich hatte er, seit er Mannheim verlassen, nur mit den Menschen verkehrt, die Körner ihm zuführte, in Leipzig wie in Dresden, – hatte die Menschen mit Körners Augen betrachtet. Da war der Buchhändler Göschen, der Kaufmann Kunze, der Offizier Funk, – achtbare und ganz erträgliche Leute, aber keiner, der Schiller in seiner literarischen Laufbahn in höherem Sinne fördern konnte. Und gewiß war es schon ein Zeichen, daß Schiller nicht mehr ausschließliches Genüge in dem Freundeskreise fand, wenn er zu Anfang 1787 wieder von einer heftigen Leidenschaft ergriffen wurde, nachdem er anderthalb Jahre lang sich von allem weiblichen Verkehr außerhalb des Körnerschen Hauses ferngehalten hatte.

Auf einem Maskenball, den er ausnahmsweise besucht, hatte eine junge Zigeunerin sich wahrsagend an ihn herangemacht und durch ihre klassische Schönheit ihn sogleich unwiderstehlich gefesselt. Es war die junge Gräfin Henriette von Arnim, in deren mütterlichem Hause Schiller nun ein eifriger Besucher wurde. Nicht zum Wohlgefallen seiner Freunde; denn das Haus stand trotz der Vornehmheit des Namens nicht im besten Ruf. Die verwitwete Mutter, die mit ihren zwei hervorragend schönen Töchtern in Dresden lebte, war dafür bekannt, daß sie mit allen Mitteln, in die auch die Töchter frühzeitig eingeweiht waren, einen ganzen Hof von Männern um sich zu versammeln suchte, welche den Ruf dieser beautés verbreiten und so den Abschluß möglichst vorteilhafter Partien erleichtern sollten. Zu den bald angelockten, bald abgestoßenen Verehrern Henriettens gehörten neben Schiller damals ein Graf Waldstein und ein Dresdener Banquier, so daß die Aristokratie des Geistes, der Geburt und des Geldes in gleichem Maß vertreten waren. Schiller war in seiner Leidenschaft für die wirkliche Sachlage völlig blind und erkannte nicht, daß man ein plumpes Spiel mit ihm trieb, indem er abwechselnd mit den anderen Liebhabern empfangen wurde. Umsonst rief ihm Körner zu, wie Attinghausen dem Rudenz: »Dich anzulocken zeigt man dir die Braut; doch deiner Unschuld ist sie nicht beschieden.« Erklärt wird seine Verblendung dadurch, daß Henriette auch wahrhafte Neigung für ihn empfunden zu haben scheint, daß sie die Politik ihrer Mutter nur ungern mitmachte und sich über den lästigen und langweiligen Grafen öfters gegen Schiller beklagte. Aber sich irgendwie in offenen Gegensatz zur Mutter stellen zu wollen, davon war sie weit entfernt. So schleppte sich die Sache unerquicklich durch zwei Monate hin, bis die Freunde Schiller endlich beredeten, den Versuch einer Trennung zu machen und nach Tharandt zu ziehen. Bei schlechtem Aprilwetter fühlte sich der Dichter dort höchst unbehaglich und schrieb bald in der Rolle eines »armen Robinson«, bald in der eines büßenden Sünders. Die Familie Arnim erschien bald zu einem Besuch in Tharandt, aber freilich in Begleitung des unvermeidlichen Grafen Waldstein. Es entspann sich dann eine Korrespondenz, die schon zu etwas peinlichen Auseinandersetzungen führte. Ein Besuch Hubers scheint Schiller von der Notwendigkeit, das Verhältnis abzubrechen, überzeugt zu haben. Am 2. Mai sandte er Henrietten das Gedicht, das als ein entschiedener Rückzug aufgefaßt werden mußte; »ich kann dir nichts als treue Freundschaft geben,« – diese bündige Erklärung bezeichnet den Umschwung in Schillers Empfindungen. Aber noch einen Monat später bringt er in einem Geschäftsbrief die drollig naive Entschuldigung vor, »daß ihm von einem Mädchen der Kopf so warm geworden«, daß er darüber die Adresse des Korrespondenten vergessen habe. »Wir sind ja allzumal arme Sünder, und Sie werden auch noch an die Zeit zurückdenken, wo Sie von einem Paar Augen aus dem Konzept gebracht wurden.«

Schon im Mai war Schiller nach Dresden zurückgekehrt; aber lange war seines Bleibens dort nicht mehr. Der Wunsch in eine literarisch-bedeutende Umgebung zu kommen, mußte um so mehr die Überhand gewinnen, je unbehaglicher die persönliche Lage des Dichters durch das letzte Erlebnis geworden war. Wo aber konnte er diese höchste Befriedigung seines poetischen Menschen anders erhoffen als in Weimar? Seit fünfzehn Jahren weilte dort Wieland, seit zwölf Goethe, seit elf Jahren Herder. Schon war es der anerkannte Musenhof Deutschlands geworden, durch die lebendigen, Menschen erziehenden und erweckenden Persönlichkeiten des Herzogs und seiner Mutter, der Herzogin Amalia. Manchen kleineren Lichtern war es freilich nicht nach Wunsch gelungen, dort zu glänzen; Klinger und Lenz hatten es bald verlassen müssen, und auch Knebel war nicht recht heimisch geworden. Aber für Schillers Ehrgeiz und jetzt schon gefestigtes Selbstgefühl war dies nur ein stärkerer Sporn. Er hoffte aufrichtig von den Großen zu lernen, aber zugleich auch als ein Gleichberechtigter in ihren Kreis aufgenommen zu werden. Eine äußere Anknüpfung hatte er durch jene vom Herzog einst so gnädig aufgenommene Carlos-Vorlesung in Darmstadt. Mit Wieland war er schon in literarische Beziehungen getreten. Goethe konnte er freilich nicht hoffen anzutreffen; denn dieser war auf der Reise nach Italien begriffen und schien noch nicht zurückkehren zu wollen. Für Schillers erstes Auftreten aber konnte es vielleicht ein Vorteil sein, wenn das Hauptgestirn, das alles andere überstrahlte, jetzt eben nicht leuchtete.

Übrigens war es auch eine persönliche Anziehung, die Weimar dem Dichter zu bieten hatte. Charlotte von Kalb hatte ihren Wohnsitz dorthin verlegt. Schiller wußte das; überhaupt waren die Beziehungen zwischen beiden nicht völlig abgebrochen; vereinzelte Briefe hat Schiller mit Charlotte auch von Dresden aus gewechselt. Ohne Leidenschaft, aber doch mit lebhaftem Interesse des Geistes und der Seele sah er dem wieder zu erneuernden persönlichen Verkehr entgegen.

Im Juli 1787 schied der Dichter von den Dresdener Freunden; wie einst in Bauerbach glaubte er bald zurückzukehren; aber das Schicksal gestaltete den Abschied zur dauernden Trennung. Weimar – zwar nicht die Stadt, – aber doch ihr Bannkreis hielt Schiller fest; zwischen Weimar und Jena hat sich sein ferneres Leben abgespielt. Für den Augenblick war sein Entschluß, sich dorthin zu wenden, ein kühner; die Anerkennung, die Strebensgemeinschaft, die er suchte, fand er dort noch nicht sogleich. Aber es war die Absage an alle abenteuernde, reklamehafte literarische Existenz, die für den Dichter der »Räuber« ja so leicht und lohnend gewesen wäre. Es war die feste und klare Entscheidung, sich der höchsten Elite des geistigen Lebens anzuschließen, und auf dem vornehmen, vom Tagesgeschmack und von äußeren Erfolgen ganz und gar unabhängigen Wege dieser Männer dem höchsten Ziel, der Entfaltung der gesamten Kraft, die er in sich fühlte, zuzustreben.


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