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Willst du, Freund, die erhabenste Höhe der Weisheit erfliegen,
Wag' es auf die Gefahr, daß dich die Klugheit verlacht.
Die kurzsichtige sieht nur das Ufer, von welchem du scheidest,
Jenes nicht, wo dereinst landet dein mutiger Flug.
Schiller.
Seit dem Bunde mit Goethe hatte auch in Schiller der lang versiegte Quell der Poesie wieder zu springen begonnen. Zuerst noch teilweise gespeist von seinem philosophischen Denken, das hier einen merkwürdigen Bund mit seinem poetischen Empfinden und mit dem Schaffen seiner Phantasie einging. Mit Recht haben seine nächsten Freunde in dieser Gedankenlyrik, wie man sie wohl aufs kürzeste bezeichnen kann, den eigenartigsten, charakteristischsten Ausdruck seines Wesens gesehen. Was oftmals seine Schwäche war, das Ausgehen vom Allgemeinen, vom Begriff statt der Anschauung, wandelte sich hier zum entscheidenden Vorzug. Ein Gedicht wie »Das Ideal und das Leben« ist in seiner Art unübertrefflich zu nennen; streng begrifflich aufgebaut, läßt es den Grundgedanken in voller Klarheit erkennen, und es ist doch in jeder Strophe von voller Empfindung belebt, wird überall von der schöpferischen Phantasie mit einer fast überreichen Spende von Bildern veranschaulicht. Dies Gedicht, mit einigen verwandten, ist in den »Horen« erschienen; die Fülle aber seiner lyrischen Gaben sammelte Schiller in dem »Musenalmanach«, den er zum erstenmal »auf das Jahr 1796« herausgab und dann mehrere Jahre hindurch fortsetzte. Es war wieder eine dornige, praktische Aufgabe für ihn, die Redaktion dieses lyrischen Sammelwerks; besonders im ersten Jahr, als er an dem Neustrelitzer Michaelis einen stümperhaften Verleger hatte. Später, als Cotta den Almanach übernommen hatte, ging das rein Geschäftliche glatter; immerhin war es eine heikle Sache, die Gaben der lyrischen Dichter zuerst zusammenzubringen und dann zu sondern. Schiller war ein scharfer Kritiker; Goethe berichtet, daß er einmal gesehen, wie er ein Gedicht von zweiundzwanzig Strophen kurzerhand auf sieben reduziert hatte. Daß es dabei nicht ohne manchen Ärger abging, läßt sich denken. Aber die Herausgabe war für Schiller und für uns dennoch ein glückliches Unternehmen, da sie ihn selbst nun dauernd bei der so lang vernachlässigten Dichtung festhielt. Neben Goethe hat er selbst zum großen Teil den »Musenalmanach« gefüllt.
Es ist merkwürdig zu sehen, wie Schillers Geist sich zuerst langsam, fast unsicher im fremd gewordenen, poetischen Gewande regt, bis er wieder frei die Flügel auszubreiten wagt. Ein Gedicht wie »Pegasus im Joch«, das ja recht launig den selbsterlebten Zwang der prosaischen Wirklichkeit darstellt, aber auch selber in Haltung und Ausdruck halbprosaisch ist, – ferner die gereimte Epistel »Poesie des Lebens« erscheinen als Versuche, sich des poetischen Ausdruckes wieder zu bemächtigen. Es währte nicht lange. Schon im Sommer 1795 überraschte Schiller die Freunde mit einer Fülle poetischer Gaben, die den Dichter der »Künstler« und der »Götter Griechenlands« in voller Kraft, aber höherer Reife wieder erkennen ließen. Von rein lyrischer Stimmung war nur eines: »Die Ideale«. Hier sprach der Dichter selber; er sprach hier einmal den von ihm beständig empfundenen Zwiespalt zwischen Ideal und Wirklichkeit aus; im Augenblick, da er zur Poesie zurückkehrte, ließ er die rührende Klage ausströmen, um den reichen Schatz von Hoffnungen, von Phantasiebildern, die er auf dem mühsamen Lebensweg eingebüßt. Der Besitz des Ideals ist überhaupt nicht zu erreichen, diese Einsicht hat der Dichter innerlich erlebt und durchlebt; die Güter des äußeren Lebens sind wertlos, das persönliche Sehnen und Ringen des Geistes ergebnislos, – nichts bleibt, als die Freude an der Arbeit selber und das Bewußtsein der Einigkeit mit Gleichgesinnten. Das Gedicht schließt matt, aber das ist kein Fehler, sondern entspricht seiner ganzen Stimmung. Es ist elegisch empfunden, und höher als bis zur Tröstung kann sich diese Stimmung nicht erheben; eine wirkliche Versöhnung ist ihr versagt. Aber diese Stimmung war nicht die dauernde eines Schiller. Die Freude am beständigen Ringen und Aufwärtsstreben war in ihm lebendig und vorherrschend, und in immer neuen dichterischen Wendungen hat er sie gepriesen. Wohl taucht in seiner Dichtung auch das Bild des glücklich geschaffenen harmonischen Geistes auf, der jenen Zwiespalt zwischen Ideal und Wirklichkeit nicht empfindet; aber ohne jeden Neid, in ungetrübter Bewunderung. Er schildert ihn uns in dem von Goethes Persönlichkeit inspirierten Gedicht »Der Genius« (ursprünglich »Natur und Schule«).
»Du nur merkst nicht den Gott, der dir im Busen gebeut.
Nicht des Siegels Gewalt, das alle Geister dir beuget,
Einfach gehst du und still durch die eroberte Welt.«
Er führt eine solche Erscheinung zurück auf unmittelbare Offenbarung göttlicher Kraft und göttlichen Geistes in dem drei Jahre später entstandenen Gedicht »Das Glück«.
»Ein erhabenes Los, ein göttliches ist ihm gefallen,
Schon vor des Kampfes Beginn ist ihm die Schläfe bekränzt ...
Alles Menschliche muß erst werden und wachsen und reifen,
Und von Gestalt zu Gestalt führt es die bildende Zeit;
Aber das Glückliche siehest Du nicht, das Schöne nicht werden,
Fertig von Ewigkeit her steht es vollendet vor dir.
»Zürne deshalb nicht«, »freue dich«, ruft der Dichter sich selber mehrmals zu; er wußte wohl, daß dieses Los nicht das seinige war. Den unablässigen Kampf, das Überwinden der Wirklichkeit durch die völlige innere Hingabe an das Ideal, empfand er als seine, als die allgemein menschliche Aufgabe. Aufs herrlichste brachte er dieses Bekenntnis zum Ausdruck in seiner größten lyrischen Schöpfung. »Das Ideal und das Leben« betrachtete er selbst mit einer feierlichen Ehrfurcht; er wußte, daß er darin das Beste und Höchste gegeben hatte, was in ihm war, daß er sein innerstes Heiligtum zu allgemeiner Schau ausgestellt hatte. »Wenn Sie diesen Brief erhalten,« schrieb er an Humboldt, »so entfernen Sie alles, was profan ist, und lesen in geweihter Stille dieses Gedicht.« Und Humboldt antwortete: »Wie soll ich Ihnen für den unbeschreiblich hohen Genuß danken, den mir Ihr Gedicht gegeben hat. Es hat mich seit dem Tage, an dem ich es empfing, im eigentlichsten Verstande ganz besessen; ich habe nichts anderes gelesen, kaum etwas anderes gedacht.« Das Verständnis des größeren Publikums, auch des »gebildeten«, war freilich sehr gering. Daran war nicht nur der unglückliche, ursprüngliche Titel »Das Reich der Schatten« schuld; es war der Hauptvorzug des Gedichts, die phantasiereiche Bilderwelt, die es auftat –, welche den Lesern nicht zum Bewußtsein kommen ließ, daß unter diesem »Reich« doch nur ein Zustand des Seelenlebens, nicht ein räumlicher Bezirk verstanden sei; die meisten dachten an Unterwelt, Elysium, Olymp .... Das Gedicht ist in der ununterbrochenen Reihe von Kontrasten, die das Thema erschöpften, ein Abbild von Schillers eigenem, zwischen kühnem und berechnendem Handeln und idealer Gesinnung geteiltem Leben.
»Mut allein kann hier den Dank erringen,
Der am Ziel des Hippodromes winkt;
Nur der Starke wird das Schicksal zwingen,
Wenn der Schwächling untersinkt.«
Aber der von Klippen eingeschlossen,
Wild und schäumend sich ergossen,
Sanft und eben rinnt des Lebens Fluß,
Durch der Schönheit stille Schattenlande ...
Die Schönheit wird hier – wie in Goethes Pandora – durchweg als Symbol des Idealen schlechthin gedacht. Der Grundgedanke ist nicht der einer speziell ästhetischen Durchbildung und Verfeinerung, sondern einer Erhebung zu der, dem »Götterbild der Menschheit« kraft seines überirdischen Ursprungs ziemenden Freiheit von allen vergänglichen, irdischen Banden und Einwirkungen. Der tiefe ethische Inhalt des Gedichtes kann nur auf religiösem Wege völlig erschöpft werden, und seine Anlehnung sowohl an Platonische als an Kantische Ideen widerspricht nicht dem christlichen Grundcharakter dieser Vorstellungen. Es ist wie eine poetische Ausführung des Bibelwortes »Die sich freuen als freueten sich nicht, – und die da kaufen, als besäßen sie nicht.« In derselben Zeit, da dies Gedicht entstand, hat Schiller gegen Goethe seine Anschauung vom Christentum in das Urteil gefaßt, sein eigentümlicher Charakterzug, der es von anderen monotheistischen Religionen unterscheide, liege in der Aufhebung des Gesetzes oder des Kantischen Imperatives, an dessen Stelle es eine freie Neigung gesetzt haben wolle. Vollkommen entsprechend verkündigt unser Gedicht:
Nehmt die Gottheit auf in Euren Willen,
Und sie steigt von ihrem Weltenthron.
Des Gesetzes strenge Fessel bindet
Nur den Sklavensinn, der es verschmäht,
Mit des Menschen Widerstand verschwindet
Auch des Gottes Majestät.
Und unter welchen Umständen entstand auch diese erhabene Dichtung! Fortwährende schmerzhafte Leiden bannten Schiller monatelang an das Zimmer; im Oktober schrieb er an Körner, er sei endlich wieder ausgefahren, nachdem er drei Monate lang nicht ins Freie gekommen. Welch persönliche Bedeutung gewinnen dadurch die Verse:
Aber in den heitern Regionen,
Wo die reinen Formen wohnen,
Rauscht des Jammers trüber Sturm nicht mehr.
Hier darf Schmerz die Seele nicht durchschneiden;
Keine Träne fließt hier mehr dem Leiden,
Nur des Geistes tapfrer Gegenwehr.
In dem Preise dieser rein geistig gewordenen Existenz, die den Hauptinhalt des Gedichtes bildet, treten aber die Anfangs- und Schlußstrophen in einen gewissen Gegensatz. Hier wird das Bild einer harmonischen Versöhnung zwischen Geistes- und Sinneswelt entworfen; vermählt strahlen Sinnenglück und Seelenfrieden von der Stirn des Olympiers, und Herkules, der zu den Göttern emporsteigt, soll der gleichen Beseligung teilhaftig werden. Hierin spricht sich aus, daß nach Schillers Überzeugung der Kampf, die gewaltsame Erhebung über das Wirkliche doch nur einen Durchgang, die große Schule der sittlichen Lebensführung bilden soll, daß aber das letzte Ziel ein nicht nur innerer, sondern auch äußerer Friede, der Friede des Geistes mit der Natur ist. Wie in der Abhandlung »Über naive und sentimentalische Dichtung« wird die Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit als das Kennzeichen des strebenden und ringenden Menschen betrachtet, die Versöhnung beider als das Kennzeichen des Vollendeten. Schiller dachte daran, auch diese Versöhnung dichterisch darzustellen, indem er im Anschluß an »das Ideal und das Leben« die Aufnahme des Herkules in den Olymp schildern und so die »Idylle« auf die »Elegie« folgen lassen wollte. »Eine Szene im Olymp darzustellen« schien ihm »der höchste aller Genüsse.« »Lauter Licht, lauter Freiheit, lauter Vermögen – keinen Schatten, keine Schranke, – nichts von dem allen mehr zu sehen!« Seine »ganze Kraft«, den »ganzen ätherischen Teil« seiner Natur wollte er dafür zusammennehmen. Es blieb aber ein Plan, und gewiß aus zwingenden Ursachen. Diese »Idylle« ist unmöglich; der Eingang in ein überirdisches Reich muß entweder als ein Beginn neuen Strebens dargestellt werden, wie es in der Schlußszene des »Faust« geschieht, oder er verliert das menschliche Interesse und kann mit menschlichen Mitteln überhaupt nicht dargestellt werden, wie Klopstocks Himmelsschilderungen zur Genüge bewiesen haben. Die idyllische Stimmung ist überhaupt keiner anderen Ausdrucksweise fähig, als der hingebenden und sich bescheidenden Freude an der Natur. Auch Schiller, so wenig naturhaft er geartet war, hat doch zu diesem Ausdruck greifen müssen, in der gleichzeitigen Elegie »Der Spaziergang«. Diese Dichtung, die in Goethischer Anschaulichkeit und Kraft ein umfassendes Gesamtbild der Segnungen und der Gefahren des Kulturfortschritts gibt und im Zusammenhang mit dem verwandten »Lied von der Glocke« und dem »Eleusischen Fest« gewürdigt sein will, sei hier nur wegen des idyllischen Abschlusses angeführt. Entsetzt wendet sich der Dichter von den Nachtseiten des Kulturlebens ab und findet wie der fliehende Faust in der Einsamkeit der Wildnis seinen Trost:
»Bin ich wirklich allein, in deinen Armen, an deinem Herzen wieder,
Natur, ach und es war nur ein Traum
Reiner nehm' ich mein Neben von deinem reinen Altare,
nehme den fröhlichen Mut hoffender Jugend zurück.«
Und im beruhigenden Gefühl der Einheit mit der oft gepriesenen, in sich selbst glücklichen Urzeit klingt das Gedicht mit dem freudigen Rufe aus:
Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns. –
Diese großen philosophischen Dichtungen Schillers konnten naturgemäß nicht gleich von weitgreifender Wirkung sein. Erst vermöge eines eindringenden Studiums konnten sie bewältigt und allmählich in das Bewußtsein der Nation übergeführt werden. Aber Schiller sprach gleichzeitig auch in vielen kleineren, verständlicheren Dichtungen, in Liedern und Epigrammen, den Ertrag seines Denkens und Erfahrens aus, und diese leicht sich einprägenden, schnell von Mund Zu Mund gehenden Gedichte haben sehr viel dazu beigetragen, ihn populär, ihn zu einem wahren Volksdichter zu machen. Die gereimten, strophischen unter ihnen stehen allerdings nicht auf der Höhe jener großen Dichtungen. Schiller war einmal kein einfacher schlichter Dichter, und wo er es versucht, bekommt der Ausdruck öfters etwas Seichtes, so in den »Drei Worten des Glaubens«, die Gott, Freiheit und Tugend feiern, und denen er erst später die weit bedeutenderen »Drei Worte des Wahns« gegenüberstellte, so in der »Würde der Frauen«, wo die Leichtigkeit des daktylischen Versmaßes die weibliche Liebenswürdigkeit malen soll, aber dabei einen etwas glatten, tändelnden Ton mit sich führt. Seine volle Kraft aber zeigt der Dichter in der epigrammatischen Form, mag sie sich nur im einzelnen Distichon darstellen oder eine Anzahl von ihnen zum größeren Ganzen zusammenfügen. Das durchgehende Gesetz des Kontrastes, das in Schillers Denken waltet und durch sein philosophisches Studium noch schärfer ausgebildet war, das seine ästhetischen Abhandlungen beherrscht und in der Lyrik bisweilen störend auftreten kann, ist in der verstandesklaren Form der Epigramme ganz an seinem Platz. Und mit welcher plastischen Anschaulichkeit der Bilder verbindet es sich hier! Nur ein Beispiel: »Schön und Erhaben«, später benannt »Die Führer des Lebens«.
Zweierlei Genien sind's, die durch das Leben dich leiten,
Wohl dir, wenn sie vereint, helfend zur Seite dir geh'n!
Mit erheiterndem Spiel verkürzt dir der eine die Reise,
Leichter an seinem Arm werden dir Schicksal und Pflicht.
Unter Scherz und Gespräch begleitet er bis an die Kluft dich,
Wo an der Ewigkeit Meer schaudernd der Sterbliche steht.
Hier empfängt dich entschlossen und ernst und schweigend der Andre,
Trägt mit gigantischem Arm über die Tiefe dich hin.
Nimmer widme dich Einem allein. Vertraue dem Ersten
Deine Würde nicht an, nimmer dem Andern dein Glück.
Die Fragen, welche Schiller in diesen Dichtungen aufwirft und beantwortet, liegen meist in uns schon bekannten Richtungen. Ein Hauptthema ist auch hier das Verhältnis von Natur und Geist, oder Unbewußtheit und Reflexion; sehr schön wird die Versöhnung beider gefunden in »Natur und Vernunft« und in der »Übereinstimmung«, die keine andere als die Übereinstimmung Schillers und Goethes ist. Das zweite Hauptthema gilt dem Verhältnis des Schönen zum Sittlichen, des ästhetischen Lebensideals zur Kantischen kategorischen Forderung. Noch entschiedener als in den prosaischen Schriften vertritt hier der Dichter den Standpunkt, daß die sittliche Aufgabe von der ganzen Persönlichkeit aufgenommen werden müsse und sich dann in ihr zu ästhetischer Erscheinung entfalten werde. Harte Worte findet er für die bloße, in Formeln gefaßte »Moral«.
»Wie sie mit ihrer reinen Moral uns, die Schmutzigen, quälen!
Freilich der groben Natur dürfen sie gar nichts vertrau'n.
Bis in die Geisterwelt müssen sie flüchten, dem Tier zu entlaufen,
Menschlich können sie selbst auch nicht das Menschlichste tun!«
Positiv sprach er seine Überzeugung aus in dem Distichon:
»Ewig strebst du umsonst, dich dem Göttlichen ähnlich zu machen,
Hast du das Göttliche nicht erst zu dem Deinen gemacht.«
Gegen die bloße Lehre, das Produkt des Verstandes, verhält er sich überhaupt sehr ablehnend. Man spürt das Bewußtsein der Freiheit, das über ihn gekommen ist, indem er die jahrelange theoretische Beschäftigung beiseite gelassen und sich wieder der Dichtung zugewandt hat. Wie in der Sittlichkeit will er auch in der Kunstübung der theoretischen Regel keinen Wert mehr zumessen.
So wars immer mein Freund, und so wird's bleiben: die Ohnmacht
Hat die Regel für sich, aber die Kraft den Erfolg.
Am schärfsten wendet er sich gegen metaphysische Systeme, speziell gegen den Versuch, Kants kritische Philosophie doch wieder zu einer Art Metaphysik umzubiegen. Es war Fichte, dem er schon als Redakteur der Horen einen Aufsatz mit abschätziger Beurteilung zurückgegeben hatte, dem er auch hier scharfe Abfertigung zuteil werden ließ. Ebenso wird jede positive Religionsform zurückgewiesen, obgleich ein tiefer religiöser Sinn all' diesen Dichtungen zugrunde liegt.
»Welche Religion ich bekenne?« »Keine von allen,
Die du mir nennst! Und warum keine? Aus Religion.«
»Allen gehört, was du denkst, dein eigen ist nur, was du fühlest,
Soll er dein Eigentum sein, fühle den Gott, den du denkst!«
Die religiöse Grundanschauung, verbunden mit der völligen Freiheit von jeder begrifflichen Ausprägung, ist es wohl hauptsächlich gewesen, welche verhindert hat, daß diese Gedankendichtungen trotz aller Verbreitung und Popularität die wirklich maßgebende und Überzeugungbildende Wirkung gewannen, die sie verdienten. Die deutsche konfessionelle Religiosität, auch die protestantische, steckt so tief unter dem Joch der Formelknechtschaft und Systemsucht, daß sie sich den Weg zu der tiefen Lebensweisheit eines Schiller wie eines Goethe geradezu verbaut hat. Und andererseits – sah die Metaphysik des Materialismus, die um Mitte des Jahrhunderts aufkam, natürlich mit Verachtung auf die ideale Weltanschauung unserer großen Dichter herab. Anders freilich urteilten die wenigen, welche mit der Beherrschung moderner Naturerkenntnis das Bewußtsein für die ewigen Forderungen der ethischen Sphäre des Menschen verbanden. Es sei hier nur auf den trefflichen »Geschichtschreiber des Materialismus«, Albert Lange, hingewiesen, der, nachdem er die Notwendigkeit mechanischer Naturbetrachtung mit vollster Entschiedenheit betont, darauf die notwendig dem gegenüberzustellende Idealanschauung mit begeisterten Worten aus Schillers Gedankendichtungen entwickelt hat. Freilich – eine in sich ausgeglichene harmonische Weltanschauung ist auf diesem Wege nicht zu erreichen; schroff prägen sich die Antinomieen von mechanischem Zwang und geistiger Freiheit aus. Aber zu jener Einheit durchzudringen, wird bei dem alles einseitig entwickelnden Getriebe der modernen Zeit überhaupt nur wenigen möglich sein. An dem herrlichen Bilde eines Geistes, der sich jene innere Einheit geschaffen, wie Goethe es ist, kann man sich erheben und erfreuen; aber dem persönlichen Bedürfnis nach seelischer Erhebung wird oft Schillers emporreißende, siegende Art mehr entsprechen.
Auch Schiller selbst lebte, als er so dichtete, in einer tatsächlichen »Antinomie«. Es war doch ein innerer Widerspruch, daß er zugleich Gedichte idealsten Inhalts schuf und in den kleinlichen Händeln der Wirklichkeit recht skrupellos sich tummeln mußte. Noch fehlte seinem Leben die harmonische Weihe, die nur die rein dichterische Tätigkeit, vor allem im Dienst der tragischen Muse, ihm geben konnte. Noch war er weit davon entfernt; noch mußte er sich in den heftigsten Kampf stürzen; er tat dies, vereinigt mit Goethe, indem er die »Xenien«, die »Füchse mit brennenden Schwänzen« ins »Land der Philister« jagte.
Zu Anfang des Jahres 1796 tauchte der Gedanke auf, ein gemeinsames Strafgericht in Distichen nach der Weise des Martial über verständnislose und böswillige Autoren und Rezensenten ergehen zu lassen. Der ironische Name »Xenien« (Gastgeschenke) wurde gewählt. Bald hofften es die beiden Dichter auf ein volles Tausend zu bringen; aber nicht nur strafender, satirischer Art, sondern untermischt mit anderen, die die positiven Ziele ihrer Kritik aussprechen sollten. Trotz der unzähligen Einzelheiten sollte das Ganze doch dem Sinne nach eine Einheit bilden, sollte überall für die nötigen Übergänge, für einen fortlegenden Faden gesorgt sein. Dieser Plan kam nicht ganz zur Ausführung, weder der Zahl nach, noch was den Inhalt anging. Schiller entschloß sich deshalb energisch, das schon angelegte Ganze wieder zu zerstören; die ernsten und aufbauenden Distichen in einzelne Gruppen zu sammeln, unter denen die »Votivtafeln« die inhaltreichste und wertvollste waren, und die rein satirischen am Schluß zu vereinigen. Manches gar zu grobe Geschoß wurde beiseite gelegt, manches etwas verfeinert und gemildert; im ganzen aber bildeten die vierhundert »Xenien«, die den »Musenalmanach auf 1797« beschlossen, ein »kritisches Fegfeuer«, wie es bisher in Deutschland noch nicht angezündet worden war.
Schillers Anteil daran läßt sich auch heute noch nicht feststellen; beide Dichter wünschten als eine Einheit mit gemeinsamer Verantwortung hier aufzutreten und haben die Spuren der Autorschaft möglichst verwischt. Wohl hat jeder einen Teil der Xenien unter seine Gedichte aufgenommen, aber eine beträchtliche Anzahl ist von keinem von beiden rezipiert worden; dagegen haben einige sogar in die Werke aller beider Aufnahme gefunden, so daß hieraus keine sicheren Schlüsse zu ziehen sind. Was aber im einzelnen sich doch hat feststellen lassen, erlaubt das Urteil, daß sowohl im allgemeinen die größere Masse, als auch im besonderen die schärferen, einschneidenden Distichen von Schiller herrühren. Nicht als ob Goethe milder gesinnt gewesen wäre – er fand, daß die »Lumpenhunde«, welche man angriff, die Nachbarschaft der ernsten und tiefsinnigen Sprüche gar nicht wert seien – aber ihm stand die Form der Satire nicht so zu Gebot wie Schillern; er zeigte sich absprechend, aber nur selten eigentlich witzig. Schiller hat dagegen seine poetische Kraft in großartiger Weise für die Satire verwendet; so in der umfangreichen Xeniengruppe, die in die Unterwelt führt, besonders in dem Gespräch mit dem Schatten des Herakles-Shakespeare; dann in der Ausdeutung der Sternbilder des Tierkreises, in der Aufführung des Reigens der deutschen Flüsse.
Es lag im Charakter der Xenien, daß sie unbedingtes Lob nur Verstorbenen spendeten. Die Ehrfurcht vor Shakespeare, die Verehrung für Lessing kommt zum schönsten Ausdruck. Ohne ersichtlichen Grund fiel leider ein prächtiges Distichon fort, das den unerbittlichen Kritiker sein Werk auch in der Unterwelt fortsetzen läßt.
Auf der Asphodeloswiese verfolgt er die drängenden Tiere,
Die in den Litteratur-Briefen er lebend gewürgt.
Von den Lebenden wird Wieland freundschaftlich behandelt; aber auch mit gutmütigem Tadel belegt. Herder wird gar nicht erwähnt, – wohl um seiner bekannten, schwer zu berechnenden Reizbarkeit willen; ein Distichon, in dem versteckt auf zwei seiner Horenaufsätze »Das Fest der Grazien« und »Iduna« gestichelt wurde, ist unterdrückt worden. Die vollste Schale des Zorns wird über die Vertreter der alten, nüchternen Aufklärung ausgegossen, über Nicolai, der mit einer ganzen Flut förmlich ersäuft wurde, über Ramler, dessen »Leib« immer noch in Almanachen umgehe, während sein Geist schon längst über den Lethe geschifft sei; dann über die platte Dramatik Ifflandscher Mache mit ihren »Fähnrichen, Sekretärs oder Husarenmajors«. Frömmler wie Friedrich Stolberg und Lavater erhielten ihr Teil, ebenso politische Freiheitsschwärmer wie Forster und Cramer. Natürlich wurden die Herausgeber feindlich gesinnter Zeitschriften reichlich bedacht: Reichardt und Manso, Jakob und wiederum Nicolai. Von der jüngsten Schriftstellergeneration erhielt eine besonders scharfe Ladung Friedrich Schlegel, der über den vorjährigen Musenalmanach eine Kritik veröffentlicht hatte, die Lob und Tadel in grotesker Unklarheit der Begriffe verband. Sehr witzig weiß Schiller die Widersprüche ins Lächerliche zu steigern und so den Kritiker ad absurdum zu führen. Er blieb dabei nicht stehen und griff auch Schlegels eigene Arbeiten an, die in ihrer unklaren Phantastik Schillers ästhetische Ideen wohl aufgegriffen, aber schlimm verzerrt und entstellt hatten.
»Freunde, bedenket euch wohl die tiefere, kühnere Wahrheit
Laut zu sagen, sogleich stellt man sie euch auf den Kopf.«
So war der Kreis der Feinde, gegen den sich die Xenien richteten, so weit als möglich gezogen; die älteste wie die jüngste Generation schloß er ein. Die Wirkung war, wie sie danach erwartet werden mußte; ein allgemeines Geschrei der Erbitterung antwortete von allen Seiten. Antixenien erschienen zahlreich, freilich von sehr geringem Kaliber. Rein persönliche Angriffe, – besonders gegen Goethes häusliche Verhältnisse, Verspottung Schillers als des vom ruchlosen Meister verführten »Schülers« waren beliebt. Die Erwiderungen konnten ruhig ignoriert werden; schwerer schon war das möglich bei den sachlichen Rezensionen des Almanachs; am bedenklichsten mußten für die beiden Freunde die eifrigen mißbilligenden Stimmen sein, die auch von nahestehenden, nicht betroffenen Personen hörbar wurden. Wieland und Herder, Schillers dänische Gönner und Jenaer Freunde gaben ihrer peinlichen Empfindung Ausdruck. Allgemein betrachtet hatten diese tadelnden Stimmen nicht unrecht; denn ein Vorgehen wie das der Xeniendichter, zur Regel erhoben, würde den literarischen Verkehr und Betrieb schließlich unmöglich machen. Sieht man aber auf die tatsächlichen Verhältnisse, so ist Goethes und Schillers Unternehmen durch den Erfolg glänzend gerechtfertigt. Der unerhört wuchtige Angriff hatte eine entscheidende Wirkung. Trotz aller Gegenschriften neigte sich die »öffentliche Meinung« auf die Seite der beiden »Dioskuren«. Diese hatten sich jetzt auf eine Höhe gestellt, von der sie nicht mehr zu verdrängen waren. Es war nicht mehr möglich, sie mit den zahllosen kleinen Geistern des Parnasses zu verwechseln; es war nicht mehr möglich, sie als Epigonen der goldenen Zeit Klopstocks und Gleims hinzustellen; seit den Xenien festigten sich die verbundenen Gestalten Schillers und Goethes im Bewußtsein der Nation als die berufenen Vorkämpfer und Vertreter der deutschen Literatur, so wenig es auch in der Folge ihnen an Feinden und Rivalen mangelte. Eine traurige, aber schon anderweitig lang vorbereitete Folge der Xenien war nur die definitive Trennung von Herder. Persönliche und sachliche Gründe wirkten hier zusammen. Herders starker und nie vollbefriedigter Ehrgeiz konnte es nicht ertragen, durch die Gemeinschaft der beiden Xeniendichter in den Hintergrund gedrängt zu werden; freilich hatten sie ihn geschont, aber zugleich ignoriert. Sein Ingrimm gegen die beiden, die »im alleinigen Besitz der Kunst« zu sein glaubten, brach heftig los. Doch würde man ihm Unrecht tun, wenn man nicht die objektiven Ursachen der Entzweiung berücksichtigte. Herder in seiner großartigen Universalität hatte keinen Sinn für die konsequente Lösung einer einzigen Aufgabe, für das geschlossene Streben nach einem einzigen scharf bestimmten Ziel. Der ausschließliche Betrieb der Kunst um der Kunst willen war ihm unsympathisch und unverständlich, schien ihm sogar gefährlich. Daß Einseitigkeit die Bedingung jedes erfolgreichen Wirkens ist, daß ihm gerade um dieses Mangels willen kein voller Erfolg beschieden war, verkannte er. Schon von Goethe war er abgerückt, als dieser sich in Italien »ganz als Künstler wiedergefunden« hatte. Nun war auch Schiller in den »Briefen« der ausschließlich ästhetischen Gedankenrichtung nachgegangen, und auch die große Abhandlung über naive und sentimentalische Dichtung war ganz durch ästhetische Gesichtspunkte bestimmt. Gegen alle Beimengung der Kunst mit religiösen und politischen Bestrebungen machten die Xenien aufs schärfste Front. Herder entschloß sich nun, seine Stellung auf der Gegenseite zu nehmen. In Gemeinschaft mit Gleim und ähnlichen vergangenen Größen wurde er zum laudator temporis acti. Goethe und Schiller erschienen ihm als Verderber der Literatur, und auch seine leidenschaftliche Polemik gegen Kant wurde ihm zugleich ein Kampf gegen die beiden von Kantischen Ideen bestimmten Freunde. So schlimm, so schädigend das für ihn selber war, es war doch auch ein Schade für die beiden Gegner. Herders Ideenreichtum hätte doch als ein belebendes Element für die zur Starrheit neigende Strenge Goethes und Schillers wirken können, und jedenfalls hätten sie mit ihm im Bunde leichter die sich bald erhebende Opposition der Romantiker zurückhalten können. Schiller aber, in der Entschlossenheit und Sicherheit seines Vorgehens, gab solchen Gedanken nicht Raum. Seitdem Herder sich in seiner Verbitterung zum Lobredner des Mittelmäßigen und Schwächlichen machte, fällte er über ihn das schärfste Urteil; eine pathologische Natur war er ihm, die in ihren Schriften nur ihren »Krankheitsstoff« auswerfe, ohne dadurch zu gesunden. Auch gegenüber dem jungen »romantischen Banner«, das sich damals eben zu sammeln begann, ging Schiller mit rücksichtsloser Energie vor. Friedrich Schlegel hatte sich für die harten Wahrheiten der Xenien in einer Rezension der »Horen« gerächt, die an Bosheit nichts zu wünschen übrig ließ. Schiller nahm daraus Anlaß, auch mit dem Bruder August Wilhelm zu brechen. Dieser hatte für die »Horen« Aufsätze, Übersetzungen nach Dante und Shakespeare geliefert; Schiller verbat sich dies und zugleich den persönlichen Verkehr, »da niemand begreifen kann, wie ich zugleich der Freund Ihres Hauses und der Gegenstand von den Insulten Ihres Bruders sein kann«. Obgleich Wilhelm Schlegel auch später noch Gedichte zum Musenalmanach beigesteuert hat, so war doch der Bruch unheilbar. Immer mehr erweiterte sich die Kluft, nicht durch einzelne Begebenheiten, sondern durch die mehr und mehr zutage tretende Grundverschiedenheit der Charaktere und Bestrebungen. Auch die Rezensionen Friedrichs, auch die Xenien waren mehr nur zufällige Anlässe gewesen. Das Brüderpaar, das an unheilbarer Selbstüberschätzung litt, konnte nicht, wie ein Wilhelm Humboldt, dem es wahrlich auch nicht an Begabung fehlte, sich der Wirksamkeit Größerer anschließen und unterordnen. Schiller wiederum wollte keine halben Verhältnisse haben; er verlangte »volle Sicherheit und unbegrenztes Vertrauen«. Wie aber hätten diese unter so verschiedenen Charakteren herrschen sollen! Schiller war der personifizierte ernste Wille; zwischen ihm und der schlottrigen Selbstgefälligkeit der Schlegelschen Gruppe war kein dauerndes Verständnis möglich.
Diese Zwistigkeiten und gespannten Verhältnisse fanden aber nicht in weiterer journalistischer Polemik ihren Ausdruck. Schiller und Goethe hatten mit dem Gewitter der »Xenien« einmal die Luft reinigen wollen; ihre Zeit fernerhin mit journalistischen Fehden hinzubringen, war durchaus nicht ihre Absicht. Nach dem tollen Wagstück mit den Xenien, meinte Goethe, müsse man sich jetzt nur ernster und würdiger Kunstwerke befleißigen, um die tolle Wut der Gegner auf die edelste Art zu beschämen. So wurde denn auf keine der vielen Repliken eine Duplik gesetzt; die planmäßige Einwirkung auf die öffentliche Meinung wurde überhaupt beiseite gelassen. Damit hing auch zusammen, daß Schiller das Interesse an den »Horen« verlor, die während des Jahres 1797 nur noch vegetierten und mit dem Ende des dritten Jahrganges sanft entschliefen. Ganz und gar wandte sich Schiller jetzt, durch nichts mehr behindert, der Dichtkunst zu und trat damit in die letzte glänzendste Periode seines Schaffens. Und nicht mehr ließ er durch sein philosophisches Denken die dichterische Phantasie befruchten, sondern in freiem Entfalten seiner poetischen Kraft ward er nun rein schöpferisch auf epischem wie auf dramatischem Gebiet.
Schon mehrmals haben wir eine Neigung zu epischer Produktion auftreten sehen, die aber niemals zur Tat führte. Auch jetzt blieb der Plan einer größeren novellistischen Dichtung in lyrischen Versmaßen schon in den ersten Anfängen stecken; einige Bruchstücke daraus sind unter verschiedenen Titeln (Die Begegnung, die Erwartung usw.) unter die Gedichte aufgenommen worden. Dagegen fand Schiller endlich in der Ballade die epische Form, die ihm zusagte, und in der er nun eine reiche Schaffenskraft entwickelte. Es war eine glückliche Neigung; durch nichts ist Schiller so populär, so sehr zum Volksdichter geworden, ohne doch eigentlich volkstümlich zu sein, – als durch seine Balladen. Auch hier dauerte es einige Zeit, bis er sich des Tons und der Hilfsmittel der Darstellung ganz bemächtigt hatte; der unvollendete Versuch einer Don Juan-Ballade erinnert in der ganzen Haltung noch an die niedrige Balladendichtung, die in mißverständlicher Auffassung des Volkstümlichen seit fünfundzwanzig Jahren aufgekommen war; in den beiden ersten ausgeführten Balladen vom »Handschuh« und vom »Taucher« überwiegt die Schilderung noch auffällig über die epische Erzählung; es scheint dem Dichter hauptsächlich auf die »gräulichen Katzen« und auf den »furchtbaren Höllenrachen« anzukommen. Strenger im epischen Ton und straffer im epischen Fortschritt war schon »Der Ring des Polykrates«; den entscheidenden Wurf aber tat Schiller mit den »Kranichen des Ibykus«. Hier setzte er seine ganze Kunsteinsicht und seine ganze Kraft unter dem fördernden Beirat Goethes ein, um aus der überlieferten Anekdote einen künstlerisch abgerundeten und gegliederten Stoff zu gewinnen, dessen Ausführung in engem Rahmen ein in sich vollendetes Kunstwerk ergab. Es ist sehr interessant aus der Korrespondenz zu entnehmen, welche wertvollen Erweiterungen und Vertiefungen der Komposition Goethe angeraten hat; es ergibt sich daraus auch ohne weiteres, was in der ersten Form des Gedichtes noch fehlte. Goethe hatte selber daran gedacht, den Stoff zu bearbeiten, und ihn gründlichst durchdacht. »Meo voto«, schrieb er, »würden die Kraniche schon von dem wandernden Ibykus erblickt; sich als Reisenden verglich' er mit den reisenden Vögeln, sich als Gast mit den Gästen, zöge daraus eine gute Vorbedeutung, und riefe alsdann unter den Händen der Mörder die schon bekannten Kraniche, seine Reisegefährten, als Zeugen an. Ja, wenn man es vorteilhaft fände, so könnte er diese Züge schon bei der Schiffahrt gesehen haben. – Sie sehen ... daß es mir darum zu tun ist, aus diesen Kranichen ein langes und breites Phänomen zu machen, welches sich wieder mit dem langen, verstrickenden Faden der Eumeniden ... gut verbinden würde.« Man erkennt leicht, daß gerade in dieser schicksalsschweren »Verbindung« die geheimnisvolle Macht der Nemesis, die den Grundgedanken des Gedichts bildet, aufs erschütterndste wirksam ist. Auch für den Schluß, den Selbstverrat und die Entdeckung des Mörders, gab Goethe wertvolle, die Natürlichkeit der Handlung steigernde Winke. Die gewonnene Meisterschaft in der Ballade bewährte Schiller dann weiter in der »Bürgschaft«, und noch mehr im »Kampf mit dem Drachen«. Die epische Ruhe und Sicherheit dieses wiederum höchst kunstvoll komponierten Gedichts, die Ungezwungenheit und Klarheit, mit welcher der sittliche Grundgedanke hervortritt, sind gleich bewunderungswürdig. Schwächer erscheint »Der Gang nach dem Eisenhammer«, wo mit Absichtlichkeit ein Ton kindlicher Naivetät angeschlagen wird, den die Natur Schiller versagt hatte.
AIl diese Dichtungen fallen in die Jahre 1797 und 1798. Deutlich ist Schillers Streben nach immer größerer epischer Objektivität; ein anderer, mehr nach der lyrischen Seite neigender Typus der Ballade wurde in späteren Jahren von ihm bevorzugt.
Neben dieser epischen Tätigkeit ging aber gleichzeitig auch schon das Schaffen an der großen dramatischen Aufgabe des »Wallenstein« einher. Diese Doppelarbeit führte naturgemäß zu prüfenden Erwägungen über die Eigentümlichkeit und die Bedingungen beider Dichtungsarten, Erwägungen, die Schiller mit Goethe austauschte, der damals gleichfalls auf epischem und dramatischem Gebiet tätig war. In einer Reihe von kurzen Thesen haben beide die Ergebnisse, zu denen sie kamen, festgelegt. Nicht mehr systematischen Aufbau, sondern aus der Praxis gewonnene, für die Praxis bestimmte Sätze finden wir hier. Es war ein Goethischer Gedanke, die Erfordernisse beider Gattungen nach den praktischen Absichten und Aufgaben des »Rhapsoden« und des »Mimen«, des »Erzählers« und des »Darstellers« zu bestimmen; Schiller acceptierte ihn gern; aber er wies zugleich darauf hin, daß es nicht mehr möglich sei, beide Dichtarten rein und streng voneinander zu sondern, weil sich die tatsächlichen Verhältnisse sowohl für den epischen wie den dramatischen Dichter ins Unnatürliche verändert hätten, der Rhapsode gänzlich verschwunden und der Schauspieler zu allen möglichen äußeren Behelfen und Effekten gezwungen sei. Auch aus inneren Gründen wollte er eine Annäherung beider Formen nicht verdammt wissen, weil eine Dichtung in dem allgemeinen poetischen Gattungscharakter um so mehr gewinne, als sie am Charakter ihrer speziellen Art verliere. Ein gefährlicher Grundsatz, der aber für die höchsten dichterischen Schöpfungen tatsächlich zutrifft. Der »Faust« hätte gewiß an poetischer Bedeutung verloren, wenn er ein korrektes dramatisches Werk geworden wäre; und die »Göttliche Komödie« nicht minder, wenn sie sich an die Formen des homerischen Epos gehalten hätte. Die beiden Dichter einigten sich schließlich darauf, »daß man nur deswegen so strenge sondern müsse, um sich nachher wieder etwas durch Aufnahme fremdartiger Teile erlauben zu können«, um nur noch absichtsvoll, nicht aber aus Unklarheit zu irren.
Ununterbrochen war auch in dieser Zeit der Verkehr mit Goethe, bald brieflich nach Weimar hin, bald persönlich in Jena, Schillers wesentliche geistige Nahrung und Erquickung. Daneben ging der Briefwechsel mit Körner stets gleichmäßig her; aber er verlor allmählich an sachlicher Bedeutung, wurde mehr rein persönlicher Art. Eine große Freude war es, daß im Sommer 1796 die ganze Körnersche Familie für einige Wochen nach Jena kam, wo die alte Freundschaft sich in herzlichster Weise erneuerte. Ein schmerzlicher Verlust aber ergab sich daraus, daß Humboldt und seine Gattin ganz aus dem Gesichtskreise Schillers entschwanden. Jahrelange Reisen führten sie nach Frankreich und Spanien; später erhielt Humboldt den Gesandtschaftsposten in Rom. Der Briefwechsel zwischen ihm und Schiller blieb aber immer, wo nicht häufig, doch inhaltreich und wertvoll, und das seine Verständnis des scharfsinnigen und subtil empfindenden Diplomaten für Schillers so andersartige, kühn gewaltsame Persönlichkeit wurde niemals getrübt.
Mit schweren Sorgen mußte der Dichter in diesen Jahren nach seiner schwäbischen Heimat hinblicken, die von den französischen Invasionen – besonders 1796 – schlimm zu leiden hatte. Den Ruf nach Tübingen hatte er ausgeschlagen; aber mit vollem Anteil verfolgte er stets die Schicksale seines Vaterlandes. Nutzer der allgemeinen Kalamität, die auch die Beziehungen zu seinem Verleger Cotta erschwerte, drangen aber besonders schmerzlich die Vorgänge in seinem Elternhause auf sein Gemüt ein. Neben aller Kriegsnot und Bedrängnis herrschte dort schwere Krankheit. Ein chronisches, hoffnungsloses Leiden hatte den Vater hingestreckt, und beide Schwestern wurden von einem heftigen Nervenfieber ergriffen. Schillern selbst hinderte sein Gesundheitszustand hinzureisen; aber er ermöglichte durch seine Hilfe, daß die Schwester Christophine aus Meiningen hineilen konnte, um der ganz erschöpften Mutter in der Pflege beizustehen. Die überall geliebte und den Bruder schwärmerisch verehrende jüngste Schwester erlag bald darauf ihrer Krankheit, die andere genas; der Vater wurde endlich nach einem vielmonatlichen Krankenlager von unsäglichen Leiden erlöst. All diese traurigen Dinge wirkten tief auf Schillers Gemüt; einige Beruhigung gab es ihm, daß er wenigstens imstande war, der verwitweten Mutter die fernere Existenz materiell zu erleichtern.
Dasselbe Jahr brachte ihm aber im eigenen Hause um so größere Freude; der zweite Sohn wurde ihm geboren; er erhielt den Namen Ernst. Sein häusliches Leben hatte sich Schiller jetzt etwas bequemer und befriedigender zu gestalten gewußt; da er doch einen großen Teil des Jahres nicht ins Freie sich wagen konnte, so suchte er mit seiner Wohnung jetzt wenigstens der engen und dumpfen Stadt zu entfliehen: er zog in das große und frei gelegene Haus seines Kollegen Griesbach, wo er sich gern an dem schönen Blick auf die umliegenden Hügel erfreute. Im Frühling 1797 erfüllte er sich endlich einen langgehegten Wunsch, den Ankauf eines Gartens und Gartenhauses, in dem er die Sommermonate über wohnen konnte. Mit heller Freude berichtet er darüber dem Freunde: »Ich begrüße Sie aus meinem Garten, in den ich heute eingezogen bin. Eine schöne Landschaft umgibt mich, die Sonne geht freundlich unter, und die Nachtigallen schlagen. Wie freue ich mich, ins Künftige jeden schönen Sonnenblick auch gleich im Freien genießen zu können.« Die neue Lebensweise wirkte auch günstig auf seine Gesundheit. Seine Arbeit freilich begünstigte das enge Gartenhaus, in dem keine Abschließung möglich war, wenig; darum erbaute er sich für seine Person noch ein eigenes, kleines Häuschen an der Gartenmauer, ein rechtes Dichterheim, unmittelbar über dem Leutra-Bach gelegen, mit dem vollen Blick auf die Fluren und die jenseits sich erhebenden Berge. Von diesem Häuschen hat Goethe gesungen:
»Nun schmückt er sich die schöne Gartenzinne,
Von dannen er der Sterne Wort vernahm,
Das dem gleich ew'gen, gleich lebend'gen Sinne
Geheimnisvoll und klar entgegenkam.«
Die »Zinne« ist jetzt verschwunden; aber in der Nähe steht noch der alte Steintisch, an dem Schiller an schönen Tagen im Freien, endlich des eigenen Besitzes froh, seine Besucher zu empfangen pflegte. Zu diesem Tisch führte dreißig Jahre später Goethe seinen getreuen Eckermann mit den Worten: »Hier hat Schiller gewohnt. In dieser Laube, auf diesen jetzt fast zusammengebrochenen Bänken haben wir oft an diesem alten Steintisch gesessen und manches gute und große Wort miteinander gewechselt.« Das Beste und Größte, was damals zwischen beiden gedacht und geredet wurde, galt dem »Wallenstein«.