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Nicht vom Kampf den Wilden zu entstricken,
Den Erschöpften zu erquicken,
Wehet hier des Sieges duft'ger Kranz;
Mächtig selbst wenn eure Sehnen ruhten,
Reißt das Leben euch in seine Fluten,
Euch die Zeit in ihren Wirbeltanz.
Schiller.
Als Schiller vom schwarz-roten württembergischen Grenzpfahl zu dem blau-weißen pfälzischen hinüberschritt, äußerte er eine kindliche Freude; so freundlich wie die Farben, meinte er, sei hier auch der Geist der Regierung. Eine gewisse Behaglichkeit und Gemütlichkeit herrschte in der Tat in dem Ländchen, welches sein Kurfürst Karl Theodor gern durch Milde und Freigebigkeit dafür entschädigte, daß er seinen Hof nach dem durch Erbschaft ihm zugefallenen bayrischen Stammlande verlegt hatte. Aber ein Asyl für politische Flüchtlinge war Kurpfalz doch keineswegs, und Schiller hatte das unverzüglich zu erfahren. Die Erzählung seiner Schicksale erregte überall peinliche Empfindungen; selbst der Theaterregisseur Meier, dem Schiller besonderes Vertrauen geschenkt hatte, hielt doch für nötig, daß der Dichter sich verborgen halte; auch ermahnte er ihn dringend, an den Herzog zu schreiben und seine Unterwerfung anzubieten. Schiller schrieb in der Tat einen Brief, der aber nicht seiner wirklichen Stimmung und seinen Absichten entsprach. Wohl nur um die Ratschläge seiner Umgebung nicht gänzlich abzuweisen, vielleicht auch um seine Familie vor etwaiger Ungnade des Herzogs zu bewahren, entschloß er sich, in mitleiderregendster Weise seine Lage darzustellen und so vielleicht auf das Gemüt des Herzogs Eindruck zu machen; aber auch jetzt hielt er unbedingt an der Forderung fest, »Schriftsteller sein zu dürfen«. Gleichzeitig schrieb er auch an seinen Chef, den General Augé; von diesem erhielt er auch Antwort, die aber nur besagte, daß Schiller zurückkommen möge, da der Herzog gnädig gestimmt sei. Der Hauptpunkt war dabei nicht berührt, und so war für Schiller die Rückkehr unmöglich.
Tatsächlich dachte er auch nur daran, in Mannheim Fuß zu fassen. Sein »Fiesco«, den er fertig mitgebracht, sollte ihm dazu helfen. Ein erster Versuch, ihn den Schauspielern vorzulesen, hatte freilich keinen günstigen Erfolg. Dann aber gab Regisseur Meier, der das ganze Stück gelesen, gute Hoffnung; er wollte sich für die Aufführung verwenden. Doch Dalberg dachte anders. Als Schiller von Frankfurt aus, wohin er sich aus Vorsicht für einige Tage begeben hatte, sich ihm als Flüchtling offenbarte, als er ihm seinen Fiesco antrug und zugleich ihn um einen Vorschuß bat, um seine Schulden tilgen zu können, da hatte der Freiherr keinen anderen Gedanken, als sich den unbequemen Bittsteller vom Leibe zu halten. Er erklärte, daß Fiesco einer Umarbeitung für die Bühne bedürfe, und daß er vorher sich auf keinen Vorschuß einlassen könne. So handelte er gegen den Mann, dem er den glänzenden Erfolg der »Räuber« verdankte, und dem er dafür nichts vergütet hatte, ausgenommen die Reisekosten bei der Erstaufführung! Schiller blieb nichts übrig, als sich an eine Theaterbearbeitung zu machen, obgleich gar keine Ursache und gar kein Fingerzeig für eine solche vorlag; er arbeitete gezwungenermaßen, während er auf Borg lebte und wegen möglicher Nachstellungen aus Stuttgart sich sorglich verborgen hielt. Und doch war alle Arbeit umsonst. Als das Stück in der neuen Form eingereicht war, erklärte Dalberg in Gemeinschaft mit dem Theaterausschuß es auch jetzt für unannehmbar, ohne irgend eine Art von Linderung des für Schiller in diesem Augenblick vernichtenden Bescheides für nötig zu halten. Auch Ifflands Antrag, dem Verfasser zur »Anerkennung seiner außerordentlichen Verdienste« eine Gratifikation von acht Louisdors zukommen zu lassen, wies Dalberg zurück. Der ruhmgekrönte Verfasser der »Räuber« mußte hinter dem paßlosen Deserteur zurücktreten.
Verweilen wir hier, um Schillers zweites Drama, das erst ein Jahr später endlich die Bühne beschreiten sollte, näher zu betrachten! Zugegeben ist, daß der erste Eindruck für die Schauspieler wie für Dalberg eine Enttäuschung sein mußte. Neben den »Räubern« kann »Fiesco« nicht bestehen. Ja, – alles in allem genommen – wird man ihn wohl als das schwächste der Schillerschen Dramen bezeichnen müssen. Trotzdem hat das Stück eine bedeutende Bühnenwirkung. Seine Mängel treten bei der Aufführung hinter den Vorzügen zurück; beim Lesen drängen sie sich dagegen störend hervor. Der Hauptmangel liegt in Schillers damals ganz unvollkommener historischer Bildung, die doch für diesen Stoff unbedingt notwendig war. Nicht an Einzelkenntnissen fehlt es, wohl aber an klarer Erkenntnis der miteinander ringenden historischen Mächte. Gerade die »monumentale Freskomalerei«, welche Schillers gereifter historischer Dramatik eigen ist, die Auffassung der handelnden Personen als Vertreter großer, gegeneinander wirkender Bewegungen fehlt im Fiesco gänzlich. Wir erhalten weder eine klare Vorstellung von der Tyrannei, die den Genuesen droht oder schon auf ihnen lastet (auch dies bleibt zweifelhaft), noch von der Freiheit, welche die Verschwörung ihnen verschaffen soll. Noch viel weniger werden die Rollen uns deutlich, welche Frankreich einerseits und Kaiser Karl andererseits spielen; wie leerer Schall klingen ihre Namen dazwischen an unser Ohr. Diese Mängel führen dazu, daß das politische Pathos, welches in dem Stück so dröhnend hervorklingt, uns nicht mit der Macht innerer Wahrheit ergreift, wie es Schiller im »Tell« später so herrlich gelungen ist, sondern daß es uns phrasenhaft däucht. Und wenn wir schließlich lesen, daß Genua sich wieder friedlich dem alten Andrea Doria beugt, so wird diese Empfindung verstärkt; wozu das republikanische Gelärm? fragen wir, wenn doch alles darauf hinauslauft, daß sich die Familien Doria und Fiesco di Lavagna um die Herrschaft zanken? Man könnte nun vielleicht meinen, der Dichter habe in einer skeptischen Anwandlung die republikanische Freiheitschwärmerei persiflieren, als einen bloßen Deckmantel schildern wollen, hinter dem sich die Intrigen und Gewalttätigkeiten der ehrgeizigen Machthaber verbergen; aber von solchen sakrilegischen Gedanken war Schillers jugendlich-glühende Freiheitsbegeisterung weit entfernt. Dagegen hatte er sich im Stoff total vergriffen; offenbar hatte er bei bloß oberflächlicher Kenntnisnahme geglaubt, hier einen Stoff zu finden, in den er sein politisches Pathos frei könnte einströmen lassen, aber bei tieferem Eindringen zeigte sich das Gegenteil; daher auch das seltsame Schwanken in der Gestaltung des Abschlusses.
Die Geschichte erzählt uns, daß Ludwig Fiesco in Genua eine Verschwörung gegen die Vorherrschaft des Kaufes Doria ins Werk setzte, und daß im Augenblick, da sie gelungen war und er zum Herzog ausgerufen wurde, ein Sturz ins Meer seinen Tod herbeiführte. Das ist ein trauriges Ereignis, aber durchaus kein tragisches. Auch Schiller fühlte dies sehr wohl, aber er sah den Fehler nur in der Zufälligkeit der Katastrophe. Der Fehler liegt aber tiefer; in dem Mangel jeder erschütternden Leidenschaft, jedes tragischen Pathos. Kämpfe um die Herrschaft, Verschwörungen waren für die Italiener in den damaligen bald monarchischen, bald republikanischen, städtischen Gemeinwesen das tägliche Brot; in diesem Hin- und Herschwanken der Machtverhältnisse liegt so wenig etwas Tragisches wie in den Fraktionskämpfen des heutigen Parlamentarismus. Wollte man in diesem Stoffkreise etwas Tragisches darstellen, so mußte man eine Persönlichkeit wählen, die über diesem Intrigenspiel steht, aber trotzdem von ihm fortgerissen wird; ein Verrina, wie ihn Schiller in mächtigen Strichen hingeworfen hat, hätte sehr wohl der tragische Held sein können, der im Glauben, seinem republikanischen Ideal zu dienen, sich in dieses hohle Treiben des Ehrgeizes einläßt und dann, wie er seine Hoffnungen betrogen sieht, einen tragischen Tod sucht. Schiller meinte aber, in Fiesco selbst einen tragischen Konflikt zu legen, indem er in ihm die egoistische Herrschsucht mit dem uneigennützigen Patriotismus streiten läßt. Aber dieser Konflikt ist nur mit dem Verstand ausgeklügelt, nicht natürlich und überzeugend. Denn dieses Genua, das nicht die mindesten Anlagen zu republikanischer Freiheit zeigt, darf Fiesco ohne alle Gewissensbisse als überlegener Monarch regieren, – und unbegründete Gewissensvorwürfe dürfte ein Mann wie Fiesco sich wohl schwerlich machen. Es ist ja auch sein Tod durchaus nicht das Rachewerk eines beleidigten Volkes, sondern die Tat eines vereinzelten republikanischen Fanatikers. Ganz und gar Unnatur aber ist der Abschluß, mit dem die Bühnenbearbeitung das Trauerspiel in ein Schauspiel umwandelt. Fiesco überwindet am Schluß seine sündhafte Herrschsucht. Er wirft den Purpur weg; »sei frei, Genua«, ruft er aus, »und ich dein glücklichster Bürger«. Kam dem freiheitschwärmenden Dichter wirklich nicht zum Bewußtsein, daß eine Stadt, die sich die Freiheit von der Laune eines Fiesco schenken lassen muß, überhaupt der Freiheit nicht wert ist?
Will man den Fiesco genießen, so muß man von dem ganzen republikanischen Pathos und den tragischen Konfliktsmomenten völlig absehen und ihn einfach als Intrigenstück betrachten. Als solches zeigt er einen beträchtlichen Fortschritt über die »Räuber« hinaus, und darin liegt auch seine Bühnenwirkung begründet. Was bei den »Räubern« noch instinktives Gefühl für dramatischen Effekt ist, findet sich hier schon zu bewußter Technik entwickelt. Wenn Franz Moors Intrigen noch an einer gewissen naiven Einfachheit und darum an Unwahrscheinlichkeit leiden, so haben wir im »Fiesco« ein Intrigenspiel von großer Feinheit, ja an manchen Stellen von so verschlungener Entwickelung, daß es dem Leser schwer wird, ihm zu folgen. Wie scharf ist der Unterschied zwischen Gianettino Dorias plumpen Machinationen und Fiescos überlegenen, weitschauenden und sicher ineinandergreifenden Maßregeln! Und nun erst das Werkzeug Fiescos, der berühmte Moor! Es ist die einzige Gestalt des Stückes, die populär geworden ist und wahrhaft lebendig geblieben; aber diese eine Gestalt beweist auch einen großen Fortschritt in der dramatischen Charakterzeichnung Schillers. Sie ist in jedem Augenblick ganz den Erfordernissen der Situation angepaßt, fällt nie aus der Rolle, und jede ihrer Wesensäußerungen ist immer zugleich ein für den Fortgang des Stückes wesentliches Moment. Dabei ist sie in einer bei Schiller seltenen Weise von einem freundlich-humoristischen Licht umgossen, so daß man trotz aller Schändlichkeiten die summarische Exekution als ein fast zu hartes Endschicksal beklagen möchte. Am wenigsten gelungen sind auch im Fiesco noch die Frauengestalten. Zwar sind sie schon weit mehr individualisiert als Amalia von Edelreich; aber die herrschsüchtige Kokette Julia und die rein sich hingebende Leonore fallen beide öfters aus ihrer Rolle als Vertreterinnen der höchsten genuesischen Aristokratie, und der unglücklichen, vergewaltigten Berta hat der Dichter keinen einzigen interessanten Zug zu leihen vermocht. In der Theaterausgabe ist zudem die ganze Berta-Episode zur Unverständlichkeit verzerrt, da Gianettinos Anschlag gescheitert sein soll, und der Fluch des Vaters damit allen Sinn verliert.
Auf die schwülstig-gespreizte Sprache haben wir schon früher hingewiesen. Sie unterscheidet sich sehr zu ihrem Nachteil von dem urwüchsigen Kraftstil der Räuber. In Momenten des höchsten Affektes gibt man dem tragischen Dichter ja gern das Recht zum Gebrauch maßloser Hyperbeln; auch Shakespeare braucht sie dann; hier aber finden sie sich auch an Stellen, die jeder Leidenschaftlichkeit bar sind. Wenn Fiesco auf seinem Ballfest die Gäste zur Fröhlichkeit ermuntert, so ruft er aus: »Der bacchantische Tanz stampfe das Totenreich in polternde Trümmer!« Und wenn der alte Dona seinen ungeratenen Neffen zur Ruhe verweist, so beteuert er, er sei gewohnt, daß das Meer aufhorche, wenn er rede. –
Nach alledem wäre es wohl begreiflich, daß Dalberg nicht seine Hände nach dem »Fiesco« ausstreckte, wenn nur nicht derselbe Dalberg ein Jahr später, als keine Verfolgung von seiten des Herzogs von Württemberg mehr zu fürchten war, denselben »Fiesco« mit samt seinem Dichter mit offenen Armen aufgenommen hätte. Damit bewies er, daß er zuvor nur aus Furchtsamkeit und mit herzlosem Undank gegen Schiller gehandelt habe.
Vor der nächsten Not konnte der Dichter sich zwar retten, indem er das Stück nun zum Druck beförderte, wobei der Buchhändler Schwan ihm ein bescheidenes Honorar zahlte; aber trotzdem war die Lage Schillers verzweifelt. Seine Pläne für Mannheim waren gescheitert, andere Aussichten hatte er nicht; dabei verfolgten ihn von Stuttgart aus seine Gläubiger, und die Gefahr einer Auslieferungs-Forderung des Herzogs drohte ihm noch beständig. Unter diesen Umständen entschloß er sich, von einem Anerbieten Gebrauch zu machen, das er bisher zurückgewiesen hatte, um der Wohltäterin, von der es ausging, keine schlimmen Folgen zuzuziehen. Es war Frau von Wolzogen in Stuttgart, die ihm auf ihrem thüringischen Gut Bauerbach eine Freistatt eröffnete. Wenn der Herzog dies erfuhr, so war es ihm leicht, sich an dem Sohn, der ganz von ihm abhing, zu rächen, und so brachte die edle Frau ihrer Freundschaft für Schiller in der Tat ein großes Opfer. Er nahm es an, im Bewußtsein seines dichterischen Berufs, weil er hoffen durfte, dort in ländlicher Einsamkeit vor Sorgen und materieller Not eine Zeitlang geschützt, das neue, ihm vorschwebende Werk, die Luise Millerin, zu vollenden. Ein letztes Zusammentreffen mit der Mutter wünschte er noch, ehe er in eine, damals gar weit scheinende Ferne zog. Im Posthause zu Breiten an der pfälzisch-württembergischen Grenze traf sie mit der Tochter Christophine in stiller Nacht ein; bald darauf sprengte Schiller auf eiligem Pferde heran. Erst nach zehn Jahren folgte diesem schmerzlichen Abschied ein neues Wiedersehen. Der Vater, der die Wege des Sohnes damals mit besorgter Ängstlichkeit betrachtete, konnte als herzoglicher Beamter nicht wagen, mit dem »Deserteur« zusammenzutreffen. Doch war er erfreut, daß Schiller in der Einsamkeit von Bauerbach nun ferneren kühnen Unternehmungen entsagen werde, und hoffte wohl noch auf eine mögliche Aussöhnung durch Vermittlung der Frau von Wolzogen.
Aber Schiller selbst dachte an keine Aussöhnung. Sich höher zu schwingen mit der Kraft seines Genius, und damit sich allen kleinlichen Hemmungen und Gefahren zu entziehen, das war sein Entschluß. Noch ermaß er die Schwierigkeiten bei weitem nicht vollständig, noch war er von manchen Illusionen befangen; bald hier bald dort hofft er Anknüpfungen zu finden und muß den Gedanken bald wieder fallen lassen. Aber keine Enttäuschung konnte ihn in dem Glauben an sich selbst und an seinen Beruf wankend machen. In diesem Glauben lag wie bei allen großen Gestalten der Menschheit seine unversiegliche Stärke.
Von Mannheim sich zu trennen konnte ihm nicht schwer fallen. Nur von dem treuen Streicher war ein zu Herzen gehender Abschied zu nehmen. Mit Schwan und einigen Schauspielern waren äußerlich gute Beziehungen durch ein höfliches Scheiden aufrecht erhalten. Im Augenblick dachte Schiller wohl kaum an die Möglichkeit einer Rückkehr nach der kurpfälzischen Hauptstadt. Wie einem Paradiese, so fuhr er dem einsamen, unwirtlich gelegenen, im Winterschnee vergrabenen Bauerbach zu. Dreiundsechzig Stunden brauchte die Post damals vom Rhein bis nach Thüringen; Schiller verteilte diese Fahrt auf 7 Tage, so daß er etwa so viel Zeit benötigte, als man heute braucht, um nach Amerika zu reisen.
An ungestörter Freiheit zum Arbeiten fehlte es ihm sicherlich nicht, als er endlich in Bauerbach angekommen war. Aber es ist nicht zu verwundern, wenn er trotzdem in den ersten Monaten nicht zu regelmäßiger Tätigkeit gelangte. Zum erstenmal in seinem Leben genoß er, wonach er sich immer so stürmisch gesehnt hatte: Freiheit! Weder drängende Vorgesetzte noch drängende Not übten jetzt auf ihn Zwang; endlich einmal durfte er aufatmen. Das Arbeiten war übrigens auch dadurch erschwert, daß es in dem bescheidenen Gütchen an Büchern fehlte und daß auch Schiller natürlich wenig davon mitgebracht hatte. Und doch empfand er schon damals lebhaft das Bedürfnis nach historischer Anregung seiner Phantasie. Um es befriedigen zu können, trat er mit dem Meininger Bibliothekar Reinwald in Beziehung. Es war ein hypochondrischer und griesgrämiger Mann, dieser vom Schicksal und den Vorgesetzten ziemlich unfreundlich behandelte Bibliothekar; auch sein geistiger Horizont war eng, und in späteren Jahren, als er Schillers Schwester geheiratet hatte, hat dieser recht hart über ihn geurteilt und es als eine lästige Pflicht betrachtet, wenn er sich seinem Umgang nicht entziehen konnte. Damals aber war ihm Reinwald wirklich von großem Wert, und der noch jugendlich illusionsfähige Dichter träumte sich sogar eine intime Seelenfreundschaft. »Ihr vorgestriger Besuch,« schreibt er einmal, »hat eine ganz herrliche Wirkung auf mich gehabt. Ich fühle mich doppelt wieder, und wärmeres Leben ergießt sich durch meine Nerven .... Möchte auch ich Ihrem Herzen notwendig werden! Möchten auch Sie bei mir frischer atmen und Nahrung genug für Ihre Empfindungen finden!« Es hat etwas Rührendes, dieses Freundschafts- und Bewunderungsbedürfnis, das sich einen Gegenstand sucht, ohne viel nach dessen Würdigkeit zu fragen. Übrigens bemühte sich Reinwald, so viel er konnte, Schillern gefällig zu sein; offenbar hatte es etwas Wohltuendes, Versöhnendes für ihn, jemanden zu finden, der sich ihm so rückhaltlos anschloß. Er vermittelte auch Schillers Korrespondenz, die immer noch unter falschem Namen (Dr. Ritter) geführt wurde.
Der Meininger Freund mußte freilich zurücktreten, wenn Frau von Wolzogen selber in Bauerbach erschien. Schon im Dezember geschah das zuerst, freilich nur auf kurze Zeit. Schiller trat in ein wahrhaft herzliches Verhältnis zu ihr, wenn es auch nicht auf tieferer geistiger Gemeinschaft beruhte. Um ihr alle Ungelegenheiten zu ersparen, die sein Aufenthalt ihr hätte bereiten können, sprengte er brieflich allerlei irrige Nachrichten über seinen jetzigen Wohnort und seine Zukunftspläne aus. In Wirklichkeit dachte er nicht im entferntesten, Bauerbach zu verlassen. Er fühlte sich unlöslich dort gefesselt, da mit Frau von Wolzogen ihre eben erwachsene Tochter Charlotte angekommen war. Charlotte, noch von kindlicher Unbefangenheit des Benehmens, machte es dem Dichter leicht, sich an sie anzuschließen, und Schiller in seinem sanguinischen Bedürfnis und schwärmerischer Empfindung gab sich rückhaltlos der erwachenden Neigung hin. Daß das junge Mädchen in seiner recht einfachen geistigen Anlage und Ausbildung durchaus nicht dazu geeignet war, seinem Gedankenfluge zu folgen, übersah der Dichter zunächst. Lange konnte freilich die Täuschung nicht dauern, und wir werden bald sehen, wie sich dann unruhig eine Neigung in Schillers Herzen an die andere reiht, ja sich auch mehrere nebeneinander einschieben, bis endlich nach sechs Jahren sich seine Empfindung festigt und klärt. Ein Virtuose der Liebe wie Goethe ist Schiller niemals gewesen. Er erscheint bald von übermäßigem Selbstvertrauen gehoben, bald von Zaghaftigkeit zurückgehalten; leicht zu der Absicht geneigt, sich einen häuslichen Herd zu gründen, und ebenso schnell entschlossen, diese Absicht fahren zu lassen. Viel mehr als bei Goethe spielen äußere Rücksichten bei seinen Neigungen mit, und eben darum wird es ihm meist nicht schwer, sie auch wieder zu unterdrücken. Es ist mehr der Wunsch bei ihm durchschlagend, überhaupt ein weibliches Wesen zur Ergänzung seiner Persönlichkeit und zur Festigung seines Lebens für sich zu gewinnen, als das Wohlgefallen an einer bestimmten Person. Es erinnert an die Empfindungsweise des klassischen Altertums, wie der Sinn für Freundschaft bei Schiller sich weit leidenschaftlicher äußert als der für Frauenliebe.
Doch wir greifen mit diesen Bemerkungen vor, da wir Schiller ja hier zum erstenmal in eine Neigung verstrickt finden, die ihm den Gedanken an eine dauernde Verbindung erwecken konnte. Seine Lage war allerdings nicht der Art, daß er eine solche Absicht irgendwie hätte äußern dürfen; aber das war bei dem ungezwungenen, harmlosen Zusammenleben auch gar nicht notwendig. Als die Damen nach einigen Wochen zu Verwandten in der Nähe reisten, machte auch Schiller bei diesen Besuche. Ei trat als Gleichberechtigter in diesen adligen Familienkreis ein und gewann auch hier schnell einen Freund, einen Herrn von Wurmb, dessen »Seele in die seinige schmolz« und mit dem er sich ein längeres, ganz der Freundschaft gewidmetes Zusammenleben erträumte.
Doch zog ihn das Bewußtsein der dichterischen Pflichten schnell wieder in die Bauerbacher Einsamkeit zurück, und als die Wolzogenschen Damen wieder nach Stuttgart zurückgekehrt waren, kam es nun wirklich zu ernstlicher Arbeit. Jetzt (im Februar) wurde die Luise Millerin vollendet, und aus den historischen Werken, die Reinwald ihm zusandte, schöpfte Schiller schon neue dichterische Pläne.
»Don Carlos«, ja sogar schon »Maria Stuart« taucht auf; daneben ist auch von einem »Friedrich Imhof« die Rede, in welchem besonders kirchliche Unduldsamkeit und Gewissensdruck gegeißelt werden sollte. Dieser letzte Plan wurde zurückgestellt, als der Plan des Don Carlos sich so gestaltete, daß der Dichter alles, was über diesen Gegenstand ihm am Heizen lag, dort aussprechen konnte. In der Tat wurde auch dies Drama im Frühjahr schon in Angriff genommen. Weit gedieh es freilich nicht; denn immer mehr Raum gewann in Schillers Herzen die Leidenschaft für Charlotte und zog ihn von der Dichtung wiederum ab. Zuerst als das Fräulein mit ihrer Mutter nach Stuttgart zurückgekehrt war, wurde Schiller von den Qualen der Eifersucht gepackt; er hörte von einem Bewerber, der sich mit Erfolg Charlotte näherte. Als diese Gefahr dann wieder zurückgetreten war, als in der Pfingstzeit die Damen wieder in Bauerbach erschienen, da begann für den Dichter eine Glückszeit, die ihn mit leidenschaftlichen und stürmischen Hoffnungen erfüllte. An Wilhelm von Wolzogen schrieb er damals: »Sie haben mir Ihre Lotte anvertraut, die ich ganz kenne. Ich danke Ihnen für diese große Probe Ihrer Liebe zu mir... Noch ganz wie aus den Händen des Schöpfers unschuldig, die schönste, weichste, empfindsamste Seele, und noch kein Hauch des allgemeinen Verderbnisses am lauteren Spiegel ihres Gemüts, so kenn ich Ihre Lotte, – und wehe demjenigen, der eine Wolke über diese unschuldige Seele zieht!«
Aber die idyllischen Träume, denen Schiller sich jetzt hingab, konnten doch nicht ewig dauern. Alle Freundschaft der Frau von Wolzogen war doch nicht imstande, die Schwierigkeiten der Situation zu bannen. Zunächst – das Inkognito des Dichters war allmählich gelüftet worden. Obgleich nun Schiller wiederum das Mögliche tat, um durch fingierte Briefe die Aufmerksamkeit von Bauerbach abzuziehen, so mußte er sich doch sagen, daß ein längerer Aufenthalt seiner Freundin und Gönnerin sehr nachteilig werden könnte. Zugleich aber konnte auch diese die wachsende Intimität Schillers mit ihrer Tochter bei der hoffnungslosen Lage des Bewerbers nicht ohne Unruhe ansehen. Der Beschluß der Trennung wurde dadurch erleichtert, daß Dalberg in der Zwischenzeit wieder mit ihm angeknüpft hatte. Was den schwankenden Mann wieder dazu veranlaßt hatte, nachdem er einige Monate zuvor Schiller so schroff zurückgestoßen, ist nicht mit Sicherheit anzugeben, ist auch für den Biographen Schillers ziemlich gleichgültig; jedenfalls war er von der Besorgnis, der Herzog von Württemberg werde auf Schiller noch fahnden, befreit worden und konnte nun wieder wagen, von dem Dichter Vorteil zu ziehen. Er hatte sich eifrig nach der »Luise Millerin« erkundigt. Schiller durfte hoffen, wenn er jetzt in Mannheim erschien, günstige Aufnahme für sein Stück zu finden, das er inzwischen auch schon nach den Erfordernissen der Bühne umgearbeitet hatte. So schlug Ende Juli in Bauerbach die Stunde der Trennung. Nur auf kurze Zeit sollte er scheiden – so redete man sich ein; aber es wurde ein Abschied für immer. Aus Schillers zahlreichen Briefen redet eine unauslöschliche Dankbarkeit für seine Beschützerin, die in ihrer Gutherzigkeit auch noch unter die Zahl seiner materiellen Gläubiger sich eingereiht hatte; aber zurückzukehren in das stille Bauerbach vermochte er doch nicht, so sehr er sich auch anfangs noch in dieser Phantasie gefiel. Der Strom des Lebens ergriff ihn und ließ ihn nicht mehr los. Es ist die idyllischste und friedlichste Zeit seines Lebens geblieben, der Aufenthalt in Bauerbach. Sein Vater beklagte freilich, der Sohn habe dort »mehr Erholungs- als Beschäftigungstage gemacht«. Auch das ist Schiller später nicht mehr beschieden gewesen; Muße hat er kaum mehr gekannt.
Und auch aus Bauerbach brachte er doch ein glänzendes Zeugnis seines immer sich steigernden dramatischen Könnens mit, die »Luise Millerin«. Dies Drama, das mir unter dem von Iffland stammenden Namen »Kabale und Liebe« kennen, ist freilich als dichterisches Werk, als geistige Produktion überhaupt betrachtet, immer noch ein Ableger, eine abgeschwächte Auflage der Räuber; aber die Technik der dramatischen Komposition und Charakterdarstellung ist wiederum, wie schon beim Fiesco, um ein großes Stück gewachsen. In neuester Zeit hat man »Kabale und Liebe« aus Vorliebe für die darin dargestellte häusliche Sphäre mit ihren Konflikten künstlich emporgeschraubt. Modernen Dichtern wurde nachgerühmt, daß sie mit ihren naturalistischen Sittenschilderungen Schillers bedeutendstes Werk erreicht hätten, von dessen Höhe Schiller selbst leider nachmals um falscher Theorien willen herabgestiegen sei. Die »Modernen« waren hier selber so dogmatisch und doktrinär, wie sie es sonst ihren Gegnern vorwarfen; denn um einzelner trefflicher Eigenschaften des Stückes willen übersahen sie, daß es in der Hauptsache, seinem innersten Kerne nach, unter den Leistungen Schillers nicht in erster Reihe steht. Der große Konflikt zwischen Persönlichkeit und Gesetz, der das Thema der Räuber, überhaupt das Lebensproblem des jungen Schiller bildet, ist hier in einer seiner äußerlichsten Erweisungen, den Folgen der Standesbegriffe zur Darstellung gebracht. Dabei ist aber die Situation so gewählt und geschildert, daß ein eigentlicher Konflikt tatsächlich nicht stattfindet, weil der Ausgang, d. h. der Sieg der Standesbegriffe von vornherein feststeht. Daß aus dem Präsidentensohn und der Geigerstochter ein Paar werden könne, diese Möglichkeit wird überhaupt nicht ernstlich erwogen; wenn Ferdinand daran denkt, so erscheint das als Folge jugendlich überspannter Phantastik. Zum tragischen Helden ist er aber überhaupt noch zu unreif, er, der vor seinem Vater schneebleich zittert, wenn dieser meint, »hinter gewisse Historien« gekommen zu sein. Er geht ja auch tatsächlich nicht an diesem Konflikt zugrunde, sondern er tötet sich, nachdem er auf die Geliebte wegen vermeintlicher Untreue verzichtet hat, und zu dieser Meinung von ihrer Untreue ist er durch eine Intrige seines Vaters und des Sekretärs Wurm geleitet worden. Betrachtet man das Drama nur von dieser Seite, so erscheint es als bloßes Intrigenstück ohne tieferen tragischen Gehalt.
Allein wir dürfen auch nicht vergessen, daß der Titel ursprünglich »Luise Millerin« lautete. Sie ist, wenn man von einer Tragödie hier reden will, die wirkliche tragische Heldin; sie geht durch einen schweren Konflikt hindurch, in dem sie heroisch sich entscheidet, um durch die Entscheidung zugrunde zu gehen. Dieser Konflikt hat freilich nichts mit »Kabale und Liebe« zu tun, sondern es ist der verzweifelte Kampf zwischen der kindlichen und der bräutlichen Hingabe; »Pietät und Liebe« wäre ein treffenderer Titel für unser Drama, als der von Iffland gewählte. Um ihren Vater zu retten, entsagt Luise nicht nur ihrer Liebe, sondern sie schreibt den erlogenen Brief, durch den sie die Leidenschaft ihres Geliebten in tödliche Eifersucht und Rachsucht wandelt. Als Schiller einen solchen Stoff ergriff, mochte wohl die Empfindung in ihm lebendig sein, daß auch er sich in einem Zwiespalt zwischen dem eigenen Drängen und Streben und der Rücksicht auf seinen Vater befände; wohl hatte er, wie es dem Manne ziemt, der Stimme des eigenen inneren Berufs den Vorzug gegeben; aber nach schweren Kämpfen, und wie manchen täuschenden Brief hat auch er in dieser Zeit geschrieben, um seinem Vater Verfolgung und Unheil zu ersparen.
Kein Zweifel nun, daß aus diesem Stoff sich eine erschütternde Tragödie hätte bilden lassen, wenn die Kraft des Dichters, weibliche Charaktere zu bilden, schon ausgereicht hätte. Aber obgleich er darin Fortschritte gemacht hatte, war doch wie in seinen früheren Stücken hier für ihn die schlimmste Klippe. Es ist keine Willkür, daß man den Namen »Luise Millerin« dem Drama nicht gelassen hat. Die Persönlichkeit der Geigerstochter hat in der Tat nicht das genügende Gewicht erhalten, um das beanspruchen zu dürfen. Es fehlt ihr die Energie einer »Emilia Galotti«, um an das Schillern naheliegende Beispiel einer weiblichen Heldin zu erinnern; sie ist außerdem ungleichmäßig gezeichnet (besonders die Szene mit Lady Milford zeigt eine ganz andere Luise als das übrige Stück); ja sie beweist trotz empfindsamer Reden nicht einmal die durchgehende Stärke der Empfindung, die wir von einer tragischen Heldin erwarten. Daß sie, nachdem sie den Schandbrief an den Hofmarschall hat schreiben müssen, überhaupt noch zur ruhigen Fortsetzung ihrer bisherigen Existenz fähig ist, erscheint unbegreiflich. So erklärt sich, daß uns andere Personen des Stückes, der alte Miller, der Präsident, selbst der Sekretär und der Hofmarschall mehr interessieren, und besonders die beiden Väter sind dem Dichter in der Tat meisterhaft gelungen.
Literarische Vorbilder haben hier eingewirkt. Schiller war überhaupt schon durch den Stoff dieses Dramas in günstigere Lage versetzt, als es beim Fiesco der Fall war, da für das Familiendrama schon eine bestimmte Tradition in der deutschen Dichtung vorlag, welche Schiller aufnahm und fortbildete. Neben einem so hohen Vorbild wie »Emilia Galotti« standen auch anspruchslosere, aber nicht weniger wirksame, wie Gemmingens »Deutscher Hausvater«. Von der Hauptperson des letzteren Stückes wie von Lessings Odoardo hat Vater Miller seine Hauptzüge empfangen; doch trägt er dabei auch eigenen persönlichen Charakter, indem Schiller ihn, der niederen gesellschaftlichen Sphäre entsprechend, mit kräftigen, derben Strichen gezeichnet hat. Der Präsident von Walter ist der abgefeimte Bösewicht auf dem Ministersessel, der an mehreren Stellen der »Räuber« schon im Einklang mit den revolutionären Empfindungen der jungen Generation gebrandmarkt worden war. Karl Moor hatte sich dort gerühmt, daß er auf der Jagd zu den Füßen seines Fürsten den Minister niedergeworfen habe, der sich aus dem Pöbelstaub zum ersten Günstling emporgeschmeichelt, den »Fall seines Nachbars zu seiner Hoheit Schemel« gemacht hatte, den »Tränen der Weisen« emporgehoben hatten. Dies ist die Geschichte des Präsidenten. Und Kosinski erzählt gleichfalls von einem Minister, der seine Braut als »höllischer Kuppler« dem Landesfürsten zugeführt, ihn selbst infam aus dem Lande gejagt und sich mit seinen Gütern bereichert hat. Aus diesen krassen, durch leidenschaftlichen Grimm inspirierten Vorstellungen hat der Dichter hier doch eine fest umrissene, menschlich wahre Persönlichkeit zu schaffen verstanden.
Der Sekretär Wurm ist ein ins Engere und Kleinlichere übersetzter Marinelli; er ist eben nicht Vertrauter und Helfershelfer des Souverains selber, sondern nur des Ministers. Im Hofmarschall Kalb hat Schiller seiner Gabe zu karikierender Satire sehr glücklich die Zügel schießen lassen; ein Probestück davon hatte er schon in dem »Pater« der Räuber gegeben.
Diesen Verdiensten, welche Schillers drittes Drama in der Charakterzeichnung aufweist, stellen sich nun die Vorzüge des dramatischen Baues an die Seite, durch welche es ein vortreffliches Bühnenstück geworden ist. Spiel und Gegenspiel sind mit hoher Geschicklichkeit einander gegenübergestellt; nicht nur zwei Parteien bekämpfen sich, sondern die meisten Personen des Stückes (der Präsident, Ferdinand, Miller, Luise, Lady Milford, Wurm) verfolgen ihren eigenen Weg mit bestimmten Mitteln, und all diese verschiedenen Fäden sind zu einem höchst kunstreichen Ganzen verschlungen. Um dieses ganz zu würdigen, müssen wir auch auf die Vorgeschichte der Handlung eingehen.
Das Herzogtum ist von einem Fürsten regiert, der glänzende persönliche Eigenschaften besitzt, der der schönste Mann, der feurigste Liebhaber, der witzigste Kopf in seinem ganzen Lande ist, – der keinen anderen Beruf kennt, als diese Vorzüge auf die eleganteste Weise glänzen zu lassen. Die Regierung liegt ganz und gar in den Händen eines »Präsidenten«, (nach dem Vorbild des württembergischen Ministers Montmartin gezeichnet) der nach seinen natürlichen Anlagen entschieden zum Herrschen prädestiniert ist, der aber auch nicht die leiseste Spur des sittlichen Pflichtbewußtseins besitzt, diese Gaben zum Heil und zur Wohlfahrt des ihm anvertrauten Landes zu verwenden. Der rücksichtsloseste Herrschertrieb erfüllt ihn ausschließlich. Seinen Vorgänger hat er durch ein Verbrechen hinweggeräumt, nachdem er ihn durch eine freundschaftliche Kartenpartie bei strömendem Burgunder in Sicherheit gewiegt hatte. Er hat einen Helfershelfer, den er an seinen Schurkereien – Fälschung von Schriftstücken – unlösbar festhält, der aber auch seinerseits von seinem Herrn Dinge zu erzählen weiß, welche diesen direkt aufs Schaffot befördern müßten. So gut wie des abgefeimten Schuftes weiß sich der Präsident aber auch des unsagbar albernen Hofmarschalls zu bedienen. Den Weg zum Herzog hat er 106
den Untertanen völlig verschlossen; dabei seufzt das Land unter unerhörtem Druck – und wenn die fürstliche Maitresse einen Schmuck erhalten soll, der alles bisherige übersteigt, so weiß der Präsident ihn zu schaffen, indem einige Tausend Landeskinder an die Engländer für den amerikanischen Krieg verkauft werden. Eine einzige bewegende Empfindung außer der Herrschsucht schreibt sich der unumschränkte Gewalthaber zu: die Liebe zu seinem Sohn; für ihn nur will er gearbeitet, für ihn sogar gefrevelt haben. Aber sein Benehmen zeigt, daß dies nur Selbsttäuschung ist. In seinem Sohn liebt er nur die Fortsetzung seiner eigenen Macht; in ihm sieht er seine Herrschaft auf die folgende Generation hinaus verlängert. Keine Spur von Sorge um seines Sohnes wirkliches Glück, um ein Glück, das er selber als solches empfindet, läßt sich bemerken ; im Gegenteil ein teuflisches Spiel mit seinen Empfindungen, sobald sie sich als unabhängig vom Willen des Vaters erwiesen haben. Aus diesem starren Zukunftsplan erklärt sich auch, was man als ganz unbegreiflich bezeichnet hat, daß er den so ungleichartigen Sohn zum Mitwisser seiner Schandtaten gemacht hat; er wollte ihm rücksichtslos und offen die Bahn zeigen, die er gegangen ist, um damit ihn politisch zu erziehen und seinen Sinn zu härten; freilich hat er das Gegenteil erreicht.
Schon durch ein natürliches Gesetz, das den Thronfolger sich im Gegensatz zum Herrscher empfinden läßt, hat Ferdinand nicht die mindeste Neigung für die Bahn, welche sein Vater ihm vorschreibt. Und doch kennzeichnet er sich in gewisser Art als der rechte Sohn seines Vaters: durch die Starrheit, mit welcher auch er auf seinem Sinne beharrt und schließlich vor dem Äußersten nicht zurückscheut. Seine ideale Gesinnung ist aufs höchste noch ausgebildet worden auf den »Akademien«, wo man damals, im Zeitalter der »Aufklärung«, ganz andere Grundsätze einsog, als sie der Präsident ein Menschenalter früher empfangen hatte. Die Monarchie Ludwigs XV., welche den ganzen Horizont des Präsidenten noch ausfüllt, gilt für die junge Generation als antiquiert, als verabscheuungswürdig; ohne es zu ahnen, stehen die Vertreter dieser Monarchie schon auf dem Vulkan der Revolution. Unter ihnen ist für einen Ferdinand kein Raum; er flieht »die Zirkel« seiner Standesgenossen; es zieht ihn dahin, wo er ausschließlich seinen idealen Träumen leben kann.
Eine Genossin dieser Schwärmerei findet er in Luise, die gleichfalls dem Leben und Fühlen ihrer Familie innerlich entfremdet ist, so innig sie auch ihren Vater verehrt. Die Versenkung in »empfindsame« Schriften der damaligen Literatur hat sie dazu geführt, nur in der Welt ihrer Phantasien zu leben. Gegenüber der Außenwelt verhält sie sich völlig resigniert in weiblicher Schwäche, – anders als ihr Geliebter, der wohl hofft, eines Tages den Gang der Dinge auch nach seinem Willen richten zu können. Von dem Liebesverhältnis, das sich angesponnen hat, hofft sie kein dauerndes, greifbares Glück; wie Klopstock in jener berühmten Ode erwartet sie die Erfüllung ihrer Wünsche erst von dem Jenseits: »Wenn einst ich tot bin, wenn mein Gebein zu Staub zerfallen«. Ferdinand dagegen will die Hindernisse, die sich der Vereinigung entgegenstellen, mit kräftiger Hand einreißen; aber freilich über die Mittel und Wege ist er sich nicht klar geworden; vom Drang der Leidenschaft hat er sich widerstandslos hinreißen lassen, ohne viel an die Zukunft zu denken.
Beide Liebende werden durch die Väter aus ihren Träumen gerissen. Und nach ihrer ganzen Anlage kann es nicht anders sein, als daß Luise sogleich zur Unterwerfung bereit ist, Ferdinand aber gerade durch den ihm angedrohten Zwang zu energischen Entschlüssen gebracht wird. So tut sich ein Zwiespalt zwischen dem leidenschaftlich sich liebenden Paare schon in der ersten Szene auf, da wir sie zusammensetzen. Wie ungerecht ist doch der Vorwurf, Schiller hätte nicht genug motiviert, daß Ferdinand im vierten Akt die erheuchelte Untreue der Geliebten für Wahrheit halten konnte! Schon in der ersten Szene empfindet er ja ihr Benehmen als rätselhaft, wirft ihr »Kaltsinn« vor und wird durch die Ergebung, mit der sie eine Trennung als notwendig erkennt, tief verwundet. Und dieser Auftritt wirkt auf ihn so stark, daß sich im zweiten Akt eine fremde Gestalt zwischen ihn und Luisens Bild einschieben kann, daß es mehr sein Ehrgefühl als seine Liebestreue ist, die ihn von einer Annäherung an die Lady Milford zurückhält.
Nicht etwa um die Neigung des Sohnes zu besiegen, die ihm der selbst um Luise werbende Sekretär verraten hat, die er aber für ganz nebensächlich hält, hat der Präsident den Plan gefaßt, Ferdinand mit der Maitresse des Fürsten zu vermählen, sondern um dadurch seinen Einfluß noch zu sichern und womöglich noch zu steigern. Der Gedanke, daß sein Sohn widerstreben könnte, treibt ihn, diese Verbindung, noch ehe ein Schritt geschehen, schon als vollendete Tatsache bekannt zu machen, damit kein Widerstand mehr aufkommen könne.
Die Lady Milford selber ist eine Schöpfung, die den Geist der Humanität, der jene Zeit erfüllte, von seiner besten Seite erkennen läßt. Auch in der scheinbaren Verworfenheit den edlen Funken zu sehen, auch im Verbrecher den Menschen noch zu finden, das war ein Bestreben, das in Dichtern und Psychologen lebendig war. Die Verwünschungen des ganzen Herzogtums liegen auf der Lady – welcher Schandsäule ist sie nicht bekannt? fragt Ferdinand – die furchtbare »Pressung des Landes, die früher nie so gewesen«, gibt man ihr Schuld – der Dichter unternimmt es trotz alledem, ihr unsere Sympathien, ja sogar unsere Achtung zuzuwenden. In der ersten Szene, in der sie auftritt, im Gespräch mit Ferdinand, lernen wir ihre Vergangenheit kennen; wir lernen verstehen, wie sie zu ihrer jetzigen Rolle gekommen ist, und wir erfahren mit Verwunderung, wie sie sich in der Illusion, eine Wohltäterin des Landes zu sein, gefällt. Obgleich diese Illusion nicht recht erklärt wird, so ist dies alles doch geeignet, die Lady uns menschlich näher zu bringen. Nicht weniger auch der leidenschaftliche Eifer, mit dem sie Ferdinands Hand erstrebt, freilich ohne irgendwie zu empfinden, was sie ihm damit zumutet. Wenn sie dann in der zweiten großen Szene mit Luise, von dem einfachen Bürgermädchen beschämt, den Entschluß faßt, mit einem gewaltsamen Ruck und mit kühner Offenheit ihre glänzende Existenz wegzuschleudern, – so muß diese Tat, die den Hofmarschall zum »Geistesbankerott« bringt, uns gewiß imponieren, und auf der Bühne pflegt diese Wirkung auch nicht auszubleiben; eine andere Frage ist, ob der Dichter diese gewaltsame Wandlung auch genügend motiviert hat. Es ist schon öfters hervorgehoben worden, daß der Dichter uns kein Hin- und Herschwanken, kein allmähliches Werden des Entschlusses zeigt, sondern ihn in stummem Kampf während einer »Pause« sich bilden läßt. Doch scheint mir hieraus an sich kein Vorwurf abzuleiten. Auch Shakespeare läßt seinen »Coriolan« den ihn vernichtenden Entschluß der Umkehr in stummer Erwägung während der langen Rede der Mutter fassen. Aber wenig glaublich ist, daß die Erscheinung und das künstlich naive Gespräch der Luise Millerin eine solche Wirkung auf die Lady geübt haben.
Doch wir sind hiermit schon dem Gang der Handlung weit vorausgeeilt; wir kehren zum zweiten Akt zurück, wo wir den Präsidenten mit herrischer Gewaltsamkeit bemüht finden, die Verbindung seines Sohnes mit der Geigerstochter zu sprengen. Seine Roheit kettet für den Augenblick die Liebenden nur fester aneinander. Im Angesicht der grausamen Drohungen wandeln sich die Schatten, die störend zwischen ihnen aufgestiegen, in Genien der Treue und Einigkeit. Von jeher hat man den dramatischen Aufbau dieser Szene bewundert, die Steigerung, mit welcher der Präsident einen Gegenstoß Ferdinands nach dem anderen an seinem unermüdlich hartnäckigen Andrängen scheitern läßt, bis der Sohn sich endlich entschließt, zu dem »teuflischen« Mittel zu greifen, vor dem sein Vater wehrlos zurückweicht, zur Drohung, aller Welt kundtun zu wollen, wie jener zur Präsidentenwürde gelangt sei. Aber so gerechtfertigt auch diese Bewunderung ist, so unberechtigt ist die übertriebene Bedeutung, welche man dieser Szene im Getriebe der ganzen Handlung angewiesen hat. Man hat sie den Höhepunkt des Dramas genannt; man hat behauptet, unmittelbar nach ihr stocke die Handlung und hebe dann im dritten Akt von neuem an. Diese Betrachtungsweise ist durchaus falsch; in dem aufsteigenden Gang der Handlung ist die Szene nur eine Stufe; das Wirkungsvollste in ihr ist nur episodenhaft; der enge Zusammenschluß von Ferdinand und Luise ist ganz vorübergehend, die Niederlage des Präsidenten nur momentan. Den Höhepunkt des Stückes bringt der dritte Akt in der grauenvollen Szene, da Luise unter dem Diktat Wurms ihren eigenen Uriasbrief schreibt, da die Anschläge des Präsidenten und seines Sekretärs in einer Tat von scheußlicher Niedertracht sich vereinigen, und Luise mit stummer Duldung alles auf sich nimmt, um nur ihren Vater vor dem Zorn des Präsidenten zu retten. Aber diese Duldung mag rührend sein; tragisch erschütternd ist sie nicht; gerade in der Szene, da die Heldin unsere ganze Sympathie gewinnen sollte, verliert sie sie. Der Familiensinn, der sich bis zur eigenen Entehrung, bis zur tötlichen Verletzung des Geliebten versteigt, ist nicht mehr menschlich; er ist eine Sklaverei des Gemüts, die sich aus der dumpfen Beschränkung, in der die Tochter aufgewachsen, wohl erklärt, der aber nicht unsere Teilnahme gewinnen kann.
Diese Teilnahme wendet sich in der zweiten Hälfte des Stückes entschieden Ferdinand zu; weit männlicher und fester erscheint er hier als in der ersten. Daß er dem Brief, in dem er die Handschrift der Geliebten erkennt, Glauben schenkt, kann wahrlich nicht verwundern. Auf die Schurkerei des erzwungenen Diktats kann sein gerader Sinn nicht verfallen. Seine Behandlung des armen Versuchstieres, an dem die Untreue der Geliebten ihm demonstriert wird, des Hofmarschalls von Kalb, ist unübertrefflich; von tragischer Ironie dabei das Mißverständnis, daß er das beginnende Geständnis des »Jammermenschen«, daß er (Ferdinand) betrogen sei, auf die angebliche Untreue der Geliebten bezieht und selber den Hofmarschall verhindert, es zu Ende zu sprechen. Nicht minder tragisch wirkt der Hohn des Präsidenten, der jetzt seinen Widerspruch gegen die Mesalliance des Sohnes aufzugeben sich bereit zeigt. Und ihm, der die Intrige, die ihn umgarnt, für ein grausam feindseliges Geschick ansieht, das alles, woran er geglaubt, ihm zerstört hat, ihm muß der Gedanke des gewaltsamen Todes sich aufdrängen, des eigenen Todes und des der immer noch Geliebten. In den Schlußszenen ist sein Reden und Handeln durchaus einheitlich und klar; nicht so das des Mädchens. Wenn sie sich auch durch den Eid verpflichtet fühlt, auf die Frage »Schriebst du den Brief?« mit einem »Ja« mit der Beteuerung: »Bei Gott dem ewig wahren« bekräftigen? Warum und woher diese stoische, übermenschliche Starrheit, die sie hindert, auch nur mit einem Wort, einer Geste anzudeuten, daß sie nicht reden dürfe? Ja noch mehr – warum verweigert sie nicht jede Antwort auf die Frage? – Um des Vaters willen, lautet auch hier die Erwiderung; aber hier ist die Selbstzerstörung um dieser Ursache willen noch weniger gerechtfertigt als im dritten Akt; denn Luise kann doch davon überzeugt sein, daß Ferdinand die Ahnung des wahren Sachverhalts nicht zu Ungunsten ihres Vaters ausnutzen wird! Es bleibt nur die Erklärung: sie will dem Vater zu Gefallen wirklich mit Ferdinand brechen; dazu aber hat sie nicht mehr das moralische Recht, nachdem sie ihm früher so weit entgegengekommen, nachdem sie ihn in unheilbaren Zwiespalt mit seiner ganzen bisherigen Existenz versetzt hat. Immer mehr sinkt ihre Schale, während die Ferdinands steigt. Imponierend erhebt sich dabei die Gestalt des Vaters, trotz aller Beschränktheit, in diesen entscheidenden Szenen. Er übersieht ja nicht das Ganze; er weiß nicht und kann nicht verstehen, wie tief das Unheil schon sich eingefressen; er glaubt durch das Aufgebot aller väterlichen Autorität und Liebe die Tochter zu retten, und er setzt seinen Willen durch – freilich nur um sie sogleich durch Ferdinands Giftbecher zu verlieren. Die Todesszene selber – stark an Desdemonas Ende erinnernd – führt die Liebenden in endlicher, verspäteter Erkenntnis der Wahrheit wieder zusammen. Der angehängte Schlußauftritt des Präsidenten und des Sekretärs wirkt wenig überzeugend und will wohl nur den Wünschen des Publikums, die Bösewichter bestraft zu sehen, entgegenkommen.
Überblicken wir nochmals die ganze Dichtung, so müssen wir bekennen, daß sie trotz aller Vorzüge durch die unbefriedigende Ausgestaltung der Heldin schwere Einbuße erleidet. Die große Wirkung, welche sie noch immer ausübt, geht wesentlich von den Rollen der beiden Väter aus. Bei den Zeitgenossen spielte zum großen Teil auch die stoffliche Wirkung mit. »Kabale und Liebe« war ein Revolutionsdrama, das nicht in einem unbestimmbaren Zeitalter, nicht wie Fiesco im fernen Italien, sondern im zeitgenössischen Deutschland spielte. Es war der Fehdehandschuh, mit dem Schiller auf die Behandlung antwortete, die er von seinem Fürsten erfahren hatte. Und die Kühnheit, die darin lag, wurde nicht abgeschwächt durch den Umstand, daß Schiller den Souverän nicht persönlich auf der Bühne auftreten ließ. Denn ob auch im Hintergrunde bleibend, war sein Bild doch mit scharfen Strichen gezeichnet, und in einer Art, als hätte der Dichter hier, was er früher satirisch von den »Erdengöttern« ausgesagt, nun durch ein ausgeführtes Beispiel erhärten wollen. Welches Licht werfen schon die wenigen Worte: »Die schöne Supplikantin ist Preises genug« – auf diesen Fürsten und seine Regierungsgewohnheiten! Noch kühner und von unmittelbarerer realistischer Wahrheit ist die kurze Szene des Kammerdieners, in welcher Schiller den schmachvollen Menschenverkauf einiger Fürsten, und speziell des Herzogs von Württemberg auf die Bühne zu bringen wagte. Der Ausruf der nach Amerika vermieteten »Landeskinder«: »Es leb' unser Landesvater – am jüngsten Gericht sind wir wieder da!« schneidet ins Mark des Hörers! Und staunend ermißt man, welche Freiheit der literarischen Sprache in jener Zeit des Zensurzwanges einem kühnen Geiste möglich war, der sie sich zu nehmen wagte!
Die wildverbitterte Stimmung, in der Schiller das Stück geschrieben, tritt aber noch mehr als in all solchen Invektiven, in dem völligen Mangel an positiven Gegengewichten zutage. Selbst in den »Räubern« ist doch die Achtung vor der Majestät des Gesetzes lebendig; Karl Moor erkennt, daß er unsühnbar gefehlt hat, indem er um der verworfenen Diener des Gesetzes willen das Gesetz selber mit Füßen trat. Von dieser Unterscheidung ist in »Kabale und Liebe« keine Rede mehr. Hohle und lügnerische Phrasen nur sind die geltenden Gesetze, mit denen Frevler sich ihre Genüsse zu sichern verstanden haben, während der edle Geist von ihnen um seine Ehre und sein Glück betrogen wird. Viel mehr als die »Räuber« ist »Kabale und Liebe« ein leidenschaftliches Revolutionsdrama, das auf den großen Umschwung von 1789 hinweist. Aber nicht denkt der Dichter selbst an eine solche Lösung; er läßt nichts bestehen, was den Weg zu einem rettenden Ziel zeigen könnte, jede Leuchte ist erloschen; der äußerste Pessimismus herrscht, und nur als eine schwache Hoffnung steht der Glaube an ein Erlösung bringendes »Jenseits« ihm gegenüber.
So war die Stimmung Schillers gewesen, als er aus Stuttgart floh, – als er ein Jahr später von Bauerbach nach Mannheim wanderte, blickte er schon wieder heiterer ins Leben. Und wirklich – diesmal schien das Schicksal sich freundlich zu wenden. Dalberg nahm den Dichter jetzt zuvorkommend auf, und am 1. September sah sich Schiller als Theaterdichter am Mannheimer Hof- und Nationaltheater angestellt. Es war ein großer Erfolg für den heimatlosen Flüchtling; vor aller Welt, vor dem Herzog wie vor seiner Familie war sein kühner eigenmächtiger Schritt jetzt innerlich gerechtfertigt; er hatte gezeigt, daß er nicht leeren Phantomen, sondern einem Ziel, das ihm zukam, das er wohl zu ergreifen wußte, nachstrebte. Und andere Errungenschaften schlossen sich an; Schiller wurde zum Mitglied der kurpfälzischen Deutschen Gesellschaft erwählt; er schien in das sichere Fahrwasser einer vornehmen literarischen Laufbahn gelangt. »Kurpfalz ist mein Vaterland!« jubelte er jetzt.
Freilich hatte Dalberg den immer nicht recht zuverlässig scheinenden Dichter nur auf ein Jahr angestellt; aber dieser, sanguinisch wie er war, zweifelte nicht an der Dauer seines neuen Glückes. Dalberg verlangte für das Jahr von ihm drei neue Stücke (also außer dem »Fiesco« und der »Luise Millerin« noch eines) und sicherte ihm dafür dreihundert Gulden und die Einnahme von einer Vorstellung jedes Stückes zu; Schiller zweifelte nicht, daß er seiner Verpflichtung nachkommen werde, und glaubte eine Jahreseinnahme von 1200-1400 Gulden voraussehen zu dürfen, mit der er auch einen Teil seiner Schulden, besonders bei Frau von Wolzogen, zu tilgen hoffte. Aber die Wirklichkeit hielt seinen Träumen nicht Wort.
Zuerst hatte er gleich nach Antritt seiner Stellung das Unglück, in der feuchtheißen Rheinebene von einem heftigen Sumpffieber ergriffen zu werden, das damals epidemisch auftrat. Schillers treuer Genosse, der Regisseur Meier, starb daran, und er selbst wurde für zwei Monate dadurch arbeitsunfähig. Aber auch als er genesen war, zeigte sich bald, daß er noch nicht die Selbstbeherrschung besaß, seine bisher in völliger Freiheit geübte literarische Tätigkeit den Forderungen eines bestimmten Amtes anzupassen. Die von Dalberg zur Bearbeitung gestellten dramaturgischen Fragen ließen ihn kalt, und von Stücken, die ihm zur Kritik übergeben wurden, scheint er nur eines, und zwar in sehr kurzen und dürftigen Worten beurteilt zu haben. Sein »Don Carlos« rückte zwar vor, aber durchaus nicht in einem Tempo, – das es möglich scheinen ließ, ihn im Laufe des Jahres zu beenden. Eine Bühnenbearbeitung von Shakespeares »Timon« kam nicht über das Stadium des Planes hinaus. Eifriges Interesse wandte Schiller nur der Einstudierung seiner beiden fertigen Dramen zu, die dann auch mit Erfolg in Szene gingen; etwas kühl war die Aufnahme des »Fiesco«, desto leidenschaftlicher und feuriger die von »Kabale und Liebe«. Schnell gingen diese auch über andere Bühnen Deutschlands, freilich oft in trauriger Verballhornung, – und ohne daß dem Dichter irgend ein klingender Dank dafür zuteil wurde.
Mit sonstigem öffentlichem Auftreten in Mannheim hatte Schiller nicht gerade viel Glück. Eine Theaterrede, die er zur Feier des Namenstages der Kurfürstin verfaßt hatte, konnte nicht gesprochen werden weil sie »scharf und satirisch« ausgefallen war – allerdings ein tragikomischer Mißgriff. Ein Vortrag, den er in der Deutschen Gesellschaft hielt: »Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?« fand keinen besonderen Beifall und wurde nicht in die Schriften der Gesellschaft aufgenommen. Es schien wirklich, als ob Schiller, in die festen Schranken einer amtlichen Stellung eingeschlossen, seine beste Kraft verlöre, als ob nur in der mühsam erstrittenen Freiheit sein Genius sich entfalten könnte. Der Dichter der Räuber sank gegenüber den alltäglichen Anforderungen einer Berufstellung unter die brauchbare und gewandte Mittelmäßigkeit eines Iffland hinab, der ihm in allem und jedem bei dem Freiherrn die Gunst ablief.
Man kann es Dalberg, den wir schon als nicht übermäßig hochfliegenden Geistes kennen, nicht zum Vorwurf machen, wenn er fand, daß die Anstellung Schillers nicht zu seinem Vorteil ausschlage. Um seine fertigen Stücke aufzuführen, dazu brauchte er ihn nicht als Theaterdichter zu besolden. Und als Dramaturg leistete ihm Schiller wenig genug. Daß er ihm gegen Ende seines Anstellungsjahres den Plan einer ganz nach eigenen Gesichtspunkten zu bearbeitenden »Mannheimer Dramaturgie« vorlegte, konnte trotz des durch Lessings Vorgang geweihten Titels auf den Intendanten keinen Eindruck machen; denn erstens wünschte er sicherlich nicht seinem Dramaturgen die Selbständigkeit einzuräumen, die ein solches Unternehmen naturgemäß mit sich brachte, und weiter war er auch neuen finanziellen Opfern, die ihm Schiller mit diesem Plan ansann, gänzlich abgeneigt.
Zugleich erhob sich aber auch eine bedächtige Opposition gegen die Kraftdramatik Schillers, die dem vornehmen Hoftheaterleiter nicht gleichgültig sein konnte. Gotter in Gotha, einer der wenigen noch einflußreichen Vertreter des steifen französischen Geschmackes, gab ein für den Freiherrn gewichtiges Urteil gegen Schillers Produktion ab; in Berlin riß der scharfsinnige Kritiker Moritz »Kabale und Liebe« in grimmiger Weise herunter, und selbst der König der deutschen Schauspieler, Schroeder in Hamburg, warnte den Intendanten vor der allzueifrigen Pflege des Schillerschen Dramas, durch welches Schauspieler und Publikum an allzu starke Effekte gewöhnt wurden. Das letzte machte sich Iffland geschickt zunutze, indem er sich geradezu für unfähig erklärte, Rollen wie Franz Moor oder Wurm öfters zu spielen. Um so mehr empfahlen sich seine eigenen philiströsen Sittenstücke, die weder durch Umsturzgelüste Bedenken erregten, noch durch allzu scharfe Satire beleidigten. Nicht weniger wußte Iffland auch zu feierlichen Anlässen den gewünschten Ton zu treffen. Er ging aber auch auf anderem Wege, in wirklich perfider Art gegen Schiller vor. In einem wertlosen Stück, in dem ein jämmerlicher Dichter »Flickwort« auftrat, verstand es der schlaue Schauspieler, in so berechneter Weise Schiller zu parodieren, daß das Publikum sich höchlichst bei dieser Beobachtung amüsierte, während Iffland selber nachher dem Intendanten sein schmerzliches Bedauern darüber ausdrückte, daß man die Rolle leider auf Schiller bezogen habe, und dieser dadurch in der öffentlichen Meinung herabgesetzt sei!
Schiller dagegen lebte zuversichtlich hin und ahnte nichts von diesen Gefahren und Intrigen. Er hatte offenbar die aus seinem hohen Selbstbewußtsein entspringende Meinung, daß ihn Dalberg nicht so sehr zu positiven einzelnen Leistungen als um seiner Person willen angestellt habe. Er bedurfte noch einer harten äußeren und inneren Schulung, bis er es lernte, seine Überlegenheit nicht in Verachtung, sondern in Beherrschung der Außenwelt zu zeigen. In dem Jahr seiner Theaterdichterschaft ließ er seinen Stimmungen und Neigungen noch mit großer Unbekümmertheit die Zügel schießen. Zum großen Teil beherrschten die Beziehungen zur Frauenwelt sein Gemüt. Zwar waren seine Gedanken noch immer nach Bauerbach gelichtet. Das hinderte aber nicht, daß auch in Mannheim er sich mannigfach gefesselt fühlte. Da war die Tochter des Buchhändlers Schwan, Margarete, eine für einen großen gesellschaftlichen Verkehr erzogene, etwas kokette Weltdame, da war eine junge »Nixe« vom Theater, Katharina Baumann, welchen beiden er eifrige Aufmerksamkeit widmete, so daß Gerüchte von seiner Verlobung schon geschäftig ausgebreitet wurden. Aber sehr mit Unrecht; vielmehr hat Schiller noch im Sommer 1784 in einem seltsam zerfahrenen Briefe nach Bauerbach um Charlottens Hand angehalten, freilich um einige Tage später beim Abschluß desselben Briefes dies als einen »närrischen Einfall« zu entschuldigen! Daß er auf diesen Brief keine Antwort erhielt, kann nicht wundernehmen.
Seine Neigung zu weiblichem Verkehr führte ihn zugleich auch in solche Kreise, wo kein Raum für leidenschaftliche Empfindungen war, sondern nur schöngeistige Interessen gepflegt wurden. In Frankfurt, wo »Kabale und Liebe« gegeben wurde, schloß er eine innige poetische Freundschaft mit Sophie Albrecht, einer geistvollen, aber innerlich unruhigen Frau, die plötzlich ihrer gesellschaftlichen Sphäre entsagt hatte, um sich in schon reiferen Jahren noch der Bühne zu widmen. In Speyer wurde er in den Salon der Frau von La Roche eingeführt, einer Dame, die unter dem Verständnis- und empfindungsvollen Publikum, das unsere großen Dichter fanden, in erster Reihe steht, so wenig auch ihre eigene Produktion bedeutet. Die Jugendfreundin Wielands, die mütterliche Freundin Goethes war zwar Schillers brausender Dichtung innerlich abgeneigt, wünschte aber doch nicht den berühmten jungen Mann zurückzuweisen. Sie zog später auch für einige Monate nach Mannheim hinüber und empfing auch dort Schiller in ihrem Hause.
Unter so Geist und Gemüt anregendem Treiben erhielt Schiller im Sommer 1784, etwa zwei Monate vor Ablauf seines Anstellungsjahrs, in Dalbergs Auftrag durch den Theaterarzt Mai die Anfrage, ob er sich nicht wieder der Medizin zuwenden wolle. Der gewandte Hofmann mochte das für eine genügend klare Andeutung halten, daß er den Kontrakt nicht zu erneuern gedenke. Allein Schiller nahm die Sache mit Arglosigkeit auf; dankbar schrieb er dem Freiherrn, auch er habe wünschen müssen, seiner Existenz eine festere Grundlage zu geben, und hoffe, das mit Dalbergs Entgegenkommen ausführen zu können; ein Jahr lang werde er allerdings für die Bühne nicht viel leisten können, dann aber die Schuld wieder einbringen. Auf diese in der Tat naive Zumutung hat Schiller keine Antwort erhalten. Sein Kontrakt wurde nicht erneuert; ohne Sang und Klang trat der Dichter am 31. August 1784 von der Mannheimer Bühne ab.
War es ohnehin schon eine schlimme Wendung, jetzt nach einem Jahr geordneter Existenz wieder der Unsicherheit einer unberechenbaren Lage preisgegeben zu werden, so wurde die Sache für Schiller geradezu verzweifelt dadurch, daß sich jetzt gerade seine Gläubiger von Stuttgart her mit voller Rücksichtslosigkeit meldeten. Allmählich erst war die Kunde von seiner Anstellung in Mannheim in die Heimat gedrungen. Dann hatte das Gerücht sehr bald die Vorteile dieser Anstellung weit übertrieben, und die Gläubiger machten sich jetzt Rechnung auf volle Bezahlung. Schiller war aber ohnehin in seinen sanguinischen pekuniären Berechnungen enttäuscht worden, hatte durch seine Krankheit beträchtliche Ausgaben gehabt und sah sich von allen Mitteln entblößt, als er nun seine Stellung verlor. Und ein boshaftes Mißgeschick wollte, daß gerade jetzt, wo die schachernden Gläubiger auf ihre Scheine pochten, auch seine Gönnerin und Freundin, Frau von Wolzogen, in pekuniäre Nöte geriet und die Erstattung ihres Darlehens wünschte. Die Unmöglichkeit, diesen Wunsch zu befriedigen, war für Schiller weit peinlicher als die Drohungen der anderen. In seiner Verzweiflung schrieb er seinem Vater um Hilfe; aber der ehrenfeste Mann, der selber nichts hatte, war nach allen seinen Grundsätzen weit davon entfernt, um seines, wie er meinte, irrenden Sohnes willen selbst Schulden zu machen. Da wäre er wohl ein schlechter Vater gegen seine anderen Kinder, schrieb er, wenn er seinen Hausstand so belasten wollte für einen Sohn, der ihm von dem vielen, was er versprochen, noch so wenig habe halten können. Es macht einen peinlichen Eindruck, diesen Briefwechsel zu lesen, in welchem ein genialer, aber noch unreifer Sohn und ein beschränkter, aber charaktervoller Vater sich mit gutem Willen gegenseitig suchen, aber nicht finden können. Schiller konnte den Beweis für seinen Standpunkt nur durch die Tat führen, und das hatte er bisher in Wahrheit noch nicht getan. In den zwei Jahren seit seiner Flucht hatte er seine Kraft, selber des Schicksals Schmied zu sein, noch nicht genugsam erwiesen, und auch in der Dichtung hatte er den Ruhm seiner »Räuber« wohl aufrecht erhalten, aber nicht gesteigert. Welche bitteren Empfindungen müssen ihn erfüllt haben, wenn er immer noch mit Verweisungen auf die Zukunft antworten mußte, denen man keinen rechten Glauben mehr schenkte! Aber felsenfest blieb er im Vertrauen auf seinen inneren Beruf. Seinem Lehrer Abel, der ihn einstmals in Mannheim besuchte, gab er die Versicherung, er wisse, er fühle es, es werde eine Zeit kommen, wo sein Name mit ausgezeichneter Achtung durch ganz Deutschland werde genannt werden, – und dann werde er auch eine seinen Wünschen entsprechende Lage erhalten!
Jetzt freilich mußte er es noch als ein besonderes Glück erachten, wenn ihn schließlich die Gutheit einfacher Leute, bei denen er wohnte, aus der schlimmsten Not riß. Das Ehepaar Hölzel war es, das dafür sorgte, daß Schiller wenigstens gerichtlicher Verfolgung entging. Der Frau von Wolzogen Schuldner mußte er bleiben. Den Hölzels konnte er viele Jahre später (als er seine Schuld natürlich längst abgetragen hatte) entscheidende Hilfe leisten, als die Familie alles verloren und sich vertrauensvoll an ihn nach Weimar gewandt hatte.
Mit dem Theater zerfallen, richtete Schiller nun sein Bestreben auf die publizistische Tätigkeit. Vom Dichten konnte er nicht leben, aber er glaubte bei der Berühmtheit, deren sein Name schon genoß, mit einer Zeitschrift, die wesentlich sein eigenes Werk wäre, bedeutenden Erfolg erzielen zu können. Die »Rheinische Thalia« war das Unternehmen, für welches er wieder mit sanguinischen Hoffnungen das Publikum zu vorgängiger Subskription einlud. Manche angesehenen Autoren hatte er um ihr Interesse für die Zeitschrift ersucht und dabei weit mehr diplomatische Geschicklichkeit aufgeboten, als ihm gegen Dalberg je gelungen war: Gleim, Jacobi, Boie; als Mitarbeiter hat er sie kaum ernstlich ins Auge gefaßt; er wollte nicht als Herausgeber, sondern mit seiner ganzen schriftstellerischen Persönlichkeit hier vor der Welt erscheinen. Die ganze Fülle seiner Vorsätze und seiner Erwartungen spricht sich in dem »Avertissement« der neuen Zeitschrift aus.
»Ich schreibe als Weltbürger, der keinem Fürsten dient«, bekennt er freimütig, und in scharfen Ausdrücken eröffnet er den Lesern alles, was erstickend in seiner Jugend auf ihm gelastet hatte. Streng tadelt er die Mängel seines Erstlingswerkes, die sich daraus ergeben hätten. Er erklärt, daß dieses Werk ihn von Vaterland und Familie fortgerissen habe. An das ganze literarisch-urteilsfähige Deutschland wendet er sich. »Das Publikum ist mir jetzt alles, mein Studium, mein Souverän, mein Vertrauter. Ihm allein gehör' ich jetzt an. Vor diesem und keinem anderen Tribunal werd' ich mich stellen. Dieses nur fürcht' ich und verehre ich. Etwas Großes wandelt mich an bei der Vorstellung, keine andere Fessel zu tragen als den Ausspruch der Welt, an keinen anderen Thron mehr zu appellieren als an die menschliche Seele.« Wenige Jahre später hatten die Erfahrungen auch dieses schwärmerische Vertrauen auf die Lesewelt gründlich zerstört; über das »Publikum« hat Schiller später nur sehr herbe geurteilt.
Der Inhalt der »Thalia« sollte nach der Ankündigung, obgleich im wesentlichen vom Herausgeber verfaßt, doch ein recht reichhaltiger sein. Es werden versprochen: Gemälde merkwürdiger Menschen und Handlungen, Philosophie für das handelnde Leben, schöne Natur und Kunst in der Pfalz, Theaterkritik, Gedichte und dramatische Fragmente, Kritiken, Selbstbekenntnisse und Miscellen. Aber trotz aller Verheißungen fiel die Subskription doch recht mangelhaft aus. Unter schweren Sorgen arbeitete Schiller im Winter von 1784 auf 85 das erste Heft aus. Den Hauptinhalt bildete der Anfang des Don Carlos, dessen erster Akt, in Jamben gedichtet, Zeugnis davon ablegte, daß Schiller der realistischen Jugenddichtung Valet gesagt hatte und nach einer reineren Kunstform strebte. Und für diese wichtige Wandlung in seiner dichterischen Persönlichkeit sind auch mehrere der Prosaaufsätze des Heftes bedeutungsvoll. Einen wichtigen Fingerzeig gibt uns der »Brief eines reisenden Dänen«, der den »Antikensaal zu Mannheim« schildert. Zum erstenmal waren in Mannheim Eindrücke des klassischen Altertums für Schiller wertvoll geworden. Der Unterricht in den alten Sprachen, den er erhalten hatte, war trockene grammatische Strohdrescherei gewesen; die antike Kunst war in Schwaben kaum in seinen Gesichtskreis getreten. Jedenfalls hatte er in der Heimat keine Einwirkung empfangen, die irgend dem »englischen Geschmack« gleichartig gewesen wäre und ihm ein Gegengewicht hätte bieten können. In Mannheim aber fand Schiller eine trefflich ausgewählte Sammlung von Antiken, die, wenn auch nur aus Abgüssen bestehend, doch in Deutschland damals kaum ihresgleichen hatte. Kurfürst Karl Theodor hatte sie angelegt, und damit Mannheim zu einem Anziehungspunkt und Wallfahrtsort für Freunde der Kunst gemacht, der nur von Dresden übertroffen wurde, das sich freilich antiker Originale rühmen durfte. Die Eindrücke, die hier auf ihn einstürmten, läßt Schiller seinen, reisenden Dänen aussprechen. »Empfangen von dem allmächtigen Wehen des griechischen Genius trittst du in diesen Tempel der Kunst. Schon deine erste Überraschung hat etwas Ehrwürdiges, Heiliges. Eine unsichtbare Hand scheint die Hülle der Vergangenheit vor deinem Auge wegzustreifen ....« Begeistert, natürlich ohne jede kritische Unterscheidung, preist er nacheinander den Herkules (Farnese), Laokoon, Apoll von Belvedere, einen Niobiden, den Antinous (wohl den Hermes vom Vatikan), endlich den durch Winckelmann so berühmt gewordenen »Torso«. »Freund! Dieser Torso erzählt mir, daß vor zwei Jahrtausenden ein großer Mensch dagewesen, der so etwas schaffen konnte, daß ein Volk dagewesen, das einem Künstler, der so etwas schuf, Ideale gab, daß dieses Volk an Wahrheit und Schönheit glaubte, weil einer aus seiner Mitte Wahrheit und Schönheit fühlte, daß dieses Volk edel gewesen, weil Tugend und Schönheit nur Schwestern der nämlichen Mutter sind. – Siehe Freund, so habe ich Griechenland in dem Torso geahnt ...... Dieser Rumpf liegt da, unerreichbar, unvertilgbar, eine unwidersprechliche, ewige Urkunde des göttlichen Griechenland, eine Ausforderung dieses Volkes an alle Völker der Erde.« So überschwänglich auch diese Äußerungen sind, wir können sie dem jungen Dichter nachfühlen, der aus der dunkeln und wilden Leidenschaft seiner Erstlingswerke emporstrebend hier ein heiteres, sonniges Reich unvergänglicher Schönheit zu ahnen begann.
Auch der Vortrag über die »Schaubühne«, den Schiller jetzt in der »Thalia« erscheinen ließ, bekennt, daß die Kunst nicht mehr sei, was sie »unter Aspasia und Perikles« gewesen, und daß die Nation, bei der sie damals geblüht, noch heute unser Muster sei. Diese Anschauung war Schiller bis dahin gänzlich fern gelegen, jetzt aber gab er ihr auch praktische Folge, indem er in Komposition und Ausdruck nach künstlerischem Ebenmaß zu streben sich bemühte. In jenem Vortrag setzt Schiller überhaupt die erste und grundlegende Aufgabe der dramatischen Kunst in ihre ästhetische Wirkung; wie anders hatte er einst in der Vorrede zu den Räubern sich ausgesprochen! Und schon taucht auch der Gedanke auf, den er später so fruchtbar zu machen gewußt hat, daß der ästhetische Zustand ein Mittelzustand sei zwischen geistiger Tätigkeit und sinnlichem Effekt, ein Zustand, »der jeder Seelenkraft Nahrung gibt, ohne eine einzige zu überspannen«. Im weiteren Fortgang freilich spinnt Schiller dann ausführlich den Gedanken an eine sittliche Wirkung der Bühne aus, durch den er vergeblich das Interesse der »kurpfälzischen Deutschen Gesellschaft« für das Theater hatte gewinnen wollen. »Die Schaubühne«, verkündigt er, »ist der gemeinschaftliche Kanal, in welchen von dem besseren Teile des Volkes das Licht der Weisheit herunterströmt und von da aus in milderen Strahlen durch den ganzen Staat sich verbreitet.« Und das schönste Ergebnis dieser Wirkung kennzeichnet Schiller als echter Sohn des Zeitalters der Humanität damit, daß jeder empfinden lerne – ein Mensch zu sein. Der später – zuerst 1802 – gewählte Titel »Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet« entspricht nicht ganz dem lebendigen Reichtum des Inhaltes.
Was das erste Thalia-Heft speziell über das Mannheimer Theater brachte, war ziemlich unbedeutend; Schiller fühlte sich hier wohl noch durch Rücksichten gehindert, obgleich auch schon das, was er Kritisches zu sagen wagte, unter den Schauspielern heftige Entrüstung erregte. Auch die Novelle »Merkwürdiges Beispiel einer weiblichen Rache«, welche Diderot nacherzählt ist, hat zwar eine lebendig fließende Sprache, bietet aber in Handlung und Charakterzeichnung kein tieferes Interesse. Der Hauptanziehungspunkt des Heftes war zweifellos der erste Akt des »Don Carlos«, der darin erschien, freilich noch in unverhältnismäßiger Breite und mit manchen Zeugnissen der Unsicherheit, mit der der Dichter sich hier an einem neuen Stilprinzip versuchte.
Dieser erste Akt war aber auch schon der Anlaß gewesen, daß Schiller in persönliche Beziehung zu dem Fürsten trat, den er später als seinen höchsten Schutzherrn verehren sollte. Das Bild des musenliebenden Herzogs Karl August von Weimar mochte dem Dichter wohl lebendig geblieben sein seit dem Tage, da er in Begleitung Goethes der Preisverteilung unter den Karlsschülern anwohnte. Jetzt hatte es sich gefügt, daß der Herzog im Dezember 1784 dem Darmstädter Hof einen Besuch abstattete. Schiller in seiner Ratlosigkeit mußte es als ein Glück betrachten, wenn es ihm gelang, den Gönner Wielands, Goethes und Herders für sich zu interessieren. Durch Vermittelung einer Mannheimer Freundin, der Frau von Kalb, erhielt er eine Empfehlung an den Herzog, der gern darauf einging, sich den Anfang des »Don Carlos« von Schiller vortragen zu lassen. Auch die Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz, die spätere Königin von Preußen, war damals in Darmstadt anwesend und hörte mit anderen Fürstlichkeiten von dem zugleich berühmten und geschmähten Dichter sein neues, freiheitglühendes Werk. Karl August bewies sich sehr gnädig und verlieh Schiller den Ratstitel. Für den in seiner bürgerlichen Existenz noch immer so haltlosen Flüchtling war dies ein großes Geschenk, das ihn in den Augen der »Gesellschaft«, besonders auch in seiner Heimat rehabilitierte. In einer überschwänglichen Widmung des ersten Altes dankte der Dichter dem »edelsten von Deutschlands Fürsten«, jetzt auch seinem Fürsten.
Aber – leben konnte Schiller auch vom Ratstitel nicht. Seine Lage in Mannheim wurde immer schwieriger und durch die ungenügende Subskription auf die »Thalia« auch immer aussichtsloser. Zudem war auch seine persönliche Stimmung durch nagenden Unmut verdorben. Der Ort so schlimmer Enttäuschung konnte ihm keine wahre Heimat werden; er sehnte sich fort. Die Entscheidung aber brachte erst ein schweres inneres Erlebnis, das die ersten Monate des neuen Jahres belastete und qualvoll machte. Zum erstenmal war Schiller tatsächlich von heftiger Leidenschaft erfaßt worden; ja vielleicht ist es das einzige Mal in seinem Leben, wo wir von wirklicher Liebesleidenschaft reden dürfen. Und es ist für sein persönliches Wesen sehr bezeichnend, daß er diese Leidenschaft nicht als ein Glück empfand, sondern als eine fremde Macht, die gewalttätig und überwältigend auf ihn einstürmte. Den Namen des ihn umstrickenden und bezaubernden Weibes haben wir genannt, es war Charlotte von Kalb, geborene Marschall von Ostheim. Unter den Frauen, die Schiller nahe getreten sind – seine spätere Gattin nicht ausgeschlossen –, ist Charlotte von Kalb die geistvollste und eigenartigste. Aber an der bedeutend angelegten Frau haftete ein Fluch, die Unfähigkeit, das richtige Verhältnis zur umgebenden Welt zu finden. Sie war nicht eine, »die durchs Leben gehen konnte ohne Wunsch«, und sie hatte doch nicht den Mut, ihre eigenen Wünsche zu erfüllen. Von der Welt, die sie verachtete, war sie innerlich doch abhängig. Sie wäre gern wie eine Frau von Staël oder Karoline Schlegel auf eigenen Pfaden durchs Leben gewandert; aber dazu reichte die Kraft nicht. So war sie zu einem unglücklichen Dasein prädestiniert, das durch mancherlei Mißgeschick noch gesteigert wurde. Als Schiller sie kennen lernte, zählte sie dreiundzwanzig Jahre und war seit kaum einem Jahr verheiratet. Ihre Eltern hatte sie früh verloren und war genötigt gewesen, ihrem Bewerber, Offizier in französischen Diensten, aus äußeren Gründen ihre Hand zu reichen. In Mannheim lebte sie allein, während ihr Gatte in Landau in Garnison stand, aber häufig mit Urlaub herüberkam. Theater zog sie lebhaft an, und ihr Sinn für Poesie war rege und fein entwickelt. An Anknüpfung fehlte es also Schiller nicht, und welch fesselnden Eindruck er auf die junge, sich einsam fühlende Frau ausübte, davon hat sie später in ihren Aufzeichnungen in romanhafter Einkleidung Zeugnis abgelegt. Nicht minder groß mußte die Wirkung sein, die Schiller empfand. Zum erstenmal sah er sich einem Weibe gegenüber, das zugleich ihm imponierend und anziehend erschien; zum erstenmal konnte seine gesamte Persönlichkeit in einem solchen Verhältnis volles Genüge finden. Mit gewaltiger Raschheit steigerte sich die Freundschaft zur Liebe, und wurden beide sich gegenseitig unentbehrlich. Und dennoch – nur kurze Zeit währte das innige Verhältnis. Wäre Charlotte um zehn Jahre älter gewesen, so hätte sie vielleicht wie Charlotte von Stein es verstanden, den sie verehrenden Dichter klug berechnend in langer Abhängigkeit zu halten. Aber sie war noch jung, Leben-verlangend, unfähig da zu klügeln und zu zaudern, wo sie empfand, und so stieg die Leidenschaft schnell zu einer Krisis, die zum Bruch wurde. Keine ausdrückliche, schriftliche oder mündliche Äußerung Schillers berichtet uns darüber. Um so eindringlicher reden die zwei Gedichte, welche jener Zeit entstammen. Das erste – Der Kampf – ist später von dem Dichter um seine bezeichnendsten Strophen gekürzt worden. Es führt zuerst den Titel »Freigeisterei der Leidenschaft« mit der irreführenden Jahreszahl 1792.
Nein länger – länger werd ich diesen Kampf nicht kämpfen,
Den Riesenkampf der Pflicht.
Kannst du des Herzens Flammentrieb nicht dämpfen,
So fordre, Tugend, dieses Opfer nicht ....
Sieh, Göttin, mich zu deines Thrones Stufen,
Wo ich noch jüngst, ein frecher Beter lag:
Mein übereilter Eid sei widerrufen,
Vernichtet sei der schreckliche Vertrag ....
Mir schauerte vor dem so nahen Glücke,
Und ich errang es nicht!
Vor deiner Gottheit taumelte mein Mut zurücke,
Ich Rasender! und ich errang es nicht.
Schiller riß sich los, aber mit welchem Gefühl innerlicher Zerstörung und Leere, – das zeigt uns das zweite Gedicht der Zeit »Resignation«. Es ist das pessimistischste Gedicht, das Schiller jemals verfaßt hat, ja es ist das einzige wirklich pessimistische. Oft genug hören wir ja Schiller den Lauf der Welt mit bitteren Worten abschätzen und verurteilen; aber immer erhebt ihn zugleich die Kraft seines Idealismus über die »Angst des Irdischen«. Hier ist es der Idealismus selber, an welchem er seinen schneidenden Hohn ausläßt, der sich vergebens in das Gewand der »Resignation« zu hüllen sucht. »Was man von der Minute ausgeschlagen, gibt keine Ewigkeit zurück«, – in dieser gramvollen Hoffnungslosigkeit klingt das Gedicht aus.
Es ist ein Symbol des quälenden Zustandes, in den Schiller durch innere und äußere Erlebnisse in Mannheim schließlich geraten war. Er mußte sich herausreißen – so oder so. Und auf eine wundersame Weise hatte sein Geschick ihm unterdes schon das Rettungsseil zubereitet, an das er sich nun klammerte, um wieder festen Boden zu erreichen.