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7

Du mußt Geduld haben, Sahib«, hatte Miriam gesagt.

Fürbringer hatte keine. Miriam dafür um so mehr. Immer wieder und immer mit derselben sanften Geschäftigkeit erzählte sie dem Mann, der mit seinen Fragen ihr Herz und ihr Gehirn umschütten wollte wie Gefäße, wo und wann sie der weißen fremden Frau begegnet war. Und immer wieder sagte sie ihr sicheres Ja, wenn er Bestätigung haben wollte für die Kennzeichen, mit denen sein Verstand und seine Liebe die Frau beschrieben.

Ja, sie hatte blondes Haar und ein reines, bleiches Gesicht, an dem rasches Blut beständig zum Verräter wurde. Ja, sie hatte eine kleine Narbe über der linken Braue und anbetungswürdige Hände. Sie hatte auch die Gewohnheit, wenn sie schweigend stand, diese schönen, vielgeliebten Hände leicht ineinanderzufalten und so lange still dazustehen und einem Redenden zuzuhören, was noch den Eindruck verstärkte, als ruhe sie in sich selbst.

Ja, sie war schön wie die Erfüllung, und wenn sie lächelte, war es wunderlich, daß die Dunkelheit nicht zu Helle wurde vor der Zeit und die kleinen Vögel nicht zu singen begannen um Mitternacht. Und Miriam hatte sie gesehen, als sie kam, denn sie war von den anderen Mädchen fortgeschlichen, weil jene sie gequält hatten wie Skorpione.

Da sah sie die Frau.

»Ist sie nicht schön, Miriam –?«

»Ja, Sahib, sie ist schön …«

Oh, sie hatte sie lange angesehen, im Pfeilerwerk der Treppe versteckt. Niemand hatte ihrer geachtet; auch war es dunkel gewesen, wo sie kauerte. Und sie hatte sich nicht gerührt.

»Sei ohne Sorge, Sahib …«

Wo die Herrin war? Das wußte Miriam nicht. Der Palast hatte viele Gemächer, und Ramigani – oh, Ramigani hatte die Augen einer Krähe. Man mußte sich hüten vor seinen Augen. Aber da der Sahib sich sehnte, zu erfahren, wo die weiße Frau atmete, und da ihm das Herz brannte, ein Zeichen ihrer Gegenwart in seinen Händen zu halten, bis er sie selbst, die Frau, die sehr geliebte, in seinen Armen hielt, so würde sie hingehen, die kleine Miriam, die er seine Schwester genannt hatte, und würde die Krähenaugen Ramiganis blind machen mit List und Mut, o ja, sie hatte Mut, wenn es dem Sahib galt!

Und sie würde eine Stunde finden, in der die weiße Frau allein war, und würde ihr Kleid anrühren und zu ihr sagen: Mich schickt der Mann, der dich liebt, und dessen Seele krank ist, da er sich sorgt um dich … Und sie würde wiederkommen und ein Zeichen bringen – ein Zeichen, das sich mit den Händen greifen ließ.

»Aber du mußt Geduld haben, Sahib.«

Fürbringer sah ein, daß er das mußte. Aber er hatte das Fieber in allen Nerven. Um mit ihm und mit sich auf gute Weise fertig zu werden, griff er nach dem einzigen Mittel, das ihm zur Verfügung stand und ein untrügliches war: er arbeitete. Obwohl er wußte, daß er das Werk, das indische Grabmal, nie ausführen würde, liebte er es doch mit einer schmerzlichen Schöpferliebe und freute sich am Reifen seiner Pläne.

Er vergnügte sich daran, aus dem ungeheuren Chaos des Ganzen einzelnes herauszulösen und ihm Vollendung zu verleihen – die zarte, starke und vollkommene Vollendung des Gedankens. Vielleicht gerade, weil er entschlossen war, in Wirklichkeit seine Weigerung, der Totengräber einer Getöteten zu werden, aufrechtzuerhalten, vielleicht gerade, weil seine Meldung an den Fürsten, daß er das Grabmal bauen wolle, nur Schachzug gegen Schachzug war, wuchsen seine Entwürfe ohne jede Hemmung über sich selbst hinaus, das menschliche Maß verleugnend.

Und es konnte ihn, wenn er seine Pläne vor sich ausbreitete, sie entrollte unter dem Sturz des weißen Lichtes, dessen Warten nun doch belohnt zu werden schien, ein solcher Rausch, eine solche Erschütterung des Schaffens überkommen, als hielte er in seinen beiden Händen die Welt des ersten Schöpfungstages, um sie der Ewigkeit zu schenken …

Seine Hoheit der Fürst von Eschnapur hatte die Meldung Ramiganis empfangen und nahm sie anscheinend durchaus ernst. Wenige Stunden, nachdem Fürbringer den Diener zu ihm geschickt hatte, ließ er sich durch Nissa bei Fürbringer melden. Er streckte seinem Gast die Hand entgegen und schüttelte sie kräftig.

»Sie sind an der Arbeit? Das freut mich!« sagte er, mit einem zupackenden Blick die verstreuten Papiere auf dem Tisch überfliegend.

»Was haben Sie?« fragte er unvermittelt und sah Fürbringer ins Gesicht.

»Nichts von Bedeutung, Hoheit – eine leichte Verletzung der Hand.«

Fürbringer lehnte sich rückwärts gegen den Tisch und steckte die Hände in die Taschen.

Die Augenbrauen des Fürsten zuckten leise. Seine Lider drückten sich zusammen.

»Ich hoffe, es ist wirklich nichts von Bedeutung«, meinte er etwas langsam.

»Durchaus nicht, Hoheit …«

»Immerhin – nehmen Sie sich mit Verletzungen in acht in diesem Lande! Es ist ein ungünstiges Klima für Wunden aller Art … Soll ich Ihnen meinen Arzt schicken?«

»Die Sache ist nicht der Rede wert, Hoheit – bemühen Sie sich nicht …«

»Sie können ruhig Vertrauen zu ihm haben. Ich verfolge mit meinen Ärzten die Maßregeln der Chinesen, die ich als äußerst zweckmäßig befunden habe. Ich bezahle den Mann, dem meine Gesundheit anvertraut ist, ausgezeichnet, solange ich mich wohl befinde. Werde ich krank, entziehe ich ihm die Löhnung  … Ich muß sagen, daß ich selten krank bin und jedesmal erfreulich rasch genese. Ich würde Ihnen sehr gern Gelegenheit geben, sich selbst von der Zweckmäßigkeit dieses Verfahrens zu überzeugen.«

»Sehr liebenswürdig, Hoheit – meine Hände werden in kürzester Zeit auch ohnedies geheilt sein …«

Der Fürst lächelte, einen Mundwinkel verziehend. »Sie sind also mit Miriams Pflege vertrauensvoll zufrieden?«

»Vollkommen.«

»Das freut mich … Im übrigen – ich möchte nicht aufdringlich erscheinen. Es liegt mir nur sehr viel daran, daß Sie unter meinem Dache nichts vermissen, Herr Fürbringer … Ich habe mich außerordentlich gefreut, als Ramigani mir die Nachricht brachte, daß Sie sich zum Bau des Denkmals entschlossen hätten. Wenn es Ihnen recht ist, besprechen wir zuerst das Geschäftliche der Angelegenheit und setzen den Vertrag auf. Bitte, nennen Sie mir die Summe, die Ihnen für Ihre Arbeit angemessen erscheint. Und seien Sie überzeugt, daß ich mich immer als Ihren Schuldner betrachten werde, der Unbezahlbares kaufte – weit unter seinem Werte!«

»Ich wünsche dieses Werk nicht an Sie zu verkaufen, Hoheit«, sagte Michael Fürbringer.

Die beiden Männer standen sich am Tisch gegenüber. Der Inder hob den Kopf und sah den Deutschen an.

»Wie beliebt?« fragte er.

»Ich wünsche dieses Werk nicht an Sie zu verkaufen, Hoheit«, wiederholte Fürbringer unbetont.

Der Radscha zog sich einen Stuhl heran und ließ sich nieder.

»Bitte, setzen Sie sich doch!« sagte er liebenswürdig. »Es vereinfacht die Verhandlungen ungemein … Rauchen Sie?«

»Später, Hoheit, wenn ich bitten darf …«

Das Lächeln des Inders vertiefte sich; es nahm Besitz von allen seinen Zügen.

»Dann werden Sie also gegen mich im Vorteil sein«, meinte er, sich die Zigarette anzündend. »Der Nichtraucher ist immer im Vorteil. Er steht nicht in Gefahr, sich vom Behagen, das der Tabakgenuß bereitet, verleiten zu lassen, nachgiebiger zu sein, als für seine Pläne klug wäre, und achtet schärfer auf die Schwächen seines Gegners. Ich werde also auf meiner Hut sein müssen, und bitte Sie außerdem um Nachsicht, Herr Fürbringer. So sehr ich Ihre Sprache liebe, so fehlen mir doch manchmal die Vokabeln … Bitte, was meinten Sie mit dem Ausspruch, daß Sie nicht wünschten, mir das Grabmal zu verkaufen? Habe ich Sie mißverstanden, als ich glaubte, Sie wollten den Bau übernehmen?«

»Durchaus nicht, Hoheit. Ich bin im Gegenteil fest entschlossen, das Grabmal zu bauen, und gedenke ohne Verzug an die Ausführung der Pläne zu gehen. Aber – verzeihen Sie, Hoheit – Sie nannten selbst ein solches Werk ein unbezahlbares … Kunst sollte nicht käuflich sein. Geld prostituiert. Ich möchte schaffen können ohne die Peinlichkeit des Geldgedankens – nicht für Sie, sondern für mich, Hoheit, und wir würden beide am Ende Grund zur Dankbarkeit haben: Sie für das Werk, ich für die Gelegenheit dazu. Der Vorzug, Ihr Gast zu sein, die Annehmlichkeiten der Reise und die Fülle des Anregenden, die sich mir in diesem Lande bietet, sind eine reichliche Entschädigung für die Zeit, die ich dem Werke widmen muß. Ich bitte Sie darum nochmals, Hoheit, das in Wahrheit Unbezahlbare nicht durch Bezahlung zu entwerten. Ich schaffe – das genügt mir …«

Der Fürst sah Fürbringer aufmerksam und mit einer gewissen Unentwegtheit an.

»Ausgezeichnet«, sagte er, als Fürbringer schwieg. »Wenn ich Sie also recht verstanden habe, so bieten Sie mir das Grabmal zum Geschenk an … nicht wahr?«

»Es ist nicht ganz das richtige Wort, Hoheit – aber das einfachste«, entgegnete Fürbringer.

Die schmalen Lippen des Inders klafften ein wenig, als er zu dem Deutschen, der sich erhoben hatte, aufblickte.

»Das wäre ein königliches Geschenk«, meinte er; »fast könnte man in Versuchung sein, zu sagen: ein göttliches … Es tut mir aufrichtig leid, daß ich nicht reich genug bin, es anzunehmen.«

»Jetzt bin ich es, der um eine Erklärung bitten muß«, sagte Michael Fürbringer. Er kreuzte die Arme über der Brust.

»Sie ist unendlich einfach«, antwortete der Fürst. »Nach meinen Erfahrungen ist Geschenke anzunehmen ein Luxus, den sich nur ganz wenige Menschen erlauben können. Die meisten kommt er so teuer zu stehen, daß er sie zugrunde richtet. Ich bitte Sie daher um die Liebenswürdigkeit, Herr Fürbringer, Ihnen, wenn selbstverständlich auch nicht Ihre Kunst, so doch Ihre Arbeit bezahlen zu dürfen. Diese kleine Vorsichtsmaßregel müssen Sie dem Kaufmann in mir zugute halten. Um so mehr, als ich sonst gezwungen wäre, mich selbst beständig zu überbieten. Also bitte, nennen Sie mir Ihren Preis!«

Fürbringer schwieg. Der Radscha stand auf und lehnte sich neben ihm leicht gegen den Tisch.

»Ich weiß, woran Sie denken«, sagte er liebenswürdig. »Sie erinnern sich an meinen Ausspruch über die Käuflichkeit der Menschen. Ich bitte Sie darum, ihn zu vergessen. Und falls Sie das nicht können, lassen Sie mich der Überzeugung Ausdruck geben, daß er an Ihnen unter allen Umständen zuschanden geworden wäre! Genügt Ihnen das?«

Fürbringer verbeugte sich. »Vollkommen, Hoheit.«

»Wenn es Ihnen also recht ist«, fuhr der Fürst mit der ihm eigenen, knabenhaften Leichtigkeit fort, »dann legen wir unserem Vertrag mein erstes Angebot zugrunde und überlassen es Ramigani, der ein Schriftgelehrter ist, obwohl man es ihm nicht ansieht, die geeignete Form zu finden, die die Rechte beider Teile wahrt. Sind Sie damit einverstanden?«

»Selbstverständlich, Hoheit«, sagte Fürbringer, die Hand des Fürsten ergreifend und schüttelnd.

»Gut, gut … ich bin froh, daß wir das Geschäftliche erledigt haben. Ich finde, Geldangelegenheiten berauben den Menschen in den meisten Fällen jeglicher holden Täuschung über sich selbst; und da er diese fast immer nötig hat, um das Leben mit dem eigenen Ich ertragen zu können, so ist das doppelt peinlich … Lassen wir das! Der Zweck meines heutigen Besuches war ein anderer – ich wollte Ihnen den Vorschlag machen, mit mir in die Stadt zu reiten, um Mohammed ben Hassan, den Juwelenhändler, aufzusuchen.«

»Eine Sehenswürdigkeit?« fragte Fürbringer lächelnd.

»Ganz gewiß! Er ist ein Moslem, der das reichste Juwelenlager vielleicht von ganz Indien besitzt und die Hindus ausnahmslos unsäglich verachtet. Was ihn nicht abhält, sie mit der klassischen Geste eines Rechtgläubigen, der den Koran am Halse trägt, zu begaunern. Da aber in diesem gesegneten Lande die Betrügerei allgemein und durch Überlieferung geheiligt ist, so hat Mohammed ben Hassan vor den übrigen Gaunern nichts voraus als die schöne Feierlichkeit seiner Gebärde, die es geradezu zum Genuß macht, sein Opfer zu werden. Er hat mir vor einiger Zeit einen Boten geschickt, der einen sehr schmeichelhaften Spruch aufsagte und mich einlud, die neu eingetroffenen Schätze seines Gebieters in Augenschein zu nehmen. Damals hatte ich keine Lust, denn die Gottheiten in den Tempeln Eschnapurs platzen von Juwelen, und meine Tänzerinnen keuchen unter ihrem Schmuck. Aber jetzt, da Sie im Innern des Grabmals einen Garten aus Edelsteinen pflanzen wollen, bedarf ich der Hilfe Mohammed ben Hassans und bin überzeugt davon, daß er unsere Ansprüche vollauf befriedigen kann.«

»Sie haben zu befehlen, Hoheit, wann Sie aufzubrechen wünschen«, sagte Fürbringer.

»Dann erbitte ich mir Ihre Begleitung in einer halben Stunde … Ich verspreche Ihnen, daß ich pünktlich sein werde«, fügte er mit einem herzlichen Lächeln hinzu.

Fürbringer begleitete ihn zur Tür. Als er allein war, stemmte er seine Hände flach gegen seine Brust und blies den Atem über die Lippen.

Es war nicht möglich, sich diesem Lächeln zu entziehen. Es warb mit der Anmut einer Frau, die ihres Sieges gewiß ist und doppelt schön erscheint, weil sie nichts fürchtet.

Er sah sich nach Miriam um, aber sie befand sich in keinem seiner Zimmer. Nur ihr bunter Schmuck lag in allen Winkeln verstreut, als wäre sie mitten im Spiel davongelaufen.

Vielleicht suchte sie die fremde, weiße Frau, nach der sich die Seele ihres Herrn sehnte …

Fürbringer fuhr sich mit der Hand über die Stirn; er sah sich fremd um und ging aus dem Zimmer.

Der Fürst hielt Wort – er war pünktlich.

Als sie zusammen über den See fuhren, bückte sich Fürbringer über den Rand des Bootes, als wollte er die Tiefe des Wassers ergründen.

»Sind Sie ein guter Schwimmer?« fragte der Fürst beiläufig.

»O ja«, antwortete Fürbringer; unwillkürlich richtete er sich auf und sah den Fürsten an.

Der blickte über das Wasser hin; er rauchte.

»Es gibt eine eigentümliche Geschichte vom Erbauer des Palastes auf der Insel«, sagte er nachdenklich. »Es wird erzählt, daß er viele Sklaven hatte, und wenn einer von ihnen des Todes schuldig geworden war, schenkte sein Gebieter ihm das Leben unter der Bedingung, daß es ihm gelingen würde, vom Palast aus schwimmend eines der Seeufer zu erreichen. Da er ein etwas ungeduldiger Herr war, mußten sich überraschend viele seiner Sklaven dem Todesurteil und der bedingten Gnade unterwerfen. Die Legende, der man morgenländische Übertreibung zugute halten muß, spricht von nahezu tausend. Die Überlieferungen konnten sich in der Zahl nicht einig werden. Aber sie berichten einstimmig, daß es keinem von tausend gelang, das jenseitige Ufer zu erreichen.«

»Hat die Legende nicht wenigstens den Grund des Mißlingens angegeben?« fragte Fürbringer mit gesenkten Mundwinkeln.

Der Fürst zuckte die Achseln und stäubte die Asche ins Wasser.

»Der Moslem kannte anscheinend die Eigenschaften des Sees, für die er wahrscheinlich sogar verantwortlich war. Die Sage spricht von ungeheuren Strömen, die den See in seiner Tiefe kreuzen. Tatsache ist, daß der Fluß, über den wir neulich geritten sind, keine Mündung besitzt, sondern nahe der Stadt in einem Loch verschwindet. Und ebenso ist es Tatsache, daß der See nichts wiedergibt, was er einmal gepackt hat. Ich selbst habe auf diese Weise vor noch gar nicht langer Zeit einen meiner schönsten Hunde verloren, der ein ausgezeichneter Schwimmer war und kühn wie der Morgen. Ich saß im Boote, und er sprang mir nach, verfehlte das Boot, schwamm und ging unter. Es war ein eigentümlicher Anblick; ich möchte ihn nicht noch einmal erleben.«

»Hm«, machte Michael Fürbringer.

Sie erreichten das Ufer und stiegen an Land.

»Erschrecken Sie nicht«, sagte der Radscha, »Sie werden einen kleinen Elefantenritt über sich ergehen lassen müssen. Mohammed ben Hassan ist ein Aristokrat und hält auf gute Formen. Er würde es mir nie verzeihen, wenn ich als Fürst dieses Landes anders vor ihm erschiene als auf dem Rücken eines Elefanten. Da er mich seinen Unmut durch einen Aufschlag von dreihundert Prozent fühlen lassen würde, bequeme ich mich dazu, seinem Sinn für die Feierlichkeit eines fürstlichen Besuches ein Opfer zu bringen, und rate Ihnen dringend, das gleiche zu tun. In Anbetracht der Kürze des Weges, den wir zu überwinden haben, hoffe ich zuversichtlich, daß Sie der Seekrankheit entgehen werden, die sonst jeden Europäer überfällt, der zum ersten Male auf so einem schwankenden Koloß sitzt.«

»Ich hoffe, ich werde Ihnen keine Schande machen«, entgegnete Fürbringer.

Unter dem ohrenbetäubenden Geschrei eines Gefolges, das von Schritt zu Schritt anwuchs und den Ritt durch die Straßen zu einem Naturereignis machte, setzten sich die Elefanten in Bewegung und stapften, die Rüssel schwingend und die Ohren auf- und niederklappend, durch den Staub.

Es war das erstemal, daß Fürbringer von der Nackenhöhe eines so ungeheuerlichen Tierleibes auf die Menschen niederblickte, und während er es tat und die Bewegung des tragenden Riesen wie träge Wellen einer gefangenen Brandung unter sich spürte, begriff er plötzlich übergangslos die fürchterliche Gleichgültigkeit, mit der die Herrscher der Vergangenheit Menschenkörper von den Füßen ihrer Elefanten zu Brei treten ließen. Es gab keine Verbindung zwischen den Geschöpfen im Staub der Gassen und den auf dem Nacken königlicher Riesen Thronenden. Blind stampfend wie das Schicksal, wurden die gehorsamen Tiere der Gebieter den Niederen zum Verhängnis, und das Verhängnis trat sie tot und ließ die Hände der Reiter unbefleckt.

Die Anführer des Zuges schrien wie wütende Eber, um anzudeuten, daß man am Ziele sei. Die Elefanten knieten nieder, und Fürbringer rettete sich durch einen Sprung, der mehr Gewandtheit als Würde verriet, vor der Gefahr, seinem Elefanten zwischen den Ohren hindurch über die Stirn zu rutschen.

Das geärgerte Trompeten der Tiere mischte sich unter die gellenden Menschenstimmen, die für einen Augenblick von einem Taumel des Getöses erfaßt zu sein schienen.

Ein Diener des Fürsten sprang nach der Tür eines Hauses, das in der Reinheit seiner maurischen Formen, fensterlos, dem Pöbel der Gasse gleichsam den Rücken kehrte.

Er donnerte mit beiden Fäusten gegen das Tor; die Augen traten ihm aus den Höhlen in der Verzückung seines Diensteifers. Er schrie etwas, das Fürbringer nicht verstand, aber es klang wie eine Teufelsbeschwörung.

»Wir müssen Geduld haben«, sagte der Fürst, sich zu Fürbringer wendend. »Mohammed ben Hassan würde es für einen Mangel an Selbstachtung halten, wenn er uns sofort öffnen ließe, obgleich ich fest davon überzeugt bin, daß der ehrwürdige Halunke bereits seit einer Stunde auf unser Kommen vorbereitet ist. Wie er es möglich macht, ist sein Geheimnis; wahrscheinlich bezahlt er seine Geheimagenten hervorragend gut, aber es gehört zu den Unmöglichkeiten des Lebens, Mohammed ben Hassan zu überraschen.«

Er hatte das letzte Wort noch im Munde, als sich die Tür, vor der sie wartend standen, auftat, bedeutungsvoll, als sei sie die Pforte des neunten Himmels, der den Auserwählten des Propheten vorbehalten ist, und ein junger Bursche auf der Schwelle erschien, von Fackelträgern begleitet.

Er warf sich vor dem Fürsten zu Boden und murmelte einen Gruß, der eine Gottheit zu beschwören schien, gegen den erlauchten Gebieter von Eschnapur besonders liebenswürdig zu sein.

Der Fürst wandte den Kopf mit einem kurzen Ruck. »Ramigani!« rief er.

Ramigani glitt aus der Menge heraus und hob vor seinem Herrn die Hände zur Stirn. Er hatte anscheinend die Fähigkeit, sich selbst herbeizuzaubern, wenn nach ihm gerufen wurde, und im übrigen nichts als ein Schatten im Wind zu sein.

»Ramigani, du wirst unserm Gast als Dolmetscher dienen«, sagte der Fürst.

»Danke, Hoheit«, entgegnete Fürbringer.

Ramigani trat schweigend an seine Seite. Er waltete des Amtes, das ihm übertragen worden war, mit der Unfehlbarkeit einer tadellosen Maschine; seine Züge erloschen dabei so vollkommen, während ihm der Schweiß auf die Stirne trat, daß er beinah geisteskrank aussah. Er starrte mit unbewegten Augen ins Leere vor sich hin und regte die Lippen, als spräche ein fremder Geist aus seinem Munde, als sei er besessen und quäle sich an seiner eigenen Entfremdung.

»Steh auf, du junger Schakal«, sagte der Fürst zu dem am Boden Liegenden. »Ist dein Herr zu Hause?«

»Geruhe die Schwelle deines letzten Knechts zu überschreiten, o mein Fürst!« sagte der junge Bursche, dem die Verschmitztheit aus den Augenwinkeln grinste. »Die Gnade deines Kommens erquickt das Herz meines Herrn und verdoppelt seine Tage.«

»Dann werden seine Erben mich verwünschen«, meinte der Fürst, grundlos verächtlich. »Geh voraus, Bursche! Wir wollen die Geduld deines Herrn nicht ermüden, denn wir würden es an unserem Geldbeutel zu büßen haben. Vorwärts!«

Der Bursche gehorchte, und die Fackelträger tauchten unter im Dunkel eines Ganges, der nicht zu wissen schien, was Tageslicht bedeutet.

Der Fürst wandte sich nach Fürbringer um und hielt sich an seiner Seite. »Jetzt geben Sie acht!« sagte er mit seinem hübschen Lächeln und warf die Zigarette fort.

»Jetzt verlassen wir Indien und kommen in ein fremdes Land, das ich liebe, und das auch Sie lieben werden, denn es ist schön, schwermütig und – bis auf die anerkannte Gaunerhaftigkeit seines Besitzers – ein Land der Märchen ohne Bitterkeit. Das Haus, vor dem wir abgestiegen sind, gilt als die Wohnung Mohammed ben Hassans. Aber es ist sowenig seine Wohnung, wie ein Tempel der Himmel ist. Wenn Sie den Alten sehen, werden Sie sagen: Es ist Abram aus dem Haine Mamre, da er aufstand, seine göttlichen Gäste zu bewirten. Er ist ein Gelehrter und streitet mit dem Koran. Er hat das Wasser des heiligen Brunnens in Mekka getrunken und hat das arabische Blut so unverfälscht in den Adern wie sein Prophet, nach dem er heißt. Sein Stolz ist maßlos wie seine Ritterlichkeit. Mitten in Indien, der Stadt und seinem Hause ist er noch immer der Mann der Wüste, der in einem Zelt wohnt, und dem unter seinem Zelte der Todfeind zum Gastfreunde wird. Es ist mir ein Genuß, mit ihm in Streit zu geraten, obgleich ich mich bei solchen Gelegenheiten von vornherein des Sieges begebe – weil er seine ekstatischen Beschwörungs- und Verwünschungsformeln aus der Zeit Harun al Raschids und der großen Verschwenderin Zobeide heraufholt. Es ist schade, daß Sie nicht selber mit ihm unterhandeln können. Aber Sie haben einen ausgezeichneten Dolmetscher neben sich … Hörst du, Ramigani? Ich wünsche heute abend Grund zu haben, mit dir zufrieden zu sein!«

»Du hast befohlen, Herr!« murmelte der Diener.

»Nehmen Sie sich in acht – unterirdische Gänge pflegen ihre Launen zu haben«, fuhr der Radscha fort. »Mohammed ben Hassan hat Stilgefühl und ist außerdem viel zu schlau, als daß er den Zugang zu seinem Allerheiligsten elektrischem Licht preisgeben würde. Diese beiden Fackeln sind sehr stimmungsvoll und außerordentlich irreführend; ich möchte darauf schwören, schon zweimal an dieser selben Stelle vorübergekommen zu sein. Übrigens muß man dem Alten Gerechtigkeit widerfahren lassen! Wer so viel Schätze in den Gewölben seines Kellers aufbewahrt, daß er sämtliche Gottheiten dieses Landes mit Juwelen neu ausstatten könnte – was nicht wenig heißen will –, der hat ein Recht darauf, aus seinem Hause einen Irrgarten zu machen.«

»Es ist merkwürdig feucht hier«, bemerkte Fürbringer, mit der Hand die Mauer streifend.

Der Radscha zuckte die Achseln.

»Wer weiß – vielleicht hat der Alte Vorbereitungen getroffen, bei Gefahr eines Überfalls die Gänge unter Wasser zu setzen. Die Großzügigkeit seiner Rasse würde sich auch darin nicht verleugnen.«

Der Bursche, der vor ihnen hergeschritten war, blieb mitten vor einer Wand stehen, winkte die Fackelträger heran und klopfte gegen den Stein.

»Jetzt kommt Ali Baba und die vierzig Räuber«, meinte der Fürst halblaut. »Lassen Sie sich nicht verblüffen, Herr Fürbringer. Zu einem guten Stück gehört eine sinngemäße Ausstattung. Wir haben schon einmal das Stilgefühl Mohammed ben Hassans lobend anerkannt.«

Die Mauer hatte sich aufgetan, ohne daß es Fürbringer geglückt wäre, zu bemerken, auf welche Weise. Wo Stein gewesen war, klaffte eine Öffnung. Dahinter brannte Licht. Eine Messingampel aus Damaskus hing von der Decke herab; das glühende Öl verbreitete einen fremden, einschläfernden Geruch. Mitten unter der Ampel lag ein Teppich, ein Gebetsteppich aus einem Jahrhundert, das für sich selber viel Zeit übrighatte. Seine Farben waren fast erloschen.

Auf dem Teppich unter der Ampel stand ein Mann. Sein Burnus war weiß; er trug den grünen Turban derer, die sich zu den Nachkommen des Propheten zählen.

»Du sollst mir willkommen sein, o Fürst!« grüßte der Alte, die Hände feierlich erhebend.

Ramigani begann sein Amt. Und während Fürbringer auf sein rasches, angestrengtes und sehr scharfes Flüstern horchte und zugleich auf die fremden Laute, die Mohammed ben Hassan mit seinem fürstlichen Gaste tauschte, während er den Duft des Öles atmete und in dem zersplitterten Licht der Ampel die beiden Männer beobachtete, denen Gruß und Gegengruß eine Handlung, dem Gottesdienst nicht fern, zu bedeuten schien, sah er sich selbst am Ufer eines Flusses stehen, der breit hinströmend ihn von der Welt der anderen schied, daß er, was sie sagten und taten, wie durch das Rauschen dieses Stromes hindurch empfand.

»Ich danke dir, o mein Freund Mohammed ben Hassan«, begann der Fürst, seiner immer ein wenig spöttischen Stimme einen neuen Schwung verleihend, »daß du mich gewürdigt hast, dein Haus zu betreten und die neuen Schätze, die deine Klugheit dir gewonnen hat, bewundern zu dürfen. Ich bin nicht gekommen, um zu kaufen, du Krone der Juwelenhändler, denn, wie du weißt, lagern in meinen Tempeln die Edelsteine, die ich dir verdanke, wie in anderen Tempeln der Kuhmist lagert. Ich bringe dir einen Freund, der die Erde umwandert hat von Sonnenuntergang nach Sonnenaufgang und ihre Wunder kennt, daß er satt und müde geworden ist. Aber ich sprach zu ihm, daß er ein Wunder noch nicht erschaut habe: deine Schatzkammern, o Mohammed ben Hassan! Und ich bitte dich, daß du sie ihm zeigen mögest, damit sein Herz an ihrem Anblick sich berausche und Gott lobpreise, der den Menschen zum Herrn der Herrlichkeiten gemacht hat.«

Mohammed ben Hassan wiegte seinen alten Kopf, seine flinken, schlauen Augen spähten über die Schulter des Fürsten.

»Segen über dich, o mein Sohn!« sagte er zwischen Würde und Vergnügen, »die Stunde deines Kommens möge mit goldenen Buchstaben im Buche des Gedächtnisses aufgeschrieben sein.«

Fürbringer verbeugte sich stumm; er gewann dabei die Überzeugung, daß die Verbeugungen des Morgen- und Abendlandes zwei Dinge sind, zwischen denen keine Verwandtschaft besteht. Er fühlte, daß er errötete, und biß sich auf die Lippen. Auf einen Wink Mohammed ben Hassans brachten die Diener die gestopften Pfeifen herbei, ein kupfernes Becken, in dem die Holzkohlen glühten, und ein rundes Messingbrett, auf dem etwa zwanzig winzige Tassen mit schwarzem Kaffee standen.

»Setzt euch!« forderte Mohammed ben Hassan seine Gäste auf. Die Diener schleppten die niedrigen Polster von den Wänden heran; die drei Männer ließen sich nieder. Während des Rauchens herrschte die vollkommene Stille der Ernsthaftigkeit.

Nachdem jeder fünf oder sechs der Fingerhuttassen ausgetrunken und sich die Pfeife dreimal hatte stopfen lassen, klatschte Mohammed ben Hassan in die Hände und stand auf.

»Wenn es deiner Hoheit gefällt, o mein Fürst, dann will ich deinem Freunde, den Gott segnen möge, die armen Schätze meines Hauses zeigen; doch bitte ich dich, da er meine Sprache nicht spricht noch ich die seine, daß du ihm sagen möchtest, ich täte dies nur, um deinem Willen gehorsam zu sein, und nicht weil ich glaubte, was ich besitze, sei des Anschauens wert.«

»Deine Bescheidenheit drückt das Siegel der Vollkommenheit auf deine Tugenden, o Mohammed ben Hassan«, antwortete der Fürst. »Du wirst uns gestatten, über den Wert deiner Schätze anderer Meinung zu sein. Habe die Güte, uns selbst in die Kammern der strahlenden Herrlichkeiten zu führen, und erlaube, daß Ramigani uns begleitet! Er ist das Ohr und der Mund meines Freundes, der fremd in diesem Lande ist.«

»Fern sei es von mir, einem deiner Wünsche nicht gehorsam zu sein, o mein Fürst«, sagte der Alte, die Hände erhebend. »Aber schweigt dein Diener?«

»Er schweigt«, antwortete der Fürst kurz.

Ramigani übersetzte Frage und Antwort, als kennte er den Menschen nicht, von dem die Rede war. Seine Stirn war mit Schweiß bedeckt.

Der Moslem verneigte sich; sein Gesicht zeigte einen so vollbefriedigten Ausdruck, als hätten die Worte des Fürsten einen Schwur enthalten.

Sie verließen das Zimmer und betraten den Gang, der durch Fackeln und Öllampen erleuchtet war; sie schritten ihn entlang, ohne einem Menschen zu begegnen.

Sooft sie an eine Biegung kamen oder eine Tür durchschritten, ertönte, wie durch den Tritt ihrer Füße hervorgerufen, der metallische Klang eines Gongs, der irgendwo im tiefsten Innern der Gemächer zu hängen schien und stark und dunkel war wie eine buddhistische Tempelglocke. Zuletzt folgten sich die Krümmungen des Weges so rasch, daß die Schläge des Gongs zum Geläut anwuchsen, dessen Kraft die Steine der Mauern zu zerbröckeln drohte.

Nach einer Wanderung, deren Dauer Fürbringer nicht zu schätzen vermochte, ging es in die Tiefe hinab, bei jedem Schritt umbebt von dem bronzenen Getön, daß es zuletzt schien, als tauchten sie unter in einen See von Klangwellen.

Fürbringer hörte hinter sich den Atem Ramiganis immer hastiger werden; er wandte sich um. Die Augen des Inders flackerten vor Furcht.

»Was hast du?« fragte er ihn halblaut.

Der Inder hob den Kopf. Das Licht einer Fackel fiel auf seine Züge. Sie waren gänzlich leer. Er sah den Fragenden verständnislos an.

»Sahib?«

Fürbringer schüttelte den Kopf.

»Nichts«, sagte er.

Sie hatten das Ende der Treppe erreicht und standen in einem Gewölbe, dessen Höhe sich in Dunkelheit verlor. Es war so groß, daß ein nicht kleiner Tempel darin Raum gefunden hätte. Die Fackeln an den Wänden rundum gaben ihm weit weniger Licht, als er verlangte. Unweit der Treppe, in doppelter Manneshöhe, hing der Gong, dessen riesenhafte Bronzescheibe ausklingend noch immer summte und zitterte.

Ramigani betrachtete sie mit dem Haß des Aberglaubens. Seine farblosen Lippen murmelten unablässig Gebete.

»Hier sind wir im Vorhof des Allerheiligsten«, bemerkte der Fürst, sich an Fürbringer wendend. »Halten Sie Ihre Augen fest – Sie werden sie nötig haben.«

Mohammed ben Hassan stieß einen Ruf aus und erhob die Arme.

»Ich bekenne: Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Verkünder!«

Der Ruf seiner Stimme erhob sich zu einem Rauschen in der Höhe. Es war, als sprächen die Schatten der Gewölbe das Bekenntnis nach.

Der Alte öffnete eine Tür, die schmal und niedrig sich in das Gestein der Mauer einschnitt. Niemand hätte sie finden können, der sie nicht kannte.

»Tretet ein, meine Freunde«, sagte er sanftmütig.

Fürbringer folgte dem Fürsten. Er blieb hart an der Schwelle stehen, sah sich um und schloß die Augen. Er öffnete sie wieder und hob die Hände, um sie zu schützen.

»Sagte ich Ihnen nicht. Sie sollten Ihre Augen festhalten?« fragte der Fürst dicht neben ihm.

Fürbringer erwiderte nichts. Er sah undeutlich die Gestalt des Moslem, der sich von ihm entfernte und in einem feierlichen Schreiten die Mitte des niedrigen Raumes suchte, wo er sich niederließ, die Beine kreuzend, und regungslos sitzenblieb. Er sah in einem Nebel das Gesicht des Fürsten, das sich zu einem merkwürdig harten und wilden Lächeln verzog, während es ihn betrachtete; und er sah Ramigani, der an seiner linken Seite stand und mit offenem Munde, den die Gier verzerrte, um sich stierte.

An dieser stumm schreienden Gier wurde Fürbringer nüchtern. Der Asiate rief den Europäer wach. Er sah die Dinge, die sich ihm ganz enthüllt, ganz hingeschüttet boten, als hätte er sie von sich weggeschoben, um sie klarer betrachten zu können.

Das Gemach, in das er eingetreten war, übertraf an Größe noch das eben verlassene, doch war es dafür kaum halb so hoch. Es brannten so viele Lampen in ihm, daß es keine Schatten hatte, und seine Helligkeit mit dem Morgen der ersten Frühe wetteiferte. Seine Wände waren kahl, ungeglätteter Marmor, schwarzgekörnt. Viele Teppiche bedeckten den Boden.

Aber die Teppiche verschwanden fast unter der Fülle breiter Schüsseln, die, sich an den Rändern berührend, auf ihnen standen; und sie alle waren aus edelstem Metall getrieben, daß weißes Silber neben grauem prunkte, rotes Gold neben krankhaft bleichem, düstergrüne Bronze neben schamlos feuriger.

Jede der Schüsseln, die ein Weib nicht zu heben vermocht hätte, war gefüllt mit Edelsteinen und Halbedelsteinen erlesenster Art, gefaßten und ungefaßten, von der Größe eines Hirsekorns bis zu der des Maises, und von den Goldtopasen gab es viele, die das braune Auge einer Antilope an Größe beschämten.

»Glauben Sie«, sagte der Fürst zu Fürbringer so laut, als wollte er ihn rufen, »daß diese Steine schön genug sind, den Namen einer Fürstin in Marmor zu schreiben?«

»Sie wären schön genug, der Lebenden als Schmuck zu dienen«, antwortete Fürbringer ernst.

»Ja. Der Alte hat die glänzendsten Verbindungen mit allen Steinhändlern beider Indien … Aber zeigen wir ihm unser Wohlgefallen nicht allzu deutlich! Jedes Wort des Entzückens kostet mich tausend Rupien mehr, und er ist ohnehin nicht billig …!« Er schritt auf den Alten zu.

Mohammed ben Hassan blickte ihm aufmerksam entgegen.

»Bitte deinen Freund, daß auch er sich zu mir setze, o mein Freund!« sagte er mild.

»Mein Freund wird sich nicht zu dir setzen, Krone der Juwelenhändler«, antwortete der Radscha, »denn er weiß, daß du ihm noch lange nicht dein Schönstes gezeigt hast. Sei nicht geizig mit dem Anblick deiner Herrlichkeiten, o du auserwählter Liebling Gottes, und beschäme mich nicht, der ich meinem Freund versprach, ihm Niegeschautes vor Augen zu führen! Was in deinen goldenen Schüsseln liegt, ist nicht mehr wert, als was meine fünfhundert Pferde in ihren Augenhöhlen tragen. In den Nasenflügeln meiner Tänzerinnen prahlen größere Smaragde, als ich hier erblicke, und die Spangen ihrer Arme sind schwer von Sternsaphiren, die ihresgleichen nicht haben unter allen, die ich hier erblicke. Ich würde mich schämen, meinen Frauen anzubieten, was du vor uns hinbreitest, als sei es sehr schön; denn die letzte unter ihnen würde sagen: ›Pfui über den, der geizig geworden ist!‹«

»Dein Freund denkt anders, o Fürst!« sagte der Juwelenhändler mit einem schlauen Lächeln. »Seine Augen freuen sich dessen, was sie sehen.«

»Mein Freund, o Mohammed ben Hassan, ist ein sehr höflicher Mann und würde dir seine Enttäuschung nicht zeigen, wenn sie auch größer wäre als mein Erstaunen über dich! Gestatte mir, dir beim Barte deines Propheten zu schwören, daß meine Geduld sehr bald erschöpft sein wird! Ich bin nicht hierhergekommen, auf meinem besten Elefanten reitend wie zu einem Feste, noch habe ich meinen Freund durch die Glut des heißesten Tages hergebracht und sein Hirn den Strahlen des Verderbens ausgesetzt, um an dir, o du ehrwürdigster aller Juwelenhändler, eine Enttäuschung zu erleben. Du hast mir einen Boten geschickt, der einen großen Mund besaß und ihn aufriß bis zu den Ohren, um mir zu sagen, daß es dir gelungen sei, einen Schatz an Edelsteinen zu erwerben, vor dessen Glanz die Sterne bleich würden vor Neid. Ich kam, weil ich deinem Wort vertraute und deinen Ruhm kündbar machen wollte durch die Zunge meines Freundes. Und was finde ich nun? Saad ibn Sajid, der Juwelenhändler, der an der Gopurah wohnt, hat schönere Steine in seinem kleinen Laden als du, o Mohammed ben Hassan, in diesem prahlerischen Gewölbe.«

»Allah behüte deine Augen, o Fürst!« rief Mohammed ben Hassan verärgert. »Saad ibn Sajid ist ein schmutziger junger Hund und ein Erzbetrüger, der um seiner Sünden willen von der Brücke des Todes niederstürzen wird in die Hölle, wo die Teufelsköpfe an Bäumen wachsen. Wenn du in seinem stinkenden Laden einen einzigen Stein findest gleich diesem hier, o du Gerechter unter den Fürsten – einen Rubin wie diesen, der gleich dem Herzen einer liebenden Taube ist – einen Stein wie diesen Topas, der ein Klumpen braunen Feuers ward, als er zum Tageslicht gebracht wurde – einen Opal wie den, der meine Hand zur Schale der Vollkommenheit des Schönen macht … eine Huri würde das Paradies verlassen und auf die Erde herabsteigen, ihn zu besitzen … Wenn du ihn findest, der nicht neben dem geringsten meiner Steine zum elenden Kiesel wird o mein Fürst, dann sollen meine Kinder und Enkel den Namen Mohammed ben Hassans ausspucken, und er soll das Gespött der alten Weiber werden.«

»Schwatze nicht, o mein Freund Mohammed, sondern mache dich auf und bringe mir, was mehr wert ist, als was ich sehe! Oder, bei meinem Haupte, ich kehre um und gehe zu Saad ibn Sajid und mache dich zum Gelächter in ganz Eschnapur!« sagte der Fürst.

Mohammed ben Hassan duckte seinen Kopf zwischen die Schultern und sah zu dem Fürsten auf, der vor ihm stehengeblieben war. Sein Gesicht zeigte keine Spur von Zorn oder Ärger; es war außerordentlich schlau und lächelte in den Augen – in den listigen Vogelaugen.

»Wirst du kaufen, was ich dir zeige, o Fürst?« fragte er zutraulich.

»Willst du mir Bedingungen stellen, Mohammed ben Hassan?«

»Ich zeige nur dem, der kauft, o du Sonne unter den Herrschenden!«

»Und ich kaufe nur, was ich gesehen habe, o du Kronjuwel unter den Handeltreibenden!«

Mohammed ben Hassan erhob sich mit einer gewissen Geschwindigkeit.

»Ich werde dir die Schätze bringen, an denen mein Herz hängt, o Fürst, daß ich mich nur unter Schmerzen von ihnen zu trennen vermöchte, und der Anblick ihrer göttlichen Vollkommenheit wird dich deines Verstandes berauben!«

»Hoffe das nicht, o mein Freund Mohammed ben Hassan!« rief der Fürst ihm nach, da der Alte eilig, nicht ohne Grimm, aus dem Gewölbe schritt und die Tür hinter sich offen ließ. »Ich werde mir immer Verstand genug bewahren, wachsam gegen dich zu sein, denn du liebst es, o du Vortrefflicher, den Propheten anzurufen, wenn du seinen Beistand zu einer kleinen Gaunerei nötig hast.«

Es war nicht zu verstehen, ob der Moslem eine Antwort gab, denn als er einige Schritte in das Nebengemach getan hatte, begann das Dröhnen des Gongs von neuem und verschluckte jeden anderen Laut.

»Eine neue Vorsichtsmaßregel des Alten«, meinte der Fürst dicht an Fürbringers Ohr. »Er ist in letzter Zeit außerordentlich mißtrauisch geworden …«

Fürbringer sah den Fürsten an; er wollte etwas erwidern, tat es aber nicht. Er folgte dem Blick des Radscha mit seinen Augen.

Dieser Blick beobachtete Ramigani.

Der Inder stand an der Tür des Gewölbes mit hängenden Armen und klaffendem Munde. Seine weißen, wie geschliffenen Zähne fletschten das Tosen des Gongs in wütendem Hasse an. Seine Augen schienen mehr betäubt als geblendet zu sein vom Anblick der Edelsteine, deren Funkengarben aufzuckend gen Himmel brausten, wie Licht ohne Schatten sie traf. Es war, als berauschten sich die sprühenden Farben an ihrer eigenen Glut, bis sie tanzten. Dieser stumme und leidenschaftliche Tanz der Farben machte die Luft im Raum zu einem bunten Nebel, den man nicht atmen, den man nur trinken konnte.

»Wenn ich«, begann der Fürst halblaut – und das asiatische Lächeln bog ihm die Lippen hoch – »diesen Menschen einmal los sein wollte, dann brauchte ich nichts zu tun als ihm zu sagen: ›Nimm dir aus den Schatzkammern Mohammed ben Hassans, was dir gefällt …‹ Er würde nicht wiederkommen …«

»Glauben Sie, daß Sie ihn eines Tages los sein möchten?« fragte Fürbringer.

Der Fürst zuckte die Achseln. »Was weiß das Heute vom Morgen?« meinte er gleichgültig.

Das Summen des Gongs verstummte; Mohammed ben Hassan kehrte zurück. Er trug einen kleinen Sack in der Hand wie einen Geldbeutel, schloß die Tür hinter sich und nahm wieder auf dem Teppich Platz. Seine Züge troffen von Feierlichkeit und Genugtuung.

Er legte den kleinen Sack vor sich auf den Teppich, hob die Hände und rief: »Ich bekenne: Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Verkünder!«

»Da haben wir den Propheten«, meinte der Fürst.

»Geruhe, o mein Fürst, heranzutreten und erlaube mir, dir den Platz an meiner Seite anzubieten«, sagte der Händler; seine Hände zitterten, als sie die Schnüre des Säckels lösten.

»Kommen Sie!« sprach der Fürst, Fürbringer mit sich ziehend. »Jetzt nimmt der Kampf seinen Anfang!«

Sie setzten sich dem Moslem gegenüber. Ramigani blieb hinter Fürbringer stehen; der Deutsche fühlte den Atem des Inders über seinem Kopfe.

Mohammed ben Hassan schüttelte Stein um Stein aus dem Beutel in seine hohle Hand und legte sie, einen nach dem anderen, auf einen hingebreiteten Zipfel seines weißen Gewandes. Und er sprach mit den Steinen und redete sich selbst in eine Verzückung hinein, daß ihm der Bart zitterte auf der Brust.

Er hatte ein Recht auf seine Verzückung. Als er den letzten seiner Schätze, einen Smaragden von der Größe einer Haselnuß, mit der Bewegung eines Taschenspielers zwischen Daumen und Zeigefinger in das Licht hob, daß für den Bruchteil einer Sekunde von der Gewalt des grünen Feuers eine Straße in der Luft zurückzubleiben schien, legte sich die Hand des Fürsten nachdrücklich auf Fürbringers Arm; und es war notwendig. Der Triumph Mohammed ben Hassans wäre sonst allzu vollkommen gewesen.

Neun Steine lagen auf dem hingebreiteten weißen Stoffzipfel. Zwei Rubine, Steingeschwister, von einem grausamen Rot gesättigt; zwei Saphire, feuerlos, aber königlich in ihrer Größe und frohlockend in der Schönheit ihrer Farbe; ein Amethyst mit einem schwarzen Schatten in seiner Tiefe; zwei Opale, Stücke des Himmels vor Sonnenaufgang, von roten und goldenen Funken durchsprüht; ein Sternsaphir und der Smaragd.

Mohammed ben Hassan zauberte eine große Hornbrille aus irgendeiner Falte seines Gewandes hervor, setzte sie auf die Nase und blickte über ihre Ränder hinweg seinen fürstlichen Gast außerordentlich schlau und ermunternd an.

»Ist das alles?« fragte der Radscha im Tone des Gekränktseins.

Der Ehrgeiz trieb Mohammed ben Hassan in die Falle.

»Allah behüte deine Augen, o Fürst!« rief er, die Hände erhebend. »Siehst du nicht, daß jeder dieser Steine mehr wert ist als eine Stadt?«

»Meine Augen, o Mohammed ben Hassan, sind ausgezeichnet und zeigen mir, daß deine Steine alle zusammen keine Stadt wert sind – nicht einmal ein Haus, noch das Tor eines Hauses. Brächte ein armer Freund sie mir als Geschenk, so würde ich sie annehmen, um sein Herz nicht zu kränken, da er Besseres mir nicht zu bieten hätte, und würde sie am nächsten Tage Ramigani schenken, meinem Diener, der hinter meinem Freunde steht …«

»Es gibt keinen Gott außer Gott! –« schrie Mohammed ben Hassan und rüttelte vor Grimm an seinem Turban.

»Ich weiß, ich weiß, o du strahlende Leuchte des Islam!« rief der Fürst dagegen. »Laß den Propheten in Frieden und schände seinen Namen nicht, den zu tragen du nicht verdienst, wenn du die Absicht hast, mich übers Ohr zu hauen! Rücke dir deine Brille zurecht, denn sie will dir von der Nase rutschen, und benutze sie, um diese Steine, die du mir anzupreisen wagst, etwas genauer zu betrachten! Was willst du, das ich glauben soll, o Mohammed ben Hassan; daß du alt und blödäugig geworden seiest und dich beim Einkauf der Juwelen von einem, der deines weißen Bartes spottet, betrügen ließest, oder daß du selbst ein großer Gauner seiest, der mich für dumm genug hält, um von ihm betrogen zu werden?«

»Ich will, daß du glaubest, o Fürst«, schrie der Alte zornig, »daß die Juwelen, die ich hier in meinen Händen halte, die schönsten Steine sind, die meine Augen jemals erblickt haben, obwohl ich alt geworden bin und mehr Edelsteine eingehandelt habe, als durch die Finger irgendeines Mannes in Indien gegangen sind! Kein Fürst und kein Händler hat solche Steine in seinem Besitz – die Erde und das Wasser besitzen ihresgleichen nicht mehr! Wenn ich sie fortgebe, so gebe ich einen Teil meiner Seele fort und werde um sie klagen, als hätte ich neun Söhne verloren!«

»O du Ausbund aller neunundneunzig Laster!« rief der Fürst mit einer Bewegung, als schleudere er eine Mütze auf den Boden. »Habe ich nicht selbst in meinen Schatzkammern Steine, die das Prahlen dir im Halse ersticken müßten, wenn du sie mit diesen hier verglichest? Hat nicht Saad ibn Sajid solcher Steine genug in seinem Laden, um alle Fürsten der Erde damit reich zu machen? Ich werde zu ihm gehen, bevor der Morgen graut, und ihn beauftragen, mir zu bringen, was ich brauche, und ehe es abermals Abend wird, liegen die Steine auf meinem Tisch. Glaubst du, ich bedürfte deiner, o Mohammed ben Hassan?«

»Und wenn Saad ibn Sajid seinen ganzen Laden verkaufte und sein eigenes Fell dazu«, schrie der Händler, mit beiden Armen durch die Luft fuchtelnd, »so würde er noch nicht Geld genug gewinnen, einen einzigen Stein, wie diese neun sind, zu erhandeln!«

»Seine Freunde werden ihm borgen, o Mohammed ben Hassan, wenn sie hören, daß er in meinem Auftrag kauft!«

»Die Pest soll ihn fressen, den Schakal!« Mohammed ben Hassan heulte wie ein tanzender Derwisch in seinem Grimm. »Er hält es mit den Parsen, der unreine Köter, mit den Schändern Gottes, die sich im Bauch der Geier begraben lassen. Möchten sie ihm die Augen aushacken und ihren Kindern zu fressen geben!«

»Ereifere dich nicht, o Ehrwürdiger!« sagte der Fürst zufrieden. »Mein Herz ist dir geneigt, und es würde mich betrüben, wenn ich die Ursache würde, daß die Leute auf der Straße hinter dir drein flüsterten: Mohammed ben Hassan ist arm geworden, denn der Fürst hat seine Steine verschmäht, weil sie nichts taugten! Das will ich nicht, denn ich achte dein Alter und deinen weißen Bart. Sage mir darum, o Mohammed ben Hassan, für welchen Preis verkaufst du diesen Rubin?«

»Herr, ich verkaufe ihn nicht«, entgegnete der Moslem in vollkommener Würde, »ich verschenke ihn an dich, weil dein Leben mir teuer ist, um zweitausend Rupien.«

Der Radscha brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Bei den acht Armen der Durga!« rief er und klatschte in die Hände, »du bist wahnsinnig geworden, mein Freund Mohammed! Zweitausend Rupien! – Nicht zweihundert gebe ich dafür! Hundert Rupien – kein Stück mehr! Es ist zu viel für einen Stein gleich diesem!«

»O Mohammed, o ihr Kalifen!« schrie der Juwelenhändler, abermals in heftigsten Zorn geratend. »Hat die Sonne dir den Verstand verwirrt, o Fürst? Bei dem vielgeschwänzten Teufel, der gesteinigt wurde und in die Hölle fuhr, siehst du nicht, daß ich erröte um deinetwillen? Schande über mich, wenn in allen Schüsseln, die du hier stehen siehst, ein einziger Stein liegt, der nicht das Dreifache dessen wert ist, was du mir für dieses Juwel bietest! Biete mehr, o Fürst!«

»Verlange weniger, o Mohammed ben Hassan!«

»Meine Kinder und Enkel werden meinen Namen verfluchen, weil ich ein Stück meines Herzens gleich einem Kiesel weggeworfen habe! Neunzehnhundert Rupien, o Fürst!«

»Viel – viel weniger, o Mohammed ben Hassan!«

Die Vogelaugen des Moslem drückten sich zusammen. »Wieviel würdest du zahlen, o Fürst?« fragte er vertraulich.

Der Fürst sah ihn an; er schob langsam den Unterkiefer vor. Auch seine Augen schlossen sich halb. Er lächelte.

»Ich will den Rubin nicht kaufen, du Liebling Gottes«, sagte er mit einem vorsichtigen Ton der Stimme, »noch irgendeinen deiner Steine sonst. Ich will überhaupt nichts von dir kaufen, nicht jetzt, noch später, o Mohammed ben Hassan – es sei denn, du gäbest mir alles, was dieses Gemach an Juwelen enthält, für die runde Summe von einer Million Rupien …«

Michael Fürbringer hatte das Gefühl, als finge die Luft um ihn her zu flimmern an. Er hielt den Atem in der Brust zurück und blickte mit einem sinnlosen, rasenden Herzklopfen auf die beiden Männer, die einander gegenüber saßen und sich ihre Verwünschungen, Beschwörungen und Eidformeln raketenartig an die Köpfe schleuderten. Er verstand das nahezu tobsüchtige Flüstern Ramiganis nicht mehr, das über seinen Haaren zischte, er schüttelte den Kopf dagegen, als wollte er Stechmücken verscheuchen. Die sich überbietenden und unterbietenden Zahlen prasselten auf sein Schädeldach wie schwere Hagelkörner.

Mohammed ben Hassan bekam einen Tobsuchtsanfall. Er schmetterte seine Brille auf den Boden und zertrat sie unter seinem Fuß. Zwischen Lächeln und Lachen jagte der Radscha seinen weißbärtigen Gegner von der Höhe aberwitziger Zahlen hinunter auf das noch immer Himmelhohe. Sie schrien beide und glühten sich an. Die dürren, alten Hände Mohammed ben Hassans krümmten sich zu Vogelklauen. Sein tausendmal wiederholtes »Nein!« wurde zum Geheul der wütendsten Verzweiflung. Er wand und wiegte sich auf seinem Platz wie eine tanzende Kobra.

Auf einmal war er still. Er schien aus einem Krampf zu erwachen, lächelte und wischte sich mit dem Ärmel das triefende Gesicht.

»Sei es, wie du es sagtest, o du Gesegneter unter den Fürsten!« sprach er fast liebevoll.

Der Fürst erhob sich, reckte die Schultern und sah Fürbringer, der ebenfalls aufstand, eigentümlich lächelnd an.

»Nun?« fragte der Deutsche. »Einig geworden?«

»Ja. Für zwei und eine halbe Million … Ein Spottpreis … Aber eine Nuß aus Granit zerbeißt man leichter als die Hartnäckigkeit dieses Abkömmlings des Propheten. Ich bin wie gerädert und gepfählt. Mein Schlaf in dieser Nacht wird dem Schlaf des Todes gleichen … Kommen Sie! Ich glaube, es fehlt nicht mehr viel an Mitternacht.«

Von Mohammed ben Hassan geführt, verließen sie das Gemach und traten den Rückweg an, begleitet und gleichsam getragen von den bronzenen Wogen des schwingenden Gongs, der hinter ihnen allmählich verstummte.

Ehe sie das Haus des Moslem verließen, trat Mohammed ben Hassan auf Fürbringer zu, sah sich nach Ramigani um und sagte, dem Deutschen eine kleine, häßliche Schale aus Perlmutter in die Hand drückend: »Nimm dies, o Freund meines Freundes, als ein unwürdiges Andenken an deinen Knecht Mohammed ben Hassan … Deine Nacht sei gesegnet! Gott singe dich ein!«

»Die Zunge meines Freundes ist stumm, aber sein Herz dankt dir, o Mohammed ben Hassan, mit der Beredsamkeit der Liebe!« sagte der Fürst, während er den Elefanten bestieg. Fürbringer folgte ihm etwas verwirrt und unruhig. Er steckte die Schale in die Tasche und sah sich nach seinem Reittier um. Mohammed ben Hassan blieb an der Schwelle seines Hauses stehen und blickte ihnen nach …

Als sie im Boote saßen und über den nachtschwarzen See ruderten, den das Licht der breitlohenden Fackeln nicht erhellte, wandte sich der Fürst plötzlich, nach einem langen Schweigen, an Ramigani, der hinter ihm saß, und sagte: »Höre, du Säule meines Hauses – gib die Steine heraus, die du dem Moslem gestohlen hast. Sie sind mein …«

Das Messinggesicht des Dieners wurde zu Kupfer.

»Ich habe ihm nichts gestohlen, o Herr«, sagte er atemlos.

»Nein?« Der Fürst lächelte. »Dann warst du herzlich töricht, Ramigani …«

Der Diener sah ihn gequält an. Er schwieg. Der Radscha wandte sich ab.

»Haben Sie schon nachgesehen, was Ihnen der Alte zugesteckt hat?« fragte er Fürbringer.

»Eine Perlmutterschale«, antwortete der Deutsche gleichgültig.

»Und ihr Inhalt?«

»Ihr Inhalt –?«

»Glauben Sie, daß Mohammed ben Hassan der Mann ist, Perlmutterschalen als Gastgeschenk zu geben?«

Fürbringer nahm das kleine Gefäß aus der Tasche. Es öffnete sich wie eine Muschel und stammte wahrscheinlich aus Europa.

In seiner Mitte lag ein Stein von der Größe einer Mandel. Der Fürst beugte sich vor.

»Erlauben Sie?«

»Bitte, Hoheit …«

Der Fürst nahm den Stein vorsichtig heraus und legte ihn auf die flache Linke.

»Sie sind im Besitz einer Taschenlampe?« sagte er aufblickend, in halber Frage.

»Ja«, antwortete Fürbringer. Der Atem stockte ihm bei der einen Silbe.

»Bitte, leihen Sie sie mir für einen Augenblick …«

Fürbringer nahm sie aus der Tasche und schaltete sie ein.

Der Fürst betrachtete den Stein sehr aufmerksam, ließ das Licht auf ihm spielen und reichte ihn zuletzt an Fürbringer.

»Ein Sternsaphir«, meinte er. »Ein ungewöhnlich schönes Stück … Ich wünsche Ihnen Glück, Herr Fürbringer …«

»Was soll das bedeuten?« fragte Fürbringer, von dem Stein in seiner Hand auf den Fürsten blickend.

Der Radscha zuckte die Achseln.

»Ich muß gestehen«, sagte er, »daß mich dieser Sternsaphir sehr nachdenklich stimmt. Er ist ein untrügliches Zeichen dafür, daß Mohammed ben Hassan Sieger geblieben ist und mich mit Nachdruck hineingelegt hat … Ich hätte es wissen müssen … Die Willenskraft der Welt würde an seiner Schlauheit Schiffbruch leiden. Heben Sie den Stein gut auf, Herr Fürbringer. Er hat in Wahrheit schwerlich seinesgleichen …«

Fürbringer antwortete nicht. Er dachte an seine Frau. Er liebte den Stein, weil sie ihn tragen würde. Er steckte ihn in die innere Tasche seines Rockes und berührte seine Hülle zuweilen mit der Hand, als sei der Stein bereits ein Stück von ihr.

Er trennte sich von dem Fürsten mit einem Händedruck, der um einen Grad zu herzlich war, um herzlich zu sein, und ließ sich von Ramigani nach seinem Zimmer bringen, wo er ihn entließ.

Er sah Miriam in einer Ecke kauern; ihre Augen blickten ihm entgegen.

Fürbringer schickte den Diener fort.

Er trat auf das Mädchen zu, das sich erhob und ihn grüßte. Ihr Gruß wie ihr Lächeln war schwer von Hingebung.

»Kind«, sagte Michael Fürbringer kaum hörbar, »meine kleine Schwester – was bringst du mir?«

Sie horchte, die Stirn senkend, auf seine Worte, begriff sie und sah ihn an.

»Dies«, sagte sie, die Hände öffnend und zu ihm hebend. In ihren schmalen, braunen Händen lag ein kleines weißes Tuch.

Fürbringer griff danach.

Es war ein Taschentuch seiner Frau.


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