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An Bord der »Eschnapur«, im März

Geliebte Frau!

Meine beiden Depeschen und den Brief, den ich in Genua zur Post gab, hast Du hoffentlich bekommen und sorgst Dich nicht mehr, wenn Du auch gewiß noch immer ebensowenig wie ich begreifen wirst, was dies alles zu bedeuten hat. Wissen möchte ich eins: Ob Du verstehen kannst, warum ich es auf mich nahm, Deine liebevolle Seele einer langen Unruhe preiszugeben, um die Laune eines Unbekannten zu erfüllen. Es war nicht Ehrgeiz oder Ruhmsucht in der nackten Bedeutung ihres Namens, es war weit mehr die plötzliche Erkenntnis, vor der Möglichkeit einer Selbsterfüllung zu stehen, wie sie das Leben unter tausend Menschen nur einem bietet – und auch diesem nur in einer einzigen Stunde. Du, die meine Pläne und geträumten Entwürfe liebte, mehr als ich selbst sie lieben konnte, die den Rausch des Entwerfens und Schaffens mit mir teilte wie einen Kuß, Du wärest der letzte Mensch gewesen, der sich zwischen mich und ein Ziel von so unerhörter Größe gestellt hätte – darauf habe ich vertraut, und darum bin ich gegangen.

Es scheint nun doch, als ob das Unausdenkbare zu Wirklichem werden sollte; ich bin an Bord der Yacht, die mich nach Indien bringt – nach dem Lande, über dessen Bildern, Sagen und Ungeheuerlichkeiten wir am liebsten träumten, wenn uns der Vorfrühling im Blute saß und wir Wanderpläne machten, denen die Welt zu klein war. Und Du warst so kühn wie ein junger Adler im Fernflug Deiner lieben Seele …

Daß Du jetzt nicht bei mir bist, Irene …

Ich sitze an Deck unter dem Sonnensegel und atme die frische Luft des Mittelmeeres, die wir beide kennen – die ganz gesättigt ist von jenem Duft, den kein anderes Meer der Erde hat, dem Duft nach Edelfäule, nach der verruchten Schönheit der Levante. Die vollkommene Stille der Fahrt wird nur gebrochen vom Geräusch der Schiffsmaschinen, deren Kraft das feine Fahrzeug zittern macht. Dieselmotoren gehören auf den Ozean. Auf den homerischen Wassern aber dürften nur braune Segel über schöngeschnäbelten Schiffen sich wölben, oder weiter gen Osten die prunkenden Barken der Kleopatra. Es liegt über diesen Wellen, die sich so völlig dem Schiffskörper hinbreiten, eine zugleich heitere und lässige Sinnlichkeit, die Klang werden will; niemals habe ich so gut wie jetzt verstanden, woher dem blinden Götterseher das holde Märchen der Sirenen kam.

In einem Märchen scheine auch ich zu leben; der dienstwillige Geist aus der Wunderlampe Aladins steht mir zu Befehl. Nur, daß er indische Züge trägt. Wahrhaftig, ich bin neugierig darauf, den Mann kennenzulernen, der mit Millionen spielt wie ein Knabe mit Murmeln. Vielleicht ist er ein halber Narr, vielleicht auch ein ganzer. Seine Diener scheinen ihn für einen Gott zu halten. Die Art, mit der sie seinen Namen nennen, kommt einem Kniefall außerordentlich nahe. Ihr Gehorsam in seinen Willen ist vollkommen und von der Unfehlbarkeit seines Willens überzeugt. Dennoch weiß ich schon heute, daß sie ihn nicht lieben.

Was kümmert das mich? Ich will das Grabmal seiner Geliebten bauen. Weiter nichts. Und das soll schön werden. Du … Es steht vor mir, als wäre es mir in die Augen geätzt. Halbe Nächte hindurch habe ich daran gezeichnet. Ich habe es nicht entworfen – es war da. Ich brauche es nur in Steine zu setzen, wie die Begnadeten ein Lied in Töne setzen, und es soll sich selber singen.

Irene, ich schreibe an Dich, als nähme meine Seele ein Bad. Das Fieber der Erwartung hat mich gepackt. Das Land der großen Wunder wird sich vor mir auftun, das Land, dessen Namen niemand kennt; tausend Heiligtümer, unseren Sinnen ebenso fremd wie unseren Gehirnen, werden sich mir offenbaren. Sie dürfen es getrost, sie bleiben uns dennoch verschlossen. Darum lächeln sie auch, die indischen Götter.

Vielleicht hat auch der Mann, der mich rief, damit ich seiner Geliebten ein Grabmal baue, das ihrer Schönheit würdig sei, das gleiche Lächeln um seine asiatischen Lippen, dieses Lächeln der maßlos Herrschenden, denen ein Menschenleben nicht mehr ist als die Rauchwolke eines Opferfeuers. Denn wenn auch sein Reichtum sich an den Spielereien europäischer Technik ergötzt und die Großbanken der Welt sich vor seinem Namenszug verbeugen – wo finden wir, Kinder der gemäßigten Zone, den Eingang zu einer Menschenseele, die ihre Trauer um eine schöne Frau nicht anders zu sättigen weiß als in Orgien des Marmors, in Strömen von Silber und den Flammenausbrüchen reinen Goldes? …

*

An diesen Brief, den er seiner Frau an Bord der »Eschnapur« geschrieben hatte, mußte Michael Fürbringer denken, als er nach einer Fahrt von nahezu zehn Tagen, in denen er das Auto kaum verlassen hatte, in Eschnapur angekommen, bei Nacht die Hauptstadt und den Palast des Fürsten erreichte, und, aus halbem Schlafe aufgerüttelt, von dem Inder, der den Schlag des Autos öffnete, die Meldung empfing, daß Seine Hoheit der Radscha von Eschnapur gekommen sei, den fremden Sahib zu begrüßen.

Der erste Eindruck, den Fürbringer gewann, als er den Wagen verlassen hatte und sich umsah, war ein überwältigendes Chaos von Rot und Schwarz.

Gerade vor ihm erhob sich ein steinernes Tor von den ungeheuren Maßen eines Domes. Rechts und links auf seinen Schultern reckten sich zwei Türme auf, stumpf, schwerlastend, ohne den Himmel zu suchen. Von ihren Plattformen loderten die Flammen zweier Feuerstöße, die errichtet schienen, die Wolken zu rösten und die Nacht zu Asche zu verbrennen. Rauch stieg von ihnen auf, einen neuen Himmel schaffend; über ihm war das Nichts. Seine lastende Schwärze war durchsprüht von blutroten Funken, die in trägen Tropfen niedertauten und starben, ohne ans Ziel zu gelangen.

Vor dem Tore dehnte sich ein Platz, seine in der Dunkelheit uferlose Breite ließ ihn leer erscheinen, obwohl er, von Geschöpfen wimmelnd, einem Hafen für das Lebendige glich, das aus dem Innern der Erde an ihre Oberfläche gedrungen war und vergebens in den Schoß der Tiefe zurückstrebte. Jeder Mensch, der im Umkreis des Platzes Atem holte, trug eine Fackel, bei deren schwelendem, blutrünstigem Licht er etwas Unersetzliches ewig vergebens zu suchen schien.

Aber die Fackeln erhellten die Dunkelheit nicht, sie machten das Schwarz nur schwerer durch ihr gleichsam verfluchtes Rot. Die Gesichter der Menschen hatten keine Augen. Schattenhöhlen lagen darin.

Das einzig Unbewegliche im Wogen der beiden Farben waren die Elefanten, die, riesenhaft aufwachsend über dem Gewimmel der Fackelträger, mit ihren ungeheuren Leibern rechts und links zwei lebendige Mauern bildeten bis zu den flammenden Türmen des Tores. Sie alle trugen den Rüssel über die Stirnen geschwungen. Steinernen Kolossen glichen sie. Auf ihren Nacken thronten die Wächter, regungslos wie sie, die rechte Hand auf der Hüfte, Schattenrisse gegen die Glut der qualmenden Brände.

Ein Brausen von Tönen war in der Luft, nicht laut, ferner Meeresbrandung gleichend. Erz dröhnte. Wenn dem Weihrauch eine Stimme verliehen worden wäre, dann hätte sie diesem Laut gleichen müssen. Er legte sich wie eine Maske, berauschenden Duftes voll, lähmend und aufreizend zugleich, auf alle Sinne.

Und Michael Fürbringer, aus der Dämmerung des Halbschlafs einer tiefen Erschöpfung plötzlich hineingestellt in den tosenden Wettstreit von Glut und Finsternis, schloß unwillkürlich die Augen und beugte den Nacken unter die Last des Nieerlebten.

Bis eine fremde Stimme seinen Namen nannte: »Herr Fürbringer?«

Er blickte auf …

Seine Hoheit der Fürst von Eschnapur hatte mit dem Briefe, den er an den Erbauer des Hauses auf dem Roten Hügel schrieb, eine gefälschte Besuchskarte abgegeben.

Der Mann, der vor Michael Fürbringer stand und mit einer ungemein verbindlichen Bewegung ihm die Hand entgegenstreckte – eine kräftige, kühle, langgliedrige Hand –, war sicherlich vielfacher Millionär, war der Besitzer von Sonderzügen, Kraftwagen und Yachten, war mit ziemlicher Sicherheit ein ausgezeichneter Schütze, ein hervorragender Polospieler und ein kaltblütiger Reiter, aber er war nicht der Mann, der die Erde durchforscht hatte, um für das Grabmal einer schönen, toten Frau den erwählten Baumeister zu finden. Oder er fälschte sich in dieser Stunde selbst, maskierte sich mit Hilfe eines Londoner Schneiders, gefiel sich in der Rolle eines Weltmannes, der die europäischen Sitten kannte und mit einer gewissen Selbstverständlichkeit nachahmte, ohne sich der persönlichen Anmut in ihrer Handhabung zu begeben. Es lag durchaus nichts Geheimnisvolles über diesem Menschen; aber vielleicht war dies sein größtes Geheimnis.

»Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie gekommen sind«, sagte der Fürst in einem sehr reinen und mühelosen Deutsch. »Es hat mir nur leid getan, daß ich Ihnen die Beschwerden der großen Reise nicht ersparen konnte. Ich hoffe, daß Sie mit Ihren Dienern zufrieden waren?«

»Vollkommen, Hoheit«, entgegnete Fürbringer.

»Es ist gut«, sagte der Fürst mit einem gleichgültigen Blick nach der Stelle, wo die Dienerschaft Fürbringers stand. »Sie wußten, was sie erwartete, wenn ich in Ihrer Antwort den Schatten der Unzufriedenheit gefunden hätte. Sie werden ermüdet sein – gehen wir ins Haus!«

»Ich bin nicht ermüdet, Hoheit«, antwortete Fürbringer und blieb stehen. »Die Sorgfalt, die auf Befehl Eurer Hoheit während der Reise auf meine Pflege verwendet wurde, machte die Fahrt von Wochen zum Genuß. Und ich möchte den Palast Eurer Hoheit nicht betreten, ohne Eurer Hoheit zu sagen, wie angefüllt von Arbeitsfreude und wie dankbar für den Auftrag, den Eure Hoheit mir zuteil werden ließen, ich herübergekommen bin. Freilich möchte ich wünschen, daß der Anlaß zu diesem Auftrag ein weniger schmerzlicher wäre. Ich kenne die Sitten dieses Landes zu wenig, um zu wissen, ob ich jetzt eine Taktlosigkeit begehe, sonst würde ich Eurer Hoheit die Versicherung meiner aufrichtigsten Teilnahme auszusprechen mir erlauben.«

»Die Sitten dieses Landes«, sagte der Fürst etwas nebensächlich, »verlangen, daß man von den Frauen nicht spricht. Aber erstens kümmere ich mich nicht um die Sitten dieses Landes, soweit sie meinen persönlichen Liebhabereien nicht entsprechen, und zweitens wäre das Thema in unserem besonderen Falle kaum zu vermeiden … Aber lassen wir das jetzt. Vor allen Dingen danken Sie mir nicht; die Menschen haben selten Grund, einander zu danken. Ich selbst verdiene niemals Dank. Auch verzeihen Sie, Herr Fürbringer, wenn ich Sie bitte, nicht allzu oft meines Titels Erwähnung zu tun. Es macht die Unterhaltung so umständlich. Ein Satz – drei Schritte, ein Kniefall … Das ist sehr zeitraubend, nicht wahr? Und wir wollen, wenn wir sie verschwenden, die Zeit den Köstlichkeiten des Lebens geben. Noch einmal, ich heiße Sie willkommen!«

Michael Fürbringer verneigte sich stumm.

Sie gingen über den Platz, dem Tor mit den flammenden Türmen zu. Wo sie vorüberschritten, sanken die ungeheuren Leiber der Elefanten in die Knie und neigten die Köpfe bis auf den Marmor des Bodens. Irgendein geheimnisvolles blutrotes Mal flammte auf ihren Stirnen.

Die Fackeln der Zehntausend, die den Platz erfüllten, gerieten ins Taumeln. Sie drängten sich durcheinander, rechts und links hinter den knienden Elefanten, verwirrten und entknäuelten sich wie in der Trunkenheit eines aberwitzigen Tanzes. Riesenhafte, verzerrte Schatten sprangen an den Säulen des Tores hinauf, dessen tausend steinerne Bildwerke, die seine Flächen bedeckten, sich zu beleben schienen am Rausch dieser Nacht des Willkommens. Tierfratzen grinsten hernieder. Die Hölle der Unzucht brach auf und spie ihre wahnsinnigen Bilder aus. Mitten unter ihnen, sanftmütig und heilig, thronte Nandi, Schiwas Stier.

Sie traten unter den Torbogen und schritten in die Finsternis; der Laut ihrer Füße fing sich, zu Atemlosigkeit gehetzt, in unentwirrbarer Höhe, die keinen Ausweg hatte. Die Fackeln blieben hinter ihnen zurück, als hätten die, in deren Händen sie schwelten, nicht Mut noch Recht, das Jenseits des neunfach getürmten Tores zu erstreben, dessen sanftes, dunkles Luftblau die niedertropfenden Formen des Gewölbes an seinem Ausgang mit unendlicher Weichheit bespülte.

Sie erreichten das Ende des Torwegs; das erlösende Blau nahm sie auf. Im selben Augenblick dröhnte von der Höhe der Tortürme der brüllende Schrei einer Tuba, dreimal wiederholt.

»Gut, gut – sie sind wachsam da oben«, sagte der Radscha halblaut. Es war dem Ton seiner Stimme anzuhören, daß er zufrieden lächelte.

Fürbringer wollte eine Frage stellen; aber er stellte sie nicht. Er blieb stehen, mit offenen Lippen geradeaus starrend …

Vor ihm, keine zwanzig Schritte vom Ausgang des Tores entfernt, lag ein See, ein unendliches Viereck, in Marmorquadern eingefaßt. Das doppeltürmige Tor erhob sich genau in der Mitte des diesseitigen Ufers, das sich nach rechts und links schnurgerade hinzog. Und wiederum genau in der Mitte des Sees wuchs eine Insel aus dem Wasser empor, in dessen Regungslosigkeit sich wenige große Sterne spiegelten.

Beim ersten Ton der Tuba begann die Insel sich zu erhellen. Aus unsichtbaren, sich ganz verschmelzenden, gleichmäßig spendenden Duellen strömte ein sanftes Licht von der vollkommenen Weiße des Schnees und überflutete die Insel, ständig wachsend an Kraft und Fülle, als sollte das Bestrahlte aufgelöst werden in Licht. Der Schein kam nicht vom Ufer her; er ließ das Wasser in samtner Dunkelheit liegen. Er brach aus der Insel selbst hervor, flammenloses, weißes Feuer.

Und Michael Fürbringer erkannte, daß die ganze Insel ein einziges Gebäude war, ein Palast, schneeweiß wie das Licht, tausendtürmig, hochgekuppelt. Er überragte an Höhe die neunmal aufeinandergewälzten Stockwerke des Tores. Und seine Schönheit lag, sich verdoppelnd, als Spiegelbild, regungslos aufgelöst in Weichheit im dunklen Wasser des Sees.

»Mein Gott …«, murmelte Michael Fürbringer. Er hatte die Schale des Schauens an die Lippen gesetzt und sog den Rausch in sich hinein.

Der Radscha sah ihn an und lächelte.

»Kommen Sie!« sagte er liebenswürdig.

Fürbringer folgte ihm, ohne zu wissen, wohin er die Füße setze. Seine Augen hingen in vollkommener Trunkenheit an dem aufgeblühten weißen Wunder der Insel.

Jemand griff seinen Arm: »Falle nicht, Sahib!«

Er stand am Ufer. Stufen, weiße Marmorstufen führten zum Wasser hin. An der letzten, die unter seinen Spiegel versank, lag ein Boot. Vier braune, nackte Menschen hielten die Ruder wie Schwingen der Libelle über dem Wasser ausgestreckt. Auf den geschnitzten Bänken lagen purpurne Kissen.

»Steige ein, Sahib, und setze dich!« sagte der Mann, der das Steuer hielt, mit einer Art feierlicher Demut.

Fürbringer gehorchte. Er setzte sich dem Fürsten gegenüber, der dem Palast den Rücken wandte. Und als er einmal, ohne zu wissen warum, seine Augen von der schimmernden Insel löste und dem Herrn über so viel Schönheit ins Antlitz schaute, sah er, in der Ungewißheit des Lichts, das die Feuerbrände des Tores herübersandten, daß dieses bräunliche, von Höflichkeit gemeisterte Asiatenantlitz im Augenblick, da es sich unbeobachtet wähnte, förmlich ertrunken war in den aufsteigenden Blutwogen eines Hasses und einer Bitterkeit, für die das Abendland keinen Raum, keinen Namen und keine Sättigung besaß.


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