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23. Kapitel

Berichtet, wie Erich durch aufopfernde Freundschaft für den Bombardier Schmoller ins Unglück kommt.

Nachdem sich der Bombardier Schmoller sowohl aus den Trümmern seiner Bettstelle als auch aus denen seiner mit Wasser gefüllten Waschschüssel so gut als möglich gerettet hatte, allerdings mit Durchnässung seiner hinteren Körperseite, welche heute ohnedies schon stark in Angriff genommen worden war, nachdem er so einen Augenblick, wollen wir sagen, fröstelnd, schaudernd, wütend, rachesüchtig, wie ein angeschossenes Rhinoceros, mit zusammengeballten Fäusten dagestanden, that er das Klügste, was er in seiner Lage thun konnte: er brach in ein allerdings etwas konvulsivisches Lachen über diesen ganz famos gelungenen schlechten Witz aus.

»Ihr seid verflucht lustige Kerls,« sagte er, indem ihn das Vergnügen zu schütteln schien, »und war die Erfindung dieses Attentats, wenn auch nicht ganz neu, doch auch nicht so verbraucht, wie eure übrigen Ideen; schade aber, daß es nicht mich allein getroffen hat, sondern auch einen Gast, den ich mitgebracht, mit dem ich gastfrei, wie die Araber, Lager und Gezelt teilen wollte, ein Vergnügen, dessen ihr Murmeltiere mich nun allerdings zur Schande der Menschheit beraubtet! Machen wir indessen Licht und sehen wir, wie wir uns helfen können.«

Bei dem Scheine der nun wieder angezündeten Talgkerze sah man allerdings eine greuliche Verwüstung, und der Bombardier war kaum imstande, aus dem Wirrwarr von Strohsack, Matratze, ein notdürftiges Lager herzustellen; endlich aber gelang ihm dies dennoch, indem er die Mäntel sämtlicher Attentäter in Anspruch nahm, welche, aus ihren Betten heraus grinsend, nichts dagegen einzuwenden wagten, denn Schmoller, obgleich scheinbar ganz guter Laune, machte doch höchst exzentrische Bewegungen und that, wenn einer gar zu laut kicherte, verdächtige Griffe nach einem Schemelbeine oder einem Stiefelknechte.

Darauf war die Ruhe ziemlich wieder hergestellt, und als einige Stunden darauf das falbe Licht des späten Herbsttages aufzudämmern begann, erklang ein beruhigendes, vielstimmiges Schnarchen durch das Zimmer.

Das nun später erfolgende Lever zu beschreiben, halten wir für überflüssig, können aber nicht verschweigen, daß das Erstaunen der Stubengesellschaft kein kleines war, als man nun Erich Freiberg erkannte, der nach allen menschlichen Berechnungen in den Hallen des heiligen Augustin hätte sein sollen, und als auch der junge Flattich die furchtbar zerrissene Hose des Bombardiers hervorbrachte; doch komponierte Schmoller einen artigen kleinen Roman über die Begebenheiten der vergangenen Nacht, viel Dichtung, wenig Wahrheit, von letzterer eigentlich nur, daß er den betreffenden Arrestzettel auf der Kanzlei habe liegen lassen und daß der junge Flattich wohl so gefällig sein würde, diesen so bald als möglich dort unter herumliegenden Papieren zu suchen und herbeizubringen.

»Das beste alsdann ist,« fuhr er fort, »daß ich mich für heute morgen krank melde und mich so bald als möglich zur Kaserne hinausschleiche, um diesen unglücklichen Kerl in Arrest zu bringen. Was nun euch anbelangt,« setzte er mit erhobener Stimme hinzu, indem er unter einer schwungvollen Handbewegung auf die Trümmer seines Bettes wies, »so hoffe ich, ihr werdet daran genug haben und nebenbei so anständige Kameraden sein, um über die anderen Geschichten eure ehrenwerten Mäuler zu halten.«

Unteroffizier Block verbürgte sich in dieser Richtung allen Ernstes für die übrigen, welche denn auch erklärten, daß sich keiner eines solch gemeinen Verrates schuldig machen würde, worauf auch der junge Flattich, sobald dies möglich war, auf der Kanzlei den Arrestzettel suchte und fand; derselbe war zwischen andere Papiere geraten. Dann begaben sie sich auf die Schreibstube, wo es dem Unteroffizier Block das größte Vergnügen machte, heute, wo gerade sehr dringende Arbeiten vorlagen, den Bombardier Schmoller beim Brigadeschreiber krank melden zu können.

Erich und der Bombardier blieben auf der Stube zurück und beratschlagten, was weiter zu thun sei.

»Vor allen Dingen,« sagte Schmoller, »muß ich meinen Säbel und meine Brieftasche wieder zu erlangen suchen; letztere enthält kompromittiernde Geheimnisse, und ich zittere bei dem Gedanken, daß sie in unrechte Hände fallen könnte.«

Darauf legte er ein ziemlich wahres Geständnis seiner Erlebnisse des gestrigen Abends ab und ersuchte schließlich seinen Freund, sich in das bezeichnete Haus begeben zu wollen, um dort Säbel und Brieftasche zurückzuverlangen.

»Ich werde so lange in dem kleinen Wirtshaus« warten, wo wir gestern waren, und da es mich wahrhaft anekelt, hier in diese« trostlosen Umgebung etwas zu genießen, so verspreche ich dir ein solides Frühstück, sobald du mit meinen Effekten zurückkehrst. Vorher aber wollen wir uns so fein als möglich machen, und während mein Bursche hereinkommt, um deine Uniform und Stiefeln zum Putzen zu holen, kannst du dich hinter einem der Betten verkriechen, damit dich dieser Kerl nicht sieht, was jedenfalls unnötig ist.«

So geschah es, und eine gute halbe Stunde später schlichen sich beide zum Zimmer hinaus, gewannen glücklich eine Nebentreppe und erreichten, draußen längs der Mauer hinschleichend, die Hintergebäude der Dominikanerkaserne, Stroh- und Holzmagazine, wo sie durch ein nicht zu hoch gelegenes Fenster auf die Straße gelangten. Auch kamen sie ohne weitere Schwierigkeiten in das betreffende Wirtshaus, wo sie in derselben Ecke, {bild} die sie gestern abend beherbergt, einen Augenblick verblieben, und wo Grich neben den letzten Instruktionen noch ein Paar frischgewaschener Handschuhe des Bombardiers empfing, sowie dessen feinere Mütze, um auch im Aeußeren würdig als Gesandter einer solchen Großmacht auftreten zu können.

Dann ging er seiner Wege; doch ehe er das that, kapitulierte er mit Schmoller noch wegen einer kleinen halben Stunde zur Besorgung eines eigenen dringenden Geschäftes wer hätte auch die Dringlichkeit desselben nicht begreiflich gefunden? Wer, der um die Vorfälle des gestrigen Abends gewußt? Ach, wie oft war er während des kurzen Nachtschlummers erwacht, hatte an die arme Ticzka gedacht und sich halb träumend, halb wachend mit ihr beschäftigt! Wie zitterte er bei dem Gedanken, wieder in das kleine Haus einzutreten, dort vielleicht bleiche, verstörte Gesichter zu sehen und den alten Marechal zu finden, der ihn hinausführte in das Zimmer, wo die schöne Kolma lag! Vielleicht aber auch, daß ihm der alte Mann mit glücklichem Gesichtsausdrucke zuflüsterte: »Es geht besser, es geht gut, sie hat schon mehreremal nach Ihnen gefragt!« So oder so. Darum mußte er Gewißheit haben und deshalb verlangte er vorher eine kurze halbe Stunde für eine dringliche Dienstangelegenheit.

Aber Erich hätte ebensogut einen Nero erweichen können, als den Bombardier Schmoller in diesem Augenblicke; schon bei der einfachen Zumutung hatte sich alles in ihm emporgesträubt, wie bei dem erzürnten Hahne, ja, er kollerte auch zornig, wie dieser und ließ Erich bei irgend etwas Furchtbarem schwören, geradeswegs zu gehen, seinen Auftrag auszuführen und geradeswegs wieder zurückzukehren.

»Wenn ich erst meinen Säbel und meine Brieftasche wieder habe,« hat Herr Schmoller gesagt, »dann wollen wir sehen, was in deiner dringlichen Angelegenheit zu thun ist.«

Wenn dieser Gang auch Erich keine große Gemütsbewegung verursachte, so war er doch an dem heutigen Morgen infolge der gestrigen Erlebnisse, sowie einer fast schlaflosen Nacht in einer aufgeregten, etwas gereizten Stimmung, leicht empfänglich für Angenehmes und Unangenehmes und in dieser Verfassung hatte er sich vorgenommen, dem Herrn des betreffenden Hauses allerdings mit Höflichkeit entgegenzutreten, aber mit Festigkeit die Zurückgabe der fraglichen Gegenstände zu verlangen und im günstigen Falle des Gelingens allerdings seine und des anderen herzlichsten Gefühle der Dankbarkeit nicht vorzuenthalten.

»Hoffentlich versteht der Mann einen Scherz und hat nicht die blutdürstige Absicht, meinen Freund ins Unglück zu stürzen; möglich aber auch, daß die betreffende Person selbst so gescheit und glücklich gewesen ist, Säbel und Brieftasche auf die Seite {bild} zu bringen. Jedenfalls ist das Ganze für mich eine unangenehme Kommission, und dazu der Hintergrund meiner drei Tage, während ich jetzt so gern in einem behaglich warmen Winkel sitzen möchte, am liebsten am Bette der armen Ticzka, um mich nach ihrem Zustande zu erkundigen, um sie sanft zu trösten, wenn das Unglück, wie ich hoffe, nicht zu arg ist, oder im anderen Falle mit dem allen Marechal bitterlich um sie zu weinen! Ja, ich gäbe in diesem Augenblicke viel darum, natürlich, wenn ich etwas zum Geben hätte, wenn es noch um diese Zeit wäre, wie damals vor Jahren, und ich mich an irgend ein freundliches Herz schmiegen könnte, an das Herz des guten Doktors Burbus oder an das des treuen Jugendlehrers, oder wenn ich mich zu den Kindern des guten Wacker hinsetzen könnte in das ärmliche Wohnstübchen, fern von der lärmenden Welt, und ihnen Märchen erzählen, bis wir alle miteinander einschliefen, was damals wohl vorzukommen pflegte oder selbst wenn ich bei ....«

Er verscheuchte in seinen Gedanken rasch den Namen Selmas sowie ihr Bild, welches ihn in diesem Augenblicke so eigentümlich anlächelte Selma. Er hatte so lange nicht an sie gedacht, ja, er hatte sie fast vergessen, und jetzt auf einmal erinnerte er sich so lebhaft ihrer hübschen, schmachtenden Augen, ihrer starken Lippen, ihrer vollen Gestalt. Pah, dummes Zeug!

Da war das bezeichnete Haus, auf welches er, dicht an der Mauer hingehend, nun zutrat und dann die Klingel anzog.

Es dauerte auch nicht lange, so näherten sich Tritte, die Thür wurde aufgeschlossen, aber nur soweit geöffnet, als es die von innen vorgelegte Kette erlaubte, und dann erscholl durch diese Spalte ein leiser Schrei der Verwunderung oder des Schreckens.

»Vor allen Dingen,« flüsterte Erich, »ersuche ich Sie, mich ins Haus zu lassen, damit mein Davorstehen kein unnötiges Aufsehen macht. Seien Sie gescheit, hübsche Lisette, ich bin gewiß nicht gekommen, Ihnen Ungelegenheiten zu machen!«

»O, Maria Joseph, was wollen Sie denn eigentlich? Ich kenne Sie gar nicht!«

»Aber Sie kennen meinen Freund Schmoller.«

»Leider, und ich wollte, ich hätte ihn nie kennen gelernt!«

»Vielleicht denkt der ebenso,« dachte Erich und setzte laut hinzu: »Das ist möglich, aber ich habe ein paar dringende Worte mit Ihrer Herrschaft zu reden, und wenn Sie mich nicht herein lassen, so muß ich so lange anläuten, bis jemand anders kommt!«

Die Kette fiel, und Erich trat in das Haus, welches sogleich hinter ihm verschlossen wurde.

»Ich weiß schon, weshalb Sie kommen,« sagte das hübsche Dienstmädel, »aber es ist unmöglich, rein unmöglich!«

»Und was ist rein unmöglich, wenn ich fragen darf? Seien Sie doch gescheit, es läßt sich alles Mögliche möglich machen!«

»O, ich kann mir's denken, der Schmoller hat gestern abend etwas zurückgelassen, und das wollen Sie abholen; aber, wie ich schon sagte, das ist rein unmöglich, denn der Herr hat es gestern abend gleich mit hinauf genommen!«

»Den Säbel?«

»Ja, den Säbel. Ach, ich unglückliche Person, so meine Reputation zu verlieren! Ich, die nie ein Verhältnis gehabt hatte, ja, die von der Madame nur deshalb in den Dienst genommen wurde, weil ich früher nie ein Verhältnis gehabt, denn die Madame sagt, das könne der Herr durchaus nicht leiden. Und nun muß der Herr einen Säbel bei mir finden, und ich konnte ihm doch nicht weismachen, daß dieser Säbel allein ins Haus gelaufen sei!«

»Das ist allerdings wahr und die Brieftasche?«

»O, die hab' ich glücklicherweise in meine Tasche gesteckt! Glücklicherweise!« fuhr sie mit einem recht schnippischen Ausdrucke fort. »Das können Sie Ihrem Freunde, dem Herrn Schmoller, sagen, denn ich hätte in dieser Brieftasche Beweise gefunden, wie schlecht er war, jemand zu betrügen, der so treu an ihm gehangen so treu, so treu!«

Während sie mit ihrem Schürzenzipfel an die Augen fuhr, sah Erich deutlich ein, daß Schmoller wirklich ein Ungeheuer sein mußte, verschwieg diese Ansicht auch nicht, indem er hinzusetzte, »es müßte ihr, als einem so hübschen Dienstmädchen, alles daran gelegen sein, die Zeugen des unterbrochenen Opferfestes dadurch zu entfernen, daß sie ihm auch die Brieftasche übergebe.« Doch ließ Lisette bei dieser Aufforderung ihren Schürzenzipfel fallen und erklärte fest und bestimmt, »das sei eine Sache, die sie Aug' in Auge, wie auch noch andere, mit dem Herrn Schmoller selbst regeln wolle.«

»Gut denn, ich kann dagegen nichts einwenden, bitte aber, mich jetzt Ihrem Herrn zu melden, damit ich ihn um die Herausgabe des Säbels bitten kann wohl verstanden. Ich fange damit an, zu bitten, und der Herr wird wohl begreifen, daß es eine Unmöglichkeit ist, ein königliches Eigentum zurückhalten zu wollen.«

»Der Herr wird es aber nicht begreifen können,« erwiderte das hübsche Dienstmädchen in einem etwas schnippischen Tone, »denn er ist heute in der Frühe verreist.«

»Alle Teufel, das ist sehr ungeschickt! So muß ich mich an die Frau vom Hause wenden, was am Ende noch günstiger ist,« setzte er galant hinzu, »denn sie wird nicht so hartherzig sein.«

Ob es hier absichtlich geschah, daß das hübsche Dienstmädel den hübschen Soldaten mit einem längeren Blicke, der von einem eigentümlichen Lächeln begleitet war, betrachtete, als dies bisher geschehen, sind wir nicht imstande, anzugeben; doch knickste sie etwas auffallend und sagte, indem sie ihren Kopf in die Höhe warf:

»O, ich kann es schon versuchen, bei der Madame zu fragen, ob sie den Herrn sehen will, den Herrn Bombardier oder wie habe ich die Ehre, Sie anzumelden? Glaube aber doch nicht,« setzte sie mit einem zweiten Knickse hinzu, »daß die Madame sich beeilen wird, den Herrn heraufkommen zu lassen. Wen soll ich also anmelden?«

»Sagen Sie meinetwegen: einen Freund Ihres Schmollers.«

»Meines Schmollers? O, ich bitte, das hat nach dem, was ich durch die Brieftasche erfahren, sehr aufgehört!«

»Nun, so sagen Sie meinetwegen: ein Brigadeschüler Namens Freiberg wünsche die Frau des Hauses zu sprechen.«

»Ah, ein Herr Brigadeschüler! Nun, ich will es versuchen, weil Sie so manierlich sind und so anständig aussehen.«

Nach diesen Worten hüpfte sie kokett, mit schwänzelnder Bewegung ihrer Röcke die Treppe hinauf, blieb auch nicht lange aus und rief ihm schon von der Treppe entgegen: »Die Madame will Sie wahrhaftig sehen; ach, Herr Brigadeschüler, wenn es Ihnen gelingt, den Säbel Ihres Freundes zurückzuerhalten, so bereuen Sie ein gutes Wort für mich nicht, sagen Sie meinetwegen: dieser Schmoller sei ein ebenso anständiger Mensch und habe die ehrlichsten Absichten.«

»Trotz der Brieftasche? Nun, ich will sehen, was ich thun kann.«

»So bitte treten Sie hier herein und gedulden Sie sich nur einen Augenblick. Madame ist ein bißchen spät zu Bette gegangen und auch ein bißchen spät aufgestanden. Ach, Herr Brigadeschüler, ich verlasse mich ganz auf Sie!«

Das hübsche Dienstmädchen hielt bei diesen Worten dem jungen Manne so herausfordernd die Hand entgegen, daß er nicht anders konnte, als diese ergreifen und sie nochmals seines besten Willens zu versichern.

Dann war Erich allein und schaute sich in dem nicht reich, aber behaglich eingerichteten Wohnzimmer um. Da war auf dem Boden ein weicher Teppich, da stand in der einen Ecke ein Sofa und davor ein kleiner Fauteuil, in der anderen Ecke ein weißer Porzellanofen, der eine angenehme Wärme verbreitete, da duftete es nach Blumen und nach Kaffee, beides sehr natürlich, weil sich unter dem Spiegel eine Porzellanschüssel voll kleiner Veilchenbouquets befand, die nachgeborenen Kinder der letzten Herbstsonnentage, und weil auf dem Tische eine brodelnde Kaffeemaschine stand. Das ganze Bild, ein so reizendes Ensemble, daß Erich bei seiner regen Phantasie sogleich das wonnige Gefühl empfand, sich dort in dem Fauteuil ausstrecken zu können und von dem Kaffee und dein einladenden Backwerk zu frühstücken lächerliche Träume für ihn, der selbst mit drei Tagen Mittelarrest behaftet hierher gekommen war, um den Säbel eines anderen, nicht minder schweren Verbrechers zurück zu erbetteln. Wie war die Dame des Hauses beschaffen? War es eine alte, gediegene, mürrische Persönlichkeit, klapperdürr, mit spitziger Nase, welche die günstige Gelegenheit wahrnahm, diesen jungen, leichtsinnigen Leuten einmal eine Predigt aus dem FF zu halten? War es

Doch da öffnete sich die Thür und die Herrin des Hauses trat ein. Keine klapperdürre Persönlichkeit mit spitzigen Schultern, soviel bemerkte der junge Mann beim ersten Blicke, ohne ihr Gesicht sehen zu können, da sie dieses abgewandt hatte, während sie die Thür hinter sich verschloß. Es war eine hübsche, etwas starke Gestalt in einem hellgrauen Morgenkleide, welches sich bei der oben erwähnten Bewegung so fest an ihren Körper anschmiegte und Formen zeigte, daß alle Ideen von dürrer, gefühlloser Grausamkeit sogleich entschwinden mußten.

Dann wandte sie sich gegen den jungen Mann, ein Lächeln auf den Lippen.

»Selma...«

»Herr Freiberg! Was verschafft mir endlich das Vergnügen, Sie bei mir zu sehen?«

Sie betonte das »endlich« so stark, daß Erich sich gedrungen sah, es zu wiederholen, und dann hinzuzusetzen: »Sehen Sie, wie ich überrascht bin; ich hatte keine Ahnung, Sie hier zu finden.«

»Das ist doch seltsam,« gab sie zur Antwort, während das Lächeln nicht von ihrem Gesichte wich; »und doch ließen Sie sich unter Ihrem Namen bei mir anmelden.«

»Bei der Dame dieses Hauses, ja, aber im Auftrage eines Freundes.«

»Sollte ich diesen Auftrag und Ihren Freund vielleicht erraten? Doch halt,« fuhr sie, ihm rasch nähertretend, fort, »ist vielleicht Ihr Freund und Sie eine und dieselbe Person?« Dabei war aber das Lächeln gänzlich von ihrem Gesichte verschwunden.

»Daß wir zwei, mein Freund und ich, in der That verschiedene Personen sind, dafür kann ich in Ihrem Hause selbst die gültigsten Zeugnisse beibringen.«

»Gewiß? Erich, ist das wahr? O, es hätte mich sehr, sehr geschmerzt, denn ich weiß, welche Bitte Sie an mich zu stellen haben, und es hätte mich tief betrübt, von einem Jugendfreunde so gewöhnliche, mehr als leichtsinnige Dinge zu erfahren! Doch nein, Sie sprechen die Wahrheit, Sie schauen mich ehrlich und offen an, wie ehedem, Sie sehen so gut und unschuldig aus, wie damals deshalb seien Sie mir herzlich willkommen!« Sie reichte ihm ihre beiden Hände, und er fühlte den leisen Druck derselben. »Wie danke ich dem an sich recht unangenehmen Vorfalle, der Sie endlich zu mir geführt! Wissen Sie, geführt! Wissen Sie, Erich, daß es recht schlecht von Ihnen ist, eine gute Freundin, wie ich Ihnen stets war, nicht schon lange aufgesucht zu haben? Oder hätten Sie nicht gewußt, daß wir schon seit einem halben Jahre hier sind?« »Darauf kann ich Ihnen mein Ehrenwort geben, gewiß, ich hatte keine Ahnung davon! Werden wir doch in unserer Schule fast wie Gefangene gehalten und kommen mit der Welt, die außer unserer militärischen Sphäre liegt, so gut wie in gar keine Berührung!«

»Sonst hätten Sie mich aufgesucht? O, gewiß, Sie hätten das gethan, Sie hätten Selma nicht vergessen, die stets so freundlich für Sie war, bis zu jener Zeit, wo« sie hob halb drohend ihren Zeigefinger empor »wo Sie sich aus einem schüchternen Schulamtsgehilfen so plötzlich in einen Begleiter hübscher Zigeunermädchen verwandelten! O, Erich, wie Sie uns alle, und besonders mich getäuscht haben! Doch genug davon, reden wir nicht mehr darüber, sondern beschäftigen wir uns, freundschaftlich plaudernd, mit der Gegenwart. Und nun kommen Sie und setzen sich zu mir.«

Da saß er denn nun wirklich in dem Fauteuil, wie er vorhin geträumt, ja, behaglich ausgestreckt, so hatte es Selma verlangt, wobei sie schmeichelnd bat, ganz so zu thun, wie damals, als sie noch auf dem Sofa des elterlichen Hauses gesessen, ein Paar harmlose, unschuldige Kinder damals, ehe er jene düster blickende Zigeunerin kennen gelernt. »Doch wir wollen nicht mehr darüber reden, obgleich ich dieses Mädchen gehaßt habe, so schön sie auch war. Das liegt aber alles weit hinter uns, nicht wahr, Erich? Sie verzeihen, wenn ich Sie von meinem Vaterhause her noch so nenne ach, es waren doch schöne Zeiten!«

Wahrend die schöne Frau so plauderte, beschäftigte sie sich mit ihrer Kaffeemaschine, nicht ohne dabei Erich häufig mit ihren blitzenden Augen anzuschauen und nicht ohne ihrer Freude dieses Wiedersehens und des Anschauens dadurch noch einen größeren Ausdruck zu verleihen, daß sie ihn heiter anlächelte, ja, daß sie ihre seine weiße Hand auf sein krauses Haar legte und ihm dabei versicherte, dasselbe sei noch viel stärker geworden als früher.

Dann schob sie die Tasse vor ihn hin und setzte sich in die Ecke des Sofas, ihm so nahe als möglich. »Und nun wollen wir plaudern.«

Auch der zweite Teil seines Traumes war erfüllt, und er ließ sich nicht lange nötigen, das süße, duftige Getränk zu schlürfen und von dem guten Backwerke zu essen. Hatte er doch Hunger und Durst und fühlte sich so angenehm durchwärmt nach dem Genusse des heißen Kaffees! Dann erzählte sie von ihrem vergangenen Leben, wie sie den ihr von den Eltern bestimmten, ja aufgezwungenen Bräutigam nach vielem Widerstreben endlich doch geheiratet, wie sie weder glücklich noch unglücklich geworden, wie sie mit ihm in einer Mittelwegsehe lebe, dergleichen es tausende in dieser traurigen Welt gäbe was Erich indessen nicht ganz zu verstehen schien und wie sie durch alles das ein freud-, aber auch ein leidloses Leben führe. »Er hätte eine Pfarre antreten sollen,« fuhr sie fort, »aber in einem so elenden Dorfe des Gebirges, daß Mama ihn Zustimmung dazu nicht geben wollte und uns durch ihre Bekanntschaften hier installierte, wo er als Gymnasiallehrer Unterricht in alten Sprachen erteilt , ach, er ist stark in alten Sprachen,« setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »was aber gerade keine Eigenschaft ist, daß sich eine junge Frau davon beglückt fühlen könnte! Heute morgen ist er nach der Residenz abgereist, wo er mit Papa und Mama zusammentrifft, um den Versuch zu machen, daß ihm die Nachfolge in Zwingenberg für später gesichert werde. Da haben Sie den ganzen Roman meines Lebens, das heißt die trockene Geschichte eines trockenen Daseins, denn was allenfalls Romanhaftes über mein Leben hinglänzte, liegt hinter mir wie jene Tage, von denen ja auch Sie zu erzählen wissen. Aber nichts von jenen Tagen sollen Sie mir erzählen,« fuhr sie eifrig fort, indem sie sich rasch gegen ihn neigte mit einer Bewegung, als wollte sie ihre Hand auf seinen Mund legen »nichts von dem Damals, wo wir so kindisch und so dumm waren; doch berichten sollen Sie mir, wie es Ihnen seit jener Zeit ergangen, bis heute, bis zu diesem Augenblicke, bis jetzt, wo ich das Vergnügen habe, Sie bei mir zu haben, lieber Erich!« Sie stützte den Arm auf die Lehne des Sofas, und während er ihr erzählte, wie es ihm in den letzten Jahren ergangen, streckte sie ihren runden Arm über die Sofalehne hinaus und wühlte gedankenvoll oder gedankenlos in seinem Haar.

Bei seiner Erzählung folgte er dem Grundsatze, daß, was man sagt, wahr sein soll, aber daß man nicht alles zu sagen braucht, was wahr ist, weshalb sein Bericht über die Begebenheiten auf Schloß Seefeld lückenhaft war und er über die letztvergangene Nacht als eine ganz gewöhnliche, gut verschlafene hinwegglitt. Dann kam er zu dem Kapitel Lisette, Säbel und Schmoller, und da im gleichen Augenblicke das Bild des letzteren vor seine Seele trat, wie er mit allen Zeichen der Ungeduld in dem kleinen Wirtshause hin und her rannte, so stellte nun Erich in aller Form seine Bitte um Zurückgabe des corpus delicti.

Ueber dieses Abenteuer, das gestern in ihrem Hause gespielt, brach Selma in ein so heiteres Lachen aus, daß sie nicht anders konnte, als aufstehen und zur Erholung einen raschen Gang durch das Zimmer machen.

Diesen Gang dehnte sie bis zur Thür aus, zu welcher Erich hereingekommen war, ja, sogar bis vor die Thür, bis an die Treppe, wo sie einen Augenblick stehen blieb und wo sie Lisette in ihrer Küche hantieren hörte. Dann kehrte sie zurück, etwas schwer atmend, wahrscheinlich von dem anstrengenden Lachen und der raschen Bewegung, und sich auf den Fauteuil, in welchem Erich sah, stützend, sagte sie, sich zu ihm herabbeugend: »Ihre Bitte will ich erfüllen unserer früheren innigen Freundschaft wegen, ja, einer Freundschaft, die hätte gefährlich werden, ja, in ein anderes Gefühl hätte ausarten können, wenn wir nicht damals abends...

»Hatten Sie damals nicht auch das Gefühl,« unterbrach sie sich selber, »daß wir in Gefahr standen, uns mehr zu sein, als wir uns sein durften, hatten Sie nicht, Erich?«

Nun war er aber damals durchaus nicht zum Bewußtsein einer Gefahr gekommen und auch jetzt nur zu dem Bewußtsein eines Gefühles, das ihm aber auch durchaus nicht gefährlich erschien; seine Nerven bebten noch leise nach von den Begebenheiten der vergangenen Nacht. Aus einem rauhen, frostigen Morgen, aus einem ungemütlichen Kasernenzimmer hinweg, aus dem bitteren Gefühle, einen unangenehmen und vielleicht doch vergeblichen Gang machen zu müssen, war er plötzlich in dieses behagliche Kapua gekommen, nach der heimlichen Insel einer Zauberin, die ihn vom Schiffbruche errettet, die nun mit sanfter Hand sein Haar glättete und jetzt bemüht war, seine eigentümlich kalten Finger zwischen ihren beiden Händen zu erwärmen ja, einer Zauberin, deren volle hochblonde Locken so kokett auf den schneeweißen Nacken niederfielen, jetzt auf die runden Schultern und weiter hinab, da ihr leichtes Gewand nur um die Taille durch eine seidene Schnur zusammengehalten wurde, die sogar keinen festen Knoten hatte, was sie selbst, aber zu spät, mit einem kurzen koketten Aufschrei zu bemerken schien.

Für Erich verschwammen die Bilder der vergangenen Nacht und des gegenwärtigen Morgens auf eine seltsame Art durcheinander. Er dachte an die arme Ticzka, während er sich von Selmas heißem Atem angehaucht fühlte, und aus der Tiefe eines weißen, verräterisch wogenden Meeres sah er beinahe schaudernd die so eigentümlich leuchtenden Augen Kolmas, ihn fast vorwurfsvoll anblickend. Darum schloß er lieber seine eigenen, wie es der kühne Schwimmer oder der rettungslos Verlorene wohl zu machen pflegt, wenn er genötigt ist, sich in die brausende Tiefe zu stürzen, untersinkend, mit einem beängstigenden, schmerzlichen und doch wieder unaussprechlich seligen Gefühle. Ist er ein guter Schwimmer, so wird er ohne Mühe das Ufer wieder erreichen, dort ermattet hinsinken unter Gras und Blumen, deren duftenden Kelche an zierlich geneigten Stengeln auf ihn herabnicken. Hier waren es indes keine Blumen, sondern langes kühles blondes Haar, während er wie im Traume mit halb geschlossenen Augen immer noch das Leuchten und Wogen des Sees vor sich sah.

Dann sprang er rasch empor und zog sie mit sich in die Höhe, wobei ihr glühendes Gesicht gegen den Boden gewandt war, so daß er ihre thränenfeuchten Augen nicht sehen konnte.

»Ich fühle, wieviel ich verloren,« hauchte sie kaum verständlich; »ach hätte uns das Leben früher und bindend zusammengeführt, während jetzt jedes für sich einzeln seine Straße wandeln muß und während man nur vielleicht rechnen darf auf ein baldiges freudiges Wiedersehen nicht wahr, Erich?«

»O gewiß, gewiß!« gab er zur Antwort, während seine Gedanken ganz wo anders waren; er sah die arme Ticzka blutend am Boden liegen, er hörte sie sagen: »Wenn du bei mir geblieben wärest, so wäre das alles nicht vorgefallen! Du wärest recht undankbar, mich zu verlassen wenn das alles die kleine Blanda wissen könnte!«

»Ja, ja,« tönte und dröhnte es in ihm, »ich war recht undankbar, grenzenlos undankbar, und es ist eine gerechte Strafe, daß ich meine Undankbarkeit verzweiflungsvoll fühle, ja, verzweiflungsvoll...« Er starrte vor sich hin, und nagte an der Unterlippe, während Selma leise von seiner Seite weggetreten war und, am Fenster stehend, an den grauen Himmel emporblickte. Es dauerte eine gute Weile, ehe er imstande war, scheu zu ihr hinüberzublicken, fürchtend, auch hier düsteren, vorwurfsvollen Blicken zu begegnen. Sollte er sich freuen, daß dies nicht der Fall war, daß sie sich jetzt heiter lachend gegen ihn wandte, dann auf die grauen Wolken zeigte, die, von einem scharfen Winde getrieben, vorüberflogen, und dabei sagte: »Wir werden Schnee oder Regen haben in kurzer Zeit.«

»Ja, Schnee oder Regen, und ich habe noch einen recht weiten Weg zu machen.«

»So muß ich dich entlassen, mein süßer Erich, so schmerzlich mir dies auch fällt; doch ehe ich dir das Bewußte übergebe, mußt du mir versprechen, mich so bald wieder zu besuchen, als es dir möglich ist.«

»So bald als es mir möglich ist,« antwortete er, in Gedanken versunken, und jetzt zum erstenmal schwebten die drei Tage, die er in den Hallen des heiligen Augustin zubringen sollte, wie ein Lichtpunkt vor seiner Seele fest verschlossen hinter Mauer und Riegel, abgesperrt von dieser eigentümlichen Welt, büßend auf hartem Holzlager bei Wasser und Brot ja, es gab doch noch Gerechtigkeit auf Erden.

Er hatte es nicht einmal bemerkt, daß Selma lächelnd aus einer Ecke des Zimmers den Säbel Schmollers hervorgeholt, die fürchterliche Waffe, welche so viel Unheil angestiftet, und ließ es nicht nur geschehen, daß sie ihm das Bandelier um seine Schultern legte, sondern er befestigte gedankenlos die Achselklappe darüber und griff nach seiner Mütze, die neben ihm auf dem Boden lag.

»Adieu, mein Freund, denke an mich und laß dich bald wieder bei mir sehen, in den nächsten Tagen!«

»Ja, o ja!«

Dann leuchtete es noch einmal um ihn her wie Seegestade mit Wellen und Blumen, und er fühlte, wie Selma einen kurzen heißen Kuß auf seine Lippen drückte; noch einmal zog sich sein Herz krampfhaft zusammen, dann befand er sich an der Thür, vor der Thür, an der Treppe, und vernahm die Stimme der Frau vom Hause, welche hinabrief: »Lisette, öffne dem Herrn Freiberg die Thür und sage dann dem Fräulein droben, es möchte jetzt zum Frühstück kommen!«

Drunten empfing ihn das hübsche Dienstmädchen, und erst als sie sagte: »Sie sehen ja aus, als wenn alles schlecht gegangen wäre, und haben ja doch den Säbel wieder!« versuchte er, ein klein wenig zu lächeln; dann aber machte sie ein affektiertes betrübtes Gesicht und seufzte ein wenig, während sie aus ihrem Rocke die bewußte Brieftasche hervorzog: »Nehmen Sie das auch mit und geben Sie es ihm wieder, es würde für mich eine zu schmerzliche Erinnerung sein. Ach, Herr Brigadeschüler, wie traurig ist es für uns arme Mädchen, daß ihr Männer alle so entsetzlich treulos seid!«

Die Thür fiel hinter ihm ins Schloß und die Kette rasselte darüber hin, während er mit einem unaussprechlich bitteren Gefühle an den grauen Himmel emporschaute und sich darüber freute, daß ihm der scharfe Wind einen Regenschauer in das erhitzte Gesicht jagte.

Als er hierher gegangen war, hatte er sich mit ängstlicher Vorsicht an den Mauern und Häusern vorbeigeschlichen, jedes kleine Seitengäßchen, jede abgelegene Straße benutzend; wogegen er jetzt, mit ernsteren, wichtigeren Gedanken beschäftigt, diese Vorsicht nicht mehr beobachtete. Er ging geradeaus quer über die Straße, vor sich niederstarrend, zuweilen mit den Zähnen knirschend, sich unmutig schüttelnd, die linke Hand krampfhaft um den Griff des Säbels geballt; dann kam er über einen kleinen, aber belebten Platz, dann an einem Hause vorbei, vor dem eine Schildwache auf und ab ging, die er auch nur wie im Traume sah, dann fühlte er, daß jemand auf ihn zutrat, dann hörte er die barsche Anrede: »Na, dat muß ick sagen, et könnte mir mit demselben Effekt ein Toter auf der Straße begegnen, als der da! Herr Hauptmann von Lindenbaum, globen Sie mir, wir stoßen da auf eene ganz unerhörte prächtige Geschichte!«

Erich, auf diese Weise furchtbar aus seinen Träumereien aufgerüttelt, hatte emporschauend den Oberst erkannt, welcher breit vor ihm stand, die rechte Hand in die Seite gestemmt, mit der Linken unmutig den Säbel schüttelnd.

»Sehen Sie mir diesen Mann an,« brüllte er über den Platz hinweg, daß die Leute erstaunt stehen blieben, andere hinüberschauten. »Diesen selbigen Mann, einen Brigadeschüler, habe ich gestern abend für drei Tage aufs Holz kommandiert und finde ihn nun hier auf der Gasse in frecher Weise vor dem Hause seines Obersten herumstreichend! Wenn dat nit en Fressen für dat Standrecht ist, so soll mich selbst gleich en Millionen Schock ... na, wir wollen nit fluchen; sage Er, Mensch, wat hat Er mir zu antworten?«

Das war nun allerdings eine böse Frage, und Erich that das Klügste, was er thun konnte, nämlich stillzustehen, ohne daß eine Muskel in seinem Gesichte zuckte, und den Oberst anzuschauen. Die Blässe seines Gesichts, sowie die unverkennbare Bestürzung, in der er sich befand, machten die Hand des Obersten sinken, der diese schon erhoben hatte, um den Frevler am Lederzeuge zu packen und ein bißchen zu schütteln; ja, sie machten, daß er ihn ein paar Sekunden kopfnickend betrachtete und dann den Worten des Brigadeadjutanten Gehör gab, der ihm, mit einem schüchternen Blicke auf die umstehenden Leute, sagte: »Wollte der Herr Oberst nicht die Gnade haben, einen Augenblick in das Ordonnanzzimmer zu treten, und dort könnte man ...«

»Ja, dort könnte man, dort soll man, dort wird man, und ick bin der Mann, um diesem nichtsnutzigen Gelichter zu zeigen, dat alle diese tollen, verrufenen Streiche ihre Grenzen haben, wo da ist Heulen und Zähnklappern!«

Dann wackelte er in das Haus zurück, Erich folgte ihm auf eine Einladung des Brigadeadjutanten vermittelst gefälliger Handbewegung, worauf dieser selbst kam und so die Prozession zum Richtplatze schloß.


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