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7. Kapitel

Erich verläßt seine Stelle, wohnt einem militärischen Manöver bei und rettet eine Batterie vor feindlichem Ueberfalle.

Da stand Erich denn wieder an dem Meilensteine, von wo er zum erstenmal Zwingenberg gesehen hatte, und abermals schaute er tief nachsinnend auf das Pfarrhaus mit seinen hohen Bäumen, auf die Kirche sowie auf das niedrige Dach des Schulhauses, welches er damals nicht erkannt, auf das aber heute sein erster und auch wieder sein letzter Blick fiel. War er trauriger als an jenem Tage, wo er die baufällige Hütte seines Vaters verließ? Im Gegenteil. Damals haftete ein viel schwererer Druck der Verlassenheit auf ihm, damals betrachtete er das Leben als ein trügerisches Meer, in dem man untergehen müsse, wenn man nicht sogleich schwimmend eine sichere Bucht erreichen könne. Er kannte noch nichts von jenen vergeblichen Versuchen, von jenem Ringen mit den Wogen, das nur dazu dient, unsere Kräfte zu erproben und zu stärken, von jenen mißlungenen Versuchen, die uns nach vergeblichem Kampfe an das Ufer zurückschleudern und uns so zwingen, unser Glück an einer anderen Stelle zu erproben – Versuche, die unseren Mut stählen, da wir erfahren, daß das Mißlingen eines Planes nicht gleichbedeutend ist mit bedingungslosem Untergange. Und gelernt hat er auch manches, sowie seine Kenntnisse vermehrt, sowohl die Kenntnisse, welche man aus Büchern schöpft, als solche, die man sich im Umgange mit Menschen aneignet, und letztere sind wahrlich nicht die schlechtesten. O, er war kein so unreifer Neuling mehr als an jenem Tage, wo er zum erstenmale, an diesen Meilenstein gelehnt, seinen zukünftigen Bestimmungsort vor sich sah. Er hatte Menschen kennen gelernt, und wenn er auch seines Nachfolgers Art und Weise zu handeln gerade nicht zu billigen vermochte, so hatte er leider doch sehr die Erfahrung gemacht, daß man auf dem geraden Wege nicht immer am leichtesten und unangefochtensten durch die Welt kommt.

Er hatte sie gemacht als abschreckendes Beispiel, wie er sich selbst vorsagte, und seine Ehrlichkeit sowie seine Wahrheitsliebe wurzelten noch fest genug in ihm, um trotz alledem die krummen Wege verabscheuungswürdig zu finden.

Aber was nun beginnen auf dem geraden Wege der Landstraße und dem der Tugend, die beide vor ihm offen lagen?

Jetzt schon den Rest seiner Barschaft daran wenden und gleich einem verlorenen Sohne zu Herrn Schmelzer zurückzukehren und sich zu stellen vor dem strengen Auge des dortigen Pfarrers, dem sein Amtsbruder in Christo und von Zwingenberg gewiß schon das Nötige über ihn mitgeteilt – ein Weg, wohl zu überlegen, welcher auch in einigen Tagen noch einzuschlagen war, nachdem er auf die dringend freundliche Einladung des Thalmüllers ein paar Tage bei diesem verweilt und den klugen Rat des alten, vielerfahrenen Mannes angehört.

Also zur Königsbronner Mühle.

Doch wußte er nicht, warum es ihm so schwer wurde, den alten Meilenstein zu verlassen, warum es ihn gewaltsam zurückhielt und er sich veranlaßt sah, immer wieder nach Zwingenberg hinzuschauen, auf die Fluren und Wälder, welche dasselbe umgaben, sowie an den klaren, leicht von seinen Wolkenrändern gestreiften Himmel empor, an dem große Scharen Waldvögel gen Süden zogen. Ah – das war es, was ihn zurückhielt, das kleine Geldstück, welches er in die Steinfuge verborgen hatte und jetzt wieder hervorholte und es mit tiefer Empfindung, worein sich nun ein kleines Weh mischte, betrachtete.

»Warst du allwissend?« fragte er. »Wolltest du mich damals vielleicht zurückhalten, nicht nach Zwingenberg zu gehen, weil du wie prophetisch zweimal zur Erde rolltest, ehe du dich in dem Steingefängnis zwingen ließest? Am Ende hattest du doch recht mit deiner Warnung, und es wäre besser für mich gewesen, wenn ich nach dem Wunsche meines Vaters lieber zum Säbel gegriffen, als den Haselstock in die Hand genommen hätte.«

Er betrachtete aufmerksam die kleine Münze und fand, daß sie die Jahreszahl seiner Geburt trug.

»Und gerade deshalb,« fuhr er, sie betrachtend, fort, »scheinst du für mich etwas zu bedeuten, und ich will es noch einmal versuchen, dich hier auszusetzen, dich nochmals einzusetzen in das Spiel des Lebens. Gehen ich und du verloren, was ist's alsdann weiter? Sollte es mir aber gelingen, mich aus der Tiefe heraufzuarbeiten, so wird es mir ein Festtag sein, dich, selbst mühsam, wieder zu suchen.«

Er suchte ein noch verborgeneres Plätzchen, wo er die kleine Geldmünze sorgfältig wieder verbarg.

»Wenn jetzt ein heller Geist über mich käme!« dachte er, indem er seine beiden Hände auf den Meilenzeiger legte, »passend genug wäre der Platz dafür; hier ein Opferstein, dessen Berührung mich einweihte in die geheimnisvollen Zeichen, um aus dem Fluge der Vögel mein künftiges Schicksal zu lesen.«

Doch vergebens blickte er an den Himmel empor; es schien im Reiseprogramm der wandernden Vögel gerade eine große Pause eingetreten zu sein, und nichts zeigte sich, als hoch oben ein einzelner Punkt, den sein scharfes Auge für einen schwebenden Raubvogel erkannte. Jetzt schoß dieser herab, gefolgt von dem Blicke des jungen Mannes, dessen Erstaunen indes kein geringes war, als er nun hinter dem hügeligen Terrain, auf welchem der Raubvogel zwischen einer kleinen Gebüschgruppe verschwunden war, plötzlich einen dichten weißen Rauch emporqualmen sah, gleich darauf nebenan einen zweiten, und als nun nach einer Zwischenpause von einigen Sekunden ein paar dumpfe dröhnende Schläge sein Ohr trafen. Was war das? Für das Kaliber eines Jagdgewehrs waren Rauch und Knall hundertmal zu stark. Seine Blicke schweiften neugierig über das toupierte Terrain der Ebene hin, wo jetzt auf verschiedenen Punkten, aber in großer Entfernung ebenfalls weiße Rauchwolken aufstiegen, denen nach längeren Zwischenpausen gleichfalls dumpfe Schläge folgten.

»A–a–a–ah!« sagte Erich nach einem freudig tiefen Atemzuge, »sollte der Flug jenes Raubvogels, an dem meine Blicke so erwartungsvoll hingen, für mich von Bedeutung gewesen sein? Sollte sein Niederstoßen, wenngleich unbegreiflich, im Zusammenhange stehen mit dem, was das Schicksal für mich bestimmt?«

Doch lächelte er im nächsten Augenblicke über diese kindische Phantasie, um sich mit großer Lust der Wirklichkeit hinzugeben, zu welchem Zwecke er sich auf den Meilenstein schwang und mit weit aufgerissenen, funkelnden Augen vor sich in die Ebene hinschaute, wo jetzt aus zwei langen, weit voneinander entfernten Parallellinien, durch weiß aufquellenden Dampf gebildet, zahlreiche Schüsse empordröhnten. Ja, und hinter der diesseitigen Linie entdeckte Erichs scharfes Auge bald hier, bald da Bewegungen von Pferden und Menschen, das Gefunkel von Gewehrläufen, flatternde, buntfarbige Fähnchen an langen Lanzenschaften, in kleinen Trupps hier und ha bei einander haltend. Jetzt vernahm er auch den Ton der Signalhörner auf der ganzen diesseitigen Linie, allerdings sehr schwach und unbestimmt, und dann bemerkte er deutlich, daß diese Signale der Befehl zum Rückzüge gewesen waren.

»Leider!« dachte Erich, der schön entschieden Partei genommen hatte für die Armee, welche vor ihm stand und der er beim Avancieren unbedingt durch dick und dünn gefolgt wäre.

Der Rückzug erstreckte sich gegen die leichte Anhöhe, über welche die Landstraße lief, wo sich Erich aufgestellt hatte, und sein gieriges Ohr vernahm noch einige Zeit mit Wonne das Rasseln und Klirren der zurückkehrenden Batterien, das Schnauben der Kavalleriepferde, den kurzen, scharfen Trommelschlag der Infanteriekolonnen. Hell schmetterte nun abermals der Klang der Hörner und Trompeten, Halt gebietend, auf der ganzen Linie, und dann ging es von neuem los, wie vorhin, aber in viel schönerer Nähe. Pulverrauch und Knall der Geschütze folgten sich unmittelbar, zerrissen die Luft mit ihrem Donner und hätten unbedingt den Tod in die feindlichen Reihen geschmettert, wenn die Kanonen nicht blind geladen gewesen wären.

Daher denn auch wohl abermaliges Zurückgehen der unglücklichen Freunde Erich's, und näher und näher rasselte es heran, und dort, wo die Landstraße bei Zwingenberg eine kleine Schwenkung machte, fluteten schon über sie hinweg lange Reihen Infanterie, Reiterschwadronen und Kriegsfahrzeuge jeder Art. Welch herrlichen, beneidenswerten Punkt hatte Erich besetzt! Befand er sich doch inmitten der ganzen Schlacht und hatte zu seiner Rechten einen schmalen Feldweg, aus dem jetzt eine ganze Batterie in vollem Galopp der Pferde hervorbrach. Wie schnaubten die Tiere, wie rasselten die Räder, wie dröhnten die schweren Geschütze auf ihren Lafetten, welch malerisches Durcheinander bildete jetzt die auf der Höhe der Chaussee angekommene Batterie, ein vielfarbiger, glänzender Knäuel von Reitern, Pferden, Protzen, Lafetten!

»Batterie ha–a–a–lt! Mit Kugeln geladen, Rikoschettierschuß mit zweihundert Schritt Distanz!« Und nun wie rasch und prächtig entwickelte sich der Knäuel, wie standen nach ein paar Sekunden die Geschütze so wohl gerichtet nebeneinander, Protzen und Pferde der Bedienungsmannschaften hinter den Chausseedamm zurückgezogen, dort unter dem Schütze eines Zuges Ulanen haltend, wie flogen die Leute durcheinander und um die Kanonen herum!

»Erstes Geschütz Feuerrr! Per-dautz–bum!« Wie krachte der Schuß des nächstliegenden Geschützes so prächtig um die Ohren Erichs! Doch wäre er beinahe von seinem Meilensteine heruntergefallen, denn er hatte wahrhaftig den Luftdruck gespürt und hielt es deshalb für keine Schande, von seinem Standpunkte herabzurutschen und sich neben den Stein zu stellen. Ja, er war mitten in der Schlacht, in einer hitzigen, hartnäckigen Schlacht. Denn obgleich die feindlichen Linien jetzt unter rollendem Kanonendonner, in den sich auch zuweilen das Knattern der Infanteriegewehre mischte, näher und näher herankamen, so schien doch die diesseitige Armee die feste Absicht zu haben, ihre allerdings günstige Position bis auf den letzten Mann zu behaupten, und dabei krachten die Schüsse so schön und folgten sich so rasch aufeinander zu Erichs unbeschreiblicher Freude.

Nicht zehn Schritte von ihm entfernt hielt der Batteriekommandeur, Hauptmann von Brandt, ein magerer, streng aussehender Mann, mit einem gewaltigen, horizontalen, fuchsroten Schnauzbarte und grimmig blitzenden Augen.

»Hol' der Teufel die Arrangements!« rief er seinem ersten Lieutenant zu, der, hinter den Geschützen auf und ab reitend, zuweilen in die Nähe seines Chefs kam und der nun als Antwort hinüberrief:

»Arrangements, Herr Hauptmann? Ja, wenn man eine solche Kette fortlaufender Schnitzböcke Arrangements nennen kann. Hat sich nicht dort vor uns das feindliche Kürassierregiment aufgepflanzt, als wenn die Lümmel in ihren weißen Röcken sich nur so aus Hohn als Zielscheibe hinsetzten?«

»Eine wohlfeile Bravour!« brummte der Hauptmann in seinen roten Bart. »Lassen Sie einmal die beiden Haubitzen bis dicht an den Chausseerand vorgehen, um diese unvernünftige Kavallerie mit Granaten zu bewerfen. Wenn man so darauf spekuliert, daß alles nur Manöver und Schein ist, da könnte unser Zug Ulanen da hinten ebensogut vorreiten, um das ganze Kürassierregiment zu attaquieren. Lassen Sie aber immerhin ein paar feste Granatwürfe hineinthun.«

»Wird auch nichts nützen, Herr Hauptmann, und werden sie auch dann nicht zurückgehen oder sich wenigstens verdeckt aufstellen; denn ein Kind muß einsehen, daß wir sie aus unserer Stellung hier oben schon lange zu Brei zusammengeschossen hätten.«

»Thut nichts, pfeffern Sie einmal mit Granaten hinein.«

Die beiden Haubitzen wurden nun vorgeschoben, und zwar so nahe an den Meilenstein hin, daß der Lieutenant, der dieselben kommandierte, zu Erich hinüberrief: »Mach' Er, daß Er da fortkommt, sonst könnte Er was Schlimmeres in die Augen kriegen, als Sand und Staub!«

Erich hätte seinen schönen Platz nicht um eine Million verlassen, weshalb er den erhaltenen Befehl dadurch umging, daß er sich hinter dem Meilensteine zusammenduckte.

»Da unten hält der alte Oberst von Hain auf seinem hochbeinigen Rappen,« sagte der Hauptmann, nachdem die Haubitzen einige Würfe gethan; »ich meine, ich sehe ihn hohnlachend seinen Bart streichen. Schauen Sie einmal hinunter, Herr Premierlieutenant, es ist mir gerade, als rangierten sich die Kürassiere zu einer Attaque.«

»O, unbesorgt, Herr Hauptmann, dazu sind ihnen ihre Pferde zu lieb! Doch wenn Sie mit ihrem Glase ein bißchen mehr links halten wollten, so sehe ich da ein paar Züge roter Husaren eben in einem Hohlwege verschwinden, der wahrscheinlich hier hinauf auf die Chaussee führt.«

»Richtig, richtig! Diesem leichten Gesindel sähe es ähnlich, hier auf wohlfeile Art eine reitende Batterie zu erwischen; wir wollen ihnen aber das Maul sauber halten. Das Beste ist, wir protzen auf, gehen auf die leichte Anhöhe dort hinter der Chaussee zurück und bedienen sie gehörig mit Kartätschen.«

»Das können wir auch von hier thun, wenn es Ihnen gefällig ist, Herr Hauptmann,« sagte der erste Lieutenant nach einem Blicke auf die Landkarte, die er rasch auf dem Sattelknopfe vor sich ausgebreitet hatte. »Hier ist der Hohlweg allerdings angegeben, steht auch mit der Chaussee in Verbindung, führt aber vorher durch ein Stück dichten Tannenwaldes, das sie sich bei all ihrer Renommage doch zu betreten hüten werden.«

Erich hatte von dieser Konversation kein Wort verloren, ja, er hatte ebenfalls mit seinem scharfen Auge die feindlichen roten Husaren in den Hohlweg drunten verschwinden sehen; doch wußte er mehr, als was auf des Offiziers Karte verzeichnet stand, daß jener Tannenwald nämlich vor kurzem abgeholzt worden war, und daß es raschen Pferden ein Leichtes sein würde, über die eben entstandene Lichtung in wenigen Minuten die Höhe der Landstraße zu erreiche».

Das Vaterland war in Gefahr, und er besann sich keinen Augenblick, hinter seinem Steine hervorzukommen, um dem Batteriechef diese wichtige Mitteilung zu machen; ja, er bezeichnete einen Hügelrand links der Chaussee als den Punkt, auf dem die Husaren zum Vorschein kommen müßten, um steile Abhänge zu vermeiden, die dort mit jenem Thale, in dem sich Mühlen befänden, im Zusammenhange ständen.

»Ja, ja, so muß es sein, Herr Hauptmann!« rief eifrig der erste Lieutenant mit einem abermaligen Blicke auf seine Landkarte. »Was meinen Sie, wenn wir die Batterie eine Schwenkung machen ließen, um jenen Hügelkamm in voller Front bestreichen zu können, sobald sich die Husaren dort oben in ihrem Siegesbewußtsein zeigen? Es sind das kaum dreihundert Schritte, und es kommt von ihnen kein Mann und kein Pferdeschwanz gesund nach Hause.«

»Gut, gut,« antwortete freudig der Hauptmann, »wir wollen ihnen ein paar volle Kartätschenladungen verabreichen, drei wird genug sein, und dann sollen sich die Leute Mühe geben, so rasch als möglich aufzuprotzen, um auf die von mir vorher bezeichnete Höhe zurückzukehren, während unsere Ulanen sich damit beschäftigen werden, das, was allenfalls von Husaren noch übrig sein würde, wenn wir nämlich mit Kugeln schießen dürften, auf dem Boden zusammenzulesen. He, junger Mensch,« rief er alsdann zu Erich hinüber, »ich danke Ihnen! Wenn wir im Kriege wären, würde ich Ihnen zu einer besseren Belohnung verhelfen.«

»Wäre auch alsdann unnötig, Herr Hauptmann, denn ich thäte auch dann nur meine Schuldigkeit, indem ich eine so schöne Batterie vor einem Überfalle warne.«

»Sehen Sie etwas von den Husaren, Herr Premierlieutenant?« fragte der Hauptmann.

»Nein,« entgegnete dieser, sich in dem Steigbügel aufstellend.

»Haben Sie nichts dagegen,« fragte Erich, der entzückt war, hier dienen zu können, »wenn ich auf den Meilenstein klettere und mich umschaue?«

»Immerhin,« lachte der erste Lieutenant, »die Belohnung wird um so größer.«

Es sah eigentlich komisch aus, wie der junge Mensch in seinem langen schwarzen Rocke nun auf den Meilenstein stieg – »wie die Kuh auf 'nen Appelboom«, meinte ein alter Feuerwerker, der Kommandant der ersten Haubitze. Jedoch mit Unrecht, denn Erich that das mit einer bewundernswürdigen Fertigkeit; dann schaute er scharf in die betreffende Richtung, während sich die Geschütze der Batterie in aller Stille nach dem bezeichneten Hügelkamme drehten und während Unteroffiziere und Kanoniere in einer Spannung dastanden, als handle es sich nicht darum, gewöhnliche Manöverkartuschen zu verpuffen, sondern um einen naseweisen Feind mit einer Anzahl schöner, glatter Kugeln zu bedienen.

Jetzt bemerkte Erich auf seinem hohen Standpunkte etwas von den Husaren, wie sie unten um die kleine Hügelkette herumschlichen, wobei sich jeder Reiter, um nicht gesehen zu werden, gegen den Hals seines Pferdes bückte, und bezeichnete dies dem Batteriechef durch eine so verständliche Pantomime, daß dieser ihn augenblicklich verstand und seinem ersten Lieutenant mit der Spitze des Säbels den Platz andeutete, wo die feindliche Kavallerie hervorbrechen würde. Nach der Art, wie die Batterie vor ihm aufgestellt war, wäre sie von den Husaren in der Flanke gefaßt und aufs unangenehmste überrascht worden; jetzt aber zeigte sie ihnen eine Reihe schöner Zähne, und jeder freute sich auf das Erstaunen der Angreifer, wenn sie mit einer prächtigen Lage bedient würden. Und dieser große Augenblick nahte. Säbelschwingend flog der erste Zug der roten Husaren über die Hügelkette herauf, und der Hauptmann der reitenden Batterie ließ ihn noch ein paar Pferdelängen weiter vorkommen, um sie dann mit so furchtbaren Kartätschenladungen zu überschütten, daß, wie er vorhin richtig bemerkt, kein heiler Mann, kein heiler Pferdeschwanz davongekommen wäre.

Das mochte nun der ältere von den Husarenoffizieren, der die beiden Züge kommandierte, einsehen, denn er ließ zum Abschwenken blasen und verlor sich ebenso rasch, wie er gekommen war, hinter der Hügelkette, verfolgt nicht von einer weiteren Kartätschenladung, sondern von dem homerischen Gelächter der ganzen Batterie, in welches Erich, im höchsten Vergnügen Hände und Füße bewegend, mit einstimmte.

»Sollen wir jetzt zurückgehen, Herr Hauptmann?« rief der erste Lieutenant.

»Warten Sie noch einen Augenblick, ich sehe den Brigadeadjutanten herangaloppieren, vielleicht bringt er etwas Neues. – »Was haben wir?« rief er fragend dem heranreitenden Offizier entgegen.

»Die Batterien,« gab dieser zur Antwort, »sollen die dritte Aufstellung nur markieren, ohne zu schießen, und sich dann zur {bild} vierten vor dem großen Defilee ausstellen, wo Seine Excellenz der Herr General selbst gegenwärtig sein werden! Guten Morgen, meine Herren!«

»Da dauert sie schon wieder das bißchen Pulver, das verknallt wird,« bemerkte unmutig der Batteriechef, gegen seinen ersten Lieutenant gewandt. »Was thu' ich mit einer solchen stummen Aufstellung, das ist den Mäusen gepfiffen und kein Mensch lernt etwas dabei! Na, gehen wir zurück.«

»Wir haben hier unsere Schuldigkeit gethan, und wenn mir später einer von den Husarenoffizieren in die Quere kommt, so werde ich nicht unterlassen, ihm obendrein noch tüchtig den Text zu lesen. – Batterie ha–a–a–lt! Zum Zurückgehen aufgeprotzt!« – Und abermals entstand für ein paar Augenblicke fast das gleiche, lebendige Durcheinander wie vorhin, als sich die Batterie entwickelte und zum Schießen aufstellte. Dann schwangen sich die Brigademannschaften auf ihre Pferde, die Trompeter gaben das Signal zum Abmarschieren, worauf sich rasch die Reihe formierte und die Batterie auf der Straße davontrabte, wobei es der Hauptmann unterdessen nicht unterließ, mit seinem Säbel nach Erich zurückzuwinken und ihm auf diese Art seinen Dank zu wiederholen.

Auf der ganzen Ebene, besonders links von der Chaussee, war nun alles in lebendigster Bewegung; dort auf den gegenüberliegenden Anhöhen zog ebenfalls Artillerie und Kavallerie gegen Westen, und im Thale marschierten starke Infanteriekolonnen staubaufwirbelnd, so daß man häufig nichts anderes sah, wie das Glänzen des Sonnenlichtes auf den Gewehrläufen und Bajonetten; dazwischen Trommelwirbel, Trompeten- und Hornsignale, sowie auch von ferne herübertönend die vollen Klänge der Militärmusik.

Die befreundete reitende Batterie, welcher der junge Schulgehilfe so gute Dienste geleistet, war schon ziemlich weit entfernt, als nun die feindlichen Truppen auf der Chaussee nachzuziehen begannen, und zwar als Vorhut derselben jene beiden Züge roter Husaren, die nun im langsamsten Schritte ihrer Pferde daherkamen. An der Spitze ritten drei Offiziere im eifrigsten Gespräche.

»Ich kann Ihnen versichern, mein Herr,« sagte der ältere derselben, »daß der Hauptmann der reitenden Batterie ganz in seinem Rechte war, nicht vor uns zurückzuweichen, was er auch, glaube ich, nicht einmal gethan hätte, wenn wir ihm wirklich in die Flanke und zwischen sein Geschütz gekommen wären.«

»Aber daß wir nicht wenigstens dort hineinkamen, ist jammerschade,« sagte ein anderer; »wir sind doch in so außerordentlich famoser Deckung um den Hügel herumgekommen, daß sie nichts von uns gesehen haben.«

»Die von der Batterie selbst allerdings nichts!« rief der dritte Offizier und setzte rasch und unmutig hinzu: »Aber bemerken Sie wohl den verfluchten Schwarzrock dort oben auf dem Meilenzeiger? Ich habe diesen Kerl schon von unten bemerkt und auch gesehen, wie er mit Händen und Füßen gleich einem Telegraphen arbeitete! Schade, daß wir nicht im wirklichen Kriege sind, der Kerl müßte mir hängen, oder mich soll der Teufel holen! Aber fragen will ich ihn doch, was er da oben zu thun hat.«

»Lassen Sie ihn, Graf Seefeld, Sie riskieren höchstens eine unartige Antwort.«

»Nun, das wollen wir einmal sehen,« entgegnete der andere und warf sein Pferd, einen prachtvollen arabischen Schimmel, gegen den Meilenzeiger hinüber, auf welchem Erich stand, während er ihm schon auf einige Schritte Distanz zurief: »Was treibst du da oben mitten in der Manövrierlinie? Wahrhaftig, ich hätte große Lust, dich da von deinem Steine herunterzufuchteln! Steht die Vogelscheuche da oben und macht einem die Pferde scheu! Willst du augenblicklich herunter!«

»Nein, ich will nicht,« gab Erich trotzig zur Antwort, indem er ruhig die Arme übereinanderschlug, »und wenn Sie selbst ein Recht hätten, mich von dem Meilensteine herunterzuweisen, so habe ich jetzt große Lust, zu warten, bis Sie anfangen werden, mich herunterzufuchteln!«

»Bursche, weißt du, mit wem du redest?«

»O ja, mit jemandem, der zu Pferde sitzt, während ich gerade so jemand bin, der auf einem Steine steht! Das ist vielleicht der einzige Unterschied.«

Nach diesen Worten schauten sich die beiden jungen Leute mit zornfunkelnden Augen ins Gesicht, wobei sich jeder, vielleicht unbewußt, bemühte, die Züge des anderen fest in sich aufzunehmen. Beide mochten in gleichem Alter sein, jedenfalls war der Unterschied ihrer Jahre nicht groß, denn der Husarenoffizier war ebenfalls noch ein blutjunger Mensch, dem kaum ein leichter Flaum auf der Oberlippe sproßte. Er war kräftig und muskulös gebaut, hatte aber ein bleiches, sehr langes Gesicht von unreinem Teint und durchaus nicht einnehmenden Zügen, ja, von einem widerwärtigen Ausdrucke, der noch dadurch verschärft wurde, daß er seine Augen zusammenkniff und den langen Hals vorstreckte, wobei ein Zug unbeschreiblicher Verachtung um seine Lippen spielte. Im übrigen war er als Kavallerieoffizier eine brillante Erscheinung von seinem schönen Pferde an – das sein edles Blut in allen seinen Teilen kundgab und sich unwillig schüttelte unter dem reichen Muschel- und Quastengeschirre – bis hinauf zum Reiherbusche auf seiner Pelzmütze und hinab bis zu den Rädern seiner Sporen. Alles, seine Uniform, sein Pelz, seine Waffen zeugten von Reichtum und Eleganz.

Und trotz alledem blickte ihm Erich, wenngleich aufs höchste gereizt, doch mit einer solchen Ruhe ins Gesicht, allerdings mit blitzenden Augen und leicht geöffneten Lippen, aber mit einem solchen Ausdrucke von Entschlossenheit in Miene und Haltung, daß vielleicht dieses vollkommene Bild eines kampfgerüsteten jungen Menschen, obgleich dieser nichts wie seine Fäuste hatte, ebensoviel schuld daran war, daß der junge Offizier in diesem Augenblicke sein Pferd wieder herumwarf gegen die dahinziehende Truppe, als die Worte des etwas näher herangerittenen Offiziers, der ihm in einem vorwurfsvollen Tone zurief: »Aber, Graf Seefeld, ich bitte Sie dringend, wie kann man sich so vergessen!« »Ja, Sie haben recht! Wer Pech angreift, besudelt sich! Aber ich will dieses Gesicht nicht vergessen und wenn ich ihm an passenderem Orte wieder begegne, so soll er Kapital und Zinsen haben!«

Etwas Ähnliches dachte Erich, wobei er fest überzeugt war, daß dieses unangenehme, bleichgelbe Gesicht mit dem gehässigen Ausdrucke in Augen und um den Mund nie aus seinem Gedächtnis schwinden werde.

Als nun die Husaren vorübergezogen waren, stieg er langsam von seinem Meilensteine herab und setzte sich auf das Fußstück desselben, so die anderen Truppen, die noch folgten, behaglich an sich vorbeiziehen lassend. Schwelgte er doch förmlich im Anblicke dieser bunten Mannigfaltigkeit, im Betrachten der verschiedenen Waffenarten, von denen er bis jetzt viele nur vom Hörensagen oder aus Bilderbogen kannte! Da kam ein Regiment stattlicher Kürassiere, kräftige Männer und kräftige Pferde. Wie lustig klirrten Pallasche, Bügel und Sporen zusammen, wie glänzten die Helme, wie leuchteten die Kürasse im Strahle der Sonne! Wenn auch das nachfolgende Jägerbataillon nicht so imposant und strahlend aussah wie die eben vorbeigezogenen Reiter, so war es doch für Erich ebenfalls von großem Interesse; hatte er doch noch keine lebendigen Jägertruppen gesehen, sich aber oft gewünscht, einmal die kurzen, gedrungenen Gestalten anstaunen zu dürfen, die Büchse an der Schulter hängend, die Hüte mit dem dunkeln Federbusche keck aufgesetzt, und wie sie so ungezwungen und doch so rasch vorüberzogen in lockeren Reihen, unter dem eigentümlichen Klange eines einzigen Hornes, lachend, plaudernd und singend. Ihnen folgten Dragoner und dann kam eine schwere zwölfpfündige Batterie. Bei dem Anblicke der letzteren erhob sich Erich, sowohl um sie besser betrachten zu können, als auch aus Ehrfurcht vor der Waffe, bei der sein Vater gedient. Und das mußte man schon sagen, so eine schwere Batterie zieht mit einem Ernste, einer Würde vorüber, die einem zu denken gibt, und nicht nur die dumpfdröhnenden Kanonen erscheinen sich ihres Wertes bewußt zu sein, sondern auch die starken, ruhigen Pferde, von der Mannschaft gar nicht zu reden – große, gesetzte Leute, die im Gefühle ihres Wertes ohne Sang und Klang, ohne Lachen und Plaudern vorüberzogen. Ja, zwischen ihnen und der nachfolgenden Infanterie welch bemerkenswerter Unterschied! Hier lief alles ziemlich unordentlich durcheinander, die ganze Breite der Chaussee einnehmend, das Gewehr auf der rechten Schulter oder auf der linken, oder auch vermittelst des Riemens an der Achsel hängend, manche schweigend, müde und verdrossen, andere Compagnien dagegen, in denen sich vielleicht viele ausgiebige Spaßvögel befanden, lustig und heiter, schlechte Witze machend und singend; so die letzte, welche an Erich vorüberzog und die ihm selbst, der an seinen Meilenstein gelehnt dastand, große Aufmerksamkeit schenkte, nachdem ein Hauptteil des ersten Zuges ihn, mit der Hand am Tschako, ehrerbietig gegrüßt und den Nachfolgenden als den »Generalfeldpater« vorgestellt hatte. Darauf regnete es lustige Bemerkungen über ihn und seinen langen schwarzen Rock, und als schon die Compagnie vorübergezogen war, wurde ihm noch ein Hurra gebracht und das bekannte und berühmte Lied angestimmt:

Friedlich Wilhelm saß im Wagen,
Zog mit uns ins Feld.
Über sieben Jahr' wollen wir Frankreich schlagen,
Lustig und fröhlich sein, juchhe
Lustig und fröhlich sein.

Und dieses »Lustig und fröhlich sein, juchhe!« klang noch lange in einzelnen Worten aus der Ferne zu ihm herüber, und er meinte es auch dann noch immer und immerfort zu vernehmen, als schon längst das ganze Kriegsgetümmel an ihm vorübergezogen war und als die ruhige Stille des schönen Herbsttages wieder die Herrschaft über Wald und Flur an sich genommen hatte. {bild}


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