Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die große Halle des Schlosses war ein Gemach in dem weitläufigen Gebäude, auf welches der Graf bei der Ausschmückung desselben die größte Sorgfalt verwandt und keine, auch die bedeutendsten, Kosten gescheut hatte, wobei er sich vernünftigerweise ein berühmtes Vorbild gewählt und dieses mit einigen notwendigen und glücklichen Abänderungen nachgebildet.
Dieses Vorbild war die Halle von Warwick Castle in England, und wer diesen prächtigen und dabei doch so wohnlichen Räum einmal betreten und sich darauf hier umschaute, der mußte gestehen, daß die Kopie nur allenfalls darin nachstand, daß, was dort durch einen achthundertjährigen Familienbesitz und nach und nach gleichsam von selbst entstanden war, hier mit einemmal zusammengestellt wurde, woher es denn auch natürlicherweise kam, daß die ganze Einrichtung an Mobiliar, Gerätschaften, Waffen, welche dort aus Stücken bestand, die neben ihrem wirklichen auch noch einen historischen Wert hatten, hier größtenteils nur den ersteren beanspruchen konnten, obgleich Herr Christian Kurt auch auf der Waldburg aus anderen seiner Schlösser alles vereinigt hatte, was im Zusammenhange mit seiner ebenfalls sehr alten Familie stand. Allerdings konnte diese unter ihren Ahnen keinen Königsmacher Guy, wie die Warwicks, aufweisen, und hatten sich auch die regierenden Häupter des Landes niemals beeilt, als Gäste auf der Waldburg zu erscheinen. Wer aber, von alledem absehend, hier die große Halle betrat, auf den konnte das stattliche Gemach nicht verfehlen, nicht nur einen gewaltigen, sondern auch einen anheimelnden Eindruck zu machen. Dieser Raum, das ehemalige Refektorium des Klosters, war größer und höher, als man ihn sich trotz der stattlichen Ausdehnung des Schlosses hätte vorstellen mögen, und ausgedehnter, als damals, wo er den frommen Mönchen als Speisesaal gedient, denn Herr Christian Kurt hatte nicht nur eine anstoßende Galerie mit hineingezogen, sondern auch die ehemalige alte Decke des Saales zu einem sehr kunstvollen Gewölbe erheben lassen. Gegen Osten waren vier hohe und breite Fenster, welche so dicht aneinander stießen, daß man sie wohl ein einziges hätte nennen können, und obendrein befanden sich dieselben in einer Nische, die so geräumig war, daß, wenn man die schweren Vorhänge vor denselben zusammenzog, man sich gleichsam in einem weiten Gange befand. Das war eben jene Galerie, von der wir oben gesprochen und die nun auf diese Art benutzt worden war, und man mußte gestehen, mit großem Geschicke, denn von derselben, also jetzt von den hohen Bogenfenstern, blickte man einen steilen Abhang hinab, in dessen Tiefe die Flut rauschte, die wir früher erwähnt, und an dessen Ufer uralte Buchen und Eichen mit tiefdunkeln Fichten und Tannen zu einem höchst malerischen Ganzen sich verbanden, was besonders an Abenden, wenn über die jenseitige Höhe die helle Mondscheibe emporstieg und später das strömende Wasser versilberte, von außerordentlicher Schönheit war. Gegenüber diesen Fenstern befand sich das Prachtstück des Saales, ein riesenhafter offener Kamin, und zwar von einer Höhe und Weite, daß ein Mann mit dem Hute auf dem Kopfe nicht nur bequem darin aufrecht stand, sondern auch bei mäßigen Ansprüchen einige Bewegungen in demselben machen konnte. Der Aufsatz desselben war von weißem Marmor höchst kunstvoll gearbeitet und reichte, sich langsam zuspitzend, beinahe bis an die Decke des Saales. Rechts und links von diesem Kamine war der obere Teil der langen Wand mit alten Gobelins bedeckt, Jagdscenen darstellend, unter denen, und zwar ringsumher um alle vier Wände der Halle, ein kunstvoll in Holz gearbeiteter Lambris über Mannshöhe herumlief. Wo sonst etwas von der Wand über diesem Lambris sichtbar war, bemerkte man, daß dieselbe mit gepreßten, hier und da matt vergoldeten Ledertapeten bedeckt war; doch sah man nur wenig dergleiche freie Flächen, da die Masse der Gegenstände, welche alle Wände bedeckten, zu bedeutend war. Auf der kurzen Seite der Halle, die in das Innere des Hauses führte, waren Ahnenbilder der gräflichen Familie aufgehangen, aus deren Unterschriften man einesteils ersah, daß von den alten Herren im Atlaskleide sowie im eisernen Harnisch die meisten unter anderen Vornamen auch den Namen Kurt geführt, sowie andernteils an den Jahreszahlen bemerkte, daß die Seefelds in der That eine alte Familie sein mußten. Die gegenüberliegende Wand sowie auch die Flächen rechts und links an den Fenstern waren mit den herrlichsten alten und neuen Waffen bedeckt, mit Rüstungen und vergilbten Fahnen, mit Turnierschildern und Speeren, und zwar in so chronologischer Ordnung, daß, während auf dieser Seite die Sammlung mit der alten Sturmhaube, dem Kettenhemde und Streitkolben begann, dieselbe gegenüber aufhörte mit dem Hirschfänger und dem doppelläufigen Jagdgewehr neuester Konstruktion.
Letztere, die neueren Feuerwaffen, befanden sich in reicher Auswahl neben der Ausgangsthür an der kurzen Wand, gegenüber den Ahnenbildern, welche Ausgangsthür mit zwei gewaltigen Flügeln beständig offen stand und dem Blicke erlaubte, in eine gotische Vorhalle zu dringen, in deren Mitte sich ein plätschernder Springbrunnen befand und wo verschiedene Thüren teils nach der Küche führten, teils auf Vorplätze, von denen man hinaus ins Freie gelangen konnte. Hier waren auch die Buffetts und Kredenztische aufgestellt, gewaltige Möbel aus geschnitztem Eichenholz, deren massive Formen aber nicht zu schwer erschienen, wenn man die Masse des Silbergeschirres sowie die Krystallgefäße und Majoliken betrachtete, welche sie zu tragen hatten.
Was nun den Speisetisch für heute, wo sich ausnahmsweise eine zahlreiche Gesellschaft versammelt hatte, anbetraf, so war derselbe in erstaunlicher Ausdehnung, und zwar der Länge nach, mitten in der großen Halle hergerichtet, eine wahre Kunstausstellung der interessantesten und kostbarsten Gefäße und Tafelaufsätze in Gold und Silber, Krystall und Bronze. Da es unterdessen auch Abend geworden war und alle Vorbereitungen zu dem stattfindenden Diner beendet erschienen, so ist es uns vergönnt, die Halle, welche schon am Tage so reich und wohnlich erschien, jetzt bei Beleuchtung in vollster Parade zu erblicken, und man mußte gestehen, auch diese Beleuchtung war auf höchst sinnreiche Art angebracht, und zwar vermittelst langer, schwerer und doch wieder zierlicher Bronzeketten, welche hoch an der Decke getragen wurden von so kolossalen Hirschgeweihen, wie der Jäger heutzutage nicht mehr so glücklich ist, ihnen im Walde zu begegnen. Unten hingen an jeder dieser Ketten passende Träger mit einem strahlenden Bouquet von Wachskerzen, und zwar von solcher Anzahl und Stärke, daß dieser Strahlenkranz ringsumher den hohen und weiten Raum weit mehr und viel glänzender als selbst die Helle des Tages erleuchtete. Dabei herrschte eine milde, höchst angenehme Luft in dem Saale, was indessen nicht wunder nehmen konnte, wenn man jetzt den riesenhaften Kamin in voller Thätigkeit betrachtete, in welchem fußdicke, einmal gespaltene Eichenstämme senkrecht aufgeschichtet waren, an denen nun die gewaltigen Flammen, hoch emporlodernd, mit sichtbarer Gier zehrten. Um aber dieses Feuer rasch und ohne Zeitverlust beständig unterhalten zu können, lag neben dem Kamine eine ganze Klafter auf die oben beschriebene Art gespaltenes Eichenholz stets aufgeschichtet, und wenn wir sagen, daß sich diese Holzmasse in dem Räume wie ein kleines Häuflein ausnahm, so kann man sich von der Höhe und Ausdehnung desselben einen ungefähren Begriff machen. Was den Fußboden der Halle anbelangt, so bestand derselbe aus Marmorplatten, und da es unmöglich gewesen wäre, dazu einen Teppich von passender Größe zu finden oder anzufertigen, so waren hier nur unter den Tischen sowie unter allen Sitzgelegenheiten Teppichvorlagen und Ähnliches in den dicksten Wollenstoffen, in Bärendecken und anderen Pelzen, und zwar in solcher Masse ausgebreitet, daß der Fuß des Betreffenden tief darin einsank. Hierdurch wurde auch eine Einförmigkeit vermieden, die bei jedem anderen Teppichmuster unabweisbar gewesen wäre, und so wiederholten sich denn die lebhaften Farben an den Wänden, an der Decke, auf dem Fußboden gewissermaßen wieder: um so das Ganze zu einer würdevollen Harmonie zu vereinigen.
Wir haben schon vorhin den Ausdruck gebraucht, daß sich die große Halle jetzt in voller Parade befand, und möchten noch hinzusetzen: und zwar in dem Augenblicke vor einer großen Parade, wo in Erwartung des kommandierenden Generals das Regiment, das Bataillon, die Compagnie, oder wie der Truppenkörper sonst heißen mag, vor den subalternen Offizieren noch einmal einer strengen Vorprüfung unterworfen wird. Diese Offiziere in der Halle des gräflichen Hauses wurden geführt von dem Sekretär Herrn Renaud, dem der Haushofmeister sowie der Kammerdiener Benjamin auf dem Fuße folgten, und etwas weiter rückwärts der Chef der Küche in voller, schneeweißer Paradeausrüstung, dann zwei Tafeldecker, der Silber- und Weißzeugverwalter, sowie ferner ein Schwarm von Lakaien.
Herr Renaud hatte den Totaleindruck des Raumes recht gut gefunden. Er pflegte selten oder nie ein glänzenderes Prädikat zu gebrauchen, und wenn er auch dem ersten Tafeldecker dadurch einen Todesschrecken einjagte, daß er gesagt, es scheine ihm, als halte der Tisch nicht ganz genau die Mitte des Saales, so ließ er sich doch durch den herbeigeholten Maßstab eines Bessern belehren. Auch die Temperatur wurde so ziemlich als die richtige erkannt, nicht minder die Anordnung der Tafelgeschirre nach einer kleinen Abänderung, die darin bestand, daß Herr Renaud ein antikes Trinkhorn mit der Aufschrift: »Dem Tapfern gehört die Welt« vor das Couvert des Generals aufstellen und ein paar Bordeauxträger in Form von antiken Lafetten gegen ein Couvert auf der anderen Seite richten ließ.
Die Menüs für den heutigen Tag, mit Jagdemblemen verziert, befanden sich richtig aufgelegt, und nachdem der Sekretär noch einmal mit wenigen Worten, aber dringend den Lakaien anbefohlen, sich beim Servieren jedes auch des allergeringsten Geräusches zu enthalten, entließ er seine Begleitung und blieb allein in dem Saale, mit dem Rücken gegen den Kamin stehend.
Herr Renaud befand sich jetzt statt des Frackes im Ueberrocke, weil der Graf es in Anbetracht des heutigen zwanglosen Jagddiners ausdrücklich so gewünscht hatte.
Bald erschienen auch von den jüngeren Gästen, alles Offiziere, teils in ihrer Uniform, teils ebenfalls im Civilüberrocke, welchen der Sekretär so lange die Honneurs machte, bis Graf Dagobert mit einigen seiner Kameraden lachend und plaudernd eintrat. Dann zog sich Herr Renaud an das untere Ende des Saales zurück.
Eine Zeitlang hörte man nichts, als die Ausrufe: wundervoll! deliciös! superb! und es dauerte eine gute Weile, bis die Meisten von dem Schwarm der Offiziere, die Halle ringsum betrachtend, endlich vor dem großen Kamine vereinigt waren.
»Hat niemand den seligen Horn gesehen?« fragte Graf Dagobert.
»Seit wir von der Jagd zurück sind, ist er verschwunden,« antwortete jener Dragoneroffizier, der beim Manöver den Überfall des Feindes gemeldet.
»Es ist das übrigens ein ganz verfluchter Kerl; er hat heute unbedingt deinen Oberförster bestochen, daß dieser seinen Chef, den Obersten von Schwenkenberg, an die besten Stellen placiert.«
»Das ist richtig,« sagte ein Husarenoffizier lachend, »und ich möchte zehn gegen eins wetten, daß er selbst neben dem Obersten im Hinterhalte gelegen und mit seinem Chef à tempo jenen kapitalen Zwölfer schoß, der vor dem Obersten im Feuer zusammenstürzte und worauf sich derselbe nicht wenig einbildet.«
»Wißt ihr auch, wer sonst noch vortrefflich geschossen hat?« rief ein junger Hauptmann von der Artillerie. – »Euer Doktor, und wie der beim Ausreiten alle Hindernisse mit seinem Pferde nahm, brillant, das muß ihm der Neid zugestehen!«
»Reiten und Jagen gehört auch hier mit zu seinen Hauptbeschäftigungen,« sagte Dagobert etwas kurz und finster. »Herr Christian Kurt scheint es zu lieben, wenn sich alle seine Beamten so gut als möglich amüsieren. Ich denke darin schon anders. Wenn man mit diesen Leuten gar so vertraut thut, so leidet der Dienst, und es muß später wieder etwas militärische Zucht da hineinkommen.«
Während der noch sehr junge Mann dies sagte, wiegte er sich auf etwas übermütige Art in seinen Hüften, wobei ein unangenehmer Zug sein ohnedies nicht schönes Gesicht überflog.
»Ja, militärische Zucht, die fehlt, sonst wäre uns der kapitale Hirsch, von dem ich euch während der Jagd erzählte, heute morgen nicht verloren gegangen.«
»Nicht wahr, ein starker Sechzehnender?«
»Ich glaube fast, sogar ein ungerader Achtzehner, wie auch der Oberförster meint, der ihn schon einigemal gesehen und häufig gespürt.«
»Ich verstehe die Milde nicht gegen diese Bauernlümmel! Revierförster Ketteier hätte dem jungen Burschen eins aufbrennen und dann bei dem Hirsche bleiben sollen; hätte doch sehen mögen, ob die Bauern ihn unter seiner Nase hinweggeholt hätten!«
»Weiß man denn nicht, wer es gewesen ist?«
»O ja, einer unserer saubern Nachbarn, ein verrufener, aufrührerischer Hund von einem Kerl, der schon mancherlei in der Welt probiert! Soll studiert haben, sei sogar Arzt gewesen, und macht sich nun ein Geschäft daraus, die dummen Bauern, wie er sagt, aufzuklären, das heißt, er hetzt sie auf gegen alle bestehenden Gesetze und gegen unsere wohlverbrieften Rechte.«
»Aber den Burschen, um den es sich handelt, habt ihr in Gewahrsam?«
»Fest, und wollen ihn nachher einmal betrachten, wenn Herr Christian Kurt nichts dagegen hat.«
»Pah, was soll er auch!«
»Nun, er hat so seine Anwandlungen, die ihm von Monsieur Renaud souffliert werden; doch hat selbst dieser im vorliegenden Falle gemeint, diese Angelegenheit würde sich schon mit einigem Erfolge betreiben lassen.«
»Der Graf und die Gräfin!«
Herr Christian Kurt erschien mit dem übrigen Teile seiner Gäste an der Seite der Gräfin am Eingänge des Saales.
Er trug ein leichteres Kleid von schwarzem Samt, mit grauem Pelz besetzt, wogegen die schöne Herrin des Hauses, in einem langen, schleppenden Gewande von weißer matter Seide, leuchtend und strahlend aussah. Dieses Gewand hatte oben, unterhalb ihres schlanken weißen Halses, einen antiken viereckigen Ausschnitt, der nicht nur ihre volle Büste prächtig hervorhob, sondern durch welchen auch ihre ganze Erscheinung, im Verein mit der passenden Frisur des reichen, dunkeln Haares sowie mit dem blendenden Steingürtel, an dem eine kleine Ledertasche an goldener Kette hing, malerisch zusammenpaßte mit der mittelalterlichen Ausschmückung des weit erglänzenden Raumes. – Als nun zu gleicher Zeit am unteren Ende des Saales in der weit offenen Thür der Haushofmeister mit seinem langen Stabe erschien und hinter ihm vier Jägerburschen, die mit aufwärts gekehrten Waldhörnern eine rauschende Jagdfanfare bliesen, da schaute mancher der jüngeren Gäste an seinem einfachen Civilanzuge herunter und bedauerte lachend, nicht im farbigen Samtkleide erscheinen zu können, das Schwert an der Hüfte, mit Barett und lang wallender Feder.
Doch machte sich auch ohne das die Tafelrunde lebendig und glänzend, denn wenn auch, mit Ausnahme der Gräfin und ihrer beiden Gesellschafterinnen, die Damen fehlten, so sorgten die Gäste insofern für eine bunte Reihe, als Uniform- und Civilrock so häufig als thunlich miteinander abwechselten. Dazu kam noch die reich galonierte Dienerschaft des gräflichen Hauses, ringsumher hinter den Stühlen geruht, die Lakaien, Kammerdiener, Jäger und Büchsenspanner in Gold und Silber strotzend, und um diese an den Wänden der reichstrahlende Lichterglanz der unzähligen Wachskerzen, so ein Ensemble darstellend, das dem Pinsel des vortrefflichsten Malers zum würdigen Vorwurfe hätte dienen können.
Man kann sich wohl das behagliche Gefühl vorstellen, mit dem sich die Gäste, ältere und jüngere Offiziere sowie ein paar Herren der benachbarten Forstbehörde, nach einer anstrengenden Jagd hier an dieser mehr als reich besetzten Tafel niederließen, in dem weiten, glänzenden, sanft durchwärmten Räume, in welchem durch kaum merkliche Anwendung eines feinen aromatischen Odeurs ein leichter Tannenduft sich bemerklich machte.
Die Offiziere waren teils aus der Residenz hergebetene Gäste, teils gehörten sie Truppenkörpern an, welche nach dem beendigten großen Manöver auf verschiedenen umliegenden Gütern des Grafen sowie in den dabei befindlichen Ortschaften Kantonierungsquartiere bezogen hatten, und deshalb sah man hier Infanterie, Kavallerie, Artillerie, alles durcheinander. »Noch niemals hat mich der Klang eines Hornes so ergötzt und so bereit zum Angriffe gemacht wie das Signal von eben,« sagte ein dicker Hauptmann von der Infanterie, »und betrachten Sie mir nur einmal die Batterien vor uns auf dem Tische, ob man dabei nicht eine wütende Lust zum Angriffe verspürt!«
»Allerdings,« erwiderte sein Nachbar, »und ich bin entzückt darüber, daß der Graf an der alten, guten Sitte festhält und den Wein in Krügen und zahlreichen Flaschen vor seinen Gästen aufpflanzen läßt, während es jetzt Mode geworden ist, die Gläser nach Bedarf durch einen Diener, der hinter den Stühlen herumschleicht, hier und da vollfüllen zu lassen; doch hat das für mich immer etwas Peinliches, und ich bilde mir ein, er zählt die Gläser, die ich vertilge, oder macht seine Glossen darüber.«
»Sie haben recht, Herr Kamerad; also tapfer zum Angriffe!«
»Ich kann Ihnen diesen dunkeln Sherry zu einem Trunke nach der Suppe bestens empfehlen.«
»Mein Herr,« rief ein alter Major vom Geniecorps über den Tisch hinüber, »betrachten Sie einmal diese prächtige Zusammenstellung seltener Gefäße, ein wahres Museum! Sehen Sie hier dicht vor mir die Bordeauxträger in Lafettenform – das erinnert mich lebhaft an eine kleine vorgeschobene Schanze bei der Belagerung von Mainz!«
»Im vorigen Jahrhundert, nicht wahr, Herr Oberstwachtmeister?« fragte ein junger Husarenoffizier.
»Nein, mein Lieber, vielmehr in einer viel näher gelegenen Zeit – Sie hätten das nicht schon sollen vergessen haben!«
»Ah, Herr Oberstwachtmeister, eine so unbedeutende Geschichte!«
»Erlauben Sie mir, das bedeutendste Ereignis der damaligen Zeit! Sie wissen, daß die Franzosen ...«
Wem der alte Major vom Geniecorps diese Geschichte eigentlich erzählte, sind wir nicht genau anzugeben imstande, können nur so viel sagen, daß seine Nachbarn sowie auch seine Gegenüber in ganz andere Gespräche verwickelt waren, wenn dieselben überhaupt sprachen oder sich nicht, wie der dicke Hauptmann von der Infanterie, mit aller Andacht dem Essen und Trinken hingaben. Dabei liebte es derselbe, kleine Brotkügelchen zu drehen und sie jedesmal, so oft er ein Glas geleert hatte, alsdann in zierlichem Haufen vor sich aufzustellen, welcher Kugelhaufen sich in gleichem Maßstabe vergrößerte, in welchem sich seine Nase zu röten begann.
Der Graf hatte in der Mitte an einer der Langseiten der Tafel neben dem kommandierenden General Platz genommen, wählend ihm die Gräfin gegenüber saß, um so ihren sämtlichen Gästen näher zu sein, wogegen Graf Dagobert sich am oberen Ende des Tisches befand, sowie Herr Renaud am unteren, letzterer hier gewissermaßen den Dienst überwachend; doch ging dieser leicht, gewandt und geräuschlos von statten, wie das Herkommen in einem guten Hause ist. Da vernahm man kein Klappern der Teller, kein Aneinanderklingen der schweren silbernen Bestecke, keinen Fußtritt der aufwartenden Lakaien, alle schossen gewandt umher, aber wie körperlose Geister, von dem Haushofmeister, der unter der Thür des Vorsaales stand, mit Blicken regiert.
Am lebhaftesten unter den Gästen ging es auf der Seite zu, wo Dagobert, umgeben von jungen Kavallerieoffizieren, saß, und dorthin wendete sich auch häufig der alte Graf Seefeld sowie die schöne Herrin des Hauses mit einem freundlichen Blicke oder Lächeln, sowie auch mit erhobenem Glase gegen diesen oder jenen genauen Bekannten des Hauses.
Neben der Gräfin und gegenüber Herrn Christian Kurt befand sich zur Rechten der Oberst des Dragonerregiments, von Schwentenberg, sowie zur Linken der Kommandeur der Artilleriebrigade, ein langer, hagerer Wann mit einem ernsten, ausdrucksvollen Gesichte, stark ergrautem Haar und dazu mit einem Barte von solcher Schwärze, daß man hier künstliche Nachhilfe vermuten konnte.
Den meisten Lärm bei den jungen Offizieren erregte das affektiert kummervolle Gesicht des seligen Grafen Horn – dieses Prädikat war ihm geblieben –, und wenn er zuweilen nach seinem Obersten hinüberschielte und einem Blick desselben begegnete, so zuckte er förmlich zusammen, zur größten Heiterkeit der um ihn sitzenden Kameraden, worauf dann der Oberst, ihm mit dem Finger drohend, scherzhaft hinüberrief: »Sie haben bei allem dem das kolossalste Glück gehabt, junger Herr!«
»Doch auch ein klein wenig Verdienst,« warf der kommandierende General mit einem würdevollen Lächeln ein. – Wir müssen hier bemerken, daß Graf Horn, als ein sonst brillanter Offizier, das verzogene Kind des Regiments und der Liebling der sogenannten Gesellschaft war. Er war nämlich sehr reich, hielt vortreffliche Pferde und war bei den Hofbällen unschätzbar als Tänzer verschiedener Prinzessinnen sowie als Arrangeur der schönsten Cotillontouren; ihm konnte ein glänzendes Avancement nicht fehlen.
»Und worin bestand das Verdienst dieses jungen Herrn?« fragte der ernsthafte Offizier der Artillerie mit dem schwarzen Barte.
»Das soll er selbst erzählen,« rief Dagobert herüber, »wenn Seine Excellenz nämlich die Gnade haben, das zu erlauben!«
»Warum nicht, und wir können alsdann, wenn die gnädige Gräfin es gestattet, ihn je nachdem mit einigen Gläsern Wein belohnen oder bestrafen!«
»Erzählen Sie, Horn!«
Der junge Dragoneroffizier erhob sich, wiegte sich ein paarmal kokett in den Hüften und nahm alsdann aus einem vor ihm stehenden Fruchtaufsatze eine Orange, die er mit der weißen Serviette anfaßte und als Zeichen seiner tiefen Trauer, in Ermangelung einer Citrone, hoch emporhielt, was von den Umsitzenden mit einem heiteren Lachen begleitet wurde.
»Ruhig, meine Herren! Ehre dem tapferen Gefallenen!«
»Der selige Horn spricht!«
»Und hoch weg über mir ging die Gewalt der Rosse, keinem Zügel mehr gehorchend,« deklamierte der junge Dragoneroffizier, »und ich dachte in der That, von der reitenden Batterie des Hauptmanns von Brandt, welche Dagobert mit seinen Husaren an jenem Morgen beinahe genommen hätte, überritten zu werden, so wild jagte sie daher, und ich sah schon den roten Schnurrbart ihres grimmigen Chefs wie ein Irrlicht durch die Finsternis leuchten ...«
»Da müssen Sie gute Augen haben, Herr Lieutenant,« bemerkte trocken der Kommandeur der Artillerie; »ich gönne es Ihnen für ein anderes Mal.«
»Danke bestens, Herr Oberstlieutenant; doch waren mir in diesem Augenblicke erst die Augen so klar aufgegangen, daß ich deutlich sah, welch Unheil ich angerichtet, und um das wieder gut zu machen, schlich ich mich bei der herrschenden Dunkelheit und dem unglaublichen Gewühl der reitenden, abprotzenden Artillerie mit meinen Leuten zwischen Geschütz und Mannschaft hindurch und war auch so glücklich, rückwärts in den Büschen meinen Trompeter aufzufinden, alsdann ritten wir zurück, sammelten uns keine tausend Schritte vom Feinde entfernt, und dann ließ ich, in der feindlichen Flanke angekommen, auf meiner ganzen Linie Alarm blasen.«
»Ja, ja,« sagte der Oberst von Schwenkenberg lachend, »von einem betrunkenen Trompeter vor circa zwölf Mann.«
»Aber es gab aus, wie mir der Herr Oberst die Gnade haben werden zu glauben, auch brüllten meine Kerle wie zwölf Teu ... – bitte tausendmal um Verzeihung, enfin – sie schrieen dergestalt, daß der Feind stutzig wurde und die Batterie ihr Feuer einstellte.«
»Ja, aber erst nachdem wir Ihnen gegenüber so gewaltige Geschützmassen aufgefahren hatten,« sagte der ernsthafte Artillerieoffizier.
»Ganz richtig,« warf der Rittmeister von Blankenscheid, der Adjutant des Obersten der Dragoner, dazwischen, »und nachdem Ordonnanzoffiziere von drüben Ordres zur Einstellung des etwas voreilig engagierten Ueberfalles gebracht hatten.«
»Und mit vollem Rechte,« bemerkte der kommandierende General. »Was zum Henker nützen mich vorausbestimmte Manöverpläne, wenn sie nicht streng eingehalten werden!«
Hier flüsterte der selige Horn seinem Nachbar zu: »Das möchte ich auch fragen! Ueberhaupt, was nützt mich der Mantel, wenn er nicht gerollt ist!«
»Nehmen wir also,« fuhr der General in heiterem Tone fort, »die Heldenthat dieses sonst so vortrefflichen Offiziers zu den Akten und gestatten wir ihm, ein großes Glas auszutrinken!«
Daß diesem Ausspruche, der mit sehr lauter Stimme gethan ward, augenblicklich Folge geleistet wurde, und nicht nur von dem seligen Horn, sondern auch von der ganzen Tafelrunde, bedarf eigentlich keiner Erwähnung; dabei klirrten die Gläser zusammen, und ein animiertes Gespräch, größtenteils die Manöver betreffend, flog durch den Saal.
Nur die jungen Kavallerieoffiziere bei Dagobert waren augenblicklich zu einem anderen Gesprächsthema übergegangen; dieser hatte nämlich seinem Nachbar gesagt: »Ich habe später für uns noch etwas extra besorgt.«
»Einen Macao oder Landsknecht?«
»Warum das? Warum sollten wir uns gegenseitig unser bißchen Geld abnehmen? Nein, etwas Besseres. Ich habe die Zigeuner aufspüren und hierher bringen lassen. Herr Christian Kurt machte allerdings zuerst Einwendungen; doch half mir die Gräfin, und so gab er denn schließlich seine Erlaubnis, daß uns die Mädels draußen im Vorsaale etwas tanzen dürfen.«
»Eine vortreffliche Idee! Sind ihrer mehrere?«
»Etwa fünf bis sechs hübsche Dirnen, allerdings keine so schön wie die Esmeralda.«
»Welche du wohl für dich aufgehoben hast?« fragte der selige Horn, worauf Dagobert lachend erwiderte:
»Ein körperloser Geist wie du sollte an so etwas gar nicht denken, doch kenne ich meine Pflicht als Wirt zu genau, um egoistische Hintergedanken zu haben; auch könnt ihr versichert sein, daß die Zigeuner ihre Dirnen, vor allen Dingen die reizende Esmeralda, nicht allein in der Welt herumfahren lassen. Nein, nein, die ganze Gesellschaft ist da und auf der anderen Seite des Schlosses in der alten Halle untergebracht. Dort haben sie ein Feuer angemacht, man hat ihnen Essen und Trinken im Ueberflusse gegeben, und daselbst befinden sie sich wahrscheinlich besser als heute bei der kalten Nacht unter freiem Himmel.«
»Aber später wäre es ungeheuer amüsant, dort das Zigeunerlager zu besuchen, meinst du nicht auch, Dagobert?«
»Vielleicht amüsant, aber nicht thunlich,« entgegnete dieser in sehr trockenem Tone; »sie haben sich alle dergleichen Besuche verbeten, und ich glaube, Herr Christian Kurt würde ein bitteres Gesicht machen, wenn er dergleichen erführe.«
»Erfährt er alles, was im Schlosse passiert?«
»So ziemlich – durch Monsieur Renaud.«
»Schade drum! Nun, man muß sich mit dem Ansehen begnügen.«
»Aber jenen jungen Burschen, den Jagdfrevler, wirst du uns doch in der Nähe zeigen, wie du gesagt?«
»Gewiß, mir wollen nachher dort ebenfalls im Vorsaale, ehe die Zigeuner kommen, ein kleines Verhör mit ihm anstellen.«
»So ist's recht! Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen.«
Was nun das Vergnügen hier im allgemeinen anbelangte, so zeigte es sich nach und nach um die Tafel herum in recht lärmender Weise. Schon längst hatten die Diener die Tafel an verschiedenen Stellen, nach Abräumung der überflüssigen Geschirre, mit schweren silbernen Kühlgefäßen besetzt, die mit fein gehacktem Eise gefüllt waren und aus deren jedem die Hälse von sechs Champagnerflaschen hervorschauten, wobei sich dann alsbald das Knallen der aufsteigenden Pfropfen wie ein lebhaftes Pelotonfeuer vernehmen ließ. Herr Christian Kurt hatte ausdrücklich befohlen, bei diesem Jagddiner die Flaschen uneröffnet aufzustellen, und man mußte schon gestehen, daß dieses Geknatter ringsumher zur Belebung dieses reichen Gelages wesentlich beitrug. Die Gräfin mit ihren Damen hatte sich allerdings ohne Aufsehen zu erregen entfernt, dabei aber dem General, der um den Tisch herumgekommen war um ihr feierlich die Hand zu küssen, das Versprechen gegeben, daß sie später zum Thee wieder erscheinen würde, wogegen Herr Christian Kurt trotz seines hohen Alters nicht nur heiter lächelnd aushielt, sondern auch nicht selten den schäumenden Champagnerkelch leer trank; überhaupt war es höchst merkwürdig, wie der alte Herr auch körperlich frischer und lebendiger zu werden schien, je tiefer es in den Abend hineinging, und doch war es durchaus noch nicht spät geworden – hatte doch die tief dröhnende Kirchenglocke soeben erst die zehnte Stunde angezeigt!
Oben am Tische sorgte Dagobert ausgiebig für die Gäste, unten Herr Renaud, und besonders aber Doktor Herbert, der nicht nur mit dem besten Beispiele voranging, sondern auch durch kleine Trinksprüche und Schwänke aller Art die Herren um sich herum so wirksam anregte, daß die Augen derselben leuchteten und strahlten, daß sich Wangen und Nase röter färbten und daß der dicke Hauptmann von der Infanterie, der sich nicht weit von dem Arzte befand, große Kugelhaufen um sich herum aufgeschichtet hatte und durchaus noch gar keine Miene machte, seine Bestrebungen in dieser Hinsicht zu mäßigen. {bild}