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Es gibt in der militärischen Naturgeschichte die Art von Wesen, welche man nicht leicht in eine der uns bekannten Klassen einteilen oder in eine der uns gewöhnlich vorkommenden Species aufnehmen kann; es sind weder vollkommene Infanteristen, noch vollkommene Kavalleristen oder Artilleristen, und haben doch von allen diesen etwas an sich. Sie dienen weder zu Fuß noch zu Pferde, sie sind allerdings militärisch gekleidet, treiben aber im allgemeinen ein mehr bürgerliches Gewerbe. Sie werden gefürchtet und über die Achsel angesehen, gehaßt und geliebt, wie es gerade kommt; man schmeichelt ihnen ihres Verstandes und ihres Kopfes wegen und nennt sie doch wieder ruppiges Grobzeug, das zu nichts anderem zu gebrauchen ist, kurz, es find dies die Militärschreiber von minderer oder größerer Bedeutung, je nachdem sie auf der Regiments- oder Abteilungskanzlei oder auf dem Bureau eines ganz gewöhnlichen Batteriefeldwebels oder Wachtmeisters beschäftigt sind. Aber merkwürdigerweise haben alle eine eigentümliche Familienähnlichkeit und läuft durch die ganze Gattung der gewisse rote Faden, wie durch das Tauwerk der englischen Marine. Man erkennt einen Schreiber nicht nur, wenn er an seinem Pulte sitzt, Rapporte concipiert oder einen Straferlaß mit Behagen abschreibt, nicht nur auf der Straße und im Wirtshause, wo er in seinem Anzuge etwas genial Schlankelhaftes hat und es versteht, die Konversation an sich zu reißen, da er als Mitwisser großer Geheimnisse durch ein einziges unverständliches Wort die hohe, große Aufmerksamkeit seiner Kameraden auf sich zu lenken versteht; ja, man erkennt ihn auch auf dem Exerzierplätze oder in der Reitschule, wenn es seinem diensteifrigen Batteriechef einfallen sollte, das Federvieh einmal ausstauben zu lassen, und zwar erkennt man ihn hier, wie den Vogel an den Federn, an der hilflosen Art, mit der er zu Pferde sitzt, an seiner krankhaften Neigung für Mähne und Sattelknopf, sowie beim Zufußexerzieren an der chronischen Verwechselung des Wischers mit dem Ansatzkolben.
Dies sind aber nur traurige Schalttage in dem sonst so gemütlichen Leben der militärischen Schreiber, hervorgerufen durch die augenblickliche Laune eines verdrießlichen, gallsüchtigen Kommandeurs oder ersten Lieutenants, der vielleicht bemerkt hat, wie droben auf der Schreiberei die Kanzleihengste ihre dicken Nasen an den Fensterscheiben des warmen Zimmers platt drücken, während die bei den Haubitzen drunten bei sechs Grad Kälte exerzieren mußten.
Zu jenen militärischen Schreibereien wurden in der damaligen Zeit, von der wir reden, häufig Freiwillige gepreßt, wenn sie einen guten Kopf hatten, eine schöne Handschrift besaßen, sowie einen anständigen Lebenswandel führten, und zog man sie häufig gerade zu diesem Amte heran, wenn ihnen der Dienst auf der Reitbahn, im Stalle oder auf dem Exerzierplätze nicht besonders in den Kopf oder in die Finger wollte. Anfangs aber waren die meisten dabei in heftiger Opposition gegen ihren Chef und äußerten, in trügerischer Hoffnung nach den Offizierepauletten, eine totale Abneigung gegen Lineal und Tintenfaß, fühlten Heimweh nach dem göttlichen Leben der Batterie, und, um sich auf der Kanzlei so unmöglich als thunlich zu machen, verschrieben sie sich, wo sie nur konnten, und richteten dadurch greuliche Konfusionen an. Endlich aber wurden sie mürbe, und da man sie hie und da auch bedeutend maßregelte, so ergaben sie sich schließlich nicht nur mit stiller Resignation in ihr Schicksal, sondern fanden es auch behaglich auf der stillen Kanzlei, besonders nachdem sie, denen alle Rapporte durch die Finger laufen, die in alle Dienstgeheimnisse eingeweiht sind, aus denselben deutlich ersahen, wie wenig Hoffnung auch den anderen Kameraden für Erreichung des Zieles der goldenen Epauletten geblieben sei. Da sitzen sie nun in sehr mangelhaften Toiletten, gelockerten Hosenträgern und aufgeschnallten Halsbinden, sehr häufig auch mit Schlappschuhen an den Füßen, und schmieren, daß die Tinte vom Tische herabrinnt, wühlen in den Fascikelpyramiden nach einer verlorengegangenen Verordnung aus dem vorigen Jahrhundert, in der den Regimentskommandeuren eingeschärft worden war, das Fußzeug der Soldaten alle acht Tage mit Thran einschmieren zu lassen; sie wühlen, daß der Staub herumwirbelt, leider ohne sie zu finden. Leider, sagen wir, denn der Chef der zweiten zwölfpfündigen Fußbatterie, der dieses thranige Vergnügen liebte, hat sich auf besagte Verordnung berufen, und ihm sollte womöglich geholfen werden, da das Schmieren der Stiefeln viel bequemer und auch dem Leder zuträglicher ist, als das ewige Wichsen. Da sitzen sie nun, kopieren und mundieren, exhibieren, korrespondieren, rapportieren, concipieren, excerpieren, fascikulieren, rubrizieren, kollationieren, relationieren, revidieren und kalkulieren, indizieren und protokollieren und singen dabei, wenn zufälligerweise der betreffende Feldwebel oder Brigade- oder Abteilungsschreiber, besonders aber, wenn keiner der Adjutanten in der Nähe ist, in republikanischem Selbstbewußtsein:
Ein freies Leben führen wir.
Ein Leben voller ...
Die Wonne aber wird plötzlich abgeschnitten, da man draußen ein trockenes Hüsteln vernimmt und der Brigadeschreiber eintritt, eine scharfe, ernste und sehr gefürchtete Persönlichkeit. Er hat für langjährige Dienstzeit Offiziersrang erhalten, wird aber auf der Schreibstube noch lange Jahre seine alte Kommißuniformen, allerdings mit den Epauletten, tragen; er hat einen ungewöhnlich langen Hals und eine noch längere Halsbinde, letztere von schwarzem Lasting, die in zwei kühnen Bogen seine Ohren zu unterstützen scheint und so fest zugeschnallt ist, daß man stündlich einen Erstickungsanfall bei ihm befürchtet; dabei hat er eine Habichtsnase, und da sein borstig gewölbter Schnurrbart einem Schnabel auch nicht unähnlich sieht, so erscheint der Brigadeoberschreiber im Profil förmlich als ein Vogelgesicht, und ist auch in der That ein böser Vogel, stets bereit, zuzuhacken und den spitzigen Schnabel und die scharfen Klauen zu gebrauchen.
Die Kanzleistube, in der wir uns gerade befinden, ist die letzte in einer Reihe stattlicher Gemächer, in deren ganzem Komplex die Geschäfte des Generalkommandos der betreffenden Artilleriebrigade besorgt werden und in die uns der Lauf unserer wahrhaftigen Geschichte führt, da die Brigadeschule ebenfalls von hier aus verwaltet wird.
Es befanden sich hier, als der Brigadeoberschreiber eintrat, vier junge Leute, die meisten an Stehpulten beschäftigt. Tiefe Stille herrschte in dem großen Zimmer, nur unterbrochen von dem eiligen Gekritzel ihrer Federn auf dem Papier und durch das Auf- und Zuklappen riesiger Protokolle. Es hätte keiner gewagt, aufzublicken, um nicht alsdann dem ungebührlich lang vorgestreckten Halse des eben erwähnten Vorgesetzten und dessen nichts weniger als freundschaftlich klingender Frage: »Was wünschen Euer Gnaden« zu begegnen, besonders heute nicht, wo seine spitze Nase und sein struppiger Bart fast zusammenstießen und seine Stirn furchtbare Runzeln zeigte.
»Weiß der Teufel, wo das zu finden ist,« brummte er, an den hohen, mit Akten gefüllten Regalen emporsehend, »und doch weiß ich ganz genau, daß diese Verordnung erst vor sechs Jahren den verschiedenen Batterien wieder aufs strengste eingeschärft worden ist! Hätten wir nicht statt tüchtiger Hilfsarbeiter lauter junge Windbeutel, die alsdann erst lebendig werden, wenn es zwölf Uhr schlägt, so wäre es möglich, daß sich einer auf diese Verordnung besänne, die ihm ja zufällig durch die Hand gelaufen sein könnte!«
»Darf man fragen, um was es sich handelt, Herr Lieutenant?« erlaubte sich schüchtern einer der jungen Schreiber zu fragen.
»Nein, das darf man sich nicht erlauben, Bombardier Schmoller, aber ich will es Ihnen ungefragt sagen: Das Thema ist wichtig genug, daß man sich dessen erinnern könnte; es handelt sich darum, daß schon zu wiederholten Malen die Kompanieköche angewiesen worden sind, ihre blechernen Kochgeschirre mit Sand statt mit Asche zu putzen. – Nun, Herr Bombardier Schmoller, erinnern Sie sich auf etwas Ähnliches, oder Sie, Unteroffizier Block, der als der älteste etwas davon wissen könnte?«
»Des Faktums erinnere ich mich wohl,« meinte der angeredete Bombardier, indem er verstohlen das linke Auge gegen den Nebensitzenden zukniff, »denn es gibt mehr aus, wenn man die Kochgeschirre mit Asche statt mit Sand putzt.«
»Ja, es gibt mehr aus, junger Mensch,« antwortete hierauf der Brigadeschreiber mit einem sehr bezeichnenden Kopfnicken; »drei Tage Arrest mindestens für jeden dieser Schmierfinken, welche königliches Material auf so unverantwortliche, nichtsnutzige Art verderben! Sagt das euren guten Freunden in den betreffenden Küchen: der Teufel soll dieser Bande auf die Köpfe fahren!« Damit stellte er sich an ein leeres Stehpult, und concipierte in düsterem Nachsinnen die betreffende Verordnung, wobei man zuweilen, während seine Feder hastig über das Papier flog, die Worte vernahm: »Unverantwortliche Verschleuderung königlicher Gerätschaften, Mangel an guter Zucht in der betreffenden Batterie, unbegreifliche Mißachtung schon oft ergangener Befehle, Verantwortlichkeit des betreffenden Batterieoffiziers...«
»So, Unteroffizier Block, das fertigen Sie auf die verschiedenen Abteilungskommandos aus und bringen es zur Unterschrift auf mein Zimmer; aber heute vormittag noch, wenn ich Sie ergebenst bitten darf, es ist erst neun Uhr.«
Er machte Miene, das Gemach zu, verlassen; doch wandte er sich unter der Thür nochmals um und sagte: »Apropos, da ist mir gestern von einem Bombardier erzählt worden, der Ihnen, Schmoller, so ähnlich sieht wie ein faules Ei dem anderen, und welcher einen jungen Mann, der das Abteilungskommando suchte, in das Arrestlokal gewiesen und ihm versichert hat, der alte Schließer dort mit der schmierigen Jacke und der abgetragenen, Mütze sei der Herr Oberst – Gott steh' uns in Gnaden bei, wenn man über so etwas nicht species facti aufnehmen sollte, dann gibt es kein Verbrechen mehr, das dazu befähigt! Nehmen Sie sich aber in acht, Ihr Maß ist voll, gerüttelt voll!« – Dann verließ er mit finsterem Kopfnicken das Gemach.
Eine, zwei Minuten vergingen in lautloser Stille, die Schmierer rührten sich nicht, denn sie kannten ihren Pappenheimer, sie wußten, daß er es liebte, an der Thüre lauschend stehen zu bleiben, und dann plötzlich sein Vogelgesicht noch einmal zur Thür hineinzustrecken. Endlich aber schlich sich Bombardier Schmoller leise an die Thür und blickte zuerst durchs Schlüsselloch und dann erst auf den Gang hinaus.
»Ist das Untier fort?« fragte der Unteroffizier Block.
»Verschwunden, nur stinkt es draußen noch ein bißchen nach Schwefel,« erwiderte der junge Bombardier; »ja, das muß schon wahr sein, er hat etwas vom höllischen Geiste an sich, denn sonst könnte er nicht wissen, daß ich gestern in der That den langen Labander, der auf das Brigadekommando wollte, nach Numero Sicher geschleppt; auch habe ich ihm dort einen hübschen Mittelarrest, der zufällig offen stand, als ein Schlafzimmer für die Freiwilligen bezeichnet. Es war recht hübsch anzusehen, was der Kerl für große Augen machte.«
»Du hast immer Glück,« erwiderte der Unteroffizier, indem er sich seufzend daran machte, die erhaltene Verordnung, Kochgeschirr betreffend, dreimal abzuschreiben.
»O, lieber Freund, das Glück allein thut's nicht, man muß auch gute Einfälle haben!« versetzte Schmoller. Damit erhob er sich geräuschlos und trat an das große Regal hinter dem Rücken des emsig schreibenden Unteroffiziers und nahm dort mit gewandter Hand hinter dem abgeblaßten Vorhänge einen Bierkrug hervor, den er in langen Zügen austrank, wobei er, zuweilen absetzend, dem ahnungslosen Unteroffizier freundlich lächelnd zunickte. »So,« meinte er alsdann, »jetzt hab' ich meine Pflicht gethan und kann für einen Augenblick austreten!« – Pfeifend verließ er das Gemach, und die anderen lachten still in sich hinein, denn sie freuten sich schon im voraus auf den Wutausbruch des geizigen Unteroffiziers.
Der Zorn Blocks ließ auch nicht lange auf sich warten, nachdem er den ersten Kasus der Verordnung beendigt – unter strenger Rüge darauf zu wachen, daß königliche Kochgeschirre nicht mehr mit höchst verwerflicher Asche behandelt würden – griff er mechanisch hinter sich nach seinem Bierkruge, brachte ihn vor die Augen und schrie entsetzt: »Hol' Sie der Teufel, Kanonier Flattich, Sie haben mein Bier ausgesoffen!«
Der Angeredete saß allerdings dicht hinter dem Unteroffizier, doch konnte er die feierlichste Versicherung abgeben, er habe dessen Eigentum nicht angetastet. »Auf Cerevis!« setzte er hinzu.
»Gehen Sie zum Teufel mit Ihrem Cerevis, das klingt gerade wie Hohn hier bei meinem leeren Bierkruge!«
»Nun denn, auf meine Ehre, wenn Ihnen das lieber ist!«
Hier konnte sich der vierte, ein schlanker, hübscher, keck aussehender Bursche ebenfalls mit der Bombardiersauszeichnung, nicht enthalten, die Partei des jungen Flattich zu nehmen, indem er sagte: »Nun, er hat es nicht gethan; Flattich ist ein verliebtes Kamel, welches kein Bier trinkt, besonders in einem Augenblicke, wie der jetzige, wo er, statt das Protokoll der Geschützrevisionskommission abzuschreiben, Liebesbriefe auf rosa Papier schreibt!«
»Nun, so war es der Schmoller. Säuft da dieser niederträchtige Kerl mein Bier!«
»Und dann ist er ausgetreten!« sagte der andere Bombardier lachend.
»Laßt es gut sein, sprecht nicht darüber,« sprach der Gekränkte, »man darf sich durchaus nicht merken lassen, daß man sich über seine schlechten Streiche ärgert; ich will ihn schon anders kriegen.«
Der Betreffende erschien nun wieder mit dem heitersten Gesichte von der Welt und setzte sich zum Schreiben nieder.
»Dieses Mal, sagte er nach einer Pause, »bekommt die Brigadeschule, wie ich denke, einen tüchtigen Nachschub; draußen auf dem Gange schwärmen wieder so ein paar Fliegen herum, die sich die Aufschriften an allen Thüren betrachten.«
Während er diese Worte sprach, schielte er über das Papier hinüber nach dem Unteroffizier Block und freute sich unsäglich, als er sah, wie dieser jetzt langsam seine Hand nach dem Bierkruge ausstreckte. Doch schien sich derselbe gar nicht über die Leere desselben zu wundern, vielmehr goß er ganz ruhig das letzte Tröpfchen auf den Zeigefinger seiner linken Hand und fuhr dann mit demselben behutsam hinter seine Halsbinde, so tief er konnte gegen den Rücken hinab.
Auch die anderen bemerkten das; doch sprach eine Zeitlang niemand, bis endlich Schmoller nicht mehr an sich zu halten vermochte und mit dem ruhigsten Tone von der Welt fragte: »Ist das Bier gut, Block?«
»Ich weiß es nicht,« gab jener zur Antwort, indem er emsig fortschrieb; »ich habe keins davon getrunken.«
»Aber warum hast du denn den gefüllten Krug hinter dir stehen?«
»So, war er gefüllt? Ich hatte geglaubt, er sei den Morgen leer gewesen. Weißt du, ich brauche das Bier nur, um mir auf Anraten des Doktors ein böses Blutgeschwür anzufeuchten, das ich dahinten habe.«
»Pfui Teufel,« sagte Schmoller mit Entsetzen, »bist du ein ekelhafter Kerl!«
Nun brach aber der andere Bombardier und selbst der Liebesbrief schreibende Flattich in ein homerisches Gelächter aus, während Schmoller mit allen Zeichen des Mißbehagens zu widerholten Malen neben sich auf den Boden spuckte.
Vielleicht würde es noch weitere Erörterungen über diesen eigentümlichen Fall gegeben haben, wenn nicht ein bescheidenes Klopfen an der Thür die Aufmerksamkeit dorthin gelenkt hätte. Dieses Mal war es der Unteroffizier Block, nicht, wie gewöhnlich, der Bombardier Schmoller in seiner vorlauten Art, welcher ein lautes »Herein« erschallen ließ, vielmehr beugte sich dieser tief auf seine Papiere herab und schrieb mit ziemlich verdrießlicher Miene, ja, blickte nicht einmal in die Höhe, als nun drei junge Leute in Civilkleidern eintraten und sich einer derselben von außerordentlich großer Gestalt auf höfliche Art nach der Kanzlei des Herrn Brigadeadjutanten erkundigte.
»Sie sind wohl gekommen, um Ihre Papiere behufs der Aufnahme in die Brigadeschule zu übergeben?« fragte Unteroffizier Block, noch immer sehr heiter über die glücklich ausgeführte Rache.
»So ist es, mein Herr.«
»Bitte, wenden Sie sich nur an jenen jungen Mann dort, der so eifrig schreibt. – »Herr Bombardier Schmoller, wollen Sie wohl die Freundlichkeit haben, diesen Herren mit Rat und That an die Hand zu gehen; es schlägt ja in Ihr Fach.«
Nun aber hatte der Brigadeschreiber große Lust, mit dem Ersuchen, man möge sich seinetwegen zum Henker scheren, zu antworten; doch sah er, aufblickend, daß der große junge Mensch in Civilkleidung etwas so gar Sicheres oder so gar Dummdreistes in seinen Manieren hatte, daß er nicht widerstehen konnte, ihm auf seine Art ein bißchen auf den Zahn zu fühlen.
Herr Schmoller war eine so leicht erregbare Natur, daß die Eindrücke sowohl des Schmerzes als des Ernstes nie lange bei ihm anhielten, und bei dem es nur des geringsten Gegenwindes bedurfte, um die Wellen seiner Gemütsstimmung in entgegengesetzte Richtung zu treiben.
Er legte sich also in seinen Stuhl zurück, steckte seine Feder hinter das Ohr und betrachtete mit verschränkten Armen den vor ihm Stehenden langsam von oben bis unten. Es mochte das ein junger Mann von siebzehn bis achtzehn Jahren sein, doch sah er bei seiner außerordentlichen Größe und seinem feisten Gesichte, auf dem sich schon ein Anflug von Backenbart zeigte, älter aus. Er war gut, ja elegant gekleidet, und während der Musterung des Bombardiers »spitzte er den Mund, wie zu einem gelinden Pfeifen, ließ seine Augenlider halb herabfallen und spielte mit den Fingern seiner linken Hand an seiner schweren goldenen Uhrkette. Schmoller legte ein Blatt Papier breit vor sich hin, und nachdem er durch seine Mienen ausgedrückt, daß er mit der Musterung der drei Leute zufrieden war, tauchte er seine Feder in das Tintenfaß und sagte mit großem Ernste: »Ihre Namen, meine Herren; aber hübsch hintereinander, wenn ich bitten darf!« »Ich heiße Franz Werner,« sagte der große Mensch mit vieler Sicherheit, »bin der Sohn des Postmeisters Werner und habe hier meine Papiere, um zur Prüfung zugelassen zu werden.«
»Ja, zur Prüfung. Allerdings zur Prüfung; aber wissen Sie wohl, Herr Franz Werner, daß man nicht so mir nichts dir nichts vor die hohe Obergeneralvrüfungskommission hintritt, sondern daß man nur dazu gelangen kann, wenn man vorher eine kleine Vorprüfung glorreich bestanden? Sind Sie zu einer solchen Vorprüfung gerüstet?«
»Ich weiß nicht genau, ob ...« gab der Gefragte stotternd zur Antwort.
»Ob Sie Ihren faulen Knecht in der Tasche haben. Ja, sehen Sie, mein lieber Herr Werner, es geht auch ohne das, und wenn Sie uns, ehe wir zum Examen schreiten, den Namen des Hotels, in dem Sie abgestiegen sind, angeben, auch hinzufügen wollen, um welche Zeit dort gewöhnlich gespeist wird, so wollen wir es mit diesem Vorexamen nicht so genau nehmen.«
»Es – wird – mir – sehr – angenehm – sein; ich wohne in der ›Goldenen Ente‹, und man speist dort gewöhnlich um halb ein Uhr.«
»Bis dahin sind wir wohl fertig?« wandte sich Schmoller mit lauter Stimme an seine Kameraden, von denen aber der Unteroffizier Block sagte, daß er für heute bei dem Obersten zu Tische gebeten sei, und der andere Bombardier nicht genau wußte, ob er erscheinen könne, da er seiner Frau nichts davon gesagt, während Flattich, im Schreiben begriffen, gar keine Antwort gab.
»Thut nichts, so komme ich allein. Also, junger Mann, so wollen wir uns zuerst mit der Mathematik beschäftigen. Sie wissen doch, was das für ein Ding ist?«
Herr Werner machte ein etwas verlegenes Gesicht und meinte: »Gerade mit der Mathematik habe er sich nie außerordentlich stark befaßt.«
»Nun, etwas wird schon hängen geblieben sein. Können Sie mir vielleicht den pythagoräischen Lehrsatz erklären?«
»Ja – ja – zu Hause könnte ich das wohl ...«
»Wenn Sie Ihr Lehrbuch bei sich haben. Nun, mit der Antwort kann ich mich schon bei dem Vorexamen zufrieden erklären, und können Sie ganz beruhigt sein, denn auch beim großen Examen finden Sie Bücher genug, die zum Nachschlagen zu Ihrer Verfügung stehen; und dann haben Sie auch dort den Geheimen Obereinbläser, einen alten Herrn mit grauem Schnurrbart, den Sie freundlich von mir grüßen können. Aber noch eine Frage werden Sie mir erlauben: was eine Concru-Ente ist, wissen Sie ganz bestimmt?«
»Doch nicht so ganz,« erwiderte der Examinand nach einer längeren Pause.
»Das ist schade. Vor der Frage nehmen Sie sich in acht, denn der Herr Oberst ist ganz besonders darauf versessen; er liebt die Concru-Enten sehr, den sie schmecken vortrefflich, kommen aus dem indischen Staate Concru und sind besonders gebraten sehr schmackhaft. Doch will ich Sie nun nicht weiter plagen, nachdem ich mich von Ihren enormen Kenntnissen überzeugt habe; gehen Sie getrost zum Examen und erwarten Sie mich um halb ein Uhr bei Tische in der ›Goldenen Ente‹, selbst ohne Concru-Enten, die hier schwer zu haben sind.«
Der Bombardier machte eine herablassende Handbewegung, an welche sich ein leiser Wink schloß, der dem zweiten galt und ihn ersuchte, vorzutreten.
»Ihr Name?«
»Erich Freiberg.«
»Ein hübscher Name, Herr Erich Freiberg,« antwortete der Bombardier, nachdem er einen Augenblick in das offene, kluge Gesicht dieses jungen Mannes geblickt und ein kleines, schalkhaftes Lächeln in dessen klaren Augen entdeckt zu haben glaubte. »Sind Sie in der That hierher gekommen, Herr Erich Freiberg, um Ihr Examen zur Aufnahme in die Brigadeschule zu machen?«
»Ganz gewiß, Herr Bombardier.«
»Ah, ich dachte nur, Sie hätten vielleicht die Hausnummer verfehlt und Ihre Bestimmung sei das Seminar gewesen. Gewiß, Herr Erich Freiberg, Sie haben etwas so Ehrwürdiges, so Geistliches an sich, daß Sie es noch bis zum Feldpater bringen können. Doch finde ich soeben,« sagte er, sich erinnernd, »daß die Zeit verflossen ist, die ich bei meinen vielen Dienstgeschäften für die Vorexamen übrig habe. Gehen Sie also mit Gott, meine Herren, auf die Kanzlei des Brigadeadjutanten, und wenn Sie von diesem nicht als Zugabe zu seinem zweiten Frühstücke verschluckt werden, ehe Sie Ihr Anliegen vorgebracht haben, so wird er Ihre Namen notieren, Ihnen die Papiere abnehmen und alsdann Tag und Stunde bestimmen, wo Sie sich zu Ihrem zweiten Examen einzufinden haben. Kanonier Flattich, zeigen Sie diesen drei hoffnungsvollen angehenden Artillerieoffizieren den Weg nach der Brigadeadjutantur, und damit Adieu, meine Herren, und bis nachher, junger Herr Franz Werner!«
Alle drei verließen hierauf in Begleitung des Kanoniers Flattich, der ihnen zum Führer diente, die Schreibstube, und da es mehr in unserem Interesse liegt, ihnen zu folgen, als zu sehen, wie der Bombardier Schmoller in dem nicht sorgfältig genug verborgenen Briefe des jungen Flattich eine höchst unpassende Korrektur anbrachte, so wollen wir im nächsten Kapitel erzählen, wie es ihnen weiter ergangen. {bild}