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12. Kapitel

Worin wir die Bekanntschaft eines vornehmen Herrn machen, welcher den größten Teil des Tages in seinem Bette zubringt.

Die Besitzung des Grafen Seefeld, wohin wir den geneigten Leser dem Laufe dieser wahren Erzählung nach hinführen müssen, die Waldburg, rechtfertigte ihren Namen insofern, als dieses Schloß am südlichen Ende ausgedehnter, stundenlanger Waldungen lag und hier zwar auf einer Anhöhe, allerdings mit beziehungsweise beschränkter Aussicht, aber mit einem Blicke auf ein liebliches Thal, welches von einem kleinen Flusse durchströmt wurde und das nur dort, wo es sich muldenförmig öffnete, den Blicken erlaubte, eine Fernsicht zu ahnen, die man indessen schon vom ersten Stockwerke des Schlosses in einer entzückenden Weise, und zwar über die niedrigen Höhen jenes Thales hinweg, genoß. Dort hatte man ein weites und reiches Panorama vor sich, Waldstrecken, Fruchtfelder, Wiesen in schöner Abwechselung, und fern am Horizonte eine lange Kette gewaltiger Bergriesen, von denen ein paar der höchsten beinahe während des ganzen Sommers mit Schnee bedeckt waren.

Man wird sich nach dieser schwachen Schilderung gestehen müssen, daß die Lage des Waldschlosses umsichtig und mit großem Geschmacks gewählt war. Unten in den Anlagen vor demselben befand man sich sozusagen in einem engen gemütlichen Familienkreise von grünen Bergwänden, prächtigen Waldbäumen, murmelnden Wasser; wollte man aber in die Welt hinaus, so brauchte man nur eine Treppe hoch zu steigen und hatte alsdann in der weit ausgedehnten Landschaft einen möglichst großen Spielraum für Phantasie und Träume.

Wenn nun auch das Schloß in seiner heutigen Gestalt und Umgebung ein Werk des jetzigen Besitzers war, des Herrn Christian Kurt Grafen von Seefeld-Waldburg, so war er doch nicht der glückliche Auffinder der Stelle gewesen, auf der es stand, sondern diese war schon zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts von frommen Klosterbrüdern zur Erbauung eines kleinen Kirchleins mit bescheidener Wohnung benutzt worden. Aus dem Kirchlein war aber im Laufe der Zeit eine Kirche geworden und aus dem bescheidenen Hause ein reich dotiertes, prachtvolles Kloster, welches von dem Vater des Christian Kurt mit Tausenden von Morgen an Fruchtfeldern und Wiesen und den schönsten Waldungen zu jener Zeit, als man die aufgehobenen Klöster, oft mit wenig Rücksicht auf die Kunst- und litterarischen Schätze, förmlich zu verschleudern pflegte, beziehungsweise um einen beispiellos billigen Preis gekauft worden war.

Ein anderer Gewinn, auf den der Rentmeister des Grafen allerdings im Interesse seines Herrn bei diesem Kaufe spekuliert, hatte sich indessen nicht verwirklicht: die bedeutenden Klosterschätze an reichen Juwelen und kostbaren Gefäßen in Gold und Silber nämlich, welche bei Aufhebung des Klosters durch die betreffenden Kommissarien spurlos verschwanden; doch man war hier berechtigt, einen Unglücksfall der natürlichsten Art anzunehmen, da seine Kollegen, welche mit ihm die Beschlaglegung ausführten, aufs glaubwürdigste die Versicherung abgaben, daß der Betreffende ohne irgend welches Gepäck, oder sonst auffallend mit etwas beladen zu sein, das Kloster wie zu einem Spaziergange verlassen habe und weder mehr zurückgekehrt sei, noch sonst irgend etwas von sich habe hören lassen.

Der Käufer hatte Kloster und Güter verpachtet, und erst dem Sohne blieb es vorbehalten, die Besitzung so umzuändern und herzustellen, wie sie sich jetzt befand, und man mußte gestehen, daß er das auf seine Art mit vielem Geschmacke sowie unter Anwendung großer Mittel gethan.

Herr Christian Kurt war in die Armee eingetreten, um dort, wie er dachte, nur kurze Zeit zu seinem Vergnügen zu dienen; doch hatte ihn jene gewaltige Zeit der französischen Kriege begreiflicherweise nicht losgelassen, und er hätte wohl die ganze Partie, wie so mancher andere, bis zum Schach und Matt mit ausspielen müssen, wenn ihn nicht schon in einer der ersten Schlachten der Hieb eines Kürassiers vom Militärdienste, beinahe aber auch von allen Leiden und Freuden des irdischen Daseins befreit hätte. Doch hatte der Graf eine vortrefflich fundamentierte Gesundheit und erholte sich, allerdings nach längerer Zeit, wieder so weit, daß er größere Reisen unternehmen konnte, besonders nach dem damals ruhigeren England, wo er hauptsächlich die Landsitze des reichen Adels und das Leben auf denselben studierte, um später, voll von den Eindrücken dieser vortrefflichen Einrichtungen, nach der Heimat zurückzukehren und sich hier mit Eifer der Herstellung und Umänderung des ehemaligen Klosters nach den gesammelten Vorbildern zu widmen.

Da er keine Kosten sparte und zu sparen brauchte, so brachte er denn auch mit Hilfe geschickter Architekten und Gärtner, wie schon oben bemerkt, etwas Schönes zustande, und wer hierher kam unter der Erinnerung des ehemaligen Klosters oder sich unter dem Namen Waldburg ein altes, ernstes, feudales Gebäude vorstellte, der fand sich gewaltig enttäuscht, wenn er hier ein weitläufiges, helles, freundliches Schloß fand, das mit seinen gewaltigen vier Flügeln eine allerliebste poetische Kirche gleichsam einrahmte, und wenn er schon eine Stunde vorher, sich von der Seite der uralten Wälder nähernd, gleichsam ohne Übergang in einen unermeßlichen Park trat, von breiten Kieswegen durchschlungen, mit festem, schönem Rasen, auf dem zahlreiche Viehherden weideten, und wo sich auch an den Grenzen Rudel von Edelwild und Rehen sehen ließen. Die höher liegenden Wassermassen der ausgedehnten Forsten waren aufs beste und geschickteste benutzt, bald hier und da Seen und Teiche bildend oder sanft geschlungene Bäche, deren ganzer Wasserreichtum dann später gesammelt von der einen Seite des Schlosses als reicher Wasserfall zwischen malerisch geformten Felswänden herabstürzte gegen Thal und Fluß zu, von denen wir oben sprachen. Noch gab es auch unterirdische Wasserleitungen zum Berieseln und Bespritzen der großen Wiesenstücke, die sich von dem Schlosse gegen den Abhang zu nach allen Seiten ausdehnten und deren reiche Wassermasse in einem der seitwärts zierlich angelegten Gärten hinter dem großen Palmenhause als Fontaine, wie es von solcher Höhe und Stärke keine zweite im Lande gab, emporsprang.

Dabei war es eine Lust, zu sehen, wie das alles hier, allerdings von zahlreichen Händen, nicht nur in bester Ordnung erhalten wurde, sondern auch Jahr um Jahr Verschönerungen und Verbesserungen angebracht, wo dies nur eben möglich war, und behielt der alte Graf trotz seiner hohen Jahre und seiner Kränklichkeit die Leitung dieser seiner Lieblingsschöpfung fest in der Hand. Da es ihm zu mühsam war, häufig in dem Parke und den Gärten anordnend umherzufahren, so hatte er sich ein Plankabinet einrichten lassen, wo das Schloß mit seiner Umgebung en relief aufs genaueste dargestellt war, und hier verbrachte er manche Stunde, wobei er rings um das ganze Terrain auf einem Rollstuhle umherfuhr und mit seinem Sekretär Anordnungen und Verbesserungen besprach, die er mit einem langen Stocke, den er in der Hand hielt, auf der betreffenden Stelle und gewöhnlich mit großer Sachkenntnis und vielem Geschmacke angab.

Der Sekretär hieß Herr Renaud, war der Sohn französischer Eltern, hatte Jurisprudenz studiert, dann Architektur und Gärtnerei getrieben und war ein schöner Mann von vierzig Jahren, von vielem Geiste, vielen Talenten und, wie schon oben bemerkt, von außerordentlichen Kenntnissen; dabei aber wollen wir gestehen, daß er sich Kenntnisse so verschiedener Art nicht ohne Absicht angeeignet, sondern in Voraussicht einer ähnlichen Stelle, wie er sie jetzt bei dem Herrn Christian Kurt nun schon seit Jahren ausfüllte. Der Vater des Sekretärs war bereits ein allerdings untergeordneter Beamter in dem gräflichen Schlosse gewesen und hatte mit der Erziehung seines talentvollen Sohnes aufs glücklichste spekuliert. Herr Renaud, oder Herr von Renaud, wie ihn die Bedienten selbst vor dem alten Grafen zu nennen pflegten, war in jeder Hinsicht die rechte Hand, das Faktotum desselben. Seine juristischen Kenntnisse befähigten ihn vollkommen zur Verwaltung des ungeheuren Vermögens, und sein Wissen in Betreff der kleinen Liebhabereien des alten Grafen machte es ihm leicht, sich auch hier aufs nützlichste zu beweisen, und da er nebenbei die große Kunst besaß, dem Herrn Christian Kurt entweder seine eigenen Gedanken zu soufflieren oder sich auch, wenn es sein mußte, stets mit heiterer Miene in alle Wünsche desselben scheinbar hineinzufinden, um alsdann auf Umwegen doch wieder zur Ausführung seines ursprünglichen Planes zu gelangen, so konnte man wohl sagen, daß die Macht des Herrn Renaud nicht unter, ja kaum neben der seines Herrn stand, ja daß er in diesem vornehmen und reichen Haushalte allmächtig war. Ob er das Vertrauen seines Herrn in irgend einer Weise mißbrauchte, wer konnte das wissen! Die Welt war natürlicherweise davon überzeugt, so wenig Veranlassung er auch zu all den Gerüchten über ihn gab. Daß Herr Renaud vortrefflich gestellt war, verstand sich wohl von selbst. Er bewohnte ein hübsches Appartement, wo sich auch seine Kanzlei befand, er hatte Pferd und Wagen zu seiner Verfügung, und würde wahrscheinlich auch mit der gräflichen Familie gespeist haben, wenn zu gewöhnlichen Zeiten überhaupt eine Familientafel auf dem Schlosse stattgefunden hätte. Diese aber stand der Lebensweise des alten Grafen, die er schon seit mehreren Jahren angenommen hatte, hindernd im Wege; Herr Christian Kurt hatte einst in einem medizinischen Werke gelesen, daß einem geschwächten Körper in vorgerückten Jahren nichts so zuträglich sei als unbedingte Ruhe, langes Schlafen und die Vermeidung aller geistigen Aufregung, weshalb er denn besonders bei nur einigermaßen kühler Witterung die meiste Zeit selbst des Tages in seinem Bette zubrachte, wo er indessen begreiflicherweise weder durch Besuche noch durch Berichte und Nachrichten irgend welcher unangenehmen Art gestört sein wollte. Hier hatte allein Herr Renaud Zutritt, auf den sich der Graf in dem, was unangenehme Nachrichten anbetraf, fest verlassen konnte, keine dergleichen von seinem Sekretär zu erhalten, sondern nur Berichte angenehmer oder heiterer Art.

Wir wissen bereits, daß sich der Herr Graf Christian Kurt – so hörte er sich am liebsten nennen, wie auch bei wirklichen Souveränen der Geschlechtsname nicht unbedingt nachgesetzt zu werden braucht und wie sich auch die hohen geistlichen Würdenträger bescheiden mit ihrem Vornamen hinter ihrem betreffenden Titel begnügen – vor nicht allzu langer Zeit verheiratet halte, und zwar zum erstenmal in wirklich offizieller Weise. Allerdings hatte man vor langen, langen Jahren unter anderen ähnlichen und wichtigeren Geschichten von einem Verhältnisse gemurmelt, das erst nach einem Eheversprechen, ja erst nach einer wirklich geschlossenen Verbindung habe zustande kommen wollen; doch erfuhr man nie etwas Bestimmtes darüber, und schon seit Jahren, wo alle die, welche allerdings mit Sicherheit darum wissen konnten, diese schlimme Welt mit einer besseren vertauscht hatten, sprach und dachte niemand an das Gerede von damals, an jene Verbindung, welche, wenn sie in der That existiert, doch ohne alle Folgen geblieben sein mußte. Wir haben auch bereits erfahren, aus welchem Grunde der alte Graf bei so vorgerückten Jahren zur Vermählung mit seiner Nichte geschritten war, und müssen hinzufügen, daß der oben genannte Grund der einzige war und blieb und nichts in dem schon früher bestandenen kindlichen Verhältnisse der schönen jungen Gräfin zu ihrem schwachen, kränklichen Onkel geändert hatte, ja er pflegte darüber gegen alle Freunde zu scherzen und sagte: »Ich bin wie einer jener fabelhaften Drachen, welche das eigentlich undankbare Geschäft besorgen, kostbare Schätze für andere zu hüten.« Daß die Gräfin das unbestrittene Recht hatte, ihren Gemahl zu jeder Stunde des Tages zu sehen, versteht sich von selbst. Doch machte sie von diesem Rechte, da sie die Eigenheiten des Herrn Grafen Christian Kurt kannte, einen so mäßigen Gebrauch, daß Monate vergehen konnten, ehe sie ihn anders sah als abends acht Uhr, während seines Diners, welches er gleich nach dem Aufstehen einzunehmen pflegte. Ausnahmen, wie die im vorigen Kapitel beschriebenen, waren äußerst selten, und da hatte er sich zu dieser Extravaganz nur verleiten lassen, um dem kommandierenden Brigadegeneral, einem seiner Bekannten aus früherer Zeit, sowie dem hohen Vorgesetzten seines Neffen eine unerhörte Artigkeit zu bezeigen. Wir wollen damit nicht behaupten, daß er diesen Neffen zärtlich geliebt habe, doch trug dieser nun einmal den Namen Seefeld-Waldburg und war, wie schon gesagt, aus der legitimen Ehe seines einzigen jüngeren Bruders entsprossen, und zwar aus einer Ehe desselben mit der Fürstin Werdenstein, welche sehr viele Ahnen, aber sehr wenig Vermögen aufzuweisen hatte.

Es ist nachmittags gegen vier Uhr, und Herr Christan Kurt, der, in seinem langen und breiten Bette ruhend, noch immer mit einer ungewöhnlichen Müdigkeit infolge jenes Manövertages zu kämpfen hatte und welcher, mit Ausnahme eines gegen Mittag eingenommenen sehr leichten Frühstücks, heute noch kein Lebenszeichen von sich gegeben, ließ jetzt eine silberne Glocke, die er durch einen höchst sinnreichen Mechanismus beinahe mit der Leichtigkeit des Gedankens bewegen konnte, dreimal anschlagen, worauf sich geräuschlos die Thür des Vorzimmers öffnete und der Kammerdiener des Grafen unhörbar in das Schlafzimmer trat. Von diesem Kammerdiener ist nur zu sagen, daß er ein wahrer Künstler in seinem Geschäfte, daß er nebst freier Station ein Gehalt von tausend Thalern hatte, das ihm auch später als Pension zugesichert war, daß er sich durch gelegentliche reiche Geschenke auf das Dreifache dieses Gehaltes stellte und daß er selbst das Ansehen eines vornehmen Mannes hatte. Sagte doch Herr Christian Kurt lachend von ihm, daß er, der Graf nämlich, auf seinen Reisen nach der Residenz oder von dort hierher zurück sich stets in acht nehmen müsse, um von Leuten nicht umgerannt zu werden, welche sich beeilten, seinem Kammerdiener ihre Ehrfurcht zu bezeigen. Derselbe hieß mit seinem Vornamen Benjamin, welchen Namen aber der Graf, als von zu alttestamentlichem Anklänge sowie auch der Bequemlichkeit halber, in Ben verwandelt hatte.

Ben also war in das Schlafzimmer getreten und wandte sich hier gegen das einzige hohe und breite Fenster dieses Gemaches, vor welchem ein Toilettentisch von einer fast unglaublichen Größe stand. Derselbe hatte vorn einen halbrunden Ausschnitt, so daß jemand, der vor demselben saß, all die unzähligen, unglaublichen und unbegreiflichen Gegenstände in Gold, Silber, Elfenbein und Schildkröte, womit dieser Toilettentisch bedeckt war, wie eine Ausstellung beinahe rings um sich her hatte. Man hätte in der That glauben können, es mit einer Ausstellung oder mit einem Warenlager zu thun zu haben, das hier zur Auswahl hergerichtet worden sei, denn da waren alle uns bekannten Toilettengegenstände, als Bürsten, Scheren, Kämme, gleich dutzendweise vorhanden, wobei allerdings immer ein Exemplar oft durch eine kaum merkliche Nuance von dem anderen verschieden war.

Daneben sah man auch Gegenstände von eigentümlicher Form, deren Bestimmung ein Uneingeweihter sich nicht klar zu machen vermochte, die aber alle höchst notwendig waren, um das zu erreichen, was ein gewöhnlicher Mensch mit einem Kamme, einer Zahnbürste und höchstens mit einer Nagelfeile zu vollbringen pflegt.

Im Bette regte sich indessen durchaus nichts, auch war dort nichts sichtbar als ein Paar geschlossene Augen, eine knöcherne Nase und ein faltiger Mund, alles Übrige war bedeckt teils durch eine seidene Nachtmütze, teils durch die schwellenden Kissen, in denen der Kopf des Grafen versunken lag, sowie durch eine weiche Decke von feinstem Kaschmir, die ihm bis unter das Kinn reichte.

Ben hatte ein Batisttuch stark mit Eau de Cologne beträufelt, und während er damit leicht die Stirn des Grafen betupft, nachdem er die Nachtmütze sanft entfernt, sagte er mit leiser Stimme und in dem Tone, mit dem jemand eine auswendig gelernte Lektion wiederholt: »Das Wetter ist mild, zehn Grad Wärme, der Boden etwas feucht vom Nebel, den ein angenehmer Sonnenschein herabgedrückt« – worauf er, ohne eine Antwort abzuwarten, wieder an den Toilettentisch zurückging, dort eine kleine goldene Dose holte, dieselbe aufschraubte und dem Grafen darreichte, nachdem er von dessen Armen und Händen die leichte Tibetdecke entfernt, unter welchen nun ein weiches, gestepptes Bettcouvert von amarantfarbener Seide zum Vorschein kam. Der Graf nahm aus der kleinen goldenen Dose ein paar stark und angenehm riechende Pastillen, die er in seinen Mund steckte und dann, die Augen öffnend, seinen Kammerdiener fragend anschaute.

»Es ist heute Montag, Erlaucht, der sechzehnte Oktober, die Herren sind zur Jagd in den Wald geritten, die gnädige Gräfin haben sie zu Wagen eine kleine Strecke begleitet. Gemeinschaftliches Diner um acht Uhr in der großen Halle, wie Ew. Durchlaucht gestern befohlen haben.«

»Gut, Ben, ich habe durchaus nichts dagegen einzuwenden.« »Befehlen Ew. Durchlaucht, mit der Toilette fortzufahren?« »Ja, Ben, aber ohne Übereilung, wenn ich Sie höflich bitten darf.«

Wir müssen hier beifügen, daß letztere Redensarten täglich zwischen Herrn und Diener gewechselt wurden, und gewiß sehr unnötigerweise, denn die Art, wie der Kammerdiener bei der Toilette verfuhr, war die unglaublich langsamste.

Das Bett des Grafen hatte eine mechanische Vorrichtung, um ihn in eine halb liegende, halb sitzende Stellung zu erheben, und sobald dies geschehen war, ließ Ben durch einen Zug die schweren Seidenvorhänge rings um das Bett herabfallen, so ein kleines, besonderes Bettgemach in dem Vorzimmer bildend, eine gewiß nicht unnötige Vorsorge, denn jetzt erschien, ohne gerufen zu sein, ein kleiner Lakai an der Thüre des Vorzimmers, der in seinen Händen eine silberne Schale voll lauwarmen Wassers trug und sich erst nach einiger Zeit, auf ein Zeichen des Kammerdieners, dem Bette bis auf wenige Schritte näherte. Welche Mysterien Ben unterdessen besorgt hatte, erfahren wir dadurch, daß er ein äußerst kostbares Rasierzeug wieder auf den Toilettentisch zurücktrug, und alsdann wieder, nachdem er duftenden Kräuteressig in das warme Wasser der silbernen Schale geträufelt, mit diesem hinter den Vorhängen verschwand, zugleich mit dem kleinen Lakaien, der in das Vorzimmer zurückeilte. Als sich aber nun kurz darauf die Bettvorhänge wieder öffneten, mußte man sich gestehen, daß die Toilette des Herrn Christian Kult einen bedeutenden Fortschritt gemacht hatte, denn derselbe saß jetzt fast aufrecht da, allerdings durch Kissen unterstützt, in einen blausamtenen Schlafrock gehüllt, und blickte mit geöffneten Augen in einen kleinen silbernen Handspiegel, welchen ihm Ben in die Hand gegeben hatte, woraus dieser alsdann an das wichtige Geschäft ging, mit den verschiedenen Gerätschaften, mit Pomaden und Kosmetik das graue spärliche Haar Sr. Erlaucht zu ordnen.

Und abermals wurden hierauf die Zeltvorhänge nicht nur zurückgezogen, sondern auch dergestalt drapiert, daß sie eine Scheidewand bildeten zwischen dem Oberkörper des Herrn Christian Kurt und dessen Füßen, worauf der kleine Lakai ebenso rasch und ungerufen wieder erschien und jetzt in das Allergeheimste zugelassen wurde, um die Füße Sr. Durchlaucht mit stärkendem kölnischen Wasser zu waschen und alsdann die Fußsohlen desselben sanft mit wollenen Tüchern zu reiben, natürlicherweise unter spezieller Leitung des Kammerdieners. Ein weiterer Fortschritt der Toilette geschah jetzt wieder unsichtbar für die ganze übrige Welt, den kleinen Lakaien mit inbegriffen, und als sich danach die Vorhänge zum drittenmal öffneten, ruhte Herr Christian Kurt auch unten, mit weichen Pantoffeln und sanften Morgenkleidern bedeckt, auf seinem breiten Bette; auch gab er jetzt schon Lebenszeichen höheren Grades von sich, indem er mit dem Kopfe nickte und seine Augen auf das große Fenster richtete, dessen letzte Verhüllung nun von dem Kammerdiener weggezogen und so dem vollen, glänzenden Tageslichte Einlaß gestattet wurde.

Die Vorbereitungen, welche von Ben jetzt getroffen wurden, hätten auf ein zweites Frühstück Sr. Erlaucht schließen lassen können; er schob einen Tisch, wie ihn Schwerkranke zu gebrauchen pflegen, quer über das Bett hin und bedeckte ihn mit einem feinen Tuche. Doch war das, was er auf demselben jetzt servierte, nicht auf die oben angedeutete Art zu gebrauchen, denn es war eine Menge kleiner Stahlscheren, Feilen verschiedener Größe und Stärke sowie in der Art, wie sie die Bildhauer zum Modellieren gebrauchen, aber sehr en miniature, und nachdem er alsdann einen Spiegel vermittelst einer Vorrichtung an dem Bette so befestigt, daß Se. Erlaucht, den Kopf nach der Wand gekehrt, bequem hineinschauen konnte, ging er nach der Thür des Vorzimmers, die er alsdann weit öffnete und den Herrn Renaud eintreten ließ, der sich nun dem Bette näherte, um sich hier auf ein Kopfnicken des Grafen in einen Stuhl niederzulassen.

Während nun der Geschäftsmann in ruhigem Tone seinen täglichen Bericht erstattete, widmete sich Herr Christian Kurt dem wichtigen Geschäfte, seine Fingernägel vermittelst sämtlicher angedeuteten Werkzeuge aufs sorgfältigste zu behandeln – eine Arbeit, welche gewöhnlich ebenso lange dauerte als der Vortrag des Herrn Renaud. Dieser betraf nun bedeutende und unbedeutende Einkäufe und Korrespondenzen; doch mochte das Vorgetragene auch noch so wichtig sein, so brachte es der Sekretär so ruhig und leidenschaftslos vor, ja, die schwierigsten Punkte mit solcher Gewandtheit behandelnd, daß Se. Erlaucht damit weiter keine Mühe hatte, als höchstens beistimmend mit dem Kopfe zu nicken. Dabei schaute er aber nie Herrn Renaud selbst an, sondern nur zuweilen dessen Bild im Spiegel, und alsdann mit offenbarer Befriedigung, wenn er gewahrte, daß der Sekretär durchaus keine Miene machte, durch einen forschenden Blick im Gesichte seines Herrn lesen zu wollen, was ihm unbequem gewesen wäre.

»Anordnungen Ew. Erlaucht in betreff der neuen Regulierung des Wasserfalles auf der Südseite des Schlosses sind pünktlich ausgeführt worden, und können sich der Herr Graf später im Plankabinett überzeugen, wie hübsch sich die kleine Brücke macht, welche oberhalb des Sturzes von einem Felsen zum andern geschlagen wurde. Es ist das eine sehr zweckmäßige Verbesserung, und Ihre Erlaucht die Frau Gräfin schienen entzückt zu sein, jetzt auf diese Art inmitten des brausenden und schäumenden Wassers stehen zu können.«

»Ich danke Ihnen,« entgegnete Graf Seefeld, »und bin so begierig auf diese Änderung, daß ich mir vielleicht erlauben werde, dieselbe in Wirklichkeit in Augenschein zu nehmen. Es muß ja heute ein prachtvoller Herbsttag sein?«

»Unbeschreiblich schön, Erlaucht! Und dabei so angenehm warm, daß Sie sich mit Behagen im Freien bewegen werden – zu Wagen, Herr Graf?«

»Natürlich, mein lieber Renaud. Ich weiß wohl,« setzte er lächelnd hinzu, »Sie möchten mich hier und da zu kleinen Spaziergängen verführen; aber es thut sich nicht mehr, gewiß, es thut sich nicht mehr. Hat mich doch neulich das Einsteigen in den Wagen und Rütteln auf diesen holprigen Feldern so arg mitgenommen, daß ich es heute noch in meinen Beinen spüre.«

»Aber die Brücke werden Ew. Erlaucht doch betreten wollen?«

»Will sehen, ob es sich thun läßt,«

»Bis dahin sind die Gäste Ew. Erlaucht von der Jagd zurück, und es wäre erfreulich, wenn man Ew. Erlaucht so rüstig daherschreiten sähe.«

»Ah, eine kleine Komödie, mein Lieber! Man soll in der Residenz wohl sagen: was ist das noch für ein verfluchter Kerl, der alte, siebenzigjährige Graf Christian Kurt, manövriert da in Feldern und Wäldern umher und klettert auf Wasserfälle! Haben wir vielleicht Hintergedanken, mein lieber Herr Renaud! Wollen am Ende meinem Neffen einen vielleicht heilsamen Schrecken einjagen?«

Bei diesen Worten zuckte der Sekretär so bedeutsam mit den Achseln, daß Herr Christian Kurt für einen Augenblick die Nagelfeile ruhen ließ und seinen Blick statt dem Spiegelbilde seines vertrauten Beamten dem Originale selbst zuwandte.

»He, und was weiter?«

»Der junge Herr Graf brauchen recht viel Geld; ich habe unter meinen Papieren wieder einen Brief, in welchem mir die Bezahlung kleiner Posten, allerdings im Gesamtbetrage von zweiunddreißigtausend Thalern, angezeigt wird. Und wenn man daraufhin allerdings im Zusammenhange mit der, Gott sei Dank, vortrefflichen Gesundheit Ew. Erlaucht dem jungen Herrn einen kleinen, bedeutsamen Wink geben könnte, zu welcher Schuldenmasse seine Thorheiten noch anzuwachsen imstande sind, so glaube ich, wäre das gerade nicht unrecht.«

»Unrecht wohl nicht, mein Lieber, würde aber bei Dagobert Kurt von keiner großen Wirkung sein. So ein Fideikommiß ist allerdings zu Zeiten ein guter Riegel, aber auch wieder eine prächtige Handhabe. Ja, wenn wir früh geheiratet hätten und uns der Himmel einen Sohn beschert! Doch meinetwegen, will mich zusammennehmen, daß man dem alten Christian Kurt noch viele Jahre prophezeit. Lassen Sie mir auch den Cäsar wieder einmal satteln.«

Daß dieser letzte Befehl, der so seltsam klang, wenn man die eingehutzelte Gestalt des alten Herrn und die zitternde Bewegung betrachtete, mit der er an seinen Nägeln feilte, durchaus keine Miene der Verwunderung oder des Erstaunens auf dem Gesichte des Sekretärs hervorrief, lag darin, daß Se. Erlaucht es liebte, sich, wenn er einmal in die Gärten hinausschlich, eines seiner Reitpferde gesattelt vorführen zu lassen, um es mit der schwachen Hand zu streicheln und sich vielleicht jener Zeit – noch vor einigen Jahren – zu erinnern, wo er hier und da noch einen Spazierritt gewagt. Er that das gern, ohne irgend welche schmerzliche Empfindung, während er zuweilen lachend sagte: »Mit achtzig Jahren kann man doch noch am Bellen Vergnügen haben, wenn man auch nicht mehr beißt.« »Und sonst haben wir nichts Neues?«

»Ein unbedeutender Vorfall. Eine kleine Wilddieberei, oder wenigstens eine Revierverletzung.« »Sacre bleu, und das sagen Sie mir mit einer so gleichgültigen Miene, als handle es sich um ein Garnichts, um eine Bagatelle. Ah, ich weiß schon, das kommt von dieser neumodischen Zeitrichtung unseres aufgeklärten Jahrhunderts, welche strenge Gesetze für Barbarei und notwendige Gerechtigkeit für tyrannische Härte erklärt.«

»Es ist in der Thal ein ganz unbedeutender Vorfall, den ich Ew. Erlaucht gar nicht vorgetragen haben würde, wenn nicht der junge Herr Graf ausdrücklich darauf bestanden hätte, hier ein Beispiel zu statuieren.«

»Ah, in dieser Richtung hält Dagobert auf die gute alte Sitte, und das freut mich! Nun, was ist's?«

»Aber ich möchte um alles in der Welt nicht Ew. Erlaucht durch solche Nichtigkeiten aufregen.«

»Was aufregen, mein Lieber! Das ist höchstens eine heilsame Blutwallung, die mir gut thut, wie der langweilige Doktor sagt. Also lassen Sie hören.«

»Heute morgen suchte einer der Revierförster mit seinem Hunde durch den Wald.«

»Welcher war's?« fragte der Graf, wieder emsig mit seinen Nägeln beschäftigt.«

»Der Ketteler.«

»Ein ruhiger Mann – weiter!«

»Und bemerkte dabei in unserem Revier bei der Schlucht wo die alte Linde steht...«

»Aha, die Linde unseres guten Freundes Burbus.«

»Richtig, Erlaucht. Da bemerkte er einen jungen Burschen mit stattlichem Gewehr und Jagdzeug und sah, hinter eine Buche tretend, wie dieser junge Mensch gemütlich durch den Wald pirscht.«

»Ah, nicht übel, und der Ketteier packte ihn?« »Ja, und nicht ohne Gefahr, denn der verwegene Bursche lag schon im Anschlage, als ihm Ketteler zuvorkam.«

»Und ihn niederschoß?« fragte der alte Graf gleichgültig.

»Nun, da werden die Gerichte wieder einmal unnötigerweise Papier und Federn en masse verschmieren. Ein garstiges Volk, diese Schreiber!« »Das ist wahr, Herr Graf,« entgegnete Renaud mit einem eigentümlichen Lächeln, »und deshalb war es doch wohl besser, daß Ketteler den jungen Wilddieb nicht niederschoß, sondern unversehrt einbrachte.«

»Ja, ja, 's ist auch nicht so übel, und nun?«

»Ihn einbrachte und vor den jungen Herrn Grafen führte, der den Burschen erkannte und ausrief: Ah, das ist derselbe nichtsnutzige, naseweise Schlingel!«

»Also ein Wilddieb von Profession. Nun, in dem Falle wollen wir uns nicht an diese neueren absurden Gesetze kehren.«

»Der junge Herr Graf befahl, ihn einzusperren, und wir erwarten die Befehle Ew. Erlaucht.«

»Schön, erinnern Sie mich später daran; ich will das junge Ungetüm selbst sehen. Weiter haben Sie nichts?«

»Für heute nichts, Erlaucht,« sagte der Sekretär aufstehend.

»Also um acht Uhr große Abendtafel, und sagen Sie dem Haushofmeister: ich lasse ihn ersuchen, das mit der angemessensten Solennität vor sich gehen zu lassen. Es sind Gäste da, die ich ehren will!«

Herr Renaud verbeugte sich schweigend, und da der alte Graf hierauf, ohne sich weiter um Original und Spiegelbild zu bekümmern, fortfuhr, seine Nägel zu bearbeiten, so zog er sich mit einer tiefen Verbeugung rückwärts gegen die Thür, hinter welcher er auf den Arzt des alten Grafen stieß, dessen heitere Miene ebensosehr abstach gegen das ernste, förmliche Wesen des Sekretärs, als dessen Kleidung, eine graue Jagdjuppe, gegen den schwarzen Frack und die weihe Halsbinde des Geschäftsmannes.

»Was haben wir?« fragte Doktor Herbert, ein Mann stark in den Vierzigen, mit einem gesunden, lebensfrohen Gesichte, von kräftiger und untersetzter Statur, nachdem der andere die Thüre leise hinter sich zugezogen.

»Gutes Wetter, wie mir scheint. Man will die neue Brücke besichtigen, Cäsar anschauen und seine Gäste in der großen Halle selbst bewirten. Alles Komplimente für Sie, Doktor!«

»Vielmehr für Herrn Ben dort,« erwiderte dieser lächelnd, »er ist der wahre Konservator Sr. Erlaucht. Melden Sie mich ausnahmsweise an, mein lieber Freund, um hinzusetzen zu können, ich sei früher von der Jagd zurückgekehrt, um nach Herrn Christian Kurt zu sehen, ehe er heute die Gnade hat, sein Bett zu verlassen. Vielleicht werde ich auch gar nicht gewünscht.«

Der Kammerdiener verschwand in dem Schlafzimmer, und als dieser darauf zurückkehrte, sagte er: »O ja, Herr Doktor, man will Sie sehen, gerade weil Sie von der Jagd zurückkommen und trotzdem sie sich noch in der Juppe befinden. Se. Erlaucht meinte lächelnd: der Doktor ist eine scharfe Zange, man muß ihn mit Handschuhen anfassen.«

»Also sind wir vortrefflich gelaunt.«

»Auf Wiedersehen, Herr Renaud!«

Als der Doktor hierauf vor das breite Himmelbett trat, nickte Herr Christian Kurt in den Spiegel hinein und sagte: »Ah, Sie bringen Waldluft mit!«

»Gewiß, Herr Graf, und die ist besser als alle Medizin.«

»Sacre bleu, das weiß ich ebenfalls! Warum sorgen Sie mir alsdann nicht für Waldluft, Sie Egoist?«

»Nun, weil ich es nicht für gesund halte, Ihr Bett in irgend einem Walddickicht aufschlagen zu lassen, und weil ich ebensowenig dieses Schlafzimmer mit Bäumen bepflanzen kann.«

»Ja, dieses Bett ist Ihnen allerdings ein Dorn im Auge; wohlfeile Medizin, die sie nicht einmal verschrieben.«

»Wohlfeil, vielleicht. Medizin, wer weiß? Doch den alten Streit, Herr Graf, wollen wir nicht fortsetzen, wenn es Ihnen gefällig ist. Dabei kommt gar nichts heraus. Ich freue mich aber in der That, daß es Ihnen besser geht als gestern? Sie fühlen sich heiterer, kräftiger und haben keine Schmerzen mehr in den Füßen?«

»Gott sei Dank, nein! Und das verdanke ich alles meinem besten Freunde.«

»Nun, ich liebe ihn auch, diesen Freund, aber nach Salomos Vorschriften – zu seiner Zeit.« »Wie war denn die Jagd?« fragte der alte Graf und setzte boshaft hinzu: »Um von etwas zu reden, lieber Doktor, was speziell in Ihr Fach schlägt.«

»Nicht übel, Herr Graf. Ich schoß einen kapitalen Vierzehnender.«

»Sie? Das ist mir weniger interessant. Und meine Gäste?«

»Schossen viel, trafen so so. Ist aber immerhin eine Jagd, daß die Herren aus der Residenz vor Entzücken die Hände über dem Kopfe zusammenschlugen, besonders der General, der sich im Pudeln auszeichnete, dagegen aber ein Held war beim Frühstücksrendezvous. Wehe den Feinden, die unter seine mächtige Faust fallen! Und was dieses Frühstück anbelangt, Herr Graf, so möchte ich Sie geziemend bitten, ihrem vortrefflichen Haushofmeister darüber ein freundliches Wort zu sagen. Der Mann hat sich, wie immer, ausgezeichnet. Meinte doch der Herr General mit Thränen in den Augen, man habe diesem Haushofmeister alle seine Lieblingsgerichte verraten. Es war rührend anzusehen, wie er wirklich wehmutsvoll die Hände faltete vor einem Timbale de pâté de foie gras au faisan, und alles war deliciös arrangiert. Ich hätte Ihnen einen Blick auf alle diese Herrlichkeiten gewünscht.«

»Ja, um mir Appetit zu machen,« erwiderte Herr Christian Kurt mit saurer Miene; »allerdings ein besseres Mittel als alle die Ihrigen.«

»Seien Sie gerecht, Herr Graf!« versetzte der Doktor, heiter lachend. »Was würde ihnen ein guter Appetit nutzen bei der täglichen und sehr langen Unterhaltung mit ihrem besten Freunde?« – Damit klopfte er leicht auf die seine Bettdecke. – »Ich muß wirklich Gott danken, daß es gerade so ist, wie es ist.«

»Und ich danke für diesen Kanzleitrost, hoffe Ihnen aber heute abend das Gegenteil zu beweisen. Haben Sie nach meiner Frau gesehen?«

»Die gnädige Gräfin befinden sich außerordentlich wohl. Sie war bei dem Jagdfrühstücke gegenwärtig, sah alsdann dem Treiben zu von der Fichtenwaldung gegen den großen See hinab, und darauf hatte ich die Ehre, sie nebst ihrem Stallmeister nach dem Schlosse zurückbegleiten zu dürfen.«

»Das Wetter ist angenehm?«

»Angenehm und warm wie an einem Frühlingstage. Wenn ich nicht fürchten müßte, Ihren besten Freund zu beleidigen, so würde ich dringend einen Spaziergang in die freie Luft anraten.«

»War schon beschlossene Sache, mein lieber Herr Doktor, und könnten Sie wohl sehen, wie sehr ich mich beeile, meine Toilette zu beendigen.«

»So darf ich mir wohl erlauben, mich zurückzuziehen?«

»Gewiß,« erwiderte der alte Graf mit einem leichten Lächeln auf die Jagdjuppe des Doktors, natürlicherweise im Spiegel, »damit auch Sie Zeit zu Ihrer Toilette haben.«

Der Doktor hätte gern noch etwas erwidert; doch sah er hierauf das kurze Kopfnicken des Herrn Christian Kurt und zog sich deshalb mit einem muntern Gesichtsausdrucke zurück.

Obgleich nun Graf Seefeld hierauf unter Bens Mithilfe seine Toilette in der That so beeilte, als es ihm nur immer möglich war, so dauerte es doch noch eine gute Stunde, bis er so weit gerüstet war, um in einem dunklen Samtrocke, der mit kostbarem Pelz gefüttert war, zum Ausgehen bereit zu sein; dann empfing er weiche Biberhandschuhe aus den Händen des Kammerdieners, sowie Hut und Stock und ging hierauf mit festeren und größeren Schritten in den Vorplatz hinaus, als man dies noch vor einer Stunde für möglich gehalten hätte. Oben an der Haupttreppe empfing ihn sein Stallmeister, dem er beim Herabsteigen der breiten, mit Teppichen belegten Stiege die rechte Hand auf den erhobenen Arm legte, und dann ging er unten durch eine weite Halle und ein Vestibül auf eine ausgedehnte Terrasse vor dem Schlosse, wo ihm Cäsar gesattelt und gezäumt vorgeführt wurde; auch überreichte ihm der Stallmeister hier eine Reitpeitsche, während, um die Komödie zu vollenden, ein Reitknecht das Pferd langgestreckt hinstehen ließ, indes der Stallmeister den Bügel hielt.

In diesem Augenblicke aber hörte man die schwerseidenen Gewänder der Gräfin rauschen, und die schöne Frau erschien auf der Terrasse; heiter lächelnd näherte sie sich dem Grafen, legte ihm die Hand auf den Arm und bot ihm ihre weiße Stirn zum Kusse dar.

»Ah, mon enfant! Du bist frühzeitig, wie immer, man könnte sagen, munter wie die Lerche in der Luft; warst schon so freundlich, unseren Gästen die Honneurs zu machen, und kommst jetzt, um mich zu Pferde steigen zu sehen!«

»Wobei ich mich einer großen Vergeßlichkeit anklagen muß,« erwiderte die Gräfin. »Ich hätte dich fragen sollen, ob du mich vielleicht in den Wald hinauf begleiten wollest. Ich bin recht unbesonnen und muß es nun schon als Strafe hinnehmen, daß du ohne mich reitest.«

»Der Himmel soll mich bewahren, dir diesen kleinen Kummer zu machen!« sagte Christian Kurt mit großer Entschiedenheit. »Nein, nein, ich will nicht reiten, unter keiner Bedingung, mein liebes Herz! Lassen Sie Cäsar zurückführen – ein andermal, vielleicht ein andermal.«

Damit trat er dicht an das Pferd hin, klopfte ihm leicht auf den schlanken Hals und nahm alsdann ein paar Stücke Zucker, welche ihm der Stallmeister auf einem silbernen Teller präsentierte, um sie Cäsar zu geben.

»Willst du mich vielleicht auf einer Spazierfahrt begleiten?« fragte die Gräfin.

»Mit Vergnügen, mein Kind!«

»Ich möchte gern die neue Brücke über den Wasserfall sehen. Vielleicht interessiert dich das ebenfalls?« fragte die schone Frau.

»Jedenfalls – wie sich unsere Wünsche treffen! Fahren wir also.« »Mit meiner Pony-Equipage; ich fahre dich selber.«

»Deliciös!«

»Und unterwegs erzähle ich dir von der Jagd, auf der sich unsere Gäste ganz außerordentlich amüsiert haben und noch amüsieren.«


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