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Vierzehntes Capitel.

Die Elemente.

Unabsehbar war in der Residenz das Trauergefolge gewesen, das die sterblichen Reste des greisen Obertribunalspräsidenten zur Ruhe bestattet hatte. Kein Stand, kein Alter hatte sich ausgeschlossen, die letzte Huldigung einem Manne zu bringen, der durch fast zwei Menschenalter die Waage der Gerechtigkeit nach seinem menschlichen Ermessen gerecht und weise gehalten und noch in seinem letzten Lebensjahre durch unpartheiische und scharfsinnige Entscheidung eines großen Rechtsfalles die Abendschimmer einer fast schon irdischen Verklärung um sich verbreitet hatte. Tausende von Fußgängern, fast hundert Wägen, voran das Sechsgespann des nicht grade anwesenden Königs, folgten von Tempelheide dem an dem nächsten Stadtthor gelegenen Friedhof, wo glücklicherweise, wenn auch zum Schmerze Anna's, vermieden war, den Zelotismus der Geistlichkeit wachzurufen, die ohne Zweifel an den von dem Verstorbenen ausdrücklich bedungenen Freimaureremblemen auf dem Sarge Anstoß genommen und, wie anderswo schon geschehen ist, den unchristlichen Sinn des Hingeschiedenen gerügt hätte. Gelbsattel trat vor und sprach als Maurer, nicht als Geistlicher. Er konnte nicht umhin, dem Gefühl der Ehrfurcht, das Alle empfanden, den Ausdruck der Weihe zu geben. Der Moment riß ihn fort, er trat aus dem künstlich gegrabenen Bett seiner Rhetorik diesmal heraus. Er sprach nicht so gut, als er wollte und darum eben diesmal besser. Er schien zu fühlen, daß dieser Hingegangene Das sicher besaß, was tastend er selber suchte. Rührung, die ihm nur in jungen Jahren über seine eignen Worte gekommen war, befiel den Redner mit einer Wahrheit, die den anwesenden Gegnern seines schwankenden und ehrgeizigen Sinnes schonende Achtung abgewann. Man sang am Grabe. Die ersten Künstler der Bühne hatte ein Wort der »jungen« Exzellenz vermocht, dem Vater diese Huldigung zu bringen. Der Intendant war selbst zugegen, war selbst bewegt, daß es fast schien, als wenn er die vielen Gelegenheiten, wo er dem Grab, dem Sterben, ja selbst dem Kranksein der Menschen aus dem Wege ging, in diesem einen Male nun nachholen mußte...

Der Präsident war in seinem Jahrhundert-Glauben, dem der Duldung und der einfach ergebenen Ehrfurcht vor dem großen Baumeister der Welten gestorben. Die Priesterrede hatte er ausdrücklich verbeten. Kein Kreuz sollte sein Grab kenntlich machen, nur ein einfacher Obelisk von Granit, dessen Inschriftseite nach Osten lag, um immer von der Morgensonne begrüßt zu werden.

Anna, Selma, Olga standen am Grabe. Rodewald bot seiner Schwiegermutter den Arm. Den jungen Mädchen standen die alten Diener von Tempelheide zur Seite. Die junge Exzellenz dankte bewegt den ihm verwandten Leidtragenden. Der Name Rodewald war ihm wie eine wildentlegene Gegend, er orientirte sich mit Mühe in dieser ohnehin nicht adeligen Beziehung. Für die viele Liebe, die seine Schwägerin dem hingeschiedenen Vater gewidmet, hatte er leicht danken. Den Zoll der Ehrfurcht hatte Anna aus eignem Trieb für Alle entrichtet, die ihn dem Greise schuldeten. Herr von Harder sprach von seiner Gemahlin, Anna's Schwester. Es war in der That keine Phrase, daß er ihren Antheil rühmte. Seit der beschlossenen Abdankung Egon's von Hohenberg war die Geheimräthin wie ein irres Insekt, das auf einer Fläche hin- und herrennt und nicht weiß, wo aus, wo ein. Sie hatte zuletzt von Reisen gesprochen und vom ewigen Begrabensein in irgend einem Winkel, natürlich einem schönen Winkel der Erde. Manche Frauen schon hatten von dem Beispiele Helenen's in Paris gesprochen und von Paulinen gesagt: Auch ihr kommt nun die letzte Läuterung; sie wird katholisch.

Rodewald stand in der Nähe, als Herr von Harder, rückkehrend vom Grabe an die Wägen, vor'm Kirchhofe nicht diese, aber ähnliche Winke über das Befinden seiner Gemahlin gab, über Zustände, die er »körperlich« nannte. Se. Exzellenz bedauerten noch, daß Anna nun von den Weitläuftigkeiten der Erbschaftsprozeduren sehr würde belästigt werden, bat sie, Tempelheide ganz als ihr Eigenthum zu betrachten, lobte die Sänger, die sich in ihrem De profundis und: »Wie sie so sanft ruhen!« höchst wacker gehalten, flüsterte einem nun wirklich neu angestellten Regisseur noch zu, ob auch für heute Abend im Ballet keine Störung stattfinden würde – er selbst dürfte doch wol nicht kommen und müßte sich ohnehin rüsten, dem Hofe, der noch auf Reisen war, in Buchau die Aufwartung zu machen – und gab dann, als der Wichtigste und Erste aller Leidtragenden sich sammelnd, das Zeichen einer Auflösung des Zuges, die rascher erfolgte, als er sich in Tempelheide gebildet hatte.

Die Frauen mit Rodewald kehrten dorthin zurück. Die Thiere des Verstorbenen begrüßten sie mit fast betrübteren Mienen, als sie zuletzt am Ausgang des Kirchhofes sein Sohn gezeigt hatte. Wie ließen die Vögel ihre Fittiche, die Vierfüßler ihre Ohren und Schweife hängen! Ein Glück, daß die alten Diener sich an die Liebhaberei des Herrn gewöhnt hatten und in Tempelheide das Gnadenbrot behielten. So war für diese große Familie auch aus dem Thierreich gesorgt, bis sie Alle zusammen, Thiere und Menschen, ausstarben...

Für Anna von Harder war mit Rodewald's Rückkehr, mit der Erziehung Selma's, der Freundschaft Olga's für ihre holde Enkelin, mit den Sorgen um die Gebrüder Wildungen und ihre vielbewegten Schicksale noch einmal ein neues Leben aufgegangen. Sie hätte nie geglaubt, daß ihr so die Bande, die an dies Dasein fesseln, noch einmal angezogen werden, so noch das Gefühl einer letzten Kraft in ihr wecken konnten. Nun erschrak sie wohl über die kurze Spanne, die ihr noch zu durchwandern übrig blieb, aber sie beschloß sie zu nutzen, sich aus dämmernden, unklaren Stimmungen aufzureißen, selbst die Musik fing sie an, in froheren Rhythmen und bewegterem Takte zu begehren. Das politische Misgeschick ihres künftigen Schwiegerenkels Dankmar, der drohende Verlust seines wunderbar gewonnenen Vermögens bekümmerte sie wie eine jugendlich Fühlende. Sie hatte mehr Sorge und Eifer für die Wiederherstellung seiner Existenz und der unerwartet gekommenen seltenen Mittel, als selbst die Mädchen um sie her, von denen Olga vollends immer nur wie ein Wesen sich gab, das auch vom Thau des Himmels, vom Staube der Blumen leben konnte. Ihr grade hätte die Armuth gefallen. Ihr schienen die Briefe, die vom Tempelstein über die Pracht der dortigen Einrichtung kamen, nur geeignet, die Phantasie ihrer Mutter anzuregen. Sie selbst bedurfte nur des Mannes ihrer Liebe, eine Hütte und ein Herz; aber Siegbert blieb stumm, schrieb nicht, gab kein Zeichen, daß er wagte, in ihre Lebenskreise zu treten! Oleander, der Olga's Stolz und Schwermuth erkannte und sich nach ihrer Indiskretion mit dem Schmerzensruf Egon's an Helenen erst allmälig mit ihr wieder ausgesöhnt hatte, Oleander schrieb Siegberten über diese Stimmungen wohl:

Ich trug ihn allen Lüften auf,
Den Gruß des treusten Lieben,
Ich hab' ihn in der Sterne Lauf,
In Wolken und Wellen geschrieben.

Ich habe den Blumen den Blüthentraum
Des Herzens zugeflüstert,
Am Meer dem einsamen Palmenbaum
Und seinem Leid mich verschwistert.

Nichts brauste so wild, nichts hauchte so mild,
Ich nannt' ihm die theuersten Namen,
Ich schloß um das geliebteste Bild
Die Welt als goldenen Rahmen.

Und wen ich unter den Weiden einst fand,
Sie lauschten und hörten es Alle!
Nur Einem, Einem zog's unbekannt
Vorüber mit leerem Schalle!

Ihn jagt des Windes Melodie,
Kein Traum von der Schlummerstätte,
Ihm ist, als wenn der Frühling nie
Die Erde umfangen hätte!

Als wenn der Seele ihr Gedicht
Die Wahrheit des Lebens nicht wäre!
Als krönte die Liebe allein uns nicht
Mit allerhöchster Ehre!

Aber Siegbert erwiderte mit Schmerz, daß er Rudhard versprochen hätte, den Schatz dieser Poesie nur für ein Allgemeines zu halten, nicht für ein dem eignen Bedarf des Herzens Dargebotenes.

Die Lösung dieser Verwickelungen war Anna's nächste Sorge. Ein ernster Briefwechsel zwischen ihr, Adele Wäsämskoi, Rudhard und Dystra hatte sich entsponnen. Von einer Beziehung Siegbert's zur Fürstin war schon lange keine Rede mehr, wenn auch die Verbindung zwischen Mutter und Tochter sich nicht hatte wiederherstellen lassen. Dennoch mußte endlich eine Aussöhnung stattfinden, mindestens eine Annäherung. Sie sollte auf dem Tempelstein stattfinden. Dystra lud die Frauen von der Residenz und von Brüssel bei sich mit Förmlichkeit ein und Rodewald begleitete die von Osten Kommenden mit noch einem Ankömmling, Franziska Heunisch, die nach dem im Gram um den Sohn erfolgten Tode des alten Sandrart seine Erbin geworden war und einstweilen den guten überglücklichen Onkel Heunisch im Ullagrunde zurückließ. Für Rodewald's großes Landwesen mußten inzwischen, wo der Besitz des Pachtes ihm gesichert blieb, neugewonnene rüstige Hände sorgen.

Als Anna mit Olga und Selma, mit Rodewald und Fränzchen Heunisch dem Westen zureisten in zwei großen, reichbepackten Wägen, ließen sie Tempelheide in der Obhut der Gerichte und der Diener zurück. Sie ließen die Stadt wie den Staat gleichsam als Schlummernde hinter sich, die man mit dem Abschied in der Frühe nicht gerne stört und, während man schon im lustigen Zuge dahin sprengt auf der Landstraße, noch in den Federn fortträumen läßt... Es sah still und traurig aus im öffentlichen Leben. Der Fürst Egon, der zwei Jahre hindurch das Ruder mit Entschlossenheit geführt, den Geist des Widerspruchs gebändigt, eine warme, glühende Begeisterung für seine Aufgabe mit Hintansetzung seines eignen Lebensglückes wie Kohlen noch zum Feuer getragen hatte, schien von diesem Feuer wie selbst verzehrt. Er schien zu verschwinden, wie er gekommen. Er hatte dem Staate nach seiner Auffassung die letzten Reste seiner Jugend gewidmet. Die gewaltige Sphinx hatte ihn verschlungen, wie Alle, die ihr Räthsel mit der wahren Lösung: der Mensch! nicht begreifen. Dem historischen Staate, dem Gemeinwesen alter Stände, den militärischen Erinnerungen, dem Junkerthum und seinem Dünkel und Egoismus, der Beamtenmacht war er zum Opfer gefallen, wenigstens erwartete man von seiner Reise nach Buchau die noch immer verzögerte Übergabe seines Portefeuilles. Nur seine Gattin begleitete ihn. Diese hinterließ das Andenken einer der seltsamsten Metamorphosen, die ein weibliches Herz je durchmachen kann. Aus der tändelnden, leichtbeschwingten Sylphide war sie eine ernste pflichterfüllte Frau geworden, die ihr Loos, einen hinfälligen, siechen, lebensmüden, zergrämelten Mann zu pflegen, mit ruhiger Ergebung trug. Pauline von Harder bot lange nicht das gleiche Schauspiel der Resignation. Sie schien die ihr doch sonst immer gegenwärtige Besinnung verloren zu haben. Sie konnte den Gedanken, geopfert zu sein, auf Nichts zurückgeführt, verlassen von ihrem Einfluß, nicht ertragen. Die Menschen, die ihr früher huldigten, gingen zu den neuen Machthabern über. Das Journal: Das Jahrhundert verlor seine besten Kräfte an die Blätter des neuen Systems, sie mußte es verkaufen und gab alles hin, nur um vor einem Dämon zu fliehen, den Alle in ihrer Brust suchten, in ihrer Unfähigkeit, auf sich selbst bezogen zu bleiben. Rodewald, Egon aber allein wußten, daß dieser Dämon weit mehr in der Furcht vor Friedrich Zeck und ihrem Sohne lag. Die Ludmer hatte somit die glänzendste Genugthuung für ihren schon lange gehegten Verdacht erhalten! Sie mußte nach ihrer Gesinnung rathen, nun alle Minen springen zu lassen. Pax wurde mit ganzem Vertrauen bedacht, sogar Schlurck, selbst Bartusch wurden wieder um Rath angegangen. Die Entdeckung, daß der Sohn Paulinen's wohl gar selbst dieser Hackert, Murray jedenfalls der ehemalige Baron Grimm war, lag jetzt vollkommen nahe. Pax verfolgte die Spur des Einen, der schon seit dem Mai, des Andern, der jetzt eben erst abhanden gekommen war. Wie diese Jagd, die die Ludmer anstellen zu müssen glaubte, auch endete, Pauline von Harder wollte sie nicht abwarten. Sie wollte reisen, sie knüpfte in der That mit Helene d'Azimont an, die ihr wie eine Wiedergeborne und Erleuchtete schrieb und sie aufforderte, nach Enghien bei Paris zu kommen, wo sie zusammen lateinisch lernen und die Kirchenväter studiren wollten. Es bildete sich in der That fast ein Bund von römischgesinnten Frauen, die sich jetzt, wie sie sich früher in ihren starken Gefühlen nachahmten, eine der andern in der katholischen Bekehrung nachahmten. Einstweilen wollte Pauline nur aus dieser Stadt, nur aus diesem Lande heraus. Aber sie beschloß, es mit Aufrechthaltung aller Formen zu thun. Sie begleitete ihren Gemahl nach Buchau, wo sie einige Tage zu bleiben und sich dem Hof feierlich zu empfehlen beschloß. Die Ludmer folgte ungern. Sie dachte an den dortigen Inspektor Mangold. Doch die Hülfe ihres Erben und »Neffen,« des Herrn Pax stand ihr ja zur Seite. Zur Sicherung der Herrschaften war auch dieser nach jenem äußersten Grenzpunkte abgereist. So drängte es Alle nach Westen; wir wissen nicht, ob auch Oleander'n, der am Nikodemustage auf dem Tempelstein vielleicht nicht fehlte, Oleandern, der wie ein Harfner, wenn auch vielleicht unsichtbar, um alle die Gestalten, die wir in dem Schutt ihres Lebens wie vergraben finden, den Epheu seiner Poesie ranken ließ, einer Poesie, die, in den meisten Menschen unbewußt, als Stoff nur für den Seher lebt. Oleander führte Buch über die Seelen, die da an sich so wild vorüberjagten, sich niederwarfen oder vielleicht nur Einmal und dann nicht wieder berührten. Oleander war im Stande, die Empfindungen des Fräuleins von Flottwitz, wenn sie Dankmar's gedachte, ebenso nachzudichten, wie er auch, nachdem er schon die Veranlassung eines neuen Misverständnisses zwischen Egon und Helenen durch Olga geworden war, sich selbst in diesen unheilbaren, ewigen Bruch hinein fühlte mit einer Melancholie, die in gewissen Momenten sicher auch in Egon, zuweilen in Helenen auftauchte bei aller Trennung durch die Welt und das Leben. Oleander dachte wenigstens nur an Helenen und Egon, als er einst schrieb:

Wer glaubt an Riesen, die den Himmel stürmen,
An Göttersöhne, frevelnde Titanen,
Die Berg auf Berg zum Wolkensitz der Ahnen,
Ja ihre Leiber, sich erwürgend, thürmen!

Und doch rast dies der Erde Urgewimmel
Zu jeder Stunde noch im Menschenherzen,
Das über Schädelstätten fremder Schmerzen
Erklimmt des Wahn's und seiner Träume Himmel.

Die Gräber werden Spielplatz, heiße Thränen
Wie aus dem Thonrohr steigen bunt wie Blasen,
Gehascht, gejagt auf dem zertretnen Rasen
Des heiligsten Erinnerns! Und warum?... Ein Wähnen

Hängt Haut an Haut, wie Schlangen thun, an Bäume!
Jetzt bist du frei, jetzt steigst du auf mit Flügeln,
Nun kann dein Arm die Sonnenrosse zügeln,
Nun trittst du schon auf ros'ge Wolkensäume!

Ihr Thoren! Ob Titanenfäuste einen
Dem Ossa Pelion, ob dieser Welt nie Frieden
Der Menschengenius bietet – die Kroniden
Verhüllen sich und lächeln nur und weinen.

Die Harmonie im Menschenchaos ist nur dem Ohre Geweihter vernehmbar. Was Poesie dem Allblickenden ist, ist Dem, der sie erlebte, oft davon das baarste Widerspiel. Ihn macht dieselbe That ergrimmt, die einen Andern hebt und tröstet. Der Dichter nur ahnt, in welchem Endergebniß Aller Dasein den Sternen erscheint. In Oleander's Gemüth sammelte sich von Allem, was wir erlebten, erfuhren, mit einsahen, ein solcher Sternenwiderschein, den das Leben nicht ausspricht und die Darstellung des Lebens auch nur andeuten kann. Den Oleandergemüthern unsrer Leser überließen wir die Ergänzungen der harten und schroffen Unmittelbarkeiten und Wirklichkeiten, die wir schildern mußten. Der treue Sänger, selbstentsagend, fühlte, was Siegbert Olga auf seine Klage antworten mochte, fühlte, was der Flottwitz stumme Liebe dachte, als Dankmar in Banden saß, er sammelte sich Das, was Niemand gesagt bekommt und was doch für die Sterne ewig gesprochen und empfunden ist. Auch in dem Märchen auf der Tempelabtei fehlte er gewiß nicht. Er war dem lauschenden Dystra gewiß ein Sänger mit der Harfe, der hoch über den Trümmern stand und Andrer Loos verknüpfte, seines eignen so wenig gedenkend. Er hatte Selma an die männliche Gestalt Dankmar's abgetreten, fand lange nicht das einfache und ihn beglückende Herz, das er suchte und hatte wohl Recht, in sein altes lateinisches Kollektaneenbuch zur einstigen Mittheilung an Louis Armand und zum Gegensatz gegen dessen weltumfassendes Sehnen zu schreiben:

Ein Häuschen auf grünen Matten
In's Silber des Mondes getaucht,
Von frischen Waldesschatten
Freundnachbarlich milde umhaucht –

Ein Stübchen eng nur gezimmert,
Bescheiden das Hausgeräth,
Nur Lampenlichtdurchschimmert,
Nur Blumenduftdurchweht –

Ein Schrank, ein Tisch, zwei Sessel,
Ein Weib dazu, an ihrer Hand
Der Ehe goldene Fessel,
Die erst ein Jährchen sie band –

Der Mann im Liederbuch blättert,
Sie strickt beim Lampenschein,
Vom Lindenbaum draußen schmettert
Die Nachtigall herein –

Horch! ruft das Weib nach der Kammer.
Was Nachtigall! Liederbuch!
Sie öffnet dem süßesten Jammer
Im Gehen ihr Busentuch.

Hold Kindlein wacht, ruft wieder!
Gib allen Dichtern den Lauf!
Ein Trunk aus Mutter-Mieder
Wiegt Hippokrenen auf!

Dem Mann, nicht lesend weiter
Legt gleicher glücklichster Trieb
Eine ganze Jakobsleiter
Als Zeichen in's Buch, wo er blieb.

Ob im Walde die Wipfel rauschen,
Ob die Nachtigall lockt und schlägt,
Sie sitzen nur Beide und lauschen
Dem Kind, ob's im Schlummer sich regt...

O Bild der seligsten Feier!
Ein Schattenspiel an der Wand!
An meiner Dichter-Leier
Bin ich Saite nicht – ach! nur die Hand.

Oleander sang nicht sich, sondern Andere, wenn er das Glück schilderte. Jahrelang wird er den Anblick des Poeten der Dachkammer bieten, dessen lange, ungepflegte Gestalt, schlendernd, träumend durch die Gassen schreitet, an Fremde denkend und die Nächsten zu grüßen vergessend, voller Liebe dem Einen zugewandt und kaum bemerkend den Andern, wenn dieser auch hülfefordernd die Hände nach ihm streckt. Er wird immer die Aufforderung zur That erst dann vernehmen, wenn die Gelegenheit, sich zu bewähren, schon vorüber. Vielbewundern wird man ihn und viel verspotten und schon mit bleichenden Haaren wird man ihn noch ein Kind nennen. Bei der allgemeinen Theilung des Glücks dieser Erde wird er mit leeren Händen ausgehen und sich mit dem Troste begnügen müssen, daß Zeuß zu ihm sprach:

Willst du in meinem Himmel mit mir leben:
So oft du kommst, er soll dir offen sein.

... Grade am Morgen nach dem Brande im Dorfe Buchau fuhren die beiden Reisewägen Anna's von Harder zum Tempelstein hinauf, während rechts und links um sie her Rosse und Reiter sprengten, noch die rauchende Stätte des Brandes zu sehen. Der Hof im Schlosse war voll gnadenreichster Theilnahme gewesen. Er hatte Wäsche, Betten, Geld geschickt, um die nächste Noth zu mildern. Alle seine Umgebungen wetteiferten im Antheil an dem unglücklichen Vorfall, bei dem in der That Menschenleben verunglückte und im Gasthofe zum St.-Georg manche werthvolle, ja außerordentlich hochgeschätzte Gabe einiger unbekannter Reisenden zu Grunde ging... Anna war mit ihrer Begleitung am Orte des Schreckens angelangt, als Fränzchen Heunisch ein junges Mädchen zu erkennen glaubte, das auf der Trümmerstätte, an der steinernen Schwelle einer ausgebrannten Thür, die Hand in den Schoos gestemmt, auf der Erde sitzt, vor sich einen von vielen Menschen umgebenen mit einem Tuch bedeckten, von Allen scheu vermiedenen Gegenstand und in ihrer Nähe einen Alten, der gleichfalls auf dem Boden an dem Tuche kauert und in seinen Mienen eine Ähnlichkeit mit jenem Manne mit der schwarzen Binde darbietet, der sie einst von der Stadt nach Hohenberg begleitet hatte. Jenes Mädchen war Louise Eisold, der Alte ohne Zweifel Murray... Fränzchen machte sogleich Rodewald aufmerksam. Dieser trat hinzu und erfuhr von den vor ihm ausweichenden Menschen, daß unter dem Tuche der Rest eines in der Nacht Verbrannten läge, eines dem Mädchen und jenem Manne sehr werthen Verwandten und daß schon in der Nacht vom Tempelstein Leute gekommen wären und das seltsamste Schauspiel der Bestürzung geboten hätten. Von einem großen Schatze, den jener Unglückliche entweder hätte vor dem Feuer bergen oder schon vorher vielleicht allzusehr schützen wollen, wäre nichts übrig geblieben als die halbverbrannten Splitter, mit denen der Alte da wie irrsinnig spiele... in dem Schrein sollten hundert Tausende von Papiergeld gelegen haben... aber wer wisse es... und wer könnte es glauben...!

Schaudernd ahnte Rodewald die Möglichkeit, daß Dankmar's Schrein verunglückte... Er trat näher... Fränzchen folgte... Murray! rief Rodewald... Fränzchen legte schon die Hand auf Louisen's Schulter... Jener blickte auf und erkannte Rodewald, lächelte bitter, zeigte auf das Tuch, auf die verbrannten Splitter... Louise Eisold starrte Fränzchen an, wußte erst kaum, wo sie das blühende, gewachsene, holdentwickelte Mädchen hinbringen sollte, dann errieth sie, stand auf und sagte: Franziska!... Die Freundin aber erwiderte entsetzt: Wer verbrannte?

Louise schien gefaßt. Sie hatte in der Schule der Leiden gelernt, das Schwerste zu tragen. Dennoch sagte sie mit noch zuckendem Schmerz:

Weißt du Fränzchen? Des Volkes Tochter, arme Bettlerin! Das ist da – Hackert unter dem Tuch!

Fränzchen zuckte zusammen. Aber Friedrich Zeck bestätigte den Nähergetretenen:

Ja, diese Splitter sind der Rest vom Erbe der Wildungen! Sie wissen es schon oben auf dem Tempelstein, sie grübeln, wie man Papier wieder lebendig macht, aber Menschen, amortisirte Menschen lebendigmachen – das wird fehlschlagen, Freunde! Ah! Seht nur!

Rodewald hatte das Tuch gelüftet und es sogleich fallen lassen. Der Anblick war zu grauenhaft...

Der Nachtwandler! sagte er und eben hielt er inne, um das Wort: Sein Sohn! zu unterdrücken, als unter den Herrschaften, die vom Schlosse Buchau kamen, um die Brandstätte auch zu sehen und Gaben der Liebe auszutheilen, ein Wagen auffiel. Der Schlag wurde geöffnet. Eine Dame trat heraus, schwarz, trauernd, hoch, schlank, nach ihr eine gebückte Alte... Die Polizei, beritten, sprengte heran... Die Scene wurde lebhaft... Menschen drängten sich an Menschen... und Friedrich Zeck folgte wehmüthig dem Auge des hier in solchem Augenblick gefundenen Rodewald. Starr kehrte sich aber plötzlich das Weiße in dem seinen. Er ergriff Rodewald's Arm, zeigte auf einen der Wägen, auf die ihm entstiegene Dame... es war Pauline von Harder, schon erkannt von Anna, ihrer Schwester, die sich zurückzog und die Begegnung vermeiden wollte...

Friedrich Zeck schien bei diesem Anblick die Fassung verloren zu haben, nicht die Besinnung, sondern die Selbstbeherrschung. Seine Demuth hatte ihn plötzlich verlassen. Er sah einen Fingerzeig des Himmels, er »richtete«, wie sein Ausdruck war, statt Gott richten zu lassen, er sprang von dem grauenvollen Tuche auf, warf die verbrannten Splitter des Schreins im Kreise umher, stürzte sich vor und stand fast unmittelbar vor Paulinen, die – vor Anna's Nähe allein schon zum Tode erschrak...

Rodewald war es, der diesmal Großmuth übte. Rodewald rettete Paulinen vor einem Augenblick, der ihr vielleicht wirklich den Tod gegeben hätte...

Murray! rief er mit der männlichsten Überredung, hielt den wie von Raserei über Paulinen's Anblick Ergriffenen mit dem linken Arm zurück und wandte sich mit der Rechten der erblassenden, taumelnden Pauline zu, die drängenden halblauten Worte sprechend:

Steigen Sie ein! Fliehen Sie! Es ist Ihr Sohn, der da verbrannte! Fliehen Sie! Fort! Fort!

Aber Friedrich Zeck hörte nicht mehr auf des Freundes Zuruf. In dem Augenblick fielen ihm alle Hüllen, alle Masken und Verstellungen von seiner Person, die ihm nichts mehr werth war, seit der Zweck seiner Rückkehr von Amerika mit dieser fürchterlichen Nacht ein Ende hatte. Er sah nur Flammen um sich, nur Zerstörung, hörte nur das Hülfeschreien der Menschen, sah Hackerten nur unter den züngelnden Feuersäulen eingeschlummert auf dem Schrein, den er krampfhaft hüthete, als könnte in stiller Nacht – ein Käfer ihn stehlen; er hörte nur, daß Alles um ihn her zusammenkrachte, Sohn und das fremde Eigenthum in einer Zerstörung unterging, die Hackert vielleicht als Traumwandler selbst durch das Licht in seiner Hand veranlaßt hatte, vielleicht auch nicht –! was sollte er zögern, sich und Alle in die Flammen zu stürzen und unterzugehen wie Simson!

Nicht Murray, rief er auf Paulinen zuschreitend aus, nein, Der, den deine Helfershelfer suchen vom Morgen bis Abend, Der, der Euren Mörderhänden entfloh, nicht in den Wellen des Hudson schläft, nein Der, den Ihr ahntet seit dem Fortunaball, festhieltet seit dem Forsthause im Walde und nicht zu erkennen den Muth hattet, Friedrich Zeck, der Vater dieses unglücklichen Sohnes...

Doch schon war Pauline mit Rodewald's Hülfe entfernt, losgerissen von dem Wüthenden, gesichert eingestiegen... Zeck sprang den Pferden in die Zügel, hielt sie, die schon ansprengen wollten, zurück und rief:

Hackert! Hackert! war der Name meines Sohnes! Ich bin Zeck! Der Bruder einer Mörderin, der Bruder eines Mörders! Kennt mich Niemand? Kennst du den Falschmünzer nicht, den Vater dieses Nachtwandlers, der diesen Brand entzündete? Wir sind Schuld an diesen Lichtfunken! Ha, ha, Pauline –

Aber so maaßlos sollte der Strom der Selbstanklage nicht enden, denn schon hatte Pax, vom Pferde springend, den wilden Sprecher erkannt, ihn von hinten ergriffen und seinen Begleitern, die mit angriffen, als einen glücklichen Fund zugeschleudert...

Die Ludmer, wie ein verwundeter Vogel hin- und hertaumelnd, konnte aus Furcht und Besinnungslosigkeit den Wagen nicht gewinnen. Sie flatterte fast hin und her und suchte sich zu bergen vor solchem Ruf aus den Gräbern... Ihr half aber die Großmuth Rodewald's nicht. Paulinen's Rosse waren sich bäumend schon davon gesprengt, ohne die Ludmer. Kein Wagen stand bereit, auch sie zu entführen, sie mußte die Schaalen des Zorns eines Mannes, den sie nun schaudernd selbst erkannte, bis zur Neige leeren, mußte sehen, daß Mangold, jener Gärtner, in der Nähe stand und nicht half, nicht hinderte... Aber auch die Mishandlungen der Bewaffneten hinderten Zeck nicht auszurufen:

Charlotte Ludmer! Kennst du mich, den Baron Grimm, dessen Trinkgelder du so elend vergolten hast! Komm, Unhold, leuchte mir die Treppe hinunter! Sagt' ich Das nicht in Ems drüben und sonst hundert Mal und gab dir meine erspielten, noch nicht falschen Dukaten? Und doch stecktest du über uns Allen die Welt an, läßst uns Alle verbrennen, nur weil Paul Zeck die rothen Haare verstecken sollte, die an den Abend erinnern, wo schon einmal Jemand im Feuer der Sünde aufging und Einer sich nur die Augen verbrannte? Mörderin du, die aus Rache Menschenleben wie unreines Wasser ausgoß! Elende, das Eine deiner Opfer stürzte sich vom Narrenthurm, Das da deckt ein Leichentuch und ich will der Dritte sein, will wieder Ketten tragen, will nicht von Euch losgelassen, nicht mit Gold und Gut nach Amerika befördert werden, will bleiben und reden, nur damit du einst sterben sollst, ohne ein ehrliches Begräbniß zu gewinnen!

Pax schützte jetzt die ohnmächtige Freundin, ließ sie fort tragen, die Menschen wichen ihr wie einem Unhold aus. Die Bedienten, Hofleute, Bauern, Alle sahen, Alle hörten schaudernd und lauschten noch, als Friedrich Zeck sich sammelnd und den Schweiß von der Stirne trocknend zuletzt zu dem mitleidbewegten Rodewald sprach:

Es ist geschehen! Alle Selbstbeherrschung war vergebens. Den wilden Teufel in der Brust bindet ganz auf Erden kein Engel. Zürnen Sie mir nicht, daß ich wie ein Insekt um die Flamme irrte, und nun doch hineinstürzte! Es ist ein Instinkt, der von mir verlangte einmal noch so zu reden, dann zu enden. Man wird in der Residenz in mir drei Menschen, Zeck, Grimm und Murray erkennen. Vielleicht, daß Einer für den Andern sprechen wird und sich die Gelehrten mühen, zu beweisen, daß Einer unmöglich der Andre sein konnte. Zu dem Instinkt gehört auch, daß ich möglich mache, das Unglück des für immer verbrannten Schreines zu hintertreiben. Würd' ich, der seinen Inhalt schuf, nicht unter dem Auge des Richters leben, so würden Sie nicht die Bürgschaft finden, daß von jenem Schrein auch wirklich nur noch jene verbrannten Spähne übrig sind, mit denen ich mein eignes Leben vergleichen möchte. Ich werde offen aussagen, wie Alles gekommen. Grüßen Sie die Bewohner des Tempelsteins nicht von mir! Ich sagte immer, daß zwischen jener reinen Sphäre und mir die ewige Verdammniß, wenigstens der Erde, liegt!

Zeck wurde so abgeführt... Anna von Harder hatte längst schon in den Wagen flüchten müssen, die Mädchen folgten, Rodewald, nach schmerzlichem Abschied von dem nun wol für immer Gefangenen. Man fuhr zum Tempelstein empor. Die Menschen verliefen sich, nur Fränzchen Heunisch, die mit Louise Eisold zum Schlosse zu Fuß gehen wollte, blieb. Mangold, der die Demüthigung der Ludmer ohne Mitleid nachempfand, half den Mädchen und einigen Burschen das Tuch zusammenraffen und es in ein Haus tragen, wo der Rest von Hackert bis zu seinem Begräbniß blieb...

Es ergab sich bald, daß Hackert an dem Versuch einer einzigen guten That, die er in seinem kurzen und dämonischen Leben gewagt hatte, zu Grunde gegangen. Die Ursache des Brandes, der den Schrein zerstörte, war in der That nicht der Funke vom Feuerwerk der Könige, sondern die schlafwandelnde Sorge gewesen, die den Schrein im überfüllten Gasthof zum St.-Georg von einer Scheune zur andern trug und gerade mit dem Lichte dem Stroh unterm Schindeldach, das Hackert im Traum hatte verlassen wollen, zu nahe kam. Er fand die Thür auf dem Verbindungsstege verschlossen, entschlief auf dem Schrein, den er niedergesetzt hatte und erwachte zum Leben nicht wieder... Ein Dichter, wie auch wieder Oleander, sah später in diesem Zusammenhange einen ernsteren Sinn und tiefere Bedeutung. War der Schrein und sein Inhalt die irdische Hoffnung edleren Strebens für das Wohl der Menschheit, war Hackert, wie einst Dankmar an jenem Abend vor dem Fortunaball gesagt hatte, das Volk in seiner dämonischen, nicht guten, nicht bösen, räthselhaften und unheimlichen Sinnennatur, war der Aufschwung zu einer endlich reinen That in diesem Wesen Krankheit eher, als die edle Blüte der Gesundheit, so lagen die Gedanken nahe, die sich halb schon bei Oleander in Klängen austönten, daß der Geist ein Phönix wäre, der nur aus den Flammen eines irdischen Nestes zur reinen Sonnenhöhe aufsteigen könne, und daß da sterben müsse der Schlacke, was zum Lichte wolle. Wie in der Natur Das, was seinen Dienst verrichtete, sogleich verginge, wie der Wurm in der Seide stürbe, die er aus seinem Leibe und Leben spönne, wie die höchste Lust die Organe des Lebens spränge, ja ein Bettler nicht lange zu bleiben vermöchte in einem allzugeschmückten Hause, so säh' es auch immer schlimm aus, wenn man den großen Kaliban, das Volk, einmal aus seiner thierischen Vegetation aufweckte, aus einem Dämmerleben, dem das Gute und Bessere sich nur im nächtlichen Wandeln nahe! Auch erwachend würd' es dann handeln wie im Traum, würde statt eines einfachen Lichtes Fackeln, statt Fackeln Feuerbrände geben, würde wie einst Masaniello über das Maaß seiner Kraft hinauswachsen und entweder im Irrsinn oder Selbstmorde enden....

Diese Auslegung gab Oleander Friedrich Zeck, als er ihn als Gefangenen wiedersehen mußte! Man hatte versucht, den Engländer Murray, den Freund der Armen, den Wohlthäter der Brandgasse für den Baron Grimm sprechen zu lassen, man hatte die Bibeln reden lassen wollen, die Morton sonst in seiner Armuth zu verkaufen pflegte, aber Friedrich Zeck kam dem Verlangen, sich offen, vor aller Welt in pharisäischer Christlichkeit zu gebehrden, nicht entgegen, flehte nicht, bat nicht, bereute nicht, er ertrug die Wirklichkeit, der er einst entflohen war und trug sein Kreuz unter den Gefangenen, bei denen er vielleicht für seine Auffassung des Lebens jetzt mehr Gutes that, als wär' er frei gewesen. Nicht lange nachher starb Friedrich Zeck, der Urheber der Schuld so vieler andren Menschen, auf der Veste Bielau, an demselben Flusse, dessen Ufer er einst in einem Rettungsnachen erreichte, wie später einmal auch Werdeck...

Die Welle des Flusses war ihnen Allen freundlicher gewesen als einem letzten endenden Leben unsres Kreises, das wir nicht verschweigen dürfen, dem Leben jenes nächtlichen Wanderers, dem Hackert einst von der Komthurei vor die Thore der Stadt gefolgt war. Als Der denn doch zuletzt, wie angezogen von seinem Geschick, das wie die Magnetnadel keine Ablenkungen und Irrungen, wie noch zuletzt wieder durch Hackert, dulden wollte, nach Bielau wanderte, dieser still Verzweifelnde, der den Tod mit Ekel und Überdruß an sich selbst und der Welt nicht auf natürlichem Wege erwarten mochte, rief ihm Niemand mehr in nächtlicher Stille seinen Namen zu, Niemand schützte ihm mit einer ansehnlichen Summe Geldes noch einmal gleichsam die nach ihm verlangende Woge ab. Zuletzt zog sie ihn nieder, wie das Meerweib den vom Sang Verlockten. Diese Stimmung konnte nicht enden, wie Alle. So entbehren, so zuletzt krank auf dem Lager liegen, ächzen, so den letzten Ballast der Bagatell-Philosophie auswerfen, Epikur, Epiktet, Rochefoucauld, Hippel und Lichtenberg opfern, so immer leichter, luftiger, ohnmächtiger, ja kläglicher zu werden für Charon's Nachen... Das ertrug Franz Schlurck nicht... Man fand ihn eines Morgens im Uferschilfe unterhalb Bielaus, nachdem man ihn Tagelang gesucht und sich wol gesagt hatte, daß man Schlurck's letztes Wort an Drommeldey: Bester Freund, Montaigne hat Recht, das Leben ist von allen Handwerken, die wir zu lernen haben, das schwerste! nicht anders als auf den selbstgesuchten Tod deuten konnte.


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