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Zwölftes Capitel.

Vater und Sohn.

Rodewald hatte in denselben Zimmern gewartet, wo er einst von Louis Armand die frohe Botschaft von dem vermeintlichen Eigner jener Locke empfing, die auf seinem Herzen ruhte... er hatte voll Trauer die alabasternen Bildsäulen betrachtet, von deren Anblick er damals gern den Knaben Selmar zurückgehalten hätte... er war bangend über die Teppiche auf und nieder geschritten, die damals jenen dem Justizrathe zugeschleuderten »Schurken« in seinem Widerhall milderten... dieselbe Welt und wie verändert durch die Zeit!

Wie Rodewald eintreten sollte zu Egon von Hohenberg, dem Sohne Amanden's, schlug dem Vater das Herz, er hätte es hören können, wenn nicht sein Ohr betäubt gewesen wäre. Nur unwillkürlich griff er mit der Linken nach der klopfenden Brust... in der Rechten hielt er mit der Ehrerbietung, die seiner Stellung zukam, den Hut... Er war schwarz gekleidet, gab sich von Natur würdevoll und überragte weit seine Stellung.

Egon stand vor ihm mit dem Stern auf der Brust... Er hatte in der Frühe schon einer Repräsentation beigewohnt... Er trug diesen Stern jetzt fast wie eine Waffe.

Stumme, lautlose Begrüßung...

Herr Rodewald? begann der Fürst mit einem unwillkürlichen Schauer. Er hatte diese Gestalt, diese imponirende Würde, diese edle Bildung des Hauptes nicht erwartet... er wollte seinem Tone Barschheit geben... er konnte nicht; der leise am Vater schimmernde Silberglanz des Scheitels milderte seinen strengen Vorsatz...

Durchlaucht... zu Befehl... war Rodewald's fast zitternd vorgetragene Antwort.

Habe Ursache Ihnen sehr dankbar zu sein... Ihre Verwaltung verspricht... oder vielmehr Sie leisten schon, was Sie versprochen haben...

Rodewald gewann an Sicherheit der Unsicherheit des Fürsten gegenüber. Dieser Empfang mußte ihn, wenn er schon von Egon's Herzen eine geringe Meinung hatte, vollends erkälten. Wozu diese kurzen, abgestoßenen Sätze! dachte er. Soll Das als Vornehmheit gelten? Soll Das Strafe für meine Beziehung zu Dankmar sein? Warum mir diese Unfreundlichkeit? An eine Bekanntschaft mit seinen Beziehungen zur Mutter dachte er nicht. Er wußte, daß die einzige Verrätherin nur Pauline sein konnte und worin grade ihr Stolz, ihre Eifersucht sich gegen Amanda gesträubt hatte, wußte er nicht minder...

Die zehn Jahre, begann er, die mir Ew. Durchlaucht anfangs gestattet haben, sind grade nur das Maaß der Zeit, das ich brauchen würde, um Soll und Haben einigermaßen in Einklang zu bringen. Auf Gewinn würde erst nach dieser Frist zu rechnen sein.

So? sagte Egon kalt, wandte sich zum Fenster und blickte mistrauisch nur mit halbem Blicke zu dem Sprecher, der fortfuhr:

Durchlaucht haben aber, wie ich von Herrn von Zeisel höre, über Ihre Besitzungen einen andern Entschluß gefaßt...

Egon hörte kaum. Er dachte nur an das Wort Paulinen's in dem zerrissenen Brief: Man verweist Rodewald des Landes! Er prüfte und forschte. Er wollte in die Stimmung zurück, die ihn einst veranlaßt hatte auszurufen: Du bist von Fallstricken umgeben, man wühlt in deinen gefährlichsten Geheimnissen! Was will dieser Mensch? Warum kommt er zurück? Was drängt er sich in deine Nähe?

Und nun stand der Gefürchtete vor ihm. So ruhig, so ernst, so würdevoll... Ja, sein scharfes Auge entdeckte den Wehmuthsschleier über Rodewald's Augen und nur darin noch fühlte er seine Kraft sich sammeln, daß er dachte: Sollte er wagen, dir vertraulich zu thun? Wäre Dies, so hätte ihm ein Gedanke kommen können, der nicht viel anders gelautet hätte, als: Du könntest ihn erwürgen!

Rodewald fuhr fort:

Durchlaucht werden als Staatsmann wissen, daß in keinem Dinge eine plötzliche Reform möglich ist. Die Güter sind vernachlässigt, überschuldet, aber ihr Ertrag ist noch nicht zu ermessen. Die Bodenkraft scheint größer, als man voraussetzte. Ich fand keine gute Haushaltung und ich bringe noch mehr als ehrlichen Willen, ich bringe Kenntnisse und Erfahrungen, die sich bewähren dürften...

Sie haben Auslagen gehabt, sagte der Fürst; ich weiß, Sie haben Maschinen bauen lassen – und die Gebäude, die Sie errichteten, ich sah sie selbst mit Vergnügen – sie werden den gegenwärtigen Kaufpreis nur erhöhen... Sie werden schadlos gehalten werden...

Ein Verkauf, dem man eine gerichtliche Nothwendigkeit zu Grunde legt, hebt mein Pachtverhältniß auf...

Sie arrangiren sich vielleicht mit Herrn von Reichmeyer...

Ich glaube nicht. Die Landwirthschaft ist so sehr meine Leidenschaft nicht. Es müssen sich die Verhältnisse schon ganz besonders nach meinem Wunsche gestalten, wenn ich mir als Ökonom gefallen soll...

Egon, der fast nur zum Fenster hinaussah, biß sich auf die Lippen. Es lag in diesen Worten Das, was er fürchtete, der Schein von Vertraulichkeit des ihm unheimlichen Mannes und doch war die Betonung nicht auf ihn gerichtet, sie war streng, ohne Weichlichkeit, ohne Zuthunlichkeit, sie ging in's Allgemeine.

Der Überschuß, fuhr Rodewald fort, der Überschuß der Aktiva, wenn die Passiva getilgt sein werden, kann nicht so groß sein, daß der Werth einer dauernden Zukunftshoffnung aufgehoben würde. Übereilen Sie diesen Entschluß nicht, Durchlaucht!

Egon brachte jetzt polternd eine Menge von Gründen vor, die in diesen Tagen gegen den Besitz von Ländereien sprächen. Es waren darunter sogar welche aus der Zeit und dem Regierungssysteme hergenommen, sodaß Rodewald lächelnd einfiel:

Durchlaucht werden bei einer solchen Motivirung dem Besitzadel das Signal eines allgemeinen Sauve qui peut! geben. Was bliebe von dem Grundbau des Staatsgebäudes übrig, wenn diese Abneigung sich mehrte!

Es würden neue Arbeitsquellen geschaffen, sprach der Fürst jetzt rascher; es kämen die Käufer in die Nothwendigkeit, den Boden zu mehr als nur zur Unterstützung einer geselligen Repräsentation zu benutzen. Die großen Güterkomplexe sind eine mittelalterliche Idee, die ich bekämpfe. Je mehr wahre Arbeit durch die Parzellirung erzielt wird, desto mehr beschäftigte Hände und zufriedene Köpfe. Ich hatte früher auch die Professorengrillen vom Adel, dem ungetheilten Güterbesitz, den englischen Spleen von Majoraten. Ich habe mich auf der Tribüne und im Büreau überzeugt, wohin wir mit dieser Reform vom Adel kommen. Es ist besser, der Adel vermittelt seine Kräfte mit denen der modernen Arbeit und Grund und Boden wird etwas Beweglicheres als bisher.

Gern hätte Rodewald vielleicht erwidert: Und ist die Liebe zu dem väterlichen Boden nicht auch ein Bindemittel der Ordnung? Ist die pflegende und hüthende Pietät nicht in deinem Staate unterzubringen? Aber in der Nothwendigkeit zurückhalten zu müssen, vermied er Erörterungen wie diese, die wol seinen alten romantischen Doktrinen entsprochen hätten. So kam er nur auf das Wort zurück, das er schon gesagt hatte: Er würde sich mit einem Käufer des Ganzen oder Einzelnen nicht einigen.

Der Fürst wandte sich und wagte die halb lächelnden, halb verweisend ernst vorgetragenen Worte:

Das klingt ja fast, als sollte ich allein nur die Ehre haben, der Auserwählte Ihres Fleißes zu sein!

Rodewald verwand diese böse Rede mit Schmerz. Er hätte erwidern können: Allerdings! Ich kannte Ihre Mutter, schätzte sie... er that es nicht, er versuchte auf dem geschäftlichen Standpunkte stehen zu bleiben.

Eine Zerstückelung, sagte er, hebt meine Hoffnungen auf. Wenn ich durch den Gewinn des Waldes nicht decke, was ich an der Sterilität des Feldes verliere, wenn nicht eine Lokalität der andern in die Hände arbeitet, ergibt sich kein großes Resultat. Für ein kleines hab' ich bereits zu bedeutende Anstrengungen gemacht. Durchlaucht erklären, daß ich entschädigt werde. Ihr Entschluß steht fest. So hab' ich nichts weiter zu sagen.

Und schon wollte Rodewald, tief erkältet, durchfröstelt bis in's innerste Herz sich zum Gehen wenden...

Da sagte Egon, überrascht von dieser Entschiedenheit und durch die Abwesenheit aller weitern Wünsche des ihm so nahestehenden Mannes fast beschämt:

Bleiben Sie doch noch! Gefällt es Ihnen denn in Europa wieder? Sie waren viele Jahre in Amerika...

Fast dreißig Jahre...

Sie haben eine liebenswürdige Tochter zurückgebracht, eine Enkelin der Frau von Harder...

Rodewald schwieg. Aber was er dachte, war der Wunsch: Wüßtest du, was ich gelitten, als ich glaubte, du wärest diesem Kinde, deiner Schwester, nicht fremd, diesem geliebten Kinde, das ich mein nennen darf vor der Welt und an dessen Leben sich keine Reue knüpft!

Sie haben die Aussicht, einen sehr reichen Schwiegersohn zu gewinnen, Dankmar Wildungen... fuhr Egon fort; hatte sein Aufenthalt bei Ihnen keine gerichtlichen Folgen für Sie?

Wir haben strenge Gesetze für die Hehler von Dieben und Mördern, sagte Rodewald. Die waren hier nicht anwendbar. Im Übrigen stand Dankmar Wildungen im Begriff, sein Verhältniß zu meiner Verwaltung aufzugeben... zuletzt bin ich sein Oheim.

Ich habe einige Monate lang mit diesem Brüderpaar einen vertrauten, geselligen und sehr wohlthuenden Verkehr unterhalten, begann Egon, jetzt etwas sich erwärmend. Den Jüngsten lernt' ich in einer Zeit kennen, wo ich der Freundschaft bedurfte, um nicht unterzugehen. Ich habe die Idealität seines Strebens immer getadelt, aber im Übrigen seinen Charakter, seine Diskretion, seine vortreffliche Haltung in jedem Lebensverhältnisse anerkannt. Mein Leben war abentheuerlich. Manches lernt' ich aus Büchern, das Meiste aus dem Leben. Ich bin streng gewesen gegen die früheren Freunde, weil ich an derselben Grenze unsrer Beobachtungen mit ihnen stand und sie mir doch immer einräumten, daß wir etwas in's Volk hineintragen, was nicht in ihm lebt. Ich liebe das Volk, ich bin kein Staatsmann der Studierstube, der Antichambres, ich schmeichle Niemanden. Ich schmeichle aber auch dem Volke nicht. Ich kenne die gefährlichsten Feinde der Gesellschaft, es sind die Lüge und die Trägheit. Früher sprach ich Das in Scherzen aus. Oft genug mit den Wildungen und mit einem gewissen Louis Armand. Lieber Himmel, wir führten das wolkenloseste Leben, wir waren glücklich, wenn unsre Scherze nicht weiter reichten als der Dampf der Cigarre, die wir rauchten. Was kommt auf den Zwiespalt der Theorieen an, wenn man in der schönen Natur lebt, wenn man von Pferden, von schönen Frauen, von Geist und Poesie im Allgemeinen spricht! Ich würze gern an der Tafel meinen Appetit mit guter Unterhaltung und immer die gleichen Meinungen, das gibt keine gute Unterhaltung. Also ich liebte diese Wildungen! Und Louis Armand! O mein Gott, was hab' ich die Freunde gewarnt und gebeten, was ihn und die Brüder an die mir schmerzlichen neuen Pflichten erinnert – aber, wenn es einmal zu einer Entscheidung kommen soll, wenn man durch den Zufall in eine Position gestellt wird, wo es ganz unermeßlich heilige Zwecke zu verwalten gibt, dann bleibt nichts Andres übrig, als es zu machen wie die Helden im Homer. Man prallt mit Schild und Speer an dieselben Heroen, denen man vor der Schlacht über ihre Noblesse, ihre Armatur, ihre gute Haltung, ihre Genealogie die anständigsten Komplimente gemacht hat...

Es lag in diesen rasch herausgepolterten Worten so viel Natürlichkeit, daß Rodewald unwillkürlich lächeln und an ihnen eine Art Gefallen finden mußte...

Ich habe die Halbheit nie leiden können, fuhr Egon fort. Ich lebte in Genf als junger Mensch cribblé de dettes, von Schulden fast aufgefressen. Ich hatte es satt, unter solchen Verhältnissen mich zu kompromittiren. Ich trieb nicht Romantik, sondern es war mein bittrer Ernst, als ich in die Verborgenheit flüchtete und lieber verschollen sein wollte, als unter elenden Bedingungen einen großen Namen tragen. Ich habe in der Politik immer dieselbe Loosung gehabt. Koalitionen und Fusionen, wie diese Quacksalberei der neuern Staatsweisheit heißt, sind mir zuwider. Ich wollte einen Staat der Pflichten aufbauen. Einen Staat der Arbeit nach jeder Richtung hin. Ich habe Das Ihrem Neffen hundertmal gesagt. Dankmar hat meine Theorie bestritten und mir nur negative Dinge angerathen. Man kann nicht regieren mit Negationen. Luftige Utopismen sind in den meisten Fällen Gelegenheiten zur Ausbeute für die Charlatane. Ihre Neffen haben das horrible Phantasma eines Bundes aufgestellt, der von den Gerichten wie eine Verschwörung aufgefaßt worden ist. Ich weiß sehr wohl, was er will und was er den Gerichten verschwieg. Ich sah die ersten Keime dieser Gedanken in ihm aufblühen. Hier, hier, an diesen Tisch, da an jenen Thomas a Kempis knüpften wir unsre ersten Gedankengänge an, von denen ich nicht ahnte, daß sie ihn so in die Region der Lüfte führen würden. Es ist wahr, es ist Alles geschehen, um ihn in seinem Idealismus zu ermuthigen. Er hat durch zähe Beharrlichkeit einen Prozeß gewonnen, der ihm eine wunderbar glänzende Zukunft verspricht...

Sie wissen, unterbrach Rodewald diese aufwallende Mittheilungslust, Sie wissen, daß dies unglaubliche Glück so gut wie verronnen ist...

Man sagt, der Bund hätte die Flucht befördert, die ein Theilnehmer mit dem Leben büßte. Aber die Scheine werden doch ausgegeben, werden doch von den westlichen Provinzen her verbreitet, ich versichre Sie, die Mitglieder des Bundes sind ohne Sorge um diese Errungenschaft, die ja, wie bekannt ist, nicht einmal den Brüdern allein, sondern der großen Chimäre von der neuen Templerei allein zu Gute kommen soll... Können Sie denn eine solche Verwendung billigen? Was sagt Fräulein Selma dazu? Und Olga Wäsämskoi, die Ihnen, diese schlimme kleine Intriguantin, die Ehre verschaffen wird, eine Fürstin zur Nichte zu haben?...

Egon konnte so nicht weiter; bei jeder neuen Thatsache trat er wie auf Fußangeln und dabei diese ruhige Aufmerksamkeit des würdigen Mannes, der nur hörend vor ihm stand, dies leuchtende Feuer, das in Rodewald's Augen zuckte, dies sichtliche Behagen in der Annäherung an Egon's menschlichere Regungen... er mußte sich selbst unterbrechen und ließ Rodewald ruhig gewähren, als dieser sagte:

Ich freue mich des warmen Antheils, den Durchlaucht noch an den persönlichen Schicksalen geringerer Menschen nehmen. In dem Bunde der Ritter vom Geiste und was mit ihm zusammenhängt, liegt nicht die größte Gefahr unsrer Zeit. Verkleinern will ich die Bedeutung dieses Bundes nicht. Ich glaube, daß es schwierig ist, die Thatsachen der Gegenwart so zu verwalten, wie sie sind und dabei den Geist gegen sich zu haben. Dieser Geist, Durchlaucht, ist keine doktrinäre Wahrheit, etwa irgend eine neue Philosophie, sondern nur das Gefühl der furchtbarsten Entmuthigung, die plötzlich Jeden doch in seinem Wirken überfallen muß, wenn ihm Etwas sagt: Du irrst dich, die Geschichte hat zu allen Zeiten etwas Andres gegeben, als was selbst Die, die dem Neuen am nächsten standen, ahnten! Und Jeden schreckt so diese Vorstellung, den Geist gegen sich zu haben, zusammen. Selbst den Nüchternsten, den Erbärmlichsten der Sinnenmenschen, den Reaktionär aus Existenzinteresse, überkommt die Vorstellung, daß der Geist gegen ihn wäre, wenn auch nur unter der Vorstellung: Wenn ich todt bin, mag kommen, was da will, aber so lange ich lebe, soll Das und Das u. s. w. – und überall in alle Karten, die gemischt werden sollen, in alle lauten, in alle geflüsterten Gespräche mischt sich dieser räthselhafte Dritte, dieser große Unbekannte, der hineinsieht in Jedes und immer das Gegentheil von Dem lehrt, was grade begonnen und betrieben werden soll. Daher diese Schwankungen. Die Pole sah noch Niemand, aber die Magnetnadel, die zittert, die fühlt die Pole. Auch Sie, Durchlaucht, werden Verbindungen eingehen, die Ihrer Natur nicht gleichartig sind, auch Sie werden, um Alle für sich zu haben, den Kreis Ihrer Theorieen erweitern müssen und wenn das Gerücht wahr spricht...

Nimmermehr! Nein, nein! unterbrach Egon und übertönte durch die Heftigkeit dieser Ablehnung ein Geräusch wie von einer nebenan geöffneten Thür, die Rodewald hörte, aber nicht Egon. Nimmermehr! Ich weiß, was Sie sagen wollen. Dies Herrschen um jeden Preis hass' ich. Sie kommen aus Amerika. Ich sage Ihnen, dies Herrschenwollen um jeden Preis wird bei uns vielleicht noch einst die Monarchie stürzen. Wir werden natürlich von der Republik immer wieder zur Monarchie zurückkehren, bis sie durch dies Herrschenwollen um jeden Preis nach Jahrhunderten doch unmöglich sein wird und sich eine Staatsform gebildet hat, die jetzt noch Niemand begreift...

Denken Sie Das, Fürst, sagte Rodewald erstaunend, so gehören Sie zu den Rittern vom Geiste und jener geheimnißvolle Dritte ist auch bei Ihnen und Ihren Gedanken gegenwärtig. Es ist uns Allen, als trügen wir ein großes Geheimniß in uns, das wir nur noch auszusprechen nicht wagen und das mit unsrer Generation noch vorläufig in die Erde geht...

Egon blickte auf, denn er erschrak. Diese Worte schienen absichtlich, aber sie waren es so wenig, daß Rodewald vielmehr aufhorchend sagte:

Durchlaucht werden gestört... Ich gehe...

Nein, nein, sagte Egon, wir sind allein...

Es entwaffnete ihn, daß Rodewald, sein eigner Vater vor Gott, vor der Welt von einem Geheimnisse sprach, das man zu Grabe trage und ruhig von dannen gehen wollte, indem er sich ernst und bescheiden vor ihm, dem Höhergestellten, noch seinem Herrn, verbeugte. Es überflog ihn eine Ahnung von Dem, was diesen Mann bewogen haben konnte, sich seines irdischen Looses anzunehmen und nochmals wiederholte er:

Bleiben Sie doch! Was Sie von meiner Geneigtheit zu Koalitionen gehört haben, ist falsch! Wenn ich mich meiner Güter entledigen wollte, so war es nur, um mich frei zu machen und dann für immer dieses Land zu verlassen.

Aber, sagte Rodewald, angezogen von diesen wärmeren Worten, wenn Sie sich selbst bewahren wollen, Fürst, wenn Sie das Ideal von Politik, das Sie im Herzen tragen – es ist nicht das meine – nicht entweihen wollen durch Vermischung mit Fremdartigem, das Sie hassen, warum können Sie auch so nicht frei von dannen gehen? Lassen Sie Ihr Erbe einem Mann zurück, der es Ihnen erhalten wird! Sind Sie von meinem uneigennützigen Willen denn nicht überzeugt?

Es lag in diesen Worten eine so schmelzende Überredung, daß Egon einen längern Blick auf den Sprecher richtete, einen fragenden, fast flehenden, als sollte sein ganzes Dasein ihm sagen: Was willst du mir denn, du wunderbarer Mann?

Das Schweigen, das einen Augenblick eintrat, erschütterte Niemanden mehr als die Person, die in der That im Nebenzimmer stand und von Rodewald gehört worden war. Es war Pauline von Harder. Zu heftig gefoltert von ihrer Unruhe über Egon's Entschluß, benutzte sie ihr Vorrecht, im Palais Hohenberg jede Thür für eine offene zu halten, überall einzutreten, den Fürsten in seinen entlegensten Arbeitskabinetten ohne Anmeldung zu überraschen. Die Diener hatten ihr gesagt, wer beim Fürsten war. Sie schrak zusammen, als sie den ihr einst so theuren, jetzt im Gewühl der Welt, die sie umtobte, ihr gleichgültig gewordenen Namen erfuhr. Dennoch hätte sie aus Neugier Rodewald erblicken mögen, hätte sehen mögen, wie er wol geworden durch die Zeit, wie der Fürst den Verräther an ihrem Herzen wol aufnahm, wie Vater und Sohn sich wol begegneten.... Sie öffnete das Vorzimmer. Sie hörte Egon's laute, gellende, an Wohlklang täglich einbüßende Stimme. Sie kannte diese reizbare Sprache, sie wußte sogleich, daß er in Erörterungen begriffen war, die sich auf seinen Entschluß bezogen, das Ministerium niederzulegen. Ihr wäre mit diesem Schritte die schmerzlichste Erfahrung, ja eine Niederlage bereitet worden, von der sie sich in diesem Leben nicht wieder erholen konnte. In die elende kleine Theaterwelt ihres Gatten einzutreten, da zu intriguiren, da Fäden zu lenken? Welch ein Abfall von der Rolle, die sie jetzt unter den Parteien, in der Presse, im Ministerium, in der Welt spielte! Nein! Nachgeben, akkommodiren! Das ist unerläßlich! sprach sie vor sich hin und lauschte auf Rodewald's Worte, auf Egon's Erwiderungen.

Die Wendung des Gespräches hatte eine mildere Tonlage angeschlagen. Es traten Pausen ein. Man sprach leiser. Egon hatte etwas in der Stimme, wie Kleinmuth, Rodewald etwas wie zutraulich Rathendes, Tröstendes. Man schien sich zu nähern, sich besser zu prüfen. Sie begriff nicht, welchen Vortheil sie von einem offenen Austausch der beiderseitigen Geheimnisse ziehen sollte, aber so viel hörte sie, daß Egon wie ein gebeugtes Rohr dastehen mußte, das im Winde wehte. Rodewald sprach von der Sorge, die er den Gütern widmen wollte, ihr war diese Fessel schon recht, aber Egon sprach von Entsagung. Entsagung! Dies immer ihr so fürchterlich gewesene Wort! Sie hörte, daß Egon an den Tisch getreten sein mußte, auf welchem noch das verblaßte Pastellbild seiner Mutter stand. Was wird geschehen? dachte sie und überlegte einen Entschluß...

Sie kannten also meine Mutter? hieß es drinnen mit schwacher Stimme.

Rodewald's Antwort blieb aus. Sie hörte es nur nicht, das leise hingehauchte, ernste Ja!

Finden Sie die Züge ähnlich?

Rodewald erkannte das Bild aus der Mondnacht im Heidekruge... sprach auch etwas... Sie aber hörte wieder keine Antwort...

Egon sprach von Landeck, wo Rodewald die Mutter zum erstenmale sah...

Landeck? Wie endet Das? flüsterte sie fast zu laut, erbebend, vor sich hin.

Man verließ jedoch drinnen diese gefährlichen Erinnerungen, man kehrte auf die Abdankung des Fürsten zurück, auf eine von ihm bezweckte Reise im südlichen Europa, man sprach von Melanie, der Fürstin, Egon rühmte die edle Selbstlosigkeit seiner Frau, er sprach von Freiheit und Erlösung von drückenden Fesseln, Pauline durfte jeden Augenblick erwarten, daß sein zitternder Ton, der die bewegte Rührung des Herzens verrieth, sich gänzlich der Wahrheit gefangen gab und wol gar eine Umarmung hier die Stelle der Worte vertreten konnte. Doch trat dieser Moment nicht ein; wohl aber war es ihr, als rafften sich Beide, so gegeneinanderstehend, aus ihren Träumen auf und deutlich hörte sie nun den Fürsten sagen:

Leben Sie für heute wohl, Rodewald! Ich fahre zum König, um meine Abdankung eben einzureichen. Man wird, ich weiß, sie jetzt mit Freuden annehmen. Es liegt im Wesen der Monarchie, daß sie allen Denen, die ihr Maaß im Dienen voll haben, die sich des Hasses und der Verfolgung für den Bestand der hohen Herrschaften nachgerade zu viel zugezogen haben, gern erlaubt, sich mit ihrem Übermaaß von Makel und kompromittirendem Rufe vom Throne zu entfernen, um Neue heran zu lassen, die, wenn wieder deren Maaß voll ist, wiederum das Weite suchen mögen, und so fort! Sagen Sie Herrn von Reichmeyer, daß ich also die Güter behalte, daß ich sie Ihnen dauernd überlasse. Sagen Sie Allen, daß ich reise, diesen Schauplatz meines Wirkens verlasse, müde bin einer Stellung –

Weiter ließ aber Pauline von Harder diese Sinnesänderung nicht anwachsen. Die Eifersucht auf Rodewald überfiel sie wie in der alten Zeit die Eifersucht auf Amanda. Die Fürstin Amanda war ihr in diesem Augenblicke fast wie ein Schatten entgegengetreten, der ihr den Sohn entriß und zurück in die Arme des Vaters führte. Wie? Entsagung diesem wunderbaren Wollen und Wirken? Nein...

Sie trat ein... Die Männer staunten. Rodewald erkannte Paulinen sogleich, ob sie gleich furchtbar gealtert war. Doch ihre Hoheit verrieth sie sogleich. Er erkannte das düsterblitzende Auge, er sah die Momente der Eifersucht aus alten Zeiten wieder. Das ist Pauline! sagte er sich.

Fürst, die Ungeduld treibt mich... Haben Sie einen Entschluß gefaßt?

Herr Rodewald! sagte der Fürst, den Dritten gleichsam vorstellend...

Ich weiß, sagte sich abwendend Pauline. Rodewald! Ich bin Pauline! Sie kennen mich? Rodewald! Was wollen Sie, Rodewald? Warum sind Sie hier? Hier in diesem Hause? Was mischen Sie sich in Verhältnisse, Rodewald, die keinen Bezug auf Ihr Leben haben können – wenn Sie ein Mann von Ehre sein wollen!

Egon übersah, daß Pauline, die so losbrechend Rodewald für eine Wahnsinnige hätte halten können, gelauscht hatte... Die Möglichkeit unzeitiger Ausbrüche von Drohungen und Enthüllungen dieser Frau war ihm peinlich genug. Aber es war Egon's Art nicht, wenn er fürchtete, gleich feige zu sein. Er stampfte fast mit dem Fuße und fragte:

Was ist? Hängen meine Entschließungen nicht von mir selbst ab?

Durchlaucht! rief Pauline in bitterm und drohendem Tone. Dann sich zu Rodewald wendend, sprach sie herrschend:

Was wollen Sie mit den Gütern? Gehen Sie! Sie haben noch keine Aufträge vom Fürsten empfangen. Herr von Reichmeyer wünscht keine Unterhändler... Gehen Sie, gehen Sie, Herr Generalpächter! Man vermißt Sie vielleicht in Tempelheide... ich glaube, Ihre Angelegenheit mit Sr. Durchlaucht ist im Reinen...

Die Wirkung dieser schneidenden Worte war auf die beiden Männer die verletzendste. Sie hatten sich ja Beide nichts zu gestehen, hatten sich ja nichts zu sagen, was ihre Stellungen geändert hätte. Aber wie sich denn doch ein Drittes da so gewaltsam zwischen ihre zart in Eins gesponnenen Lebensfäden warf, zuckte es in ihren Nerven wie mit einem einzigen Schlage; sie waren verbunden und handelten übereinstimmend, sie wußten nicht wie...

Doch mäßigte sich Rodewald. Er sagte nur, sich zum Gehen wendend:

Frau von Harder, ich bin hier, um die Befehle meines Herrn zu vernehmen... Ich bin der Pächter Rodewald, ich trage die Spuren der Mittagssonne auf meiner Stirn und meine Hände fassen sich härter an, als einst, obgleich sie doch noch keine Schwielen haben und mich nicht zum Bauern und Knechte entwürdigen...

Vergessen Sie nicht! rief Egon dem Scheidenden nach. Was ich von Herrn von Reichmeyer sagte... es bleibt dabei... Und Sie, gnädige Frau, die Zeit drängt. Ich will zum Könige...

Damit deutete Egon an, daß er allein in seine Zimmer zurück und auch Paulinen entlassen wollte.

Diese faßte aber seine Hand...

Er lehnte sie ab und rief mehrmals:

Ich habe Eile, ich muß zum König!

Pauline ertrug aber diese Abweisung nicht. Eine solche Form ihres Verhältnisses zu Egon, Rodewald zur Schau gestellt, ließ den Zorn in ihr überschäumen. Sie war die Allmächtige gewesen, sie hatte sich gewöhnt, Egon zu beherrschen, sie wußte, einzig, außer der Ludmer und Rodewald, welches Geheimniß auf dem Ursprunge des Fürsten lastete und in diesem Augenblicke verließ sie die Großmuth. Sie rief dem Fürsten, der schon an der Thür stand, nach:

Was ist hier beschlossen worden? Bleiben Sie! Rodewald! Ich bewundere Sie, Fürst, daß Sie mich zwingen, den Abschied zu stören, den Rodewald von den Zügen jenes Bildes zu nehmen scheint...

Rodewald hatte sich in der That dem Bilde der Fürstin zugewandt, hatte in der That ihm gleichsam allein den Anblick seines Schmerzes in der Stille anvertraut...

Frau von Harder! rief Egon zusammenzuckend...

Die Erinnerungen erwachen – hüthen Sie sich, Egon! antwortete diese leise und dann steigernd. Zweimal hat dieser Mann, der in Amerika seine Vergangenheit hätte begraben sollen, das Vertrauen der treuesten Menschen betrogen... ich kenne in diesem Hause des Fürsten Waldemar von Hohenberg keine Thür, die mich zurückführt! Fürst Egon, seien Sie besonnen... ich meine, dem König gegenüber!

Diese zuletzt grelllauten Worte kamen wie aus der Hölle. Egon verstand sie sogleich, Rodewald errieth sie. Der Fürst erblaßte. Er sah die wuthgeborene schäumende Rache, die ihm drohen konnte: Vergiß nicht, wer du bist und wer da weiß, wer du bist! Rodewald aber, vor der Betonung des Fürsten Waldemar, des Fürsten Egon schaudernd, bebend selbst vor dem Blicke des Hohnes und der Superiorität, die in den Worten der in der Leidenschaft ihrer selbst nicht mächtigen Frau lag, überschaute sogleich das ganze Verhältniß mit einem Schlage und mit blitzschnell in ihm auffahrender Gewißheit: Allmächtiger Gott, Egon kennt sein Verhältniß zu dir und dies Weib ist die Einzige, die es ihm verrathen hat! trat er entschlossener vor, ergriff den rechten Arm der wilden Frau, hob diesen empor und rief feierlich:

Pauline von Harder!

Rodewald! erwiderte die Unbesonnene wie im Echo, höhnend, trotzend sich losreißend und den Fürsten so kalt, so herzlos von Unten nach Oben messend, daß Egon zitterte, Rodewald aber sich nicht länger hielt, sondern wie ein Seher in flammendem Zorn, dicht auf sie zutretend, hervorbrach:

Pauline von Harder! Ich betrachtete in diesem Augenblicke die Engelzüge Amanda's von Hohenberg! Sie flüsterten mir zu: Es gibt ein Weib, das der namenlose Drang des Ehrgeizes verführt hat, von Extrem zu Extrem besinnungslos zu taumeln! Ein Weib, das ein Erdendämon sogar den Irrweg zum Herzen meines Sohnes führte! Rodewald, sagen Sie dieser Frau, flüstert mir die Fürstin zu, sagen Sie ihr, daß Sie in Amerika wirklich Ihre Vergangenheit ließen, wirklich vergaßen, an Das zu denken, worauf Pauline noch meinem Sohne gegenüber mit giftigem Stachel deuten kann; sagen Sie ihr aber auch, daß in Amerika noch eine zweite Vergangenheit begraben liegt, die Vergangenheit Paulinen's von Harder! Ein Friedrich Zeck hat gelebt und an dem Ufer des Hudson, in dem er sich das Leben nahm, ein Geheimniß hinterlassen, das einzig auf der Welt nur Sie und mein Sohn wissen sollen! Nicht genug, daß der Falschmünzer Baron Grimm auf zwanzig Jahre durch Pauline von Harder und ihre Helfershelferin Charlotte Ludmer in einen Kerker geworfen wurde, in dem der Unglückliche schon nach dem ersten Jahre hätte sterben müssen, wenn nicht Zeck, genannt Baron Grimm, die Mittel zur Flucht vor seinem gewissen Tode gefunden hätte; auch das Kind, das Pauline von Ried, geborne von Marschalk, jenem falschen Spieler und Abentheurer, dem Kupferstecher Zeck, geboren, Paul Zeck, getauft in der Stille zu Seehausen vom Pfarrer Lattorf, wurde von ihr den ruchlosen Verwandten des Betrügers übergeben, verkauft, von diesen, Mördern und Gaunern, ausgesetzt und wuchs herauf zur abschreckendsten Ähnlichkeit mit seiner Mutter! Noch lebt Paul Zeck, lebt unter uns, in dieser Gesellschaft, ein Jüngling von dreiundzwanzig Jahren, voll Lug und Trug, verschmitzt, verworfen, zu jeder Gewaltthat fähig und nichts, nichts, als den Namen seiner Mutter suchend! Jetzt geh' ich zu dem Mäkler Reichmeyer, der Fürst aber geht zum König, und Sie, Pauline, sollten gehen und Paul Zeck suchen, einen Fund, dessen Verdienst in seiner Unermeßlichkeit ich Ihnen nicht schildern kann. Denn Paul Zeck muß leben, darf nicht auf's Neue Mördern anvertraut werden, darf nicht auf's Neue um ein Judasgeld von dreitausend Thalern von der Erde weggeweht werden, Paul Zeck darf seine Mutter nur unter dem Schutze der Gerichte finden, damit er nicht verschwindet, gemordet von Charlotte Ludmer, Pax und den Helfershelfern Paulinen's von Harder!

Wenn Rodewald nach diesen Worten das Zimmer hätte verlassen wollen, würde er durch die Art, wie die Geheimräthin diese Enthüllung aufnahm, daran verhindert gewesen sein. Denn jedes seiner entsetzlichen Worte hatte ihm gleichsam Pauline abgeschnitten, jeder neuen Thatsache hatte sie sich gleichsam körperlich entgegengeworfen. Sie suchte sich dem furchtbaren Sprecher bei jedem Athemzuge zu nähern, wollte seinen Arm ergreifen, versuchte vor Verzweiflung fast mit ihm zu ringen. Als er aber dennoch geredet, dennoch geendet und schon längst die geöffnete Thür in der Hand hatte, stürzte Pauline, die vor ihm auf der Schwelle stand, ihn zurückhalten wollte, von dannen und rannte wie eine von den Furien Gepeitschte auf die Ausgänge der Zimmer und der Etage des Hauses zu, sank wie Eine, die in der Luft dieses Palastes zu ersticken fürchtete, fast die Stiegen hinab... Die draußen harrenden Bedienten mußten sie für wahnsinnig halten, als sie die Treppe niedertaumelte und besinnungslos vor dem Portal in ihrem Wagen verschwand.

Wie sie schon davonrollte, lag Egon noch dankerfüllt, zum Himmel aufblickend in Rodewald's Armen. Er war auf den Vater, wie befreit von Harpyenkrallen, zugestürzt, hatte in stürmischer Überwallung seiner erlösten Gefühle ihn an sein Herz gezogen, ihm Stirn und Wangen schon mit Küssen bedeckt... schon das Wort auf den Lippen... das entscheidende, das entsetzlich geheimnißvolle... aber Rodewald ließ Nichts davon geschehen... er nahm kein Recht in Anspruch, verrieth keines zu besitzen, gebot der Stimme der Natur, blieb demüthig, zog sich zurück, wollte fliehen, schwieg, indem er seine Thränen für sich reden ließ. Hinaus! hinaus! hauchte er leise...

Nein, einen Augenblick, Vater! rief Egon mit bebender Stimme, riß sich los, stürmte in sein Nebenzimmer und kehrte nach wenigen Sekunden mit einem versiegelten Pack Papiere zurück.

Lies! sagte er. Es ist das Testament der Mutter!

Rodewald nahm schweigend und staunend die Papiere, wollte sie mit abgewandtem Antlitz ablehnen, hielt sie mit der linken Hand fest und bedeckte sich zugleich mit ihr die Augen, mit der Rechten streichelte er des Fürsten Wange, abgewandt, fast blind tastend nur, wie in den heiligen Büchern jener Erzvater that, als er die rauhe oder glatte Haut seines Sohnes fühlen wollte, um den rechten Liebling zu erkennen...

Da mehrte sich die Scene. Die Fürstin trat hinzu... staunend über die Scene, betroffen von Paulinen's schneller Entfernung...

Herr Rodewald? sprach sie, den Mann prüfend und die Bewegung dieser beiden Männer nicht verstehend...

Egon begrüßte sein Weib...

Rodewald sich sammelnd sagte mit fester Stimme:

Durchlaucht sind zu gnädig! Ich werde diese Bedingungen lesen! Ich gehe zu dem Bankier, um ihm die Befehle des Fürsten von Hohenberg selbst zu überbringen.

Damit ging Rodewald in der That, der Fürstin sich achtungsvoll verbeugend...

Die Fürstin, sich nicht zurechtfindend, fragte, als sie allein waren:

Aber hattet Ihr Scenen? Was war Das?

Nur eine Verständigung! sagte Egon. Ich gebe mein politisches Amt auf. Die Güter behält Rodewald. Wir Beide reisen. Jetzt zum König und das glänzende Elend auf immer geendet!

Egon rang sich von seinem zitternden Weibe liebevoll los... Über Melanie blitzte ein Schimmer von Glück, ein Strahl von Hoffnung, von dem sie sich sagte: Endlich die Wärme des Gemüths? Was ist ihm? Was bricht da das Eis dieses ewig kalten Verstandes? Ist er denn auch der Liebe fähig und wärst du dann noch würdig, ihn zu besitzen?

Ein Glück für sie, daß sie den Namen nicht wußte, der gleichsam von Rodewald hier als ein triumphirendes Paroli gegen Egon geboten war, den Namen Fritz Hackert's, Paulinen's Sohn!... So blieb die Freude... ungetrübt.


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