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An dem äußersten Ende eines der vielen kräftigen Nebenarme unsres großen, meergrünwallenden Stromes bilden die Uferwände einen Ausgangspaß auf fremde Länder, neue Sprachgebiete. Düster blicken wie Grenzwarten die tannengeschirmten Gipfel des Gebirgskammes, der Deutschlands natürliche Grenze ist und der im Süden uns noch Lothringen zuweist und das Elsaß. Auf diesen Höhen horsten noch Adler. Die Noth des Winters treibt noch Wölfe von ihren waldigen Schluchten herab. Niederwärts sich senkend, erheitert sich aber die Flur und dem Strome zu wächst die Rebe und der Nußbaum und volkreiche Städte, Weiler, Kirchen, Kapellen und Schlösser verrathen, wie traulich es sich am mäandrischen Versteckspiel seines Pfades wohnen läßt, unbekümmert um den Wolf und den Adler, die dem Grenzjäger oder Schmuggler begegnen mögen und Denen, die in der Höhe über Geklüft und Dickicht die verstecktesten Wege kennen. Sonst waltete hier die milde Herrschaft des Krummstabes. Noch sind die Alleen von Buchau lebendige Zeugen der Weltherrschaft des Geschmackes von Versailles, noch hat des treuen Mangold englische Naturkunst die Kunstnatur der erzbischöflichen Gärten nicht ganz austreiben können. Und zu den geschweiften Formen des Schlosses, zu diesen chinesischen Pavillons, zu diesen Friesen und Kannelirungen gehört ja auch die alte Gartenscheere, gehört ja auch der Zopf Lenotre's, der Puderstaub auf Blätterwuchs und Baumgeheg.
Schloß Tempelstein, das sich auf eine Stunde Weges vom ebengelegenen Buchau und der Krümmung des Stromes wegen doch ihm fast gegenüber erhebt, ragt schon mit Thürmen und Altanen aus Baumgruppen, Felsvorsprüngen, Waldumkränzungen frei und zwanglos empor. Noch ist der Bau nicht vollendet, den Dystra mit seltenen Hülfsmitteln sich in dieser abgeschiedenen Gegend zu einem englischen Kastell mit Jagdgeheg und Boulingreen, zu einem Alhambra mit Springquellen aus Löwenmund, Bogengängen und Blumenterrassen zaubert. Es wird lange währen bis zu seiner ganzen Vollendung. Aber in diesem Sommer ist die alte Ruine schon nicht mehr aus ihrer neuen Umkleidung zu erkennen. Der Weg empor ist schon gebahnt. Ein untres Wohnhaus für den Winter, selbst dem verwöhntesten Lebemann, bewohnbar. Bis zur Brücke, die zwei Felsen verbindet und an ihren Rändern gestattet, auf ihnen die Spitzen von tief aus der Schlucht aufragenden Buchen und rothen Blutfichten mit der Hand berühren zu können, ist Alles eben, links und rechts mit großen Gewächsvasen aus gebranntem Thon geziert. Dann kommen Stufen, die schon sicher und bequem zu betreten, wenn auch noch nicht geschmückt und eingefaßt sind. Oben schon sprudelt die Fontaine, die das große Plateau zieren wird. Auf diesem Plateau will Dystra die Dorfjugend tanzen lassen, wenn er in seinem Geschmack immermehr, wie er sagt, den »Rosen des Herrn von Malesherbes« näher käme. Wie glatt mußte dieser Marmor also geschliffen sein! Die Platten lagen schon im Vorrath und wurden schon bearbeitet. Das Burgthor öffnet sich. Das Wappen Dystra's hatte sich hier als eine verzeihliche Konsequenz seines Ahnenstolzes eingefunden, da er meinte, man sollte ihm diesen Stolz auf die Vorfahren lassen, da es doch schiene, als wenn ihm schwerlich noch etwas nachfahren würde. Die Zugbrücke war von Ketten und Eisendrähten. Alle Mauern hatten Nischen zu Statuen, Blumen, Springquellen oder, sagte Dystra, zu ewigen Lampen, wenn entweder Olga oder Paulowna oder ihre Mutter, denn Einer droht das Glück, Baronin Dystra zu werden, in Verzweiflung darüber auch katholisch würde. Nur einen Nepomuk auf die Zugbrücke, sagte er zu Rudhard, der ihn von Brüssel oft besuchte, nur den würd' ich mir verbitten; dieser Heilige macht mir bei jeder Brücke erst recht den Schwindel, den er vertreiben soll. Der dritte Theil des Schlosses war schon bewohnbar. Die ausgesuchteste Einrichtung zierte vom Dollond eines Belvedère herab bis zur praktikabelsten Kochmaschine des Kellergeschosses den linken Flügel, dessen nächste Umgebung bereits jetzt von Kalk, Mörtel und dem Lärm der Maurer und Steinmetzen verschont war. Wild und wüst freilich sah es in der Mitte und am rechten Flügel noch aus, der theilweise in einen Felsen hineingebaut wurde und einen schroffen, jähen Abhang darbieten sollte, für etwa verzweifelt Liebende, wie Dystra sagte, oder für Blaubärte, die sich hier ihrer neugierigen Frauen entledigen wollen, falls der unterirdische Gang, der hinten in den Wald und die Tempelabtei führt, nicht von strengen Ehemännern zu den Marterkammern und lebendigen Einmauerungen lieber benutzt wird. Diese Abtei war als Ruine ganz im alten Style gelassen und nur vom Schutt und Gerölle befreit und an zu schadhaften Stellen durch Ergänzungen unterstützt. Ein schöner Rest mittelalterlicher Kirchenbaukunst lag die Abtei fast schon im Walde und bot einen heiligen, das innerste Herz bewegenden Anblick.
Dystra lebte nun fast ein Jahr schon am Fuße des Schlosses Tempelstein, das selbst er nur zuerst von seiner Schicksalsverhängten aus der Familie Wäsämskoi bewohnt haben wollte, in der eleganten Villa am Aufgange, dicht am Flusse, nicht tausend Schritte weit entfernt von dem Dorfe Buchau, das den Tempelstein vom Schlosse Buchau trennt. Der Verkehr mit gegen Hundert Arbeitern bot ihm die angenehmste Zerstreuung. Im Übrigen hing er auf's Lebendigste mit allen den Beziehungen zusammen, die durch die Namen der Brüder Wildungen vertreten sind. Dankmar flüchtete sich zu ihm und wohnte drüben jenseits des Gebirgskammes. Siegbert kam zuweilen von Antwerpen. Rudhard kam mit den Kindern Rurik und der heranwachsenden Paulowna. Leidenfrost war immer zugegen; denn er war es, der den Tempelstein ausbaute. Niemand kannte ihn. Er galt für einen fremdherverschriebenen Architekten. Auch Werdeck, der in Paris lebte, ließ sich zuweilen mit Vorsicht sehen. Louis Armand lieferte die Ausstattung der Zimmer, die Boiserie, die Vergoldungen, das Glas. Er machte seine Einkäufe in Belgien und den Niederlanden. Man kannte die Hundert von Menschen nicht, die hier ab- und zugingen. Dystra machte nur die Bedingung der Vorsicht und sie wurde ihm gewährt, noch gewissenhafter befolgt. Siegbert's Zeichnungen für die Glasfenster, die Leidenfrost in einer nahegelegenen Glashütte selber brennen lassen wollte, erregten die Bewunderung der Laien und Kenner. Es hieß, sie kämen von belgischen Malern aus Antwerpen. Wer forschte da weiter? Die Fürstin Adele wäre gern von Brüssel gekommen, um die Fenster zu sehen, wie sie dann wirklich fertig waren und in den kostbaren Gemächern hingen, aber Dystra sagte: Die erste Frau, die außer Louise Eisold sein Schloß beträte, wäre ihm verfallen; wäre sie verheirathet, so müßte der Mann mit ihm hier die erste Lanze brechen, wäre sie Jungfrau oder Wittib, so dürfte nur ein Lindwurm sie ihm streitig machen und auch an den würde er sich wagen. Kurz er scherzte über eine Bedingung, die die Fürstin so ernst nahm, daß sie sich überwand nicht zu kommen und, wie einmal bedungen war, Olga die Vorhand ließ.
Durch Dankmar Wildungen erfuhr Dystra die neuesten Vorfälle des Jahres, seine Flucht, den Verlust des Schreins. An Louise Eisold sah er die Wirkung sowol des Erfolgs wie des Mislingens auf ein leidendes und in Leiden erstarktes Gemüth. Sie hatte die Flucht geordnet. Franziska Heunisch hatte ihr Anerbieten dazu mit Selma Rodewald vermittelt. Sie war in Tempelheide gewesen, hatte Peters im Pelikan gewonnen, hatte von Danebrand, der sonst am Baue arbeitete, sich begleiten lassen, hatte das Unglaubliche erreicht durch Hackert's einzig zum Ziele führenden überraschenden Beistand. Danebrand war ein Opfer dieser kühnen That geworden, die gute, treue, uneigennützige Seele... Louise schauderte bei dem Gedanken, daß von den Beiden, die im Wege standen, Mangold's Wünsche zu erhören, der Eine vom Tod hinweggerafft war und der Andre... Was ist nur mit ihm? Wo weilt Hackert? Hatte er Alle, auch sie betrogen? Sie allein sah an Hackert die schlimmsten Seiten nicht, sie hatte sich aus seinem Leben wie jenes Huhn im Hofe aus dem Dünger einen Edelstein gescharrt, sie glaubte fest und heilig daran, daß hier nichts als nur der Sonnenschein der Liebe gefehlt hätte. Als Hackert ihr die That gelobte und Beistand versprach, in seiner Weise ohne Emphase, ohne Begeisterung, aber sicher, schlau, pfiffig Alles berechnend, was allein zum Ziele führte, als er ihr andeutete, daß er genugsam vertraut wäre mit allen Persönlichkeiten des Gerichtshauses, um sich durch verliebte Frauen, näschige Kinder, schwachsinnige Greise, trunkene Männer, die Schlüssel der Gefängnisse und Kassen anzueignen, da hatte sie zwar nicht gesagt, nicht sagen können: Hackert, ich belohne dich für alles Das mit meinem Herzen! Aber die stürmischen und kecken Liebkosungen, mit denen sie der nie rein Denkende sogleich überschüttete, hatte sie doch fast mit den Worten abgelehnt: Lassen Sie! Lassen Sie, Hackert! Vielleicht wenn es gelungen ist, dann!
Und nun hatte die Flucht diese Wendung genommen! Danebrand das Opfer, so gestorben wie einst ihr Bruder! Der Schrein und Hackert verschollen... ein unermeßliches Glück der Brüder Wildungen verloren, trotz des Briefes, der von Hackert's Hand einst mit dem Postzeichen eines kleinen Städtchens, wo alle Nachfrage nichts fruchtete, an sie gekommen. Noch glaubte, noch hoffte sie. Sie sagte zu Dankmar, als er eines Augusttages über den waldigen Bergwipfel kam, scheinbar als Schmuggler kam, da er so mit den Grenzwächtern – am besten stand und Siegbert gerade mit Louis Armand und dem Bruder zugleich anwesend war, um die Wirkung der Fenster zu sehen: Glauben Sie mir, Sie können vertrauen! Hackert ist zu eitel, irgend einem Menschen, der ihn für schlecht hält, Recht zu geben. Er wird ehrlich sein nicht aus Liebe zur Tugend, sondern um Sie und uns Alle zu täuschen, zu verhöhnen, nicht einmal um mich zu erfreuen. Er liegt irgendwo krank, hat sich verletzt am Tage der Flucht. Mit genauer Noth nur wird er sich irgend wohin geflüchtet haben, vielleicht zu Schlurck, der in der Nähe des Profoßhauses wohnt. Er wird langsam uns folgen, denn ich sehe ja in den Zeitungen, wie man Sie und den Schrein mit Steckbriefen verfolgt. Zu kenntlich ist Hackert und die große Lade wäre gleich verrathen, wenn er auf gewöhnlichem Wege käme. Vertrauen Sie!
Die Freunde hörten gern ihre Ermuthigungen, hielten es indeß für hoch an der Zeit, daß etwas geschah, um über diesen unermeßlichen Verlust Gewißheit zu haben. Ihre Zuschrift an die Behörden war schnöde und ablehnend beantwortet worden. Um so mehr, hieß es, könnte die Amortisation nicht gestattet werden, als auch der Stecher der Platte zu den Stadtkämmereischeinen seit einiger Zeit verschwunden und es entdeckt wäre, daß dieser mit Hackert, dem wahrscheinlichen Beförderer der Flucht, auf das Vertrauteste bekannt war. Man verwies die Brüder auf die feierliche Übergabe, den eignen Frevel der Flucht und der Wiederaneignung, man erklärte sich nur vor einem Nichteinhalten der Emissionstermine wahren zu wollen und verwies die Bittsteller auf die Folgen ihrer Unternehmungen, die sie sich selber zuzuschreiben hätten.
Am Tage des Nikodemus, den 15. September, sollte der erste Bundestag auf dem Tempelstein gefeiert werden. Der Königliche Hof war zufällig zu gleicher Zeit in Buchau zugegen. Leidenfrost richtete es im Interesse der Sicherheit der Versammlung so ein, daß schon den 8. September alle Arbeiter des Baues auf zwölf Tage entlassen wurden. Die Löhnung wurde gezahlt, als wenn sie arbeiteten, aber die Pause sollte, hieß es, benutzt werden zu künstlerischen Arbeiten, zu denen fremde Steinmetzen, fremde Maler, fremde Bildhauer kämen, die man einige Tage allein auf dem Bau wollte walten lassen. Den 20. wieder sollten alle Arbeiter, die bisher in Thätigkeit gewesen waren, zurückkehren und bis in den Winter an einem Werke schaffen, das Jahre brauchte, um so vollendet zu werden, wie Dystra und Leidenfrost es im Geiste vor sich sahen und Dankmar Wildungen es für die Schleier, die er lange auf die hier zu haltenden Versammlungen des Bundes werfen wollte, für nöthig halten mußte.
Sein Herz bebte bei jedem Tage, den er näher zum Ziele kam. Alles fügte sich nach Wunsch, jede selbst unerwartete günstige Wendung traf überraschend ein, nur der Schrein blieb aus. Hackert war entweder todt oder verschollen oder entflohen. Dankmar's Verzweiflung gränzte an völlige Trostlosigkeit. Er hatte gerade diesen Besitz für unerläßlich zu der nächtlichen Versammlung auf der Tempelabtei im Walde gehalten, er hatte nichts zurückgenommen von den hochherzigen Verheißungen, die er und sein Bruder der Zukunft des Bundes gegeben. Hatte der Erfolg des Prozesses auch hinter den Erwartungen zurück bleiben müssen, es war genug gewonnen worden, um seine Absicht zu unterstützen, dies Erbe des Johanniter- und Templerordens den neuen Rittern vom Geiste als ein Eigenthum zuzuführen, von dem er für sich und den Bruder nur so viel beanspruchte, um als Verwalter desselben gegen Sorge und Noth sichergestellt zu sein. Er wollte auf halbem Wege nicht mehr still stehen. Was er einst verheißen, mußte erfüllt werden und jedes Bundesglied, es mochte so uneigennützig fühlen, wie die Brüder selbst, mußte doch zugestehen, daß ohne äußere Mittel ein Wettkampf mit den in Gold und Eisen gebetteten Irrthümern und Thatsachen dieser Zeit nicht möglich war.
Am 10. September, als Dankmar Wildungen schon einen Aufruf um das unwiederbringlich verlorene Vermögen für alle Zeitungen geschrieben, kam Louis Armand mit der frohen Botschaft: Noch drei Tage und Murray, Hackert und der Schrein sind da! Er zeigte einen Brief, den er durch Dystra empfangen. Murray schrieb Louis Armand von einem einsamen Fährhause am Rhein einen ausführlichen Bericht, von dem nicht Alles auf die Freunde berechnet war. Er las nur Das vor, was ihnen Beruhigung geben mußte. Der Hort ist da! rief Dankmar und halb spottend setzte Leidenfrost hinzu: Der Nibelungen Noth hat ein Ende.
Der Brief, der in seiner ganzen Ausdehnung nur für Louis Armand berechnet war, lautete so:
»Mein theurer junger Freund! Seit einem Jahr erfuhren Sie nichts von mir! Ich benutze die Adresse des Herrn von Dystra, mit dem Sie wie mit Ihren Freunden verbunden geblieben sind, um Sie mit Vorfällen bekannt zu machen, die ich Sie bitte, sogleich irgendwohin und irgendwie den Brüdern Wildungen melden zu wollen. Ich weiß von Louise Eisold, daß Sie Alle um den Tempelstein verkehren und ich schreibe lieber Ihnen, weil ich mehr sagen muß, als was den Andern verständlich ist. Kurz vor Ihrer Ausweisung aus der Residenz hatt' ich den Sohn gefunden, dessen Geschichte ich Ihnen unter Sturm und Regen in dem Eckzimmer des Schlosses Hohenberg in mir unvergeßlichen Stunden erzählte. Ja, Theurer, Ihnen dank' ich diesen Fund! Jener zerbrochene Ring, den Sie mir, als Sie aus dem Gefängniß mich erlösten, übergaben, dies Andenken an die düstre Vergangenheit, grauenhaft noch durch die letzte Erinnerung an das Forsthaus im Walde und den Tod, den ich dem eignen Bruder geben mußte, dieser Ring führte mir den Sohn zu, den ich so antraf, daß ich ihn zu bergen hatte, nicht jubelnd meinen Freunden darstellen konnte, selbst wenn ich vor Ihnen hätte wagen wollen, was ich selbst bei einem Engel an Güte und Liebe, der mein Sohn wahrlich nicht war, vor der Welt nicht wagen durfte. Ich zog mich in meinen Schmerz zurück. Ich sah in Hohenberg, wie ich verfolgt wurde. Ihr Zeugniß, das mich des Läugnens überhob, rettete mich, wenn ich Rettung diese Freiheit nennen darf, die mir die bittersten Erfahrungen zuzog. Meinen Sohn fand ich nur in dem Augenblicke bewegt, wo er einen Vater auf dem Friedhofe gefunden hatte. Nur zu bald sank er in jene sittliche Nacht zurück, die ich damals schon in Hohenberg ahnte. Gewaltsam wollt' ich diese Nacht nicht erhellen. Ich erfuhr an Auguste Ludmer, wie das Auge des Geistes nur allmälig an den Glanz der Tugend sich gewöhnt. Ich zitterte vor dem Gedanken, noch einmal ein Gefäß der göttlichen Gnade durch gewaltsamen Eifer zu zersprengen. So ließ ich den Sohn gewähren und war nur froh, daß es ihm in meiner Nähe wenigstens – wie dem Hund am Ofen war... Ich kehrte zu meiner Kunst zurück, fand in Oleander, jenem Vikar aus Plessen, ein treues Herz, wirkte mit ihm für die Armen und Elenden und machte damit sogar ein thörichtes Aufsehen, ob ich es gleich vermied, von meinem Wirken zu sprechen und mich der Erfolge zu rühmen, die nur zu oft auf diesem Felde täuschende sind. Ich erhielt den Auftrag, die Scheine zu stechen, die die Verwirklichung der Erbschaft Ihrer Freunde wurden. Denken Sie mein Gefühl! Denken Sie an den Baron Grimm, an seine geheime Kammer, an seine falsche Kunst und jetzt derselben Gesellschaft, der ich noch meine Strafe schuldig bin, meine nun in Wahrheit dienende Hand! Sie kennen die Flucht Dankmar's, den Raub des Schreins, in dem so große Schätze aufbewahrt wurden. Der Räuber und Förderer der Flucht war mein Sohn. Man nannte ihn Fritz Hackert, nur mir galt er bisher allein für Paul Zeck; der Mutter hatte ich die Gelegenheit zu neuem Frevel nicht geben wollen, auch ihm selber nicht, ich verschwieg ihm seine Abkunft und bei seinem Sinn reicht' es hin, daß er sagte: Ich wußt' es ja immer, gestohlen hab' ich mich in die Welt, ein Bastard bin ich, ungerufen nur gekommen! Den Aufschwung meines Sohnes zu dieser That hab' ich erst verstanden, seit ich weiß, daß er damit viele seiner Leidenschaften hat befriedigen wollen. Ich weiß, der Stolz, die Eifersucht, ja sinnliche Liebe haben diese That geweckt. Stolz, daß ihn die Freunde bewundern sollen, die Eifersucht, daß ein Andrer Namens Danebrand mehr thun sollte als er; die Liebe – für ein edles seltenes, wenn auch zu weltliches und zu überreizt im Hasse lebendes und den Haß für Religion nehmendes Mädchen. Zwei Frauen waren zu allen Zeiten die, die den Sohn regieren konnten, beide muthvoll, beide dem Seltsamen und Ungewöhnlichen zugethan, jene schön, diese kaum ihr Schatten, aber schön durch Heroismus und eine amazonenhafte Tugend. Sie werden meinen Sohn sehen; Sie kennen Louise Eisold! Prüfen Sie, ob da nun Feuer und Wasser oder Stahl und Stein zusammenkommen würden! Mein Sohn erfand diese Flucht und wurde, als Danebrand vom Blei der Wächter getroffen in dem Durchbruch der Mauer ausathmete, von dem stürzenden Schrein fast erschlagen. Das Schlüsselbein der rechten Schulter fand sich später gebrochen. Dennoch rafft' er sich auf. Er hört den Lärm der Wachen, winkt, daß Dankmar sein Heil in der Flucht suche, ladet in der Erregung des Augenblicks die an einer Seite geborstene Truhe auf die linke Schulter, flüchtet in das Dunkel der Johanniskirche, irrt auf dem Platze um sie her, sieht Schlurck's Wohnung, will dort Hülfe suchend an der Klingel ziehen und hofft sich in der Komthurei bergen zu können. Da entdeckt er einen Mann, der eben bei Schlurck's das Haus verläßt. Er wankt näher, er blickt hin. Er erkennt schon den Schreitenden. In der Nacht um ein Uhr, verläßt Jemand – und Dieser! – das Haus? Was ist Das? Statt an der Komthurei sich zu verweilen, folgt Paul dem in nächtlicher Stille dahinschreitenden Mann. Was bezweckt der Mann in so tiefer Nacht? Die Spannung der Neugier gibt ihm den Muth, seine Bürde weiter zu tragen. Ohnehin ohne Schuhe auftretend folgte er dem taumelnden, wie bewußtlos schwankenden Wanderer. Das Rasseln des Wagens, mit dem Dankmar entflohen, ist längst verhallt, die Verfolger, die er wohl anfangs auf seinen Fersen merkte, verloren die Fährte, er folgt dem Mann, der einem Thore zuschreitet. Das Thor ist wie immer nächtlich nur angelehnt, man öffnet sich es selbst. Hinaus schreitet der Taumelnde in einen Wald, der am Rande des Flusses liegt; sonst war er dicht und voll von Bäumen dieser Wald, jetzt ist er durchsichtig und seines besten Schmuckes beraubt. Der Mann selbst da vor meinem Sohn, als Administrator der alten Stadt-Waldungen, hatte ihn so lichten lassen. Nichts merkt er von Hackert, der zum Tode erschöpft mit dem Schrein ihm folgt, still steht, wenn Jener steht, weiter schleicht, wenn Jener vor ihm hintaumelt. Endlich stehen sie am Ufer des Flusses. Eine verschwiegene, düstere Stelle. In einiger Entfernung das Jagdhaus, in dessen Nähe mein Sohn einst einen bösen Frevel an Pferden verübte. Ihn schauderte, je näher er der Stelle kam, die ihm die unheimlichsten Erinnerungen weckte. Der Schrein schien ihm jetzt schon gezogen wie am Lenkseil des Schicksals oder seines Gewissens. Er war durch die Brandgasse, an Lasally's Reitbahn vorüber zu diesem Jagdhaus dem Manne ächzend nachgeschlichen. Des Mannes Vorhaben war ihm sogleich bei dem ersten Erkennen kein Räthsel. An eine Eiche beim Wasser lehnt sich der nächtliche, den Lauscher nicht ahnende Wanderer. Er blickt nach der Gegend des Sonnenaufgangs, noch liegen dunkle Schatten auf dem Wasser, das ruhig dahinwogt und durch hohes Schilf sich hindurchwindet, geheimnißvoll still. Mein Sohn ahnt, was geschehen wird. Die letzte Kraft, deren sein Arm noch fähig ist, wendet er an, dem Schrein mit den Händen eine Vertiefung in der Erde zu graben. Er kratzt mit den Nägeln, gräbt mit den Füßen, er preßt den Schrein in eine Öffnung, die er mit Gras verstopft, mit Laub bedeckt und mit Zweigen, still von den Bäumen gebrochen, überbreitet. Jetzt wagt er sich dem am Ufer Brütenden, am Eichbaum Niedergesunkenen näher. Der sitzt, sieht in den rothen Osten und grübelt. Endlich erhebt er sich. Eine Stunde ernsten Nachdenkens schien vorüber. Immer mehr röthet sich der Horizont. Schon manches Vögelchen regt sich im Ast über ihm. Der Grübler erhebt sich, bindet sein Halstuch los, wirft seinen Rock von sich, tritt dem Ufer näher, späht um sich und ist eben im Begriff, in der stillflutenden, morgenrothüberschienenen Welle seinem Leben ein Ende zu machen, als ihm aus dem Gebüsche sein Name zugerufen wird. Er stutzt. Paul reißt das Strauchwerk, das ihn schützt, mit letzter Anstrengung auseinander und schwankt dem Ufer näher, halb in den Sand sinkend, halb am Eichbaum sich haltend, wo das Tuch, der Rock, der Hut liegen. Hackert! ruft der Selbstmörder und verliert den Muth zu einer entsetzlichen That, deren Schein ich mir einst, wie Sie wissen, selbst am Hudson gab. Er schwankt zurück aus dem Wasser, das schon seinen Fuß benetzt hatte, erkennt einen ihm wohlbekannten jungen Mann, findet ihn hülflos, erschöpft, stöhnend, hört die Vorwürfe, die ihm für sein Beginnen von einem Menschen gemacht werden, der eben selbst zu sterben scheint. Eine Erörterung, zu der mein Sohn keine Kraft mehr hatte, ersetzte ihm ein Gegenstand, den er halbbewußtlos stumm dem Selbstmörder darreichte. Es war ein Paket von den aus der Lücke des geborstenen Schreins entglittenen Stadt-Kämmereischeinen. Was dann mit Paul geschah, weiß er selbst nicht. Er kam erst zur Besinnung in jenem Jägerhause, hörte, daß ihn dorthin ein Mann in früher Morgenstunde zur Verpflegung übergeben, sich entfernt hatte, wiedergekommen wäre und daß er schon seit acht Tagen hier in diesem Hause verpflegt würde und meist im Fieber läge. Ihn aber quälte nur der Schrein unter den Zweigen, auf den er sich bald besonnen. Er forschte. Man sprach unverfänglich. Dennoch ließ ihm die Gefahr seines Kleinods keine Ruhe. Ohne Zweifel trieb ihn die alte Sinnenstörung, die Mondsucht, von seinem Lager, wo man ihm aus Rücksicht auf den vornehmen, wohlbekannten Mann alle Sorgfalt widmete, trieb ihn hinaus in den Wald, in's Gebüsch, wo der Schrein von ihm verborgen unter Moos und Zweigen ruhte. Dort schnupperten ihn an einem Morgen Jagdhunde auf, denn auf dem Schrein war er eingeschlafen. In der zweiten Nacht dieselbe unwillkürliche Angst im Traum, wieder findet man ihn an jener Stelle. Er ahnt, daß man Verdacht schöpft. Da treibt ihn wie rasend empor die Vorstellung der Entdeckung. Der, den er vom Selbstmorde rettete, war auf's Neue da gewesen, hatte mit ihm freundlich geredet; er besann sich wohl im Fieber der Worte: Hackert, du hast den Schrein gestohlen! Gib ihn heraus! Die Scheine, die du mir gabst, betrugen mehr als fünftausend Thaler! Was beginnen wir damit, Junge? Wo ist der Schrein? Du hast ihn? Und als Paul Zeck sich im Bett wälzte, drohte ihm, er wußte nicht ob wirklich oder nur in Phantasieen, der Gerettete, sprach von Gerichten, wollte den Wald von Oben zu Unterst kehren lassen – da war, erwachend zur Besinnung, sein Entschluß gefaßt. Unbekannt mit dem Bruch des Schlüsselbeines, einem Schaden, den man lange tragen, lange nicht merken kann, schleppt er sich endlich davon, holt den Schrein und wagt sich mit ihm in Richtungen weiter, die nach Westen gehen. Er findet da und dort einen Träger, einen Bauer, einen Burschen, Leute, die ihm helfen. Vorläufig nach dem Harze, nach Angerode zu! war seine Loosung, wenn er einen Bauernwagen traf und um Aufnahme bat. Aus Wald und Nacht wagte er sich nicht mehr hinaus. Hinter der Elbe trifft er auf einem Kreuzweg einen Mann, der traurig und nachdenklich auf einem Karren sitzt, auf dem er große Kästen voll kleiner belebter Vogelbauer fuhr. Warum seid Ihr traurig, Mann? fragte mein Sohn, sich mit seiner Bürde mühsam hinschleppend. Mein bester Freund und Gönner ist gestorben, sagte der Vogelhändler. Er nannte den Präsidenten des Obertribunals, den greisen, fast neunzigjährigen Dagobert von Harder. Er liebte die Thiere mehr als die Menschen! sagte der Mann. Wenn ich zu ihm kam mit meinen Vögeln, nahm er mich auf wie einen Freund, es wird die letzte Fahrt von Angerode sein. Paul, mein Sohn, wußte, daß diesem Greise die Entscheidung des Johanniterprozesses gebührte. Ist der Rabenvater todt? fragte mein Sohn. Er faßte aber den Vater der Raben nicht wie der Vogelfänger auf, sondern im Bezug auf den Rabenstein. Höre, sagte Paul, laß den Schrein da auf deine Karre zu den Vögeln thun: sie kommen alle aus demselben Reich der Luft und die alte Exzellenz wird um uns sein und unsre Habe beschützen! Der Vogelhändler betrachtete befremdet das seltsame Stück. Plaudernd erreichte der Kranke seinen Zweck. Der Schrein wird aufgeladen. Um den Buchfinken und Zeisigen den Wald auch auf der staubigen und sonnigen Landstraße zu zaubern, belegte ihn Paul behutsam mit abgebrochenen Zweigen, die den Schrein verdeckten. Man sah nur die hüpfenden Vögel, nicht den Schrein; der Vogelhändler schob den Karren. Paul schleppte sich hinter her. Fiebernd, elend, hinkend, mit aufgeschwollener Entzündung der Brust, aber ungefährdet kam er in Angerode an, wo der Fuhrmann Peters seine Loosung war. Er fand ihn auch, den neuen Wirth vom Pelikan, der Dankmar bis Angerode gefahren hatte und dann in der Stadt verblieb, bis er da ein kleines Besitzthum verkaufen konnte. Die schmerzende Schulter hielt Peters erst nur für verrenkt. Er nahm Paul, hob, reckte ihn, wie Fuhrleute pflegen, wenn sie einen Fall erlebten. Paul schrie so laut, daß er in dem Stall, wo ihn Peters barg, kaum sicher war. Mitleidig, sagt' er mir, schauten sich sogar die Pferde um. Im Fieber war's ihm, als wären sie alle todte Gerippe und sausten durch die Luft mit klappernden Gebeinen, bohrten die Köpfe an Eichenstämme und in die Erde und sprangen wieder empor, daß sie auf den Hinterfüßen überschlugen. Den Schrein kannte Peters wohl. Er hatte den wol hüten gelernt, er und sein Hündchen Bello, den vorbeisausend bei der Flucht am Pelikan ihnen die dort harrende Louise Eisold noch nachwarf. Er wäre vor vierzehn Tagen vom Profoßhaus lieber mit Dankmar und dem Schrein zugleich zurückgefahren. Paul galt nun bei ihm für einen verunglückten Pferdeknecht. Ärzte kamen, erkannten den Bruch, preßten die Knochen in Verbände und kühlten den Brand, den sie fürchteten. Paul lag bei den Pferden über der Futterkammer und ächzte. Vor dem Niederlegen im Verband raffte er die letzte Kraft zusammen und schrieb mit der linken Hand an Louise Eisold. Peters konnte nicht schreiben, nur ein Packet Geld legte er aus dem jetzt von dem treuen Fuhrmanne fester verschlossenen Schrein für Dankmar Wildungen bei. Peters blieb noch in Angerode. Es war sein altes Häuschen, sein alter Stall, den er verkaufen wollte. Der Brief wurde irgendwo auf dem Lande zur Post gegeben. Peters hütete den langsam Genesenden, der nie würde haben ruhen können, wenn seine ausgestreckte Hand neben sich unterm Stroh nicht das Holz, das Kreuz, das Kleeblatt des Deckels gefühlt hätte. So bekam ich endlich Nachricht von meinem Sohn durch dritte, vierte Hand. Es war die höchste Zeit, daß ich mich entfernte. Rodewald, mein alter Freund, kam eines Tages voll Erregung und gestand mir, daß er nicht anders gekonnt hätte, als der Mutter meines Sohnes das Leben wenn nicht des Vaters, doch ihres Kindes wie eine Drohung von jenseits des Grabes zuzurufen. Seine Gründe waren gerecht. Mein Entschluß mußte aber gefaßt sein. Schon lange hatte die Untersuchung der Flucht auch meine Person gefährdet; nun konnt' ich neue Schrecken ahnen. Ich wußte, wo Hülfe nöthig war. So ging ich heimlich nach Angerode, lebte dort verborgen, bis Paul zur Reise nach dem Tempelstein sich stark fühlte. Dorthin rief ja die Loosung. Louise Eisold soll den Schrein von ihm selbst empfangen, den unversehrten und nur in Dem, was ihm an jenen Mann, der sich das Leben nehmen wollte, verloren ging, an Werth verringerten. In drei Tagen, Freund, sind wir am Tempelstein. Ich hüte den Schrein am Tage, Paul des Nachts. Sein Übel ist in alter Gewalt entstanden, aber des Vaters Auge wird ihn schützen. Diese Hingebung jetzt an ein Einziges, diese Mühe und Sorge um ein verpfändetes Wort wird seine Gedanken reinigen. Ich werde nicht erröthen, Ihnen den Sohn zu zeigen, den ich Ihnen verdanke, Ihrer treuen Aufopferung, Ihrer Liebe. Empfangen Sie uns mit dem alten Herzen – darum brauch' ich kaum zu bitten – aber empfangen Sie uns auch mit Freude – das muß vom Himmel kommen.«
Sorglos, überglücklich, sahen nun die Freunde dem Tage der Entscheidung entgegen, der endlich bedeutungsvoll genug herankam.
Feuerraketen stiegen von den Bergen auf, um den Einzug der Mächtigen auf das Schloß von Buchau zu verkündigen. Die Umwohner des Tempelsteins hörten die Böller lösen, hörten das Rollen der vielen langspännigen Staatswägen, hörten die Ruderschläge auf goldgeschmückten Festesgondeln von den blauen Wogen her. Es war die alte Welt, die sieggebläht zur Herbstesfreude vom Osten einzog.
Es kam der Abend des fünfzehnten Septembers, der Tag des Nikodemus... Schon um sieben Uhr Abends vergoldete des Mondes Licht den Wald, die Flur, den Strom, Berg, Schloß, die Ruine... das Vergangene, das Bestehende und das Werdende...
Ich will ein Kind sein, sagte sich Dystra, ich will diese Nacht für ein Märchen nehmen. Ich weiß, daß dort drüben heut in Buchau Leuchtkugeln steigen. Die Raketen und die Schwärmer werden prasseln. Aber ich will das Zaubervolle näher suchen. Die Fäden, die das Wunder am Drahte natürlich lenken, kenn' ich wohl, weiß auch, daß unter dem Menschenstrom, der heut nach Buchau zum Feuerwerk der Könige wallt, die Maurer und Zimmerleute nicht auffallen werden, die sich zum Schlosse Tempelstein wenden, an der Brücke vor dem Meister Leidenfrost die Kundschaft sagen, emporsteigen und hinten in die Ruinen treten, wo Dankmar Wildungen sehen will, wer sich nun meldet, wer sich enthüllt, wer zu seinem Bund gehört, den ich selber nur belausche. Ich nehme das Seltsame, wie es ist. Ich nehm' es als eine Phantasie dieser wunderlichen deutschen Nation und will von einem alten Leichenstein des Kreuzganges aus dem Herbstnachtstraume zusehen, wie ich in den Sagen lese, daß einst Hirtenknaben sich verirrten in den Untersberg oder den Hörselberg oder den Kyffhäuser und die Felsen geöffnet sahen und das Treiben der Zwerge und Kobolde belauschten. Ich will für Märchen nehmen, was ich sehe und froh sein, daß ich nicht mehr nöthig habe, mir über die Feuerwerke der Höfe den Hals auszurecken, was freilich für meinen Wuchs nützlicher wäre, wär' es nicht zu spät. Dieser Nacken bleibt leider in den Schultern sitzen und gehört zu meinem Bild: Der Narr des neunzehnten Jahrhunderts.
Das Märchen wurde in der Nacht geträumt, vielleicht erlebt... Es war wie die Sage erzählt... Ein Knabe verirrt sich in die Berge, die Nacht beschleicht ihn, sein Auge späht durch eine Felsenritze, er sieht, was sich begibt... Und was begab sich?...
Hoch ragt das gewölbte Rund der alten Tempelkirche, malerisch vom Mondlicht umwoben. Zitternd blitzen die Sterne hernieder. Die Tannenwipfel rauschen, leise vom Winde bewegt. Jeder Stein, den uraltes Moos wie eine Inschrift überzieht, spricht von vergangenen Jahrhunderten und singt in sich erklingend noch das Sanctus nach, das einst in diesen Hallen tönte. Wer pflanzte den Hollunderstrauch in jene Nische, wo einst die Heiligen aus bunten Farben in den Fenstern prangten? Wer säete Heidekraut auf diese Stufen, wo einst der aus Felsen gehauene Altar stand? Noch ist die Schaale da, in der geweihtes Wasser floß; sie und der Taufstein sind gefüllt vom letzten Regen, der an der Luft verdünstete. Sichtbare Höhlungen noch auf den Schwellen, wo einst der Priester die Messe las. Die Vögel nisten in den Blättern von Stein, die die obern Fensterrundungen schmücken, in den Rosen von Granit, die an den Pforten noch in einigen Resten erkennbar sind. Es ist als blühten sie neu wieder auf. Es rauscht von den Wänden, als spränge aus den Steinen die Orgel hervor, es lebt und ruft den frommen Wallern... Sie kommen! Nicht um zu beten nur! Sie sind in Werkeltagstracht, Arbeiter im Schurzfell, gedungen der Kelle, angestellt bei dem Richtmaaß und dem Cirkel, sie sind Architekten, Steinmetzen, Maurer... wie klatschen die ledernen Schurzfelle an den Füßen, wie trägt das Antlitz Spuren des Fleißes von Kalk und Mörtel und groß muß ihr Ziel sein, denn ihrer wol an Hundert sind es, die sich durch den Kreuzgang der Kirche zudrängen!
Hier werden Loosungen zugerufen; man versteht, man erkennt sich. Wer die Männer? und Von wo des Landes? Namen, gefeierte und dunkle; Mienen, freudige und hoffnungsvolle. Um die Stelle, wo einst der Priester Messe las, schaaren sich die Männer des geistigen Rütli. Etliche besteigen die Stufen. Wovon reden sie? Sie enthüllen Pläne, Zeichnungen, Pergamente mit Siegeln. Sie zeigen sich unter einander die Rollen, die im Kreise wandern und Einer ergreift das Wort und ihm antwortet der Nachbar und Alle hören und Jeder spricht und räth und Allen gefällt, was auch nicht Jeder selbst ersann und zuerst gerathen. Einige Blätter sind in Jedes Hand. Sie enthalten des Bundes geheime Symbolik.
Hundert Zeugen! Die Kubikwurzel einer Million! Wir sind Boten vom vierblättrigen Kleeblatt, dem Symbol des seltenen Fundes! Vier zu vier gesellt und viermal vier zu viermal vier und so hinauf in Gruppen, Sippen, Abstufungen, wo das Band des äußeren Zusammenhanges aufhört und die Ordnung der Natur anfängt, die dem Krystall überall sein eignes Achteck lehrte. Hat sich das so fortgesponnen? Von selbst? Wodurch? Wer bist du? Und du? Wer sandte dich? Dort kennt man uns? Auch uns? Dich gewiß! An der Donau? An der Oder? Am Neckar? Hinaus in die Alpenwelt und schon auf fremdem Boden an der Rhone und an dem Themsestrand? Willkommen, willkommen, Streiter für ein unsichtbares Palladium, das über unsern Häuptern schwebt! Willkommen Ihr Ritter und Reisige vom Geist! Hört Ihr die Feste der Großen, hört Ihr von untenher den Donner der Geschütze, seht ihr die leuchtenden Funken, die da unten von Buchau aus den Mond erreichen wollen? Ihr habt Eure Wehr und Waffen in der Brust, die da fühlt, im Haupt, das denkt! Es ist die Ordnung dieser Welt zur Ernte reif! Nicht stürze sie die schwache Menschenhand! Gestorben ist die Ähre längst, wenn sie der Schnitter mäht! Seht Ihr die gelben Felder? Seht bald die Stoppeln! Dem festverschlungnen Bund der neuen Templer gehört die Wiege und das Grab der Menschheit!
Und einer der Maurer, von den Jüngsten Einer, trat auf und entrollte die Schrift, die er das Buch des Geistes nannte... Es war die Symbolik des Bundes... Man hörte sie, beschwor sie mit gehobenen Händen... dann trat derselbe Sprecher zum zweiten Mal auf die Stufe und sprach von einem Hort, den er das Gold Fafner's nannte. Elfen hätten ihn gewoben in den tiefsten Schachten der Zeiten. Er sollte ihnen dienen als Schild im Kampfe, als Lanze zum Angriff, als Schwert des Wettkampfes. Es traten Sprecher auf, die gegen diesen Hort redeten, Andere für ihn, Alle bewunderten die Eigner und eine Selbstlosigkeit, die aber zuletzt nicht mehr allein stand, denn an Opferspenden wurde Großes versprochen nach solchem Beispiel, noch Größeres schon von Einigen geleistet.
So scholl es fort in dem todten Schiff der Kirche, lebendig wieder, lebenweckend. Es schienen nur einfache Maurer und Steinmetzen, die da sprachen, aber ihre Münster, die sie zu vollenden gedachten, ragten über die Ruine hinaus und von ihrem Wirken in Nord, Süd, Ost, West blitzte es jetzt schon hin- und herüber, als sähe man plötzlich eine Hülle von der ganzen Welt genommen und erblickte Säulen eines Zaubertempels, der dem Lauscher die Augen blendete...
War es ein frommer Hirtenknabe, war es der Schalk Dystra, der lauschte, war es ein Engel des Glaubens oder der ewige Dämon der Ironie und Verneinung... um zehn war es auch ihm todtenstill unter den moosbewachsenen Steinen... wo waren sie hin, die gekommen und mit dem Rufe: Morgen! Morgen! gingen? Sie waren verweht wie die Schwärmer und Raketen, die inzwischen in dem Schlosse von Buchau platzend und schnurrend sich abgemüht, viel tausend Gaffer, viel tausend Staunende gefunden hatten, aber nicht ein Auge von Denen, die durch den Kreuzgang in die Tempelkirche schritten, nicht ein Auge, das sich auch nur nach ihrem ohnmächtigen Freudenfeuerwerk zurückgewandt hätte...
Morgen! Morgen!
Aber ach! Ein einziger Funke! Ein einziger Funke vielleicht war von dem Feuerwerk doch ein Thatenkeim gewesen, ein einziger Funke, der in das Dorf, das menschenleere, in den kleinen Zwischenort Buchau, von dem Feuerwerk der Großen und Mächtigen niedergefallen war und still sich vielleicht in dem Schindeldach einer armen Herberge verlor. Alles war zur Ruhe, Alles träumte oder schlief mit ermüdeten Thieren um die Wette. Da lebte der versprengte Funke vielleicht in dem Schindeldache auf, verbreitete sich. Um eilf Uhr sank vielleicht ein glimmender Spahn vom Dache in den Boden. Um zwölf Uhr rauchte es vom wenigen Heu, dessen Flamme einen Ausweg suchte. Um eins wenigstens rief man auf eine halbe Stunde vom Dorfe entfernt Feuer!... Feuer! Schrecklich pflanzte sich der Ruf von Hütte zu Hütte fort. Um zwei Uhr stand das Wirthshaus zum St.-Georg im Dorfe Buchau in lichten Flammen... Von dem Funken aus dem Feuerwerk der Könige? Wer weiß es! Wer kennt die Macht eines einzigen Funken!
Menschen riefen, die Glocken heulten, Pferde sprengten... hinaus, heran,... Feuer! hallte es zum Ufer hinüber, vom Ufer herüber. Fürst, Bauer, Pächter, Soldat, Jäger, Weiber, Kinder, Greise durcheinander... Feuer! Feuer!... Rettet! Es brennt! In Buchau! Die Herberge zum St.-Georg! Die Hütten nebenan sind von Stroh, von Lehm, sie brennen... von dem kleinen Funken? – Die Flammen züngeln zum Kirchthurm – von dem kleinen Funken? Wild rennt das Vieh aus den Ställen, stürzt sich zum Feuer, die Vögel umkreisen die Flammen... Nur der Ruf: Niederreißen! Nicht löschen! Nur retten, retten, was sich erhalten läßt... und von dem kleinen Funken? Ha! Zünden so vielleicht auch eure Funken, ihr nächtlich Tagenden in der Tempelabtei? Schwarze Wolken wallen wie Helmbüsche der Reiter im Sturm, die Flammen züngeln wie zur Umarmung sich entgegen... sie suchen sich, gierig, zuckend, liebe- oder hassesvoll... es gelingt... eine einzige Riesensäule hat sich gebildet, heiß jubelnd springt sie hoch empor, umschlungen in sich selbst wirft sie sich wie gepeitscht von ihrer eigenen Leichtigkeit, wie tanzend, wie im Kreisel hin und her und küßt dieses Dach, berührt jenes und aus jeder Berührung, aus jedem Kusse wächst eine neue Flammengeburt und die Saatkörner auf den Scheunen fangen neue Funken auf und knistern schon selbst und umhüpfen die große Flamme wie ein niederperlender Feuerthau, wie ein Lichtregen, viel schöner, als vor drei Stunden im Schlosse der künstliche... und Alles von dem kleinen Funken? Wir wissen es nicht, ob von ihm... Aber es fehlen schon Menschen... Man sucht sie... man hört Stimmen... der Frauen, der jammernden Kinder... Vater! Mutter! Um Gott! Es fehlen schon Menschen...
Rettet! Rettet! ruft eine verzweifelnde Stimme...
Man blickt empor zu den brennenden Hintergebäuden des Gasthofs zum St.-Georg... Da!
Durch die flatternden im Rauch sich geisterhaft abschneidenden weißen Tauben, durch die schwarzen strömend hinwallenden Wolken hindurch sieht man, zwischen zwei brennenden Scheunenfenstern auf einem noch nicht vom Feuer ergriffenen, aber schon rußgeschwärzten Verbindungsstege, der aus jenen Fenstern Thüren macht, die sich auf diesem Stege erreichen lassen, einen jungen Mann halb nackt, im Hemde, niedergekauert an der einen Thür, einen großen alterthümlichen Schrein neben sich auf dem Stege und eingeschlafen... oder wacht er? Oder träumt er, daß er, des Gewühles nicht achtend, der Flammen und des Rauches nicht gewahrend, auf jenem Balken da kauert, der ihm nur den Ausweg zu verkürzen schien und ihn zu einer geschlossenen Thüre führte? Man drängt sich ihm zu helfen, aber so sicher ruht er auf dem Schrein und hält ein Licht in der Hand. Ein Licht in diesem Flammenmeer? Ein Licht, ein Gluttropfe in solchen Glutströmen? Von diesem Lichte – wenn von ihm die Glutströme gekommen wären? Nicht von der Freude der Könige? Wenn ein Frevler – nein, nein, das ist die Haltung eines Frevlers nicht! Er sitzt ja mit dem Licht in der Hand auf dem Schrein, den Rücken an die Thür gelehnt, die er offen erwartete, geschlossen fand, er ist erstickt, er suchte Rettung oder... gräßliche Ahnung, die schon einige Menschen durchzuckt, wenn er lebte, von allen diesen Schrecken schlummernd nichts ahnte, diesen schwindelnden Steg schon vor dem Brande gesucht, den Brand veranlaßt hätte – wenn er ein Nachtwandler wäre –!
Das war ein Wort, das Alle auf einmal ergriff...
Ein Mann in schon zerrissener Tracht ruft durch den schwärzenden Qualm – Er bricht sich durch die Flammen Bahn, er erklimmt die innern Stiegen des verschlossenen Hauses, reißt die Fenster auf, langt mit der Hand fast hinüber zu dem Steg, auf dem der junge halb Geopferte, auf seiner Bürde schlafend, noch nicht erstickt ruht, den Rücken gelehnt an die geschlossene Thür. Er ruft: Paul! Paul!
Die Flammen schlagen von unten heran auch ihm in's Antlitz. Noch einmal blickt er empor. Paul! Paul! Er sieht nichts mehr. Nur Rauch, Asche, Staub, Flamme... Ein Schrei der hülflos Zusehenden weckt ihm die schaudervollste Ahnung... er schwankt zurück, kräftige Hände tragen ihn, retten den Rettenwollenden vor dem sichern Tode. Ein Mädchen frägt er ächzend, das ihm nachgeflogen war, ihn mit Amazonenkraft getragen hatte, er frägt Burschen, die sie an Muth heldisch überflügelte, nach dem Schlummernden, nach dem Schrein – in diesem Schrecken ist keine Besinnung möglich, keine Auskunft, es ist wie eine große entsetzengepeitschte Flucht, wo Jeder sein Heil für sich selber sucht, betet, daß Gott den Andern wahren möge, für sich aber nur nach Fassung ringt für Das, was Ruhe, Sicherheit und ist es Nacht, der hereinbrechende Morgen dem Auge Grauenvolles wird enthüllen.