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Gravitätisch, wie ein Uhu im Walde, rings von Elstern, Dohlen, Krähen, andrem vorwitzigen Gevögel umflattert, gefürchtet zugleich und verspottet, vom Jäger ausgestellt zur Lockung, wenn er zahm ist, oder in der Wildniß sich selbst preisgebend, wenn ihm die blöden Augen Tageshelle blendet, – sitzt auf dem Korridor des Schlosses Hohenberg bei Plessen unter muthwilligem, hin- und hergejagtem, sich und Andre neckendem Dienstpersonale, unter betreßten Jägern, bunten Heiducken, weiß verhangenen Köchen, Küchenjungen, die wie junge Kakadus den alten nachspringen, unter Kammerzofen und alten borstigen Scheuerfrauen der von der Residenz mit Sr. Durchlaucht gleichfalls angekommene Haushofmeister und Ex-Husarenwachtmeister Wandstabler.
Strohmatten trennen seine schon in aller Frühe eines Sessels bedürftige Person von dem steinernen Estrich der Korridore, die trotz der den ganzen Sommer hier betriebenen Reparaturen und Vorbereitungen zum würdigen Empfang ihres Herrn nicht jenen luftdichten Thür- und Fensterschluß haben wie das hochfürstliche Palais in der Residenz. Da lagen zwar viel neue Teppiche auf den Treppen, die Wände waren frisch getüncht, die Plafondsstukkaturen in ihren Defekten ergänzt, Blumen und Vasen zierten nach den Angaben der jungen Fürstin jede unschöne Nische, jeden harten Winkel, jedes kahle Fenster, aber die gebrannten Geister zwickten und zwackten schon in aller Frühe an der menschlichen Aufschwemmung, die da im schwarzen Frack, in Schuh und Strümpfen im Sessel sitzt mit gewichstem Schnautzbart, wie in dieses Fürstenthums militärischen Zeiten, und sich bei jedem Klingeln in und außer dem Schlosse erhebt, um der Würde, die ihr der junge Fürst aus Gnaden gelassen hatte, doch einigermaßen noch zu entsprechen. Aber es zwickte hier, es zwickte dort in den alten Gliedern. Alle Kriegsthaten, alle Kriegsstrapazen regten sich und wenn auch Doktor Reinick erklärte, in diesen Schultern, den Armen und den Füßen rumorte weit mehr die behagliche und frohgenossene Metternich'sche Friedensepoche, die verschiedene Erklärung der Ursachen hob die Wirkung nicht auf. Die beste Behandlung hatte Drommeldey in diesem Falle in der homöopathischen gefunden. Hier ließ er die Wirkung durch die ihm wahrscheinlichere Ursache bekämpfen. Er rieth, den Schrank nicht zu vergessen, in dem Wandstabler die Schlüssel des Residenzpalais bewahrte, und Dore Wandstabler, die Älteste, verstand den Wink; die gebrannten Geister folgten nach Hohenberg und hielten die rheumatischen Störungen noch in der That am besten ab, eine Methode, die Herr von Sänger, Wandstabler's früherer Ritt-, jetzt Rentmeister, als er bei Sr. Durchlaucht zu Tische und fast jeden Abend zum Thee, aber mit vielem Rum, geladen war, dem treuen Wachtmeister als die beste für den Fall zugestand, daß man nicht in der Lage wäre, auf die zarten Nerven und die empfindliche Laune eines drittgeheiratheten Weibes Rücksicht zu nehmen.
Dore, die Allwaltende in der Residenz, war es auch seit den rasch vorübergeschwundenen acht Tagen hier auf Hohenberg. Schon vierzehn Tage war sie von der jungen liebenswürdigen Fürstin (die bei Egon Alles nahm, wie sie's fand) vorausgeschickt worden, um einen Komfort herzurichten, wie ihn auf dem Schlosse ein Herbstaufenthalt, Egon's erster offner Besuch seiner Herrschaften, bedingte. Die Fürstin hatte nur Komfort verlangt, Pauline von Harder aber, die leider selbst zu kommen sich nicht entschließen konnte, Pauline hatte Pracht bestellt. Der Fürst hielt eine Mittelstraße. Er wünschte viel Menschen um sich her, viel Leben und Bewegung, Zerstreuung, Übertäubung vielleicht, wenn man seine Gedanken ganz errieth. An Einsamkeit fehlte es dem jungen Staatsmann schon nicht. Sein ganzes Herz war schon einsam genug. Es fror schon recht auf den höchsten Gipfeln seiner Wirksamkeit. Er fand dort oben an den Gletscherrändern die Alpenrose Melanie, die durch Selbstbeherrschung, klügste Berechnung aller Umstände und die Förderung der mit Egon wie mit einem Sohne verbundenen Geheimräthin von Harder es dahin gebracht hatte, unter legitimen Bedingungen dem Verfechter alles Legitimen für das Leben anzugehören; aber die Gletscher starrten doch und todtes Schweigen ruhte doch auf ihnen, tiefe urweltliche Stille. In Hohenberg wollte Egon Leben, Bewegung, Zerstreuung, und so war bei seinen geringen Mitteln doch nichts gespart worden, um den Sommer über dies verfallne Schloß, den verwüsteten Garten leidlich wieder herzustellen und den Mittelpunkt der Besitzungen auch zum würdigsten Haupte jener Umwälzungen und neuen Bildungen zu machen, die sich von des Generalpächters gesegneter Hand hervorgerufen hier überall ersichtlich darstellten.
Dorette Wandstabler war ein Genie des Dienens. Den Vater, so lächerlich und so gefährlich sein Beispiel dem ganzen Hausgesinde, das ihn verspottete, blieb, duldete man theils aus Pietät, theils aus Dank für das Talent der Tochter, das selbst die junge Fürstin anerkannte. Es will viel sagen, von einer neuen Herrschaft bewährt erfunden werden, geduldet bleiben nicht aus vorläufiger Politik, sondern aus nachhaltiger Überzeugung. Dorette diente und liebte das Wohlergehen Derer, denen sie diente. Florette und Laura, vulgo Flore und Lore, die beiden jüngeren Schwestern, genossen die Früchte der Mühen ihrer älteren Schwester und konnten mit ihr in Nichts verglichen werden. Die Zeiten der Dore, Flore, Lore waren im Palais des Fürsten von Hohenberg vorüber. Die letzteren wohnten nicht mehr in diesem Palais. War nicht ohnehin der geistreiche Hofrath Stromer im Begriff, vielleicht gar eine von Beiden zu seiner neuen Gemahlin zu erheben? War nicht die schwierigste Aufgabe eines Familienrathes der Wandstablers gewesen, zu entscheiden, wer, wenn Hofrath Stromer den glänzenden Anträgen des Ritters Rochus vom Westen nach der südlichen Hauptstadt folgte, die ostensible Gemahlin des gefeierten, weder dem Islam, noch dem Katholicismus abgeneigten Enthusiasten in der dortigen Gesellschaft und für die Eröffnung seiner projektirten »Cirkel« vorstellen sollte? Man erzählte sich, daß Hofrath Stromer oft von den Diskussionen über die Wahl der eigentlichen künftigen Hofräthin handgegriffne Spuren davontrug. Man setzte seinen phantasievollen Vermittelungen der Gegensätze, seinen Blumenkränzen der Rhetorik, die er um die Schwierigkeiten, zwischen Aspasia oder Diotima zu wählen, versöhnend hing, meist nur Rückfälle in die alte unvermittelte Menschennatur entgegen und stellte ihn, den zwischen silbernen Äpfeln in goldnen Schaalen oder zwischen goldnen Äpfeln in silbernen Schaalen verlegen Wählenden, eher wie Buridan's Esel hin, der zwischen zwei Bündeln Heu in zwei Krippen in der Mitte verhungerte. Aber glücklicherweise rettete ihn und sein ergrauendes flatterndes Haar der Ritter Rochus vom Westen, der ihm als erste Bedingung zum Eintritt in die höchste, wieder weltbewegende Sphäre seines Staates die Ehelosigkeit vorschrieb. Und von einer Erörterung dieser eigenthümlichen, von der ältesten Wandstabler vollkommen standesgemäß erfaßten Wendung der Schicksale des vielgesuchten Halb-Schwagers kam eben die Lore, als ihr Vater wie eine Vogelscheuche unter dem Geschwirr des Schlosses stand und eigentlich nur so lange mitfühlender Mensch war, als sein Ohr die verschiedenen Klingeln unterscheiden konnte, die des Fürsten Durchlaucht, die des vortragenden Rathes erster Klasse, des vortragenden Rathes zweiter Klasse, des ersten und zweiten Sekretärs, des Expedienten A., des Expedienten B.; die drei Supernumerare nicht zu vergessen und die Kanzleiboten, die hier nicht zu laufen, sondern nur zu siegeln hatten, kurz der ganzen komplizirten Maschinerie, die dem Staatsminister auch hierher hatte folgen und von ihm würdig untergebracht werden müssen.
Dorette kam vom Amtshause, war nur eine Stunde fortgeblieben und was fand sie nicht gleich wieder zu ordnen, zu befehlen, zu verhindern! Zwei Kuriere angekommen, einer sogleich abzufertigen; der Staat betraf Doretten nicht, aber es gebührte sich doch ein Frühstück, bis die Depeschen herunter kamen von der Kanzlei... und diese Besuche, diese Anfragen! Ein Diner von dreißig Kouverts für die mitgebrachte Bureaukratie und den Adel der ganzen Umgegend täglich! Frau von Zeisel und von Sänger, Das ginge noch, die sind zufrieden mit ihren Tischnachbarn und der Ehre... aber Graf Bensheim, die Sengebusch's, die von Busche's täglich, täglich ein Gesandter, der hierher kommt, seine Aufwartung zu machen, täglich ein Attaché, ein Präsident und dann wol gar wieder einmal Einer, wie Ritter Rochus selbst, der, wie die Sage ging, selbst kochen konnte, selbst, wie jene Abbé's der alten Schule, in den Gesellschaften die Schürze vorband und einen Salat, eine italienische Olla Potrida anrührte... alle diese Möglichkeiten und Wirklichkeiten durcheinander und doch keinen rechten Schutz, keine Anlehnung an den Vater, ja noch hindernde Überflüssigkeiten, wie diese alte Beschließerin Brigitte, der halbtaube Gärtner Winkler! Dorette hatte Mühe, die versäumte Amtshausstunde einzuholen.
Und nun nicht einmal eine Seele, der man sich über das dort oben Vernommene ausschütten konnte? Köchen, Bedienten, Kanzleiboten sagen, was sie erlebt hatte? Das ging nicht. Herr Pax, der Oberkommissär, der politische Spürer, der in der Nähe des Premierministers nicht fehlen durfte, Herr Pax war der Einzige, der würdig schien, wenigstens die Mittheilung zu empfangen:
Dreihundert Thaler, Herr Oberkommissär, finden Sie Das zu wenig?
War man nicht zufrieden? lautete im Vorüberschießen die Antwort.
Die Frau wol, sie weinte nur... aber Herr von Zeisel blieb bei vierhundert und rechnete an den Fingern die Kinder vor...
Der Hofrath kann's geben... Aber die Scheidung...
Die Frau will nicht, will nicht klagen...
Ihre Aussagen werden sie dazu zwingen... Wenn Sie die Briefe zeigen, die Ihre Schwestern vom Hofrath besitzen, wenn ich selber bezeuge, daß diese Ehe längst gebrochen ist...
Länger dauerte diese Unterredung nicht. Pax wurde von Gendarmen, Dorette von den Wäscherinnen abgerufen... nur die Worte bekam sie zu ihrem Erstaunen von Pax noch in das Kellergeschoß nachgerufen:
Machen Sie, daß die Sache fertig wird! Ich glaube fast, Durchlaucht bleiben nicht lange. Die Geschäfte in der Residenz sind zu dringend...
Pax sah die über seine Meldung erstaunte Miene nicht mehr, sondern wandte sich dem Amthause zu. Mit der Aufgabe, sich immer in der Nähe eines Staatsmannes zu halten, der mit Dem, was ihm an der Gesellschaft schädlich erschien, kurzen Prozeß machte, verband Pax Zwecke, auf die ihn eigner Instinkt führte. Er war allein hier, ohne Hackert, ohne Schmelzing, ohne Mullrich und Kümmerlein. Aber er forschte mit doppelten Fühlhörnern nach zwei Richtungen hin. Einmal hatte er von dem Assessor Müller und Frau Charlotte Ludmer, seiner Gönnerin, den Auftrag, zu erforschen, ob man sich dabei beruhigen könnte, daß jener Engländer, Namens Murray, für den so große Summen und so ehrenvolle Zeugnisse deponirt waren, in der That den Schmied Zeck nur niedergeschossen, weil dieser in der Absicht betroffen wurde, dessen Schwester Ursula Marzahn bei Beraubung ihres geheimen Schrankes zu tödten? Zweitens, ob der Inhalt jenes Schrankes in nichts als alten medizinischen Rezepten bestanden hätte, was der Blinde, der Geld vermuthete, nicht wissen konnte? Drittens, ob jener Murray, dessen mögliches Inkognito in der Residenz keine Macht der schlauesten Inquisition lüften konnte, niemals von einem Friedrich Zeck gesprochen hätte, dem Bruder des Schmieds, der in der Fremde, wahrscheinlich in England, wenn nicht in Amerika lebte oder einer von den Zeck's erhobenen Erbschaft zufolge gestorben wäre? Viertens, wie sich der Förster Heunisch, der taube junge Zeck und die alte Magd des Schmieds Anneliese über diese Vorfälle ausließen und ob Louis Armand in der That nur zufällig bei dem Forsthause mit seinem Freunde dem Engländer erschienen wäre, weil er ein flüchtiges Interesse an der Nichte des Jägers gehabt hätte und bei solcher Gelegenheit den Schmied überraschte?... Mit dieser Kriminal-Aufgabe verband Pax dann noch eine politische Nachforschung. Es war den Behörden nicht entgangen, daß über das Postamt zu Plessen und zu Schönau hin sich gewisse Briefe kreuzten, die oft in räthselhaftesten Formen des Styls jenem großen Geheimbunde anzugehören schienen, auf dessen Sprengung die Behörden alles Gewicht legten. Ja es war vorgekommen, daß eine Zeit lang diese Korrespondenz mit adligen Wappen, längere Zeit sogar mit dem eignen Siegel der Polizeibehörde geschlossen war. Und grade die gefährlichsten Mittheilungen von einer nun bald bevorstehenden großen Zusammenkunft dieser Geheimbundsglieder waren über Plessen und Schönau mit dem Siegel derjenigen Polizeiabtheilung geführt worden, der Pax selber angehörte, sodaß Pax schon auf den Schreiber Schmelzing, dessen Käuflichkeit aus dem Briefverfälschungsbubenstück gegen den Major von Werdeck sattsam bekannt war, Verdacht faßte, wenn nicht gar auf Hackert, der doch sonst sein ganzes Vertrauen besaß!
Über die Sache der Ludmer hatte Pax nur geringfügige Ergebnisse gewonnen. Ursula Marzahn war todt. Der taube Sohn des Zeck war im Augenblick der Forsthausvorfälle grade im Ullagrunde gewesen, nur die einzige Magd des Schmieds hatte ausgesagt, daß Louis Armand den Schmied, um mit ihm in den Wald zu gehen, abgeholt hätte, sonst wäre zwischen ihm und dem Fremden nichts weiter verabredet worden, als ein Ding zu schmieden, das auf jene Stimmschraube hinauskam... Ergiebiger war Paxen's Forschung auf dem politischen Gebiete. Hier ergab sich Drossel's, des Gelben Hirschenwirths, trotzigste Gesinnung, die sich vermehrt haben sollte, als er die Vortheile der Mitverwaltung des Heidekrugs so allzukurz nur genießen konnte und Justus dafür eine Art Kompromiß in politischen Dingen mit ihm geschlossen hatte. Ein Geldvorschuß von Heunisch, dem Drossel gradezu die Veranlassung des Todes seiner Schwester Schuld gab, rettete ihn, wie auf einige Zeit den eben so »wühlerisch« gesinnten Sägemüller, der gleichfalls unheimliche Sagen benutzte, den leicht eingeschüchterten, seit dem Tode Heinrich Sandrart's und dem Glücke Franziska's von jeder Willenskraft verlassenen alten Junggesellen Leberecht Heunisch zu schrauben und gleichsam über den Löffel zu barbieren. Ja Pax ging soweit, in den Generalpächter, so sehr er von dem ganzen Fürstenthum angebetet und vom Minister mit wahrem Bedauern vermißt, ja auf das Ungeduldigste erwartet wurde, Mistrauen zu hegen und es wenigstens vorläufig höchst sonderbar zu finden, daß dieser ohnehin für einen Republikaner geltende Einwanderer sich grade in dem Augenblick von seinem Sitz im Ullagrunde entfernte, wo der Chef der Regierung, sein Herr, sein Patron, sein Richter, der Fürst erwartet wurde. Und nun der murmelnden Misstimmung zu schweigen, die Pax überall wegen des jungen Sandrart antraf, dessen Schicksal man im ersten Augenblick streng, aber unvermeidlich und nach den Gesetzen gerecht, im Verlaufe der Zeit aber viel zu grausam und von dem Geiste, der jetzt im Lande herrschen sollte, viel zu rachsüchtig diktirt gefunden hatte.
Wie mußte sich der thätige, jeder Ehre, die der Staat nur zu verleihen hatte, würdigste Sicherheitsagent auf das Angenehmste überrascht fühlen, als er auf dem Amtshause Zeuge einer Scene wurde, die seine kühnsten Erwartungen übertraf! Beim Justizdirektor in sein Verhörzimmer eintretend, vernahm er den wüsten Lärm eines Bauernmädchens, das gewählter gekleidet als üblich, keckerer Zunge, als ihrem Stande geziemte, vor den Schranken einem jungen, schönen, in Schwarz gekleideten weiblichen Wesen eine Menge von jähzornigen Reden anzuhören gab, die der Herr Aktuar Weiße schon mit dem runden Befehl abschnitt:
Ruhe hier! Fräulein wird Sie gehen lassen, wohin Sie will! Unverschämte Person! Hat Sie die Redensarten bei dem Heidekrüger gelernt?
Man sah, der sonst so untergebene Aktuar war derselbe Despot von Oben, wie er selber Knecht von Unten war. Diese Stufenfolge ist ganz hergebracht. Und als der Justizdirektor vom Seitenzimmer, wo er eben Butterschnittchen gefrühstückt hatte, eintrat, bekam er vom Aktuar in drastischen Umrissen den Bericht: Die Magd da, Liese Dammler oder Rammler, was wisse er, diene beim Generalpächter, hätte sich dem Fräulein Franziska Heunisch da ungehorsam erwiesen und wolle mit Gewalt fort. Sie behauptete sogar vom Schreiber des Generalpächters geschlagen zu sein. Wie Dem sei, Fräulein Franziska bestehe darauf, daß sie bliebe. Sie wisse wohl, daß es das aufsätzige böse Mädchen zöge, wieder beim klüger gewordenen Heidekrüger Justus ihren alten Dienst anzutreten, aber vor der Rückkehr des Herrn Ackermann ließe sie Niemanden vom Hofe und sie müsse ihrem Dienst vorstehen bis nach ausgemachter Sache mit dem Herrn.
Herr von Zeisel fand diesen Bescheid ganz in der Ordnung, lobte Fränzchen's tapfern Zusammenhalt ihres großen, ihr jetzt schon seit länger als acht Tagen ganz allein überlassenen Wirthschaftswesens, erkundigte sich voll Antheil nach der Rückkehr des Generalpächters, den Se. Durchlaucht mit einer unglaublichen Ungeduld erwarteten, und entließ Fränzchen mit dem Bescheide, daß die Magd ihr zu gehorsamen hätte bis zum Ablauf ihrer Dienstzeit und daß ihr wieder, nämlich der Liese Dammler oder Rammler, unbenommen bliebe, sich wegen etwaiger Ohrfeigen oder sonstiger Denkzettel von der Hand des Schreibers beim Generalpächter, im äußersten Falle einer satisfactio denegata, hier beim Amte Genugthuung zu holen.
Fränzchen ging nun. Sie empfahl sich voll Artigkeit. Sie hatte die Pfarrerin am Fenster weinen sehen, sie wollte zu dieser Armen...
Die Magd aber polterte sich nun erst recht aus und wäre leicht nach Requisition Pfannenstiel's mit Gewalt entfernt worden, wenn Pax nicht, der den stummen Zuhörer und Beobachter eines ländlichen mündlichen Verfahrens abgab, auf gewisse höhnische Bezeichnungen des Schreibers aufmerksam geworden wäre und nach mehren leichthingeworfenen Fragen herausbekommen hätte, daß jener Schreiber wol längst seine Aufmerksamkeit verdient hätte. Die Liese nannte ihn gradezu einen Vagabunden, der sich schon im Heidekrug einmal für den Prinzen ausgegeben. Man horchte, man forschte, Herr von Zeisel kam auf die Zeit des Inkognitos Sr. Durchlaucht, der grade eintretende Pfannenstiel auf den Doppelgänger, den Besuch im Thurme, es fehlte nur noch der Name Dankmar Wildungen, um hier eine Identität herzustellen, die der überraschendste und glücklichste Fund war, der dem Oberkommissär nur gelingen konnte. Gensdarmen wurden sogleich gerufen, wurden instruirt, zum Ullagrund vorausgesandt, Pax folgte, begleitet von der jetzt plötzlich vom Sonnenschein der Huld begnadigten Liese Dammler oder Rammler; Pfannenstiel staunte und rieb sich mehrere: War mir's doch immer mit dem Schreiber! hinter den Ohren heraus; Herr von Zeisel lief zu seiner Frau und theilte ihr eine wunderbar überraschende Möglichkeit mit, die tausend andre Möglichkeiten in sich schloß. Der Schreiber beim Generalpächter Dankmar Wildungen? Der Freund des Prinzen auf den Gütern des Prinzen verborgen? Aber mein Gott, wie ist Das nur? Herr von Zeisel fühlte, daß hier besonders zwei Möglichkeiten waren, entweder der Miskredit des Generalpächters als eines Flüchtlinghehlers oder wiederum eine furchtbare Bêtise seinerseits, indem er einen Flüchtling aufstöberte, der, weil er einst der Freund des Fürsten war, von diesem selbst in alter Anhänglichkeit grade bei den Seinen am sichersten verborgen bleiben sollte... Frau von Zeisel fühlte dieselbe entsetzliche Alternative, sah das Grauengespenst einer neuen aufsteigenden Dienstgewitterwolke und erholte sich nur erst durch die Einladung, die eben vom Schlosse kam: Heut' Abend um acht Uhr Thee. Die Liste des gallonirten Lakaien, die sie sich zeigen ließ, war so lang, daß sie vor Erwägung ihrer Toilette nun keine andern Gedanken mehr hatte als die: Wie vertret' ich mich und die Nutzholz-Dünkerkes! Geh' mir weg, Zeisel, mit deinen Bedenklichkeiten! Ich habe für mich und meine Geburt zu sorgen!
Fränzchen aber, in ihren um das Leid des Adoptiv-Vaters, den sie seit dem Frühjahr gefunden, noch nicht abgelegten Trauerkleidern, genug auch trauernd im Herzen über Anlaß und innere Folge dieses äußeren Glückes, wandte sich während dieser Enthüllungen und ihrer gefährlichen Folgen zum Pfarrhause, wo sie am Fenster unter den schon herbstlich welken Linden Thränen gesehen hatte. Sie wußte, was diese Thränen bedeuteten. Es that ihr wohl, als sie eintretend und von dem Leide dieser Frau beginnend von ihr aufgefordert wurde, um der Kinder Willen mit ihr hinauszugehen in den Garten. Dieser Garten lag am Friedhofe. Sonst hatte Guido Stromer hier Rosen geschnitten für Melanie Schlurck, die ihn auf dem Gewissen hatte, den unglücklichen, aus Rand und Band gekommenen Genius. Noch blühten Astern, da und dort dunkle Georginen, trauernde Blumen des Scheidens und des Lebewohls, noch einmal zusammenfassend alle bunten Farben des Frühlings, kaleidoskopisch durcheinander würfelnd von jeder Blume Etwas, aber duftlos, keine ganzen Veilchen, keine Maiblumen, keine Rosen mehr... Alle hatten dies Ende des Stromer'schen Hauses kommen sehen nach Dem, was man vom wildgewordenen Guido erfuhr. Nun war es da und es kam so grausam wie doch unerwartet. Was hätte die Frau nicht vergeben, vergeben um diese Kinder ohnehin, vergeben auch um sich! Sie wußte, wie wenig sie Guido bot, sie hatte immer gelitten unter dem Schmerz, daß ein Ehrgeiziger sich in ihrer Wahl vergriff und daß die Quellen seiner höhern Erquickung ihr nicht entströmten. Warum aber so enden, so gewaltsam, so grausam? Stromer hätte selbst am liebsten die geräuschloseste Trennung gewünscht. Er hatte wirklich einen Schwall von glänzenden Worten dem Weibe geschrieben von der unwiderstehlichen Macht des Berufes, dem innern Orakel, dem Dreifuß der Sibylle, die über dem hohlen Herzen throne, er hatte sich mit dem heiligen Patriarchen verglichen, der auf Gottes Geheiß Hagar in die Wüste sandte, hatte seine Kinder eine Ismael-Bürde der Mutter genannt, hatte von der Feigheit des Entschlusses gesprochen, an der sein ganzes Dasein gekränkelt, von dem Geyer des Prometheus, der einzig und allein einen Titanen strafen könne, und dieser Geyer wäre die auch ihm gewiß noch einst kommende Reue, – die Reue hacke wahrhaft dem Großen die Leber aus, daß es nicht leben, nicht sterben könne, – noch aber fühle er sie nicht, noch müsse er langen nach dem Sitz der Götter, wo diese ihr heiliges Feuer hütheten... all dies Durcheinander wurde von den Betheiligten, von Manchen, bei denen die Frau Raths erholte, ganz so feierlich genommen, wie es da stand, bei Jenen aus Verehrung, bei Diesen aus Schonung; aber die Quintessenz, die etwa, wenn z. B. Doktor Reinick wäre gefragt worden, gelautet hätte und die auch bei Ackermann im Stillen lautete: Dieser Mann ist ein echt deutscher Lumpen-Titan, in dessen Gefolge sich eine große Erbärmlichkeit unsrer Nation zieht! regte sich nun allmälig doch auf dem Grunde des Für und Wider selbst auch bei seiner Geopferten. Herr von Zeisel hatte jährlich vierhundert Thaler für sie und die Kinder verlangt. Sie selbst wollte, da Hofrath Stromer in eine auswärtige deutsche Staatskanzlei zog, in die Residenz, wo ihr Oleander, der Gefängnißprediger, versprochen hatte, väterlichst die Erziehung der Kinder zu überwachen... Und Franziska Heunisch hatte so an Umsicht, Lebensblick, Erfahrung gewonnen, daß sie die jetzt weinende Frau durch manches treffende Wort erheben konnte. Sie pries sie sogar glücklich, von solchem Misverhältniß freizukommen und beklagte nur die Umständlichkeit des Scheidens, wo immer etwas Schamloses erst gerichtlich zur Sprache gebracht werden müßte, bis die Trennung erfolge, die doch wie mürber Zunder sich von selber ergäbe. Das war grade der Pfarrerin ein Kummer. Sie hatte klagen sollen! Sie hatte die Beweise führen sollen! Man gab ihr den Beweis der Ehescheidungsgründe in die Hände und zwang sie fast, sich um das Leben des Vaters ihrer Kinder zu bekümmern, wie sie gar nicht mochte! Sie war eine wirkliche Gläubige. Sie wollte nichts Böses von Guido wissen. Wozu denn? sagte sie. Was quält man mich? Warum ist die Gesellschaft und das Gesetz liebloser als der Mensch selbst!
Fränzchen entfernte sich und tröstete die bedrängte Frau mit der Nachricht, daß Herr Ackermann sicher noch heute Abend zurückkäme und von Oleander'n Grüße wie seine eignen Rathschläge ihr bringen würde... Streng hatte auch Franziska gesprochen, aber so streng doch nicht, wie eben ein Mann zur Pfarrerin sprach, der sie vom Kirchhofe her über die niedrige zerbröckelte Gartenmauer anrief und den sie nicht kannte, obgleich sie die Dame kannte, die an seinem Arme hing. Dieser Mann war hoch, schlank gebaut, aber gebückt im Gang, hinfällig in der Haltung. Er schien jung und dennoch hing sein Haar nur spärlich von den Schläfen und wo es im Nacken saß, war es ergraut. Er trug einen Oberrock und fröstelte fast. Sein Schritt war sicher, aber das Auftreten schien den ganzen Körper zu erschüttern. Die Reizbarkeit seiner Nerven sprach sich in einem lauten fast schreienden Tone aus. Die ihn fast überragende, weibliche Begleiterin in graugerippter, hochzugehender, seidner Herbstrobe mit seidnen Schnüren und eben solchen Knöpfen auf der Brust, mit dem weißen kleinen Hütchen, dem feinen Battisttaschentuche und dem schwebenden sylphidenartigen Gange kannte die Pfarrerin wohl – und so war es denn der Fürst, der, eben aus dem Mausoleum seiner Mutter tretend, den Kopf emporhob, sein blasses Antlitz über die niedrige Mauer richtete und etwas sehr barsch, etwas sehr rauh die Frage an sie stellte:
Sind wol die Frau Pfarrerin?
Und noch ehe die Eingeschüchterte, den Fürsten Egon jetzt voraussetzend, sich sammelte, hatte mit freundlichem Tone, mildem Gruße, die silbergraue Glaçehandschuhhand über die Mauer reichend, schon die junge, schöne Fürstin gesprochen:
Guten Tag, liebe Frau Pfarrerin! Wie geht es Ihnen? Es ist ein Jahr her, daß wir uns sahen. Fast hätt' ich so ohne Begrüßung von dannen müssen! Der Fürst spricht von einer nothwendigen Beschleunigung der Rückreise. Vergessen Sie uns nicht! Wie geht es Ihren Kindern? Grüßen Sie sie bestens! Sie hätten uns doch oben besuchen sollen! Adieu, Frau Pfarrerin!
Und so wäre die Fürstin Melanie am liebsten rasch über eine Erinnerung, die ihr peinlich war, hinweggekommen, hätte gern den von dem Kirchhof und dem Mausoleum der Mutter verstimmten Gemahl von diesen Gräbern hinweggezogen – eben standen sie an Gräbern, wo die einfachsten Menschen begraben waren, der Schmied Zeck, Lene Drossel vor Jahren, Nantchen von Sägemüllers, Ursula Marzahn, die Müllerin, Alle still, sanft und auf Gott wartend beisammen – aber der Fürst blieb stehen und sagte zu der den Handdruck der Fürstin zaghaft erwidernden Frau:
Thut mir leid, daß Sie die Wohnung verlassen sollen! Dem Hofrath hätt' ich vor einem Jahre sagen müssen: Ihr Genius ist da, wo Ihre Kinder sind! Der Mann hat viel Geist, hat aber auch schon viel Verwirrung damit angerichtet und wird deren noch mehr anrichten...
Die Pfarrerin schlug die Augen nieder... Die Fürstin trat verlegen etwas zur Seite... Egon zu hindern, daß er etwas that, was er thun wollte, war ihre Sache nicht.
Der Hofrath ist in der Lage, sprach der Fürst in seinem kurzen, polternden Tone weiter, für Sie sorgen zu können, liebe Frau! Fassen Sie diese Sache von ihrer besseren, nützlicheren Seite! Sie werden, hör' ich, in die Stadt ziehen, die Kinder werden einen geregelten Unterricht erhalten. Wieviel Kinder haben Sie?
Die Pfarrerin nannte die Zahl... Die Fürstin trat noch mehr bei Seite...
Der Hofrath ist ein reichbegabter Kopf, der eine umgekehrte Entwickelung macht, wie Andre, die von der Wildheit anfangen und im Zahmen aufhören. Das wird nicht hindern, ihn noch in vielerlei Wirrniß und zuletzt in die katholische Kirche eintreten zu sehen.
Wäre Das möglich? konnte erschreckend die Verlassene doch nun nicht umhin zu erwidern und ihren Schmerz noch deutlicher in den Mienen auszudrücken.
Sie werden bald davon hören, gute Frau! sagte Egon. Ohne Extrem geht es bei diesen Naturen nicht ab. Das ist die übliche deutsche Entwickelung, die Genialität, der Universitätsdünkel des aparten Geistes, dem die gegebene Welt nicht genügt und der sich luftige Bahnen baut, auf die leider, wie unsre ganze deutsche Geschichte zeigt, Kirche, Staat, Wissenschaft, Schule und Leben mit in die Lüfte nachgeschleppt werden! In Kunst und Poesie derselbe Dünkel, dieselbe Kritik, die nur Das für genial hält, was entweder im Irrenhause endet oder sich eine Kugel vor den Kopf schießt. Zittern Sie nicht, liebe Frau! Dieser Phantast endet so nicht, der endet behaglicher. Die ewig unbefriedigte Sehnsucht wird bei ihm zuletzt durch Würden, durch äußern Glanz, durch eine Art von Ruhestand, in den sich auch das Denken versetzt, befriedigt werden. Danken Sie Gott, liebe Frau, daß Sie von diesen Fesseln erlöst sind. In allen halben Dingen ist reine Rechnung das Sicherste. Sich hinschleppen zwischen der Erkenntniß und der Furcht vor ihr, hinschleppen zwischen Dem, was man sieht und nicht sehen will, sich das Leben verbittern durch ewige Befangenheit, die den Muth nicht hat, das für besser Erkannte wirklich zu wagen, das heißt den schönsten Theil des Lebens gradezu verlieren. Ergreifen Sie diese Nothwendigkeit des Bruches mit Heroismus! Geben Sie Ihre gerichtlichen Depositionen mit der ganzen Würde einer tiefverletzten Frau! Ich versichre Sie: Sie gewinnen sich ganz und verlieren nur Halbes.
Mit diesen Worten trat der Fürst von der Mauer zurück und glaubte die überraschte Pfarrerin mit einer innern Erhebung, mit gewonnenem Muthe zurückgelassen zu haben. Und in der That! Hätte er nur liebevoller gesprochen, die Wahrheit seiner Worte fühlte sie schon; sie erwartete Ackermann, um sie ihm wiederzuerzählen und vielleicht nach ihnen zu handeln.
Als Egon seinen Arm der Fürstin wieder gereicht hatte und mit ihr den Friedhof verließ, um sich dem Schloßgarten zuzuwenden, brach er, dann und wann hüstelnd und wie es schien, in einer andauernden Reizbarkeit, in die Worte aus:
Dieser Elende! Wenn mir irgend etwas den Geist der Konfusion, der in der ganzen Welt die Köpfe verwirrt, vergegenwärtigt, so ist es dieser wildgewordene, von Dünkel und lächerlicher Selbstüberschätzung aufgeblasene Halbpoet! Unfähig, nur eine einzige dauernde Schöpfung hervorzubringen und wär' es ein Gedicht von einigen Versen, zerschlägt er die ganze Welt in Trümmer und macht diese jeder Halbheit, jedem Verbrechen zu einer beschönigenden Anlehnung. Jede Partei, die seiner Eitelkeit schmeichelte, hatte ihn. Eine Zeit lang wünschte man, daß er die Kritik der schönen Künste übernahm. In jeder Schöpfung sah der Schwätzer nur den Verstand, nur die Kombination, immer schrie er: Offenbarung, Genie, Genie! Jeder sich seiner Kraft bewußte und mit ihr harmlos spielende Geist war ihm ein Rechnenkünstler. Alles, was Logik und Zusammenhang hatte, wies er mit dem Wort zurück: Poesie fehlt! Ah, dies Guido-Stromerisiren ist die deutsche Erbsünde. Der Kerl war dabei voll Eitelkeit wie ein Komödiant. Jede Schauspielerin, die ihn besuchte, jede Tänzerin, die ihm gestattete, ihre Hände zu küssen, wurde im »Jahrhundert« dafür gepriesen. Man mußte ihm, weil er vor Eitelkeit halb wahnwitzig wurde, diese Branche förmlich mit Gewalt nehmen. Er wollte nun zur Politik, zu mir, zu Pauline'n zurückkehren. Aber keine einzige positive Thatsache war ihm anzuvertrauen. Er hatte nichts, was ihm treu blieb, nichts als seinen Styl. Eine Mischung von Naivetät und Erhabenheit, von Bildern und von Abstraktionen war ihm immer das einzig Gegenwärtige, wie einem Arzt sein Latein, auch wenn er noch gar nicht weiß, welche Krankheit er vor sich hat. Mit diesem Styl, den zuletzt auch Pauline wegen seiner Indiskretionen verwarf, lief er in allen Zirkeln, die sich ihm durch uns eröffnet hatten, wie ein herrenloser Hund umher, der ein Halsband sucht, und klagte uns der Undankbarkeit an, drohte sogar. Seinen Styl bot er dem Meistzahlenden an und in der That hat der Ritter Rochus vom Westen gut daran gethan, ihn für die Sophistik seines Kabinets zu gewinnen. Er wird dort viel Geld verdienen, es durchbringen mit den Frauen, deren Schönheitslinien er seit Jahren zu studiren vorgibt, mit Bildern, die er vielleicht kauft, mit Gourmandise und wird im Übrigen jede Sache mit scheinbarer Gluth vertheidigen, sie mag noch so schlecht sein und innerlichst ihn noch so kalt lassen. Ah pfui! Die Lüge dieser Menschen ist fürchterlich und vielleicht fängt bei diesem Stromer für die Welt und ihr Urtheil die Wahrheit damit an, daß er uns, die wir ihn emporzogen, nun haßt, nun verfolgt, nun in verzerrten Schattenrissen an die Wand malen wird. Meine Feinde, die Äußersten, haben ihm auch schon Offerten gemacht. Sie würden ihn gewonnen haben, wenn dieser Präsident von Flottwitz, diese Excellenz von Trompetta in der Provinz nicht so arm wie die Kirchenmäuse wären und der Hof sich zur Zeit noch schämte, Geld herzugeben, um mich bekämpfen zu lassen. Rochus hat mit seinen Dukaten mehr Glück gemacht und nur Schade, daß man dem Hofrath unsrerseits nun nicht noch offen mit dem Staubbesen ein Buon viaggio! nachrufen kann.
Melanie erwiderte auf diesen Zornausbruch nichts. Sie gedachte, zum Schlosse aufblickend, jenes Abends, wo sie durch eine ihrem Haar entnommene Rose, die sie von den kleinen Ohren des Intendanten zuletzt als Preis gewinnen ließ, in Guido Stromer die Geister des irren Schönheitsdranges und einer noch einmal vor dem Ende sich sammelnden Idealität weckte und sie selbst es war, die ihn, ohne es zu wollen, in die Residenz lockte. Mit den Gedichten hatte ihr Gemahl Unrecht. Melanie besaß einen Stoß gereimter Verherrlichungen ihrer Schönheit von diesem Musenpriester; selbst nach ihrer Verheirathung noch empfing sie anonym, doch mit leicht erkannter Handschrift, Apotheosen ihrer Vollkommenheit, z. B. diese humoristische, als sie sich lange nicht hatte im Theater blicken lassen, mit der doppelsinnigen Aufschrift:
An eine Schönheit ersten Ranges.
Von einem jetzt gehaßten kritischen Opponenten.
Wie Venus stieg aus weißem Wellenschaume,
Vom Rosenlicht Auroren's überhaucht, Halb noch den Fuß in Meeresfluth getaucht, Halb siegend schon auf festem Muschelraume, So schienst du mir, als ich am rothen Saume Der Loge (leider ist der Sammt verbraucht, Die Muschel viel zu Lampenrußbehaucht!) Dich endlich wiedersah fast wie im Traume! O strahlte mir gleich Licht aus gold'nen Thoren Entgegen doch aus Deiner Formen Hülle Wie einst der hold'sten Zaubereien Fülle! O könnt' ich wieder Deinen Lippen lauschen! Wie wollt' ich, Schaumgeborne, Dich umrauschen Als Welle, fließend, ewig so verloren! |
Die Fürstin hütete sich wol, Guido Stromer's Dichterehre zu retten. Sie hätte sonst fürchten müssen, Egon so zu reizen, daß er wie Plato alle Poesie aus seinem Staate verbannte. Litt sie nicht genug an seiner scharfen Kritik des Lebens, an seiner zersetzenden, wenn auch oft sehr wahren Auflösung aller Charaktere! Sie hatte seit dem Jahre, daß sie Egon kannte, seit den drei Monaten, daß sie seine Gattin war, die Maxime angenommen, ihm nur dann zu widersprechen, wenn er zum Scherze aufgelegt war. Diese Stimmung kam selten bei ihm. Sie ließ den reizbaren, von Nachtwachen, von Krankheit, Gemüthszerrüttung geschwächten Fürsten in seinen heftigen Invectiven sich nach Lust ergehen und gab nur zuweilen eine scherzende Ergänzung zu Dem, was ihn mit bitterm Ernst erfüllte. So jetzt, indem sie aufsteigend zum Schlosse, an dem Pavillon, an den Marmorvasen, an der Springkaskade vorüber, wo sie bebend Dankmar's gedenken mußte, plauderte:
Ja! Ja! Der Hofrath wäre, wenn du ihn nicht so tragisch ansähest, die spaßhafteste Episode eines Lustspiels. Ich will von seinen Umgebungen nicht sprechen, die er eben so wunderlich zu bilden sucht, als wenn wir den Versuch machen wollten, Doretten die Schönheiten von Goethe's Fischer beizubringen oder den westöstlichen Divan zu erklären, den sie jetzt noch für ein Tapeziererhänden entstandenes Möbel halten würde. Er läßt sich seine Mühe nicht verdrießen. Aber drollig ist gewiß, daß Stromer im Winter heimlich tanzen lernte. Er wollte auf den Bällen nicht zurückstehen und den lateinischen Zuschauer machen. Whist zu spielen unter den Herren und gesetzten Damen schien ihm mit Recht langweiliger, als sich unter den tanzenden Paaren zu tummeln und schon Wochen lang vor einem Ball bei jungen Damen durch Huldigungen aller Art sich eine Française, eine Polka zu erbitten. Mit größerem Triumph hat Guido nie auf seine neuesten Artikel geblickt wie auf die Tourenkarte, die er beim Eintreten in die Säle, alle jungen Männer fast umreißend, triumphirend vorzeigte; denn jede Tour war ihm besetzt. Man denke sich Hofrath Stromer auf seinen heimlichen Tanzübungen! Der Balletmeister des Hoftheaters, den er dafür überrühmend anerkannte, mit der Violine, die dieser glücklicher Weise selber spielte – sonst hätte sich der strenge Recensent auch bei der Kapelle kompromittirt – der Balletmeister Befehle gebend: Glissez! Marchez! En avant! und unser Guido mit den langen blondgelben Haaren und der ganzen Wucht seines gelehrten Wissens hopsend, walzend, chassirend, springend bis zum Entrechat!
Die Fürstin lachte selbst. Egon schüttelte nur den Kopf...
Inzwischen aber waren schon Diener, Sekretäre, ihnen entgegengekommen. Wo man des Allgewaltigen nur ersichtlich wurde, gab es sogleich zu fragen, Befehle zu holen, Mittheilungen zu machen. Eben so ging es der Fürstin, die schon einige Damen der Umgegend vorfand, die ihre Aufwartung zu machen wünschten. Ohne zu wissen wie, war das hohe Paar auseinander und Jedes in die Zimmer getreten, die in gewähltem Geschmack für sie neu hergestellt waren. Die Fürstin bewohnte die so verhängnißvoll gewordenen Zimmer der Mutter Egon's und fand sich in der gebliebenen gothischen, kirchlichen, ihren Neigungen sonst nicht entsprechenden Ausschmückung bald zurecht, da sie schon nach ihrem Sinne befriedigt war, wenn sie nur Eignes, Ungewöhnliches, Gepflegtes sah. Da gab es denn Visiten und kleine Plaudereien, Glückwünsche und Verheißungen, versicherte Hingebung und lauschende Prüfung genug. Von dem forschenden Blicke, wie diese Standeserhöhung hätte kommen können, warum sie kam, ob sie sich zum Guten anließ, ob nicht, war Niemand frei und die Fürstin hielt ihm mit ruhiger Selbstbeherrschung Stand. Sie war die unruhige, von sich selbst hin- und hergejagte Melanie nicht mehr. Ihr Gemahl aber, dem es schon zur andern Natur geworden, nach solchen Dingen, die ihn quälten, immer mehr zu suchen, als nach solchen, die ihm wohlthaten, hatte sich von ihr bis zur Tischzeit mit dem täglich wiederholten Bedauern entfernt, daß ihn nichts so verstimme wie die Abwesenheit des Generalpächters, eines Mannes, dessen Rückkehr er mit Ungeduld erwartete und dessen so unendlich werthvolle Bekanntschaft, da er Alles, was Ackermann hier unternahm, bewunderte, ihm wol gar verloren gehen könnte, wenn ihn, was er nicht hoffe, dringende Depeschen zeitiger vom Schlosse Hohenberg abriefen, als zu bleiben seine Absicht gewesen war.
Die Fürstin fand nach den mannichfachen Konversationen über Nichts, in denen sie bei solchen Standesbesuchen Meisterin war und nur zu lange, zu bezaubernd die Menschen fesselte, kaum noch Zeit, ihre Mittagstoilette mit Muße und Umsicht herzustellen. Sie hatte neue Umgebungen. Von jener Jeannette, die einst hier gewaltet hatte und bei dem jetzt arrangirten Lasally Faktotum geworden schien, war hier keine Rede mehr. Neue Verhältnisse, neue Menschen. Und neue Kleider! Die Putzsucht war Melanien geblieben. Der Fürst bestärkte sie darin, da ihm ihre Metamorphosen gefielen. Sie verrieth auch durch ihr Wesen nie, wenn sie ein neues Kleid trug. Sie kam mit Stoffen, die eben noch fast schon am Körper von den Nätherinnen fertig geworden waren und wo noch möglicherweise irgendwo zum Entsetzen der Kammerjungfern ein Seidenfädchen konnte unausgezogen geblieben sein, aber sie kam so in den Salon, als wenn diese neue Tracht schon längst mit ihr verwachsen war, ja als wäre sie mit ihr auf die Welt gekommen. Dieser letztere Ausdruck gehörte ihrer guten Mutter, Johanna Schlurck, gebornen Arnemann. Diese brave Frau war in der Erziehung ihrer Tochter immer nach dem Prinzip verfahren: Einem Mädchen muß man es ansehen können, ob es mit Glaçeehandschuhen auf die Welt gekommen!
Diese guten Justizraths! Sie existirten für Hohenberg nicht. Fürst Egon schloß sie von allen Beziehungen zu sich, zu seinem Palais, zu seiner Existenz radikal aus. Die Mutter litt darunter und zwar furchtbar, entsetzlich. Nicht deshalb, weil ihre Tochter eine Fürstin war: an alles Außerordentliche gewöhnt sich der Mensch sehr rasch; sondern weil die Fürstin nicht mehr, wie sonst, ihre Tochter sein durfte. Aber Franz Schlurck fand diese Trennung ganz in der Ordnung. In dem Briefe, den seine Tochter nach abgehaltener Tafel z. B. heute von Hause vorfand, sagte er ihr: »Mein gutes Kind! Dein Leben wird von tausend vereinzelten Kleinigkeiten so in Anspruch genommen sein, daß du solche Gedankenstriche und Ausrufungszeichen, wie sie in deinem letzten Briefe vorkamen, ganz aus deinem Systeme der Interpunktion entfernen solltest. Du hast nie gegrübelt, warum willst du es jetzt thun? Du bist die Fürstin von Hohenberg, Durchlaucht. Basta! Den Groll der Mutter, die nach ihrem sonst vernünftigen Naturell sich mit der Zeit in ihre Zurücksetzung finden wird, ertrage als eine vorübergehende Frauenlaune und sei versichert, daß ich dich in dem großen und wahrhaft philosophischen Lehrgange, den du mit deinem hohen Herzens- und Pflegebefohlnen befolgst, immer unterstützen werde. Den tiefern Sinn deines Wahlspruches: Entweder ein Bettler oder ein Fürst! hab' ich nie ergründen mögen, die Alternative war so schroff gestellt, daß ich jedenfalls lieber der zurückgesetzte Schwiegervater eines Fürsten, als der geliebkoste eines Bettlers bin. Also! Weiter im Text! Die Gedankenstriche, die bei der Stelle über meine Lage stehen, hab' ich eher verstanden. Doch waren deren drei nicht nöthig. Ich hielt schon den einen für überflüssig. In meiner juristischen Praxis, wenn ich alte Briefschaften und Familiennachlässe zu durchstöbern hatte, waren mir als die gemeinsten Briefe immer die erschienen, wo Väter und Mütter an ihre gutverheiratheten Kinder um Unterstützung schreiben. Du wirst sie auch in keinem gedruckten Briefsteller verzeichnet und in etwaigen Schematen dazu vorgemerkt finden. Und doch werden sie unglaublich oft geschrieben, was wiederum nicht für die Armuth mancher Eltern, wol aber für die Herzlosigkeit vieler Kinder ein schlimmer Beweis wäre. Bei uns ist Das anders. Ich weiß, meine Melanie ließe mich, wie es irgendwo heißt, mit Kapaunen und Nichtsthun auffüttern, selbst wenn beide, weil sie zu fett machen, überhaupt meine Sache wären. Herzenskind, laß das Alles gehen, wie's geht! Ordne dein überraschendes Verhältniß, wappne dich gegen die neidische Welt, schmiege dich unter deinen erzwunderlichen Gatten, ohne seine Sklavin zu werden und lausch' ihm die kleinen Lichtschimmer seiner mir eigentlich wie der Saturn so dunklen, aber ohne Zweifel doch großen Natur ab, für das Übrige müssen unsre unfreiwilligen guten Grundsätze sorgen. Die Mutter war von jeher für das Wasser und ein gewisser Pindar schon, ein alter Odensänger, der die irdische Belohnung der Dichter bereits zu kennen schien – trotz Guido Stromer's neulicher Anstellung im Süden mit 5000 Silbergulden – Pindar schon sagte: Wasser bleibt immer das Beste! Er hatte Recht. Der Mensch ist Erde und nichts ist der Erde nothwendiger als Wasser, wenn sie nicht – Staub werden soll. Sieh, die verdammten Gedankenstriche! Da mach' ich eben selber einen und einen recht kläglichen. Noch aber ist Das nichts als dumme Koketterie von mir. Ich denke nicht an's Sterben; ich lebe, wenn auch nicht vom Wasser, wie die Mutter, doch von der Luft. Die Luft ist klar und blau und hell, ich gehe viel spazieren. Schulden machen will ich nicht. Meine Prozesse haben abgenommen. Entweder ist die Welt friedlicher geworden oder die jungen Advokaten verstehen noch mehr Einreden als in den Pandekten und im Schmidt stehen. Mit meiner mündlichen Vertheidigung hab' ich Fiasko gemacht. Meine Jungfernrede vor den Assisen war Kinderlallen. Ich weinte, als ich nach Hause kam, obgleich mein Klient freigesprochen wurde. Die Qual, die ich letzten November ausstand, als die angeschwollenen, polnischen Zins-auf-Zins-Summen der Äbtissin Sibylle vom Kloster zum Herzen Jesu da sein sollten, dieselben Summen, die Jahre lang entweder Max Leidenfrost oder Jagellona Kaminska heben konnten, aber nicht heben wollten, weil Einer sie ganz dem Andern gönnte, Werdeck arm ist und der tolle Maler, der dich einmal verspottet hat, nicht reicher – lebendiges Beispiel, daß Großmuth und schrankenlose Tugend nur Unheil in der Welt stiften – ich sage, die Qual, die ich ausstand, weil diese Summe nicht da war und doch nur möglicherweise, furchtbare Hypothese! möglicher Weise gestohlen sein konnte – Melanie, als Alles verkauft werden mußte, was man sich entziehen kann, ohne daß es die Menschen sehen und darüber mit häßlichen schwarzbeflorten Redensarten kondoliren, wie man mir bei Abschaffung unsrer Equipage kondolirte und ich mit Anspielung auf Lasally sagte: ich habe das Kapitel des Pferdestalles satt und will nicht mehr an den Hufbeschlag erinnert werden, da – sieh, meine Perioden verwickeln sich – immer wenn vom Gelde die Rede ist, verläßt mich die Kraft des Styles – ganz im Gegensatz zu Hofrath Stromer, dem der Styl grade recht erst kommt, wenn das Geld im Kasten klingt – damals, damals, Melanie, als alles Das da war und nicht da war, damals hab' ich mir eine Empfindsamkeit zugezogen wie einen nicht endenden Katarrh. Ich bin wehmüthig gestimmt, selbst wenn ich Prozesse gewinne. Den Johanniterprozeß hab' ich halb und halb verloren, noch nicht für die Stadt – denn propinqui equites bleiben ein Räthsel. »Ritter und Reisige als Verwandte!« – aber verloren für mich. Die Administration wird neu beschaffen und wer weiß, was in Tempelheide jetzt aus dem großen Straußenei schlüpft, das dort von einem Kater, Namens Bafomet, ausgebrütet werden soll! Wenn die Wildungen wirklich gewönnen?... Denkst du noch an den Morgen damals in meinem Zimmer?... Neueres aus dieser Residenzwelt weiß ich nicht, als daß man sagt: Unterschlagen in diesem Prozesse wurden von Schlurck vielleicht einige Kommata, aber kein einziges Dokument fehlte – ich küsse deine süßen Hände, Kind – verschmitzt benutzt hat er sie und manchen absichtlichen Sprachschnitzer sich zu Schulden kommen lassen, der alte Lateiner... sagt die öffentliche Meinung! Was öffentliche Meinung! Frage den Fürsten, was öffentliche Meinung! Von Politik nichts – du sitzest ja in ihrem Centrum. Rathe dem Fürsten, sich mit dem Heidekrüger Justus und seiner Sorte auszusöhnen! Die Politik der Landwirthe, die nicht mehr und nicht weniger als circa 100 Morgen haben, entscheidet die Welt, d. h. die Mittelsorte! Oder darfst du nicht über das Rad sprechen, mit dem dein Ixion sich quält, es den Berg hinan zu wälzen? Neues? Unsre Katze hat wieder Junge und die Mutter sträubt sich jetzt gegen das Ersäufen. Ach, Kind, wo sind die Zeiten hin? Wenn Mietz sonst Junge hatte! Das Laufen und Rennen im Hause! Diese Freude und dieser Kummer! Es war als sollt' es Kindtaufe geben und als zankte man sich über die Namen und die Pathen. Jetzt aber – Mutters alte Art, diese Streitigkeiten durch einen Kübel Wasser und ein gründliches erstes und letztes Bad der jungen Brut zu enden, hat uns verlassen. Frau von Trompetta will die Mutter für einen Thierquälerverein gewinnen, in den die Mitbegründerin der deutschen Flotte sich zu stürzen beabsichtigt, seitdem sie eine Anwesenheit des Hofes in Tempelheide verpaßte und ihr Vetter immer noch nicht Minister ist. Der Hof besuchte die Akademie in Tempelheide, an einem Tage, wo grade Frau von Trompetta abwesend war! Das sagt Alles, was ein Leben in Verzweiflung stürzen und zum Thierquälerverein reifmachen kann. Sie hat sich erkundigt, was Alles die Königin in Tempelheide äußerte. Man hatte von der Thierseele gesprochen. Das war ihr genug, sich mit Propst Gelbsattel zu vermitteln, der kürzlich ersucht worden ist, die Initiative eines Vereines zum Schutze der Thiere zu übernehmen. Da man ihn über Nichts mehr um Rath frägt, den guten Propst, da er selbst beim Kunstverein das Präsidium verloren hat, so wurde er um so eher Präsident jener Verbindung, als die bevorstehende Entscheidung des Johanniterprozesses ihn um die von der Stadt ihm gehaltene Equipage und selbstredend dadurch allein schon um die Gelegenheit, Pferde zu quälen, bringen wird. Bartusch hat eine Anstellung im Rathhause. Der Alte ist bei der Statistik der Getauften, Gebornen und Verstorbenen angestellt. Sein Sprichwort: »Allerlei Gemenschel« kommt in glorreiche Anwendung. Seit ihm nicht gelang, den Taufschein eines gewissen Paul Zeck aufzufinden, der in der Biographie deiner hohen Gönnerin, deines Glücksschmieds Pauline eine Rolle spielt – ich kitzelte sie schon oft mit dem Namen Zeck, da ich weiß, daß Das ein Blitz über ihre dunkelste Lebensphase war – seitdem hat auch unsre Verbindung mit den Geheimnissen der hohen Aristokratie aufgehört. Sie wendet sich an jüngere Rechtsbeistände, die nichts erlebt haben, nichts von den Antecedentien wissen und blindlings glauben, wenn Matronen die Hände falten und von dem Rufe sprechen, wie von einem Spiegel, den ein Hauch trüben könne. O der Ruf! Dieser unsichtbare Galgen, an dem die zartesten Hände nach Herzenslust die Menschen stranguliren und lustig von unten nach oben rädern! Von wem willst du sonst hören? Von der Mutter? Sie projektirt, dir ein Opfer zu bringen. Sie will, daß wir auf's Land ziehen und dort Kinderzeug nähen. Wäre dein Gatte so grausam, unsre Verbannung zu wünschen? Es thäte mir leid, wie ein alter Pensionär in die Provinz zu ziehen. Aber sprich es aus, wenn es sein muß! Es ist auch vielleicht besser, ich läse nicht mehr an den Läden die nun erst gar mit den Eisenbahnen frisch angekommenen Austern und sähe nicht auf den Straßen sogar, denke auf unsern Straßen! – Seefische, die man auch sonst nur in unsrer Komthurei zuzubereiten verstand! Von Hackert erfuhr ich lange nichts. Ich hätt' ihn gern nach einem gewissen Ringe gefragt. Er lebt meist in der Brandgasse, jagt Mäuse und Ratten. Pax wird ihn so lange an sein Herz drücken, bis er sich seinen Henker und Nachfolger in ihm großgezogen hat. Der Lauf der Welt ist so. Auf dem Markt seh' ich immer in die Körbe der Krebsfischer! Wie's darin wimmelt, so ist die ganze Erde. Aber was Krebse! Der September hat ein R! Es gibt jetzt keine Krebse. Adieu, mein Kind! Amor schütze dich!«
Wehmuthsvoll, das Haupt gebeugt, zerrissen von dem in diesen Zeilen durch tiefen Schmerz aufschreienden Humor, angekettet an ein freudenarmes Loos, das der Welt so beneidenswerth erschien, saß Melanie und hing den trübsten Empfindungen nach. Es war ihr schon lange manchmal wie einem Wandrer auf einsamer felsiger Höhe, den nie von ihm gesehene dunkle Vögel umkreisen und ihm zuzurufen scheinen: Wende um, du findest in diesem Trümmermeere keinen Ausweg und die Nacht wird dich überfallen! Was zur Fürstin sie erhoben, sah Melanie wohl im Zusammenhange vor sich, aber räthselhaft blieb ihr die Folge dieser Umstände, die Kette dieser Zufälle doch. Sie konnte sich sagen, daß sie die Männer fesselte, blendete, aber nie hatte sie Vertrauen fassen dürfen auf die Dauer der Neigungen, die sie einflößte. Sie hatte mit zu bittrer Erfahrung erlebt, daß man sich in der Liebe zu ihr beherrschen, bekämpfen, sich ganz überwinden konnte selbst dann, wenn man ahnen mußte, daß sie selbst liebte. Immer nur der Augenblick hatte ihr wie ein flüchtiger Genius, ein lachender Engel mit Schmetterlingsflügeln schwankend auf einer Blume oder gar einer großen bunten Seifenblase, unsichtbar zur Seite gestanden. Weil ihr der innere Glaube an sich selbst fehlte, weil sie sich eines Nixenlooses, eines gebundenen Sirenenschicksals fast mit Wehmuth bewußt war, hatte sie sich von dem Bedeutenden, das sie fürchtete wie das ihren Zauber lösende zerstörende Beschwörungswort, fast ängstend entfernt gehalten. Nun war ihr ein Schicksal gekommen, das sie äußerlich, ihre kühnsten Hoffnungen überflügelnd, emportrug, und innerlich schien ihr doch der Tod ihr Verhängniß zu sein, der Untergang ihr Schicksal. Sie hatte diesen Fürsten Egon, diesen ihren Beschwörer, bei der Geheimräthin kennen gelernt. Nie würde er sie gefesselt haben. Es fehlte ihm die herausfordernde neckende Elasticität, die die Frauen, selbst wenn sie wissen, daß solche Männerscherze und Männerspiele nicht immer und zu Hause am wenigsten getrieben werden, dem Charakter, der Solidität und den Tugenden der aufrichtigsten Ehrbarkeit vorziehen. Sie wollen nun einmal umflattert sein, sie wollen den Schein der Freude, sie wollen sogar die Verstellung, wenn sie nur nichts Anderes lügt als Ergebenheit und Huldigung. Dieser Egon von Hohenberg aber tändelte und scherzte so selten, er war so ernst, dabei doch so siegesgewiß, so kalt und dann doch zuweilen so seltsam heiß. Der Heiterkeit Maaß fehlte ihm dann. Sie hatte kein Vergnügen an seiner Bewerbung. Lange freilich währte es, bis sie diesen Eindruck selbst errieth. Sie gab sich Egon, wie sie sich Dankmar Wildungen, als sie ihn für Egon hielt, gegeben hatte. Der Unterschied war nur der, daß Egon gefesselt blieb, während Dankmar mistraute. Egon war der Fürst von Hohenberg, warum sollte er an Enttäuschung glauben? Er war in der That nur glücklich bei Paulinen von Harder, der Feindin seiner Mutter, nur glücklich, wenn es hieß: Ist Melanie noch nicht da, wann kommt sie, wie bleibt sie so lange, jetzt rollt ein Wagen, das ist sie nicht, das ist sie! Und dann ließ er diese beiden Frauen um sich leben und weben, walten und schalten, genoß mit Behagen, daß sie für ihn lebten und webten, für ihn walteten und schalteten. Er ruhte sich bei ihnen von seinen gewaltigen Geistes-Anstrengungen aus. Die gescheuteste und die schönste der Frauen in der Residenz gehörten ihm. Und für immer wollte er Beide an sich fesseln, nie wollte er Melanie in eines Andern Armen wissen. Aber seltsam! Sein Ideal schwang sich, grade weil sie nicht liebte, zum Charakter auf. Sie verweigerte jede Gunst, die über die Grenze einer leichten Koketterie hinausging. Sie war, allein, gegen Egon nur so, wie sie es im Beisein Paulinen's sein durfte. Lange besann sich der Fürst, was da zu thun. Er wählte den Ausweg einer Standeserhöhung. Die vielgefeierte, allerdings für verlobt, verlobt mit einem zweideutigen Charakter geltende Melanie, Tochter eines seither hochangesehenen stadt- und landbekannten Mannes, konnte dieses Vorzugs nur gewürdigt werden, wenn damit zugleich ein glänzendes Zeugniß für Melanie's Sittlichkeit ausgesprochen wurde. Man würde eine illegitime Verbindung ewig verurtheilt haben, während man sich an die legitime in Kürze gewöhnte und sich ganz einfach sagte: Fürst Hohenberg ist arm, er will eine Häuslichkeit ohne ein Haus zu machen. Er hat eine Frau genommen, die er Niemanden zu zeigen nöthig hat und macht dabei die besten Geschäfte, er spart und hält die Hausfreunde ab. So die Welt. Egon aber? Ob wol in ihm der Gedanke lebte: Nach Louison und Helene, nach der Poesie deines Lebens, jetzt nur keine Etikette mehr, jetzt nur keine Ehe mit anspruchsvollen, dich in moralische Kosten setzenden Frauen, nur keine wirkliche, dich beunruhigende Fürstin! Sein »Egoismus« ertrug eine ebenbürtige Ehe nicht. Vielleicht auch eine ihn in stillen Stunden durchschauernde Pietät des Herzens für die Vergangenheit?
Das äußere Glück war also für Melanie selten und groß, aber das innere fehlte. Die Fürstin Hohenberg hatte sich nicht umsonst so besonnen gehalten, als sie sich an die Bewerbung eines Fürsten nicht sogleich wegwerfen wollte. In flüchtige und leichtsinnige Herzen zieht die Tugend oder diejenige Reflexion, die wenigstens wie Tugend aussieht, nicht ohne große Kraft ein. Die äußere Würde genügte ihr nicht, sie wäre so gern wahrhaft glücklich gewesen. Ihr Gatte war nicht leichtsinnig genug, sich in Schulden zu stürzen. Ihr Vater entbehrte nicht nur, sondern gerieth auch, was sie wohl durchschaute, in die bedenklichsten Schwankungen seines Kredits, wenn nicht gar in Schwankungen seiner Ehrlichkeit. Es war ihr wohlbekannt, wie furchtbar der Justizrath darunter litt, daß alle Welt die bei ihm aus diesen oder jenen geschäftlichen Vertrauensgründen niedergelegten Summen jetzt plötzlich sehen, jetzt plötzlich kontroliren, wiederhaben wollte. Dies Flüssigmachen von Kapitalien, die er nicht unter sieben Siegeln gehalten hatte, sagte Schlurck einmal, schwemmt mich noch eines schönen Morgens selbst in die – er nannte den Fluß, an dem die Residenz liegt, und Weib und Kind schrieen auf, sie wußten längst, was manchmal in ihm vorging... Egon's Abneigung gegen die Eltern war eine große Qual für Melanie. Er hätte die Familie hundert Meilen weit entfernt sehen mögen. Ihm darin widersprechen hätte ihr unwürdig und unklug geschienen. Die Macht der Ehe nach dem Altar ungroßmüthig anwenden widersprach ihrem Charakter, widersprach ihrem freien Weltblick, den sie in der That der Philosophie ihres Vaters verdankte. Es war dies nichts Geringes in ihr. Der Fürst ahnte es sogleich, erkannte sie, schenkte ihr den unbedingtesten Glauben, liebte sie. Sie selbst wußte es, sie hatte Beweise seiner ihr allein gewidmeten Herzlichkeit, er kannte ihr Leben, ihre Vergangenheit, sogar ihre Jugendverirrungen und entschuldigte sie. Was sie auch erzählte, Egon hatte Alles geahnt, er entsetzte sich nicht, dachte sich in ihre Erziehung hinein, hatte ihren Thränen unbedingtes Vertrauen geschenkt und da sie tief, tief ihm zu danken hatte, so war sie glücklich unglücklich. Die selige Übereinstimmung mit Egon's Natur fehlte und sie mußte ihn doch nehmen, wie er einmal war.
Mehrere Stunden hatte die Fürstin in trüber Schwermuth so für sich hingebracht und bei Allem, was sie vielbefragt anzuordnen, vielbeschäftigt vorzunehmen schien – die Frauen können Das – immer doch einem und demselben Gefühle nachgehangen. Sie war für den Abend in einer andern Toilette, als die sie am Mittag getragen hatte... Es boten sich oft Tagelang keine Gelegenheiten, mit ihrem Gemahl ein einziges trauliches Wort zu sprechen. Hier in Hohenberg hatte sie darauf gehofft; hier hatte sie sich sogar möglich gedacht, Egon's tieferer Natur etwas näher zu kommen. Er war von Paulinen befreit, er befand sich in jener Gegend, an die sich seine Jugend knüpfte und wo ihm selbst in jüngster Zeit noch Abenteuer, ja Vorfälle komischer Art begegnet waren; sie hoffte auf Heiterkeit. Vergebens! Egon blieb überhäuft mit Geschäften, verstimmt, absorbirt, und die wenige Muße, die er sich gestattete, verwandte er in dem ihm angebornen und anerzogenen Instruktionseifer auf seine gutsherrliche Lage, auf die Besichtigung seiner Güter und die Prüfung der ihn wahrhaft überraschenden, ja fast beschämenden Thätigkeit jenes Generalpächters Ackermann, den er auf Empfehlung des ihm geistig verloren gegangenen Dankmar Wildungen zum Wiederhersteller, wenn nicht seines Glücks, doch seiner Ehre gewählt hatte. Die Abwesenheit dieses Mannes, den er bewunderte, peinigte ihn. Er kam zu Melanie, als sie eben mit ihrer Abendtoilette fertig war und sagte:
Es ist leider sehr wahrscheinlich, daß ich aus der Stadt Briefe über Hofintriguen empfange, die wenigstens meine Anwesenheit hier abkürzen. Es wäre mir das widerlichste Begegniß, wenn ich Ackermann nicht mehr sehen sollte. Er würde mich, da die Ernte überstanden ist, jetzt in der Stadt besuchen können, aber ich hätte ihn hier sprechen mögen, hätte so gern von ihm hier mich führen, mir Alles, was er unternimmt, zeigen und erklären lassen. Glücklicherweise war ich vorhin im Walde dem Förster begegnet, der von Briefen spricht, die für heute Abend seine Rückkehr ankündigen.
Egon erklärte nun mit der ihm eigenen Vollständigkeit Alles, was er von Ackermann's Einrichtungen schon zu übersehen glaubte. Er wiegte sich in der Vorstellung, daß diesem Manne, der so uneigennützige, fast fabelhafte Bedingungen gestellt hätte, gelingen könnte, das Erbe seiner Väter wieder herzustellen und Melanie'n das Loos, seine Frau zu heißen, auch wahrhaft zu einem fürstlichen zu machen. Melanie hielt diesen auch heute von ihm beliebten Übergang fest und malte alle die Pläne aus, die sie mit dem gesteigerten Ertrage dieser Besitzungen verbinden wollten. Diese luftigen, natürlich nur scherzweise vorgetragenen Träume waren ihr willkommener als die Rundblicke Egon's auf die ihm so wissenswerth vorkommende Systematik Ackermann's und seine Fragen, die er an Melanie, die Ackermann doch gesehen hatte, glaubte richten zu dürfen: Wie ist sein Wuchs? Ist er alt? Warum trug sich wohl sein Kind in Knabentracht? Wie lange mochte er von Deutschland entfernt gewesen sein? Gesprochen hast du nie mit ihm? Er ist doch ein geborner Deutscher? Was trieb ihn wohl von dem heimathlichen Boden? Wie kam er nur auf den Gedanken, sich grade an meine verlorenen Besitzungen zu wagen?
In diese für den Fürsten sich immer mehr steigernde Aufregung fiel bald diese, bald jene Meldung. Die wichtigste war die, daß man einen politischen Verfolgten, dessen Spur seit einem halben Jahre verloren gegangen wäre und die man selbst im Auslande nicht wieder gefunden, unter den Dienstleuten des Generalpächters entdeckt hätte und ihn eben zur Haft brächte. War die Meldung vorläufig auch nur eine gerüchtsweise, so war sie doch schon störend genug und die Räthe des Fürsten, die sich schon zur Theestunde versammelten, hatten alle Ursache, befremdet zu sein, wie der Generalpächter zu dieser Wahl seines Hülfspersonals käme. Noch kannte man den Namen des Gefangenen nicht. Die Erwähnung des Thurmes in Plessen, die Nothwendigkeit, Verbrecher so nahe am Schlosse, wenn auch nur so lange beherbergen zu müssen, bis der Befehl zur Abführung nach einem nahegelegenen Landgerichte oder der Residenz gegeben war, war Allen drückend und Niemanden mehr als der Fürstin, die die unangenehme Wirkung der Erwähnung des Thurmes in ihrem Gemahle, dessen Beziehung zu ihm sie sehr wohl kannte, deutlich genug bemerkte. Die vorfahrenden Abendgäste brachten schon Kunde von der durch diese Verhaftnahme verursachten Aufregung in Plessen. Und nun kam einer der Sekretaire mit dem soeben vom draußen harrenden Oberkommissär gemeldeten Namen: Dankmar Wildungen! Dieser selbst! Der Vielbesprochene, der Allen Bekannte, der nach so entgegengesetzten Seiten hin die Welt in Anspruch Nehmende! Dieser jetzt hier und verhaftet! Egon erblassend tritt hinaus und will Pax selber sprechen. Herr von Zeisel begegnet ihm, noch erschöpft von seinem schwierigen Vorverhör und schon gedrängt von seiner Gemahlin. Auch die Fürstin erfährt den Namen. Ihr Erblassen wird von der Gerichtsdirektorin wohl erkannt, wohl verstanden. Der Generalpächter als Hehler politischer verbotener Feuerstoffe war bald durch die ganze Gesellschaft wie ein seltsames Fragezeichen tausend Auslegungen preisgegeben. Melanie hörte nur, zitterte nur, schwankte... Egon kam zurück... ja, es war in der That Dankmar Wildungen, derselbe, von dem Alle wußten, daß eine Kette von Zufälligkeiten und Abenteuern ihn mit dem früheren Leben des Ministers in den seltsamsten Zusammenhang gebracht hatte... Dieser Abend wurde eine Folter. Gespenstische, schattenähnliche Begegnungen von allerlei Menschen unter einander, deren Ja und Nein, deren Excellenz! Durchlaucht! Ja wohl! Ganz gewiß! Haben Sie von dem Wasserfall im Gebirge schon gehört? O Sie sollten einmal die Wanderung nach dem Felsengrund versuchen! Kennen Sie Randhartingen bei Abendbeleuchtung? Alles nur wie um der Worte willen geführte Gespräche gemischt mit Theetassengeklapper, Kleiderrauschen, Kommen und Grüßen, o eine Phantasmagorie des Nichtigsten und Leersten... und Das nun aushalten zu müssen, Das schüren zu müssen, wenn der Funke zu verglimmen scheint, Das ersticken zu müssen, wenn die Flammen eines Streites vielleicht zu heftig auflodern... Die Fürstin saß hinter ihrem Theetopf in Verzweiflung. Der Fürst konnte doch ab und zu. Es wurden doch Thüren geschlagen, Pferde trappelten, Säbel klapperten, sie wußte doch, daß Egon, der so oft ihr schon gesagt hatte: er hielte es für die glücklichste Gunst des Zufalls, daß er nicht in die Lage gekommen wäre, diesem ihm einst und noch jetzt als Charakter und Mensch gleich werthvollen Dankmar Wildungen in unmittelbarer persönlicher Feindseligkeit gegenübertreten zu müssen, seine schmerzlichste Aufregung durch Fragen, Erklärenlassen, Befehlegeben, verbergen, wenn nicht mildern durfte... sie aber, die in Dankmar mehr als den Freund ihres Mannes ehrte, sie, die in diesem Schlosse an seinem Arme gezittert hatte, ihn liebte, noch liebte, wie fast jeder Mensch ein stilles, wenn auch entsagendes Sehnen in sich trägt, sie sollte schweigen, sollte von gewöhnlichen Dingen reden, Jeden bezaubern, Jeden gewinnen, den Adligen sich versöhnen... Sie hielt es nicht länger aus. Gegen halb zehn Uhr sprach sie von unerträglichstem Kopfweh. Die Damen bemerkten, daß sie das Haupt aufstützte. Die Fürstin ist angegriffen! Durch den Saal flog die Trauerkunde von der Migräne der Fürstin. Aber o Himmel, man ist auf dem Lande. Man ist hier so natürlich, so theilnehmend oder so interessirt zudringlich, daß man von allerhand Mitteln spricht gegen Kopfweh; von einem flachen Messerrücken an die Stirn gedrückt, von Citronensaft, von einem zu öffnenden Fenster... erst die Räthe aus der Stadt gaben den rechten Rath, Aufhebung der Soiree.
Nach einigen Minuten war die Fürstin allein. Egon bestätigte die Verhaftung, erklärte die Identität, verwies vorläufig auf den Thurm. Retten, helfen konnte er nicht. Es war zu spät. Melanie fühlte dies Zuspät! nicht sich, wohl aber der Pflichtenlehre und dem Charakter ihres Mannes nach. Er erklärte die Anwesenheit Dankmar's grade bei Ackermann für eine Folge der Liebe Dankmar's zur Tochter des Generalpächters. Melanie bestätigte diese Vermuthung als die wahrscheinlichste Auslegung eines Aufenthaltes, der der erste trübe Flecken auf dem von Egon so hochgehaltenen Bilde des Generalpächters war. Sie sahen beide Alles, wie es wohl war und wie es sein konnte und schieden voll Schmerz. Egon, der noch zu arbeiten und sein Schlafzimmer im andern Flügel des Schlosses hatte, die Fürstin, die mit Schrecken von ihm hörte:
Es wird diese Unbesonnenheit ihm leicht einige Jahre Gefängniß kosten können, die nicht abzuwenden sind, falls die Genossen seiner Verschwörung nicht dazwischen treten. Wenn die Wildungen den Prozeß gegen die Stadt gewinnen sollten, erleben wir Verwickelungen, die eine Stellung wie die meinige leicht zu einem Kampf gegen Geister und Zaubereien machen dürften. Ich weiß nicht, ob man nicht von Glück sagen darf, daß bis dahin vielleicht die Partei Trompetta-Flottwitz am Ruder ist. Der Hof war in Tempelheide, hat sich von Windharfen und Naturmystik unterhalten lassen; General Voland liest jeden Abend die Kapitel seines neuen Werkes über die alchymistischen Vorstellungen, die das Mittelalter mit der Natur der Steine verband; die frommen Präsidenten drängen aus der Provinz herein. Wohlan! Man kann bald Gelegenheit finden, die Politik zu behandeln, wie jene Helden, die im Zauberwalde Armidens ihre Schwertstreiche auf Feinde richteten, die vor ihnen wie die Luft zerrannen!
Die Fürstin, die ein Großes und Gewaltiges im Leben nur ertragen und durchführen konnte, wenn eine erwiderte Liebe ihren Muth beflügelte, ihren Arm stärkte, Melanie begab sich zur Ruhe. Zum Thurme gehen, eine Befreiung zu wagen, List, Verschlagenheit anzuwenden, wie damals im Heidekrug... Diese Zeiten waren vorüber. Sie ging zur Ruhe...
Egon aber, als Alles im Schlosse still geworden und er allein war, öffnete das Fenster und blickte zu den Sternen auf... Nie haben wir ihn mit sich selbst beobachtet. Nur seine Worte im Gespräch mit Andern, nur seine Thaten ließen wir für ihn reden. Es gebührte diese Zurückhaltung dem Bilde einer Persönlichkeit, die Alle als den lebendig gewordenen Egoismus nehmen. Dieser Charakter, fast von Allen verurtheilt, die mit ihm in nähere oder entferntere Berührung traten, konnte nur durch die Andern geschildert werden. Aber dennoch dürfen wir an die zerrissenen Empfindungen glauben, mit denen Egon an das geöffnete Fenster seines Schlafzimmers trat, die schon kühlere Nachtluft an seine heiße Stirn wehen ließ und voll Wehmuth auf den Garten des Schlosses hinunterblickte, auf die Bäume und Boskette, hinter denen der Gerichtsthurm des Dorfes Plessen versteckt lag. Wenig über ein Jahr war vorüber und was hatte sich Alles seitdem begeben! Nur die Jedem, wieviel mehr einem Hochbegabten sich aufdrängende Überzeugung, daß wir in einer Zeit der gewaltigsten Umwälzungen inner- und außerhalb der Menschenbrust leben, konnte die Wandlungen glaublich erscheinen lassen, die seit dem Tage, wo Dankmar in die Gefängnißzelle des Fürsten trat, die er nun selbst bewohnte, diesem geschehen waren! Egon war sich selbst kein Räthsel, aber er fühlte es mit Schmerz, daß er ein furchtbares Andern sein mußte. Jener Stunden, die ihn im Thurme um die Freundschaft eines jungen, unternehmenden Kopfes werben ließen, gedachte er jetzt mit solcher Lebhaftigkeit, daß er auf einen Sessel niedersank, an der Brüstung des Fensters sein Haupt aufstützte und sich in Empfindungen wie diesen kaum zu sammeln wußte:
Du Ärmster! sagte er sich. Würde Alles so gekommen sein, wenn das Geheimniß des Bildes, das Geständniß der Denkwürdigkeiten deiner Mutter dich nicht in deiner Bahn plötzlich an einen entsetzlichen Abgrund geführt hätte, wo du die Besinnung verlorst und dich an die einzige dir nahestehende Hand klammertest! Diese Mutter, die sich einbildete, mich Demuth zu lehren und mich die Lüge lehrte! Hoffte sie, daß ich von meiner weltlichen Stellung herabsteigen, mein Leben der innern Beschaulichkeit, der entsagenden Demuth widmen würde? Sie hat sich vielleicht nicht getäuscht. Sie hat vielleicht den Punkt getroffen, der meine Zukunft, wenn ich noch eine haben werde, mehr bedingt, als die Liebe, die Bewunderung oder der Haß, den ich in meinem gegenwärtigen Mühen ernte! Aber im ersten Augenblick des Schreckens verlor ich die Besinnung. Die Lüge war hier eine nothwendige, eine erlaubte Selbsthülfe. Der Makel der Geburt brannte so auf meinen Stolz, der Zorn des Sohnes über eine durch die Religion verblendete Mutter wallte so siedend in mir auf, daß ich gerade mit Leidenschaft Das sein wollte, was ich nicht bin. Die Sitte ist auch hier das Gesetz. Die Sitte heiligt auch hier die Unsitte. Es ist wie im Staat, seine Mängel geben nicht das Recht, ihn selbst zu zerstören. Ich bin der Fürst von Hohenberg. Aber daß ich es sein wollte, daß ich mit einem Schrei der Verzweiflung gegen die Entdeckungen, die mit dieser Pauline hätten entschlummern können, mich sträubte, mich gegen mein Schicksal bäumte, Das wurde der Anfang aller Leiden meiner Seele und es ist mir wie ein Bild der Zeit, denn diese Extreme, die mich stürzen werden, verrathen noch mehr als ich, daß in ihr etwas morsch und faul ist und man die Prozedur einer sittlichen und strengen Revision mit diesen Zuständen nicht mehr wagen darf!
Es schlug schon eilf Uhr vom Dorfthurme herüber... Nächtliche Vögel schossen, rasch im Kreise mit hängenden Flügeln sich wendend, an den Fenstern des Schlosses vorüber... Egon träumte fort:
Auch Dankmar Wildungen wird diese Schläge der Uhr hören, er wird sie zählen wie ich, er wird auf mich vielleicht rechnen! Oder nein! Er war mir an Einsicht schon damals überlegen, als ich ihm so zerflossen, so abentheuerlich und in der Gefahr feige erschien! Wie war ich hastig, unsicher, von meiner Lage fast bis zu tragischer Besinnungslosigkeit überrascht! Wie schäm' ich mich, als dieser Posa seinem Carlos erwiderte: »Gibt es denn noch Freundschaften?« Du hast Recht. Es gibt keine, Dankmar Wildungen! Und doch ist es eine Wahrheit, daß grade wir Menschen, die die Welt als Götzendiener des Ich's verurtheilt, die unendlichste Sehnsucht nach Liebe haben! Grade wir Egoisten, wir Kaltgescholtenen schmachten nach dem Thau des Verständnisses, grade wir leiden unter der Einsamkeit, die sich um uns her wie eine wüste Steppe ausbreitet, leiden wie etwa die großen Männer leiden müssen, die man nur in ehrfurchtsvoller Ferne bewundert und denen aus Scheu Niemand sich zu nähern wagt, wie den höchsten trauernden Schneespitzen der Alpen. Ich hoffte einen neuen, deutschen Armand in dir zu finden und dachte mir darunter einen Bewunderer meines Werthes, einen Diener meiner Launen, ein Werkzeug meiner schon damals gehegten wenn auch nicht ausgesprochenen Plane. Der feine Kopf verstand die Absicht, die ich selbst nicht fühlte. Er sah an Louis Armand, was ich mir unter ihm wohl dürfte gedacht haben und mistraute der aufdringlichen Zärtlichkeit eines Hochgestellten, der in der That die Probe nicht bestand. Ich verlor ihn, mit ihm Louis Armand, mit ihm Helenen, ich verlor die selbständige Liebe und gewann vielleicht nur die sklavische... es ist nicht gut, die Liebe Derer nicht ertragen zu können, die sich doch auch ein wenig selber achten.
Der Fürst Egon von Hohenberg war wie seine Mutter. Er wühlte in den eignen Eingeweiden und bestätigte auch darin eine Erfahrung, die man oft an großen Männern gemacht haben will, daß ihr Denken nicht ihr Handeln ist. Ihr Denken ist ein Auflockern der ganzen Innerlichkeit, ihr Handeln nur Eines, ein entschlossener Aufschwung, eine energische That. Die weiche Empfindsamkeit der Größe würde kein Geheimniß der Seelenlehre sein, wenn die großen Menschen ihre Gedanken belauschen ließen und die Fülle von Erwägungen bloßgäben, die sie im Zustande der Ruhe anstellen und die sie nur in dem Augenblick bannen, wo irgend eine Gefahr ruft, irgend ein Entschluß mit Blitzesschnelle gefaßt sein muß. Egon sprach klein, ohnmächtig, zagend von sich und in diesem Augenblick hätte das Posthorn eines Kuriers ertönen, eine Depesche hätte ihm überbracht werden dürfen, die einen raschen Entschluß erforderte, er würde sich nicht fünf Minuten besonnen haben, den Befehl zu ertheilen, der ihm der nothwendige und den Verhältnissen angemessene erschien.
Doch blieb es still. Nur ein schärferer Nachthauch fuhr durch die herbstlichen Blätter... der Fürst schloß das Fenster...
Noch floh ihn der Schlaf. Noch drückten zu viel der Lasten die Brust eines Mannes, der bei der eisigen Athmosphäre der Politik doch noch nicht ganz in seinem innersten Herzen erstarrt war.
Was trennt mich denn von Euch, sagte er noch hinausstarrend durch die geschlossenen Fenster in die Nacht und die Hände zusammengefaltet im Schooße ruhen lassend, was hat denn unsere Bahnen so unterbrochen, daß sie nicht mehr zusammengehen konnten? Standesvorurtheile? Die Verschiedenartigkeit der Interessen? Ihr denkt so, ich weiß es und eine Weile, als ich mit Eurer Hülfe an jenem stürmischen Abende in Paulinens Villa das Testament der Mutter erobert hatte, dachte ich selbst nicht anders. Aber schon hatte ich den Träumen widersprochen, mit denen Ihr die Welt zu bessern gedachtet, schon mein System der Pflichten aufgestellt Euerm System der Rechte gegenüber. Was ist zu thun, wenn zwei streitende Gedanken plötzlich auseinandergerissen werden von dem Leben, das dem Einen sagt: Lasse Das! und dem Andern: Thue Das! Die Aufforderung zum Handeln kommt, so lange die Erde stehen wird, wohl an jeden Gedanken zu früh. Immer wird ihm noch etwas an seiner Reife fehlen, immer wird ein Moment ihm noch zu gewinnen sein, die allgemeine Übereinstimmung, und schon soll er handeln, schon das Leben umgestalten, schon sich in der Welt, wie sie gegeben, fest bewähren. Da hatt' ich keine Möglichkeit mehr, mit Euch zu wandeln. Die große Aufgabe des Staatsmannes traf mich überraschend, aber nicht unvorbereitet. Ich hatte Das, was Genf, was Bonn und Göttingen mich lehrten, nicht vergessen, in Paris hab' ich nicht aufgehört, mein theoretisches Rüstzeug zu mehren, es zu schärfen, rein zu erhalten vom Roste der Alltäglichkeit. Das Denken, das Lernen, das Aufspeichern war mir, als ich mit dem Volke lebte, eine klösterliche Vorbereitung auf einen Beruf, den mir der Zufall schenkte, denn suchen konnt' ich ihn nicht, in dieser süßträgen Lethargie nicht, die wir unter Büchern und Frauen empfinden. Es gibt keine gefährlichere Wonne, als die Liebe einer schönen Frau verbunden mit dem Luxus der Ideenbereicherung durch bloßes geistiges Aufnehmen aus Büchern, Reisen, allen erdenklichen Wissensquellen, nur nicht dem Born des eignen Arbeitensollens, des eignen Schaffens! Ionischer Himmel, die Liebe Kleopatrens und die Bibliothek von Alexandria... an dieser höchsten aber gefährlichen Seligkeit des Lebens, zugleichgenossen, sind die größten Genies zu Grunde gegangen... ich wollt' es nicht, ohne darum ein Genie zu beanspruchen.
Die unwillkürliche Erinnerung an Helenen trieb Egon vom Sessel empor. Es schauderte ihn hinüberzublicken auf die Fenster, wo eben Melanie's Licht erlosch... Helene blieb ein Akkord in seiner Seele, der, selbst wenn sie einem Maler Namens Heinrichson gehören und jetzt mit diesem in Paris weilen konnte, ihm einen Schmerz verursachte, wie wenn er sich plötzlich in einem Gefängniß erblickte. Er trat auf mit schallendem Fußtritt, er fühlte sich elektrisirt, er wußte nicht, ob vor Wonneschmerz oder vor Wuth, er hätte an Eisenstäbe greifen, an ihnen rütteln mögen... er konnte sich nicht beruhigen, ehe er nicht die kühlen feuchtansetzenden Scheiben des Fensters an seiner Stirn fühlte. An diese lehnte er sich und dachte mit Klagen:
Was wär' es nun, wenn ich den Mantel nähme, diese Zimmer verließe, den Berg hinunterschritte, an den Thurm träte und, der Wachen nicht achtend, die ihn hüten werden, zu dem Fenster emporriefe: Schläfst du, Wildungen? Fürchte nichts! Mich schwindelt auf der Bahn, die ich wandele! Dein Märtyrerthum ist größer als meine Freiheit! Und wenn du Freiheit willst, ich will sie dir geben, will mit dir fliehen, hinaus in die Welt, in ein Felseneiland, will dies künstliche Gewebe, das mich umsponnen hat, zerreißen, dies Gehäuse zertrümmern... ich will ein Genosse deines Bundes sein, dieser furchtbar anwachsenden, wie das Erzgeäder in einem Bergschacht verbreiteten und dich vor uns verurtheilenden Ritterschaft vom Geiste...
Es war ein Augenblick, der ihn so überflog, so aus der künstlichen Selbstbeherrschung und der Aufgabe, die er für die Welt durchführte, hinausschleudern konnte... Melanie, Pauline, Amanda, das waren Namen, die ihn immer nur starr machten, kalt, entschlossen... Bei Helenens Namen aber überwehte es ihn wie einer jener weichen Südwestwinde, die wie auf feuchten Schwingen mild und lockend uns plötzlich anhauchen nach langer trockner Witterung... Die Verführung dauerte aber nicht lange. Sie hörte mit dem Anruf der Wachen auf, die er vom Thurme hörte. Es waren Gendarmen, die die Posten wechselten... morgen in der Frühe sollte der Gefangene in einem verschlossenen Wagen in die Residenz geführt werden.
Ah! der Fürst strich sich gleichsam das Haar von der Stirn zurück. Er vergaß, daß sich der Scheitel nach seiner Krankheit völlig gelichtet hatte, während der Rest, der ihm geblieben, schon graue Spitzen zeigte. Er runzelte die Augenbrauen und stellte die Lichter so, daß er nicht in Versuchung gerieth, sich im Spiegel zu erblicken. Er war zerfallen wie schon ein welkender Mann, während er etwa dreißig zählte. Aus jeder Kammersitzung kam er erschöpfter. Wenn er bei sich anfuhr, schlich er die Treppe hinauf, warf sich in ein Kanape und verlangte eine halbe Stunde Ruhe um sich her, da er nicht sprechen konnte und vom leisesten Geräusch gereizt wurde. Oft zuckten ihm Muskeln des Gesichts, ohne daß er es selber merkte. Wie todt streckte er sich dann, ließ die Arme hängen und staunte tief in sich selber, daß diese ohnmächtige Hülle ein ihm selbst noch fühlbares Bewußtsein enthielt. Durch narkotische Mittel hatte er oft schon auf Schlaf gehofft. Die Natur wurde aber dadurch nur noch mehr gebrochen. Die Gesichtsfarbe wurde gelb, ein Beweis, daß die Leber litt bei einem Ärger, den ihm nicht etwa der Widerstand der oppositionellen Elemente verursachte, sondern die Treulosigkeit seiner eignen Bundesgenossen und die Undankbarkeit Derer, für die er wirkte. Egon stritt gern über Prinzipien. Eine Rede gegen die Demokratie hob ihn, erheiterte ihn. Eine Rede gegen die Parthei der reinen Konstitutionellen, gegen die Fractionen Justus und Ähnliche verursachte ihm Appetit für den Mittag, denn er gab Diners, bei denen er kaum mehr als einige Löffel Suppe aß. Aber Das, was an seiner Leber nagte, war die Überzeugung von der tiefen innern Verdorbenheit des Staates, den er vertheidigte, und seiner Organe selbst. Der Ehrgeiz der Beamten, die heimlich den Boden unter ihm durchwühlten, konnte ihm Anfälle von Raserei machen. Er sah da Menschen, die in stillen Zeiten emporgekommen waren, nie ein Prinzip hatten als das der Beförderung, auch nie um ein anderes gefragt wurden, da die alte Zeit alle Berufung an die Gewissen der Menschen ausschloß, Menschen, die nun auf bedeutenden Posten stehend sich bei dem großen Kampfe, den er auszufechten hatte, wie müßige Zuschauer gebehrdeten. Man beneidete ihm hier seine Stellung, die rein eine Folge des parlamentarischen Lebens war. Ohne für das Beamtenthum gebildet gewesen zu sein, war er Staatsmann geworden. Seine Jugend, sein Mangel an Bekanntschaft mit dem gewöhnlichen Geschäftsgange der Ressorts, die er durch Ministerialvorstände verwalten ließ, während er sich die Prinzipien vorbehielt, nach denen die einzelnen Fälle entschieden wurden, sein Terrorismus, der in der That von Monat zu Monat zugenommen hatte und in eine brüske Reizbarkeit ausartete, alles Das hatte angefangen, ihm seine Stellung sehr schwierig zu machen. Er nannte die neutrale Gleichgültigkeit hochgestellter Beamten Buhlerei mit der Revolution. Er sprach von der mephistophelischen Bosheit der gewesenen Minister, die Gott und dem Genius des Vaterlandes hätten danken sollen, daß er das ihnen mislungene Werk vollführte, die Hydra der Revolution bändigte, und die statt dessen in den Kammern und der Gesellschaft eine gravitätische Ruhe affektirten, jeden seiner Anträge erst prüften, in den Commissionen die gründlichsten Ausweise verlangten und ihn so hinstellten, als wenn er zwar die Ausübung der Macht, sie aber die Macht selber wären. In der That hatte sich bei Hofe und in der Adelskoterie auch schon die Meinung festgestellt, daß diese ganze Politik des Fürsten Egon von Hohenberg nur von der Gnade der großen durch die Umstände zum Feiern gezwungenen Köpfe lebe, die sich wie Pairs des Reiches im alten catalonischen Sinne gebehrdeten. Die Art Ständevertretung, die Egon selbst früher bezweckt hatte, war eine Idee gewesen, die man, als er sie den nächsten Rathgebern des Königs vorschlug, erst bewunderte. Als aber die Emeuten besiegt waren, als man einige Beispiele von Kraft auf der Straße und in den Vestungen gegeben hatte, als sich tonangebende selbst hochgestellte Demokraten nicht mehr aufrecht erhalten konnten, sondern im Auslande lebten oder sich durch einen Bund nur stärken konnten, der in diesem Augenblicke die einzige Beunruhigung der Gesellschaft war, da drang auch Egon mit seiner Theorie der Arbeit nicht mehr durch und war schwach genug, verwöhnt genug schon durch die Macht, gereizt genug schon durch den Zorn, seine übrigen Werke den Nachfolgern überlassen zu sollen, daß er sich anbequemte und Gedanken annahm, die eben auch in der konservativen Sphäre die üblichen Allerweltsgedanken waren. Die Freunde, Dankmar an der Spitze, der nun in seine Hand Gegebene, hatten ihm diese Wendung vorausgesagt. Er konnte sie nicht vermeiden, haßte darum aber auch nicht wenig die Urheber dieses Zerwürfnisses mit sich selbst und diese Urheber saßen dicht in der Nähe des Monarchen, buhlten um seine Gunst, waren die tägliche Genossenschaft der auch ihm unzerstörbaren kleinen Cirkel. Der Hof genoß die Ruhe, die Egon dem Lande schaffte, in brusterlösenden, athembefreienden Zügen. Das war eine Seligkeit, so die Gefahren allmälig verschwinden zu sehen, wie verrollende Donner. Die großen Mächte hatten sich wieder gefunden, die Höfe sich ausgesöhnt, die nationalen Reibungen wurden für falsche Deckmäntel der Revolution ausgegeben. Die Monarchen wollten sich unter sich selbst verstehen, sie schlossen sogar die Minister aus und erklärten, wohl zu verstehen, worauf es in Europa ankäme, nämlich lediglich auf ihre Selbsterhaltung. Sie wollten nur Armeen, nur Soldaten, nur Kanonen, nur Orden, nur Geld. Das Übrige, selbst an den ihnen ergeben scheinenden und doch nicht ganz spezifisch geläuterten Staatsmännern, war überflüssig und nicht selten verdächtig. Ganz besonders war es die junge Königin, die genug mit tonangebenden Fürstinnen dieser Zeit korrespondirte, um diese Idee energisch zu vertreten. Es kostete Mühe, wenigstens dem Könige noch den General Voland und seinen weltträumerischen, sentimental haltlosen Standpunkt zu retten. Die Königin verdächtigte Alle, ausgenommen einige Kammerherren, einige Offiziere, einige Präsidenten und Räthe, einige Professoren, einige Zeitungsschreiber. Sie erklärte, daß im Augenblick der Gefahr sich im Grunde Niemand bewährt hätte, und als der König erwiderte: Aber General Voland würde es, wenn er nicht gerade auf Reisen gewesen wäre! widersprach sie zwar nicht, bemerkte aber, der Staat käme ihr vor wie ein schwankendes Schiff, Alles renne auf ihm hin und her, Jeder wolle helfen und grade von dem Rennen, grade von dem Helfenwollen verlöre das Fahrzeug das Gleichgewicht und schlüge über; es solle daher nur Jeder ruhig auf seinem Platze sitzen bleiben, dann würden Alle gerettet werden. So konnte sie auch an Fürst Egon zwei Dinge durchaus nicht ertragen. Einmal: seine mangelnde »Sittlichkeit« und zweitens die geringe patriotische Schwärmerei. Grade das Tiefsittliche in Egon, grade das gegen den Hang der Natur in ihm fortwährend Rebellirende verstand sie nicht. Sie wollte die Demonstration der allgemein herrschenden Sittlichkeits-Grundsätze. Sie wollte Kirchenbesuch, Adelsgefühl, die Theilnahme an dem Esprit de corps jenes moralischprüden Wesens, wie man es einmal eingeführt und festgehalten wünschte. Egon paßte in diese Kategorieen nicht. Er besuchte die Kirche nicht, er that nichts für die innere Mission, er heirathete ein schönes, den verschiedenartigsten Urtheilen ausgesetztes Mädchen. Er führte diese Frau zwar nirgends ein, muthete Niemanden zu, ihr zu huldigen, ließ sie nur da gelten, wo man sich ihr zu nähern sich selbst gedrungen fühlte; aber auch in diesem Stolz lag etwas Verletzendes für die hochgestellten Menschen, die unbedingt einmal nicht wollen, daß sie in irgend einem Vorfall der Welt umgangen, in irgend Etwas unberücksichtigt, vermieden bleiben. Dieser Stolz des Fürsten wurde vollends beleidigend für die Sphäre des Hofes, wenn Egon von Hohenberg gar so that, als wäre der Staat ein Erstes und die Monarchie doch erst ein Zweites und nun gar dies Königshaus wohl selbst erst ein Drittes. Die reaktionäre Wildheit und Blindheit hatte grade umgekehrt nicht nur die Monarchie, sondern grade diese Monarchie, dies Herrscherhaus grade mit seinen Erinnerungen, seinem historischen Gepränge, seinen Wappen und seinen Bannerfarben für das Erste im Staate und den Staat selbst erst als das Zweite erklärt und in einer solchen Ideenwelt stand Egon trotz seiner Demokratenverfolgung, trotz seiner rücksichtslosen Bekämpfung der ihm anarchisch scheinenden Gesellschaftselemente, gradezu wie ein Fremdling da. Und sonderbar, Pauline von Harder hatte Recht, als sie ihm einmal, da er bei irgend einem Anlaß von seinem wahren Vater Heinrich Rodewald gesprochen hatte, erwiderte: Im Gegentheil, Egon! Sie besitzen ja einen Adelstolz, wie ich ihn bei keinem Marschalk, keinem Harder angetroffen habe! Sie sind ja das ganze Bild jenes unabhängigen Adelsgeistes, den die Fürsten im Grunde so sehr fürchten, wenn er nicht zu Hofe hält und von der Sonne ihrer Huld sich bescheinen läßt! Wissen Sie denn, daß Amanda von Bury stolz war und ihren Adel höher hielt als den der Hohenbergs, bis in der That die Fürstenkrone sie ganz verwirrte? Ihr tiefes Körperleiden, ihre geringen gesellschaftlichen Erfolge untergruben sie. Voll Schmerz und Zorn floh sie auf die ländliche Zurückgezogenheit ihrer Güter und ich kann mir's denken, daß trotz aller Selbstkasteiung, trotz alles Beichtbedürfnisses sie eine eigenthümliche Befriedigung darin gefunden hat, Ihnen zu sagen, daß Sie ihr Sohn, nicht der des gefürsteten Grafen Waldemar von Hohenberg sind!... Egon lehnte diese Vermuthung, lehnte seinen Adelsstolz ab und nannte sich nur einen Staatsphilosophen, der an seiner eignen Geschichte erkenne, was eigentlich den modernen Staat wurme und an ihm zehre; es wäre dies das tiefe Gefühl seines eignen innerlichsten Irrthums! Am Hofe mußte er bei solchen offnen und verschwiegenen Auffassungen längst für einen Grillenfänger gelten, den man nur noch zu schonen hatte. Man schonte ihn, weil man noch keinen Nachfolger hatte und erst allmälig die Menschen, die besonders die Königin ihm aus den Reihen der frömmelnden und servilen Beamten oder der bramarbasirenden Junker gern substituirt hätte, von ihren niedrigen Stellungen in der Beamten-Hierarchie emporsteigen lassen mußte. Egon erkannte diese Politik sehr wohl und unterschrieb die Beförderungspatente von Legationssekretären, Subaltern-Offizieren, bisherigen Landräthen, reaktionären Zeitungsredakteuren einst mit einem Worte, das man am Hofe sehr abscheulich fand: Jeder Mensch ernährt mit seinem besten Lebensblut die Würmer, die ihn tödten, die aber dafür auch zuletzt den hohen Genuß haben, an seinem Leichnam sich selber todt speisen zu dürfen.
Mit düstrer Verbitterung sich in alles Das ergebend, was sich in seinen Verhältnissen zu den früheren Freunden nun einmal so und nicht anders gestaltet hatte, ging der Fürst gegen zwölf Uhr endlich zur Ruhe. Hatte ihn gleichsam die eigne Schuld Dankmar's an dessen Loose beruhigt, hatten ihn wieder die Papiere versöhnt, die er über Ackermann's Verwaltung neben seinem Bette liegend fand, er schlief besser als jemals und hörte am Morgen spät erwachend mit ruhiger Gelassenheit, daß der Gefangene schon in aller Frühe in einem Wagen zur Residenz abgeführt war.
Er fährt einer Überraschung entgegen, sagte einer seiner in der Frühe mit ihm arbeitenden Räthe, er wird den Prozeß gegen uns und die Stadt vielleicht gewinnen! Der Generalpächter soll gestern Abend die Nachricht mitgebracht haben, daß zwei kleine Pünktchen in den alten lateinischen Urkunden die Entscheidung herbeigeführt hätten.
Ist Ackermann also da? fragte Egon, trotzdem, daß sich Dankmar bei diesem verborgen gehalten, von der Nachricht seiner Ankunft angenehm berührt. Er hoffte, sich gegen ihn aussprechen zu dürfen. Er hoffte, ihm sagen zu können, daß er seine Nachsicht aus Liebe zu Selma, seinem Kinde, verzeihlich finde. Er hoffte, Versicherung geben zu können, daß gegen Dankmar nur der Verdacht vorläge, Stifter eines geheimen, den Staat bedrohenden Bundes, keiner eigentlichen Verschwörung zu sein... er hoffte auf eine, seine Brust erleichternde Unterredung mit diesem Landwirth, der ihm unter so vielen Querköpfen, mit denen er zusammenstieß, seit lange die gediegenste und tüchtigste Natur erschien...
Er hatte die Absicht, im Laufe des Tages das Schloß zu verlassen und in die Residenz zurückzukehren, wo seine Gegenwart bei der wühlerischen Unruhe der Königin und ihrer Partei nothwendig schien...
Eine Anfrage an die Fürstin, ob sie geneigt wäre, für heute schon die gemeinschaftliche Rückreise zu gestatten, brachte die Antwort: Mit Freuden!
Egon fühlte, daß Melanie unter Dankmar's Schicksal litt. Er wußte nicht, daß sie ihn geliebt hatte, er wußte nicht, wie sie ihm jenes Bild der Mutter erobern half, aber er wußte, daß er ihr werth war und zu seiner Philosophie gehörte es, einem Weibe, das man liebt, nicht die Vergangenheit vorzuhalten. Er hatte Das auch bei Helenen nie gethan und bei Melanie dafür neue Beweise gegeben.
Um neun Uhr wollte er die Fürstin sprechen... es hieß, sie hülfe räumen, einpacken...
Um zehn fragte er ungeduldig, wann denn endlich Ackermann käme...
Um halb eilf kam Herr von Zeisel und berichtete über Dankmar Wildungen und seine ruhige Ergebung in das ihm widerfahrene Geschick. Überraschend war die Mittheilung, daß der Generalpächter schon gestern Abend, als er Herrn von Zeisel mit dringender Theilnahme wegen des Gefangenen im Amthause befragte, die sonderbare Enthüllung über seine Person gegeben hätte, daß er bisher von Verhältnissen gedrungen gewesen wäre, einen andern Namen zu führen, als der ihm eigentlich gebühre. Er bäte davon Act zu nehmen. In der Residenz hätt' er sich aus Ursachen seinen Verwandten erst jetzt entdecken können und bäte ihn nun... zu nennen... aber wie?
Egon fand es sehr in Herrn von Zeisel's Art, daß er den zu seinem neuen Befremden erst jetzt angegebenen wahren Namen des Generalpächters nicht behalten hatte.
In demselben Augenblicke aber wurde von dem Bedienten der Generalpächter Rodewald genannt, als derjenige, den Se. Durchlaucht jetzt in der That sprechen könnten, er stünde im Vorzimmer...
Wer? fragte der Fürst und glaubte nicht recht gehört zu haben...
Richtig! Rodewald! sagte Herr von Zeisel und gab nun mehrmals den Namen an, der ihm entfallen war. Rodewald! Der Generalpächter erzählte mir in der Theilnahme für das Geschick seines vermeintlichen Schreibers, den er duldete, weil er seine Tochter liebte, daß er vor dreißig Jahren auswanderte, der Sitten und Beziehungen der Heimath unkundig, nicht ahnend, daß er die Verantwortlichkeit einer Schuld auf sich lade, die auch vielleicht geringer wäre, als sie die Gesetze darstellten...
Welcher Name? sagte der Fürst fast schon tonlos...
Rodewald! wiederholte der Justizdirektor. Ich werde die Verdienste und das Genie dieses Mannes nie in Abrede stellen. Er hat sich eine Aufgabe gestellt, die über meine Kräfte gegangen wäre. Es ist ein Kameralist in der besten Bedeutung des Wortes. Nach seinen Mittheilungen glaub' ich zu schließen, daß diese Übernahme der Güter Ew. Durchlaucht ihm rein eine Sache der Liebhaberei und dabei ein heiliger, ja edler Ernst ist und ich möchte bitten, meinem guten Nachbar das Versehen...
Aber Herr von Zeisel mußte eine eigenthümliche Wirkung seiner freundlichen Rede bemerken. Er sah, daß der junge Fürst schwankte, sich zum Herzen griff, nach seinem Stuhle langte...
Um's Himmelswillen, was ist Ihnen, Durchlaucht? rief der gutmüthige Mann und wollte klingeln.
Der Bediente entfernte sich rasch, wollte Wasser holen, rief ohne Zweifel dem wahrscheinlich noch mehrere Zimmer entfernten Rodewald zu, er möchte später kommen...
Der Sekretair des Fürsten begegnete aber dem Bedienten schon und hatte eine Karte in der Hand, die er dem Fürsten von dem Harrenden noch übergeben sollte...
Egon erholte sich etwas und vernahm, was ihm unter Fragen nach seinem Befinden gemeldet wurde...
Der Generalpächter hätte diese Karte abgegeben, die den vollständigen Namen enthalte, den er seit acht Tagen führe... er bäte Se. Durchlaucht um Verzeihung über sein langes Ausbleiben... Familienverhältnisse hätten seine Rückkehr verzögert...
Indem las Herr von Zeisel die Worte:
Heinrich Rodewald, Generalpächter der Besitzungen Sr. Durchlaucht des Fürsten von Hohenberg...
Egon griff nach der Karte, überflog sie... man brachte Wasser... Er schien sich aber erholt zu haben. Die Hülfe war nicht mehr nöthig. Der Justizdirektor glaubte sagen zu dürfen:
Es nimmt allerdings gegen eine Persönlichkeit ein, wenn sie gleich Anfangs nicht offen und wahr uns entgegen tritt und dennoch glaub' ich, dieses kleine aus Familienrücksichten beobachtete Stratagem des Herrn Heinrich Rodewald doch der Nachsicht Ew. Durchlaucht anempfehlen zu müssen...
Diese Vermittelung des wohlwollenden Diplomaten war aber nicht nöthig. Egon hatte schon entschieden. Ein furchtbarer Verdacht, nicht mehr Herr seiner selbst, außer Paulinen von Harder, nicht einziger Besitzer seines Geheimnisses zu sein, hatte ihn wie ein Blitz ergriffen. Das erste Gefühl bei dem Namen Rodewald war das des Entsetzens, der Furcht, der Liebe, der Rührung. Als er aber wieder hörte: Heinrich Rodewald, als er Dankmar Wildungen mit Dem, der ohne Zweifel Der war, der ihm das Leben gegeben hatte, in Verbindung sich dachte, ergriff ihn die entsetzliche, ihn nicht zu Boden schmetternde, sondern zum Zorn, ja zur Wuth aufstachelnde Vorstellung von einem geheimen ihn umspinnenden Netze einer bösen verrätherischen Absicht... und nun gar das Wort: Generalpächter der Besitzungen Seiner...
O sagen Sie dem Generalpächter...
Der Name erstickte auf der Zunge. Dennoch raffte er sich auf und fuhr zu dem Sekretair fort:
Sagen Sie Herrn Heinrich Rodewald, daß ich ihn jetzt nicht mehr sprechen kann. In einer Stunde reis' ich ab. Nach der Residenz würd' ich ihm den Tag melden lassen, wo ich ihn zu sehen wünsche, falls ihn der Ruf der Gerichte nicht früher dorthin vor die Schranken fordern sollte.
Der Sekretair ging mit dieser den Umständen angemessenen Antwort. Herr von Zeisel wurde leidlich freundlich entlassen...
Keiner Besinnung mehr fähig, gab Egon die Befehle zur Abreise. Er war wie ein zur Flucht Gehetzter... Melanie erstaunte... begriff den Zusammenhang nicht... Nur fort! fort! herrschte der Fürst in dem ihm eignen kalten und unerbittlichen Tone, wenn ein Gedanke ihn einmal mit dem Drang der Nothwendigkeit ergriffen hatte. Er aß nichts. Er stand Niemanden Rede. Jedermann glaubte, nur ein Staatsgeheimniß könnte ihn so erschüttern, so aufregen. Man gehorchte seinen Befehlen. Aus einer Stunde wurden aber doch zwei, drei, vier, fünf... trotz Dorette Wandstabler, die Wunder wirken konnte, wenn man ihr etwas aufgab, wie eine solche plötzliche Abreise. Um ein Uhr fuhr man in der That erst vom Schlosse ab. Zuerst wenigstens Fürst Egon und seine Gemahlin, die in die Residenz zurückkehrten nach einem Aufenthalte, der statt drei beabsichtigter Wochen wenig über zehn Tage gedauert hatte. Alle hatten sich dies Wiedersehen anders gedacht, selbst der alte Winkler und Mutter Brigitte, die von den Zeiten des Feldmarschalls her sich viel schöne Erinnerungen an Trinkgelder und allerhand Lustbarkeiten erhalten hatten. Selbst ihre Frömmigkeit hätten Beide dem neuen Regimente zum Opfer gebracht, wenn es doch nur auch einigermaßen nach alter fürstlicher Art und Hoheit hergegangen wäre. Es war aber nicht gewesen und Allen blieb ein Erstaunen, ein tiefstes Befremden, ein Kopfschütteln, ein Rathen und Klagen über gute alte, nie rückkehrende Zeit zurück. Die größte Bestürzung setzte man aber im Ullagrunde voraus bei dem neuen Herrn Rodewald!... Fränzchen Heunisch sah auch bei ihm nur Thränen und deutete sie auf den guten, immer so heitern, freundlichen, gerechten Dankmar Wildungen und sein Schicksal. Sie war es, die darüber an Selma schrieb. Sie war die einzige Vertraute dieses stillen, Allen jetzt erst sich aufklärenden Verhältnisses zwischen ihr und dem unglücklichen Dankmar gewesen. Als sie den Brief geendet hatte, fragte sie den tief in Gedanken versunkenen Generalpächter, ob er nicht selbst noch ein Wort beifügen wollte...
Er hörte nicht... Sein Kopfschütteln nahm sie für eine Verneinung. Sie schloß selbst den Brief an Selma Rodewald auf Tempelheide und trug ihn nach Plessen, von wo die Briefe auf das Postamt zu Schönau befördert wurden.